ISSN 18695205
Ausstellung Michael Sandle im Skulpturenpark Waldfrieden Porträt Berthold Schneider, Intendant der Wuppertaler Oper Bühne Tanztheater Wuppertal Pina Bausch mit neuer Produktion Zukunft „Müllers Marionettentheater“ – Ende einer Ära Bildung Junior-Uni Wuppertal – ein Vorbild für die Junior-Uni Ruhr
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WUPPERTALER BÜHNEN wuppertaler-buehnen.de
28.02.20 16:07
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, es sind bewegte Zeiten. Täglich steigt die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten weiter an, fast stündlich werden neue Maßnahmen bekannt gegeben, die unser alltägliches Leben einschränken. Als wir vor etlichen Wochen begonnen haben, diese Ausgabe zu planen, haben wir uns das alles noch nicht vorstellen können. Ein Vierteljahresmagazin hat einen langen redaktionellen Vorlauf, und wir hatten die Kulturthemen und –veranstaltungen in der Region bis zu unserer nächsten Ausgabe Anfang Juli im Blick. Nun kommen wir uns ein bisschen vor wie ein großer Dampfer, der ständig von den rasanten kleinen NachrichtenMotorbooten überholt wird... Sehr vieles von den Kulturveranstaltungen, die wir in dieser Ausgabe ankündigen, wird nicht stattfinden oder muss auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Das betrifft auf jeden Fall die Aprilund Mai-Termine, vermutlich auch noch weitere. Aber so weit können wir nicht schauen – bitte informieren Sie sich bei den Veranstaltern. Aber auch wenn vieles jetzt nicht stattfinden kann, so können wir vielleicht doch Vorfreude wecken auf das, was dann hoffentlich zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt wird, wie zum Beispiel das „Theater der Welt“-Festival in Düsseldorf oder die neuen Produktionen beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Geschichten wie die über Müllers Marionettentheater oder die nach Wuppertaler Vorbild entstandene Junior Uni in Mülheim/ Ruhr, Gespräche mit Opernintendant Bertold Schneider oder dem Komponisten Lutz-Werner Hesse, Julia Wessels essayistische Annäherung an das Thema der Literatur-Biennale „Tier – Mensch – Maschine“ und anderes mehr bieten Lesestoff über den Tag hinaus und Ihnen hoffentlich ein wenig Abwechslung in der Zeit, in der das kulturelle Leben zum Stillstand gekommen ist.
all die Kulturschaffenden, die uns mit ihrer Arbeit immer wieder so reich beschenken und die jetzt so hart betroffen sind. Haltet durch! Unseren Titel schmückt diesmal ein Ausschnitt aus einem Gemälde von Peter Kowald mit dem Titel „Global Village“ aus der Kunstsammlung der Stadtsparkasse Wuppertal, das in einer gemeinsamen Ausstellung mit dem Von der Heydt-Museum zu sehen sein wird – nur wann, ist jetzt wieder ungewiss. Mit aller Deutlichkeit wird uns gerade vor Augen geführt, was es bedeutet, heute in diesem globalen Dorf zu leben: Es gibt kein isoliertes Geschehen mehr. In Albert Camus’ Roman „Die Pest“ heißt es, es komme darauf an „sich zu überwachen, um nicht in einem Moment der Zerstreutheit einem anderen ins Gesicht zu atmen“. Nun ist Corona zum Glück nicht die Pest. Aber ganz gewiss ist in diesem globalen Dorf heute jeder genauso aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht ist „Die Pest“ tatsächlich das Buch der Stunde – erzählt es uns doch viel über menschliche Verhaltensweisen in Zeiten von Plagen und darüber, dass es – hoffentlich – am Ende „an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt“. Wir haben es selbst in der Hand. In diesem Sinne: Überstehen Sie die Zeit mit einem guten Buch und bleiben Sie gesund! Ihre Anne-Kathrin Reif
Eines sehen wir aber jetzt noch sehr viel deutlicher als sonst: nämlich wie reich unsere hiesige Kulturszene ist – und wie viel uns fehlt, wenn dies alles wegbricht. Wenn diese Erkenntnis bei vielen ankommt und zu einer größeren Wertschätzung dessen führt, was zuvor allzu selbstverständlich erschien, dürfen wir uns erst recht auf NachCorona-Zeiten freuen. An dieser Stelle ein großer Dank an Foto: Anke Dörschlen
Inhalt 4
Nicole Aders, Schaf, Stadtsparkasse Wuppertal
Die Ausstellung „Mehr:Wert“ bringt die Sammlungen des Von der Heydt-Museums und der Stadtsparkasse Wuppertal in einen Dialog
„Kunst schafft einen Mehrwert für die Stadtgesellschaft“
Michael Sandle im Skulpturenpark Waldfrieden
Gegen Krieg, gegen Gewalt
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Berührungen
Oder: Der Mensch und seine Projektionsflächen Falk Andreas Funke dichtete und Juliane Steinbach illustrierte
Berthold Schneider, Intendant der Wuppertaler Oper, im Gespräch mit Marlene Baum
„Oper muss mitreißen!“
Lutz-Werner Hesse im Gespräch mit Karl Bellenberg zu seinem Sinfonischen Gedicht
„Ich habe dich gewählt …“
KLANGART im Skulpturenpark Waldfrieden
Weltstars und Weltbürger
Musiktheater in Hagen und Wuppertal
Sehenswerte Aufführungen
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Wuppertaler Literatur Biennale 2020
Laubsägefisch
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38 Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch mit neuer Produktion
Encounters/Begegnungen
Im Sommer endet nach drei Jahrzehnten die Ära von „Müllers Marionettentheater“ in Wuppertal
Räuber Hotzenplotz geht in Rente
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Im Gespräch mit Uta Atzpodien stellt der Programmdirektor Stefan Schmidtke das diesjährige „Theater der Welt“-Festival in Düsseldorf vor
Ganz andere als übliche Perspektiven Das Wuppertaler Kinder- und Jugendtheater
Ertragreich vor und auf der Bühne
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Tangoduo Fabián Carbone & Julia Jech
Mal kurz und schmerzlos, mal lang und leidvoll
KOLUMBA – Kunstmuseum des Erzbistums Köln
Von Göttern und Bären
Die Junior-Uni Wuppertal hat Modellcharakter
Idee mit Zukunft Kulturnotizen
Was noch wichtig ist Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch
Vom Ganzen ein Teil
Ausstellungen, Bühne, Musik, Kino
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Kulturtipps und Kulturorte Verkaufsstellen
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Impressum
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„Kunst schafft einen Mehrwert für die St Überschneidungen, Ergänzungen, Reibungen: Die Ausstellung „Mehr:Wert“ bringt ab dem 28. April 2020
Peter Kowald, Global Village, 1994, Sparkasse Wuppertal, Foto: Björn Ueberholz
Seit gut 50 Jahren sammelt die Stadtsparkasse Wuppertal Kunst und hat in dieser Zeit eine beachtliche Sammlung mit mehr als 3000 Werken aufgebaut. Die Arbeiten von fast 700 Künstlerinnen und Künstlern sind verteilt auf Büros, Flure und Empfangsräume in den Filialen, vieles lagert aber auch im hauseigenen Archiv. Mit der Ausstellung in ihren Räumen folgt die Sparkasse dem Prinzip, die Kunst in den Alltag der Menschen zu holen, sei es für die Angestellten oder für die Kundschaft. Als Sammlung aber ist der Kunstschatz, mit dem man problemlos ein ganzes Museum füllen könnte, so verstreut kaum wahrnehmbar. Die Ausstellung mit dem Titel Mehr:Wert, die das Von der Heydt-Museum vom 28. April bis 2. August 2020 zeigt, ermöglicht nun erstmals einen konzentrierten Blick auf einen ausgewählten Teil der Sparkassenkunstsammlung und bringt sie in einen Dialog mit Werken aus dem eigenen Bestand. Das Konzept zu dieser Ausstellung ist so einleuchtend, dass man sich wundert, warum sie erst jetzt stattfindet. Andererseits ist es alles andere als selbstverständlich, dass sich ein so renommiertes Haus wie das Von der Heydt-Museum für eine fremde Sammlung öffnet. Wie also kommt die Schau überhaupt zustande? „Die Sparkasse war immer schon einer der ganz wichtigen Sponsoren für das Museum“, sagt Dr. Gerhard Finckh, ehemaliger Direktor des 4
adtgesellschaft“ die Sammlungen des Von der Heydt-Museums und der Stadtsparkasse Wuppertal in einen Dialog.
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Lucio Fontana, Raumkonzept rot mit Steinen, 1954, Von der Heydt-Museum Wuppertal, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Von der Heydt-Museums, der die Schau gewissermaßen aus dem Ruhestand heraus kuratiert hat. „Man hat sich oft dort getroffen, und ich habe dabei gesehen, was für eine bedeutende Sammlung das ist. Anfang vergangenen Jahres entstand mit Blick auf das Jubiläum „50 Jahre Kunst in der Sparkasse“ im Gespräch die Idee, daraus einmal etwas Gemeinschaftliches zu machen.“ Und da das Ganze nicht mehr ins schon durchgeplante Programm seiner Zeit als Museumsdirektor passte und die Kuratorinnen mit den von ihnen organisierten Ausstellungen ausgelastet waren, hat er sich des Themas selbst noch einmal angenommen. Was sich, bei näherem Hinsehen, als ziemliche Herausforderung entpuppt. Denn die Sammlungen von zeitgenössischer Kunst der Stadtsparkasse und des Von der HeydtMuseums erwachsen aus grundverschiedenen Haltungen: 6
Während für die Sparkasse die Förderung regional verankerter Künstler eines der Hauptkriterien ihres Kunstengagements ist, spielt dieser Aspekt für das Museum nur eine kleinere Rolle. „Wir leben für die Menschen und die Unternehmen hier in Wuppertal und für die Gemeinschaft“, sagt Gunther Wölfges, Vorstandsvorsitzender der Stadtsparkasse Wuppertal, „und das schließt auch die Künstlerinnen und Künstler ein. Eine Sammlung etwa mit der Leipziger oder Düsseldorfer Malerschule anzulegen, käme für uns nie in Betracht.“ Für Gerhard Finckh dagegen war der regionale Bezug nie ein Kriterium, weder für Ausstellungen noch für Ankäufe. Dass sich in der Museumssammlung auch in Wuppertal verortete Künstler wie Tony Cragg oder Tatjana Valsang finden, verdankt sich allein ihrer weit über die Region hinausstrahlenden Bedeutung. „Ich freue mich aber, dass wir auf diese Weise jetzt auch einige Wuppertaler zeigen können“, sagt Finckh. Wie also bringt man zwei so heterogene Sammlungen in einen Dialog? Zunächst einmal gibt es dann doch überraschend viele Überschneidungen, denn auch in der Sparkassensammlung finden sich berühmte Namen wie Robert Motherwell, Ruprecht Geiger, Max Bill, Klaus Rinke oder Bogomir Ecker, bei denen der regionale Bezug zumindest nicht unmittelbar gegeben ist. „Oftmals fanden sich von einem Künstler Gemälde bei der Sparkasse und Grafiken im Museum oder umgekehrt“, erzählt Finckh. Dennoch: „Einen Zusammenhang zwischen den Werken der beiden Sammlungen herzustellen, war das eigentlich Komplizierte bei der Sache“, bekennt er. Elegant gelöst hat er das Problem, indem er die Ausstellung in acht Kapiteln organisiert hat, die jeweils ein sehr offenes, assoziationsreiches Themenfeld aufmachen.
Christian von Grumbkow, Red Rain, 2008, Sparkasse Wuppertal, Foto: Björn Ueberholz
Der Auftaktraum Menschen, Masken und Gesichter etwa thematisiert die Frage, wie Menschen sich im unterschiedlichen sozialen Raum begegnen oder wie Künstlerinnen und Künstler den Menschen sehen. Da ergänzen sich Werke von A.R. Penck oder Heike Kati Barath, die sich in beiden Sammlungen befinden, während im Gemälde „Global Village“ des Wuppertaler Bassisten Peter Kowald aus der Sparkassensammlung inhaltliche und formale Verwandtschaften zur Art Brut von Jean Dubuffet aus der Museumssammlung erkennbar werden. Wie unterschiedlich Künstler Rot sehen können, lässt sich im Vergleich von Lucio Fontana, Ola Billgren oder Christian von Grumbkow erfahren. Der Begriff der Unschärferelationen passt auf die Fotografie einer verwischten Regensituation des Wuppertalers Andreas Komotzki ebenso wie auf das 7
Gerhard Richter, Scheich mit Frau, 1966, Von der Heydt-Museum Wuppertal, ©Gerhard Richter
Gemälde „Scheich mit Frau“ von Gerhard Richter. Matthias Neumann hat den Abriss des „Koch am Wall“-Gebäudes in Wuppertal fotografiert – eine ganz ähnliche gerippeartige Struktur findet sich aber auch in einem Gemälde von Driss Ouadahi, das vom Aufbau eines Gebäudes inspiriert ist. 8
Matthias Neumann, Koch am Wall, Stadtsparkasse Wuppertal
Beide treffen sich nun im Kapitel Architektur. Arbeiten von u.a. Otto Piene, Peter Klassen, Dietmar Wehr, Holger Bär, Pia Fries und Walter Dahn finden unter der Klammer der Vier Elemente zusammen. Unter dem Dach Frei schwingende Formen kommen u.a. Werke von Felix Droese, Neo Rauch, Jürgen Grölle, K.O. Götz und John Chamberlain zusammen, während Maß, Zahl, Geometrie Abstraktes u.a. von Max Bill, Sarah Pelikan, Josef Albers, Laszlo MoholyNagy und James Rogers vereint. Nähe und Ferne lässt sich durch die Wahl des Bildgegenstandes thematisieren wie in der Fotografie „Waldeslust“ von Anna und Bernhard Blume oder durch die künstlerische Machart wie in den FotoÜbermalungen von Bogomir Ecker. Zu eng will Gerhard Finckh die thematischen Klammern nicht ausgelegt wissen. Ihm geht es vielmehr darum, Assoziationsräume für die Betrachtenden zu eröffnen. „Ich wünsche mir Räume, durch die ein bestimmter Atem schwingt“, sagt er – „etwas, das sich ergänzt, das zusammengeht oder sich auch mal aneinander reibt.“
Überrascht sei er gewesen festzustellen, dass die Wuppertaler Stadtsparkasse über 50 Jahre hinweg Kunst nicht nach Gesichtspunkten des Marktes und der Geldanlage gekauft habe, wie man es von einem Bankhaus erwarten könnte, bekennt Finckh, sondern nach künstlerischen Qualitätskriterien, wo auch weniger Gefälliges, Sperriges seinen Platz habe. Und in genau dieser Haltung liegt dann wohl auch die größte Gemeinsamkeit der beiden Sammlungen. Im Blick auf den durchaus vieldeutigen Ausstellungstitel „Mehr:Wert“ denkt Gunther Wölfges jedenfalls nicht an den potenziellen Wertzuwachs der Kunstwerke auf dem Markt: „Kunst und Kultur sind für uns ein elementarer Bestandteil des gemeinschaftlichen Lebens in einer Stadtgesellschaft. Eine lebendige und gut funktionierende Gemeinschaft macht unsere Stadt attraktiv – und die Kunst schafft, indem sie dazu beiträgt, einen Mehrwert für alle.
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Indem wir die Kunst und die Künstler fördern, möchten wir von dem, was wir erwirtschaften, etwas in die Gemeinschaft zurückgeben.“ Gerhard Finckh findet: „Man sieht, dass diese Sammlung mit dem Herzen ausgesucht ist“, und fügt hinzu: „Deshalb hat es mir auch viel Spaß gemacht, diese Ausstellung zusammenzustellen.“ Für Gunther Wölfges ist das ein schönes Kompliment. „Für uns ist es wichtig, dass die Kunst die 10
Menschen emotional anspricht. Ein Bild, eine Skulptur im Arbeitsumfeld soll inspirieren, uns anstoßen und das alltägliche Leben bereichern, indem man in einen Dialog mit der Kunst tritt. Deshalb ist es für uns auch wichtig, dass die Werke der Sammlung überall in unseren Räumen hängen“, sagt er. „Aber wir freuen uns vor allem auch für die Wuppertaler Künstlerinnen und Künstler sehr, Teile davon jetzt einmal in dieser Form im Museum zeigen zu können.“ Anne-Kathrin Reif
Anke Eilergerhard, Taifun, 2011, Sparkasse Wuppertal, Foto: Björn Ueberholz
Mehr:Wert. John Chamberlain, ohne Titel, 1960er Jahre,
Die Sammlungen der Stadtsparkasse Wuppertal und des Von der Heydt-Museums Wuppertal im Dialog.
