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Skulpturenpark Waldfrieden 28. Mai 16 Über Parkanlage, Lichtungen und Skulpturen legen sich wunderbare Orgelklänge. Die mit dem Wind spielt, atmet in der Natur.
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Ein internationales Fest(ival) im Skulpturenpark Waldfrieden Wuppertal. 28. Mai 2016 von 15 bis 21 Uhr Veranstalter:
Mit Dank für die freundliche Unterstützung: Gesa S t i f t u n g Für die Menschen für die Stadt.
Editorial Ja, es gibt sie wieder, „die beste Zeit“, das Kulturmagazin für das Bergische Land, auf das Sie, liebe Leserin, lieber Leser, fast ein Jahr lang verzichten mussten. Der Wuppertaler Galerist und Kulturschaffende H. P. Nacke, der das Magazin 2009 ins Leben gerufen und über viele Jahre hinweg mit viel Fleiß und Herzblut publiziert hat, gab im Sommer 2015 aus Altersgründen seine Druckerei auf. Mit dem Wegfall ihrer technischen Voraussetzungen war vorerst das Ende der Zeitschrift besiegelt. Im September 2015 erschien nach insgesamt 34 Heften die letzte Ausgabe der beliebten Kulturzeitschrift mit einem Themenheft zu Oskar Schlemmer. Zurück blieben eine treue Leserschaft und eine ganze Reihe von Autoren und Fotografen, die sich nicht ohne Weiteres mit der Einstellung der „besten Zeit“ abfinden wollten. So drang der Ruf zu uns, dem ‚Schwebetal-Verlag’, dieses Erbe anzutreten und die Zeitschrift weiterzuführen. Und so kommt es, dass Sie heute ein neues Heft, die 36. Ausgabe der „besten Zeit“ in den Händen halten. Der Verlag wurde im vergangenen Jahr gegründet, von Menschen, die alle bereits über viele Jahre in unterschiedlichen Bereichen der Medienwirtschaft Erfahrungen gesammelt hatten und sich nun mit überwiegend lokalen Projekten für die Stadt und die Region einsetzen. Ein Team von KulturEnthusiasten, die schon lange den Wunsch hegten, an einem Zeitungsprojekt dieser Art mitzuwirken. So fiel der Ruf auf fruchtbaren Boden und mit dem Segen von H. P. Nacke im Gepäck war schnell klar: Wir machen das! Dass wir das auch schaffen, dazu braucht es Hilfe von vielen Seiten – nicht zuletzt von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, die wir für den Neustart der „besten Zeit“ begeistern möchten. Nur zusammen mit Ihnen wird es uns gelingen, die „beste Zeit“ in eine neue Zeit zu überführen. Doch bevor das aktuelle Heft in seiner neuen Form erscheinen konnte, waren wir zuallererst auf Inhalte angewiesen, die uns Redakteure und Fotografen zur Verfügung stellten. Es bereitet uns viel Freude und erfüllt uns mit Dankbarkeit, sowohl mit all denen zusammenzuarbeiten, die bereits unter der Ägide von H. P. Nacke die Zeitschrift belebt haben, als auch mit einer Reihe von neuen Redakteuren
und Beitragenden zu kooperieren. Die Kulturlandschaft im Bergischen Land ist sehr fruchtbar und so war es nicht allzu schwer, die passenden Themen für die erste Ausgabe zu finden. Etwa die wunderbare Tony Cragg-Retrospektive im Von der Heydt-Museum, die auch das Titelbild ziert; oder die Ausstellung „Plasters“ von einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts im Skulpturenpark Waldfrieden / Wuppertal, dem englischen Bildhauer und Zeichner Henry Moore. Wir danken Tony Cragg, der uns einen Text dazu zur Verfügung gestellt hat. Erwähnt sei auch der Beitrag über die fantastische Ausstellung zu Pina Bausch in der Bundeskunsthalle Bonn, die vor allem jene besuchen sollten, die schon immer einmal im Ensemble des Tanztheaters mittanzen wollten und hier, unter Anleitung von Tänzerinnen und Tänzern der Truppe, dazu die Gelegenheit haben. Oder das Geburtstagsständchen für Peter Brötzmann zu seinem 75., mit Fotografien von seinem letzten Konzert in Wuppertal, im Café ADA. Die Herausforderung bei der Zusammenstellung der Zeitschrift war es denn auch nicht, genügend Themen für die Mai-Ausgabe zusammenzustellen, sondern bestand in der Auswahl dessen, welche Beiträge wir nicht mehr berücksichtigen konnten. Es war dabei auch weniger die Frage der Qualität eines Artikels als vielmehr die Anzahl der zur Verfügung stehenden Seiten ausschlaggebend. Aber es kommen ja, wenn Sie, verehrte Leserin und Leser es wünschen, noch ganz viele Ausgaben der „besten Zeit“ in den Handel. Vier Ausgaben pro Jahr sind geplant, das nächste Heft wird Sie im September dieses Jahres erreichen. Sie können sicher sein: Wir tun unser Bestes, um das Erbe H. P. Nackes, die „beste Zeit“, auch in Zukunft weiterzuführen. Wir wünschen Ihnen beim Lesen viel Vergnügen und hoffen, Ihnen zahlreiche Anregungen für den Besuch von Ausstellungen und Bühnen im Bergischen Land und darüber hinaus geben zu können. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören, und hoffen, weiterhin auf Ihr Interesse zählen zu können!
Willi Barczat Rita Küster Helmut Steidler Juliane Steinbach
Inhalt 9 „Warm-up“ in der Bonner Bundeskunsthalle
Bewegte Annäherung an Pina Bausch Tanzen durch die Jahreszeiten
„Dance! The NELKEN-Line“ Neuerscheinung:
O-Ton Pina Bausch Interviews und Reden
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4 8 9
„Parts of the World“ im Von der Heydt-Museum
Tony Cragg-Schau steckt voller Überraschungen
Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal
Henry Moore, Plasters
James Rogers und Keith Bowler in der Galerie GRÖLLE pass:projects
„Spot Light - Surface & Space“
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Zeichnungen von Helmut Widmaier im Ort e.V.
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Der gebackene Zopf oder die Ordnung der Dinge
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Ausstellung im jüdischen Museum
Fundstücke aus dem „Dritten Reich“. Rekonstruktionen Utopiastadt im Mirker Bahnhof an der Nordbahntrasse
Alles ist möglich
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32
Theater, wie es sein soll
Ein „Tartuffe“ à la bonheur in Wuppertal 36 Saisonausblick
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Oper in Wuppertal und Hagen
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Die Wuppertaler Literatur Biennale 2016
Utopie Heimat
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Bewegendes Panorama von Flüchtlingsschicksalen
Wir erzählen um unser Leben Hermann Schulz
Frühstück am Victoriasee
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46 49
Peter Brötzmann zum 75. Geburtstag
„Wir hatten den Willen, so weit wie möglich zu gehen.“
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Gipfeltreffen international renommierter Musiker im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal
Orgelopenair Das Programm
KLANGART im Skulpturenpark
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E. Dieter Fränzel über KLANGART
„Der Wald schaut und hört gespannt zu.“ 60 2 x 2 x 1,3 Meter, viel Edelstahl und Plexiglas
Ambulanter Kaffee in New York
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Inszenierte Fotografien von Günter Krings
Nature morte
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Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch
Alles oder fast alles
Neuer Kulturort in Wuppertal-Vohwinkel
Kunst mit Kamin im Westen Ausstellungen, Bühne, Musik
Veranstaltungsvorschau Impressum
50
68 70
72-79 80
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Pina Bausch bei der Arbeit in der Wuppertaler Lichtburg Foto: Ulli Weiss, Š Pina Bausch Foundation
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Bewegte Annäherung an ...
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Jo Ann Endicott beim ersten „Warm-up“ zur Eröffnung der Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle, Foto: Sala Seddiki, © Pina Bausch Foundation
Die „Lichtburg“, legendärer Probenraum des Tanztheater Wuppertal in einem ehemaligen Kino aus den 50er-Jahren, hat einen Zwilling bekommen: Ein Nach-
... Pina Bausch
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bau, originalgetreu bis zur moosgrünen KunstlederWandbespannung und den zeittypischen Messingwandlampen, bildet das Herzstück der Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater“, die jetzt in der Kunstund Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen ist. In Wuppertal ein versteckter, geschützter Raum, der seine Türen nur selten für Außenstehende geöffnet hat. In Bonn wird er zum Ort der Begegnung und Annäherung an das Werk von Pina Bausch. Während der gesamten Laufzeit der Ausstellung werden hier verschiedene Angebote gemacht: Filmabende, Vorträge und Talkrunden, Workshops für Laien, Schulklassen und Profis.
Am „Warm-up zur Ausstellung“ zum Beispiel kann jeder spontan und ohne Vorkenntnisse teilnehmen. Wechselnde Tänzerinnen und Tänzer aus der Kompanie vermitteln den Besuchern einfache Bewegungsphrasen. Marianna ist schon in der zweiten Runde in der Lichtburg dabei. So langsam klappt es, die Gesten von Frühling, Sommer, Herbst und Winter im richtigen Rhythmus mit den Schritten in Einklang zu bringen. Obwohl ... „Lasst die Ellenbogen am Körper! Und die Daumen bleiben innen!“, ruft Jo Ann Endicott. Die Tänzerin, Urgestein des Tanztheater Wuppertal, bringt gerade Marianna und rund 20 weiteren Ausstellungsbesuchern die berühmte „Jahreszeiten-Reihe“ aus dem Stück „Nelken“ von 1982 bei. Diesmal hat sich auch ein Mann in die meist weiblich dominierte Runde getraut. „Sehr gut, Christian!“, lobt Jo Ann, „und jetzt noch lächeln! Ein bisschen flirten schadet nie!“, ruft sie lachend und weist auf die große Filmleinwand, auf der die Tänzerinnen und Tänzer des Originals durch ein Meer von pinkfarbenen Nelken schreiten. „Siehst du das Lächeln? Das macht es erst charmant!“ Bis das Ganze so scheinbar mühelos klappt, braucht es allerdings noch ein wenig Übung. Aber Perfektion ist auch nicht das Ziel bei den „Warm-ups“. Vielmehr geht es darum, über das eigene Erleben eine Brücke zu schlagen zu den Inhalten der Ausstellung, über die eigene Körpererfahrung einen Zugang zu schaffen zu dem, was man eigentlich gar nicht ausstellen kann: den Tanz. Und der fängt nicht erst an mit Pirouetten und Pliés. Schon gar nicht bei Pina Bausch. Marigia Maggipinto, wie Jo Ann Endicott früher Ensemblemitglied beim Tanztheater Wuppertal, lässt in ihrem „Warm-up“ erstmal Schultern kreisen. Kein Problem für Hilda, 85. „Das machen wir in der Gymnastik auch immer.“ Handgelenke, Ellenbogen, Finger werden einzeln bewegt, gehoben, gedreht. „Jetzt vier mal nach innen, vier mal nach außen, acht mal nach vorn und dann nach oben...“, gibt Marigia vor – und plötzlich ist es keine Gymnastik mehr. Durch die Wiederholung nach einem bestimmten Muster entsteht eine kleine tänzerische Phrase. Konzentration ist gefragt, sonst kommt man selbst da schon durcheinander. Dabei war das wirklich nur die Aufwärmphase. Auch Marigia erklärt als Nächstes die Gesten der „Nelken-Reihe“: Frühling – das Gras ist niedrig. Sommer – Sonne, das Gras steht hoch. Herbst – die Blätter fallen. Und Winter: Brrrr! Es ist kalt! Das kann wirklich jeder lernen. „Gestern waren kleine Kinder, Eltern und 80-Jährige in einer Gruppe“, erzählt Marigia, „das war ganz wunderbar!“ Die Italienerin ist mit
ganzem Herzen dabei und versprüht Enthusiasmus pur. „Die Lichtburg hier ist phantastisch“, findet sie. „Es ist sehr bewegend. Für mich ist das wie nach Hause kommen.“ Zum Ende des „Warm-ups“ fallen bei den Teilnehmern die Blätter im Herbst zwar immer noch nicht synchron, bei dem einen zeigen die Gras-Daumen schon wieder nach außen statt nach innen, und längst nicht jedem gelingt es, seine Schritte ohne zu wackeln im langsamen Rhythmus der Musik zu setzen. Aber das macht nichts. Denn Spaß und Erkenntnisgewinn waren auch jetzt schon allemal beträchtlich. Und mithilfe des „Nelken-Tutorials“ mit Julie Anne Stanzak auf der Arte-Internetseite www.concert. arte.tv/nelkenline kann man ja zu Hause weiterüben – so lange, bis es gelingt, dabei so charmant zu lächeln wie die Profis (siehe Seite 9). Anne-Kathrin Reif
Programm in der „Lichtburg“ (Auswahl) 17. - 28.5. regelmäßige „Warm-ups“ zur Ausstellung u.a. mit Chrystel Guillebeaud, Marigia Maggipinto und Kenji Takagi 24. 5., 19 Uhr Lecture: Mariama Diagne: Orpheus und Pina 29. 5. + 26. 6., 12/15 Uhr: Oral History Speed Dating 3. - 5.6., 15 Uhr : Lecture Performance: Meet Meryl and Jo mit Jo Ann Endicott und Meryl Tankard 17. + 24.6., 15 Uhr: Tanzen mit Jean-Lauren Sasportes. dreistündiger Workshop, offen für Interessierte jeden Alters 21. 6., 19 Uhr Talk Weitergeben. Über die Einstudierung von Pina Bauschs Stück Für die Kinder von gestern, heute und morgen mit Tänzerinnen und Tänzern des Bayerischen Staatsballetts 21. - 24.6. Bewegung ausstellen. Vermittlungsangebot für Schulen Weitere Termine www.bundeskunsthalle.de/veranstaltungen Einlasskarten zu den Veranstaltungen sind an der Museumskasse erhältlich. 7
Szene aus dem Stück „Nelken“
Die „Nelken-Reihe“ getanzt von Schülerinnen und Schülern der Pina Bausch Gesamtschule und sogar in der
Foto: Karl-Heinz Krauskopf
Wuppertaler Schwimmoper, Fotos: Sala Seddiki, © Pina Bausch Foundation
Tanzen durch die Jahreszeiten
„Dance! The NELKEN-Line“ Was passiert, wenn man eine berühmte Choreografie mit anderen teilt? Was machen die unterschiedlichen Pina Bausch-Fans, Laien oder Tänzerinnen und Tänzer auf der ganzen Welt aus einer weltbekannten Vorlage? In Kooperation mit ZDF/Arte hat die Pina Bausch Foundation das Projekt „Dance! The NELKEN-Line“ ins Leben gerufen. Alle sind eingeladen, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen und selbst die vielleicht bekannteste Reihe aus dem Werk von Pina Bausch zu tanzen: „Frühling Sommer Herbst Winter“ aus dem Stück „Nelken“ von 1982. Sie erzählt mit wenigen prägnanten Gesten vom Wechsel der vier Jahreszeiten, während die Akteure in einer langen Reihe voranschreiten. Wie das geht, erklärt Julie Anne Stanzak, langjähriges Ensemblemitglied im Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, in einem Video-Tutorial, das auf der Online-Plattform von ARTE abrufbar ist. Die Gesten, welche die Jahreszeiten repräsentieren, sind auch für Laien nicht allzu schwierig zu lernen. Die Koordination im Gehen mit der ebenfalls online bereitgestellten Originalmusik und vor allem das gemeinsame synchrone Einüben in der Reihe erfordert allerdings ein wenig Übung – macht aber auch jede Menge 8
Spaß. Jeder ist willkommen, auf diese Weise die Choreografie zu erlernen, sie gemeinsam mit anderen zu tanzen und davon ein Video zu drehen: Profis und Laien, Kenner und Neugierige, alte und junge Menschen. Gemeinsam mit Freunden, mit der Familie, mit Kollegen, im Verein, in der Jugendgruppe, als Schulklasse oder mit Fremden, die sich für dieses Projekt zusammenfinden, ob mit dreien oder mit hundert Mittänzern. Getanzt werden kann und soll überall: im Wohnzimmer, in der Küche, im Garten, im Büro, in der Schule, im Park, auf dem Parkplatz, im Wald, auf der Straße, am Strand ... Und das möglichst auf der ganzen Welt. So entstehen zahlreiche neue Versionen der Ursprungschoreografie, die sich durch die Wahl der Umgebung, die Inszenierung in Alltagskleidung oder Kostüm sowie durch die unterschiedlichen Protagonisten und ihre Möglichkeiten unterscheiden. So zahlreich, bunt und verschieden wie die Menschen selbst. Das Tutorial mit Julie Anne Stanzak, die Originalmusik und die ersten Clips sind unter www.concert.arte.tv/nelkenline abrufbar. Ebenfalls dort kann man ganz einfach den mit dem Handy oder der Kamera selbst gedrehten Clip hochladen.
Neuerscheinung:
O-Ton Pina Bausch Pina Bauschs eigentliche Sprache war der Tanz. Ob sie in jungen Jahren in Europa und den USA
Interviews und Reden
Auswahl teilweise unveröffentlichter Textfassungen von Interviews aus den Jahren 1973 bis 2007. Die Bandbreite der originalen Publikationsorgane ist dabei bemerkenswert: Sie reicht von Fachjournalen über große Tageszeitungen bis hin zu einem kleinen Wuppertaler Schülermagazin.
selbst auf der Bühne stand, ob sie an der Folkwangschule ihre Erfahrungen und Ideen an andere weitergab oder mit dem Tanztheater Wuppertal zu einer der einflussreichsten Choreografinnen des 20. Jahrhunderts wurde – überall drückte sie ihr Denken und Fühlen durch Bewegung aus: „Der Tanz ist die einzig wirkliche Sprache“, so lautete ihr Credo. Dennoch hat sie ihre Arbeit immer wieder in Worte gefasst, und über ihre Vorgehensweise und ihre Ziele Auskunft gegeben – selten zwar, doch durchaus regelmäßig. Dabei ging sie nie mit fertigen Statements in ein Interview, sondern vermochte auch diese Form zu öffnen und zu einem Ort des Austauschs und Nachdenkens zu machen.
O-TON Pina Bausch
Anlässlich der großen Ausstellung „PINA BAUSCH UND DAS TANZTHEATER“ in der Bonner Bundeskunsthalle wird in Kooperation mit der Pina Bausch Foundation erstmals eine Sammlung von Interviews aus der gesamten Schaffenszeit der Choreografin vorgelegt. Sie erzählt darin von ihrer Kindheit in Solingen, von ihrer Ballettausbildung in Essen und New York. Sie spricht über die Menschen, die sie begleitet, über Reisen und Städte, die ihr Inspiration geschenkt haben. Vor allem aber berichtet sie über ihre fast 40 Jahre währende Arbeit in Wuppertal: vom Entstehen ihrer Stücke, von den Tänzerinnen und Tänzern, von der Bedeutung der Kostüme, der Musik, der Bühnenbilder. Und sie erinnert sich an die Ablehnung, die ihr anfangs entgegenschlug: an knallende Türen und bösartige Verrisse. Abgerundet wird der Band durch den richtungsweisenden Text zu ihrer ersten Wuppertaler Spielzeit 1973/74 und durch die große Kyoto-Preisrede, in der sie 2007 umfangreich über den Tanz, ihren Werdegang und ihre Arbeitsweisen berichtete. Diese O-Töne ergeben ein Bild von Pina Bausch und ihrer Arbeit, wie es keine Biografie so anschaulich und authentisch zeichnen könnte.
In der Ausstellung „PINA BAUSCH UND DAS TANZTHEATER“ in der Bundeskunsthalle, Bonn, 3. März – 24. Juli 2016, auch als broschierte Museumsausgabe erhältlich.
Interviews und Reden PINA BAUSCH EDITIONS 01
Mit einem Grußwort von Monika Grütters und einem Beitrag von Anne Linsel. Herausgegeben von Stefan Koldehoff und der Pina Bausch Foundation. Redaktion: Magdalene Zuther Verlag Nimbus. Kunst und Bücher 22 x 15.5 cm, 400 Seiten mit 11 Abbildungen. Fadenheftung, Spezialeinband, 29.80 € / CHF 32.00 ISBN 978-3-03850-021-6
Screenshot Pina Bausch im Interview mit Eva-Elisabeth Fischer, 1992, © Bayerischer Rundfunk (BR)
Die Publikation stellt den Auftakt der Pina Bausch Editions dar. Das rund 400 Seiten starke Buch enthält neben 35 Zeitungs- und Fernsehinterviews, zwei Reden und einem programmatischen Text Pina Bauschs auch ein Glossar, ein Werkverzeichnis und eine Chronik. Die O-Töne sind eine 9
Rational Beings, Carbon, 1996
Foto: IKS-Medienarchiv 2016, Š VG Bild-Kunst, Bonn 2016
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Distant Cousin, Fiberglas, 2003
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Tony Cragg-Schau steckt voller Überraschungen „Parts of the World“ ist ein Großereignis. Sie zeigt
Tony Craggs Skulpturen bevölkern die Städte dieser Welt. Die oft meterhohen Werke des Briten brauchen Platz. Neben dem Skulpturenpark Waldfrieden gibt ihnen jetzt das Museum seiner Wahlheimat Wuppertal viel Raum. Im Von der Heydt-Museum darf der international bekannte Bildhauer auf drei Etagen ausstellen. Anlass ist die erste umfassende Retrospektive seines Schaffens, die am 19. April begann. 12
allein 120 Skulpturen, aber auch 130 Fotografien, Zeichnungen und Druckgrafiken aus den letzten vier Jahrzehnten. Nur ein logistischer Kraftakt machte die Ausstellung möglich. Eine Woche lang stand ein riesiger Kran vor dem Museum, der die Skulpturen – einige fast tonnenschwer – durch die Fenster der Obergeschosse wuchtete. Danach ging die Arbeit erst richtig los. „Wir hatten 20 Leute zum Aufbauen im Haus“, berichtete Museumsdirektor Gerhard Finckh beim Pressetermin. „Wir sind, glaube ich, fünf Minuten vor der ersten Pressekonferenz fertig geworden“, sagte Cragg mit einem Lächeln.
Tony Cragg Menschenmenge, 1984 Plastik 200 x 1600 cm BSI Art Collection, Schweiz © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: Rocco Ricci
Diese Mühe hat sich gelohnt. Wer den Künstler nur als Schöpfer raumgreifender Skulpturen kennt, kann ihn beim Gang durch die Ausstellung ständig neu entdecken. Gerade wenn der Besucher chronologisch mit den frühen Versuchen aus den 70er-Jahren beginnt und sich zwei Dutzend Räume später die aktuellen Werke anschaut. Von Anfang an war Humor für Cragg ein Mittel, um sich abzugrenzen und einen eigenen Weg zu finden. Er parodierte Andy Warhols Serien von Marilyn Monroe-Porträts mit seinen „Potato Heads“: Kartoffelfiguren mit weit aufgerissenen Augen und wulstigen Lippen. Von Foto zu Foto mit leicht veränderten Einzelheiten. „Für mich ist alles Materie“, lautet noch heute das Credo des Künstlers. Als Jugendlicher hatte er auf der Suche nach Fossilien die englische Landschaft durchstreift. „Ich hab sogar überlegt, Geologie zu studieren.“ In London sammelte der Erwachsene Zivilisationsmüll. „Arme“ Materialien wie Plastikschrott, denen er ungeahnte Formen gab. Auf dem Museumsboden breitet sich ein buntes „Spectrum“ aus, zusammengesetzt aus Plastikteilen. Nächster Entwicklungsschritt waren Wandreliefs. Figuren wie der „Runner“, der in vollem Sprint festgehalten ist. Aber auch eine „Menschenmenge“ in Lebensgröße. Männer, Frauen
Tony Cragg Wildlife, 1995 Gips, Holz 200 x 100 x 250 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: Gerald van Rafelghem Leihgabe Tiba Art, Otegem, BE
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Die bekannteste Werkgruppe heißt „Rational Beings“. Gezeichnete Vorstudien an den Wänden zeigen, worum es geht: um Porträts und Ganzfiguren von Menschen. Nicht abstrahiert, wie der Künstler betonte, sondern zigfach überlagert und ineinander geschoben. „Im Leben stehen wir immer vor mehreren Optionen.“ Warum also nicht in einem Kunstwerk die unterschiedlichen Seinszustände einer oder mehrerer Personen zeigen? Da wunderte es einen nicht, als Cragg eine Fiberglas-Figur – eine Mischung aus Blütenkelchen und Satellitenantennen – als „Selbstporträt“ bezeichnete. Der vordere Kelch weise mit seiner Antenne in die Zukunft, der hintere horche zurück in die Vergangenheit. Viele Skulpturen lassen jedenfalls den früheren Hobbygeologen erahnen. Überall entdeckt man amorphe Formen. Die überlebensgroße Holzfigur „Tommy“ ist so rund und glatt gearbeitet, dass man sie auf den ersten Blick für eine Steinmasse hält. Cragg, der seine Werke immer nachträglich benennt, erinnert die Figur an seinen Sohn. „Wenn du Tommy kennst“, sagte der Künstler beim Rundgang zu einer Bekannten, „wirst du ihn sofort erkennen.“
Points of View, Holz, 2015, Foto: IKS-Medien-archiv 2016 © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
und Kinder. Alle hundertprozentig aus Plastik. Man kann darin eine ironische Spitze sehen, gar eine Kritik an der Wegwerfgesellschaft. Als politischen Künstler sieht sich Cragg jedoch nicht. Was ihn interessiert, ist der Formenreichtum der Welt. „Early Forms“ nennt Cragg die Werke, die seit Ende der 1980er-Jahre entstanden. Zwei der frühesten stehen vor dem Eingang des Von der Heydt-Museums. Die Arbeit mit Fundstücken ließ der Künstler damit hinter sich. „Wir sehen Materialien durch die Oberflächen“, ist sich Cragg sicher. „Was aber steckt hinter dieser Maske?“ Um das Innere der Dinge sichtbar zu machen, schuf er Skulpturen, die alltägliche Gegenstände wie Flaschen, Vasen oder Laborgefäße als Vorbild haben. Scheinbar extremer Beschleunigung ausgesetzt, verwandeln sie sich. So bei „Can-Can“. Mit einer Dose (can) als Basis, bei der scheinbar ein wilder Tanz tiefe Furchen im Material hinterlassen hat. 14
Egal welche Formen Craggs Skulpturen annehmen – sie sind raumgreifend. In ein, zwei Räumen stehen sie so nah beieinander, dass ihre Kraft und Ausstrahlung darunter leidet. Das wäre allerdings das einzige Manko dieser Retrospektive, die voller schöner Überraschungen steckt.