Von der Heydt-Museum Wuppertal, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020
28. April bis 2. August 2020 Von der Heydt-Museum Wuppertal, Turmhof 8 Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr Donnerstag 11 bis 20 Uhr Es erscheint ein Katalog. Die Eröffnung am 26. April um 11 Uhr in der Glashalle der Sparkasse am Johannisberg wird voraussichtlich nicht wie vorgesehen stattfinden können; ob sie eventuell im Internet gestreamt wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. 11
Gegen Krieg, gegen Gewalt Michael Sandle im Skulpturenpark Waldfrieden
Michael Sandle, Iraq The Sound of Silence, 2009, Š Michael Sandle, Foto Michael Richter
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Begegnungen mit Michael Sandle sind etwas Besonderes. Der international renommierte, 1936 in Weymouth geborene Bildhauer, Aquarellmaler und Zeichner ist ein freundlicher Eigenbrötler, sein Reden ist ein bedächtiges Murmeln, er scheint wenig sagen zu wollen. Doch dann gewinnt das Sprechen an Schärfe, und Sandle kommentiert gesellschaftliche Befindlichkeiten und die Unfähigkeit der Politik. Es ist ein bisschen wie mit seinen Skulpturen, die sich unter der kantigen bronzenen Haut zurückziehen und doch sehr direkt menschliches Verhalten anprangern. Michael Sandle hasst Oberflächlichkeit im Leben und in der Kunst und besitzt dabei einen verdammt guten Humor. Und er erkundigt sich aufmerksam nach dem anderen, ebenso wie er enthusiastisch für die Kunst früherer Generationen schwärmen kann. Wie geschaffen für einen Kunstprofessor. Alles begann in den frühen 1990er-Jahren mit meinen Besuchen auf Gut Scheibenhardt nahe Karlsruhe, wo Sandle seit 1980 als Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie unterrichtete, aber auch wohnte und eben arbeitete – für Sandle war alles eins. Ich erinnere mich auch, Jahre später, an einen Besuch in London-Kensington. Dort, im einstigen Atelier von Kenneth Armitage, arbeitete Sandle nach seiner Emeritierung in Karlsruhe 1999 und seiner Rückkehr nach England im Rahmen eines Stipendiums: Anerkannt war er in der Heimat immer, obwohl er sich nie an den Kunstbetrieb angebiedert hat. Das konnte man wieder ein Jahrzehnt später auf einer der Sommeraus-
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stellungen der Royal Academy of Arts in London erleben. Michael Sandle war geheimer Mittelpunkt der Veranstaltung, jeder schien ihn zu kennen. Hier stellte mir Sandle übrigens Ian McKeever vor, der nun mit ihm gemeinsam im Skulpturenpark Waldfrieden ausstellt. Aber selbst damals schätzte Sandle die Zurückgezogenheit. Wir setzten unser Gespräch in der Lounge fort, die nur den gewählten Mitgliedern der königlichen Akademie und deren Gästen zugänglich ist. Sandle gehört bereits seit 1990 diesem exklusiven Kreis an. Michael Sandle hat in London Akzente gesetzt, auch im öffentlichen Raum. Da ist die mehrere Meter hohe Stele „Saint George and the Dragon“ (1988) in Blackfriars: eigentlich als beißender Kommentar auf die Politik von Margret
Thatcher gedacht, hier nun, dem Auftrag gemäß, „neutralisiert“, indem der Ritter über den Drachen dominiert. Eine weitere monumentale Skulptur, die ein Schiffsheck mit einem Matrosen zeigt, befindet sich am Gebäude einer Reederei am Themse-Ufer: „The Seafarer‘s Memorial“ (2001). Besonders viele Werke gibt es auf der Isle of Man zwischen Douglas und Port Erin zu sehen, wo Sandle aufgewachsen ist und noch heute Zeit verbringt. An den Marine Gardens steht das Bronzerelief „Memorial to the Royal National Lifeboard Institution“ (2000): Während das Schiff im Hintergrund brennend versinkt, bringen sich im Vordergrund die Matrosen auf einem Rettungsboot in Sicherheit. Damit ist vieles gesagt, was Missverständnissen gegenüber den Skulpturen und Zeichnungen von Michael Sandle vor-
Ausstellungsansicht, Michael Sandle im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal, Foto Michael Richter
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beugt. Sandle gibt Katastrophen wieder, um gegen Krieg, Gewalt und Machtausübung zu opponieren. Er plädiert für das Leben. Er betont durch Überhöhung und Verständlichkeit: Zu dramatisch sind die Zeiten, zu wichtig die Botschaften. Vielleicht wäre es besser – wie Klaus Lankheit 1983 geschrieben hat – von „Anti-Denkmälern“ zu sprechen. Zu sehen sind zerstörte Fahrzeuge, bei aller Verknappung ausgestattet mit konkreten Details wie Benzinkanistern und Insignien der Naziherrschaft, überhaupt direkten Verweisen auf das Dritte Reich, den Falkland-Krieg und den Irakkrieg, den Krieg in Israel. Aber die Botschaften stehen noch für weitere Gräueltaten auf der Welt. Eine umfangreiche Werkgruppe zeigt – teils monumental, teils als Modelle – Katafalke: die Aufbahrung gefallener Soldaten, umgeben von Lorbeerkränzen, ein klassisches historisches Motiv,
Michael Sandle, Maquette for Animals in War Memorial, 1999, © Michael Sandle, Foto Michael Richter
das bei Sandle mit feinen Abweichungen in die Gegenwart transponiert ist, etwa indem statt der Kränze Barrikaden aus Reifen zu sehen sind oder Mikrofone vorm Haupt stehen. Die meisten Köpfe sind verhüllt. Das geht zurück auf Sandles Auseinandersetzung mit der altägyptischen Kunst und dem dortigen Ersetzen des Kopfes durch ein Tierhaupt auf dem menschlichen Körper – in seinem Studium an der Slade School of Art hat er eine Vorlesung von Ernst Gombrich zu dieser Periode gehört. Zugleich lässt die Verhüllung die Unmenschlichkeit des Krieges anschaulich werden. Sie macht die Akteure zu Robotern. Sandle bedient sich dabei der Sprache der viktorianischen Kunst, aber auch – im kubisch Ausgreifenden und im Versetzen blockhafter Elemente – des Vokabulars des Futurismus und immer wieder auch des deutsche Verismus. Die Kriegsdarstellungen von Otto Dix haben ihn von früh an beeindruckt. Im Skulpturenpark Waldfrieden betonte Tony Cragg beim Pressegespräch das Unzeitgemäße und Einzelgängerische dieser Arbeiten, die auf der Tradition beharren und sich als Solitäre im Strom der Kunst-Ismen behaupten. Zur Vollständigkeit gehört, dass Michael Sandle in der Avantgarde angefangen hat. Berühmt – und erstmals zur documenta eingeladen – wird er Mitte der 1960er-Jahre mit monumentalen Skulpturenensembles aus Polyester und Fiberglas, also Materialien, die für ihn erschwinglicher waren als die Bronze, in ihrer Behandlung aber einen enormen Aufwand erforderten. Diese frühen Plastiken zeigen organisch geschwungene Formen zwischen Architektur und Körper, sie verselbständigen sich zu ornamentalen Schwellkörpern 15
Michael Sandle, St George‘s Horse, 2007, © Michael Sandle, Foto Michael Richter
und führen im Hochglänzenden zu Spiegeleffekten. Eine dieser raumgreifenden Skulpturen, „Oranges and Lemons“ (1966), befindet sich im Skulpturenmuseum Glaskasten in Marl. Schon da liegt in der stufigen Sockelung die Denkmalform mit ihrer Allansichtigkeit vor. Wichtig ist auch, dass sich Sandle auf Sigmund Freud und die Rolle des Unterbewussten bezog. Auch künftig verwendet er eine Bildsprache, die über die Wiedererkennbarkeit und Deutlichkeit eine Intensivierung der Wirkung mit sich bringt, die Emotionalität mit klarer, nüchterner Beobachtung verbindet. Es ist das monumentale, in der Sammlung der Tate London befindliche „A Twentieth-Century Memorial“ (1971-78), mit dem Sandle die Brutalität des Krieges erstmals zum Ausdruck bringt. Schon vorher war der Krieg, den er als Kind bei der Bombardierung von Weymouth erlebt hat, für ihn ein Thema, aber jetzt kann Sandle mit dem Material Bronze alle Register des Figürlichen ziehen. Auf einer großen runden Scheibe sitzt ein lebensgroßes verbranntes Skelett mit einem Mickey Mouse-Kopf hinter einem Maschinengewehr. Bis auf das schwarze Skelett glänzt alles in Gold. An den Seiten befinden sich drei weitere, nun abstrahierte Mickey-Mouse-Häupter. Sandle bezieht sich auf verschiedene Quellen, er demonstriert Borniertheit, zeigt Mittelmäßigkeit und reagiert ganz konkret auf den Krieg in Vietnam. - Von da an ist es ihm ein Anliegen, das Monster Krieg in Bilder zu fassen und nach den inneren Triebkräften des Menschen zu forschen. Er fragt nach den Ursachen und der Rezeption. Er erkennt die Macht der Werbung, spricht sarkastisch-bewundernd von der Leistung des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels und erkennt im aufgebahrten Soldaten ein demonstratives Mittel des Aufpuschens. Orwells Prophezeiungen hat er eine eigene Skulptur gewidmet, die einen Kubus aus Fernsehschirmen in den Bändern des Globus zeigt. 16
Der Werbeagentur Saatchi & Saatchi hat er in den 1990erJahren eine Folge von Zeichnungen „gewidmet“, um deren Macht in der Gesellschaft und in der Kunst anzuprangern. Eine seiner größten, dynamischsten Figuren in Bronze schleudert mit aller Kraft einen Fernsehschirm weg, verwendet ihn wie einen Hammer. Der Titel der Skulptur: „A Mighty Blow for Freedom / Fuck The Media“ (1988). Michael Sandle klagt die Aggression und das Verlogene medialer Berichterstattung an und wählt in seinen Skulpturen und Aquarellen die Drastik des Realismus und der Symbole. Sein Werk beinhaltet ein Denkmal für die Opfer eines Hubschrauber-Absturzes in Mannheim-Neuostheim; es zeigt Katastrophen der Schifffahrt, schildert den Selbstmord in den Stromleitungen eines Zuges und zeigt die brennende Fassade eines Hochhauses. Die Ausstellung im oberen Pavillon des Skulpturenparks Waldfrieden, vorzüglich kuratiert von Jon Wood aus Leeds, konzentriert sich vor allem auf kriegerische Motive. Ein Modell reflektiert über Tiere im Krieg; im Außenbereich steht ein Pferd im Kreuzzug. Mitten im Raum befindet sich eine Pietà aus geschichtetem Holz, die sich direkt auf den Irakkrieg bezieht. Daneben steht ein abgeschossener Fliegerpilot mit den fünf Köpfen der Geschwister, die er an ihren Schöpfen hält. Mit „Caput Mortuum: A Commentary“ (1983) ist eine der berühmtesten Skulpturen aus der Gruppe der Katafalke zu sehen. Der Ton ist düster, dunkel, Schwarz dominiert. Aber Sandle hat die Patina variiert. Die Reifen sind in Grünspan gefasst, dann wieder findet sich ein brüchiges Grau, und dann wieder wählt er die sanfte undurchdringliche Dichte von Grafit. Entsprechend sind die drei Aquarelle, die zudem ausgestellt sind, alles andere als „schwarz“: Sie entrücken den Blick auf die Zerstörung wie hinter eine Scheibe. „Ich bin kein Sonnyboy“, sagt Michael Sandle. „Ich habe etwas gegen Heuchelei.“ Im Skulpturenpark ist seine so ernste, so grandiose Ausstellung eine Bereicherung. Thomas Hirsch Die Ausstellung Michael Sandle – Skulpturen ist noch bis zum 1. Juni im Skulpturenpark Waldfrieden zu sehen. Parallel dazu findet im unteren Pavillon eine Ausstellung mit neuen Malereien von Ian McKeever statt, im Dialog mit drei aktuellen Skulpturen von Tony Cragg. Skulpturenpark Waldfrieden Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal www.skulpturenpark-waldfrieden.de
Michael Sandle, Heidelberg Dame (Woman for Heidelberg ), 1987, Š Michael Sandle, Foto Michael Richter
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Berührungen Oder: Der Mensch und seine Projektionsflächen
Szene aus der Literatur Biennale 2018, Foto: Antje Zeis-Loi
Die fünfte Wuppertaler Literatur Biennale im Mai steht unter der Überschrift „Tier – Mensch – Maschine“. Eine Annäherung an ein komplexes und hoch aktuelles Thema von Julia Wessel. Eine mutmaßlich durch Tiere übertragene Krankheit versetzt einmal mehr Menschen auf der ganzen Welt in Angst. Um das Personal zu schützen, übernimmt in einem Pekinger Krankenhaus ein Roboter den Kontakt mit den betroffenen Patientinnen und Patienten. Im Jahr 2020 ist das Thema der diesjährigen Wuppertaler Literatur Biennale aktueller denn je: das Beziehungsgeflecht Tier – Mensch – Maschine. Ein Thema, das die alltägliche Lebenswelt des Menschen ebenso betrifft wie grundsätzliche anthropologische sowie moralische Fragen nach seinem Wesen und seiner (Neu-)Verortung gegenüber der eigenen sowie anderen, fremden, nichtmenschlichen Spezies. Dass die geladenen Autorinnen und Autoren aus zehn verschiedenen Ländern stammen, unter anderem aus Argentinien, Nicaragua, Polen, Großbritannien, aus der Ukraine und den Niederlanden, verdeutlicht die Brisanz, die dieses Thema nicht nur regional, sondern weltweit besitzt. 18
Paradigmenwechsel Rein syntaktisch nimmt die Titelkonstruktion der Literatur Biennale den Menschen in die Mitte. Im Hinblick auf diese Reihenfolge drängt sich zunächst die Assoziation einer evolutionären Chronologie oder einer intellektuellen Hierarchie auf: der Mensch, der sich aus dem Tier entwickelte und, folgt man futuristischen Visionen aller Art, zukünftig zunehmend von mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Maschinen abgelöst wird. Aber löst die Maschine heute nicht vielmehr das Tier ab als den Menschen? Tiere dienen dem Menschen schließlich nicht nur nach wie vor als Nahrung, sie wurden durch menschliche Hand in der Landwirtschaft und im Krieg eingesetzt, um Arbeitsleistung zu erbringen, in religiösen Zusammenhängen verehrt oder geopfert, in der Kunst daroder ausgestellt, zur reinen Unterhaltung dressiert oder mit nachweislichem Erfolg zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Allein der Begriff „Nutztiere“ veranschaulicht die vorherrschende menschliche Auffassung der Bestimmung des tierischen Lebens zum menschlichen Profit. Andererseits sind Tiere zahlreichen Menschen bis heute Begleiter, die ihnen ebenso nah sein können wie Familienmitglieder der eigenen Spezies. Maschinen hingegen vollbringen heute eine Leistung, die jede tierische und menschliche Arbeitskraft übersteigt, Fahrzeuge, die einst von Pferden gezogene Kutschen ersetzten, fahren zunehmend autonom, militärische Drohnen setzen (noch) auf menschlichen Befehl hin tödliche Schüsse ab, digitale Unterhaltungsmedien sind beliebter als der frühere Zirkusbesuch und das Smartphone als ständiger Begleiter aus dem menschlichen Alltag nicht wegzudenken. Intelligente Prothesen und andere technische „Verbesserungen“ des Menschen lassen ihn sich verstärkt zu einem Mischwesen entwickeln, das sich zumindest im Ansatz von seiner Natur entfernt. Steht der Mensch demnach mittig, weil er sich dem Tier abgewandt und der Maschine verschrieben hat? Steht er heute zwischen zwei vermeintlichen Gegenpolen – oder sogar verschiedenen Teilbereichen seines eigenen Wesens? Teilt er nicht die natürlichen Instinkte mit dem Tier und schuf die Maschine als Abbild seines Strebens nach Perfektion und größtmöglicher Effizienz?
Abgrenzungen Ungeachtet der Lesart des BiennaleTitels scheint es naheliegend, die Beziehung zwischen Tier, Mensch und Maschine anthropozentrisch zu denken. Denn der Mensch grenzt sich immer gezielt von allem Nichtmenschlichen ab, in erster Linie im Hinblick auf Eigenschaften, die er für sich beansprucht. Der Pathozentrismus, die Berufung auf die tierische Leidensfähigkeit,
bildet zwar die Grundlage für zahlreiche tier- und andere bioethische Fragestellungen, etwa zu Tierversuchen oder artgerechter Haltung, und beruft sich damit auf eine Gemeinsamkeit zum Menschen. Doch der Mensch besitzt im eigenen Verständnis aufgrund seiner Vernunftbegabung stets die Entscheidungshoheit über die Rechte der Tiere und sieht die Abgrenzung seiner selbst in einer intellektuellen Überlegenheit. Maschinen wiederum sind zwar durch menschliche Hand konstruiert, funktionieren demnach im Ursprung nach einer menschlichen Logik, arbeiten jedoch zunehmend eigenständig und besitzen teilweise bereits die Fähigkeit, sich selbst zu programmieren und weiterzuentwickeln. Damit sind sie dem Menschen – zumindest potenziell – kognitiv überlegen. Was der Maschine jedoch fehlt, ist die menschliche – und bei ganzheitlicher Betrachtung ebenso die tierische – Empfindsamkeit. Dankbarkeit, Ängste oder Mitgefühl sind ihr fremd. Die Sonderstellung des Menschen als Krone der Schöpfung wurde in der Vergangenheit neben einer intellektuellen und emotionalen Abgrenzung häufig durch die Sprachfähigkeit des Menschen begründet. Inzwischen können Siri, Alexa und andere Sprachassistenten jedoch längst nicht mehr nur Befehle entgegennehmen und befolgen, sondern diese in einen Kontext setzen und mehr oder weniger differenzierte Antworten geben, Produkte oder digitale Freunde vorschlagen und dadurch die menschlichen Entscheidungen wesentlich beeinflussen – auch ungefragt. Welche Auswirkungen es auf das menschliche Leben haben kann, wenn die Maschine dem Menschen mit einem Mal die Kommunikation verweigert, wird auch im Rahmen der Wuppertaler Literatur Biennale abgebildet: Dem Protagonisten in Philipp Schönthalers „Der Weg aller Wellen“ droht mit seiner digitalen Identität auch seine reale zu entgleiten, als die Technologie seines Arbeitgebers ihn scheinbar willkürlich von einem Tag auf den anderen aus dem System verstößt. Doch auch die zwischenmenschliche Kommunikation funktioniert vermehrt auf digitalem Weg – zuverlässiger, schneller und in den richtigen Momenten distanzierter als das persönliche Gespräch. Nicht nur in dieser Hinsicht ist die Maschine dem Menschen in erster Linie Dienstleister. Den Tieren wiederum sprach bereits Descartes auf Grundlage ihrer – aus menschlicher Perspektive – Sprachlosigkeit zugleich ihren Geist ab. Kant betrachtete sie außerhalb der moralischen Lebenswelt der Menschen, die auf Sprache, auf Vernunft beruht. Dass Tiere dennoch ihre eigenen Mittel und Wege haben, sich auszudrücken, auch dem Menschen 19
Wuppertaler Literatur Biennale 2018, Eröffnung im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal, Foto: Antje Zeis-Loi
Lesung im Café Hutmacher, Mirker Bahnhof, Foto: Antje Zeis-Loi
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gegenüber, würde sicher jeder Haustierbesitzer ohne zu zögern unterschreiben. Auch die niederländische Schriftstellerin und Philosophin Eva Meijer widerspricht den großen Philosophen: Im Rahmen ihrer jüngsten Veröffentlichung „Die Sprachen der Tiere“ liefert sie zahlreiche Beispiele für die Vielfalt tierischer Kommunikationswege und plädiert auf ein Rechtverständnis von Tieren, das diesen komplexen Phänomenen gerecht wird. Denn laut BGB sind Tiere zwar keine Sachen, werden juristisch aber nach denselben Vorschriften behandelt. Sprachfähigkeit ist ein Aspekt, der den Menschen maßgeblich vom Tier unterscheidet, ihm seine hierarchische Sonderstellung bestätigt und ihn den Maschinen, seit diese den Dialog mit ihm aufgenommen haben, vielleicht sogar näherbringt. Kommunikation scheint demnach ein grundlegender Aspekt für die Beziehung der drei titelgebenden Komponenten zu sein – sowohl im realen als auch im fiktionalen Kontext.