„Parts of the World“ Die Tony Cragg Retrospektive ist noch bis zum 14. August im Wuppertaler Von der Heydt-Museum zu sehen. Adresse: Turmhof 8, 42103 Wuppertal. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags bis sonntags von 11-18 Uhr und donnerstags zusätzlich bis 20 Uhr. Der Eintritt kostet 12 € (ermäßigt 10 €). Wer die Ausstellung besucht, erhält am gleichen Tag mit seinem Ticket 4 € Nachlass auf den Eintrittspreis des Skulpturenparks und umgekehrt. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, der die Ausstellung und das Werk von Tony Cragg dokumentiert. „Parts of the World“ erscheint im Verlag Buchhandlung Walther König. Das Buch umfasst 480 Seiten und enthält rund 560 Abbildungen. Der Katalog kostet im Buchhandel 48 €, die Museumsausgabe 38 €. Weitere Informationen unter tonycragg-ausstellung.de Daniel Diekhans
Tony Cragg Making Sense, 2007 Fiberglas 120 x 150 x 180 cm Š VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: Michael Richter
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Henry Moore Reclining Figure No 7, 1980, © Henry Moore Foundation, Foto: Michael Richter
Tony Cragg
Henry Moore, Plasters
Henry Moore Reclining Figure No 7, 1980, © Henry Moore Foundation, Foto: Michael Richter
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Henry Moore, Three Way Peace No 1, © Henry Moore Foundation, Foto: Michael Richter
Es war 1983, ich hatte gerade einige meiner Arbeiten in einer Galerie in Toronto aufgebaut, als ich beschloss, dem dortigen Museum, der Art Gallery of Ontario, einen Besuch abzustatten. Ganz unvermittelt traf ich auf etwa 20 große Gipsplastiken von Henry Moore, die dort ausgestellt waren. Es handelte sich um eine Schenkung von Henry Moore an die AGO, 20 Originalgipsskulpturen, von denen einige seiner bekanntesten Werke in Bronze abgegossen worden waren. Ich war sofort fasziniert von diesen energisch bearbeiteten Gipsmodellen mit ihren lebendigen Bearbeitungsspuren. Eine präzise Auswahl von Werkzeugen hatte ihre Spuren hinterlassen, manchmal bewirkten sie subtile Erosionen, manchmal hinterließen sie ein ganzes Vokabular expressiver Gesten, die starken Pinselhieben glichen. Die offensichtliche Freiheit dieser Oberflächenbehandlung ging allerdings niemals mit dem Verzicht auf willentliche Formkontrolle einher.
Das Volumen einer Skulptur resultiert immer aus einem Zusammenwirken ihre Flächen (Oberflächen) mit ihren Rändern und Kanten (Linien), die sich auf der sichtbaren Haut des Materials treffen. In der wahrhaft meisterhaften Kontrolle dieses Zusammenwirkens verschiedener bildhauerischer Volumen ist die eigentliche Genialität des Werkes von Henry Moore zu sehen. Jemand, der diese Gruppe von Skulpturen ansieht, ist sich zweifellos bewusst, dass er es mit wirklich großartiger bildhauerischer Intelligenz zu tun hat. Das klingt jetzt so, als würde man sagen, Mozart war musikalisch, aber für mich war es tatsächlich eine sehr wichtige Erfahrung. Moores Werk anschauen zu können, ohne an die historische Bedeutung dieser Bildhauerikone denken zu müssen. […] Seine Herangehensweise scheint auf eine Weise widersprüchlich zu dem idealistischen Konzept eines Künstlers, 17
Henry Moore, „Study for Head of Queen“, 1952 / „Maquette for King and Queen“, 1952 / „Hands of King“, 1952 © Henry Moore Foundation, Foto: Michael Richter
der völlig originale Arbeiten produziert, da er Bildhauerei als ein Fach ähnlich der Physik oder Chemie betrachtet, das darauf aufbaut, was viele andere Individuen an Ideen entwickelt und an Wissen bereits erworben haben. Man kann dies als einen Beweis für Moores bodenständige und praktische Ehrlichkeit nehmen, es bedeutet letztlich aber auch anzuerkennen, dass Künstler eben nicht in einem Vakuum arbeiten. Ganz offensichtlich war Moore sich seines kulturellen Kontextes sehr bewusst und traf seine Auswahl im klaren Lichte dieses Bewusstseins. Es ist eine entmystifizierende Ehrlichkeit, ganz untypisch für die modernistische Tradition, wo die Betonung auf dem Individuellen liegt, und auch interessant, wenn man sie vor dem Hintergrund der globalen Akademie der gegenwärtigen postmodernen Kunstwelt betrachtet, die alle Kulturen bereits assimiliert hat und wo alle Quellen jedermann zur Verfügung stehen. Der daraus resultierende Konflikt des Künstlers einerseits sich als einzigartiges kreatives Individuum, andererseits als Teil einer gemeinsamen kulturellen Anstrengung wahrzunehmen, schien für Moore keinerlei Bedeutung zu haben. Er glaubte anscheinend, dass man, wenn man gute Kunst machte – er selbst nannte sie „major art“ –, eine neue und bessere Welt schüfe, aber dass man das nur als einzelnes Individuum erreichen könnte. Einige der wesentlichen Eigenschaften, die er in die Kunst brachte, waren Arbeitsmoral und das Talent, das, was er in seiner persönlichen Umgebung wahrgenommen und erfahren hatte, in Skulptur umzusetzen. 18
Moores Figuren haben nur sehr wenig mit den frommergebenen Abbildern des Mittelalters oder denen der Renaissance zu tun, die in einer Welt erschaffen wurden, in der man Wissen bloß aus Beobachtung und Schlussfolgerungen gewinnen konnte und in diesem Prozess dem Individuum eine zentrale Stellung zukam. Sie nehmen jedoch Notiz von den Werken von Degas, Renoir und Rodin, in denen evident wird, dass da unsichtbare formgebende Mikro- und Makrokräfte und Strukturen walten, von denen sich einige auf den wissenschaftlichen Fortschritt der Zeit beziehen und andere auf die psychologischen und philosophischen Spekulationen von beispielsweise Nietzsche und Freud. Im 20. Jahrhundert wird die Figur durch wissenschaftliche Spekulationen beeinflusst, die sie gleichzeitig in Zeit und Raum relativieren, was besonders im Kubismus und im Futurismus auffällig wird. […] Zur selben Zeit wie Bertrand Russel, T.S. Elliot und W.H. Auden das intellektuelle Klima in Britannien durch ihre Thematisierung und Diskussion der Bedingungen menschlicher Existenz in der modernen Gesellschaft beeinflussten, entwickelte Moore sein Werk. Er schuf mit seinen Händen Figuren, die irgendwie losgelöst von den chaotischen Entwicklungen der Zeit wirken, geschieden von den Mühen des alltäglichen Daseins, womit er auf die tumulthaften und zeitweilig katastrophalen Umstände der Geschichte antwortete. Die Quellen seiner Formen reichten zurück bis zu den Skulpturen der Sumerer, für die Moore sich interes-
Henry Moore, Seated Woman, © Henry Moore Foundation, Foto: Michael Richter
sierte. Er destillierte förmlich die Epochen und Geografien verschiedener Zivilisationen zu einem archetypischen, stoischen und zeitlosen Bild der Menschheit. Indem seine Figuren gerade die Werte und das sittliche Verhalten verkörpern, das Moore für Menschen als unbeschränkt gültig ansah, erheben sie sich weit über die Kritik, die sein Werk oft als nur formal abtut. Seine Skulpturen tragen eine physische Unterstützung der humanitären Ideale seiner Zeit in sich und versuchen dadurch, dem modernen Menschen diejenige Würde zurückzugeben, die ihm in zwei Weltkriegen und durch die zwanghafte Unterwerfung unter die unmenschlich harten Bedingungen der industriellen Gesellschaft abhanden zu kommen drohte. […]
manchmal bewachen und beschützen sie den Betrachter, der in ihre Sphäre eintritt. Moores Beitrag zur Kunst liegt nicht in der Entwicklung eines neuen Materials im Bereich der Bildhauerei, er benutzt herkömmliche Werkstoffe und scheut so nicht den Vergleich mit einer langen bildhauerischen Tradition. Die menschliche Figur ist sein Motiv und die Zeit ein Faktor. Sein Werk ermahnt uns, dass, aus welchen Gründen auch immer wir hier sind und wie auch immer wir existieren, die Gestaltung und Qualität dieser Existenz in unseren Händen liegen.
Es mag von besonderer Bedeutsamkeit sein, dass die dritte Kategorie der Kunst, die des Stilllebens, im Werk von Henry Moore quasi nicht vorkommt. Genau diese Gattung war es, die in der Kunst des 20. Jahrhunderts so beherrschend war. […] Moore ignoriert diese Möglichkeit. Produkte dienen einzig und allein dem Überleben und dazu, den nackten Körper vor der nackten Erde zu schützen. Aber das ist es, was Moore will, Menschlichkeit, entkleidet all ihrer Accessoires, stark und überlebensfähig, die beste Abwehr gegen die Elemente liegt in der Qualität menschlicher Beziehungen. Zumeist sind seine Figuren weiblich, kräftig, natürlich und mütterlich, häufig bergen sie ihre Kinder in den Armen, und
Tony Cragg (Auszug aus dem Vorwort „Henry Moore“, Deutscher Kunstverlag, 2008)
Henry Moore, Plasters bis 9. Oktober im Skulpturenpark Waldfrieden 19
James Rogers, Foto: Frank Dora
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Keith Bowler, © Keith Bowler
„Spot Light - Surface & Space“: James Rogers und Keith Bowler in der Galerie GRÖLLE pass:projects in Wuppertal
Für James Rogers ist der Punkt in seiner Perfektion und Einfachheit die ideale Form und die Basis einer Werkserie, die er bereits in den späten 60er-Jahren begonnen hat. Seit dieser Zeit hat sich der Maler, der seit einigen Jahren in Wuppertal lebt und arbeitet, der Minimal Art verschrieben und ist deren Prinzipien bis heute treu geblieben. Unter dem Titel „Spot Light - Surface & Space“ zeigt James Rogers zusammen mit dem Lichtkünstler Keith Bowler ab Juli 2016 einige seiner Ideen und Arbeiten in der Galerie GRÖLLE pass:projects in Wuppertal.
Der Punkt, das Konzept und das Raster Was in James Rogers‘ Werk auf den ersten Blick erscheinen mag wie eine willkürlich mit farbigen Punkten bedeckte Fläche, zieht den Betrachter sofort in seinen Bann. Hinter den Farbfolgen der Punkte gilt es ein System zu entschlüsseln und durch die oft friesartige Anmutung von Rogers‘ Arbeiten setzt sich der Rezipient sofort in Bewegung, geistig wie körperlich. Der Punkt hat nur eine Kante, betont Rogers, er wird einzig definiert durch seine Größe und seine Farbe, hinzu kommt der Abstand zwischen den einzelnen 21
Elementen als architektonische Dimension. Damit bekennt sich der Maler ganz deutlich zur Minimal Art, die er während seines Studiums kennengelernt und an deren Entwicklung in Europa er maßgeblich beteiligt war. Bereits vor seinem Kunststudium an der St. Martin‘s School of Art in London und an der University of Leicester hatte er als Typograf in der Londoner Werbeagentur B.B.D.O. gearbeitet. Der Bedeutung subtil gesetzter Zeichen und Details wie Abstand, Größe und dem Verhältnis einzelner Elemente zueinander war sich James Rogers also mehr als bewusst, als er im Jahr 1968 mit einer ersten Leinwandarbeit den Grundstein zu seinem vielteiligen Punkte-Zyklus legte, den er bis heute fortsetzt. Damals war er bereits als Dozent an der Wimbledon School of Art tätig, wo er einige Jahre später auch Keith Bowler unterrichten sollte sowie Tony Cragg. Dass Rogers sich heute nicht mehr im Besitz dieses allerersten Bildes befindet, stört ihn nicht. Ganz im Gegenteil: ein nüchterner, unsentimentaler künstlerischer Ansatz ist nur eine der vielen Eigenschaften, die Rogers‘ Werk so deutlich der Minimal Art zuordnen. Hat der Künstler erst einmal ein Konzept formuliert, das alle Details seiner jeweiligen Arbeit beschreibt, dann kann er zu jeder Zeit an verschiedenen Stellen in sein System einsteigen und ein weiteres perfektes Exemplar der Serie malen - oder eine Variation davon.
Codierte Oberflächen 1968 war das Jahr, in dem ein anderer Minimalist jenseits des Atlantiks ebenfalls eine konzeptuelle Arbeit mit einer Eins markierte: Sol LeWitt fertigte in New York sein erstes Wall Drawing an und begann damit einen Werkzyklus, der schließlich aus mehr als tausend Arbeiten bestehen sollte. Auch wenn sowohl James Rogers als auch Sol LeWitt den Raum thematisieren und beide gerne direkt auf der Wand arbeiten, so ist Rogers‘ Herangehensweise noch einmal eine ganz andere. Wo Sol LeWitt sich mit tragenden und lastenden Flächen auseinandersetzt und mittels Farbfeldern eine Art Dreidimensionalität erschafft, ist Rogers‘ Ansatz eher der der Sprache. Für den Typografen und Maler James Rogers hatte das Raster Ende der 60er-Jahre die Bildkomposition längst abgelöst. In einer Zeit, in der der Lochkartencomputer den Fortschritt in vielerlei Hinsicht beförderte, man damit Flugbahnen zum Mond und die kühnsten architektonischen Konstruktionen berechnen konnte, ließ sich mittels ausgestanzter Löcher jegliche Art von Information trans22
portieren, codieren und transcodieren. Und so, wie man durch das bloße Anschauen eines Lochkartenbandes nie das Geheimnis hinter der Verteilung der ausgestanzten Löcher erschließen kann, so wird man auch James Rogers‘ Arbeiten nie ganz decodieren können. Dennoch lassen sie sich als eine abstrahierte Form von Sprache und Schrift begreifen. Durch den rhythmischen Verlauf der Punkte ziehen Rogers‘ querformatige Leinwände und Wandbilder den Betrachter so sehr in ihren Bann, dass man ihnen automatisch durch den Raum folgt. Die vier Meter breite Wandarbeit, die der Maler unter dem Titel „Coded Surface“ eigens für die Ausstellung in der Galerie GRÖLLE pass:projects anfertigt, wird ein eindrückliches Beispiel für James Rogers‘ Konzept abgeben.
Minimal Art in Amerika und Europa Gerne wird behauptet, dass die Minimal Art mit ihrem Streben nach Vereinfachung und Direktheit und dem Ziel, daraus Möglichkeiten der ästhetischen Komplexität zu entwickeln, eine amerikanische Erfindung sei. Jedoch herrschte auch unter europäischen Künstlern nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs eine Sehnsucht nach Klarheit, Rationalität und Abstraktion. Im Rheinland propagierte die ZERO-Gruppe um Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker mit einer Vereinfachung der Formensprache und dem Eliminieren der Bildkomposition eine selbstreferenzielle Kunst, die sich auf nichts beziehen sollte, das außerhalb ihrer selbst lag. Die Künstler experimentierten mit monochromen Rasterbildern und ausgestanzten Schablonen und im Zuge der Wiederentdeckung der russischen Konstruktivisten und Suprematisten präsentierte das Museum Morsbroich in Leverkusen bereits 1962 Kasimir Malewitsch und kurz darauf die ZERO-Gruppe. Die Ideen der amerikanischen Minimal Art fielen also durchaus auf fruchtbaren Boden, als Konrad Fischer in Düsseldorf 1967 seine Galerie mit einer Ausstellung von Carl Andre eröffnete und wenig später im brutalistischen Gebäude der Kunsthalle Düsseldorf Werke von Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt, Richard Long, Frank Stella und anderen gezeigt wurden. In London konzentriert sich seit dieser Zeit die Lisson Gallery auf den Minimalismus. Sol LeWitt stellte dort von Anfang an aus und so lernte er schließlich auch James Rogers kennen, der von 1982 bis 1987 Associate Director der Galerie war.
James Rogers und Sol LeWitt Zu LeWitts Konzept gehörte es unter anderem, dass er seine Wall Drawings durch einen sogenannten „draughtsman“ anfertigen ließ, der sich zwar einerseits genau an den dem Werk zugrundeliegenden Plan halten, andererseits aber auch sein eige-
nes Wissen und Können als Künstler mit in das jeweilige Wandbild einfließen lassen sollte. In James Rogers muss er wohl mehr als den idealen „draughtsman“ gefunden haben, denn bei allen Unterschieden der künstlerischen Herangehensweise sind sich beide in ihrem Perfektionismus und in den Fragen des Seriellen, des Temporären, der Reproduzierbarkeit, im Umgang mit der Wand und dem Raum durchaus verwandt, bis hin zu der Tatsache, dass es beiden gelingt, durch die Strenge und Klarheit ihres Werks den Betrachter intellektuell und emotional in Bewegung zu versetzen.
Keith Bowler: Licht und Architektur Dieses geistige Mittun des Betrachters lässt sich durchaus auf die Idee von Marcel Duchamps aus dem Jahr 1957 beziehen, die besagt, dass der kreative Akt im Lauf der Zeit vom Künstler zum Rezipienten übergegangen sei. Ein Gemälde vom Erfinder des Readymades Duchamps ist auch der Ausgangspunkt zweier Gruppenausstellungen in Leeds und London, die Keith Bowler kürzlich kuratiert hat und an denen sowohl er als auch Rogers beteiligt waren. Somit ist es bei GRÖLLE pass:projects nicht das erste Mal, dass die beiden britischen Künstler gemeinsam ihre Arbeiten zeigen. Auch die Stadt Wuppertal ist dem in London lebenden Bowler nicht fremd. Schon 2005 leitete er im Rahmen der minimalistischen und zugleich sehr atmosphärischen Lichtinstallation „Zwanzig Ellen“ einen Laserstrahl durch den gesamten Weyerbuschturm, bis das grüne Licht sich in der Dunkelheit des Waldes verlor. Das Motiv des auf den ersten Blick Einfachen, das beim Betrachter jedoch sofort das Bedürfnis weckt, hinter das Geheimnis der Arbeit zu kommen, findet sich im Werk von James Rogers, aber auch in den Installationen und Fotografien von Keith Bowler. Wie ist beispielsweise das Bild entstanden, das einen riesigen, dreieinhalb Meter langen, schwarzen Streifen zeigt und das ebenfalls bei GRÖLLE pass:projects zu sehen sein wird? Die Geschichte dazu führt uns an das südliche Ufer der Themse, an die South Banks, wo Keith Bowler im Jahr 2006 seine Installation „Skylight“ schuf. Skylight - Die Lichtinstallation als Kamera und Dunkelkammer Nach seinem Studium an der Wimbledon School of Art bei James Rogers in den 70er-Jahren hatte Bowler zunächst skulptural gearbeitet, um seine Objekte dann, ganz im Sinne der Landart, in den Stadtraum hinein zu erweitern. Das Licht in seiner reinen Immaterialität spielt bei Bowler seit den 90er-Jahren eine Rolle, so wie auch die Architektur ein entscheidender Ausgangspunkt seiner Projekte wurde. „Skylight“ ist der Name einer
Installation, die im Heizraum einer leer stehenden Lagerhalle an der Themse entstand. Das Licht, das einzig durch ein kleines Loch in die Dunkelheit des Heizraumes drang, intensivierte Bowler, indem er einen sich verjüngenden Stahlschaft anfertigen ließ. Auf diese Weise bildete sich in der Mitte des Raumes ein geheimnisvoll strahlender Lichtball, der mal vom Sonnenlicht gespeist wurde und mal vom Mondlicht und von den tausendfach reflektierten Lichtern Londons. Einerseits schuf Bowler einen mysteriösen Ort, der die Besucher durch seine geheimnisvolle Atmosphäre in eine weihevolle Stimmung versetzte - weit entfernt von der ursprünglichen Nutzung des unterirdischen Raums. Andererseits bannte Bowler das eingefangene Licht als eine Art Fotogramm auf Papier, das er direkt vor Ort entwickelte. Das erste Bild, das er so erzeugte, war ein großer schwarzer Punk, eher ein Blob, der in seiner Materialität und Masse und wegen seiner ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte eine ganz merkwürdige Präsenz ausstrahlte. Mithilfe des einen Kunstwerks hatte Keith Bowler ein weiteres geschaffen, die Lichtinstallation hatte als Kamera und Dunkelkammer zugleich gedient. Für das imposante, schwarze, dreieinhalb Meter lange Band, das im Rahmen der Ausstellung „Spot Light - Surface & Space“ zu sehen sein wird, hat der Künstler eine ganze Fotopapierbahn unter der Lichtöffnung entlang gezogen. Seit einiger Zeit widmet sich Bowler nun jedoch wieder kleineren Maßstäben. Er baut beleuchtete Objekte, die durchaus Architekturmodelle für weitere Installationen sein könnten, und kehrt damit zu seinem Ursprung als Bildhauer zurück. Mit einigen Exemplaren aus der ganz aktuellen Serie „Short Suite“ wird Bowler ebenfalls in der Galerie Grölle vertreten sein. Für zwei Künstler, in deren Werk der Bezug zum Raum, zur Bewegung, zum Licht und zu der Zeit von so großer Bedeutung ist, wird der Galerieraum von GRÖLLE pass:projects der ideale Ort für ein Zusammentreffen sein. Analog zu den schwarzen und bunten Streifen und Punkten setzt sich vor den Fenstern der Galerie das Gerüst der Schwebebahn als riesiges Raster bis weit in die Ferne fort. Die Schwebebahn selbst rauscht in ihrem ganz eigenen Rhythmus über die Galerie hinweg und folgt dem glitzernden Verlauf der Wupper. Als traditionelle Metropole der Bandweberei und des lochkartengesteuerten Webstuhls, bei dem das Raster als Informationssystem sowie das Serielle, Fortlaufende eine so große Rolle spielen, wird Wuppertal der Kunst von James Rogers und Keith Bowler im Juli einen großartigen Empfang bereiten. Julia Zinnbauer 23
Der gebackene Zopf oder die Ordnung der Dinge Zeichnungen von Helmut Widmaier
„Jean Dubuffet nannte die freie, manchmal wilde oder kindlich naive, von den gängigen Maßstäben von Kunst scheinbar unabhängige Weise des Zeichnens und Malens „art brut“, und er meinte damit eine rohe, urtümliche, elementare und damit in besonderer Weise authentische Kunst.“ 1) Genau so ein Künstler war Helmut Widmaier. Ein „Outsider-Künstler“, der sein Innerstes in Bildern nach außen kehrt. Dies in einer atemberaubenden Intensität und Direktheit, unbeirrbar und kompromisslos. So entstanden Bilderwelten, die keinem Zeitgeist folgten noch Kunstmoden kopierten.
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1927 in Leonberg Eltingen (Baden-Württemberg) geboren, sind über seine Kindheit und Jugend nur Bruchstücke bekannt. Sicher ist, dass er seit 1976 im Samariterstift Neresheim (Baden-Württemberg) lebte und in der Werkstatt für Behinderte arbeitete. Mit Beginn des Rentenalters 1997 begann Helmut Widmaier zu zeichnen und hörte bis zu seinem Tod 2011, im Alter von 83 Jahren, nicht mehr damit auf. Das Angebot der Kunsttherapie seiner Einrichtung wollte er nicht nutzen, stattdessen arbeitete er mit großer Akribie und großem Fleiß täglich an seiner eigenen Zeichen- und Deutungsstrategie der Welt. Er hinterließ etwa 1 500 Zeichnungen, die sich heute in der Sammlung der Stiftung Hassbecker im Museum Haus Cajeth in Heidelberg befinden. Seine Arbeiten fanden von 2003 bis 2011 in neun Einzelausstellungen und acht Ausstellungsbeteiligungen, darunter die Triennale der naiven Kunst, Art Brut und Outsider Art in Bratislava, Slowakei, große Resonanz. Durch zahlreiche Verkäufe einzelner Arbeiten an private Liebhaber sowie Ankäufe des Museums Charlotte Zander in Bönnigheim (Baden-Württemberg), der Sammlung Würth in Künzelsau sowie der Kreissparkasse Echterdingen (beide Baden-Württemberg) und des Kunstsammlers Prof. Dr. Helmut Zambo, Badenweiler (Baden-Württemberg), konnten viele seiner Zeichnungen in zwei Katalogen dokumentiert werden.
Helmut Widmaier nahm regelmäßig und gern an den Eröffnungen seiner Ausstellungen teil, ging auch manchmal mit Besuchern ins Gespräch und signierte mit Stolz und Freude die verkauften Kataloge, was zuweilen zu langen Schlangen vor seinem Tisch führte. Er ließ sich jedoch nicht beirren und führte jede seiner Unterschriften mit derselben Intensität aus, die er auch in seinen Zeichnungen an den Tag legte. Seine Bildgegenstände waren dem Alltag entnommen: Häuser, Fahrzeuge, Tiere, Gläser, Früchte und Gemüse, Blumen, Gebäck, Menschen, Kleidung, aber auch Sonne und Mond. Einerseits scheint vieles aus dem Speicher seiner Erinnerungen zu stammen: Autos mit kastenartigen Formen und Anlasserkurbeln, andererseits finden sich Zeichnungen von Wasservögeln, die wie Bewegungsstudien anmuten, und Fensterformen, die ihn erst nach dem Umzug seiner Einrichtung in einen Neubau umgeben. Das zeigt, dass er sowohl aus Erinnerungen schöpfte als auch Gegenstände seiner Umgebung Bildanlässe waren. Ein auffallendes Merkmal seiner Zeichnungen ist sicherlich die Reihung von Objekten. Gezielte Setzungen bilden die gestalterische Struktur der Bilder. Die Objekte finden sich zu Gruppen und Reihen zusammen, gezielt über die Fläche des Blattes gesetzt. Sehr häufig spielt die Wiederholung des 25
Objekts die tragende Melodie und strukturiert die Bildfläche - bis hin zur Zeichnung mit 59 roten Früchten und einer grünen oder drei orangefarbenen. „Die Bananen und Tomaten, die Äpfel und Kirschen, die Tulpen und Rosen erscheinen aufgereiht zu stolzer Präsentation ihrer großen Menge, die, bei aller Ordnung, dennoch fast barock-überquellend, wie aus einem reichen Füllhorn stammend, die Bilder bestimmt. Alles scheint zur eingehenden Betrachtung ausgebreitet, wird sortiert, einander zugeordnet, miteinander in Beziehung gesetzt. (...) In den roten, grünen, gelben und blauen Früchten und Blumen, die in den Bildern zu finden sind, kommt ganz selbstverständlich die Idee des Gartens zum Ausdruck, die als gestaltete Natur eine Ursituation der kulturellen und zivilisatorischen Entwicklung meint. (...) Verbunden mit dem auffallenden Ordnungsprinzip wird deutlich, dass der Maler keineswegs die zufällig am Straßenrand wachsenden Bäume und Pflanzen meint, sondern seine Aufmerksamkeit auf das Phänomen der vom Menschen gestalteten Natur richtet. (...) Er erfindet für die ungeheure Vielfalt der pflanzlichen Erscheinungen ganz neue Formen aus seinem eigenen Erleben heraus, er zeichnet nicht ab, er zeichnet nicht nach, sondern er kreiert eine zweite Welt aus Farben und Linien.“ 2) Er treibt die Wiederholung auf die Spitze, zeichnet immer wieder den Gegenstand mit neuem Nachdruck, ganz von 26
vorn angefangen, als hätte er das noch nie gemacht, als sei es immer wieder das erste Haus, das erste Bierglas, der erste Apfel, den er zeichnet. So gibt es z. B. etwa 350 Häuserzeichnungen, ohne dass auch nur eine einer anderen gleich wäre. Dabei umkreist er häufig in seiner völlig eigenständigen Art mit dem Bleistift die jeweilige Form mehrfach und verschlingt die Linien miteinander auf unverwechselbare und wiedererkennbare Weise. Die Farbkreide wird dann sicher und großzügig darübergelegt, sie verwischt und intensiviert den Bleistiftstrich gleichermaßen. Die ihm eigene Linienführung zeigt sich auch in den Blättern, in denen die dargestellten Dinge zusätzlich durch Schrift benannt werden. Die an Sütterlinschrift erinnernden Buchstaben geben den Zeichnungen einen weiteren ästhetischen Reiz. „Diese Wortbilder begleiten die dargestellten Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen, heben sie speziell hervor und treten so jedem Versinken in der Masse gleichartiger Dinge entgegen. Nicht geklonter Gleichheitswahn, sondern Wahrung des Einzelnen innerhalb der umgebenden Gruppe ist ein immer wiederkehrendes Prinzip Widmaier‘scher Arbeiten.“ 3) Lange Zeit finden ausschließlich ihm bekannte Gegenstände und Objekte sein Interesse, denen er sich mit Hingabe zu den vor allem ihm selbst wichtigen Details widmet. „Neben diesem Blick für Details hat er aber eine ebenso si-
chere Fähigkeit, Gegenstände auf ihre wesentlich formalen Elemente zu reduzieren und in unmissverständliche, geradezu archetypische Zeichen zu verwandeln für das, was für ihn in der Welt von Bedeutung ist. (...) Gleichzeitig bringt er mit dieser Reduktion auf ihre formalen Eigenschaften die Dinge in ein abstraktes Kompositionverhältnis zueinander, was bei seinen Frucht- aber auch Glasbildern besonders zutage tritt.“ 4) Manche Gegenstände bekommen dabei ein uneindeutiges Leben: Gebäckstücke sind geformt wie Boote, wie Behälter mit Figurähnlichem darin, sie haben etwas Umschließendes, Bergendes. Zitronenscheiben erscheinen wie geheimnisvolle Fundstücke aus keltischen Fürstengräbern.
gebung durch seine Mitbewohner, folgt er seinen eigenen Wünschen, Vorstellungen und Regeln. Für Helmut Widmaier spielte bei seiner Arbeit der Betrachter keine Rolle, er ließ sich nicht beirren, er verfolgte mit Hartnäckigkeit und großer Unmittelbarkeit sein Ziel: seine eigene Welt aufs Papier zu bringen. Diese Bilder erheitern, sie öffnen die Augen und sie zeigen eine Welt, die wir vorher nicht gesehen haben. Anne Büssow/Jorgo Schäfer Fotos: Willi Barczat 1) Werner Meyer, Leiter der Kunsthalle Göppingen im Katalog Helmut Widmaier, Zeichnungen, 2005
In seinen letzten drei Lebensjahren geht Helmut Widmaier noch einen entschlossenen Schritt weiter auf dem Weg vom Gegenstand zur Abstraktion. Aus den vorhandenen Motiven der Straßen und Brücken entwickelt er neben allem anderen abstrakte Farbflächenkompositionen in großer Anzahl und vielfältigen Kombinationen, in denen nur noch machmal wenige Details wie Verkehrssignale, Pfeile oder Lichter die Herkunft von den vorherigen Straßenflächen erkennen lassen. Er setzt sehr bestimmt in überraschenden Kombinationen die Farben und entscheidet, welche Fläche in welcher Größe welche Rolle in der Komposition einnimmt. Unbeirrt von der zum Teil sehr unruhigen Um-
2) Dr. Dorothee Höfert, Kunsthalle Mannheim, zur Eröffnung der Ausstellung in Kirchberg/Jagst 2008 3) Ebenda 4) Dr. Tobias Wall, Karin Abt-Straubinger Stiftung, Stuttgart, zur Ausstellungseröffnung in Leinfelden-Echterdingen, 2011
Eine Ausstellung im „ort“ der Peter-Kowald-Gesellschaft e.V., Luisenstraße 116, vom 22. April bis 21. Mai, Öffnungszeiten: mittwochs 18 - 20 Uhr samstags 16 - 18 Uhr 27
Fundstücke aus dem „Dritten Reich“. Rekonstruktionen Eine Ausstellung im jüdischen Museum der Begegnungsstätte Alte Synagoge, 10.4.2016 - 28.10.2016, Di - Fr + So 14 - 17 Uhr und nach Absprache (0202-5632843) Genügsamkeitstraße, 42105 Wuppertal
... der sechszackige Davidsstern, der Lappen in der gelben Farbe, die heute noch Pest und Quarantäne bedeutet und die im Mittelalter die Kennfarbe der Juden war, die Farbe des Neides und der ins Blut getretenen Galle, die Farbe des zu meidenden Bösen; der gelbe Lappen mit dem schwarzen Aufdruck: „Jude“, das Wort umrahmt von Linien der ineinandergeschobenen beiden Dreiecke, das Wort aus dicken Blockbuchstaben gebildet, die in ihrer Isoliertheit und in der breiten Überbetontheit ihrer Horizontalen hebräische Schriftzeichen vortäuschen. Die Beschreibung ist zu lang? Aber nein, im Gegenteil! Mir fehlt nur die Kunst zu genauerer, eindringlicherer Beschreibung. Wie oft, wenn ein neuer Stern auf […] eine Jacke oder einen Arbeitsmantel anzunähen war, wie oft habe ich den Lappen unter der Lupe betrachtet, die Einzelparzellen des gelben Gewebes, die Ungleichheiten des schwarzen Aufdrucks – und alle diese Einzelfelder hätten nicht ausgereicht, hätte ich an jedes eine der erlebten Sterntorturen knüpfen wollen. Victor Klemperer So tief verbohrt sich der Dresdener Literaturprofessor Victor Klemperer in die Betrachtung eines gelben Stofflappens – das Kennzeichen, das die Nationalsozialisten sich im Sommer 1941 zur Stigmatisierung der jüdischen Bevölkerung ausgedacht hatten. Alle einzelnen Felder eines solchen Sterns hätten nicht ausgereicht, um die Qualen, Ängste, Schmerzen und Verluste zu beschreiben, die die Juden in dieser Zeit erleben mussten. Victor Klemperer war nicht nur ein äußerst genauer und extrem sensibler Beobachter und Wahrnehmer seiner Zeit. Er studierte und ana28
Foto: Thomas Ullrich
lysierte auch die Sprache, die „lingua tertii imperii“, und eben auch die Objekte, die das „Dritte Reich“ produzierte. Sieben Felder hat ein gelber Stern, mit seinen sechs Zacken und dem großen Feld in der Mitte. Sieben Felder hätten für die Beschreibung nicht ausgereicht, und Klemperer beklagt sein mangelndes Talent fürs Beschreiben. Tatsächlich aber hat er die Wirkmacht von Objekten aufs Eindringlichste geschildert. Objekte sind verknüpft mit Sachverhalten und Geschichten dahinter, oder wir können an Objekte wiederum Geschichten und Sachverhalte knüpfen. Objekte können Quellen sein, über ihren Gebrauchswert hinaus, können historische Dokumente sein, können über die Vergangenheit etwas erzählen, weshalb sie auch im Geschichtsunterricht der Schule gut zu gebrauchen sind. Das wäre dann die Arbeit mit „Sachquellen“, aber leider geschieht das nur selten. Dabei liegt auf der Hand, was die Betrachtung eines Objekts so wertvoll macht, und dabei ist schon fast egal, aus welcher Zeit und aus welcher Gegend es stammt. Objekte sind dreidimensional, sie sind haptisch erfühlbar, sie bedienen verschiedene Sinne, auch, aber nicht nur, wie bei den Textquellen, das Auge. Sie können Gerüche ausströmen, Geräusche machen, stechen oder schmeicheln und schwer in der Hand wiegen. Sie sind Originale oder Industrieprodukte, sie tragen Gebrauchsspuren oder sind verändert worden. Auf den ersten Blick erscheinen Objekte, Sachen, Dinge immer interessanter als jeder Text, der ja als komplexes Zei-
chensystem mehr oder weniger mühsam dekodiert werden muss. Man glaubt, ein Objekt erkläre sich selbst, und wenn man auch nicht sofort weiß, was es bedeutet und wozu es dient, so setzen sich alsbald Assoziationen frei, Rätselraten anhand von Ähnlichkeiten und Vergleichbarem. Aber so, wie nur durch die Entschlüsselung der Buchstaben und Wörter die unendlich reiche Welt der Bedeutungen eines Textes erschlossen werden kann, so brauchen auch Objekte einen Schlüssel. Kein Objekt kann allein und von sich aus seine Geschichte erzählen – es sei denn, es wäre ein Text.
Ein deformiertes Weinglas aus der Ottostraße erzählt von den Bombardierungen.
Was aber ist denn nun dasjenige, das ein Objekt so wertvoll macht für das Museum, für die Schule, für die Ausstattung unserer Wohnung?
Im jüdischen Museum der Begegnungsstätte Alte Synagoge zeigen wir eine ganze Reihe von Objekten, die uns Menschen gaben, die als jüdische Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus aus Wuppertal haben fliehen müssen und im Ausland überlebten. Sie brachten diese Dinge hierher, weil die Begegnungsstätte sich am Ort der zerstörten Elberfelder Synagoge befindet. Der Authentizität des Ortes ist eine Aura eigen, die gerade die Überlebenden spüren. Hier ist der Ort des Gedenkens, der Erinnerung an die Kindheit, der Aussprache und der Begegnung. Hier ist auch der Ort, wo die Dinge aus dem vorigen Leben ihren letzten Platz finden können. So versteht sich unser Haus auch als ein Archiv oder Depot. Diese Schätze wurden uns anvertraut und sind oft die letzten Erinnerungen an eine glückliche Kindheit oder an die Eltern, die womöglich nicht mehr die Chance hatten zu entkommen. Es sind oft profane und gewöhnliche Sachen, zum Beispiel ein Schuhlöffel, eine Tasse, ein Messer, ein Kleid, ein Kinderspielzeug, ein Fotoapparat, eine Musikspieldose. Sehr profan und gewöhnlich, weder antik noch selten, aber doch einzigartig, denn alle diese Dinge haben mit den Menschen gelebt, denen sie einmal gehörten, und damit sind sie Zeugen vom Leben dieser Menschen. Wir zeigen diese Sachen als ein Vermächtnis der Überlebenden. Sie sind das materialisierte Erbe der Zeitzeugen. Die es bald nicht mehr gibt. Unsere Archive sind unsere Schatztruhen. Wenn im kommenden Oktober wieder einmal eine Familie aus Dänemark kommt, deren Vorfahren aus Elberfeld deportiert und ermordet wurden, und uns das Einzige übereignet, was von diesen geliebten Leben übrig geblieben ist, so kann man ermessen, welche Bedeutung und Verantwor-
Vielsagende Inschriften, Jahrzehnte lang verborgen.
Aus alten Büchern gefallen, angeschwemmt ans Meeresufer: Relikte aus der Nazi-Zeit. Der Reisepass von Hanna Fischel.
Fotos: Willi Barczat
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Ein kleiner Ring von Jutta Lewin als Abschiedsgeschenk vor der Deportation, April 1942. Foto: Willi Barczat
tung mit unserem Haus, seinem Museum und Archiv verbunden sind. Das Konzept unserer Dauerausstellung ergibt sich also aus dem besonderen „jüdischen“ Ort und aus der Verpflichtung gegenüber den Überlebenden und Nachgeborenen. Längst nicht alles, was sich in unserem Depot befindet, können wir auch in der Ausstellung zeigen, und deshalb tauschen wir immer wieder auch Exponate aus, soweit sich das mit den praktischen Gegebenheiten vereinbaren lässt. Wir besitzen aber auch Objekte, die bewusst nicht in der Ausstellung zu sehen sind: Relikte des Nationalsozialismus oder Spuren des Kriegsgeschehens. Zwar sind auch diese Sachen im Laufe der Jahre von Bürgerinnen und Bürgern aus Wuppertal oder anderswo zu uns gebracht worden. Aber die meisten dieser Dinge sind keine Schätze aus Familienbesitz, sorgsam behütet und nur schweren Herzens hergegeben, sondern zufällige Fundstücke – erworben für wenig Geld auf dem Flohmarkt, entdeckt am Strand, im Schutt, in der Asche. Die Finder oder Käufer hatten keine emotionale Beziehung zu diesen Objekten oder keine, die mit der eigenen Familiengeschichte zusammenhing. Manche der Überbringer waren sogar sichtlich erleichtert, ihre Funde bei uns deponieren zu können. Ungute Geschichten vermuteten die meisten dahinter, Unrecht und Gewalt. 30
Auch wenn wir sie für gewöhnlich nicht zeigen, sind diese Objekte Teil unserer Sammlung. Und sie sind eine Herausforderung, denn ihre Auffindungsgeschichte ist meistens unklar oder sehr kurz. Man muss die Objekte also eigenständig erschließen: befragen, zum Sprechen bringen und kontextualieren, denn in irgendeinem historischen Zusammenhang müssen sie ja stehen – nur: in welchem? Eine solche Erschließung von Objekten eröffnet zuweilen überraschende Pfade in bislang fremde Wissensgebiete hinein, die bei uns noch nie Thema waren und sehr speziell sein können und daher fast immer ein tieferes Verständnis komplizierter Sachverhalte, Ereignisse und Prozesse liefern. Eine bei einer Renovierung gefundene Fußbodendiele aus dem Zooviertel führt zur Geschichte der Remilitarisierung des Rheinlands und zugleich zur nationalsozialistischen Umdeutung kirchlicher Feiertage. Ein deformiertes Weinglas aus der Ottostraße erzählt von den Bombardierungen. Ein kunstseidenes Lesezeichen mit NS-Hoheitszeichen ist Ausweis der NS-Propaganda, und ein „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ lenkt die Suche auf die rassistische Bevölkerungspolitik des „Dritten Reiches“. In der ja zufälligen Ansammlung unserer Objekte steckt indes das Potenzial, einen bestimmten Aspekt der Geschichte des Nationalsozialismus, seiner Vorgeschichte und seiner Nachwirkung zu erzählen, von Menschen zu berichten, die dieses Regime und seine Ideologie gestützt und begrüßt haben, die für es gelitten und getötet haben, die von ihm getäuscht und enttäuscht wurden, die von ihm verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. Obwohl wir mit der kleinen Sonderausstellung nur relativ wenige Objekte zeigen, berühren wir mit ihnen praktisch die gesamte Geschichte des Nationalsozialismus – natürlich ohne sie enzyklopädisch zu durchdringen. Dass ein solches Konzept in einem „jüdischen Museum“ nur im Rahmen einer zeitlich befristeten Sonderausstellung realisierbar ist, versteht sich. So ist gut, dass mithilfe einer großzügigen Unterstützung der Jackstädt-Stiftung, der Firma Knipex und der Wuppertaler Stadtwerke ein Buch zur Ausstellung erscheinen konnte, dass die Geschichten um und über unsere disparaten Objekte länger bewahrt als dieser bescheidene Blick in unsere Sammlung. Ulrike Schrader
Buch: Ulrike Schrader: Fundstücke aus dem Dritten Reich. Rekonstruktionen, Wuppertal 2016 ISBN 978-3-940199-15-7, € 14,80
Objekte aus jüdischem Besitz – eine Unrechtsgeschichte. Foto: Willi Barczat
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Über Utopiastadt an der Nordbahntrasse wurde schon oft berichtet, Initiativen wie die „Mirker Schrauba“ oder der „Utopiastadtgarten“ sind weitläufig bekannt und auch die „Only Hut“-Konzerte haben sich herum gesprochen. Doch was genau versteckt sich hinter und was bewirkt Utopiastadt? Die Schiefertafeln der Fassade sind verkratzt, das Treppengeländer leicht verrostet, der Lack an vielen Fenstern ist brüchig. Wände sind weitestgehend unverputzt, die Fliesen am Boden fehlen in manch einer Ecke, das ein oder andere Kabel liegt frei. Dazwischen stehen ein altes Küchenbuffet und ein Harmonium, kleine Tische mit Wildblumen und Kerzen. Die Strukturen wirken rau. Begonnen hat alles 2011, als Beate Blaschczok und Christian Hampe mit ihrer Netzwerkagentur „clownfisch“ und dem gleichnamigen Statementmagazin nach einem Ort suchten, in dem freigeistig und experimentell gearbeitet werden konnte und der ermöglichen sollte, die Schnittstellen zwischen Kunst, Kultur und Stadtentwicklung zu finden und zusammenzubringen. Gefunden haben sie den alten Bahnhof Mirke in der Elberfelder Nordstadt, ein Ort, dessen geschichtliche Wurzeln weit zurück reichen. Zurück in eine Zeit, in der die Nordbahntrasse noch von Zügen befahren und als Handelsroute genutzt wurde. Nun befindet sich im Erdgeschoss die Gastronomie „Hutmacher“, in der regelmäßig Künstlerinnen und Künstler gegen Spende ihre Instrumente erklingen lassen, daneben eine Werkstatt mit Lasercutter und 3-D-Drucker, ein paar Meter weiter erblüht unter dem Motto „Essbarer Bahnhof – Essbare Stadt“ ein stetig wachsender Garten, der gemeinschaftlich betrieben wird und in dem neben Sonnenblumen Bärlauch, Waldmeister, Gurken, Brokkoli und Tomaten wachsen, um die Ecke öffnet regelmäßig der Fahrradverleih, die Treppe hinauf wird getanzt und die Coworking-Büros sowie Ateliers werden mit Leben gefüllt.
Wie passt dies alles zusammen? Und was soll das eigentlich? Kann so ein riesiges Unterfangen, so ein Durcheinander überhaupt funktionieren? Es kann. Und es passt. Meistens. Ein „Experimentierlabor“ nennen sie es selber, einen „Spielplatz“ nennen es andere, es ist nicht perfekt, soll es auch nicht sein. Utopiastadt möchte ein Umfeld und eine Plattform bieten, es kann sich nicht nur ausgetauscht und Kaffee in Tassen mit Goldrand getrunken, sondern Ideen können 32
Alles ist möglich
möglichst konstruktiv umgesetzt und verwirklicht werden. Wenn man so möchte, ist es ein Ort der Forschung. Es wird erforscht, wie Menschen mit unterschiedlichen Ideen und Ansichten zusammen neue Konzepte entwickeln können, die im besten Fall weitergetragen werden können. Ein Wertschöpfungsnetzwerk entsteht, in dem sich gegenseitig geholfen und die Idee eines gemeinschaftlichen und kreativen Miteinanders ausgebaut wird.
Was aber fast noch wichtiger ist, ist das Aufblühen der umliegenden Nachbarschaft, das Quartier Mirke. Das Quartier ist eine Mischung aus Künstlerviertel und Brennpunkt. Drohte noch vor einiger Zeit vielerorts Leerstand, zieht es die Bewohnerinnen und Bewohner nun zurück oder hält sie gleich ganz da. Das
nachbarschaftliche Miteinander bekommt erneut Bedeutung, kleine Läden öffnen vereinzelt ihre Türen. Es ist zwar nicht vollkommen gleich, ob man ins Autonome Zentrum oder ins Café Ada geht, aber das Wirgefühl wächst wieder. Kinder und Jugendliche der Alten Feuerwache lernen im Utopiastadtgarten, wie man Gemüse pflanzt oder können im „Hutmacher“ kostenlos das WLAN nutzen, Rentner schrauben zusammen mit ihren Enkeln während des monatlichen Reparaturcafés an kaputten Radios, Studierende, Künstlerinnen und Künstler haben die Möglichkeit ihre Projekte Wirklichkeit werden zu lassen. Zusätzlich investiert die Bärtig UG durch das von ihr produzierte Bier Geld in Fonds, die konkret dem Quartier zugutekommen, angefangen mit Mülleimern rund um das Bahnhofsgelände. Darüber hinaus wird Utopiastadt als Ort für Workshops 33
und Designmärkte genutzt, steht in Kooperation mit dem Wuppertal Institut und arbeitet eng mit den Bürgerinnen und Bürgern zusammen, um urbanen Raum zurückzuerobern.
Es klingt zu gut, um wahr zu sein. Und tatsächlich verstehen nicht alle Durchreisenden, Besucherinnen und Besucher von Utopiastadt, warum bestimmte Bereiche intensiver bearbeitet und andere Teile des Gebäudes hinten angestellt werden. Es gibt so zum Beispiel noch kein behindertengerechtes WC und im Winter wärmt bis jetzt nur ein Heizlüfter die durchgefrorenen Spaziergänger. Dass der Um- und Ausbau nur durch zahlreiche Helferinnen, Helfer und ehrenamtliches Engagement gestemmt wird, geht meistens unter. Je nach Aufgabe kann es hier auch schon mal zu Durststrecken kommen. Und wenn die Lautstärke der Konzerte gelegentlich Missmut auslöst, muss man mitunter daran denken, dass Utopiastadt nicht unbedingt massenkompatibel ist, sondern als Anstoß für gesellschaftliche Veränderung dient. Nicht immer kommt deswegen alles gleich gut an.
Aber es bewegt sich trotzdem. In diesem Jahr beginnen die Sanierungsmaßnahmen und durch die Förderung der Jackstädt-Stiftung in Höhe von 200 000 € ist auch der Eigenanteil gewährleistet, um die Förderung des Landes zu erhalten . Der Bahnhof wird renoviert, das Angebot erweitert, die Schwebebahn zieht auf der Trasse ein, der Utopiastadt-Campus soll realisiert werden. Es wird weiterhin ein niedrigschwelliges Angebot von Kunst und Kultur geben, das menschliche Miteinander bleibt im Fokus, es entstehen noch mehr Freiräume für lokale, nachhaltige und soziale Initiativen. Dafür braucht es allerdings auch Mitwirkende, denn nur gemeinschaftlich kann Wandel funktionieren. Sei es durch die Beteiligung an der Crowdfundingkampagne
1m2 Utopiastadt – Wir kaufen uns die Stadt zurück (https://www.betterplace.org/de/projects/37249-
500-m-utopiastadt-campus), durch den Einsatz in einer der zahlreichen Initiativen oder den Besuch der diversen Veranstaltungen. Utopiastadt macht möglich, muss aber auch genutzt werden. Ava Weis Fotos: Willi Barczat, Helmut Steidler
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Neun Hauptrollen
Ein „Tartuffe“ à la bonheur in Wuppertal Premiere: Samstag, 9.4.2016
Theater, wie es sein soll Maik Priebes überwältigende Inszenierung von Molières Gesellschaftskomödie „Tartuffe oder Der Heuchler“, die am 9. 4. 2016, auf der großen Bühne des Wuppertaler Opernhauses ihre glanzvolle und gefeierte Premiere hatte, knüpft nahtlos an die ganz große Zeit des Wuppertaler Schauspiels an. Hier wird vom kraftvollen Beginn mit Anke Hartwigs starkem Aufgalopp als Madame Pernelle bis zum goldenen Schlussfeuerwerk nach dem Gastauftritt des Altmeisters Bernd Kuschmann Theater gemacht, wie es sein muss: mitreißend. Molières beißende Gesellschaftssatire „Tartuffe“ aus dem Jahr 1664/67 zählt zu den bösesten seiner Werke, eine Abrechnung mit Bigotterie, Schmeichelei, Heuchelei, Habgier und Lüge. Scharf und äußerst kritisch beobachtend, höchst sarkastisch und zugleich enorm unterhaltsam entlarvt das Stück geheuchelte Gefühle, verlogene Religiosität und brodelnde Geilheit der barocken großbürgerlichen Gesellschaft – hier an der Figur des Tartuffe, der sich als moralischer Mineur ins Vertrauen des reichen Orgon einschleicht, bis dieser ihm sein Vermögen überschreibt und sogar seine Tochter zur Frau geben will. Tartuffe dankt es ihm, indem er ihn politisch erpresst, Orgons Frau Elmire zu nahe tritt und Orgon gar aus dem Haus treiben will. Gibt es Rettung in letzter Minute?