Neue Perspektiven Die Protagonistin von Monika Marons „Munin oder Chaos im Kopf“ etwa führt einen stetigen Dialog mit einem tierischen Balkongast – der jedoch vielmehr als moralische Instanz ihrer selbst auftritt. An dieser Stelle wird die Betrachtung der literarischen Auseinandersetzung mit dem Beziehungsgeflecht Tier – Mensch – Maschine besonders interessant: Gerade fiktionale Literatur kann die Grenzen, die die Wissenschaft mühevoll gezogen hat, durchbrechen oder symbolisch aufladen, Denkbares durchspielen oder Perspektivwechsel wagen. So sehen wir den Menschen in Teilen von Emma Braslavskys „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ durch die Augen einer außergewöhnlich selbstreflektierten maschinellen Protagonistin. Die Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Maschine birgt eine besondere Faszination und hat der Beschäftigung mit Androiden – Maschinen in Menschengestalt – seit jeher einen festen Platz in der Wissenschaft, aber ebenso in der Kunst, sei es Film oder Literatur, eingeräumt. Fiktion kann jedoch auch durch Parallelen Ähnlichkeiten zunächst grundverschiedener Lebenswelten aufzeigen. So etwa in Gestalt von Norbert Scheuers „Winterbienen“, deren Verhaltensweisen sich immer wieder analog zum politischen Geschehen des gleichnamigen Romans verändern. Die Kunst, genauer die Literatur, bildet also nicht nur die altbekannten Abgrenzungen zwischen Tier, Mensch und Maschine ab, sondern ebenso die Schnittstellen und wechselseitigen Abhängigkeiten, die sich aus dem Zusammenleben auf einem gemeinsamen Planeten ergeben – nicht umsonst lautet der emotional besetzte Titel des Mottos
der Wuppertaler Literatur Biennale „Berührungen“. Das Anerkennen dieser Berührungspunkte, des Miteinanders, kann für den Menschen überlebenswichtig sein. So dienen nicht nur die Bienenstöcke von Norbert Scheuers Winterbienen, sondern auch Laura Alcobas „Kaninchenhaus“ als Verstecke und Fluchtmöglichkeiten für verfolgte literarische Figuren. Die menschliche Betrachtung dieser Abhängigkeiten führt häufig zu einer selbstkritischen, beinahe demütigen Perspektive, die sich bereits seit Jahrzehnten wiederholt in der Literatur niederschlägt. Pauline de Bok beschreibt andererseits in „Beute“ die Faszination des Jagens als natürlichen Prozess zwischen Machtrausch und Respekt, zwischen Urtrieb und Verantwortung. Verantwortung obliegt dem Menschen – beansprucht er aller Vernunft zum Trotz weiterhin die Krone der Schöpfung für sich – jedoch nicht nur im Hinblick auf die Tierwelt, sondern auch auf den Umgang mit den von ihm entwickelten Maschinen. In Artur Dziuks „Das Ting“ erfahren die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Start-Ups die Konsequenzen daraus, ihre Entscheidungsfähigkeit an eine künstliche Intelligenz abgetreten zu haben – eine klassisch dystopische Vision einer Zukunft, in der die Technologie sich dank ihrer an Perfektion grenzenden Programmierung selbstständig macht, sich der Notwendigkeit und Möglichkeit menschlicher Kontrolle entledigt und in der Unternehmen angesichts des winkenden wirtschaftlichen Profits den Sinn für moralische Bedenken oder Sicherheitsrisiken verlieren.
Vorschau Das Programm der Wuppertaler Literatur Biennale 2020 spiegelt das Beziehungsgeflecht Tier – Mensch – Maschine in der Bandbreite, in der es in der zeitgenössischen Literatur verhandelt wird: als mahnende Zukunftsvision, als betroffene Selbstkritik, als ethisches Gedankenexperiment, als sachliche Bestandsaufnahme und sogar als Liebeserklärung. Was jedoch bei allen Varianten im Fokus steht, ist der Mensch, dem das Tier und die Maschine letztlich Projektionsflächen bleiben – für seine Errungenschaften ebenso wie für seine Selbstüberschätzung. Julia Wessel Aufgrund der aktuellen Situation rund um die COVID19-Pandemie kann die Wuppertaler Literatur Biennale nicht wie geplant im Mai 2020 stattfinden. Nach aktuellem Stand plant das Kulturbüro der Stadt Wuppertal eine Verschiebung der Literatur Biennale in gekürzter Form auf Ende Oktober/Anfang November 2020. Weitere Informationen unter www.wuppertal.de/literaturbiennale. 21
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Laubsägefisch Einmal habe ich den Schattenriss einer Koralle aus einer Zigarrenkiste geschnitten und ein Seepferdchen das so echt aussah, als schwämme es gleich davon Ich bin Künstler – meine Seele wird weit wie die Leinwand der See wenn ich dem Material eine neue, eigene Form verleihe Gelingt es, ist es das Größte und das Größte ist alles Hört Ihr, wie mein Sägeblatt singt? Doch auf der Arbeit werfen sie mir Bretter hin die so dick sind, dass nicht mal ein Schwertfisch sie bohren könnte oder ein Narwal mit seinem gedrehten Horn Der Hammerhai, der hier das Sagen hat, droht schon mit seinem breiten Kopf dabei wird erzählt, dass er selbst heimlich das Goldschmiedehandwerk betreibt allerdings seien seine Colliers plump wie rostige Ankerketten Ich würde Korallenstädte und Seepflanzenwälder ersägen, wenn man mich ließe Zigarrenkisten und leichtes Treibholz schwimmen genug herum Ich bräuchte nur, was man Laubsägefischen leider nicht gibt die Freiheit der Meere und die kostbare Währung der Zeit Schon wieder ein Brett, dick wie ein Pottwal und hart wie Tiefseegrabengranit Also Leute, ich muss dann mal wieder; war nett von Euch mir so lange zuzuhören – und danke für das Furnier Daraus mach ich noch was Besonderes trotz allem, Ihr werdet schon sehen Falk Andreas Funke Ilustration: Juliane Steinbach
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„Three Tales“, Foto: Uwe Stratmann
„Oper muss mitreißen; wie wir das schaffen, ist unser Problem und unser Geheimnis.“
Berthold Schneider, Intendant der Wuppertaler Oper, im Gespräch mit Marlene Baum Als langjährige passionierte Besucherin des Opernhauses Wuppertal ist mir das Eröffnungswochenende der ersten Spielzeit 2016/17 unter dem neuen Intendanten Bertold Schneider unvergessen. Auf Drehstühlen, eingezwängt zwischen eisernem Vorhang und riesigen, videobespielten Leinwänden, fanden wir uns samt Solistin-
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nen, Solisten und Orchester auf der Hinterbühne und erlebten Steve Reichs „Three Tales“. Der Intendant persönlich gestaltete publikumsnah die Einführung in die komplizierte polyrhythmische Technik des Komponisten, indem er uns aufforderte, die verschiedenen rhythmischen Patterns mitzuklatschen. Spätestens in diesem Augenblick war klar, hier weht ein neuer Wind! Hier steht ein Vollblutmusiker, einer mit Visionen, der sein Publikum mitreißen möchte, der gestalten will, handfest, klar und kompromisslos. Am nächsten Abend, mit der zweiten Premiere „Hoffmanns Erzählungen“, inszeniert von vier verschiedenen Regisseuren, war das Terrain unmissverständlich abgesteckt. Für Berthold Schneider hat sich der wagemutige Start gelohnt: „Bestimmte Fragen wurden einfach nicht mehr gestellt, da erlebbar war, was wir wollten.“ Seither läuft es, die Oper Wuppertal hat wieder ein Profil. Nur der Bereich „Education“ lag brach, denn Theaterpädagogik gab es kaum. Für den neuen Intendanten bedeutete das ein immenses Risiko, „gilt es doch, das Publikum von morgen so früh wie möglich mit dem Theatervirus zu infizieren, und zwar so nachhaltig, dass es in jedem Lebensalter wiederkommt.“ So spricht der stolze Vater eines zweijährigen Sohnes, der bereits eifriger Zuschauer und Zuhörer sein darf. Zum Glück konnte die Stelle einer Opernpädagogin inzwischen geschaffen werden. Berthold Schneider erinnert sich, wie er selbst vom Opernvirus befallen wurde: „Es passierte durch seine Ausbildung als Pianist und durch einen engagierten Musiklehrer. Ich war 13 oder 14 Jahre alt und fasziniert von der darstellenden Musik, von Musik mit außermusikalischen Inhalten. Drama und Musik – davon machte ich mir eine feste Vorstellung, da wollte ich hin, das war für mich klar, obgleich ich noch nie eine Oper gesehen hatte.“ Von da an liest sich der Werdegang des jungen Musikers wie ein Parforceritt durch die künstlerischen Disziplinen des Musiktheaters, vom ausgebildeten Pianisten und einem Masterstudium der Regie in den USA über Korrepetition, Dramaturgie und Regieassistenz zur Intendanz, und das international. Es gibt kaum eine Tätigkeit in dieser künstlerischen Sparte, die er nicht ausgeübt hat, bis hin zum Übersetzen und Schreiben von Libretti. Daraus resultiert nicht nur eine fundierte Kenntnis des künstlerischen und technischen Apparates Oper, sondern auch eine beispiellose internationale Vernetzung mit Künstlern und Institutionen.
Als wichtigsten Entschluss seines Lebens sieht Berthold Schneider den Schritt, 1998 alle festen Positionen aufzugeben und ohne finanzielle Mittel nach Berlin zu gehen. Da ergab sich die Gelegenheit, gemeinsam mit einem Freund das aufgelassene Gebäude der ehemaligen Staatsbank Berlin zu mieten. Aus eigenen künstlerischen Vorstellungen entwickelte er daraus einen „Kulturtempel“, die „staatsbankberlin“. Von 1999 bis 2005 setzte er dort seine progressiven Ideen um und führte erfolgreich avantgardistische musikalische Projekte durch – zunächst ohne jeden finanziellen Background. Seinen Lebensunterhalt verdiente Schneider durch das Schreiben von Texten und Konzeptionen für eine Medienfirma, und Gelder für die „staatsbankberlin“ konnte er akquirieren, weil das spektakuläre Gebäude im Zentrum Berlins sich schnell einen Namen machte, auch als besondere location für kommerzielle Vermietungen, sicher aber auch, weil Schneider durch seine entschlossene Begeisterung und sein fundiertes Wissen und die künstlerische Qualität zu überzeugen vermochte. Es folgten Jahre als freischaffender Regisseur und Projektleiter, als Chefdramaturg in Dortmund und als Operndirektor in Saarbrücken. Wie kam Berthold Schneider 2015 auf die Idee, sich ausgerechnet an ein Haus zu bewerben, das unlängst Schiffbruch erlitten hatte, dessen Ensemble aufgelöst war und das heftige Etatkürzungen verkraften musste? Schneider, der den dringenden Wunsch hatte, sich zu verändern, sah gerade in dieser Krisensituation seine Chance: „Ich baute auf Heilung durch die Überwindung der Krise und habe mir dabei nichts vorgemacht. Die Risiken waren hoch.“ So erfolgte die Bewerbung zögerlich, doch während der Monate, die das Verfahren lief, setzte sich Schneider intensiv mit der Wuppertaler Oper auseinander, mit ihrer Geschichte, mit der Realität und mit den Zahlen: „Je näher ich dem Haus kam, desto mehr hat es mich interessiert und umso mehr Zuversicht habe ich gewonnen. Das Haus war ja nicht kaputt, und ich spürte ja auch den Geist von Pina Bausch, der vieles zusammenhält und das Bewusstsein schafft, mit der Welt verbunden zu sein. Das Haus ist nicht isoliert, ich arbeite mit weitem Horizont und profitiere davon bei Kooperationen. Wir sind mit großen Behauptungen gestartet. Wuppertal kann in der oberen Liga spielen. Wir haben ein tolles Orchester und einen tollen Chor vorgefunden, und es ist uns gelungen, ein kleines, exzellentes Ensemble zusammenzustellen. Klar war: Wenn wir es schaffen, unser eigenes Profil zu finden, kann dieses Haus eine große Strahlkraft entwickeln.“ 25
Es dürfte nicht nur der Geist von Pina Bausch sein, den Berthold Schneider vernommen hat, sondern es verdankt sich dem besonderen Wuppertaler Geist, der die Choreografin dazu bewogen hat, in dieser Stadt zu bleiben. Denn zu künstlerischen Menschen mit Visionen gehören auch diejenigen, die Visionen ermöglichen. Die Offenheit, der Mut, sich auf neue, unbequeme Wege einzulassen, prägen die Städte Elberfeld und Barmen seit der Industrialisierung. Hier trafen die Avantgarden aus verschiedenen Sparten auf aufgeschlossene Menschen in entsprechenden Positionen und auf ein interessiertes Publikum; zu erwähnen sind die zahlreichen Gründungen von Vereinen seit dem 18. Jahrhundert, zu denen auch die Kunst- und Museumsvereine gehörten, die literarischen Vereine, das vorbildliche Engagement in der Armenfürsorge oder die technischen Innovationen in der Industrie. Dieser Wuppertaler Geist ist trotz zahlreicher Einbrüche bis heute lebendig.
gerissen, denn zeitgenössische Oper ist oftmals sehr komplex, man kann sie weder auf dem Klavier spielen noch mitsingen, was auch mit der steigenden Qualität der Künstlerinnen und Künstler zusammenhängt: „Deshalb müssen wir Neues ausprobieren wie bei dem Barockprojekt ‚Liberatione’ oder indem wir, wie bei ‚Das Labyrinth’, knapp 300 Laien auf der Bühne und im Orchester in die Aufführung einbezogen haben. Wir spüren, wie eine besondere Energie und Begeisterung im Haus schwingt. Solche Projekte sind für uns heilsam, weil sie uns an unsere Wurzeln führen und uns öffnen und wir uns fragen, ob wir noch mehr Teilhabe ermöglichen können. Denn die hat das Potenzial, das Leben derer zu verändern, die an solchen Projekten teilnehmen. Wer das im Alter von 15 Jahren erlebt hat, wird es nie vergessen. Oper ist kein Vehikel für Könner, sondern für tief greifende Erlebnisse, sie öffnet Türen und erweitert Horizonte.“
Dem neuen Intendanten ist klar, dass es Menschen gibt, die mit der Oper nichts anfangen können: „Die eigentliche Wahrheit liegt hinter dem Sichtbaren. Wir wollen die Oper spürbar machen, so, wie wir spüren, dass die menschliche Stimme unmittelbarster Ausdruck ist. Als Teil des Körpers ist sie das direkteste Instrument und trifft und betrifft uns psychisch und physisch. Mir geht es um das Erlebnis. Die Zuschauer sollen sich involviert fühlen und nicht denken, ‚die da oben und wir hier unten’.“ Daher die überraschenden Experimente mit ungewohnten Aufstellungen des Orchesters und mit den Stücken, in denen das Publikum auf der Bühne sein darf und Teil der Aufführung wird. Berthold Schneider ist begeistert von diesem Publikum: „Die Zuschauenden sind total dran, es vibriert!“ Genau das ist das Ziel: „Ob die sagen, ‚macht mal’ oder ob das Publikum etwas von uns erwartet – ich möchte Vorfreude entfachen und Neugier darauf, was wir uns jetzt wieder haben einfallen lassen. Wir müssen es schaffen, uns selbst zu überraschen. Wie wir das machen, ist unser Problem und unser Geheimnis.“ Der Intendant ist viel zu realistisch, um nicht zu wissen, dass eine derart hohe Erwartungshaltung auch zu Enttäuschungen führen kann, dennoch, „freudige Erwartung“ bleibt für ihn die ideale Haltung der Zuschauer.