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Es trägt der echte Christ den Glauben nicht am Rocke und hängt die Frömmigkeit nicht an die große Glocke.
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Die Frage nach der Aktualität dieser wie anderer bitterböser Komödien Molières ist obsolet. Es gibt wohl kaum einen Bühnenautor, der mit seiner Gesellschaftskritik über die Jahrhunderte so gültig geblieben ist wie Molière (d.i. JeanBaptiste Poquelin, 1622-1673). Zur spritzig-eleganten deutschen Übersetzung des Molière‘schen Textes aus dem Jahr 1667 von Wolfgang Wiens hat Maik Priebe dem Ensemble von neun Darstellern neun Hauptrollen auf den Leib geschneidert – und jede/r einzelne füllt sie in Perfektion aus.
Neun Hauptrollen - ein Ensemble von Rang Da ist zunächst und vor allem einmal Tartuffe, dem Miko Greza, kurzfristig für den erkrankten Uwe Dreysel eingesprungen, so glaubhaft niederträchtig Gestalt gibt, dass man ihm alles Böse wünscht – so intensiv nimmt er den Zuschauer mit. Er ist Tartuffe. Dass am Ende, will sagen beim Schlussapplaus, der Fiesling Ovationen erhält, spricht für sich. Sein Opfer Orgon, in unbelehrbarer Verblendung saftig von Stefan Walz stolzierend auf die Bühne gebracht, steht ihm in seiner blasierten Arroganz in nichts nach. Der erste Szenenapplaus galt Anke Hartwig, deren herrlich bornierte Mme. Pernelle zu Beginn versprach, was dann die gesamte Inszenierung einlöste, den brillanten Umgang mit dem Wort, mit Versmaß, Metrik und Enjambement. Man klebte bei den köstlichen Streitgesprächen, Mono- und Dialogen förmlich an den Lippen der Schauspieler, denen man das eigene Vergnügen am Spiel deutlich anmerkte, um nicht ein einziges Wort zu versäumen. Dank der gepflegten Sprache aller ging auch keiner der kostbaren Verse verloren.
Da ist alles drin Thomas Braus, profiliert wie stets, gab mit körperlicher wie sprachlicher Eleganz den scharfsinnig argumentierenden Cléante, Orgons Schwager – ein Vergnügen, seinen gezierten Schritten und Gesten zu folgen. Orgons aufbrausender Sohn Damis, dem Alexander Peiler schäumende Wut bei gleichzeitiger Dummheit verlieh, war ebenso eine Perle wie Lukas Mundas als gleichermaßen tumber wie eingeschnappter Bräutigam der Tochter Orgons, von Julia Reznik zuckersüß verkörpert. Erst unter vollem Körpereinsatz von Orgons Ehefrau Elmire gelingt es, den Betrüger vor dem Betrogenen zu entlarven. Philippine Pachl überzeugt dabei mit der gewissen Koketterie und weiblichen Berechnung, die es mitunter braucht, um die Herren der Schöpfung vorzuführen. Und dann Dorine, die Zofe: Tinka Fürst brilliert charmant und frech in dieser ihr wie auf den Leib geschriebenen
Rolle, in der sie die ganze Palette ihrer Bühnenkunst zeigen kann – mit Wort und Ausdruck, Sprache, Körpersprache und Mimik. Als Gegenintrigantin zu Tartuffe und dem ihm hörigen Orgon galten ihr etliche Lacher und manch einer der an diesem Abend nicht seltenen Szenenapplause.
Geniestreich Bühnenkonzept + Musik Großen Anteil am Erfolg hatten die genial minimalistische Gestaltung der Bühne und die dagegen opulenten Kostüme, ein Hochgenuss fürs Auge – beides Susanne Maier-Staufen zu verdanken, die damit ihr Vorbild Ariane Mnouchkine deutlich überflügelte. Die originäre Idee, das Stück musikalisch mit zeitgenössischen barocken Werken von Rameau, Lully und Goudimel anzufüttern, machte die Sache um ein Weiteres runder: Der Opernchor und sein Leiter Jens Bingert am Cembalo gaben Molière eine neue Dimension. Das spürbar und schließlich unüberhörbar begeisterte Publikum gab jubelnden Beifall, weit über die geprobte Applausordnung hinaus – das sichtbar glückliche Ensemble bedankte sich für so viel liebevollen Zuspruch mit strahlendem Lächeln. Ein ganz wunderbarer Abend, dessen zwei delikate Stunden Sie sich unbedingt gönnen sollten!
Die Neider sterben wohl, doch nimmermehr der Neid. Inszenierung: Maik Priebe - Bühne & Kostüme: Susanne Maier-Staufen - Musikalische Leitung: Jens Bingert – Dramaturgie: Susanne Abbrederis - Regieassistenz und Soufflage: Alexander Bangen, Nathalie Eckstein, Mona vom Dahl – Inspizienz: Luisa Rubel – Hospitanz: Nathalie Eckstein
Besetzung: Madame Pernelle: Anke Hartwig - Orgon, ihr Sohn: Stefan Walz - Elmire, seine zweite Frau: Philippine Pachl - Damis, sein Sohn: Alexander Peiler - Mariane, seine Tochter: Julia Reznik – Valère: Lukas Mundas - Cléante, Orgons Schwager: Thomas Braus - Tartuffe: Miko Greza - Dorine, Marianes Zofe: Tinka Fürst - ein Kommissar: Bernd Kuschmann - Opernchor der Wuppertaler Bühnen - Chorleiter und am Cembalo: Jens Bingert Frank Becker Fotos: Klaus Lefebvre Weitere Aufführungen: 20.5., 21.5., 14.6., 15.6., 22.6., 23.6.2016 Termine, Karten und weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de 39
Oper in Wuppertal und Hagen Das Wuppertaler Opernhaus blieb im vergangenen April komplett opernfrei. Erst am 14. Mai öffnet sich wieder der Vorhang, dann allerdings zu einer besonderen Aufführung: Alban Bergs „Lulu“. Eigentlich sollte die vom Komponisten nicht vollendete Oper, so kündigte es jedenfalls Kamiokas Stellvertreter Joachim Arnold auf der Pressekonferenz am Anfang der Saison an, in einer neuen „Wuppertaler Fassung“ erklingen. Man dürfe auf diese Fassung sehr gespannt sein, weil sie in vieler Hinsicht ganz anders sei als die bisherigen Versuche, diese Oper zu komplettieren. Entweder ist die Wuppertaler Version nicht fertig geworden oder man hat sich doch, aus welchen Gründen auch immer, anders entschieden. In den neueren Ankündigungen der Oper steht jedenfalls, dass jetzt doch die Version von Friedrich Cerha aus dem Jahr 1979 gespielt wird. Lulu wird das letzte Opernprojekt des scheidenden Dirigenten und Opernintendanten Toshiyuki Kamioka sein. Er hat sich diese Oper besonders gewünscht und wird sie auch selbst dirigieren. Es gibt nach der Premiere noch drei weitere Aufführungen (16.5., 26.5. und 29.5.2016 im Wuppertaler Opernhaus). Danach folgen noch zwei Wiederaufnahmen. Leider entfällt nach neuesten Informationen die szenische Fassung von Bachs Johannes-Passion in der Inszenierung von Philipp Harnoncourt, die am Ende der letzten Saison schon viermal gespielt und sehr positiv aufgenommen wurde, weil hier die alte Geschichte mit aktuellen Ereignissen, vor allem der Flüchtlingsproblematik, verschränkt wurde. Sehr schade! Stattdessen gibt es noch einmal zwei Vorstellungen von Puccinis Madama Butterfly, die im Oktober 2015 Premiere hatte. Von dieser Vorstellung bleibt mir vor allem das Orchester in Erinnerung, präzise und sensibel geprobt von Ulrich Windfuhr, einem der GMD-Kandidaten. Er ließ das Orchester regelrecht aufblühen, legte großen Wert auf die 40
unterschiedlichen Klangfarben und offenbarte dabei auch die Modernität der Musik Puccinis. Auch sängerfreundlich war sein Dirigat. Alle Beteiligten konnten sich auf eine sichere Begleitung verlassen, so dass an der vokalen Qualität aller Sängerinnen und Sänger wenig auszusetzen war. Der Schwachpunkt dieser Inszenierung war die Regie. Eine weitergehende Personenführung konnte ich leider nicht feststellen. So entstand der Eindruck, hier sei ohne übergreifende Idee bieder am Text entlang inszeniert worden. Die hervorragend einstudierte Musik kann dies aber wohl vergessen machen (2.6. und 4.6.2016). Dann folgen noch drei Aufführungen von Puccinis Tosca, die 2014 die Intendanz Kamiokas eröffnet hat. Die Inszenierung wurde in der Kritik sehr unterschiedlich bewertet, es gab sogar Irritationen, ob diese „Neuinszenierung“ nicht eine weitgehende Übernahme von Podas Klagenfurter Inszenierung von 2012 gewesen sei. Die Inszenierung ist aber doch sehr zu empfehlen. Kamioka hatte damals sein Orchester exzellent vorbereitet und vor allem mit den Lautstärken sehr differenziert gearbeitet. Die Sänger der drei Hauptrollen waren hervorragend, und Stefano Poda hatte als Regisseur, Lichtdesigner, Bühnen- und Kostümbildner in Personalunion eine intelligente und nachvollziehbare Arbeit mit eigenen Akzenten abgeliefert, dabei mehr Wert auf ästhetische Bilder als auf den politischen Hintergrund gelegt. Fast das ganze Stück inszenierte er als düsteres Nachtstück, und das Ende mit der überraschend eintretenden gleißenden Helle ist nach wie vor spektakulär (2.7., 5.7., 9.7.2016). Martina Welschenbach singt die Lulu, Foto: Enrico Nawrath
Tosca, Foto: Uwe Stratmann
Das Wuppertaler Stagione-Prinzip ohne Ensemble bringt es also mit sich, dass in zweieinhalb Monaten gerade mal neun Vorstellungen gespielt werden. Hagen, nur wenige Kilometer entfernt, macht das anders. Das dortige Theater (Parkhaus nebenan) bietet ein buntes Programm an mit vielen Aufführungen, dabei werden die Vorstellungen von Schauspiel, Ballett und Kinder- und Jugendtheater hier gar nicht erwähnt. Auch das theaterhagen steht unter heftigem Sparzwang, zeigt aber mit eigenem Ensemble großes Engagement. Auch einmonatige Opernpausen sind unbekannt. Besuchen kann man dort u.a. Mozarts Zauberflöte (3.5.), die Musicals Avenue Q (6.5.) und Rocky Horror Picture Show (14.4., 9.6., 11.6., 2.7.), Léhars Land des Lächelns ( 21.5.) und Ernst Kreneks Erfolgsoper Jonny spielt auf (29.5.), die unterschiedliche Musikstile der 20er-Jahre verarbeitet.
Ein ziemlicher Knaller dort ist die Filmmusik-SchlagerRevue Von Babelsberg nach Hollywood (Premiere am 9.4., bis zum 7.7. dann noch sieben Vorstellungen). Die Premiere schlug ein, jede Vorstellung ist voll, Standing Ovations am Schluss. Das Theater bietet aber auch jede Menge auf: sechs Solisten, das Ballett, den kompletten Opernchor und das erweiterte Orchester, das kaum auf die Bühne passt. Aber auch qualitativ ist diese Revue hervorragend. Die ausgewählten Stücke aus vielen Filmen wurden bunt, aber überlegt und abwechslungsreich durcheinandergemixt. Bezeichnend dafür der mehrfach eingeblendete Name der so entstandenen neuen Stadt: Babelwood. Unterschiedliche Besetzungen folgen aufeinander, und zu jedem Song hat man sich etwas einfallen lassen. Meist begleitet das Orchester die Solisten in sehr unterschiedlichen Stilen und Besetzungen, es überzeugt aber auch in pfiffig arrangierten Instrumentalstücken. Etliche Szenen sind zu kompletten Spiel- und Tanzszenen ausgeweitet, und auch szenisch gab es einiges zu bewundern. Ein rasanter Abend also! Noch ein besonderes Bonbon am Ende der Saison: am 4.6.16 hat Richard Strauß‘ Rosenkavalier Premiere, der in dieser Saison noch mehrfach gespielt und wohl auch in der nächsten Saison wieder aufgenommen wird. Ein volles Programm, alles mit eigenem Ensemble und hervorragenden darstellerischen und musikalischen Leistungen! Fritz Gerwinn
Wer in Wuppertal Tschaikowskis Eugen Onegin gesehen hat, wird diesen gerne mit der ganz anderen Hagener Fassung vergleichen wollen. Premiere war am 5. März, weitere Vorstellungen folgen noch am 7.5., 13.5., 25.5. und 26.6. 2016. Wurde in Wuppertal der gesellschaftliche Aspekt mit realistischen Massenszenen betont, lieferte der Regisseur Holger Potocki in Hagen eine intime Kammeroper ab, ein Nachtstück, in dem es niemals richtig hell wird. Die Seelenqualen der Protagonisten stehen im Mittelpunkt und werden bei minimalem Bühnenbild und dezenter Lichtregie konsequent und nachvollziehbar ins Bild gesetzt. Die Drehbühne spielt eine wichtige Rolle, wird immer dann in Bewegung gesetzt, wenn Schicksalhaftes passiert oder Personen außer sich sind, außer Kontrolle geraten. Interessante Aspekte und lohnende Bilder! Madame Butterfly, Foto: Uwe Stratmann
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Die Wuppertaler Literatur Biennale 2016
Utopie Heimat 24. Mai bis 4. Juni 2016
„Utopie Heimat“ ist das Thema der Wuppertaler Literatur Biennale 2016, die vom 24. Mai bis 4. Juni zum dritten Mal stattfinden wird: Ein Literaturfest in der ganzen Stadt, initiiert vom Kulturbüro der Stadt Wuppertal gemeinsam mit den literarischen Institutionen und Vereinen der Stadt. Die dritte Wuppertaler Literatur Biennale macht den Begriff Heimat in seinem utopischen Sinne zum Thema und wird dabei die Vielzahl literarischer Konzeptionen und deren Verständnis von Heimat vorstellen. Dabei geht es nicht zuletzt um das universale Recht jedes Einzelnen, sich in dieser Welt „beheimatet“ zu fühlen, wo immer er auch sei. Auch 2016 setzt sich die Wuppertaler Literatur Biennale zum Ziel, ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Auf ihrer Gästeliste stehen die Namen sehr bekannter Autorinnen und Autoren neben noch relativ unbekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die es noch zu entdecken gilt. Sie alle werden in Wuppertal ihre Sicht auf das Leitthema dieser Biennale, „Utopie Heimat“, in ebenso spannenden wie ästhetisch überzeugenden Lesungen zum Ausdruck bringen. Organisiert wird das große Literaturfest vom Kulturbüro der Stadt Wuppertal, dort federführend durch Monika Heigermoser und Urs Kaufmann. Ein Programmbeirat, dem Ruth Eising, Dr. Christoph Jürgensen, Torsten Krug, Anne Linsel, Dr. Andreas Meier, Dr. Katja Schettler, Hermann Schulz, Gerold Theobalt und Michael Zeller angehören, hat über Monate Ideen zusammengetragen, beraten und sich mit den beteiligten Institutionen und Projekten abgestimmt. Wie in den Vorjahren besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Wuppertal e.V., der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, der GEDOK, der Goethe-Gesellschaft Wuppertal, dem Katholischen Bildungswerk, der Bergischen Universität, der Armin T. Wegner Gesellschaft, dem VS, dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (Bergisches Land), und verschiedenen freien Literaturprojekten. Neben den vielen Veranstaltungen, in denen sich Autorinnen und Autoren aus der Region gemeinsam präsentieren, dürfen sich die Besucher auf bekannte Gäste freuen: Juri Andruchowytsch, Konrad Beikircher, Marcel Beyer, Marica Bodroži, Jenny Erpenbeck, Durs Grünbein, Katharina Hacker, Reinhard Jirgl, Navid Kermani, Judith Kuckart, Andreas Maier, Matthias Nawrat, Ulrich Peltzer, Jochen Rausch, Norbert Scheuer, Lutz Seiler, Andreas Spechtl, Saša Staniši , Frank Witzel und Serhij Zhadan. 42
Frank Witzel
Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ nimmt nicht nur aufgrund der Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis als „Bester Roman des Jahres 2015“ einen besonderen Rang ein. Frank Witzel erkundet in seinem in über 15 Jahren Schreibzeit entstandenen Roman das kollektive Unbewusste der BRD, das angefeuert von uneingestandener Schuld, Pop-Eskapismus, Hippietum, Gewaltfantasien und Religion vor sich hinbrodelte – und aus dem auch heute noch Verdrängtes aufsteigen kann. Am Dienstag, 24. Mai 2016, wird die diesjährige Biennale mit einer Lesung von Frank Witzel eröffnet, das anschließende Autorengespräch führt Hubert Winkels (Deutschlandfunk). Im Barmer Bahnhof, 19.30 Uhr.
Hunde des Weltalls © Serhji Zhadan
Jenny Erpenbeck © Katharina Behling
Jenny Erpenbeck hat mit „Gehen, ging, gegangen“ einen brandaktuellen Tatsachenroman geschrieben: Mit dem pensionierten Professor Richard, der sich nach einigem Fremdeln den Flüchtlingen vom Oranienplatz annimmt, zeigt sie, wie ein offenes Aufeinanderzugehen aussehen könnte, ohne dabei bürgerliches Gutmenschentum zu bemühen. Damit ist ihr nicht nur ein literarisches Lehrstück über Aufrichtigkeit gelungen, sondern auch zahlreiche eindringliche und persönliche Porträts von afrikanischen Asylsuchenden. Am Mittwoch, 25. Mai 2016, um 19.30 Uhr im Barmer Bahnhof. Lesung, im Gespräch mit Sandra Kegel (FAZ).
Serhij Zhadan © Rafah Komorowski
Serhij Zhadan stammt im Unter-
Der ukrainische Schriftsteller, Dichter und Essayist Juri Andruchowytsch, 2006 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet, ist längst ein Klassiker der ukrainischen Gegenwartsliteratur. 1960 in IwanoFrankiwsk/Westukraine geboren, studierte er in Lemberg und Moskau, debütierte als Lyriker, publizierte Essays und zahllose Artikel zu aktuellen Themen. Andruchowytsch kommt auf Einladung von Michael Zeller, der seinen Schriftstellerkollegen am Freitag, 27. Mai 2016, um 18 Uhr im Begegnungszentrum der Caritas vorstellt.
schied zu Juri Andruchowytsch aus dem Osten der Ukraine, dem seit 2014 heftig umkämpften Donbass-Gebiet, unmittelbar an der russischen Grenze. Bei der Biennale 2016 liest er aus seinem aktuellen Prosaband „Mesopotamien“. Zhadan ist nicht nur einer der wichtigsten literarischen Stimmen der Ukraine, er zählt auch zu den bekanntesten Musikern des Landes. Seit 2008 arbeitet er als Frontmann und Sänger mit der Charkiver SkaBand „Sobaky v kosmosi“ (Hunde des Weltalls) zusammen. Zhadans Clubund Festivalkonzerte zwischen Kiew und Charkiv haben längst Kultcharakter, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges. Samstag, 28. Mai 2016, um 19 Uhr im Sommerloch, erst Lesung, dann Konzert. Moderation: Michael Zeller, Oliver Kautny.
Juri Andruchowytsch © Susanne Schleyer
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„Die große Wanderung“ ist ein
Navid Kermani, der aus einer ira-
besonderer Höhepunkt der diesjährigen Biennale: Angela Winkler, Nina Hoger, Bernd Kuschmann und Hans Richter lesen „33 Markierungen von Hans-Magnus Enzensberger sowie Flüchtlinsgespräche von Berthold Brecht“. Brechts „Flüchtlingsgespräche“: Ein ungleiches, vom Schicksal zusammengewürfeltes Paar auf der Suche nach einem Land, in dem sie zurechtkommen – und das mit ihnen zurechtkommt. Bevor „Die große Wanderung“ die Festung Europa erreicht, so Enzensberger (1992), könnte es nicht schaden, einen Blick in die Geschichtsbücher zu werfen, um zu verstehen, dass Menschen schon immer auf der Wanderung waren und die Reaktion auf die Neuankömmlinge immer schon vor allem in einem bestand: in Angst und Hass. Sonntag, 29. Mai, 11.30 Uhr, Immanuelskirche - mit Ron Williams (Gesang) und Michael Ruff (Klavier); szenische Einrichtung: Gerold Theobalt.
nischen Familie stammt und Muslim ist, gehört zu den produktivsten und vielseitigsten Autoren des Landes. Als Wanderer zwischen den Welten bringt er zwei Perspektiven mit – aus dem westlichen und nahöstlichen Kulturkreis. In seinem Buch „Ungläubiges Staunen“ versenkt sich Kermani in die christliche Bilderwelt. Seine frei assoziierende Meditation – ein Staunen – über Bilder und Begriffe, Heilige und Rituale gibt dem Christentum den Schrecken und die Schönheit zurück. 2015 erhielt Kermani den Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. In der Begründung der Jury heißt es, Navid Kermani sei „eine der wichtigsten Stimmen in unserer Gesellschaft, die sich mehr denn je den Erfahrungswelten von Menschen unterschiedlichster nationaler und religiöser Herkunft stellen muss, um ein friedliches, an den Menschenrechten orientiertes Zusammenleben zu ermöglichen“. Samstag, 4. Juni 2016, 19.30 Uhr, Unterbarmer Hauptkirche, Moderation: Christoph Fleischmann.
Navid Kermani © Peter-Andreas Hassiepen
Preisträger: Stefan Ferdinand Etgeton Marica Bodrožics © Peter von Felbert
Die Frage, wer man ist und ob man überhaupt irgendwo hingehört, treibt viele der Figuren in Marica Bodrožics Büchern um. In ihrem neuesten Werk „Mein weiser Frieden“ schürft die 1973 in Dalmatien geborene Autorin noch tiefer. Wieder und wieder reiste sie dafür in ihre brutal zerrissene Herkunftsgegend, das alte Jugoslawien, um zu verstehen und aufzuzeichnen, wie Krieg entsteht und welche Verwüstungen er hinterlässt. Moderation: Torsten Krug, Katrina Schulz. Freitag, 3. Juni 2016, 19.30 Uhr, Café Ada; Literatur auf der Insel zu Gast bei der Biennale. 44
© Christoph Mukherjee
Preis der Wuppertaler Literatur Biennale 2016 Zum zweiten Mal vergibt die Stadt Wuppertal den von der Kunststiftung NRW gestifteten „Preis der Wuppertaler Literatur Biennale“: Den mit 3 000 € dotierten Hauptpreis erhält Stefan Ferdinand Etgeton für seine Erzählung „Gestern die Welt gestern“, die mit jeweils 1 000 € dotierten Förderpreise erhalten Helene Bukowski und Yannic Han Biao Federer. Die Preisverleihung findet am Sonntag, 29. Mai 2016, um 19.30 Uhr im Café Ada statt.
KARUSSEL Pünktlich zur Biennale erscheint KARUSSELL, die Bergische Zeitschrift für Literatur, in neuem Gewand. Mit Originalbeiträgen aus allen literarischen Gattungen, immer mit Blick auf ein Thema. Die erste vom neuen Redaktionsteam Torsten Krug, Dieter Jandt und Andreas Steffens verantwortete Ausgabe widmet sich dem Biennale-Thema „Utopie Heimat“. Texte aus Wuppertal und dem Bergischen Land oder mit Bezug dazu sind stark vertreten – hier ist KARUSSELL beheimatet. Der Einladung sind Autorinnen und Autoren aus dem gesamten deutschsprachigen Raum gefolgt. Darunter Wolfgang Butt, Übersetzer von Henning Mankell, Per Olov Enquist und anderen, darunter Lütfiye Güzel, die vor wenigen Wochen zur Stadtteilschreiberin von Köln-Mülheim ernannt wurde, Eugen Egner, Karl Otto Mühl, Karla Schneider, Michael Buselmeier, Jörg Degenkolb-Degerli u. v. a. Die Künstlerin Clara Thorbecke steuerte Grafiken bei. Darüber hinaus finden sich im Heft die Texte der Gewinner des Preises der Wuppertaler Literatur Biennale 2016.