Dem Intendanten mangelt es nicht an Ideen, diese Erwartungshaltung beim Publikum zu erhalten und neues Publikum zu gewinnen. Neben einem unkonventionellen Spielplan gehört für ihn auch dazu, „die Klassiker der Oper so frisch darzubieten, wie sie das Publikum bei der Uraufführung erlebt hat.“ Die Education-Projekte und „Share Your Opera“ sprechen Kinder und Jugendliche an. Die Kooperation mit der freien Kunstszene in Wuppertal „Sound of the City“ ist eine mehrtägige Großveranstaltung an verschiedenen Spielorten, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut, weil sie verschiedene Stilarten der Musik mit „ihrem“ jeweiligen Publikum zusammenführt und damit wechselseitig einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Dazu kommen Kooperationen mit anderen Bühnen wie mit der English National Opera London oder mit der Deutschen Oper Berlin. „NOperas!“ ist das jüngste Projekt: Im Rahmen des „Fonds Experimentelles Musiktheater“ werden zunächst über drei Spielzeiten drei zeitgenössische Opern in Wuppertal, Halle und Bremen uraufgeführt.
Schneiders Credo lautet, dass es nicht gut ist, die Oper als Institution nur als Besitz derer zu verstehen, die sich als Profis aufführen: „Oper war von der geistigen Haltung her immer offen für Laien. Als es noch keine Möglichkeit der Schallaufzeichnung gab, musizierte man zu Hause vierhändig am Klavier und sang dazu, daraus entstanden Welthits.“ Mit der Wende zum 20. Jahrhundert ist dieser Faden 26
Wuppertal ist bereits im Januar 2020 mit „Chaosmos“ gestartet. Auch diesmal saßen Orchester und Publikum auf der Bühne, auch diesmal spielte das Publikum mit, indem es zu Beginn das Notenmaterial einzusortieren hatte und damit für eine aleatorische Abfolge der Musik sorgte − Chaos oder Zufall? Nach den Jahren, während derer die Pflege der zeitgenössischen Musik unterbrochen war, ist es Berthold Schneider zu verdanken, dass die Wuppertaler Oper wieder mit dem Zeitgeist geht, auch wenn nicht jede Vorstellung ausverkauft ist. Dafür darf sich ein jüngeres Publikum angesprochen fühlen. Neu ist auch die Idee,
Berthold Schneider, Foto: Jens Großmann
im Rahmen von Liederabenden oder Liedermatineen den Solistinnen und Solisten des Ensembles und Mitgliedern des Opernchores die Gelegenheit zu geben, ein Programm eigenständig zu gestalten. Als vorläufig wichtigstes Projekt bezeichnet Berthold Schneider das 2019 gemeinsam mit Dortmund, Essen und Gelsenkirchen gegründete Opernstudio. Acht junge Sängerinnen und Sänger und zwei Korrepetitorinnen und Korrepetitoren aus verschiedenen Nationen haben über zwei Jahre lang die Möglichkeit, auf höchstem Niveau in den Beruf der Opernsängerin/des Opernsängers hineinzuwachsen. Die jungen Sängerinnen und Sänger haben sich bereits an zwei Liedermatineen im Kronleuchterfoyer vorgestellt. Während der Liedermatineen werden vorwiegend Kunstlieder vorgetragen. Der Liedgesang ist eine sehr spezielle, anspruchsvolle Disziplin, die von vielen Opernsängerinnen und Opernsängern gefürchtet ist. Robin Philipps, künstlerischer Leiter der Opernstudios, freut sich, dass sich seine Sängerinnen und Sänger dieser Aufgabe stellen, und meint, dass die Arien umso besser gelingen, nachdem man sich mit dem Vortrag von Liedern auseinandergesetzt hat.
Aktuell erhalten die Mitglieder des Opernstudios hochkarätige Meisterkurse bei international renommierten Künstlerinnen und Künstlern und sind in Produktionen der vier Opernhäuser zu hören. Als krönender Abschluss wird im Mai 2020 in Eigenproduktion eine Oper von Giovanni Paisiello in Gelsenkirchen und in Wuppertal zu erleben sein. Berthold Schneider ist stolz auf die vokalen und die darstellerischen Qualitäten seines Ensembles. Statt der üblichen Bewegungsklischees von Opernsängerinnen und Opernsänger erwartet das Wuppertaler Publikum ein unglaublich spielfreudiges Ensemble. 2017 und 2019 wurden zwei Sängerinnen mit hochkarätigen Preisen ausgezeichnet. Zum Geist des jungen Ensembles gehört auch, dass die erste Preisträgerin, Catriona Morison, mit einem Glückwunschplakat geehrt wurde. Sie ist inzwischen nur noch als Gast in der Wuppertaler Oper zu erleben und dabei, Karriere zu machen − kein Grund zu trauern, im Gegenteil, denn endlich ist Wuppertal wieder Sprungbrett, wie in alten Zeiten, und das Publikum darf wieder miterleben, wie ein Ensemble zusammenwächst und wie es sich entwickelt. 27
Das erste System vom namensgebenden Satz 5 aus der Partitur von Hesse
Lutz-Werner Hesse im Gespräch mit Karl Bellenberg zu seinem Sinfonischen Gedicht
„Ich habe dich gewählt …“ Einen Abend vor dem Todestag der Dichterin Else LaskerSchüler, der sich 2020 zum 75. Male jährt, traf sich der Wuppertaler Komponist und Geschäftsführende Direktor der Hochschule für Musik und Tanz Lutz-Werner Hesse mit dem Musikwissenschaftler Karl Bellenberg zum Gespräch über das jüngste Werk des Komponisten, das am 15. und 16. Dezember 2019 als Auftragswerk der Wuppertaler Bühnen zum Else-Lasker-Schüler-Jahr seine Uraufführung fand. Am 20. Januar 2020 sendete der WDR 3 dies als Mitschnitt. Einige der Gedanken dieses zweistündigen Werkgespräches werden hier wiedergegeben. Bellenberg: Herr Hesse, lassen Sie uns ein wenig hinter die Kulissen ihres neuen Werkes blicken! Was waren Ihre Beweggründe, gerade diese sieben Gedichte Else LaskerSchülers – „Die Verscheuchte“, „Das Lied meines Lebens“, „Vollmond“, „Ich liebe dich“, „Heimlich zur Nacht“, „Mein Tanzlied“ und „Gebet“ (Ich suche allerlanden eine Stadt) – auszuwählen? Hesse: Beim Studium des gesamten lyrischen Werkes der Dichterin markierte ich mir die Gedichte, die mich sofort ansprachen und bei denen ich das Gefühl hatte: Dazu kannst du Musik schreiben. Die Auswahl der sieben Gedichte geschah aber nicht unter Aspekten der Entstehungschronologie der Gedichte oder um das Leben der Dichterin musikalisch zu inszenieren, sondern allein aus dem Gedanken einer musikalischen Gesamtdramaturgie, die den Hörer emotional ansprechen sollte, und das immerhin über mehr als 45 Minuten. So beginnt z. B. das Werk ganz ohne Musik mit der Rezitation „Die Verscheuchte“. Erst in 28
Lutz-Werner Hesse, Foto: Uwe Schinkel
dessen Schluss mischen sich leise aber bedrohlich Paukenwirbel, die zu einem ersten großen Fortissimo des gesamten Orchesters führen. B.: Sie hatten ja, wie Sie zugeben, zunächst auch Probleme mit der Sprecherrolle, die im Auftrag erbeten war. Aber dieser für ein sinfonisches Werk ungewöhnliche Beginn ist durchaus überzeugend gelungen. Eine zweite musikdramaturgische Überlegung führte wohl zu Nummer 4, „Ich liebe dich“. Sie steht – auch thematisch – im Zentrum des Werkes und endet in einem klanggewaltigen E-Dur Akkord der Orgel. Das klingt nach Messiaen. H.: Vielleicht. Aber mir ging es darum, diese sowohl vom
Wort „Liebe“ als auch von der Position im Werk zentrale Stelle musikalisch herauszustreichen. Die Orgel hat übrigens an anderen Stellen auch stützende Funktion für den Chor. Auch die später folgende Nummer 6, „Mein Tanzlied“, ist bewusst dramaturgisch dort positioniert, wo nach 25 Minuten die Konzentration der Hörenden aufgefangen werden sollte. B.: Und das gelingt nicht etwa mit großem „Orchestergetöse“, sondern mit sparsamen Mitteln: Flöten, Viola, Cello, wenig Schlagzeug und erste Violine in hoher Lage obertonarm am Steg spielend. H.: Während die tiefen Streicher einen flirrenden Klangteppich mit kleinschrittigen Akkordrückungen legen, spielt die erste Violine schnell hingehauchte Passagen, die in höchster Lage von Flötenpfiffen begleitet werden. B.: So schafft man eine unheimliche, ekstatische und teuflische Stimmung, und der fatale Gedichttext wird nicht gesungen, sondern wieder nur dämonisch rezitiert: „Der Teufel holt sich mein Missgeschick, / Um es ans brandige Herz zu drücken“. Das klingt nach Teufelsgeiger und Hexentanz! H.: Ja! Wir wechseln in einen 5/4-Takt; kein üblicher Tanzrhythmus im 3er- oder 4er-Takt, stattdessen ein ungleichmäßiges Wogen. Schlagzeug und Blechbläser, darüber die Holzbläser in hoher Lage mit markanten Synkopen-Rhythmen, regieren das dramatische Geschehen. B.: Das hat etwas von Strawinskys „Le Sacre“. – Und dann lassen Sie den Spuk auf einem kurzen Fortissimo-Schlag des Orchesters abrupt enden. H.: Nicht ganz! Das Gedicht wird nochmals in einer Reprise rezitiert, aber der Chor als „Kommentator“ mischt sich schließlich ein in einem Tohuwabohu: „Der Teufel, der Teufel, der Teufel …!“ B.: Die Nummer 7 ist die letzte Vertonung und schließt als „Gebet“ (Ich suche allerlanden eine Stadt) offenbar auch mit dem Gedanken Else Lasker-Schülers an das himmlische Jerusalem. Der Satz beginnt mit einer orientalisch anmutenden, getragenen Kantilene in der Oboe, die von Harfenklängen abgelöst wird, dazu das Mezzosopran-Solo. Dann setzt der Chor ein mit einem geradezu klassischen Choralsatz. Verwenden Sie gezielt Modi, also Tonarten, die von unserer Dur-Moll-Welt abweichen? H.: Die nicht alltäglichen Modi, von denen Sie sprechen, werden von mir nicht als modale Stilelemente verwendet, sondern es ergibt sich ein Melodieverlauf, der zufällig
phrygisch klingt, nicht aber in der Komposition als alte Kirchentonart eine Funktion hätte. Das gilt auch für Stellen, die möglicherweise orientalisch klingen. Ich würde da in der Musik keine Nähe zu sprachlichen Bildern (bei Else Lasker-Schüler) suchen. Das empfände ich als platt. B.: Gibt es denn in Ihrer Komposition Elemente, die man nicht hört, sondern nur in der Partitur lesen kann? Etwa im 7/4-Takt des Epilogs die Sieben als heilige Zahl? H.: Nein, so etwas schreibe ich nicht. Mir kommt es darauf an, dass der Hörer spürt: Da ist etwas Besonderes. – Es geht mir eher um die Vermeidung eines in Westeuropa üblichen Metrums. Das Werk sollte nicht so enden, dass ich mich in ein Metrum „einwiege“ und zu einem „gemütlichen Ende“ komme, sondern ein Ende schreibe, das durch den 7/4-Takt etwas stört oder verstört. Dies gilt auch für die Wiederholung des letzten Verses, bei der das „verwanderte“ entbehrlich wird und es nur noch heißt: „Sieh in mein Gesicht“, stellvertretend gesungen von allen Sängerinnen und Sängern. B.: Vielen Dank, dass Sie uns einige tiefere Einblicke in Ihr Werk gegeben haben und uns teilhaben ließen an den Überlegungen eines Komponisten zu Aufbau, Dramaturgie und musikalischer Gestaltung seiner Komposition.
DO, 11. JUNI SA, 29. AUGUST WANDELKONZERT ELIDA ALMEIDA SO, 30.AUGUST SA,20. JUNI SIMON RUMMEL TONY ALLEN ENSEMBLE CELEBRATES JOEY BARON & HUGH MASEKELA ROBYN SCHULKOWSKY SO,21. JUNI TRILOK GURTU SA, 26. SEPTEMBER GRÉGOIRE MARET & ROMAIN COLLIN
SKULPTURENPARK WALDFRIEDEN, WUPPERTAL KUNST. MUSIK. NATUR. PROGRAMM 2020
Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal www.skulpturenpark-waldfrieden.de 29
Weltstars und Weltbürger
KLANGART im Skulpturenpark Waldfrieden
Tony Allen & Hugh Masekela, © Brett Rubin & Bernard Benant
Einmal mehr feiert die von der Tony Cragg Foundation veranstaltete Konzertreihe KLANGART im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden die Vielfalt, den individuellen Ausdruck und die Kraft der Gemeinschaft. Zu Gast sind Weltstars und Weltbürgerinnen und Weltbürger wie Tony Allen, Trilok Gurtu, Elida Almeida, Joey Baron und Grégoire Maret. Bei KLANGART ist es seit jeher selbstverständlich, Musikerinnen und Musiker aus aller Welt zu präsentieren, die ihrerseits wiederum unterschiedlichste Einflüsse in ihrer Musik vereinen. Auch in diesem Jahr lädt die von Maik Ollhoff kuratierte Reihe wieder zu musikalischen Weltreisen ein.
Gemeinschaftliches Lustwandeln Los geht’s am Donnerstag, dem 11. Juni, mit dem schon traditionellen Wandelkonzert: Zehn Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster Spielarten schwärmen von der Villa Waldfrieden in den Park hinaus und gruppieren sich immer wieder neu. Ihre Improvisationen verweben sich mit den natürlichen Geräuschen von Wind, Vögeln, Stimmen und entferntem Verkehr zu einem poetischen Klanggeflecht – 2019 kam noch eher unerwünschtes Regenprasseln hinzu. Hoffen wir, dass diese Klangquelle in diesem Jahr ausfällt. 30
Polyrhythmischer Sommerauftakt Am Samstag, dem 20. Juni, kommt eine echte Legende aus Nigeria nach Wuppertal: Als Schlagzeuger und musikalischer Direktor von Fela Kuti hat Tony Allen den Afrobeat miterfunden. Seither verwaltet der mittlerweile 79-Jährige aber keineswegs nur dessen Erbe, sondern betritt immer wieder auch musikalisches Neuland. Sein neues Album „Rejoice“ hat er zusammen mit dem südafrikanischen Trompetenstar Hugh Masekela aufgenommen. Die Gerüste der Songs stammen aus dem Jahr 2010 – aus der ersten und einzigen gemeinsamen Session der beiden. Bezeichnenderweise waren die weltweit gefragten Musiker, die sich seit Jahrzehnten kannten und schätzten, nicht etwa in Afrika zusammengekommen, sondern im Melting Pot London. Fertiggestellt wurden die Stücke erst im letzten Jahr nach dem Tod von Hugh Masekela, wiederum in London. Allen hatte dazu einige Protagonisten der angesagten UK-Jazz-Szene versammelt, darunter Tenorsaxofonist Steve Williamson und Kokoroko-Bassist Mutale Chashi, beide auch in Allens Touring-Band dabei. Am Tag darauf, dem 21. Juni, wird ein weiterer Weltbürger und Weltstar sein Percussion-Arsenal auf der Open-AirBühne aufbauen: Der in Bombay/Indien geborene TablaSpieler und Perkussionist Trilok Gurtu bewegt sich seit fünf Jahrzehnten an der Schnittstelle von klassischer indischer
Elida Almeida, Foto: Lawson Daku
Trilok Gurtu, Foto: Boris Breuer
Musik mit westlicher Jazztradition und Funk sowie afrikanischen und brasilianischen Musiktraditionen. Auf seinem neuen Album „God Is A Drummer“ huldigt er einigen der Musikerinnen und Musikern, die ihn geprägt haben, darunter Weather-Report-Legende „Josef Erich“ Joe Zawinul, der brasilianische Schlagzeuger Nana Vasconcelos, der große Jazz-Drummer Tony Williams und seine eigene Mutter, die Sängerin Shobha Gurtu. Zusammen mit einer grandiosen Band aus seiner Wahlheimat Hamburg – die ihn auch bei KLANGART begleitet – beweist er, dass auch vertrackte Rhythmen mit halsbrecherischen Wechseln höllisch grooven können.
Hochsommerliche Highlights Am Samstag, dem 29. August, kann sich das Publikum in Wuppertal auf einen heißen Abend freuen. Elida Almeida gilt als Thronfolgerin der großen Cesaria Evora. Gerade mal 27 Jahre jung, nimmt sie die Tradition ihrer Heimat Kap Verde als Ausgangspunkt, um ihren eigenen musikalischen Weg zu gehen. In ihrer Musik verschmilzt sie afro-kubanische Rhythmen mit traditionell kapverdischen Musikformen – und interpretiert sie auf ganz eigene Weise neu. „I am Elida Almeida and I do what I want. People have to accept that“, sagte sie dazu selbstbewusst in einem Interview. Als eine der wenigen Sängerinnen aus Kap Verde schreibt sie ihre Stücke meist selbst. Ein Doppelkonzert erwartet Freundinnen und Freundeder improvisierten Musik am Sonntag, dem 30. August.
Für einigen Rummel dürfte das Simon Rummel Ensemble sorgen: Spontan transformieren die Musikerinnen und Musiker komponierte Miniaturen in etwas Neues – „mal in übermütiger Zirkuskapellenlaune, mal lyrisch kammermusikalisch, mal widerborstig klangexperimentell“, wie Julia Neupert auf SWR2 urteilte. Zweiter Act ist das unkonventionelle Duo von Joey Baron & Robyn Schulkowsky – der Weltklasse-Schlagzeuger und die experimentelle Perkussionistin erforschen das Präzise, Laute und Schöne.
Transatlantisches Finale Das Abschlusskonzert am Samstag, dem 26. September, schlägt eine Brücke von Europa in ein mythisches Amerika – in das Flussdelta, in dem Folk, Country, Blues, R&B, Gospel und Bluegrass zusammenfließen. Mundharmonika-Großmeister Grégoire Maret und Pianist Romain Collin, beide mit der europäischen Kultur ebenso vertraut wie mit der amerikanischen, entwickeln ihre ganz persönliche Perspektive auf die Wurzeln der amerikanischen Musik. Für die CD-Aufnahme ihres „Americana“-Projekts haben sie sich den Gitarristen Bill Frisell eingeladen, der das KLANGART-Publikum 2019 tief berührt hat. Beim KLANGART-Konzert von Grégoire Maret und Romain Collin wird Marvin Sewell, langjähriger Begleiter von Cassandra Wilson, Frisells Part übernehmen. Vor den Konzerten sind die Besucherinnen und Besucher eingeladen, den Skulpturenpark zu erkunden, der neben Skulpturen von Gastgeber Tony Cragg auch Arbeiten weiterer Künstlerinnen und Künstler beherbergt. Bei KLANGART 2020 kommen Musik, Kultur und Natur wieder auf höchst erfreuliche und weltoffene Weise zusammen. Guido Halfmann Alle Infos unter www.skulpturenpark-waldfrieden.de/klangart 31
32 Der Liebestrank, Foto: Bjรถrn Hickmann
Musiktheater in Hagen und Wuppertal:
Sehenswerte Auff체hrungen Auch im weiteren Verlauf der Saison haben die Opernh채user in Wuppertal und Hagen ganze Arbeit geleistet und Auff체hrungen bester Qualit채t geliefert.
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bende Liebestrank des Quacksalbers Dulcamara, heute gibt es da ja anderes. Adina hat, bevor sie sich am Schluss zu Nemorino bekennt, einen kräftigen Schlingerkurs hinter sich, hätte fast den Soldaten Belcore geheiratet. Der Regisseur arbeitet auch deutlich heraus, dass das Zusammenfinden des glücklichen Paares etwas plötzlich kommt. Großes Vergnügen hatte das Publikum an einem immer wieder auftretenden rosa Elefanten. Den ersten, im Kleinformat, bekommt Adina von Belcore als Brautgeschenk. Kurz vor der Pause senkt sich dann ein riesiger aufgeblasener rosa Elefant über das gesamte Geschehen. Nach der Pause ein Knalleffekt: Nicht nur der Riesenelefant steht auf der Bühne, sie wird noch bevölkert von ungefähr 30 kleineren rosa Tuffis, dem Wuppertaler Chor. Kurz danach entdeckt man aber den verzweifelten Nemorino unter einem der Elefantenfüße. Und er erhält als Geschenk von Belcore auch einen halben Minituffi, nachdem er sich als Soldat verpflichtet hat, um an Geld für einen zweiten Liebestrank zu kommen. Je mehr danach die Methoden der Verführung aufgegeben werden zugunsten der Entdeckung wahrer Gefühle, die rosa Brille also abgesetzt wird, umso mehr sackt der aufgeblasene Elefant in sich zusammen. Der Liebestrank, Foto: Björn Hickmann
Intelligentes Vergnügen: Donizettis „Liebestrank“ im Wuppertaler Opernhaus Am Karnevalssonntag hatte das Premierenpublikum bei Donizettis „Liebestrank“ seinen Spaß, belohnte die guten Ideen auf der Bühne, oft aus der Musik entwickelt und von Sängerinnen und Sängern und Orchester hervorragend umgesetzt, mit Zwischenbeifall. Die Inszenierung von Stephan Prattes war alles andere als bieder. Kein italienisches Dorf im 19. Jahrhundert, jeglicher Naturalismus war komplett ausgetrieben. Verführung, vor allem im Sinne von Manipulation, wird in den Mittelpunkt gestellt. Das passiert zum einen mit modernen Mitteln, Filmen und Smartphone-Apps, womit das Stück in die Gegenwart geholt wird. Andererseits spielen auch uralte Mittel der Verführung eine Rolle: beide Hauptpersonen, Adina und Nemorino, die sich am Schluss doch kriegen, verstellen sich und instrumentalisieren andere, um die geliebte Person zu reizen und für sich einzunehmen. Auch werden Mittel benutzt, die groß angekündigt zu helfen scheinen, es aber nicht tun: damals der titelge34
Zwei von vielen Ideen der Regie, die sich zudem durch intensive und genaue Personenführung auszeichnet: Der Quacksalber Dulcamara erscheint zuerst gar nicht als Person auf der Bühne, sondern verfünffacht im Film auf einer schwebebahnähnlichen Gondel, in der er seine Produkte bewirbt. Und - ein wunderbarer Gag - Adinas Freundin Gianetta erzählt den Frauen vom plötzlichen Reichtum Nemorinos als Leiterin eines Yogastudios während einer Yogastunde, die daraufhin komplett aus dem Ruder läuft. Das alles funktioniert aber nur so gut durch die hervorragende Zusammenarbeit von Sängerinnen und Sängern, Chor und Orchester. Die Inszenierung kommt diesmal komplett ohne Gäste aus, die Wuppertaler Sängerinnen und Sänger können ihre Qualitäten zeigen. Das tun sie ausgiebig: Ralitsa Ralinova als Adina, Sangmin Jeon als Nemorino, Wendy Krikken als Gianetta. Simon Stricker als Belcore und Sebastian Campione als Dulcamara füllten ihre Paraderollen als männliche Alphatiere wunderbar aus. Der Wuppertaler Opernchor überzeugte nicht nur durch Wohlklang und präzises Halten des Tempos auch in rasanten Passagen, sondern hatte offensichtlich dabei auch noch seinen Spaß. Diesen Eindruck hatte man auch vom Orchester unter Leitung von Johannes Pell, das die eingängige Musik Donizettis hinreißend wiedergab.
Lortzings „Zar und Zimmermann“ in Hagen, brillant neu erzählt Auch dem Theater in Hagen gelang ein komödiantisches Highlight. Albert Lortzings Opern wurden seit den 70erJahren kaum gespielt, standen unter Biedermeierverdacht, galten als harmlose Spielopern. Was war also zu erwarten, wenn eine offensichtlich verstaubte Oper wieder auf dem Programm steht? Um es kurz zu machen: Es wurde ein brillanter Abend. Zuerst einmal: ständig laute Lacher im Publikum, aber es war in keiner Weise auch nur annähernd klamaukig. Regisseur Holger Potocki hatte uns in seiner neuen Textfassung die Handlung sehr nahe gerückt, mit politischem Tiefgang, aber sehr witzig, äußerst sinnvoll aktualisiert. Diese neue Geschichte hatte er sinnfällig und liebevoll bis in die kleinsten Gesten auf die Bühne gebracht, sogar eher nachvollziehbar als die alte Verwechslungsgeschichte von Lortzing.
kannte uneheliche Sohn des russischen Präsidenten Putin, der zum Regierungschef aufgebaut werden soll. Mehrere Agenten sind hinter ihm her, ein Engländer und ein Franzose, der mit Putins Sohn einen Beistandspakt vereinbaren will. Immer wieder hat der großspurige van Bett mit einer Widerstandsgruppe zu kämpfen, das Kommando ZimmAmann, die ihn auch erreicht und stellt, als er sein bunkerartiges Büro unter Wasser verlegt hat. Nach umfangreichen – vergnüglichen und gut nachvollziehbaren – Verwicklungen ist van Bett/Trump am Ende demoralisiert, dagegen hat Michailow, Putins Sohn, in Moskau überraschend die Regierung übernommen. In Potockis Bearbeitung ist der gesamte gesprochene Text neu, die Texte zur Musik bleiben aber im Wesentlichen unangetastet. Das passt nicht immer ganz zusammen, wird
Die neue Geschichte kann hier nur angedeutet werden: Hauptperson ist der dumme und eingebildete Bürgermeister von Saardam, van Bett, unmissverständlich als populistischer Wiedergänger von Donald Trump erkennbar. Er hat die Werft seiner Stadt gerettet, sie boomt dadurch, dass sie Kriegsschiffe und U-Boote baut. Auf der Werft angestellt sind zwei Russen, beide heißen Peter. Peter Iwanow ist ein Deserteur der russischen Armee, der zweite Peter, Michailow, bei Lortzing inkognito der Zar, arbeitet zwar ebenso unerkannt auf der Werft, ist aber der bisher unbe-
Oben: Markus Jaursch, Olaf Haye Rechts: Olaf Haye, Richard van Gemert, Markus Jaursch, Statisterie Fotos: Klaus Lefebvre
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aber auch gar nicht verklebt, sondern die Reibung zwischen beiden wird bewusst ausgenutzt oder sogar übertrieben. Worauf kann man sich als Zuschauerin oder Zuschauer noch freuen? Nur einige der Ideen des Regieteam seien angedeutet: Van Bett ist eine Trump-Karikatur, seine Ähnlichkeit mit jenem fast beängstigend. Geistig ist er ein sehr kleines Licht, legt keinen Wert auf politische Korrektheit, demokratische Verhaltensweisen sind ihm ein Gräuel, Korruption ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Sehr lustig ist eine Sauna-Szene, dort finden gleichzeitig zwei politische Verhandlungen statt. Eine köstliche Szene, wie Staatsgeschäfte in Saunakabine und Whirlpool zwischen Aufgüssen und aufsteigenden Dämpfen erledigt werden, wobei schon mal ein Tablet mit wichtigen Informationen ins Wasser fallen kann. Angesichts dieser gelungenen Neuerzählung kann man auch die Musik neu hören. Das Regiekonzept folgt ihr genau, geht nicht über sie hinweg, die Darstellenden lassen sich von ihr tragen und können sich auf Rodrigo Tomillo und sein Hagener Orchester blind verlassen. Der legt in vielen bewegten Stellen eine ordentliche Rasanz vor, Sängerinnen und Sänger sowie der sehr bewegungsfreudige Chor müssen sich genau fokussieren. Auch die Sängerinnen und Sänger zeigten sich wieder in Bestform. Genannt seien Markus Jaursch als Bürgermeister van Bett und Kenneth Mattice als Peter Michailow, der uneheliche Putin-Sohn. Auch das übrige Ensemble überzeugt in gewohnt hoher Qualität.
Wunderbare Sängerinnen, authentische Musik, durchdachte, überzeugende Regie Ende Februar kam in Hagen noch eine neue Produktion heraus, Glucks „Orpheus und Eurydike“. Schon allein der drei Sängerinnen wegen lohnt es sich, nach Hagen zu fahren. Von der Mailänder Scala hatte das Hagener Theater für die Rolle des Orpheus die Altistin Anna-Doris Capitelli geholt. Selten kann man eine so schöne Stimme hören: voluminös, nuancenreich und ausdrucksstark. Die beiden anderen Rollen konnte das Theater mit eigenen Kräften besetzen. Angela Davis sang und spielte die Eurydike mit intensivem Ausdruck in Stimme und Spiel, eine starke Frau, die genau weiß, was sie will. Und Cristina Piccardi verkörperte sehr glaubhaft mit glockenreinem Sopran den Gott Amor, der aus dem Publikum auf die Bühne steigt.
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Weil es nur drei Solopartien gibt, hat der Chor eine entscheidende Rolle. Sein Gesang kam stark und überzeugend über die Rampe. Besonders berührend war seine Rolle im zweiten Akt, wenn er erst mit allen Mitteln den Eintritt des Orpheus in die Unterwelt verhindern will, dann aber durch dessen Gesang immer milder gestimmt wird. Eingebunden in die Darstellung waren auch acht Tänzerinnen und Tänzer des Hagener Balletts, oft in Handlungseinheit mit dem Chor, aber auch in selbstständigen Auftritten. Sängerinnen und Chor waren hörbar eng verzahnt mit dem Orchester unter Steffen Müller-Gabriel. So wurden die emotionalen Aufs und Abs der Personen schon allein durch die musikalische Umsetzung sehr deutlich. Ohne sinnvolle Durchdringung der Geschichte durch das Regieteam (Regie: Kerstin Steeb, Bühne und Kostüme: Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert) wäre es aber doch kein ganz gelungener Abend geworden. Der plötzlich angehängte positive Schluss, von Gluck der Konvention geschuldet, wurde umgedeutet. Der von Amor gewaltsam herbeigeholte Triumph der Liebe spielt keine Rolle, im Gegenteil. Eurydike will schon am Anfang freiwillig in den Tod gehen. Orpheus durchlebt verschiedene Stationen der Trauer, kann seine Frau am Ende erst loslassen. Das führt dann im Finale der Oper zu einem dramaturgischen Kontrapunkt: Zur fröhlichen Musik der Wiedervereinigung verlässt Eurydike mit den Geistern der Unterwelt wieder die Erde, diesmal lässt Orpheus sie auch ziehen. Dieses Bild bildet eine Klammer, kommt auch am Anfang schon vor. In diesen beiden Szenen geht Eurydike durch einen dunklen, sich verengenden Tunnel ins Helle, wie Menschen mit einer Nahtoderfahrung das beschreiben. Auch was zwischen diesen beiden Szenen passiert, ist berührend, konsequent und folgerichtig inszeniert, dabei auch sehr aktionsreich angesichts der minimalen Handlung, die präzise aus der Musik heraus inszeniert wird. Amor, weiblich, entert mit penetrantem Dauerlächeln die Bühne, wird am Schluss aber düpiert, weil sich Eurydike und dann auch Orpheus ihr nicht beugen, die Willkür der göttlichen Botschaft entlarven. Ein ernster Abend, gewiss. Aber äußerst sinnfällig und zum Nachdenken anregend. Und musikalisch von allerhöchster Klasse! Fritz Gerwinn
Weitere Vorstellungen: Der Liebestrank 19., 25. April, 29. Mai, 6. Juni 2020, am 27. Mai verkürzte Fassung in der Reihe „Große Oper Klein“ Zar und Zimmermann 22. April, 2. Mai 2020 Orpheus und Eurydike 5., 11.,26. April, 21. Juni 2020 Jeweils unterschiedliche Anfangszeiten!
Oben links: Chor, Ballett Oben rechts: Anna-Doris Capitelli, Ballett, Chor Unten: Anna-Doris Capitelli Alle Fotos: Klaus Lefebvre
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Encounters/ Begegnungen Mit Sidi Larbi Cherkaoui, Richard Siegal, Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen, Helena Waldmann und Rainer Behr. Mit Tänzerinnen und Tänzern des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und Gästen
Im Juni bringt das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch eine neue Produktion unter dem Titel Encounters/Begegnungen heraus. Bettina Wagner-Bergelt, seit 2019 Intendantin des Tanztheaters Wuppertal, legt den Fokus auf die Förderung und Stärkung des kreativen Potenzials im eigenen Ensemble und gibt neue Impulse.