Nicht möglich ohne Förderer und Sponsoren
Am Freitag, 27. Mai 2016, 19.30 Uhr wird der Neustart von KARUSSELL im Café Ada gebührend gefeiert, mit Lesungen, Gesprächen und Musik.
Die Kunststiftung NRW steht der Wuppertaler Literatur Biennale erneut als Hauptförderer zur Seite. Auch die Dr. Werner Jackstädt-Stiftung, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, der Landschaftsverband Rheinland und die Stadtsparkasse Wuppertal ermöglichen mit ihrem großen Engagement die Neuauflage des Literaturfestes. Sämtliche Veranstaltungen und Kartenvorverkauf unter www.wuppertaler-literatur-biennale.de Eine Community findet sich auf Facebook: www.facebook.com/WuppertalerLiteraturBiennale
24. MAI – 4. JUNI 2016 DIENSTAG, 24. MAI 2016 FRANK WITZEL MITTWOCH, 25. MAI 2016 JENNY ERPENBECK DONNERSTAG, 26. MAI 2016 KONRAD BEIKIRCHER DIENSTAG, 31. MAI 2016 DURS GRÜNBEIN SAMSTAG, 4. JUNI 2016 NAVID KERMANI Gesamtprogramm und Kartenvorverkauf: www.wuppertaler-literatur-biennale.de
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Bewegendes Panorama von Flüchtlingsschicksalen
Wir erzählen um unser Leben Unter diesem Motto initiierte im vergangenen Herbst Schauspielintendantin Susanne Abbrederis ein Projekt mit syrischen Flüchtlingen und Wuppertaler Autorinnen und Autoren. Mit im Boot war die Initiative „In unserer Mitte“, vertreten durch Helge Lindh, die die Kontakte zu den Flüchtlingen herstellte. Gastgeber der monatlich stattfindenden Workshops war der Barmer Bahnhof, der das Projekt mit seinen Räumlichkeiten, Getränken und einer gemeinsamen Mahlzeit sponserte. 46
Die Stadtsparkasse Wuppertal, die Jackstädt-Stiftung und der Lionsclub Wuppertal beteiligten sich ebenfalls an der Finanzierung des Projektes. Es war die Aufgabe der sechs Autorinnen und Autoren Christiane Gibiec, Dieter Jandt, Dorothea Müller, Torsten Krug, Sibyl Quinke und Hermann Schulz, mithilfe von Dolmetschern die Geschichten und Erfahrungen der geflüchteten Menschen zu sammeln und aufzuschreiben. Die Bühnenbildnerin Katja Rotrekel leitete gleichzeitig einen Malworkshop an. Eine Auswahl aus diesen Texten wird im Rahmen der Literaturbiennale am Sonntag, dem 29. Mai 2016 um 17 Uhr im Theater am Engelsgarten von Schauspielerinnen und Schauspielern gelesen. Die entstandenen Texte zeigen ein bewegendes, verstörendes Panorama von Einzelschicksalen, die sich aus dem Strom der Flüchtlinge herausgelöst haben und dennoch repräsentativ sein dürften: Die Angst von Eltern um ihre Kinder, die ihren Schulweg nur noch unter Lebensgefahr zurücklegen konnten, der Verlust der Heimat, der Arbeit, des Hauses und jeglicher Existenzgrundlage, Bombardierungen, Folter oder gänzliches Verschwinden von Familienangehörigen, das Durchwandern der Transitländer zu Fuß, zum Teil mit Verletzungen, Hunger, Unterkühlung, großer Erschöpfung, das Aufbrauchen der letzten finanziellen Reserven für die Schlepperbanden – mit einer ungewissen Zukunft in einem Land mit fremder Kultur. Nachfolgend einige dieser Geschichten, die meisten Flüchtlinge baten darum, anonym zu bleiben. Christiane Gibiec
Folter, Hunger, Schläge Ich habe ein paar Jahre in den USA verbracht, und als ich zurück in Syrien war, kam eine befreundete Amerikanerin zu Besuch. Ich wollte ihr das Land zeigen, doch irgendwie bekam die Polizei Wind davon. Man holte mich zu Hause ab und verhaftete mich. Sie beschuldigten mich, für den amerikanischen Geheimdienst zu arbeiten. Ich hätte ihnen melden müssen, dass ich mit dieser Amerikanerin herumfahren wollte. Man steckte mich vier Tage in eine Zelle, die mit rund hundert Menschen vollgestopft war. Ein kleines Fenster oben in der Wand ließ nur spärlich Licht ein. Es stank und wir hatten ständig Angst, dass Geheimdienstleute unter den Gefangenen waren, die uns aushorchen wollten. Nicht wenige wurden gefoltert. Wir hatten Hunger. Bei einem Verhör sagte man mir, dass ich Geld bezahlen müsste, wenn ich nicht geschlagen werden wollte. (Aufgezeichnet von Dieter Jandt)
Sag nichts, sonst geht es dir dreckig Ich hatte in einem Gespräch angemerkt, dass ich vor vielen Jahren eine mehrwöchige Reise durch Syrien gemacht hatte. Überraschend fragte mich ein hochgewachsener Syrer nach meinen eindrücklichsten Erlebnissen. Sollte ich erzählen, dass die Studenten auf dem Campus mir klargemacht hätten, man würde bald alle Juden ins Meer werfen? Das Thema Antisemitismus brachte ich auf andere Weise später ins Gespräch, erzählte aber ein anderes Ereignis im Bus von Aleppo nach Damaskus. Neben mir saß ein Student, mit dem ich mich in Englisch unterhalten konnte und der mich ein paar Worte Arabisch lehrte: Danke, bitte, guten Tag, sehr gut – und so weiter. Der Bus wurde von einem Polizeiposten angehalten, zwei martialische Beamte verlangten Pässe oder Ausweise. Da erlebte ich zum ersten Mal, was es in diesem Land hieß, ein armer syrischer Bauer zu sein. Ein alter, magerer Mann hatte keine Papiere, die er vorweisen konnte. Da gab ihm der Beamte – rechts und links – ein paar heftige Ohrfeigen und zerrte ihn zum Ausgang. Ich sprang spontan auf, weil mich der Vorgang empörte. Mein Banknachbar hielt mich zurück. „Bleib sitzen, sag nichts! Sonst geht es dir dreckig!“ Im Bus gab es keine Proteste. Wo mich vorher lebendiges Geplauder umgab, herrschte jetzt bedrücktes Schweigen. (Aufgezeichnet von Hermann Schulz)
Heimat ist erinnern Gibt es etwas, was ihr mitgebracht habt aus eurer Heimat? Etwas, woran euer Herz hängt?, frage ich. Den kleinen Löffel vielleicht, mit dem ihr den Zucker in den Tee gerührt habt, oder das Ölkännchen, das schon die Großmutter in der Küche benutzt hat? Nein, da ist nichts. Nichts, was geblieben ist. Alles hat man ihnen genommen. Den Rest hat das Meer gefordert. Alles. Nur die Erinnerung ist geblieben. Das Geräusch des Windes im Olivenhain, Sonnenwärme und der Geruch von Jasmin, Lieder und Musik. Das ist Heimat. Heimat ist erinnern. Das allein bleibt. (Aufgezeichnet von Dorothea Müller) Tote werden nicht behandelt Suleiman hört, wie neben ihm ein Mitgefangener zusammenbricht. „Schafft ihn fort!“ Hierfür ist das Polizeikrankenhaus zuständig, in dem es einen Notfallarzt gibt. Wie Suleiman aus Gesprächsfetzen entnimmt, ist sein Leidensgenosse dort nicht angekommen. Tote werden nicht behandelt. Mit Suleiman sind es sieben Gefangene, die in eine Zelle von etwa vier Quadratmetern gesperrt werden. Sie sitzen eingepfercht nebeneinander, und wenn sich einer umdreht oder seine Schlafstellung wechseln will, müssen sie aufstehen. 47
Sie bekommen zu essen, aber nichts zu trinken, und die Ration reicht eigentlich auch nur für eine oder zwei Personen. Und Suleiman erzählt: „Nein, es gab kein Gerangel um die kleinen Portionen. Wir waren traurig oder depressiv und hatten keinen Hunger.“ „Und der Durst?“ Gelegenheit zum Trinken hatten sie, wenn man sie in einer viel zu kurzen Zeit, vielleicht zehn oder fünfzehn Sekunden, ihre Notdurft verrichten ließ. Dort gab es einen Wasserhahn. (Aufgezeichnet von Sibyl Quinke)
Alle Muslime in einen Topf Ich finde die deutsche Gesellschaft im Allgemeinen sehr nett, ich habe viel Mitgefühl erlebt. Aber die Familienbeziehungen sind zu schwach. Ich habe einige Geschichten gehört, dass Kinder ihre Eltern nicht gut betreuen, wenn sie alt sind. Manchmal besuchen sie sie nur einmal im Jahr. Oder Kinder brechen die Beziehungen zu ihren Eltern ab, wenn der Ehemann oder die Ehefrau es will. Die Beziehungen zu den Leuten im Haus und in der Straße sind auch nicht besonders eng, in sechs Monaten hat mich noch kein Nachbar besucht. Wir wurden nur begrüßt, das ist ein bisschen wenig. Schlecht ist auch, dass die Deutschen alle Muslime in einen Topf werfen. Sie haben Vorurteile, ohne etwas über unseren Glauben zu wissen. Manche haben einfach etwas von den 48
Medien übernommen, die ein falsches Bild von Muslimen haben. Sie sind nicht richtig informiert. Wichtig ist, dass man zwischen dem Islam und den Taten von manchen, die nur behaupten, Muslime zu sein, unterscheidet. (Aufgezeichnet von Christiane Gibiec)
Anstelle des Geldes die Liebe „Lange Zeit habe ich nichts geschrieben; das letzte Gedicht circa einen Monat bevor ich nach Deutschland gekommen bin: Ich fuhr im Auto, es gab Stau, ich hatte meine Oud dabei, und ich habe immer ein Heft dabei. Mit einer Hand bin ich gefahren, mit der andern habe ich geschrieben.“ „Um was ging es in dem Lied?“ „Um eine Frau, die hochnäsig ist.“ Alle am Tisch lachen. „Vier oder fünf Texte über die Mutter, über die Menschen und ihre Beziehungen. Es gibt einen großen Teil von Menschen, die denken nur an Geld. Es ist für mich ein großes Problem, wenn man immer damit beschäftigt ist. Wenn anstelle des Geldes die Liebe wäre, wäre unser Leben besser. Ich hasse zwei Sachen: Wenn jemand lügt und wenn jemand eine große Liebe für Geld hat. Ein Text handelt von solchen Themen. Sonst schreibe ich über die Schönheit und über Frauen.“ (Aufgezeichnet von Torsten Krug) Fotos: Julian Grueter, Theater am Engelsgarten
Frühstück am Victoriasee von Hermann Schulz
Meine afrikanischen Freunde, die pensionierten Priester Alex und Cyprian, schliefen noch in ihren Hotelzimmern; erst in der Nacht zuvor waren wir auf der Insel Ukerewe im Victoriasee angekommen. Sie würden mich in den nächsten Tagen zu verschiedenen Orten begleiten, die ich für mein neues Buch kennenlernen wollte („Lady Happy und der Zauberer“. Aladin-Verlag). Ich freute mich über den strahlenden Sonnentag, machte einen Spaziergang zum Hafen, freute mich zuzusehen, wie die ersten Verkaufsstände aufgebaut wurden, und über das Menschengewusel. Es war noch immer früh, vor acht Uhr, als ich in das Restaurant des Hotels ging. Noch war ich der einzige, vermutlich erste Gast. Sollte ich auf meine Gefährten warten? Wer weiß, wann die alten Herren ausgeschlafen hatten. Eine junge Frau fragte mich freundlich auf Englisch: „ Guten Morgen! Was möchten Sie, mein Herr?“ „Ich würde gern frühstücken!“ „Was möchten Sie denn frühstücken?“, fragte sie, während sie Schreibblock und Bleistift in der Hand hielt, um alles aufzuzeichnen. „Also“, begann ich, „zwei Scheiben Toast, Marmelade, ein bisschen Butter.“ „Was noch?“, fragte sie. „Rührei vielleicht?“ Sie nickte und notierte alles auf ihrem Block. „Dann hätte ich gerne Kaffee mit ein bisschen Milch!“, ergänzte ich meine Wünsche. „Coffee with milk. Kaffee mit Milch“, wiederholte sie freundlich. „Und wenn es geht, etwas Käse!“ Auch das notierte sie. „Vielleicht noch einen Orangensaft?“ Nein, Orangensaft wollte ich nicht. Dann verschwand sie in der Küche, von dort hörte ich fröhliches Lachen, aber Lachen ist nichts Ungewöhnliches in Afrika, Ausdruck
purer Lebensfreude und bei fast jeder Gelegenheit zu hören. Nach vielleicht 20 Minuten brachte das junge Mädchen mein Frühstück. Es bestand aus einer großen Tasse Tee, einem Maisfladen und einem gekochten Ei. Mit einem Knicks stellte sie es wortlos vor mich hin. Natürlich war ich verwundert und überlegte, ob ich reklamieren sollte. Aber ich beschloss, darüber mit meinen afrikanischen Freunden zu sprechen. Bald erschienen sie und ich erzählte ihnen von meiner Frühstücksbestellung und zeigte auf meinen Teller. Sie lachten und riefen das freundliche Mädchen an unseren Tisch. Sie sprachen ein paar Minuten mit ihr, natürlich in der Sprache der Insel Kikerewe, was ich leider nicht verstehen konnte. „Was hat sie gesagt?“, fragte ich neugierig, nachdem das Mädchen verschwunden war. „Lieber Freund, auf der ganzen Insel gibt es nur eine Sorte Frühstück: Tee, einen Maisfladen und ein gekochtes Ei. Dieses Mädchen war sehr neugierig und wollte endlich mal wissen, was sich so ein Europäer alles unter einem Frühstück vorstellt. Jetzt hat sie eine Vorstellung davon! Schmeckt es nicht?“ „Doch, hervorragend!“, antwortete ich und schlürfte den süßen Tee. Wieder einmal erstaunt über den wunderbaren Humor dieser Leute.
„Wir hatten den Willen, so weit wie
Foto: Karl-Heinz Krauskopf
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möglich zu gehen.“
Peter Brötzmann zum 75. Geburtstag
Fünfundsiebzig und kein bisschen leise – der Wuppertaler Jazzinnovator Peter Brötzmann ist immer noch weltweit auf Tourneen unterwegs.
Foto: Helmut Steidler
Cafe Ada, Freitag, 4. März 2016. Punkt 20 h betreten Peter Brötzmann und seine drei Begleiter auf Einladung des Vereins Jazz AGe e.V. die Bühne, um ein gut eineinhalbstündiges furioses Konzert zu beginnen: Als Auftakt einer kurzen Europa-Tournee, die die Band tags darauf zum FinissageFestival der großartigen Jazzausstellung „I got Rhythm“ nach Stuttgart und danach nach Polen führt. In Warschau traf und spielte er an seinem 75. Geburtstag mit seinen alten Mitstreitern aus vergangenen Tagen: Alexander von Schlippenbach, Toshinori Kondo und Han Bennink. Beim Wuppertaler Konzert mit dabei waren aus Großbritannien der Schlagzeuger Steve Noble und John Edwards am Bass sowie der tags zuvor aus Chicago angereiste amerikanische Vibraphonist Jason Adasiewicz. „Das Konzert im Café Ada besteht aus einem Set, es beginnt mit einem fanfarenhaften Aufschrei des Tenorsaxophons, das Quartett geht gleich vom Start weg in die Vollen: Eine schnelle, hochenergetische Reise beginnt, von der Rhythmus-Sektion getragen. Jason Adasiewicz erzeugt mit seinem Vibraphon eine verstörende Gegenwelt zu dem Sax-Gewitter. Nach drei Minuten erfolgt eine erste angedeutete Verschnaufpause von dem Powereinstieg, das Trio macht zunächst ohne Brötzmann weiter, bis dieser wieder einsteigt und munter zum vorwärtstreibenden Rhythmus von Drums, Kontrabass und einem Klangräume setzenden Vibraphon Tonkaskaden freilässt“, beschreibt Heinrich Brinkmöller-Becker den Wuppertaler Konzertauftakt auf www.nrwjazz.net. Anders als erwartet, gibt es bei dem Auftritt des Quartetts auch immer wieder lyrische und ruhige Teile, in denen Brötzmann geradezu melodiöse Passagen beisteuert. Nachdem die Mitspieler ohne ihn agiert haben, steigt er mit dem Tarogato wieder mit furiosen Läufen ein. Danach der Wechsel zur sonoren Bassklarinette, auf der er die von ihm bekannten überblasenen Sequenzen beisteuert. Eine Zugabe von knapp einer Viertelstunde beendet das atemberaubende Konzert und macht deutlich, dass Peter Brötzmann auch im Alter von 75 Jahren noch eine unheimliche Power hat und nichts von seinem künstlerischen Sonderstatus verloren hat.
Wie alles begann Mit der Musik angefangen hat für Peter Brötzmann alles in Remscheid, wo er mitten im 2. Weltkrieg, am 6. März 1941, geboren wurde. Da zu Hause von morgens bis abends nur Beethoven, Brahms, Tschaikowski und die ganze europäische Klassik gehört wurde, wendete er sich als Reaktion darauf dem Jazz zu. An seinem Gymnasium organisierte er einen Jazzclub, wo nachmittags Platten gespielt und aus Joachim Ernst Behrendts Jazzbuch gelesen wurde. Wie viele Jugendliche hörte er nach 51
Mitternacht heimlich „The Voice of America“ mit Willis Connover. Nachdem im Schulorchester eine Klarinette frei wurde, fing er an, Klarinette zu spielen. Zunächst zu Platten von Sidney Bechet, Louis Armstrong und George Lewis. Als aus England eine Dixieland-Revival-Welle über den Kanal schwappte, gründete er mit Gleichgesinnten Ende der 1950er-Jahre eine Dixieland-Band mit der damals typischen Besetzung mit Trompete, Posaune, Klarinette, Piano, Bass und Schlagzeug. Mit 18 zog er nach Wuppertal und begann an der Werkkunstschule ein Werbegrafikstudium. Aber auch seine musikalischen Interessen hatten sich weiterentwickelt und er hörte Charlie Parker und Charlie Mingus und die ersten Platten von John Coltrane und Ornette Coleman, die sich auch auf seine musikalischen Aktivitäten und Ideen auswirkten, die er in diese Richtung weiterentwickelte.
Die neue Freiheit Anfang der 60er-Jahre hat E. Dieter Fränzel Brötzmann mit dem Schwelmer Schlagzeuger Dietrich Rauschtenberger zusammengebracht und 1961 spielten die beiden zunächst im Duo und dann mit dem Bassisten Bernd Hannemann erste öffentliche Auftritte in einer Arbeiterkneipe in Wichlinghausen. Manchmal war Basil Abbas Hammoudi mit dabei, ein Iraki aus Bagdad, der Bongos spielte und später bei den ersten Aufnahmen der Düsseldorfer Band „Kraftwerk“ mitwirkte. Nach Hannemann kam Peter Kowald als Bassist, „ein wahrer Glücksfall“, wie Peter Brötzmann in einem Interview am 6. Juni 2004 sagte, das E. Dieter Fränzel und Dietrich Rauschtenberger für das Wuppertaler Jazzbuch „sounds like whoopataal“ mit ihm führten. Kowald, der vorher Tuba spielte, hatte gerade erst mit dem Bassspiel begonnen. Die drei begannen, intensiv mehrmals die Woche im Jazzkeller an der Adersstraße in Elberfeld zu proben und neue, unerhörte Sounds auszuloten. Schon früh zog es Brötzmann auch nach Holland, wo er Kontakte zu Kollegen wie Willem Breuker, Han Bennink, Misha Mengelberg und dem Belgier Fred van Hove knüpfte. In Brüssel lernte er Sven Åke Johansson kennen. Mit ihm und Peter Kowald hat er dann 1967 die erste Platte „For Adolphe Sax“ im Eigenverlag aufgenommen, selbst finanziert und selbst über den Postversand verkauft.
Fluxus und Nam June Paik Neben seiner Karriere als Musiker arbeitete Brötzmann auch als Maler, Grafiker, Designer und Objektkünstler und hatte Ausstellungen in Deutschland (u. a. Akademie der Künste Berlin 1979 mit Han Bennink), Schweden, den USA (u. a. Chicago), Österreich, den Niederlanden, Australien und letztmalig 2011 in 52
der Galerie Epikur in Wuppertal. Anfang der 1960er-Jahre war er Assistent von Nam June Paik bei dessen frühen Installationen. Er nahm an Fluxus-Aktionen, u.a. in der Galerie Parnass in Wuppertal und Amsterdam, teil. Peter Brötzmann hat zwar nicht Malerei studiert, aber bei seinem Studium an der Werkkunstschule hat er sich auch intensiv mit der Malerei beschäftigt und malt bis heute sehr eigenständige, beeindruckende, meist tiefgründige, dunkle Bilder. Rückblickend erkannte er, dass die vor allem bei der Zusammenarbeit mit Nam June Paik gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zwar nichts direkt mit seiner Musik zu tun hatten, aber trotzdem einer seiner größten Einflüsse überhaupt gewesen sind und ihm die Augen für Neues, auch in der Musik, zum Beispiel den Zugang zu John Cage und Karlheinz Stockhausen, geöffnet haben. Da er schon sehr früh eine Familie mit zwei Kindern hatte, musste er sich nach seinem Studium auch als freiberuflicher Werbegrafiker durchschlagen, denn mit seiner völlig neuen Jazzspielart hielten sich die Auftritte und Einnahmen in Grenzen. Als 1964 Charles Mingus auf Einladung der Zeitkunstgesellschaft, die von E. Dieter Fränzel und Ingrid Schuh initiiert wurde, in der Wuppertaler Stadthalle auftrat, gestaltete Peter Brötzmann zusammen mit Arndt Sebastian das Plakat.