Encounters ist ein Wagnis. Das Tanztheater Wuppertal erfindet sich in einem noch nie dagewesenen Format neu. Dazu schließt sich das Ensemble mit fünf renommierten Choreografinnen und Choreografen und einem Bühnenbildner zusammen, lädt gemeinsam Gasttänzerinnen und -tänzer, Ton-, Musik-, Licht- und Kostümkünstlerinnen und -künstler ein und formt ein kollektives Wesen: „Halb Künstler, halb Taucher, sehr talentiert, doch unorganisiert.“ (Knut Klaßen). Es geht darum, aus den eigenwilligsten, individuellen künstlerischen Ansätzen einen Abend zu gestalten, der „tanzt“ und für Vielfalt steht. Ein Wagnis, weil sich das Ensemble dazu in eine Vielzahl künstlerischer Einheiten aufteilt, Identität und Selbstverständnis riskiert. In den unterschiedlichen Formationen begegnen die Tänzerinnen und Tänzer den Choreografinnen/Regisseurinnen Helena Waldmann und Monika Gintersdorfer und den Choreografen Richard Siegal, Sidi Larbi Cherkaoui und Rainer Behr sowie internationalen Tänzerinnen und Tänzer aus dreien dieser Ensembles, von Afrika bis Costa Rica. Eine offene Form, die für demokratisches Arbeiten und für den neugierigen Blick auf das Fremde steht, die Grenzen auf 38
Eddie Martinez, Probe mit Helena Waldmann, Foto: Knut KlaĂ&#x;en
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Héléna Pikon und Sidi Larbi Cherkaoui, alle Fotos Seite 42/43: Knut Klaßen
löst und die Frage der Autorenschaft unwichtig erscheinen lässt. Das Fremde als Leitmotiv und innerster Kern dieser Begegnung. Inhaltlich greifen die Künstlerinnen und Künstler im so erweiterten Kosmos Tanztheater aktuelle politische und gesellschaftliche Themen auf und reflektieren sie aus der eigenen Position in der Begegnung und in der Konfrontation, auch im Bezug zur eigenen Geschichte und den Kreationsprozessen des Œuvres von Pina Bausch. Probenstätten sind neben Wuppertal auch Köln, Madrid und Antwerpen. Die Dezentralisierung der Proben ist Teil des Montagecharakters der kreativen Arbeit und gleichzeitig ein Akt des Verdichtens, der die künstlerischen Prozesse durchzieht. Der bildende Künstler Knut Klaßen hat zusammen mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstler zwölf radikale Interventionskonzepte und Ideen entworfen, um einen gemeinsamen Raum für den gesamten Abend zu schaffen. Dieser bricht bewusst die Bühnengrenze auf, macht diese durchlässig und bezieht sich dabei zudem zentral auf die eigenständigen Arbeiten der beteiligten Wuppertaler Kunstschaffenden der Bereiche Ton/Musik, Kostüm und Licht wie Andreas Eisenschneider oder Fernando Jacon. Die kurzen biografischen Skizzen der einzelnen künstlerischen Standpunkte verdeutlichen deren Unterschiede. Dadurch ermöglicht Encounters wirkliche Begegnungen: zwischen den Tänzerinnen und Tänzern des Tanztheaters 40
Kaspy Kusosa Kuyubuka N’Dia, Probe mit Sidi Larbi Cherkaoui
Wuppertal, den Wuppertaler Künstlerinnen und Künstlern, den Choreografinnen und Choreografen und deren Tänzerinnen und Tänzern. „Helena Waldmanns Arbeiten“, schreibt die Tanzkritikerin Dorion Weickmann, „sind regelmäßig dazu angetan, unser Selbstbild wie unsere Wahrnehmung fremder Kulturen zu durchkreuzen. Die Berliner Regisseurin und Choreografin nähert sich ihren Stoffen gleichsam mit dem Blick der Anthropologin, die scheinbar Vertrautes und Alltägliches so lange beobachtet, bis sich alle Gewissheiten verfremden und in dichte (Tanz-) Beschreibungen verwandeln. Statt mit Wucht zu provozieren, geht Waldmann jeweils mit feinen Nadelstichen vor: Die Textur ihrer Werke ist ebenso präzise wie effektvoll geschnitten, und ihre Zumutung an den Zuschauer liegt eben nicht im ästhetischen Skandal, sondern in der Summe ausdrucksstarker und dennoch wohl dosierter Bilder“. Der amerikanische Tänzer und Choreograph Richard Siegal versucht in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlichster Disziplinen, dem Ballett im zeitgenössischen Tanz ein neues Gesicht zu geben. Der von Eva-Elisabeth Fischer (Süddeutsche Zeitung) als innovativster, als „aufregendster Tanzschöpfer seiner Generation“ bezeichnete Siegal öffnet einen Blick auf eine Zukunft, in deren Mitte wir uns befinden. Siegal arbeitet mit Text, Stimme, Klang, Musik, Struktur und Material und findet darüber immer wieder neue Zugänge zu Bewegung.
Sidi Larbi Cherkaoui und Kozuki Kazutomi
Sidi Larbi Cherkaoui, flämisch-marokkanische Choreograf, gehört zu den umjubelten Stars seines Metiers und sorgt seit Jahren mit seinen meisterlich erzählten Tanzstücken, die immer auch seine hybride Herkunft aus verschiedenen kulturellen Welten reflektieren, weltweit für Aufsehen. Seine Choreografien zeichnen sich durch eine Vereinigung von Elementen dieser verschiedenen europäischen und nordafrikanischen Kulturen, Religionen und Kunststile aus. Von Pina Bausch wissen wir, dass sie ihn und seine Arbeit sehr schätzte. Rainer Behr ist bereits seit 1995 Tänzer beim Tanztheater Wuppertal und hat in mehr als 20 Stücken getanzt. Daneben choreografierte er bei den Underground-Projekten des Tanztheaters und außerhalb der Company immer wieder selbst. Bei Encounters wird er zum ersten Mal mit Tänzerinnen und Tänzern des Tanztheaters für die große Bühne des Wuppertaler Opernhauses inszenieren. Stefan Seitz - Wuppertaler Rundschau – zur Premiere von Rainer Behr am 3. Mai 2019, Schauspielhaus Wuppertal: „In einer gigantischen Licht-BilderMusik-Klang-Krach-Kostüm-und Wortwelt erlebt der Zuschauer hautnah ständig neue Eindrücke. Hinweggespült von der überbordenden Fülle dessen, was Tanztheater heute sein kann.“ Monika Gintersdorfer versteht sich als Regisseurin, die mit Tänzerinnen und Tänzern und mit ihrem Partner, dem bildenden Künstler Knut Klaßen, zusammen-
Andrey Berezin und Eddie Martinez, Probe mit Helena Waldmann
arbeitet. In ihren Arbeiten fließen Text, Sprache, Klang, Material und Bewegung zusammen, stehen gleichberechtigt nebeneinander. „In unserer künstlerischen Arbeit sprechen wir von den Schwarzen und den Weißen, höchst unkorrekt und unpräzise, aber deswegen oft nah an dem Denken, das die Wirklichkeit bestimmt, die unkorrekt und unpräzise ist. Wir denken in zwei Systemen und machen Aufführungen, die vom europäischen und afrikanischen Publikum mit tausend Missverständnissen gemocht und gehasst werden. Nicht relativieren, nicht aufklären, nicht ironisieren, sondern insistieren, bis es lebt!“ Knut Klaßen geboren 1967 in Münster, lebt in Berlin und arbeitet als bildender Künstler in den Bereichen Film, Fotografie und Theater. Er macht eigene Filme/Videos, ist Kameramann für befreundete Künstlerinnen und Künstler, organisiert das operative Geschäft in einem Berliner Großatelier, entwickelt sein fotografisches Werk und produziert mit Monika Gintersdorfer Theaterstücke unter anderem an der Volksbühne, den Sophiensälen und dem Deutschen Theater in Berlin. „In diesem Spektrum selbst gewählter Aufgabenstellungen drehen sich seine Themengebiete um Lebenswelt versus Ästhetik und Form, um Fragen zu Selbstverständnis und Produktionsbedingungen von Kunstschaffenden, zu den Grundbedingungen der bildenden Kunst und um die Frage, wie weit die Freiheit in der Kunst gehen kann.“ (Auszug Pressetext, Deutsches Theater Berlin) Stefan Dreher Dramaturgie Tanztheater Wuppertal Pina Bausch 41
Ursula und GĂźnther WeiĂ&#x;enborn lassen die Puppen tanzen, Foto: Willi Barczat
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Räuber Hotzenplotz geht in Rente Im Sommer endet nach drei Jahrzehnten die Ära von „Müllers Marionettentheater“ in Wuppertal. Doch es gibt Hoffnung auf eine Fortsetzung mit neuem Konzept. Seit über 30 Jahren lassen Ursula und Günther Weißenborn in Wuppertal die Puppen tanzen. Vom Anfang im Opernhausfoyer über die erste kleine Spielstätte an der Uellendahler Straße bis zum schmucken kleinen Theater am Neuenteich: Sie machten stets zauberhaftes, überwiegend „klassisches“ Marionettentheater für Jung und Alt, sind fester Bestandteil der Kulturszene in der Region mit Alleinstellungsmerkmal. Alle Stücke – es sind über 70 – haben sie selbst geschrieben, produziert, gebaut und gespielt, mehr als 700 Figuren zu temporärem Leben erweckt. Sie füllten nicht nur ihr kleines Theater, sondern auch die großen Säle: Mit dem von Günther Weißenborn erfundenen Format der Familienkonzerte mit Figuren gastierten sie mit renommierten Orchestern u.a. in der Berliner Philharmonie, der Deutschen Oper am Rhein, im Aalto-Theater Essen, spielten u.a. mit dem Beethovenorchester in Bonn, mit den Bochumer und den Bergischen Symphonikern und vielen mehr. – Und das soll jetzt alles vorbei sein? Ja, tatsächlich. „Irgendwann muss mal Schluss sein“, waren sich die beiden schon seit Längerem einig. Ursula Weißenborn hat sich schon seit einiger Zeit verstärkt der freien Malerei zugewandt, möchte auf Reisen Inspiration dafür sammeln – „und der Rücken macht das Spielen langsam auch nicht mehr mit“, sagt sie mit Blick auf die auch körperlich anstrengende Kunst des Marionettenspiels. „Und ich bin ja sowieso schon längst im Rentenalter“, ergänzt Günther Weißenborn augenzwinkernd, was man dem agilen 69-Jährigen allerdings kaum abnimmt. Ein großer Wasserschaden im Theater 2018 und Ärger mit dem Finanzamt, das dem Förderverein die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, gaben den letzten Anstoß, endlich Ernst zu machen: Noch bis Ende Juni 2020 läuft die definitiv letzte Spielzeit von „Müllers Marionettentheater“. Aber könnte es nicht doch „irgendwie“ weitergehen? Immerhin: Die Theaterräume stehen über die Stiftung von Marlies und Hans-Peter Osterritter, die das Marionettentheater von jeher unterstützt, weiterhin mietfrei (und zweckgebunden) zur Verfügung. Weißenborns waren willens, die komplette Ausstattung an einen potenziellen
Die Weißenborns im Kreis der Familie, Foto: Willi Barczat
Nachfolger zu verschenken. Sie haben sich viel Mühe gegeben, jemanden zu finden – „am liebsten junge, künstlerisch anders orientierte Puppenspieler“, sagt Günther Weißenborn. „Einen Teil unserer Stücke hätten sie als Übergang weiter nutzen können.“ Auch die Sponsoren und langjährigen Freunde des Theaters hätten ihre Unterstützung beibehalten. Eigentlich ein gemachtes Nest. Trotzdem hat sich niemand gefunden. „Und wovon lebt ihr?“, habe ein durchaus interessiertes Spielerpaar sie irgendwann gefragt. Günther Weißenborns Miene drückt leichte Fassungslosigkeit aus, als er davon erzählt. „Letztlich war einfach keiner bereit, das unternehmerische Risiko zu tragen.“ Es sah ganz so aus, als würden Jim Knopf und die Puddingprinzessin, der Räuber Hotzenplotz und die Ente Plums, Tamina und Papageno und all die vielen anderen ebenso im Container landen wie die komplette Theaterausstattung. „Das kann immer noch passieren“, räumen Weißenborns ein – aber inzwischen gibt es einen Hoffnungsschimmer, der in jüngster Zeit deutlich heller geworden ist. „Die Idee ist, das Ganze mit einem völlig neuen Konzept in eine gemeinnützige GmbH zu überführen“, erklärt Günther Weißenborn. Mit Denise Zobler, seit drei Jahren bereits Vollzeit-Mitarbeiterin im Theater, stünde eine Geschäftsführerin bereit. Sie würde einen Spielplan mit freien, unterschiedlich ausgerichteten Figurentheaterspielerinnen und -spielern bzw. Ensembles zusammenstellen. Neben dieser künstlerischen Säule aber würde ein neuer Schwerpunkt im therapeutischen und sozialen Bereich entstehen. 43
Szene aus Peterchens Mondfahrt, Foto: Eduard Straub
Die Werkstatt der Schmetterlinge, nach dem Bilderbuch von Gioconda Belli und Wolf Erlbruch, Musik von Lutz-Werner Hesse, Foto: Eduard Straub
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Förderung von Sprachkompetenz, therapeutische Einzeloder Gruppenarbeit – „für all diese Bereiche sind Puppen großartige Mittler“, sagt Günther Weißenborn. Viele Gespräche mit Fachleuten in Wuppertal wie etwa von der Alten Feuerwache, dem Nachbarschaftsheim Naba oder von der Stiftung Tannenhof hätten sie in letzter Zeit geführt, berichtet er, und: „Wo immer wir davon erzählt haben, kriegten die leuchtende Augen.“ Er selbst stünde bereit, mit befreundeten Spielerinnen und Spielern Konzepte zu entwickeln, wie man Stücke für diesen Bedarf konzipiert oder anpasst. „Müllers Marionettentheater“ würde mit diesem Konzept viel mehr im Stadtteil verankert als bisher, wo viel Publikum zum Teil von weit her kommt. „Gerade im Bereich der sprachlichen Kompetenzentwicklung ist der Bedarf auf jeden Fall groß“, sagt Weißenborn mit Blick auf die Nähe zu sogenannten „Brennpunktschulen“ im Viertel. Ursula Weißenborn kann sich darüber hinaus vorstellen, Workshops für alle Interessierten anzubieten, aus denen durchaus auch Inszenierungen werden könnten. Und auch Jim Knopf und Co müssten nicht im Container beerdigt werden. Abgesehen von den Figuren, die ihre Schöpferin bereits dem Puppentheatermuseum in Bad Kreuznach versprochen hat, würden so viele wie möglich einen Platz in einer Präsenzausstellung im Theater finden – „80 Prozent davon zum Anfassen“, stellt Ursula Weißenborn in Aussicht. Der Charme dieses Konzepts besteht neben der inhaltlichen Seite auch darin, dass sich damit andere Fördertöpfe bei der Stadt öffnen könnten als bisher und damit die Finanzierung auf andere Füße gestellt würde. Im März gab es ein Gespräch bei der Stadt, an dem neben Kulturdezernent Matthias Nocke und Kulturbüroleiterin Dr. Bettina Paust auch der Sozialdezernent Dr. Stefan Kühn und Fachleute vom Nachbarschaftsheim teilgenommen haben. „Alle waren sehr angetan bis begeistert“, berichtet Günther Weißenborn erfreut und ist zuversichtlich, dass die Stadt das Ihre zur Verwirklichung beitragen wird. „Letztlich muss die Stadt entscheiden, ob sie das Angebot eines Geschenks aus der Bürgerschaft im Wert von 60000 Euro im Jahr annimmt oder nicht“, meint er. Schließlich würden wie bisher die Mietkosten und anderes über die Stiftung Osterritter, Sponsoren und ehrenamtliches Engagement eingebracht. Dass sich so eine neue Zukunft für das Figurentheater in Wuppertal auftun wird, hofft natürlich auch Denise Zobler. Die 30-jährige Wuppertalerin kam schon vor 15 Jahren
als Schülerpraktikantin zu Müllers Marionettentheater, arbeitete auch neben ihrer Ausbildung zur Mediengestalterin dort weiter und stieg schließlich 2017 in Vollzeit ein. Bei vielen Stückentwicklungen war sie mit dabei, kennt die Abläufe und die wirtschaftliche Seite des Betriebs und hat einen realistischen Blick: „Ich weiß, worauf ich mich einlasse“, sagt sie. Sie hat selbst schon viele Ideen für das neue Konzept und ist überzeugt: „Man kann auf dieser Basis gut anfangen. Und es ist spannend, was man daraus noch alles machen kann.“ Ein solcher Mut zum Aufbruch ins Ungewisse hat einst auch Ursula und Günther Weißenborn angetrieben. Die Geschichte von den Anfängen der jungen Schweizerin Ursula Müller als Puppenspielerin in Lübeck und Günther Weißenborn, der zunächst als Dramaturg u.a. an den Opernhäusern in Lübeck, Bremen, Wuppertal und der Deutschen Oper am Rhein engagiert war, kann man in einem mit vielen Abbildungen versehenen Katalog nachlesen, den der Förderverein 2018 zum Mehrfach-„Jubiläum“ von Müllers Marionettentheater herausgebracht hat: „35 Jahre Marionettentheater, 30 Jahre in Wuppertal und 25 Jahre im Theater am Neuenteich“, erklärt Günther Weißenborn. Eine lange, bewegte Zeit mit vielen Höhen und Tiefen. Der Blick zurück aber fällt zufrieden aus: „Wir sind weit über das hinausgekommen, was wir uns vorgestellt haben“, resümiert Ursula Weißenborn. „Selbstständigkeit, ein festes Theater, Gastspiele in der Berliner Philharmonie oder mit dem Elbphilharmonieorchester ... – wir haben unglaublich viel gekämpft, aber wir hatten auch eine fantastische Zeit mit unglaublich großen Momenten.“ Dass es nun vielleicht, hoffentlich doch irgendwie weitergeht mit „ihrem“ Theater, stimmt beide froh. Aber hin wie her: Die Ära von „Müllers Marionettentheater“, wie man es in Wuppertal kannte, wird in diesem Sommer zu Ende gehen. „Bis Ende Juni spielen wir noch mal alles, worauf wir Lust haben“, kündigen Ursula und Günther Weißenborn an. Nachdem Die Schneekönigin und der Urfaust schon gelaufen sind, werden das Des Kaisers neue Kleider (April), Aschenputtel (Mai) und Brummel, das Musical (Juni) sein, dazu je noch einmal Lysistrata (9. Mai) und Mozarts Die Entführung aus dem Serail (19. Juni). Mit „Brummel“ fällt am 21. Juni der letzte Vorhang – ein Ende, aus dem hoffentlich ein neuer Anfang wird. Anne-Kathrin Reif Die genauen Termine: www.muellersmarionettentheater.de 45
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Ganz andere als übliche Perspektiven
l as Fes tiva Ak tuell : D ird w “ er Welt „Theater d an -P er Corona aufgrund d ich raussichtl o v f u a ie dem n. verschobe Juni 2021
Im Gespräch mit Uta Atzpodien stellt der Programmdirektor Stefan Schmidtke das diesjährige „Theater der Welt“-Festival in Düsseldorf vor.