Foto: Karl-Heinz Krauskopf
Der musikalische Durchbruch Für Peter Brötzmann wurde 1966 das Deutsche Jazz Festival in Frankfurt der Durchbruch für seine Laufbahn als Berufsmusiker. Zum ersten Mal stand Free Jazz auf dem Programm des Festivals und Peter Brötzmann konnte vor einem großen Auditorium agieren. Niemals zuvor hatten so viele Musiker und Kritiker von ihm Kenntnis genommen. Ein halbes Jahr zuvor hatte Ornette Coleman einen von Jubel und Entrüstung begleiteten Auftritt bei den Berliner Jazztagen erlebt. „Der deutsche Jazz besitzt sogar einen Mann, der weiter geht als das amerikanische Vorbild“, schrieb Franz Joseph Küsters in den Jazz-Nachrichten. „Er heißt Peter Brötzmann und spielt Saxophon (Alt und Bariton). Nein, er spielt nicht, er spricht, schreit, schimpft, röhrt, tobt markerschütternd – bis er plötzlich verzagt und klagt, blökt, jammert, winselt. Er legt seine Seele bloß, schonungslos, wie ein Kokoschka den von ihm Porträtierten unter die Haut blickte. Brötzmann meint es ehrlich, und trotzdem will sich beim Hörer keine Begeisterung einstellen. Statt dessen Bestürzung über diese potthässliche Musik.“ So eine der heftigen Reaktionen und Irritationen, die der Auftritt von Brötzmann beim Frankfurter Festival 1966 ausgelöst hatte. Eine anschließende von E. Dieter Fränzel organisierte Tournee mit Carla Bley, Mike Mantler und Aldo Romano war rückblickend eher ein Fiasko, da Carla Bley mit den jungen, wilden, ungewöhnlichen deutschen Musikern nicht zurechtkam. Eine kleine Wiederbegegnung gab es dann bei der 2015er Auflage des Frankfurter Jazzfestival, wo Brötzmann versöhnlich mit Michael Mantler und dem Orchester des Hessischen Rundfunks zusammenspielte. Gemeinsam mit Alexander von Schlippenbach gründete er das Globe Unity Orchestra, das 1966 einen spektakulären Auftritt bei den Berliner Jazztagen hatte. Zwei Jahre später war Brötzmann schon anerkannt. Anlässlich eines Auftritts bei den Internationalen Essener Songtagen 1968, wo er mit seiner Band neben Gruppen wie den „Fugs“, „Tangerine Dream“ und „Frank Zappa and the Mothers of Invention“ auftrat, schrieb Manfred Sack in der Wochenzeitung DIE ZEIT über Peter Brötzmann: „Dieser spröde, grobe, wilde, laute Jazz fasziniert, weil er mit musikalischem Formenund Klangsinn produziert wird. Unser schönes Kulturgut
Foto: Karl-Heinz Krauskopf
wird gleichsam erst in Stücke gerissen, ehe mit den Fetzen etwas Neues und ziemlich Wildes gemacht wird.“ Seine 1968 mit einem Oktett eingespielte Schallplatte „Machine Gun“ gilt als eines der provozierendsten Werke der modernen Jazzgeschichte Europas. Hier gab es viele positive Reaktionen und die Kritiker stellten fest, dass von allen Jazzinnovatoren Brötzmann derjenige ist, der am radikalsten mit allen Traditionen gebrochen hat und eine neue, eigenständige Spielweise entwickelt hat. Der Musikwissenschaftler, Autor und Musiker Ekkehard Jost bewertet die Aufnahme als „die erste deutsche, wahrscheinlich sogar erste europäische Jazzplatte, die konsequent einem Konzept der totalen Improvisation folgte. Sie war in jener Zeit zugleich diejenige, die am bedingungslosesten dem Prinzip des Energiespiels verpflichtet war.“ Auch das Politmagazin DER SPIEGEL nahm sich „Machine Gun“ vor und stellte 1968 fest, dass „der Jazzanarchist Peter Brötzmann aus Wuppertal-Barmen die destruktive Akustik aus dem Bremer Untergrund (Anmerkung: Dort wurde die Platte in der „Lila Eule“ eingespielt.) neuerdings auch per Langspielplatte ins Haus liefert“. Das Musikmagazin Rolling Stone hat Brötzmanns „Machine Gun“ -LP von 1968 im Jahr 2010 als einziges deutsches Jazzalbum zu den 100 besten Musikalben erklärt. Da die etablierten Plattenfirmen seine Musik nicht veröffentlichen wollten, hat er mit Peter Kowald und Jost Gebers das Label FMP (Free Music Production) gegründet, um die Produktionsmittel und die Bedingungen selbst bestimmen zu können. Die Zusammenarbeit und Platteneinspielungen mit Komponisten der Neuen Musik wie Krzysztof Penderecki und Hans-Joachim Hespos fand er wiederum nicht sehr ergiebig, ja eher fragwürdig, ein Missverständnis und „Blödsinn“. Lediglich die Arbeit mit Mauricio Kagel für eine Hörspielmusik, zusammen mit dem Schlagzeuger Christoph Caskel im Jahr 1969, empfand Brötzmann als angenehm. 53
Vielfältige Aktivitäten, Bands und Auszeichnungen Seit Ende der 1960er arbeitete Peter Brötzmann mehrere Jahre im Trio mit Fred van Hove und Han Bennink und veröffentlichte eine Vielzahl von Langspielplatten. In der Zusammenarbeit mit Harry Miller und Louis Moholo trat „rhythmische Energie als zentrales Antriebsmoment“ in den Vordergrund. Seit Beginn der 1980er-Jahre war er regelmäßig in den USA und Japan präsent, in wechselnden Duos, Trios und größeren Besetzungen. 1986 wurde er neben Sonny Sharrock und Ronald Shannon Jackson Mitglied von Bill Laswells Jazznoisegruppe „Last Exit“, mit der er mehrere Alben einspielte. Seit dieser Zeit erreichte Brötzmann große Popularität in den USA. Eine seiner erfolgreichsten und langlebigsten Bands war das grandiose „Chicago Tentet“, mit dem er zehn Jahre durch die ganze Welt tourte und 2009 und 2011 auch im Cafe Ada in Wuppertal zu erleben war. Am 17. April 1971 wurde Peter Brötzmann mit dem Von der Heydt-Förderpreis und am 23. Januar 2006 mit dem Von der Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal ausgezeichnet. „Wir hatten den Willen, so weit wie möglich zu gehen“, sagte Peter Brötzmann in dem bereits oben zitierten Interview mit E. Dieter Fränzel und Dietrich Rauschtenberger am 16. Juni 2004, das auch eine wichtige Informationsgrundlage für diesen Artikel war. 2001 erhielt Peter Brötzmann zudem den nach dem Posaunisten Albert Mangelsdorff benannten, von der GEMA-Stiftung vergebenen und mit 15 000 Euro dotierten Deutschen Jazzpreis. Brötzmanns häufig frenetisch überblasenes, hochenergetisches Saxophonspiel hat Zuhörer und Kritiker von Anfang an polarisiert: von euphorischer Begeisterung bis zu radikaler Ablehnung. Der Vorwurf, der Free Jazz und insbesondere das Spiel Peter Brötzmanns seien „chaotisch“, gehört bis heute zu den Stereotypen der Kritik, die häufig nicht nur ästhetisch, sondern auch ideologisch motiviert war und ist. Während seiner Karriere hat er mit allen wichtigen Musikerinnen und Musikern des freien Jazz gespielt und weit über 100 Schallplatten und CDs veröffentlicht. Peter Brötzmanns Spiel hat sich im Laufe der Jahre gewandelt; viele, auch sanfte, zuweilen melancholische Zwischentöne sind dazugekommen. Doch künstlerische Kompromisslosigkeit, Radikalität und innere Freiheit sind die unverwechselbaren Konstanten seines Spiels. Brötzmann ist sich selbst – ungeachtet aller Achterbahnfahrten des Zeitgeistes und musikalischer Moden – treu geblieben und man erkennt ihn bei allen Aufnahmen schon nach wenigen Takten bzw. spätestens, wenn er als Bläser ins Geschehen eingreift: Sein kraftvolles Spiel ist einfach einzigartig.
Brötzmanns „Machine Gun“-LP von 1968 überzeugte auch 2010 noch die Fachkritiker des renommierten „Rolling Stone“Musikmagazins und sie wählten sie als einzige deutsche Produktion in die Top 100 auf Platz 17.
Rainer Widmann 54 Foto: Karl-Heinz Krauskopf
55 Foto: Thorsten Leiendecker
Foto: Karl-Heinz Krauskopf
Orgelopenair Ein Internationales Festival am 28. Mai 2016 von 15 bis 21 Uhr im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal
Barbara Dennerlein gilt als eine der besten Jazzmu-
Klassik und Jazz. Frank Chasternier ist Pianist der WDR Big Band und darüber hinaus als Solopianist und Organist jemand, der international Anerkennung genießt. Beim Orgelopenair tritt er gemeinsam mit Karolina Strassmayer (Saxofon), Drori Mondlak (Drums) und Thomas Stabenow (Kontrabass) auf. Iveta Apkalna ist berühmt für ihre Inszenierungen, mit denen sie sich und die Orgel ins Rampenlicht schiebt; ihr virtuoses Spiel hat sie unangefochten zum Star aufsteigen lassen. Matthias Nagel sucht als Organist neue Wege zur populären Kirchenmusik und tritt in immer neuen Formationen auf, in Wuppertal mit dem niederländischen Schlagzeuger Peter Weissink. Jens-Peter Enk und Wolfgang Kläsener sind Meister der Pfeifenorgel und verhelfen klassischen Orgelklängen in die Natur.
sikerinnen der Welt. Mit ihrer meisterhaften Beherrschung des Pedalspiels schöpft sie die immensen Klangmöglichkeiten der Orgel aus und verwirklicht die Symbiose von
(Weitere Mitwirkende werden rechtzeitig bekannt gegeben; s. http://www.orgel-open-air.de/)
Das ORGELOPENAIR im Skulpturenpark Waldfrieden wird ein Gipfeltreffen international renommierter Musiker, die sich zwischen Klassik, Jazz, Weltmusik und musikalischen Experimenten bewegen. Damit bricht das Festival mit allen Erwartungen und Klischees: Die Orgel, die Königin aller Instrumente, bleibt nicht hinter Kirchenmauern, sondern spielt in und mit der Natur. Die Weite des Parks korrespondiert mit der Weite der Musik. Neben den klassischen Orgelklängen von Johann Sebastian Bach bis Camille Saint-Saëns erklingt die alte Hammond B3 auf höchstem künstlerischen Niveau solistisch oder im Quartett. ORGELOPENAIR verspricht sechs unvergessliche Stunden in frühsommerlicher Natur.
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Das Festival und die Künstlerinnen und Künstler unterstützen mit ihrem Auftritt das Projekt des Hilfswerks „Brot für die Welt“ Gitarren statt Gewehre für ehemalige Kindersoldaten im Kongo. ORGELOPENAIR ist eine Veranstaltung von Brot für die Welt, der Evangelischen Kirche im Rheinland zum ökumenischen Themenjahr „Weite wirkt“, der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) und dem Skulpturenpark Waldfrieden/Cragg Foundation.
Bei dauerhaftem Regenwetter wird das Konzert ins Kulturzentrum Immanuelskirche, Wuppertal, verlegt. Eintritt: 10 € (normaler Eintritt in den Skulpturenpark) Ausführliches Programmheft: 5,- Schutzgebühr (Beim Orgelopenair ist keine Reservierung im Vorverkauf erforderlich.) Skulpturenpark Waldfrieden Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal www.skulpturenpark-waldfrieden.de
Gedanken „warum und wozu“ von Erhard Ufermann Alles wirkliche Leben ist Begegnung, schrieb mal der Philosoph Martin Buber.
Tony Cragg, Versus, Bronze, 2012, Foto: Michael Richter, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
„Begegnung“ meint aber nicht das alltägliche Treffen in der Komfortzone, sondern die Herausforderung durch etwas, das mir zuerst einmal fremd ist. Auf diese Weise bekommt Kunst eine Chance. So wird Leben wirklich. Wenn ich als Musiker oder Veranstalter Konzerte oder Kulturereignisse organisiere, so reizt mich die Grenzüberschreitung von Kulturen, „KunstArten“ und Milieus. Ich finde es langweilig, Erwartungen zu bedienen. Ich hasse Klischees. Das Verbleiben in jeweils bekannten Genres und „Räumen“ führt immer nur zu einer Begegnung mit
Gleichgesinnten. Egal, ob im Bereich der Klassik, im Jazz, Rock oder Pop. So rechnet man in der Natur nicht mit Orgelmusik. Klassik trifft Jazz und Experiment. Wer international renommierte Musikerinnen und Musiker hören möchte, erwartet keine bildende Kunst. Und wer die Ausstellung von Henry Moore sehen will, findet Livemusik. Im wunderschönen Skulpturenpark Tony Craggs sind solche Begegnungen am 28. Mai 2016 möglich. Das Festival und die Künstlerinnen und Künstler unterstützen mit ihrem Auftritt das Projekt des Hilfswerks „Brot für die Welt“ für ehemalige Kindersoldaten im Kongo: „Gitarren statt Gewehre“.
VON DER HEYDT-MUSEUM WUPPERTAL
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KLANGART im Skulpturenpark Sommer 2016 Natacha Atlas, Esperanza Spalding, Stanley Clarke und viele mehr zu Gast im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden. Auch 2016 bietet die Konzertreihe KLANGART wieder viele musikalische Überraschungen für neugierige Musikfreunde, die den gewundenen Weg vorbei an Tony Craggs Skulpturen zum Skulpturenpark Waldfrieden aufgestiegen sind. Ungeahnte Klänge, erstaunliche Gesänge, faszinierende Rhythmen, die sich kontrastreich in die naturgegebene Stimmung des Skulpturenparks einfügen, öffnen die Sinne des aufmerksamen Zuhörers.
Am Sonntag, den 5. Juni ist dann Natacha Atlas zu erleben. Als neugierige Wanderin zwischen westlichen und östlichen Musikwelten hat sich die Sängerin seit den frühen 90ern einen Namen gemacht. Gemeinsam mit dem ebenso crosskulturell orientierten französisch-libanesischen Jazz-Superstar Ibrahim Maalouf hat sie ihr erstes Jazzalbum aufgenommen: „Myriad Road“ verschmilzt Jazz und arabischen Gesang auf zuvor ungekannte Weise.
Markenzeichen mit Strahlkraft Die von der Cragg Foundation veranstaltete Konzertreihe KLANGART ist zu einem kulturellen Markenzeichen geworden, das weit über die Region Wuppertal hinausstrahlt und beim Publikum wie bei den Künstlern gleichermaßen Beachtung und Anerkennung findet. Zum achten Mal folgen Künstler aus aller Welt der Einladung, sich von der ganz eigenen Atmosphäre des Ortes inspirieren zu lassen. Neben deutschen Protagonisten der Improvisationsmusik sind Musikerinnen und Musiker aus der Schweiz, England, Belgien und Frankreich, aus den USA, aus Gambia, Ägypten und der Mongolei im Sommer 2016 zu Gast in Tony Craggs Skulpturenpark. Hierzulande noch weniger bekannte Entdeckungen wie Sona Jobarteh sind ebenso Bestandteil des vielfältigen Programms wie weltbekannte Größen, etwa Natacha Atlas, Esperanza Spalding und Stanley Clarke.
Frische Musik in frischer Luft Die Reihe startet am Samstag, den 4. Juni mit Nik Bärtschs RONIN. Die „Ritual Groove Music“ des Zen-Funk-Quartetts um den Zürcher Komponisten und Pianisten Nik Bärtsch folgt einer strengen, selbst erschaffenen Ästhetik. Elemente von Funk und Jazz über neue Klassik bis hin zu japanischer Samurai-Ritualmusik verschmelzen zu etwas unerhört Neuem.
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Ein nachmittägliches Wandelkonzert lädt am Samstag, den 11. Juni zu einem besonderen Erlebnis aus Musik, Kunst und Natur ein. Die Wuppertaler Musikerinnen Ute Völker und Gunda Gottschalk haben die Urtiin-Duu-Sängerin Badamkhorol „Baadma“ Samdandamba und ihre beiden Schwestern aus der Mongolei eingeladen. Musizierend und singend wird das deutsch-mongolesische Quintett durch den Park wandeln und „Von Gräsern und Wolken“ erzählen.
Am Samstag, den 16. Juli begrüßt KLANGART mit Esperanza Spalding einen absoluten Jazz-Superstar. Die 31-jährige Bassistin, Komponistin und Sängerin hat sich mit ihrem Projekt „Emily’s D+Evolution“ neu erfunden. Von allen vermeintlichen Zwängen befreit, zelebriert Esperanza „Emily“ Spalding kosmischen Soul wie von einer anderen Welt – energiegeladen und voller Leben.
Eine wahrhaftige Jazzlegende ist am Sonntag, den 17. Juli zu Gast: Als Mitgründer der Supergroup Return to Forever gehört Stanley Clarke zu den Pionieren der Fusion-Musik. Er ist der erste Bassist, der am akustischen und elektrischen Bass gleichermaßen brilliert – und der als Jazz-Solokünstler weltweit Hallen füllt oder auch schon mal einen Skulpturenpark.
Für Sonntag, den 14. August kündigt der aus dem Allgäu stammende Bandleader Matthias Schriefl mit der siebenköpfigen Formation Six, Alps & Jazz ein „sinfonisches Alphornglühen“ an. Auf die Bühne bringen die Multiinstrumentalisten mehr als 30 verschiedene Holz- und Blechblasinstrumente mit – und beweisen spielerisch, dass Volksmusik auch Jazz und Jazz auch Volksmusik ist.
Zum Abschluss findet am Sonntag, den 18. September nachmittags ein weiteres Wandelkonzert statt – die Besetzung wird noch bekannt gegeben.
Kunstgenuss vor dem Konzert Im Eintritt aller Sona Jobarteh, die erste Kora-Virtuosin aus einer der fünf großen Griot-Familien Westafrikas, kommt am Samstag, den 13. August nach Wuppertal. Im Melting Pot London geboren und aufgewachsen, bringt die Multiinstrumentalistin, Sängerin und Komponistin ganz neue und eigene Akzente in die traditionelle Musik der Griots, der westafrikanischen Geschichtenerzähler.
Konzerte ist der Besuch des Skulpturenparks Waldfrieden enthalten. Die Besucher sind eingeladen, vor den Konzerten einen Spaziergang durch den weitläufigen Park zu unternehmen, wo unter vielfältigem Baumbestand und auf Lichtungen Kunstwerke von Tony Cragg und anderen bedeutenden Künstlern zu finden sind. Bis 9. Oktober 2016 sind in der Ausstellung „Plasters“ zudem Gipsskulpturen von Henry Moore zu bewundern. Aufgrund der Empfindlichkeit des Materials ist dieser Teil von Henry Moores Œuvre bisher kaum außerhalb Großbritanniens ausgestellt worden. Daher sind viele der Werke, die der Skulpturenpark nun mit Unterstützung der Henry Moore Foundation zeigt, erstmals in Deutschland zu sehen. 59
E. Dieter Fränzel, Foto: Helmut Steidler
Abenteuer im Wald und Klänge im Park
„Der Wald schaut und hört gespannt zu.“ Ein Traum ging in Erfüllung, als mir Tony Cragg die Gelegenheit bot, im Skulpturenpark Waldfrieden ein Musikprogramm zu inszenieren. Ein Glücksfall, denn damit schließt sich ein Kreis auf meinem Lebensweg. Einen Teil meiner Kindheit habe ich auf dem Gelände des heutigen Parks verbracht. Zu Zeiten, als dort noch der Wald uns Kinder zum Indianerspiel und dem Bau von Baumbuden verlockte, war das Gelände für uns ein großer Abenteuerspielplatz. Selbst als die Villa Waldfrieden vom Fabrikanten Dr. Kurt Herberts errichtet wurde, war die Baustelle mit den Baufahrzeugen und dem Wasserbecken nebenan ein verlockender Ort für uns Kinder der Nachkriegszeit. Der Zaun, der nun plötzlich „unseren Wald“ abschirmte, hinderte uns nicht, zumindest am Wochenende, wenn die Bauarbeiter abgezogen waren, uns diesen Flecken, der uns magisch anzog, zu erobern. 60
In der Nachbarschaft, kaum hundert Meter Luftlinie von der Fabrikantenvilla entfernt, steht mein Vaterhaus, in einer Reihe von Schieferhäusern, die um 1910 von der Barmer Baugesellschaft für Arbeiterwohnungen errichtet wurden. Die von Dr. Kurt Herberts bis zu seinem Tod geleitete Lackfabrik befindet sich in Sichtweite, darüber liegen am Berghang der landschaftlich schön gelegene Unterbarmer Friedhof und die Kleingartensiedlung Waldfrieden. Diese Umgebung bildete schon in der Kriegszeit den Erfahrungsraum meiner Kindheit, den ich in der Jugend mit intensiven Erlebnissen in den Nachkriegsjahren ausweiten konnte. In dieser Zeit hatte ich mehr oder weniger durch Zufall die ersten Hörerlebnisse mit Jazzmusik, zunächst über ausländische Radiosender, später durch Konzertgastspiele im damaligen Fita-Palast und im Thalia Theater. So wuchs meine Faszination für diese zunächst unerhörten Klänge und Rhythmen, meine Beschäftigung mit Jazz. Für mich der Einstieg in die unendliche Welt der Musik.
Als ich Jahre später im September 2008 mit großer Neugier das erste Mal auf einem Spaziergang durch den Skulpturenpark die besondere Atmosphäre auf mich wirken ließ, kam mir eine Vision. In meiner Vorstellung dachte ich an Klänge, die im Einklang mit der Natur und in Bezug zu den skulpturalen Formen und Gebilden den Sinneserfahrungen einen hörbaren Akzent hinzufügen. Meine Idee von einer Musikreihe im Park fand bei Tony Cragg sogleich Zustimmung, ein Titel war schnell gefunden: KLANGART. Seitdem hat die Musik im Spektrum der Ereignisse im Skulpturenpark einen festen Platz eingenommen. Tony Cragg hat die Grundlagen von Kunstschaffen und Musikmachen so beschrieben: „Man benutzt zwar
ganz unterschiedliche Techniken, um aus Material, seiner Masse und seinen Resonanzen neue Formen zu entwickeln, aber das Abenteuer bleibt dasselbe. Materialien neue Bedeutung geben – und der Wald schaut und hört gespannt zu.“
Nun bereits im achten Jahr bietet die Konzertreihe über stilistische Grenzen hinweg eine Vielfalt von Klängen und musikalischen Formationen. In diesem Jahr finden die KLANGART-Konzerte ausschließlich open air in der Sommerzeit ab Anfang Juni statt und bieten so außerdem die Gelegenheit, vorher die bemerkenswerte Ausstellung der Skulpturen von Henry Moore zu besuchen. Für die künstlerische Leitung von KLANGART ist für mich als Begründer und Ideengeber die Zeit gekommen für einen Generationenwechsel. Der in Wuppertal bekannte Musiker und Kulturmanager Maik Ollhoff (34) ist bereits als Assistent bei der Veranstaltungsorganisation im Skulpturenpark eingeführt und wird nun die künstlerische Leitung für das Programm übernehmen. Somit kann er die Zukunftsperspektive von KLANGART im Skulpturenpark weiterentwickeln, mit neuen Akzenten und im bewährten Format. Dabei werde ich ihm beratend zur Seite stehen. Mit der Aussicht, dass die Konzerte im Park, die es ohne die großzügige Unterstützung von Tony Cragg und seiner Foundation nicht geben würde, dauerhaft einen Platz im Wuppertaler Kulturleben finden, freue ich mich auf weitere künstlerische Ereignisse und musikalische Begegnungen an einem Ort, an dem sich Kunst und Natur auf magische Weise miteinander verbinden.
IM SKULPTURENPARK WALDFRIEDEN, WUPPERTAL KUNST. MUSIK. NATUR. PROGRAMM 2016
SAMSTAG 4. JUNI NIK BÄRTSCH´S RONIN SONNTAG 5. JUNI NATACHA ATLAS SAMSTAG 11. JUNI VON GRÄSERN UND WOLKEN SAMSTAG 16. JULI ESPERANZA SPALDING SONNTAG 17. JULI STANLEY CLARKE BAND SAMSTAG 13. AUGUST SONA JOBARTEH SONNTAG 14. AUGUST MATTHIAS SCHRIEFL SIX, ALPS & JAZZ
E. Dieter Fränzel Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal · 0202 47898120 www.skulpturenpark-waldfrieden.de
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2 x 2 x 1,3 Meter, viel Edelstahl und Plexiglas:
Ambulanter Kaffee in New York 62
Die Vorschriften des New Yorker Ordnungsamts liegen verdammt nah an der Pingeligkeit: Nicht länger und höher als sechs Fuß und sechs Inches, nicht breiter als vier Fuß und drei Inches, alle Protuberanzen eingeschlossen, dürfen die Außenmaße der mehr als 3 500 mobilen Verkaufsstände für Obst, Speisen und Getränke sein. Sie dürfen auch etwas kleiner ausfallen, dann, wenn sie nicht als bemannte Wagen ausgelegt sind, sondern als „pushcarts”, sprich von Hand bewegte Verkaufstische für Obst, Hotdogs, Salzbrezeln, Speiseeis und Limonaden. Soll allerdings Rührei gerührt, Gyros vom Drehspieß geschält oder guter Bohnenkaffee in Pappbecher verfüllt werden, dann muss schon jemand hinter einem überdachten Tresen stehen. Dieser überdachte Tresen hat dann Wände aus Edelstahl und Plexiglas, eine Achse mit zwei Rädern, eine Deichsel zum Einhängen in eine Anhängerkupplung und vor allem ein kleines Fensterchen mit der gesundheitsamtlichen Genehmigung des Geschäfts. Ohne ein gültiges Zertifikat des Department of Health angetroffen zu werden, ist bei einer Strafe von 1 000 Dollar existenzbedrohend, weil mehr als doppelt so teuer wie die durchschnittliche Jahressumme der Strafmandate für Kleinigkeiten, etwa zu große Entfernung vom Bordstein, zu dichtes Stehen an Eingängen zu Bürohochhäusern oder der Verzicht auf die Ausgabe von Kassenbons.
Hotdogs, Pretzels und Knishes: Straßenverkauf mit einem Pushcart am Rockefeller Center
Ein paar Hundert Dollar für die Besänftigung der Bürokratie sind Teil der Betriebskostenkalkulation von Fahim Saleh, der seit ein paar Jahren seine Kaffeebude in der Wall Street betreibt, Werktags von 6:30 bis 11:00 oder vielleicht 11:30 Uhr, je nach Wetter und Geschäftslage. Sein Werktag beginnt allerdings schon wesentlich früher. Um 2:30 Uhr geht der Wecker in Parsippany auf der anderen Seite des Hudsons in New Jersey. 15 Minuten später sitzt Fahim in seinem Wagen und ist auf dem Weg über die Bronx nach Long Island City in Queens zu United Wholesale & Trading, wo der Coffee Cart an die Anhängerkupplung kommt, die Backwaren in die Auslage und der Kaffee in die Kannen. Über die Queensboro Bridge geht es dann nach Manhattan und wenn alles gut läuft, steht er um 5:30 Uhr an seinem Platz in der Wall Street und hat bis 6 Uhr alles für die erste Rushhour vorbereitet. Ab 6:30 Uhr kommen die Kunden, im ersten Schwung von Büroangestellten, auf dem Weg von der U-Bahn zur Arbeit. Sie brauchen jetzt dringend einen Kaffee samt bebuttertem Bagel oder Doughnut. 63
Aufnahme mit versteckter Kamera: Betreiber von Mutterschiffen mobiler Verkaufsstände mögen keine Presse.
An Kaffebuden wie der von Fahim bekommen Büro- und Bauarbeiter, Schüler, Studierende und selbst Touristen ihr Frühstück rasch und günstig. Bei Starbucks wäre es knapp dreimal teurer und wohl fünfmal so zeitaufwändig. Um 9 Uhr ebbt das Geschäft dann rapide ab, um gegen 10:30 Uhr noch einmal den zweiten Schub des zweiten Kaffees zu erleben. Etwa zweieinhalb Dollar je Kunde, drei Kunden die Minute in den Stoßzeiten und relativ hohe Umsatzrenditen bei den Waren, vor allem beim Kaffee, lassen auf den ersten Blick ein sehr gutes Geschäft vermuten. Dieser Schein trügt, aber immerhin kommt Fahim über die Runden, kann eine Familie ernähren und ist sein eigener Herr. Er war 1980 aus Afghanistan nach New York gekommen und war in seinen ersten Jahren in der Stadt bis zum Geschäftsführer eines kleinen Delis in Downtown Manhattan aufgestiegen. Auf dem Weg zur Arbeit hatte er sich mit dem griechischen Betreiber eines Coffee Carts angefreundet, obwohl Afghanen statt Bagels oder Doughnuts lieber flache Brote essen und für Tee jeden Kaffee stehen lassen. Er trank dennoch den einen oder anderen Kaffee bei seinem neuen Freund, vor allem weil er mehr über die Selbstständigkeit als Kaffeeverkäufer und den Weg dorthin lernen wollte. Er fand bald – seiner Einschätzung nach als erster Afghane in New York überhaupt – seinen Einstieg in das bis in die 1990er-Jahre noch von griechischen Einwan64
derern dominierte Geschäft mit ambulantem Kaffee. Für 600 Dollar kaufte er einen ausrangierten Karren, steckte noch mal so viel Geld in die Renovierung, besorgte sich die notwendigen Papiere und suchte sich einen Erfolg versprechenden Platz in der Stadt. Die Zahl der Lizenzen für mobile Verkaufsstände ist zwar seitens der Stadt auf 3 500 begrenzt und die allermeisten Aspekte des Geschäfts sind streng reglementiert, doch wo man innerhalb der legalen Beschränkungen seinen Verkaufswagen am besten hinstellen sollte, sagt einem niemand. Allenfalls bekommt man aus anderen als behördlichen Kanälen zu hören oder sonst wie mit, wo man sich besser nicht hinstellen sollte, etwa zu dicht bei der Konkurrenz. Da gibt es – wie in anderen Branchen auch – Platzhirsche und in den allermeisten Fällen Platzhirsche im Familienverbund. Fahim musste da durch einen Lernprozess gehen, denn je einträglicher die Lage, desto umstrittener. Die Platzhirsche sprachen in den Anfangsjahren von Fahims Selbstständigkeit noch weitestgehend griechisch untereinander und selten mit ihm. Da konnte es etwa passieren, dass bei der Erprobung eines neuen, vielversprechenden Standorts wie aus heiterem Himmel zahlreiche andere Buden rechts und links neben ihm Kaffee und Bagels zu Dumpingpreisen anboten oder die Heizspirale zur Temperierung des Kaffees war über Nacht in der von Griechen betriebenen Garage zu Schaden gekommen und der Kaffee entsprechend lau. Man ahnt
und Fahim verstand schnell: Gazellen trinken besser nicht gleich neben Löwen. In den ersten Jahren blieben unterm Strich manchmal nur 200 Dollar die Woche, doch nach und nach zahlten sich Lernerfolge aus und mittlerweile sind 800 oder gar 1 000 Dollar Wochenerlös keine Seltenheit mehr. Hinzu kommt, dass sich die Griechen so weit aus der Branche zurückgezogen haben, dass Betreiber von Kaffeebuden heute neben amerikanischem Englisch vor allem Paschtu und Dari sprechen, Afghanen also die Platzhirsche des Gewerbes geworden sind. Fahim ist auf diese Weise an seinem Standort an der Wall Street unangefochten, solange er morgens rechtzeitig vor Ort ist. Er mag die Gegend, weil hier in der Regel bis 11 Uhr das Geschäft gelaufen ist. Und seine Kunden mögen ihn, denn er hat ein gutes Gedächtnis für die Wünsche seiner zahlreichen „Regulars“. Kaffee mittlerer Größe, ein Schuss Kondensmilch, zwei Tüten Süßstoff der Marke Sweet ‘n Low, ein Rosinenbagel mit Butter und alles rein in die Tüte, zwei Dollar und 50 Cents. So was geht bei Fahim spätestens nach dem dritten Mal ohne viel Gerede. Ein freundliches Gesicht bekommt man von ihm gratis zu sehen, Kundendienst gewissermaßen, doch würde man ihm vermutlich Unrecht tun, deutete man das Lachen rein taktisch. Vor so einer Kaffebude stehend, fallen einem zum Beispiel die Widrigkeiten des Wetters schon aufgrund der schnellen Abfertigung nicht sonderlich auf. Wenn man allerdings fünf Stunden hinter dem Tresen eines Coffee Carts den Außentemperaturen ausgesetzt ist und sich zudem die Aussicht auf ein Mittagessen um Remittenten der eigenen Auslage dreht und wenn man sich überdies für den eventuellen Gang aufs Klo der Gutherzigkeit von Türstehern versichern muss, dann ist man mindestens mit dem ganzen Herzen bei der Sache und kennt keine falsche Freundlichkeit. Nach 11 Uhr wird dann wieder aufgesattelt, der Anhänger in Long Island City in der Garage abgestellt, kurz durchgefeudelt, und wenn der Straßenverkehr einigermaßen mitspielt, ist er um 17 Uhr zum Abendessen mit der Familie daheim in New Jersey. Über das Jahr kommen auf diese Weise um die 45 000 Dollar Bruttoeinkommen zusammen. In New Jersey, wo das durchschnittliche Jahreseinkommen von Familien bei 48 000 Dollar netto liegt, reicht das locker für den Sprung an den unteren Rand der Mittelschicht, bei Fahim freilich ohne Krankenversicherung und auskömmliche Altersversorgung. Mit am Tisch sitzen beim Abendessen zwei seiner Söhne, die sich ebenfalls mit Kaffeebuden selbstständig gemacht haben und so dafür sorgen werden, dass uns die Coffee Carts im Stadtbild wohl auch noch in den nächsten Jahren erhalten bleiben. Stefan Altevogt (Text), Karl-Heinz Krauskopf (Fotos)
Von Afghanistan an die Wall Street: Fahim Saleh kurz vor 11 Uhr in seinem Coffee Cart
Heißer Kaffee, Doughnut oder Bagel und ein freundliches Lächeln: Grundlagen des Erfolgs von Kaffeebuden in Manhattan
Fünftagewoche: Mobile Kaffeebuden sind Teil des Stadtbildes in Manhattan von montags bis freitags, hier an der Staten Island Ferry. Die zweite Unternehmer-Generation: Farid Saleh in seinem Coffee Cart
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Aleppo, © Günter Krings
Nature morte: Inszenierte Fotografien von Günter Krings im Atelierhaus Vok Dams
Günter Krings fotografiert nicht das wirkliche Leben, keine Straßenszenen. Er fotografiert auch keine Landschaften. Man sieht keine Reportagen. Man sieht Fundstücke, die auf Spanplatten mit bemaltem Putz arrangiert werden. Die Fundstücke stammen aus dem Müll, vom Trödelmarkt und erhalten durch ihr Einbringen in die Seelenlandschaft des Fotografen ihre neue Bedeutung. „Aleppo“ zeigt ein Metallteil, welches einer Bombe entsprechen könnte, vor rostbraunen zerfallenden Strukturen. Mit dem Titel wird sofort die beklagenswerte Situation der zerbombten syrischen Großstadt assoziiert. 66
Nature morte, übersetzt Stillleben, nennt Günter Krings diese Bilder im Katalog. Günter Krings wurde 1936 in Wuppertal geboren und kam 1960 zur Fotografie. Sein Freund Vok Dams zeigte ihm damals, wie Schwarz-Weiß-Fotos im Entwickler- und Fixierbad unter Schwenken von Schalen in der Dunkelkammer entstehen. Thematisch war der Hobbyfotograf zu Beginn nicht festgelegt. In den 70er-Jahren fotografierte er die damals junge Compagnie von Pina Bausch in ihren Anfängen. Aus diesen stimmungsvollen Aufnahmen entstand 1999 der erste großformatige Kalender über das Wuppertaler Tanztheater. Mehrfach gewann
zahlungskräftiges Publikum, das sich beim Anblick dieser Fotografien stattgehabter Genüsse erinnert und dem Dilemma zwischen Lebensfreude und Verfall ästhetisch nachspüren kann.
Relikte, © Günter Krings
er Preise für überraschende Fotos und wandte sich aber dann Mitte der 80er-Jahre seinen Stillleben, seiner inszenierten Fotografie zu, mit der er den Betrachter einfangen will. Während die alten, holländischen Stillleben um 1700 mit Geschirr, Gläsern, Früchten, Hummer usw. oft die Tafelfreuden ihrer Zeit zeigten und malerische Experimente ermöglichten, stellen die fotografierten Arrangements von Günter Krings die Schönheit des Verfalls dar. „Cui bono“: verrostete Schildchen mit der Aufschrift Caesium 137, Caesium 134, Strontium 89, Jod 131 in Verbindung mit rostigen Schrauben und Metallteilen bieten Anlass über Radioaktivität, über ihren Nutzen und ihre möglichen Folgen nachzudenken. Das Werk entstand nach dem Unfall von Tschernobyl. Der kirchenkritische Zyklus thematisiert, wie Kirche und Religion mit den Problemen der Welt umgehen. Mit seinen Fotografien stellt Krings Kontakt mit dem Betrachter her und beteiligt ihn an seinen Gedanken und Ideen, findet eine „Sprache der Dinge“, zeigt „Spuren der Erinnerung“ und „Gedankenbilder“, bei denen Ort und Zeit keine Rolle spielen. In Wuppertal stellten das Von der Heydt-Museum (1979 in der Barmer Kunsthalle) und auch die CBB-Galerie schon vor vielen Jahren seine Werke aus und nach Gesprächen mit dem interessierten Publikum, welches an ernsten Fotografien in der eleganten Wohnung weniger interessiert war, bezog er in seine Stillleben dann Flaschen kostbarster Weine mit ein, die bemalt, angeordnet und dann fotografiert wurden. Damit erreichte er bei zunehmendem Bekanntheitsgrad ein
Die Fotos entstehen unter Verwendung relativ einfacher Mittel. Sein Arbeitsraum entspricht keinem HightechFotoatelier. Günter Krings fotografiert seine Objekte und Installationen im diffusen Licht eines fest etablierten Scheinwerfers mit Mattscheibe. Zwei weitere, dem Gegenstand abgewandte Scheinwerfer erhellen den gesamten Raum. Am liebsten würde er seine Objekte bei Außenlicht aufnehmen. Die analog geschossenen Aufnahmen werden in einem Labor entwickelt, dann gescannt und in digitale Bilddateien umgewandelt. Farben, Licht und Formen seiner Fotografien resultieren weniger aus den fotografischen Bedingungen als aus dem Charakter der abgelichteten Objekte, die aber als Lichtbild über sich selbst hinauswachsen und ein charakteristisches Eigenleben im Betrachter entfalten. Eine Ausstellung der Objekte/Installationen ergäbe eine andere Wirklichkeit als die Ausstellung seiner Fotografien davon. Seine Fotografie ist insofern alter Malerei vergleichbar, die auch Modelle benutzte und nicht direkt aus dem Kopf heraus ohne Visualisierung arbeitete. Kürzlich wurde eine Ausstellung seines fotografischen Werks im Atelierhaus von Vok Dams eröffnet. Prof. Schmidt-Ospach, der ehemalige Leiter des Feuilletons der Wuppertaler Rundschau in den 60er-Jahren und spätere Vorsitzende der Filmstiftung NRW, erzählte bei der sehr gut besuchten Vernissage über den Wuppertaler Künstler und über die Kunstszene des Tals. Bis September 2016 ist die Ausstellung zu sehen (www.vokdamsatelierhaus.de/ inszenierte-fotografie-vernissage-am12-maerz-2016/). Johannes Vesper
Seine Fundstücke und Objekte im Regal, Foto: Dr. Johannes Vesper
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Peter Märker: Carl Philipp Fohr,
Beate Kemfert (Hg.):
696 S. mit 1058 üwg.
Hermann Goepfert,
kleinformatigen Abb.,
dt./engl., 288 S. mit
Leinen mit Schutz-
341 Abb., Leinen,
umschlag, 30 x 24 cm,
31,6 x 24,6 cm,
Hirmer, € 98,-
Hatje Cantz, € 49,80
Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch
Alles oder fast alles Seit einigen Jahren werden Kataloge (oder sprechen wir lieber von Büchern, auch dann wenn sie zu Ausstellungen in Museen oder Kunstvereinen erscheinen) immer umfangreicher, die Aufmachung wird mehr und mehr aufwändig, und längst lässt sich selbst anhand der früher zuverlässigen Kriterien der Anzahl der Seiten und der Verarbeitung als Broschur oder Hardcover nicht mehr beurteilen, ob ein Buch wichtig oder unwichtig ist und, ja, ob es überhaupt zur Einschätzung der Bedeutung eines Künstlers herangezogen werden kann. Hingegen sollte das Werkverzeichnis – oder die vergleichbare Auflistung – die größte Verbindlichkeit zum Werk eines Künstlers bieten. In Buchform zeigt (oder suggeriert) es, dass ein Werk etabliert ist. Es ist gut für die Forschung und das Zusammenstellen künftiger Ausstellungen sowie ein Gradmesser für den Kunsthandel. Und es gibt Buchsammlungen, die sich gerade auf solche akribischen Ansammlungen von Exponaten spezialisiert haben. - So verstanden haben derartige Interessenten fast 200 Jahre auf das wohl ultimative Werkverzeichnis von Carl Philipp Fohr (1795-1818) gewartet, das im Hirmer Verlag erschienen ist. Der frühe Tod durch Ertrinken im Tiber erklärt, dass Fohrs Werk lediglich sieben Gemälde umfasst, die der Deutschrömer vollenden konnte. Fleißig 68
war er aber allemal. Seine hunderte Zeichnungen, Aquarelle und Skizzenbücher sowie Druckgrafiken umfassen Landschaftsdarstellungen, Porträts, erfundene Schilderungen und Genreszenen, die sich in der Anordnung in der Monografie gegenseitig motivieren, ohne zum schieren Bilderbuch zu missraten. Dazu ist jedes Blatt ausgemessen und erläutert: eine Herkulesarbeit! Peter Märker als Autor und Bearbeiter war Leiter der Graphischen Sammlung des Landesmuseums Darmstadt, wo er bereits vor 20 Jahren ein Bestandsverzeichnis seines Instituts zu Fohr erstellt hat. Jetzt also hat er sämtliche früheren Fassungen zum Werkverzeichnis zusammengeführt und überprüft. Dass aus alldem ein sinnlich erfahrbares, anregendes Buch geworden ist, ist wunderbar. Während für Fohr der kunsthistorische Rang außer Zweifel steht, ist Hermann Goepfert (1926-82) noch nicht ganz über dem Berg. Er zählt – im besten Sinne – zu den Mitläufern von ZERO, war von Frankfurt aus an etlichen, auch internationalen Ausstellungen dieser Avantgardebewegung der 1950er- und 1960er-Jahre beteiligt, wirkte noch als Organisator mit und wird auch heute in der retrospektiven Rezeption dieser Kunstströmung berücksichtigt. Seine
Manuel Orazi/Yona Friedman:
Mariella Mosler:
Yona Friedman –
Mimikry mit Ornament,
The Dilution of Architecture,
dt./engl., 264 S. mit ca.
engl., 582 S. mit ca. 760 Abb.,
260 Abb., Hardcover,
Broschur, 24 x 17 cm,
30 x 23,5 cm, Distanz,
Park Books, € 48,-
€ 39,90
wesentlichen Beiträge sind schwarze Bilder und vor allem Reliefs aus Metallflächen, vor die Lamellen gespannt sind – seine Aluminiumreflektoren und kinetischen Reflektoren –, die in ihrer Zeit zweifelsohne Pioniertaten waren. Zu Hermann Goepfert ist eine Monografie bei Hatje Cantz erschienen, die sein Werkverzeichnis enthält. Als Buch ist das vielleicht etwas überambitioniert, es möchte den Geist der damaligen Zeit erwecken und versäumt doch, das Werkverzeichnis selbst vollständig zu bebildern und die Abbildungen dort in klärende Beziehungen zu setzen. Andererseits gibt es im vorderen Buchteil tolle Seitenlösungen, etwa die ganzseitigen Detailaufnahmen auf linken Seiten. Aber irgendwie wirkt das Buch wie ein zu großer Schritt auf einer Etappe, bei der noch nichts entschieden ist.
In der Arbeit mit Modulen ist Friedman mit Mariella Mosler – entfernt – verwandt. Mosler, die 1962 geboren wurde, in Hamburg studiert hat und eine Professur an der Kunstakademie in Stuttgart innehat, wurde mit ihren Entwürfen von Mustern vor allem auf dem Boden bekannt, die aber nicht nur schön, sondern auch inhaltlich verstanden – z.B. als gesellschaftliches Phänomen, als Überflüssiges, als Luxus, als Imitat – sind. So erreicht Mosler mit „billigen“ Materialien die größte Ästhetik. Aber ihr Werk verfügt noch über weitere Ausdrucksformen, die nun in einer umfassenden Monografie ihres Werkes seit 1990 vorgestellt werden. Neben analytischen Texten enthält das Buch gleich zwei Interviews – so nah ist man einem Künstler sonst nur noch in der vollständigen Aufblätterung seines Werkes.
Ebenso anspruchsvoll und gewiss auch speziell ist ein monumentales Buch, das sich dem Werk von Yona Friedman (geb. 1923) widmet. Es ist bei aller Komplexität klar gegliedert, dabei leider nur auf Englisch. Es bringt auf kongeniale Weise zum Ausdruck, was Yona Friedmans Aktivitäten in der Verschiedenheit seiner Forschungsfelder zusammenhält. Im Zentrum seiner Arbeit steht die Gestaltung des Stadtraums durch entsprechende, den Bedürfnissen ihrer Bewohner adäquate Architektur, wie er dies in den 1960er-Jahren entwickelt hat. Spätestens seit seiner Einladung 2002 zur documenta werden seine Visionen und deren Formulierungen als Kunst verstanden. Dazu gehören Module und Bänder, die durch den Ausstellungsraum mäandern – und auch diesen Bereich stellt das so intensive, noch mit Dokumenten angereicherte Buch vor. 69
Foto: John Oechtering
Kunst mit Kamin im Westen In Wuppertal-Vohwinkel eröffnete ein neuer Kulturort Die in Wuppertal lebende Autorin und Filmemacherin Marina Jenkner hat einen eigenen Ort für kleine Kulturabende gegründet: In der Vohwinkler Spitzwegstraße öffnet seit Oktober sporadisch ein fast privat anmutender Raum mit Bühne und Bar zu gleichwohl für jeden offenen Veranstaltungen. Bislang gab es dort zwei Termine, für die es genug aus dem Schaffen der produktiven Künstlerin selbst zu zeigen gab; Weiteres ist in Planung.
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Marina Jenkner stammt aus Detmold und zog Ende der 90er für ein Germanistikstudium nach Wuppertal. Literarisch trat sie bisher unter anderem hervor durch einen Lyrikband zu der Stadt, die ihr bis heute zur Wahlheimat geworden ist: „Wupperlyrik“ erschien 2006 zusammen mit Christoph Müller, der ihren poetischen Worten ungewöhnliche fotografische Ansichten zur Seite stellte. Seit 2014 ist sie Sprecherin des Verbands deutscher Schriftsteller (Region Bergisch Land). Gemeinschaftswerke mit Müller, allerdings filmische, waren nun auch am nach der Eröffnung im Oktober zweiten Abend zu sehen – an der etwas entlegenen Adresse namens „Die arme Poetin“ im Wuppertaler Westen, charmant mit einem altem Kinoschild hinterm Eingang als Kulturort markiert. Von Jenkners mittlerweile 21 Kurzfilmen gab es heute eine Auswahl – gemeinsam war ihnen die intensive Darstellung sozialpsychologischer Themen unserer Zeit mit teils surrealen Mitteln. Puristisch und ästhetisiert kam da der wortlose Film rund um eine Magersüchtige daher – für Jenkner ein Herzensthema, das sie auch in Texten bearbeitet hat. Um traumatische Erfahrungen ging es ebenso wie um Einsamkeit, Letzteres neben viel Ernstem auch bei der skurrilen Beziehung einer jungen Frau zu einer knallblauen Alien-Gummipuppe („am Ende ist die Luft raus.“). Hinzu kamen Auszüge aus dem älteren Langfilm „Blaue Ufer“, der schon 2003 sehenswert Seelenzustände mit dem Element
Wasser verknüpft hatte – als mythischer Grundform wie auch als konkretem Rahmen, denn die Handlung spielte teils im Aquarium des hiesigen Zoos. Lokal und wassernah schließlich auch der stimmungsvolle Beitrag „Seifenoper“: Unerwartet tauchen ganz wörtlich in der leeren Badehalle der Schwimmoper Musiker mit ihren Instrumenten auf, aus dem Nichts, und bringen zwischen Becken und Sprungturm der jungen Putzfrau ein Ständchen. Stimmungsvoll wirkt die kleine Kulturstätte mit ihrem heute gut wärmenden Kamin überhaupt, und auch für den Advent könnte man sie sich gut vorstellen. Martin Hagemeyer Der Artikel wurde im November 2015 verfasst, seitdem haben bereits sechs weitere Lesungsperformances, Gruppenlesungen und Filmvorführungen im Kulturort „Die arme Poetin“ stattgefunden. Donnerstag, 23. Juni 2016, 19.30 Uhr
Sommerlesung „Sand- und Strandgeschichten“ Mit den Autoren Ingrid Stracke, Anja Liedke, Barbara Ming, Ulrich Scharfenorth, Simone Raillon und Marina Jenkner. Bei gutem Wetter findet die Lesung draußen im Sandkasten statt. Eintritt: 6,50 €. Kulturort „Die arme Poetin“, Spitzwegstraße 7, 42329 Wuppertal-Vohwinkel, www.marina-jenkner.de
The art of tool making
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AUSSTELLUNGEN: Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen Wuppertaler Str. 160, 42653 Solingen 29. April - 17. Juli 2016
War einmal ein Bumerang. Der Maler Joachim Ringelnatz kehrt zurück Erste Retrospektive des Gesamtwerks von Joachim Ringelnatz
Joachim Ringelnatz, Urwald 1928, Öl auf Leinwand, Privatbesitz, © Zentrum für verfolgte Künste
Joachim Ringelnatz (1883–1934), den komischen Kauz und Dichter schräger Reime, wer mag ihn nicht? Aber Ringelnatz ist mehr. Sein Leben spiegelt das Elend, aber auch den Glanz der deutschen Vergangenheit wider: Der Bürgersohn fliegt vom Gymnasium, weil er sich – von Samoanerinnen auf einer Völkerschau fasziniert – tätowieren lässt. Als Seemann fährt er um die Welt, in München lernt er die Bohème kennen und schreibt erste Gedichte. Nach dem Ersten Weltkrieg wird Ringelnatz ein berühmter Mann. – Bei seinen wilden Bühnenshows im Matrosenkleid trinkt, singt und brüllt er, zertrümmert auch mal Stühle. Mit seinen erotischen, zeitkritischen, ku72
riosen und zum Teil schwermütigen Gedichten wird er so berühmt wie die Comedian Harmonists. 1929 stellt er in Kassel auf der Ausstellung „Neue Kunst in der Orangerie“ zusammen mit Hans Feibusch, Felix Nussbaum und Milly Steger aus. Alle drei in der Sammlung der Bürgerstiftung für verfolgte Künste vertreten und jetzt wieder mit Ringelnatz vereint. An seinem 50. Geburtstag, seit Längerem lebt er in Berlin, feiern ihn Asta Nielsen und Paul Wegener, die Großen jener Zeit. Doch im selben Jahr kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Ringelnatz’ Malerei gehört jetzt zur entarteten Kunst, seine Bücher werden verbrannt, er erhält Auftrittsverbot. Um zu retten, was noch zu retten ist, vermittelt ein Freund ein persönliches Gespräch mit Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg in der „Bar Peltzer“. Ringelnatz geht widerstrebend hin. Kaum erhebt sich Rosenberg bei seinem Eintritt vom Stuhl, bleibt Ringelnatz stehen, sagt „Nein!“, dreht sich um und geht. Am Ende seines Lebens überstrahlt der Maler Joachim Ringelnatz den Dichter. Als seine neue Karriere gerade Fahrt aufnimmt, beginnen die Nationalsozialisten jedoch mit der Zerstörung der deutschen Kulturlandschaft. Wie ein böser Schatten liegt daher bis heute die Aktion „Entartete Kunst“ auch auf Ringelnatz‘ außergewöhnlichen Bildern. Die „Säuberungen“ der Bibliotheken Anfang der 1930er-Jahre richteten an dem dichterischen Werk im Nachhinein keinen Schaden an. Dafür war Ringelnatz zu populär. Das komplexe malerische Werk hingegen existiert bis heute nur im Verborgenen der Museumsdepots oder im Privaten. Jetzt kehrt der Maler Ringelnatz mit einer umfassenden Werkschau zurück!
Historisches Zentrum Wuppertal Engelsstraße 10/18, 42283 Wuppertal 18. Juni - 9. Juli 2016
Gedok - So nah - so fern Eröffnung: Sa., 18. Juni 2016, 18 Uhr Gemeinschaftsausstellung der GEDOK Wuppertal und des Werkkreis Bildender Künstler (WBK) Essen. „So nah – so fern“ lautet der Titel dieser ersten Kooperation der beiden renommierten Künstlervereinigungen. Die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler arbeiten gezielt für die Ausstellung und setzen sich kreativ mit dem Thema Nähe und Ferne auseinander.
Von der Heydt-Kunsthalle Geschwister Scholl Platz 4-6, 42275 Wuppertal-Barmen 22. Mai - 7. August 2016
Roger Ballen
Fotografie und Film 1969 - 2015 Die Ausstellung bietet einen Einblick in das sich stets weiterentwickelnde Œuvre Roger Ballens, von der Anfangszeit, in der der New Yorker Fotograf das Hinterland und die Dörfer Afrikas bereiste, bis zu seinen aktuRoger Ballen, Dresie and Casie, twins, Western Transvaal, 1993, aus der Serie: Platteland, Gelatineentwicklungspapier, 36 x 36 cm
ellen Werken, in denen sich der weltbekannte Künstler mit der inneren Architektur des menschlichen Geistes auseinandersetzt. Diese Bilderwelten faszinieren durch ihre Gestaltung als Tableaux Vivants, in denen wirkliche Menschen scheinbar absurd anmutende Rollenspiele mit Hausrat und Tieren in ihren kargen Behausungen vorführen. In der Ausstellung werden auch die seltenen Videoarbeiten von Ballen präsentiert sowie das berühmte Musikvideo „I Fink U Freeky“, das er in Zusammenarbeit mit der avantgardistischen Popgruppe Die Antwoord gemacht hat und das auf YouTube 75 Millionen Mal geklickt wurde. Geboren 1950 in New York, hat Roger Ballen die Fotografie zunächst durch seine Mutter, die bei der bekannten Magnum-Fotoagentur arbeitete, entdeckt. Sein späterer Abschluss in Geologie führte ihn in das afrikanische Hinterland. Auf seinen Fahrten durch das Land entdeckte er die Dorps, jene dörflichen Gemeinden, in denen bis heute Nachfahren der Buren leben. Seine jüngsten Arbeiten nähern sich der Abstraktion und untersuchen die Materialität des Körpers durch Textur und Licht.