Aus allen Kontinenten kommen vom 14. bis 31. Mai in Düsseldorf 400 Künstlerinnen und Künstlern zusammen und stellen insgesamt 34 künstlerische Produktionen vor. Das seit über 40 Jahren durch deutsche Städte wandernde Festival „Theater der Welt“ des Internationalen Theaterinstituts (ITI) ist ein Unikum. Finanziert von Stadt, Land und Bund, wird es dieses Jahr vom Düsseldorfer Schauspielhaus veranstaltet, Hauptspielstätte des Festivals. Die mit Reisen in die ganze Welt verbundene Programmleitung lag in den Händen des erfahrenen Festivalmachers Stefan Schmidtke. Für das Gespräch mit der Dramaturgin Uta Atzpodien machte er in Wuppertal Station. Uta Atzpodien: Wie es sich fügt, wir sitzen hier im Weltcafé in Wuppertal, einer weltweit durch das Tanztheater Pina Bausch, Peter Kowald und andere Künstlerinnen und Künstlern bekannten Stadt. Kunst aus der Welt kommt nun bald nach Düsseldorf, einen Sprung von hier entfernt, 25 Minuten mit der S-Bahn. Wofür steht das legendäre Festival „Theater der Welt“? Und was macht die diesjährige Ausgabe aus? Stefan Schmidt: Als Forum für Kunst aus aller Welt ist das „Theater der Welt“ weltweit respektiert. Es startete 1979 in Hamburg als Noch-Theater der Nationen, fand dann ab 1982 alle drei Jahre in unterschiedlichen Städten statt. Die diesjährige Ausgabe orientiert sich an dem italienischen Autor Ignazio Silone, der sagte: „Man sollte die Welt so nehmen, wie sie ist, aber nicht so lassen.“ Und das passt zum Kuratieren, ich kann nur das bringen, was es gibt, und darauf achten, was es bei uns verändern oder worauf es Einfluss haben kann. Als ich mich das erste Mal mit dem Intendanten Wilfried Schulz hier unterhalten habe, fiel mir das sensationelle Kinder- und Jugendtheater auf. Und so entstand das erste „Theater der Welt“-Festival, das gleich-
„How to Fail as a Popstar“, Vivek Shraya, Kanada, Performance, Foto: Heather Saitz
Stefan Schmidtke, Foto: Thomas Rabsch
wertig Programm für junge Zuschauer hat. Das war ein Geschenk. Und als wir im Dezember Programmschluss hatten, war die Hälfte aller Arbeiten von Frauen. Ohne Quote. Ins Programm kam, was prägnant und interessant war. Und so haben wir ganz andere als übliche Perspektiven. Es gibt generationenübergreifendes Erleben von Welt, aus den Perspektiven von Jungen und Alten. Zusammen empfinden wir das nicht als Konflikt der Generationen, sondern als Chance, um über Welt nachzudenken und einen Kunstraum für gemeinsames Empfinden und Atmosphäre zu haben. Dass das von weiblicher Hand zentral gesteuert wird, das ist sozusagen ein schöner Nebeneffekt. Wir haben von indigenen Künstlern aus Kanada Inuk über Yorta-Yorta aus Australien und Mapuche aus Chile Künstlerinnen mit indigenen Themen, die sich im Nachgang der Kolonialgeschichte neu definieren, uns ihre eigene Welt zeigen und klarmachen, dass die Kolonialisierung nicht nur eine Frage von Begrifflichkeiten ist, sondern viel mit Atmosphären, mit politischem Handeln und mit performativen Momenten zu tun hat. 47
„Malen“, Ricardo Curaqueo Curiche, Fotos: Patricio Melo
U: Wie sieht das konkret aus? S: Highlight ist ein Chor, ein choreografierter Chor von 17 Frauen aus Chile, die alle Mapuche sind, 12 bis 70 Jahre alt. Dieses große, zentrale Tanztheaterstück heißt Malen, in der Sprache der Mapuche ein Prozess, in dem die jungen Frauen aufgenommen werden in die Gemeinschaft der älteren Frauen. Es ist eine künstlerische Choreografie, die vor vielen Hundert Jahren als spiritueller Initiationsritus vollzogen wurde. Dieser Chor übersetzt das in eine moderne zeitgenössische Choreografie, weder Folklore noch Moderne. Als erster Ostdeutscher übrigens, der das „Theater der Welt“ kuratiert, hat es mich an einen Moment in Berlin 1987 erinnert, als ich das erste Mal ein Stück von Pina Bausch erlebt habe. Auch im Zuschauen und Programmmachen gibt es eigene biografische Momente, die tief sitzen. Für mich stellte sich eine Verbindung zu dieser unglaublich klugen und kraftvollen Choreografie der Mapuche her. Wir zeigen sie erst im nordrheinwestfälischen Landtag, ein politischer 48
„We All Know What‘s Happening“, Samara Hersch, Lara Thoms, Foto: Bryony Jackson
Ort, an dem nach unseren Prinzipien Politik ausgeübt wird. Der Prozess der Inauguration der jungen Frauen ist bei den Mapuche ein politischer Prozess, den jungen Frauen werden verschiedene Rechte eingeräumt. So wird es eine Intervention im öffentlichen Raum, im oberen Foyer, vor Politikerinnen, Politikern, Beamtinnen und Beamten mit ihren Akten, die sehen, wie Politik ganz anders funktionieren kann. Die zweite Vorstellung ist dann im großen Haus. U: Eine andere Produktion, die sich über die ganze Festivalzeit zieht, heißt „Siren Song“. Wen und wohin locken die singenden Sirenen in Düsseldorf? S: Nach fünf Jahren Renovierung öffnet das Schauspielhaus wieder. Am Gründgens-Platz entsteht ein neues Kulturareal, ein Stück begrünte Hofgarten-Erweiterung, den wir beleben und durch den wir Menschen der Stadt anlocken wollen. Siren Song ist ein assoziativ-atmosphärisches Klangkunstwerk im öffentlichen Raum, mit Hochfre-
quenztechnik, die im Sicherheitsbereich für Tsunamiwarnungen angewendet wird und normalerweise Notstand ausruft. Wir aber laden mit Stimmen von Frauen aus Kanada, Australien und Deutschland ein. Es ist eine 18-tägige Komposition, einmal am Tag, zu hören für sechs bis sieben Minuten auf einem Areal von drei Quadratkilometern. Es ist eine Wolke von Frauenstimmen aus aller Welt, die Hildegard-von-Bingen-Motive singen, zur Frage, wie wir zur Natur stehen, wie wir uns zur Natur verhalten. Gleichzeitig verbindet es sich mit Düsseldorf als weltweiter Wiege der modernen elektronischen Musik. Das begann in den 70er-Jahren. Diese Soundinstallation ist auch eine Referenz an die Kunststadt Düsseldorf und an die Erfinderstadt der elektronischen Musik. Mit der Außenklanginstallation verbindet sich eine Innenklanginstallation, ein Weltfoyer, 18 Nächte lang mit Musikerinnen und Musikern aus aller Welt, die jeweils Soundabende oder -nächte durchgestalten. Dazu gibt es ein diskursives Programm aus Filmen, 49
„Planet Egg“, Zvi Sahar, Itim Ensemble, PuppetCinema, Foto: Simcha Barbiro
„The Shadow Whose Prey the Hunter Becomes“, Back to Back Theatre, Foto: Jeff Busby
Lectures, Gesprächen, Begegnungen, über Performancekunst und Öffentlichkeit. Im Nachtprogramm wollen wir eine völlig andere Szene ins Schauspielhaus locken, die üblicherweise nicht ins Theater geht. Übrigens gibt es eine vielseitige Kooperation mit Hochschulen, die das Programm vorbereiten und begleiten, es be- und hinterfragen. Auch so holen wir junge Leute ins Theater. U: Wir leben in einer Gesellschaft mit starkem Rechtsruck, in der die Vielheit von Perspektiven wenig ertragen wird und die Demokratie häufig zur Disposition steht. Was möchte „Theater der Welt“ bewirken? S: Unsere Programmfalt steht für sich: Dazu gehören unser populär-visionärer „European Philosophical Contest“ von Massimo Furlan, ein im positiven Sinn trojanisches Pferd, oder die von Greta Thunberg inspirierte Uraufführung von Jordan Tannahill mit Düsseldorfer Jugendlichen „Ist mein Mikro an?“. Für die australische 24-StundenPerformance „The second woman“ brauchen wir 100 Männer, die sich bereit erklären, für jeweils zehn Minuten mit der Schauspielerin Wiebke Puls auf der Bühne zu stehen. Eine Sing-Oper mit berühmtem Frauenchor aus Kupang aus Indonesien erzählt von einer neuen Welterschaffung. Es gibt politische Interventionen, Dokumentarstücke, ein Transgenderdiskurs bis hin zur klassischen Literaturbearbeitung. Vom Nobelpreisträger James Coetzee bringen wir
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„Ist mein Mikro an?“, Jordan Tannahill, Kanada, Foto: Melanie Zanin
„Leben und Zeit des Michael K.“ auf die Bühne, mit einem südafrikanisch-deutschem Ensemble. Wir bilden Fragestellungen ab, die uns alle betreffen, nach Gleichberechtigung, nach postkolonialem Diskurs, nach Generationen und Klimawandel, Genderproblematiken, feministischen Fragestellungen. Die Chance besteht darin, bekannte Probleme mal aus völlig anderer Perspektive zu erleben. Das ist der Mehrwert unseres Festivals, bei dem viele Produktionen übrigens länderübergreifend entstanden sind und künstlerisch davon profitieren. Erstaunlich ist, dass Theater zu einem Ruheraum werden kann, in dem man sich gemeinsam über Dinge verständigen kann. Hier kann man die Atmosphäre des anderen schätzen, sie wird besonders, weil man sich als Gemeinschaft begegnet. Mein Festivalgedanke gilt einer großen Feier, einem großen, warmherzigen atmosphärisches Zentrum, in dem Lebensfreude anwesend ist, indem sie stattfindet. Wir beginnen übrigens mit der afrikanischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie und Angela Merkel, im Dialog darüber, wie viele Geschichten man hat und wie wichtig die Verschiedenheit von Geschichten ist. Das Leben wird einfach interessanter und schöner dadurch, dass es vielfältig ist.
28 Orte 19. Juni 2020 ab 18 Uhr museumsnacht-wuppertal.de
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Alice im Wunderland, nach Lewis Carroll. Foto: Karola Brüggemann
Ertragreich vor und auf der Bühne Das Wuppertaler Kinder- und Jugendtheater ist seit bald fünfzig Jahren Garant für ein junges Schauspiel, das auch den Spielenden nützt. Theater unterhält und öffnet Welten: Das ist bekannt, auch wahr und wichtig, doch meint es meist die Zuschauerseite. Seltener hört man vom Ertrag des Schauspielens für diejenigen, die spielen. Das Wuppertaler Kinder- und Jugendtheater vertritt und lebt diesen Anspruch seit bald schon 50 Jahren. „Persönlichkeitsstärkend“ nennt das auch Barbara Sydow, die hier bis zu diesem März zehn Jahre lang Geschäftsführerin war. Wer Theater spielt, schlüpft in andere Rollen und stemmt gemeinsam Aufführungen, immer im Blick neugieriger Zuschauer. Ohne Zweifel gut fürs Ich, doch zunächst sind das Vorzüge, die sich auch andere Laienbühnen zugutehalten können. Bei dieser aber kommt Entscheidendes hinzu: Die Akteure sind im Schüleralter. Einer Lebenszeit mithin, 52
in der man sich ausprobiert und seine Persönlichkeit festigt. Worin besteht nun der besondere Rang des Spielens bei gerade diesem Jugendtheater? Er wurzelt wohl in seiner Geschichte: Die Ursprünge liegen im Werkstheater; Pate stand nicht weniger als ein Welt- und Menschenbild. Es ist der Name von Kurt Herberts, dessen Rolle für den Theaterstart nicht bloß historisches Detail ist. Der Farbfabrikant war bekennender Anthroposoph, und einige Früchte daraus sind bis heute präsent: Rund um Herberts‘ Wohnhaus, nach Grundsätzen dieser ganzheitlichen Lehre erbaut, siedelte der Bildhauer Tony Cragg den Skulpturenpark Waldfrieden an. Nazi-Verfolgte wie den Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer ließ er forschen und gestalten; im Schutz dieser Tätigkeit verfasste dieser auch sein „Lackballett“, das er später in Wuppertal zur Auffüh-
Alice im Wunderland, nach Lewis Carroll. Foto: Karola BrĂźggemann
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Zwei Monster nach dem Bilderbuch von David McKee, Foto: Karola Brüggemann
rung brachte. Womit man beim Thema Bühne wäre, dem sich letztlich auch das Kinder- und Jugendtheater verdankt: Das Unternehmen, so Herberts‘ Idee, sollte seiner Belegschaft auch künstlerisches Tun ermöglichen – konkret: Theater spielen. Wenn das Theater nächstes Jahr sein halbes Jahrhundert feiert, dann zählt es ab Beginn einer „neuen Zeitrechnung“: Im Jahr 1971 wollte die Kulturgemeinde Volksbühne, heute vor allem im Ruf einer eher konservativen Abo-Organisation, ein Theater für Kinder etablieren und wurde bei Herberts und seiner unkonventionellen Werkstruppe fündig. Paul Winterling leitete im Unternehmen Theatergruppen und gab Schauspielstunden, und nun wurde er zum ersten Chef des „Wuppertaler Kindertheaters“. Einen Nachfolger benennen sollte er erst 1982 – Herwig Mark, dessen Ära dann wesentlich wurde. Das erste Stück des Theaters, schon bei Herberts einstudiert, war „Räuber Hotzenplotz“. 54
Für den Link zur Gegenwart, fürs heutige Haus mit seinem damals geprägten Selbstverständnis, ist Uwe Böhme wichtig, der als Schreinermeister bei Herberts Bühnenbau unterrichtete: Eng verbunden ist er mit der alten Adresse in der Barmer Buschstraße. Heutige Erinnerungen an diesen Ort, ans Mittun und Anpacken lassen diese Zeit fast legendär klingen: „Wer da war, hat geholfen.“ Und doch treffen die Erinnerungen auch ganz das Heute: Wer heute ein Stück an der Bundesallee anschaut, etwa „Herr der Diebe“, beobachtet zum Beispiel, dass statt einer speziellen Bühnencrew die Darsteller selbst die Kulissen umbauen; wer gar selbst schon mitgespielt hat (so unwahrscheinlich nicht, bei den Hunderten Beteiligten über die Jahrzehnte), musste es auch selbst erleben. Als Fortführung besagter Ideale sollte man das positiv sehen: Der Spiel-Interessierte muss zwar als Allrounder herhalten, doch für ihn ist es eine Gelegenheit der vielseitigen Mitgestaltung.
„Bei uns kann man auch schon einmal in der Werkstatt mitwirken“, klärt Sydow auf – oder auch in der Dramaturgie: Eine Gruppe trifft sich regelmäßig, liest Stücke und bespricht, was für eine Inszenierung infrage kommt. Inzwischen wichtiger Teil des Angebots: Die „Theaterschule“. Ein breites Programm an Grundlagen- und Inszenierungskursen findet sich aufgefächert nach Altersgruppen, jede Woche schulbegleitend oder auch in den Schulferien. Freilich findet man so auch Talente, die sich später einmal vielleicht doch in Produktionen einbeziehen lassen. Auch wirtschaftlich ist das inzwischen ein Standbein. Ein Punkt, den eine Geschäftsführerin natürlich besonders im Blick haben muss. Sydow, die Theaterwissenschaft und BWL studiert hat, kümmerte sich zehn Jahre lang um die Finanzen des Hauses, verhandelte, warb Drittmittel ein. Finanziell von großer Bedeutung ist ebenso, dass das Weihnachtsstück jedes Jahr zu den Haupteinnahmequellen zählt und „laufen“ muss. Gern sind dies literarische Publikumslieblinge, für Kinder, Eltern, Großeltern als Familienstücke angelegt – „Momo“, „Ronja Räubertochter“ und vieles mehr. Wobei Sydow feststellt: „Heutige Eltern kennen diese Klassiker oft gar nicht mehr.“ „Handlungsbedarf“ hat die Geschäftsführerin auch generell beobachtet, was den Zulauf zu Theatern betrifft – früh das Interesse zu wecken, sah sie daher umso mehr als Aufgabe. Und das Publikum? Das kann mit dem Kinder- und Jugendtheater auf ein nicht selbstverständliches Theaterangebot zählen, auf das in Wuppertals Kulturleben seit Langem Verlass ist. Mit Unverwechselbarem wie den über viele Jahre prägenden Bühnenbildern von Laurentiu Tuturuga: bewegliche und liebevoll gestaltete Elemente, die in Sekunden einen Stadtplatz, eine Bibliothek, ein Zugabteil erstehen lassen. Eine Zeit lang hatte Tuturuga auch die künstlerische Leitung des Hauses inne, bis Lars Emrich übernahm, der schon vorher hier Regie geführt hatte und das bis heute tut. Fest im Spektrum sind also zum einen die Familienstücke. Eingespielte Adresse ist man aber auch für Theater mit aktueller Thematik: Drogenmissbrauch oder Rechtsextremismus sind nur zwei Beispiele für brisante Inhalte, die auch von ganzen Schulklassen besucht werden. Barbara Sydow betont hier besonders die Produktion „Im Netz“ über Cyber-Mobbing, die weiterhin gespielt wird. Ein weiterer Favorit der scheidenden Geschäftsführerin – sie verlässt das Tal übrigens ohne Groll für eine Vollzeitstelle – war „Krieg“
nach dem schmalen Band von Janne Teller, der in einem sehr eigenständigen Ansatz mit aktuellen Flüchtlingsporträts verknüpft wurde. „Hier konnten wir auf Kontakte aus zwei kleineren Projekten aufbauen.“ „Oskar, Rico und die Tieferschatten“ ist ein weiteres Stück aus ihrer Zeit, an das Sydow gern zurückdenkt - sowie eine Bühnenadaption, die man trotz ihrer jungen Protagonistinnen und Protagonisten sonst auch auf „Erwachsenenbühnen“ sieht: „Tschick“ nach Wolfgang Herrndorf. Bei aller Konzentration auf Schwerpunkte und Handschriften ist damit die Vielfalt schon angedeutet, mit der das Haus das Kulturleben der Stadt andauernd bereichert. Und so haben denn alle etwas davon, vor wie auf der Bühne. Letzteres, der Ertrag für die Spielenden, gilt beim Kinderund Jugendtheater vielleicht noch etwas mehr als anderswo – oder zumindest in besonders guter Tradition. Übrigens: Dass die meisten Schauspieler jugendliche Laien sind, schmälert den Eindruck auf die Zuschauer kein Stück. Das weiß jeder, der einmal erlebt hat, wie Klein und Groß nach einer Vorstellung gespannt die Gelegenheit nutzen und den am Ausgang wartenden Mimen die Hände schütteln dürfen. Martin Hagemeyer bis auf Weiteres: Termine von April bis Juni 2020
Zwei Monster
von Gertrud Pigor nach dem Bilderbuch von David McKee: Samstag, 25. April 2020, 16 Uhr Sonntag, 26. April 2020, 16 Uhr Theaterclub Rampenlichter:
13 Leben von Fin Kennedy Premiere Freitag, 8. Mai 202o, 18 Uhr Dienstag, 12. Mai 2020, 18 Uhr Samstag, 16. Mai 2020, 15 Uhr Theaterclub Lampenfieber: Jugend ohne Gott von Ödön von Horváth Premiere Freitag, 5. Juni 2020, 18 Uhr Sonntag, 7. Juni 2020, 17 Uhr Dienstag, 16. Juni 2020, 18 Uhr Mittwoch 24. Juni 2020, 10.30 Uhr Theater im Berufskolleg, Bundesallee 222, 42103 Wuppertal www.kinder-jugendtheater.de 55
Julia Jech und Fabián Carbone stellten ihre neue CD „Años de soledad“ im Januar 2020 im Kontakthof in Wuppertal vor.