KunstStation im Bahnhof Vohwinkel Projekt Bürgerbahnhof Bahnstraße 16, 42327 Wuppertal 5. Juni - 3. Juli 2016
Stefan Zöllner Synestheticon
Eröffnung: Sa., 4. Juni 2016, 19 Uhr Ästhesie bezeichnet das Empfindungsvermögen und der davon abgeleitete Begriff der Synästhesie eine Überlagerung oder Vermischung der Sinne, beispielsweise die Fähigkeit, einen Ton als Farbe zu sehen. Für Stefan Zöllner ist grundsätzlich jede Möglichkeit
einer verfeinerten oder erweiterten Wahrnehmung von Interesse. Die Inszenierung von Synestheticon in der KunstStation im Bahnhof Vohwinkel ist ein oszillierndes Zusammenspiel von künstlerischen Medien und lässt den Betrachter in eine fremdartige Welt eintauchen: Explosionszeichnungen, Textfragmente, Projektionen, Apparate mit unbekannten Funktionen, Licht- und Schattenspiele, tieffrequente Töne, Spiegelinstallationen, Einsatz von Laserlicht oder gar Nebel. Der Künstler liebt es, philosophische und wissenschaftliche Theorien aufzugreifen. Die bereits in der Romantik idealisierte universale Wahrnehmung ist der Schlüssel zu Zöllners Werk. Er studierte Philosophie und Musikwissenschaft an der Universität des Saarlandes, wechselte jedoch bald zum Studium der Freien Kunst an die Kunstakademie Düsseldorf. Hier wurde ihm sehr schnell klar, dass eine Beschränkung auf Malerei für ihn nicht infrage kommt, und er begann, multimedial zu arbeiten. Parallel treibt er als Musiker diverse Projekte voran, die immer dichter mit seinen künstlerischen Arbeiten interferieren.
Eine Liveperformance von Tourette ist für alle Beteiligten eine massive körperliche Erfahrung. Das Quartett steht für eine Ästhetik, die auf der nach unten und oben offenen Richterskala das Gegenteil von Schönklang, Harmonie und Hörerwartungserfüllung markiert. Das Spektakel steigert sich im Laufe des Konzertes in immer irrwitzigere Klangkaskaden, deren Herkunft oft nicht mehr einem bestimmten Instrument zugeordnet werden kann.
Eckehard Lowisch 5Nischenprojekt Skulpturen im öffentlichen Raum Mit dem 5Nischenprojekt erhält der Bahnhofsvorplatz in Wuppertal Vohwinkel eine außerordentliche künstlerische Gestaltung. Damit entwickelt sich der Platz endgültig von einem eher ungeliebten Ort zu einem öffentlichen Raum, dessen Lebendigkeit durch die Verbindung unterschiedlicher kultureller Praktiken entsteht ... Das 5Nischenprojekt trägt auf eigene ästhetische Art und Weise zur Geschichte und Zukunft des Bahnhofs, seines Vorplatzes und der Menschen bei. (Erik Schönenberg, Artefakte der Identität, 2015) Seit dem 5. April 2016 wird die Skulpturengruppe auf dem Bahnhofsvorplatz durch ein Beleuchtungskonzept ergänzt und so nachts spektakulär in Szene gesetzt.
Sonderveranstaltung Ein Konzert von Tourette am 1. Juli 2016, ab 21 Uhr, mehrere Sets in der Bahnhofshalle im Rahmen der Wuppertaler Kunst- und Museumsnacht: 1. Juli 2016
Tourette - free noise aus Köln fatagaga Elastic Audio, Samples Schütz Gitarre, Schwarzbrut Schlagzeug, Techler Saxophon 73
Neuer Kunstverein Wuppertal Hofaue 51, 42103 Wuppertal 11. Juni - 9. Juli 2016
Oliver Gather: wohnen abschreiten - sortieren
Oliver Gather, Hofaue 30, 2016
Eröffnung: Fr., 10. Juni 2016, 19 Uhr Ola Billgren, X-Ray Chamber, 2000
Hengesbach Gallery Vogelsangstraße 20, 42109 Wuppertal 23. Mai - 24. Juni 2016
Ola Billgren
Eröffnung: Sa., 21. Mai 2016, 15 Uhr Ola Billgren (1941-2001) zählt zu den bedeutenden Malern der schwedischen Nachkriegszeit. Sein Stil wurde prägend für die schwedische Popart in den 60er-Jahren, die sich weniger mit den Erzeugnissen und Darstellungsformen der Printmedien als mit der szenischen Psychologie des Films der damaligen Zeit (Ingmar Bergmann, Michelangelo Antonioni) auseinandersetzte. Billgrens frühe Bilder beschreiben den Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung, zumeist in einem dämmernden Licht, an den Rändern des Bildraums platziert und mit einer Betonung auf die Stofflichkeit der umgebenden Dinge. Seine Arbeiten aus den 80er- und 90er-Jahren greifen auf den städtischen und landschaftlichen Raum aus. Billgrens Farbe wandelt sich von einer in warmen Tönen gehaltenen Zustandsbeschreibung zu einer innerlichen Dramatik, sodass die Bilder wie in eine emotionale intime Glut getaucht wirken. Die Ausstellung zeigt Leinwandbilder wie auch grafische Arbeiten aus seinem Nachlass. 74
Mit dem neuen Projekt „wohnen – abschreiten – sortieren“ entwickelt der Düsseldorfer Künstler Oliver Gather eine Ausstellung, die sich mit dem Neuen Kunstverein Wuppertal und seiner unmittelbaren Umgebung auseinandersetzt. Oliver Gather hat bereits zahlreiche temporäre Projekte für den öffentlichen Raum entwickelt und wird in der Ausstellung Teile davon mit dem Ausstellungsraum des Vereins und dessen Nachbarschaft konfrontieren. Ortsspezifische Arbeitsfragmente entfalten, seltsam entrückt, ein Raumgebilde zwischen inszenierter Dokumentation und Umnutzung für neue künstlerische Inhalte. In Projekten wie „Selbst“, einer Ausstellung in einem Baumarkt, oder „Wohnzeit“, in dem über ein Jahr Bewohner eingeladen und über ihre Vorstellungen von Wohnen und Zusammenleben in einem Stadtteil befragt wurden, hat sich Oliver Gather sehr direkt und konkret mit städtischen Räumen beschäftigt. Bei der Beschäftigung ist ihm das Auslösen von kommunikativen Situationen zwischen den Nutzern dieser Räume ein zentrales Anliegen. Mit ungewohnten Fragestellungen und kleinen Verschiebungen der gewohnten Perspektiven stellt er einen neuen Blick auf das vermeint lich Vertraute her.
Central.Galerie Burger Straße 11, 42859 Remscheid 3. April - 8. Juni 2016
geo-metrisch Sylvie Hauptvogel und Katja Wickert Von Katja Wickert, die ihr Atelier auf dem Honsberg hat, sind Tafelbilder und skulpturale Objekte zu bewundern. Für ihre Arbeiten hat sie mit Naturmaterialien Wesensmerkmale und Spuren natürlicher Prozesse, etwa Strukturen und Texturen, eindrucksvoll in Szene gesetzt. Sylvie Hauptvogels Objekte und Installationen speisen sich dank ihres mit Menschenliebe gepaarten subtilen Humors aus häuslichen Gebrauchsgegenständen, Heimtextilien und familiären Reliquien.
Gegen-Stelle
Museum Morsbroich
Farbmühle 22a, 42285 Wuppertal
Gustav-Heinemann-Straße 80, 51377 Leverkusen
28. Mai - 17. Juni 2016
Elham Vahdat Amir Hedayat Vaziri ZeitSchichten Fotomontagen und Objekte Eröffnung: Sa., 28. Mai 2016, 19 Uhr
Sonntag von 11 - 13 Uhr geöffnet. Sonst nach telefonischer Vereinbarung. Kontakt: Tom Horn, Tel.: 0177 3639675 www.gegen-stelle.de
RZ_GPP 1/3 Querformat_ZW.indd 1
13. März - 28. August 2016
Sigmar Polke – Gerhard Richter Schöne Bescherung
Richter und Polke: Es entspinnt sich ein lockerer Dialog, der durch eine Auswahl von Werken Gerhard Richters aus der museumseigenen Sammlung ergänzt wird. Zahlreiche Drucke aus den Jahren 1965–1974 wurden ebenso früh für das Museum Morsbroich erworben wie Richters 1965 entstandenes Gemälde Tiger. Ein von Richter als Siebdruck „Hotel Diana“ (1967) produziertes frühes „Selfie“ zeigt Polke und Richter Bett an Bett im Billighotel. Die Selbstironie, mit der sie sich möglichen Anfängen eines Künstlerkults entziehen, spricht auch aus dem Gemeinschaftswerk „Umwandlung“ (1968): Mit vereinten (heroischen oder magischen?) Kräften haben die beiden in den „5 Phasen“ dieses Offsetdrucks ein Bergmassiv aufgelöst und in eine sphärische Kugel verwandelt.
Foto: Courtesy Gerhard Richter Archiv, © Gerhard Richter, 2016
22. Mai - 28. August 2016
Diango Hernández Theoretical Beach
Unter dem programmatischen Titel „Theoretical Beach“ zeigt das Museum Morsbroich eine erste große Einzelausstellung des kubanischen Künstlers Diango Hernández, der seit 2003 in Düsseldorf lebt und arbeitet. Seine Werke entstehen immer vor dem Hintergrund vielschichtiger Reflexionen zu politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Realitäten, die auch in einem gewissen Maße, ohne allzu offensichtlich zu sein, die eigene Biografie verhandeln.
28.04.16 14:46
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Aquarius-Wassermuseum Burgstr. 70, 45479 Mülheim an der Ruhr
ExtraSchicht
Diango Hernández, Beach a Longing, 2016, Installationsansicht K21, Kunstsammlung NRW, Foto: Anne Pöhlmann
Der Künstler wird für die Ausstellung einen Parcours durch die Räume des Schlosses entwerfen, die das Szenario eines „imaginären, theoretischen Strandes“ bilden. Mit diesem Begriff verbindet Diango Hernández die Vorstellung eines „Containers oder Denkraums“, der ihm für seine theoretischen und bildlichen Überlegungen einen adäquaten Rahmen bietet. Durch Eingriffe in die existierende Architektur entstehen begehbare Installationen, die mit Sand, Muscheln und exotischen Früchten spielerisch die Atmosphäre eines tropischen Strands erwecken. Wellengemälde, die sich über mehrere Ausstellungsräume ziehen, verwandeln den Mittelbau des Schlosses in eine Art Aquarium, während in den Eckräumen die Besucher – durchaus wörtlich verstanden – auf Sandbänken stranden können. Der Strand, der den Übergang zwischen dem bewegten Meer und dem festen Land bildet, funktioniert auch in der künstlerischen Installation des theoretischen Strands als Vermittlung zwischen bestehenden und neuen, allein für den Ort geschaffenen Arbeiten, die zusammen den künstlerischen Kosmos von Diango Hernàndez bilden. 76
Die Nacht der Industriekultur Sa., 25. Juni 2016 Rund 200 000 Menschen werden am 25. Juni in der Metropole Ruhr erwartet - auf „ExtraSchicht“, der Nacht der Industriekultur. Aus mehreren Hundert Veranstaltungen an 48 Orten ein individuelles Programm zusammenzustellen, das ist nicht immer leicht. Auf einer „Insel“ zwischen A40, Ruhr und Bahn liegt einer der Spielorte, das Aquarius-Wassermuseum in Mülheim. Das multimediale Museum mutiert in dieser Nacht zum Leuchtturm. Musikacts und das Improvisationstheater Tatendrang laden zum „Inselhopping“ ein: Aus 20 Inseln – vom antiken Elysion über die Robinson-Crusoe-Insel Isla bis zum versunkenen Atlantis – entstehen improvisierte Geschichten. Inseln und Genres bestimmen die Besucher. „The Happy Gangas“ mit Schlagzeuger Peter Thoms verbreiten Karibikfeeling. Und zu guter Letzt können Besucher ihre eigene Flaschenpost gestalten und in die „Fluten der ExtraSchicht“ entlassen, wo sie in der Nacht immer wieder „auftauchen“. Neu bei der ExtraSchicht ist das „Bergwerk Ost“ in Hamm, die „Zeche Schlägel & Eisen“ in Herten, „Thyssenkrupp“ in Duisburg und nicht zuletzt und ganz wichtig für die Spielkultur das „Deutsche Fußballmuseum“ in Dortmund. www.extraschicht.de
BÜHNE: Schauspiel der Wuppertaler Bühnen Do., 26. Mai 2016, Matinee 11 - 13 Uhr Kronleuchterfoyer im Opernhaus
Zuflucht ist ein Menschenrecht Geschichten und Gedichte von Vertreibung und Flucht. Lesung und Gespräch mit dem syrisch-kurdischen Autor Helim Yusiv. Im Anschluss: ca. 12 Uhr
Hin und weg
Ein Film über Flüchtlinge in Wuppertal. Film des Medienprojekts Wuppertal über das Leben von Flüchtlingen und Neuwuppertalern. So., 29. Mai 2016 Theater am Engelsgarten
In unserer Mitte
Wir erzählen um unser Leben Syrische Flüchtlinge in Wuppertal, eine Zwischenbilanz. Projekt des Schauspiels im Rahmen der Literatur Biennale 2016. Seit September 2015 sind syrische Flüchtlinge einmal im Monat der Einladung der Initiative „In unserer Mitte“ und des Schauspiels der Wuppertaler Bühnen gefolgt, um mit den Autorinnen und Autoren Christiane Giebiec, Dieter Jandt, Sibyl Quinke, Torsten Krug, Dorothea Müller und Hermann Schulz zu arbeiten, ihre Geschichten von Flucht, Vertreibung und Aufenthalt in Deutschland zu erzählen und aufzuzeichnen. Entstanden ist ein Panorama erzählter Schicksale, bewegende Zeugnisse im Sinne einer „oral history“. Mitglieder des Schauspielensembles werden aus den Texten lesen, die Repräsentantinnen und Repräsentanten
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aus dem Kreis der teilnehmenden Syrer sind anwesend. Dramaturgie und Moderation: Susanne Abbrederis und Thorsten Krug.
Teo Otto Theater
Mo., 30. Mai, 19.30 Uhr Kronleuchterfoyer im Opernhaus
Tim Fischer
Lesung mit Texten von Autorinnen der GEDOK Wuppertal im Rahmen der Literatur Biennale 2016. Lesung: Juliane Pempelfort, Julia Wolff, Thomas Braus. Dramaturgische Beratung: Dr. Cordula Fink, Moderation: Dr. Jutta Höfel. Fr., 3. Juni 2016, ca. 16 Uhr Kronleuchterfoyer im Opernhaus
Alte Heimat – Neue Heimat – Keine Heimat? Ein interdisziplinärer Dialog. Mit Beiträgen aus Kunst, Architektur, Geschichte, Theater und Literaturwissenschaft von Cordula Fink, Christoph Grafe, Heike Ising-Alms, Siegried E. Mayer, Thomas Schriefers, Antonius Weixler. Premiere: Fr., 3. Juni 2016 Theater am Engelsgarten
Kinder der Sonne
Maxim Gorkij schrieb Kinder der Sonne, als er in der Peter-und-PaulFestung in St. Petersburg nach dem Aufstand 1905 inhaftiert war. Er beschreibt darin das Versagen der russischen Intelligenzija: Die Arbeiter und Bauern müssen sich ihren Zugang zu Kunst, Kultur und Wissenschaft selbst erkämpfen. Gorkij zeichnet das düster-komische Bild einer Gesellschaft, die bemüht ist, eine bessere Welt zu schaffen und auf die sich abzeichnende soziale Katastrophe zu reagieren. Weitere Termine: 4., 8., 9., 17., 19., 24., 30. Juni 2016
So., 29. Mai 2016, 18 Uhr
Geliebte Lieder, Chansons Rainer Bielfeldt Klavier Thomas Keller Akkordeon/Saxophon Tim Fischers seit mehr als einem Vierteljahrhundert bestehende Karriere macht ihn zu einer der außergewöhnlichsten Erscheinungen der deutschen Kultur- und Musikwelt. Sänger, Schauspieler, Musicalstar – Bühnenmensch. Zeitlos sind Tim Fischers „Geliebte Lieder“. Zum Repertoire des Abends gehören Lieder, die man schon immer mit Tim Fischer in Verbindung bringt, und solche, die er noch nie gesungen hat, aber immer schon mal singen wollte. Da treffen klassische Chansons von Jacques Brel auf Stücke von Georg Kreisler, Ludwig Hirsch oder Zarah Leander, Lieder von Edith Jeske und Rainer Bielfeldt, wie „Rinnsteinprinzessin“, der TimFischer-Hymne schlechthin, auf „Fetter Elvis“ und „Wo sind die Clowns“ von Steven Sondheim, Songs von Udo Lindenberg, aber auch von Peter Plate, Mastermind von Rosenstolz, Komponist, Texter und Produzent unzähliger Hits, der mit Tim seinen Song „Schöner war’s mit dir“ aufnahm. Mi., 6. Juli 2016, 15 Uhr
Unvergesslich
Eine musikalische Begegnung und Reise durch die Welt der Operette für Menschen mit und ohne Demenz. Bergische Symphoniker Annika Boos, Sopran, Boris Leisenheimer, Tenor, Olaf Haye, Bariton, Peter Kuhn, Dirigent Informationen: Demenz-Servicezentrum Bergisches Land, Telefon: 02191 - 12 12 12
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Verloren, ersehnt, gefunden
Konrad-Adenauer-Straße 31-33 42853 Remscheid
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MUSIK: TalTonTHEATER Wiesenstraße 118, 42105 Wuppertal So., 29. Mai 2016, 18 Uhr
Klaus der Geiger & Marius Peters
Einer der bekanntesten Straßenmusiker Deutschlands, für sein Lebenswerk längst schon ausgezeichnet, trifft auf einen jungen Musiker der Kölner Musikszene. Das Programm umfasst Improvisationen, Stücke des Jazz, vor allem aber die revolutionäre argentinische Tangomusik Astor Piazzollas.
Peter Kowald Gesellschaft / ort e.V. Luisenstraße 116, 42103 Wuppertal Fr., 3. Juni 2016, 20 Uhr
draußen und drinnen Katharina Bihler Stimme, Elisabeth Flunger Percussion, Cordula Bösze Flöte, Stefan Scheib Kontrabass, Ute Völker Akkordeon
Kompositionen, Transkriptionen und Aufnahmen von Elisabeth Flunger und Stefan Scheib. Draußen und drinnen passieren Dinge, die wir oft nicht bemerken. Wir nehmen sie nicht wahr, weil sie für uns bedeutungslos sind, und sie fallen uns höchstens auf, wenn sie uns lästig werden. Sie spielen sich draußen im Freien genauso ab wie zu Hause, im Supermarkt, im Zug, im Bus oder im Auto. Die Rede ist von Geräuschen, Gesprächen und Texten, die unseren Alltag begleiten: Straßenlärm, Baustellen-, Zug- und Busgeräusche, Haushaltsgeräte, Wassertropfen, Kindergeschrei, Geplauder am Nebentisch, Schilder und Listen. Wir zeichnen diese Alltagsmanifestationen auf, übertragen sie in Noten 78
und Schrift, bringen sie auf die Bühne. Mechanische Prozesse verwandeln sich in expressive Ereignisse, ohrenbetäubender Lärm wird in anmutige Kammermusik umgewandelt, aus Gesprächsfetzen werden kleine Dramen, aus unverständlichem Gemurmel ploppt Schwachsinn, unfreiwillige Komik oder reine Poesie. Do., 16. Juni 2016, 20 Uhr Phil Minton Stimme Karl Ludwig Hübsch Tuba Die Stimme: eine Röhre mit darin schwingenden Bändern. Die Tuba: eine Flüstertüte, die die Klänge schwingender Lippen verstärkt. Phil Minton und Carl Ludwig Hübsch sind als Improvisatoren unterwegs, um Tag für Tag aufs Neue den Schritt ins Unbekannte zu wagen, in eine Musik, die sich wie von selbst zusammensetzt. Solchen Klängen liegt blindes Einverständnis der Musiker untereinander zugrunde. Gespielt wird, was nötig ist. Und so entsteht von Augenblick zu Augenblick Feines, Wildes, Spannendes und Magisches vor den Ohren des sich diesem Spiel öffnenden Hörers. Fr., 26. August 2016, 20 Uhr
Carolin Pook
Zurzeit Improviser in Residence in Moers. Artist in Residence im ort im November 2014.
Klangkosmos Weltmusik in NRW Mauravann Mauritius
Linzy Bacbotte Gesang, Ravanne Samuel Dubois Gesang, Ravanne Kerwyn Castel Ravanne, Maravann, Triangle, Doum Doum Emmanuel Desroches Gesang, Ravanne, Gitarre
Die vier Musiker sind Teil einer jungen und sehr dynamischen Musikszene der Insel. Sie richten ihren künstlerischen Blick sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft mit dem Ziel: eine Hommage an den mauritischen Sega und seine traditionellen Instrumente mit einem persönlichen, modernen Touch sowie einer guten Portion zeitgenössischer musikalischer Einflüsse zu verbinden. Als Quartett interpretieren sie das Repertoire der großen Sega-Klassiker auf ihre eigene Weise, komponieren aber auch neue Stücke im Sega-Stil. Neben den drei typisch mauritischen Instrumenten, der Ravanne, der Maravanne sowie der Triangel, greifen sie auch zu Gitarren und anderen Instrumenten aus der südwestlichen Region des Indischen Ozeans.
Lutherstift Schusterstraße 15, 42105 Wuppertal Do., 9. Juni 2016, 18 Uhr
Teo Otto Theater Konrad-Adenauer-Straße 31-33, 42853 Remscheid Do., 16. Juni 2016, 20 Uhr
Café ADA Wiesenstraße 6, 42105 Wuppertal Die Tangoliebe im ADA ist ungebrochen und um dem 20-jährigen Jubiläum in diesem Jahr gerecht zu werden, gibt es eine Reihe von Sonderveranstaltungen, wie zum Beispiel ein Tangotreffen, für das viele internationale Gäste eingeladen sind. Zusammen mit allen Tangobegeisterten der Umgebung soll der Tanzboden des Café ADA herausgefordert werden. 24. - 26. Juni 2016
Tango Sin Fin
Tango-Tanzveranstaltung zweieinhalb Tage lang mit vielen internationalen Gästen und Tangoliebhabern der Region. Di., 28. Juni 2016
Amores Tango aus Buenos Aires Milonga (Tanzveranstaltung) mit Live musik und Tangoshow.
Kammerchor
amici del canto Solistin: Suzana Mendes Cembalo, Orgel Künstlerische Leitung: Dennis Hansel
1685 Domenico Scarlatti, Stabat Mater J.S. Bach, Der Geist hilft unser Schwachheit auf Georg Friedrich Händel, Passacaglia g-moll aus HWV 432 u.a.
Amores Tango
Musikapotheke Marienstraße 18, 42105 Wuppertal Mo., 20. Juni 2016, 20 Uhr Finnisage der Ausstellung „Frottee“ von Sylvie Hauptvogel.
Rant Duo aus Berlin mit: Merle Bennett Schlagzeug Torsten Papenheim Gitarre
1685 – Was soll das heißen? Es könnte eine Durchwahl sein, im Oberbergischen. Oder eine der alten Postleitzahlen in Berlin. Vielleicht ist es auch „sechzehn-fünfundachzig“, der Preis für ein Dorschfilet mit Kartoffelgratin im Restaurant um die Ecke ... Dem Konzertgänger ist die Zahl möglicherweise als das Geburtsjahr Johann Sebastian Bachs bekannt. Weniger bekannt ist, dass auch Georg Friedrich Händel 1685 geboren wurde und dass auch der italienische Komponist Domenico Scarlatti diesem Jahr entstammt. Der Kammerchor amici del canto (www.amicidelcanto.de) widmet sich in seinen Sommerkonzerten eben die-
sen drei Komponisten. Eine der doppelchörigen Motetten Johann Sebastian Bachs wird erklingen, dazu eine Kammermusik von Georg Friedrich Händel, und das „Stabat Mater“ von Domenico Scarlatti, eine zehnstimmige Komposition von atemberaubender Finesse, die von der Klage der Gottesmutter beim Betrachten ihres verurteilten und sterbenden Sohnes berichtet. Wir freuen uns, dass wir Suzana Mendes als Solistin für dieses Konzert engagieren konnten. Sie ist als CembaloVirtuosin international unterwegs und arbeitet in Continuo-Besetzungen regelmäßig mit namhaften Ensembles zusammen, darunter Concerto Köln und Ensemble Resonanz. (www.clavicordio.de)
Kulturzentrum Immanuelskirche Sternstraße 73, 42275 Wuppertal Sa., 2. Juli 2016, 18 Uhr
Kath. Kirche St. Mariä Empfängnis Edith-Stein-Str. 15, 42329 Wuppertal So., 3. Juli 2016, 17 Uhr Der Eintritt zu den Konzerten ist frei. 79
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