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Julia Jech in „ihrem“ Luisenviertel in Wuppertal mit Fabián Carbone
Mal kurz und schmerzlos, mal lang und leidvoll
Tangoduo Fabián Carbone & Julia Jech
Das Tangoduo Julia Jech (Violine) und Fabián Carbone (Bandoneon) ist ein Juwel in der Wuppertaler und in der internationalen Musiklandschaft. Es besticht durch leidenschaftliche Interpretationen von zeitgenössischem Tango voller Gefühl und musikalischer Tiefe bei technischer Brillanz auf höchstem Niveau. Ich frage Julia Jech, warum sie als Musikerin den Tango so sehr schätzt. „Im Tango fühle ich mich frei. In der klassischen Musikwelt hatte ich oft das Gefühl, es gibt nur perfekt oder falsch. Aber im Tango ist Raum für so viel mehr. Hier konnte ich meinen eigenen Ausdruck finden.“ Julia Jech, auf dem Nützenberg in Wuppertal aufgewachsen, kommt als Kind über ihren Bruder mit Musik in Kontakt. „Ich wollte immer alles machen, was er tat. Er bekam eine Blockflöte, also wollte ich auch eine. Meine Mutter kaufte mir dann eine aus Plastik, weil sie dachte, ich sei nicht musikalisch“, sagt sie schmunzelnd. Dann kam der Bruder in die Kurrende. „Das war natürlich bitter. Ich wollte auch, durfte aber nicht, weil ich ein Mädchen war. Stattdessen fand meine Mutter dann einen anderen Kinderchor für mich.“ Als der Bruder im Umfeld der Kurrende
Klavierunterricht erhielt, bekam sie ebenfalls Unterricht bei ihrem Chorleiter. Später wechselte sie dann in den Kinderchor der Kirchengemeinde am Kolk, und da sah sie dann zum ersten Mal eine Geige und verliebte sich auf der Stelle in das Instrument. „Vom ersten Moment an war klar, dass ich genau dieses Instrument lernen wollte.“ Wie bei vielen anderen Musikerbiografien auch steht am Anfang die musikalische Aktivität in kirchlichem Kontext. In der Musikschule stand Jech eher in der zweiten Reihe, war ein Underdog, wie sie selbst sagt. Und so reichte es nach dem Abitur auch nicht für ein Musikstudium - zunächst. Stattdessen probierte sie mehrere Studiengänge aus, wechselte die Studienfächer im Semestertakt, bis sie schließlich an der Kölner Musikhochschule ein Schulmusikstudium beginnt. Suchen und Selbstzweifel kennzeichnen diese ersten Jahre in der Erwachsenenwelt. Ein Auslandsaufenthalt in Spanien, das Studium am Real Conservatorio Superior de Música de Madrid bringt frischen Wind in ihr Leben und inspiriert sie, sich vom Ballast ihres bisherigen Studiums zu befreien: Nach und nach wirft sie die ungeliebten Nebenfächer über Bord und fängt an, sich auf das zu fokussieren, wofür sie wirklich brennt: 57
die Geige. Ihre Rettung ist der neue Geigenlehrer Rolando Prusak, der ihr Potenzial erkennt und ihr die Grundlagen des Geigenspiels noch mal ganz neu beibringt. „Das war nicht nur schön, sondern erst mal ziemlich hart. Plötzlich öffneten sich mir Türen, bisher Unmögliches wurde möglich, und neben der Freude und dem Erstaunen darüber standen die Trauer und der Frust, dass das nicht schon viel früher der Fall gewesen war.“ Motiviert durch Prusak zieht sie die Möglichkeit eines Geigenstudiums doch noch in Betracht. Kurz vor ihrem Rückflug nach Deutschland hat sie dann die Begegnung, die ihr Leben nachhaltig beeinflussen wird: Sie trifft auf einem Meisterkurs den argentinischen Bandoneonisten Fabián Carbone. „Auch das war irgendwie bittersweet. Das ganze Jahr in Madrid hatte ich nach Tangomusikern Ausschau gehalten, und just, als ich quasi mit einem Bein schon im Flugzeug stand, lernte ich Fabián kennen.“ Er ist es, der sie auf die Möglichkeit aufmerksam macht, Tangomusik in Rotterdam zu studieren. Doch zunächst steht das Geigenstudium in Hannover an. Dort widmet sie sich dem Streichquartettspiel, beginnt Tango zu tanzen, gründet ihr erstes Tangoduo mit einem jungen argentinischen Gitarristen und macht schließlich ihr Diplom als Instrumentalpädagogin. Und hier könnte die Geschichte zu Ende erzählt sein. Doch Julia Jech hat Feuer gefangen und beschließt, Tango „richtig“ zu lernen. Sie zieht ins niederländische Rotterdam und nimmt ein Studium des Argentijnse Tango auf. Ohne den Druck, einen Abschluss erwerben zu müssen, genießt sie die Studienzeit in diesem heterogenen Biotop zwischen niederländischen Senioren und jungen Menschen aus allen Teilen der Welt. Nicht nur der Tango hat es ihr angetan, Rotterdam bietet ihr auch die Möglichkeit, andere Weltmusiken kennenzulernen. Sie macht davon reichlich Gebrauch, spürt aber ganz deutlich, dass es die Wehmut und die Kraft des Tangos sind, die ihrem Ausdrucksbedürfnis am stärksten entsprechen. Der Tango wird ihre musikalische Wahlheimat. Ein Studienaufenthalt in Buenos Aires gibt ihr die Möglichkeit, noch tiefer in die Welt des Tangos einzutauchen und sich die Tricks, die sogenannten Yeites, von den Großen der Szene zeigen zu lassen. Immer auf der Suche nach dem optimalen Ensemble trifft sie nach dem Studium endlich erneut auf Fabián Carbone, der eine Aushilfe für sein Quartett in Madrid sucht. Julia Jech springt ein und meistert den Job. Die musikalische Verbindung stimmt, und die beiden beschließen, der 58
Entfernung zu trotzen, und gründen ihr Duo. Was macht Fabián Carbone so besonders? Dem porteño Carbone wurde der Tango in die Wiege gelegt. Er wird in Buenos Aires, Argentinien, in eine Familie mit kalabrischen Wurzeln geboren. Der Vater und der große Bruder machen Musik, ein Freund der Familie ist der legendäre Tangosänger Rubén Juárez. Schon im Elternhaus kommt Carbone mit dem Bandoneon in Berührung und nimmt als junger Erwachsener Unterricht bei dem berühmten Lehrer Rodolfo Mederos, der auch heute noch eine Größe in der Musikszene von Buenos Aires ist. Anfang der 1990er-Jahre verschlägt es ihn in die spanische Hauptstadt Madrid, die Anlaufstelle Nummer eins für Musiker aller Couleur aus Lateinamerika ist. Er entwickelt eine ausgedehnte Konzerttätigkeit mit seinem Ensemble „Tango Quattro“. Daneben teilt er Bühne und Tonstudio mit Diego El Cigala, Enrique und Estrella Morente Shakira, Fito Paez und zuletzt mit Mariel Martínez und den Solistas del Teatro Real. Die Arbeit mit so vielen Sängern geht nicht spurlos an ihm vorüber: Im Duo mit Julia Jech tritt er auch als Sänger in Erscheinung. „Mit Fabián fühle ich mich auf der Bühne sicher, immer. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so mit der Musik eins wird wie er. Da ist etwas Absolutes, vollkommen Versunkenes. Egal, was passiert, an diesem Ort treffen wir uns.“ Seit 2014 treten sie im Duo auf und haben unzählige Konzerte in zahlreichen europäischen Ländern und in Argentinien gespielt. Besonders gerne denken sie an den 10. Cumbre internacionál de Tango in Zárate (Argentinien) und an eine Zusammenarbeit mit Mitgliedern des WDRFunkhausorchesters zurück. 2020 endlich erscheint ihre gemeinsame CD mit dem Titel Años de soledad (Jahre der Einsamkeit), auf der auch die renommierten Gastmusiker Mariel Martínez (Gesang) und Ramon Maschio (Gitarre) zu hören sind. Nach der inspirierenden Zusammenarbeit im Studio ist es ein Herzenswunsch von Julia Jech, mit den beiden Gastmusikern auf Tournee zu gehen. Als Gegenpol zu ihren Reisen liebt es Julia Jech, sich mit lokalen Musikern zu vernetzen und in verschiedenen Projekten ihre Vielseitigkeit auszuleben: 2013 wirkt sie bei der ersten CD der Latin Session Band mit und performt 2019 auf deren Jubiläumskonzert „20 Jahre Noche Latina – Latin Session“. 2014 realisiert sie mit der Ilona Ludwig Band und anderen bekannten Wuppertaler Musikern das Charity-Projekt „The Ambassadors of Christmas“ mit CD und Livekonzert. 2018 ist sie Gastmusikerin bei der CD-Produktion „Geschafft!“ des Wuppertaler Singer-Songwriter Nicolai Burchartz. Andreas Landrock Fotos: Willi Barczat
Konzerttipps: Samstag, 27. Juni, 20 Uhr Bandfabrik Wuppertal Schwelmer Straße 133, 42389 Wuppertal
Sonntag, 16. August, 18 Uhr, Hauskonzert Odenwaldweg 26, 42349 Wuppertal-Küllenhahn, Veranstalter: C. Kuberka, Gastgeber: A. Landrock Tickets: Wuppertal Live www.fabiancarbonejuliajech.com
Aktuell: Julia Jech hat eine GoFundMe-Kampagne für Fabián Carbone gestartet, der unter vielen Konzertausfällen durch die aktuelle Krise zu leiden hat. www.gofundme.com/f/fabian-carboneeinnahmenausfall-durch-corona
iStock, Lili Graph
Die neue CD ist u.a. im Musikhaus Landsiedel-Becker in Wuppertal Barmen zu erhalten
Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V. Luisenstr_116_www.kowald-ort.com
DO., 23. 4. 2020, 19 UHR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG: Arbeiten von Diemut Schilling und Beatrice Cron Es spricht: Dr. Anne-Kathrin Reif
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FR · 24 APRIL · 20 UHR KONZERT ORT ENSEMBLE GERD DUDEK Saxofon GESPRÄCHSRUNDE: „25 Jahre nach Kowalds 365 Tagen am Ort – WOLFGANG SCHMIDTKE Wo sind wir heute? Wo wollenSaxofon wir MATTHIAS MUCHE Pohin?“ saune Eine (multi-disziplinäre) Debatte mit Uwe Schneidewind, Diemut Schilling, ROMAN BABIK Klavier Peter Trawny und Michael Rüsenberg JAN KAZDA E-Bass MAIK OLLHOFF Schlagzeug MUSIK: Matthias Goebel Vibraphon – Solo
Schloss Lüntenbeck 25. und 26. April 2020
Textilmarkt
Schloss Lüntenbeck 2. bis 5. Juni 2011 Öffnungszeiten: 11 bis 18 Uhr Eintritt: 6 €, Kinder bis 14 Jahre frei Anfahrt und Parken: www.schloss-luentenbeck.de
FR., 24. 4. 2020, 20 UHR ORT WORKSHOP ENSEMBLE UND GÄSTE Wolfgang Schmidtke Saxofon Roman Babik Klavier Jan Kazda E-Bass Maik Ollhoff Schlagzeug Gäste: Gerd Dudek Saxofon Matthias Muche Posaune
wppt:kommunikation
Knospe, Spaten und Feines – für die kommende Gartensaison
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23. – 25. APRIL 20 DREI TAGE am ORT
Sa., 25. 4. 2020, 20 Uhr IN MEMORIAM GLOBAL VILLAGE ENSEMBLE Gunda Gottschalk Violine Xu Feng Xia Guzheng Peter Jacquemyn Kontrabass „SHORT PIECES“ Jean-Laurent Sasportes Tanz Yves Charuest Saxofon
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Von Göttern und Bären KOLUMBA – Kunstmuseum des Erzbistums Köln
Wer durch die massive Eichenholztüre der Kapelle tritt, lässt den Lärm und die Hektik der Stadt hinter sich, kann Entspannung, zu Gott oder einfach zu sich selbst finden. Die Katholische Kapelle St. Kolumba wurde von Gottfried Böhm erbaut und im Jahre 1950 eingeweiht. Sie wurde zu Ehren der „Madonna in den Trümmern“ errichtet. Sankt Kolumba war eine der bedeutendsten Pfarrgemeinden im mittelalterlichen Köln. Patronin ist die heilige Kolumba, die durch eine Bärin vor einer Vergewaltigung geschützt wurde; so weit die Legende. Es heißt auch, dass sie sich als Christin weigerte, den Sohn des heidnischen Kaisers Aurelian (Amtszeit 270 bis 275) zu heiraten. Wie auch immer – sie landete unter dem Fallbeil und wurde enthauptet. 60
Das Gotteshaus selbst hat seine Ursprünge im 7. Jahrhundert. Im 9 Jahrhundert wurde eine einschiffige Kirche erbaut, die bis ins 13. Jahrhundert mehrfach erweitert und Anfang des 16. Jh. durch eine fünfschiffige Kirche ersetzt wurde. Ein jähes Ende fand die größte und schönste Kirche Kölns im Zweiten Weltkrieg. Im Jahre 1945 wurde sie durch den letzten Großangriff dem Erdboden gleichgemacht. Nur die Figur einer Madonna mit Jesuskind auf ihren Armen überstand das Bombardement nahezu unversehrt. Sie wurde fortan als „Madonna in den Trümmern“ verehrt. Sie bildet die geistliche Basis der Kapelle St. Kolumba und befindet sich inmitten des großen Fensters hinter dem Altar. Das Museumsgebäude KOLUMBA wurde auf dem Grundriss der zerstörten Kirche erbaut; sie beinhaltet somit die Überreste sowie die Kapelle „Madonna in den Trümmern“.
„Tragedia civile“ Jannis Kounellis, 1975
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Architekt des Museumsneubaus ist der Schweizer Peter Zumthor (siehe die beste Zeit Nr. 01/2019, Die Bruder Klaus Kapelle). Seit 2009 Träger des renommierten Pritzker-Preises, war er Sieger eines Architektenwettbewerbs, den das Erzbistum Köln für den Bau eines neuen Diözesanmuseums ausgeschrieben hatte.
licht. Auf Türen wird (fast) gänzlich verzichtet, die einzelnen Räume werden durch breite Durchgänge verbunden, die den Blick freigeben auf das, was sich im angrenzenden Raum befindet. Sehr schön an dem Museumsbau sind die fensterlosen Treppenhäuser, die lang und geradewegs nach oben führen, mit einem Handlauf aus Mahagoni.
Die Wände des Neubaus bestehen aus auf Sicht gemauerten Backsteinen, die speziell für dieses Gebäude gebrannt wurden und sich harmonisch mit dem Natur- und Backsteinmauerwerk der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche St. Kolumba verbinden. Die zahlreichen bodentiefen und breiten Fensterflächen geben den Ausstellungsräumen eine Atmosphäre von natürlichem, wechselndem Tages-
Ich betrete das Museum durch den breiten Eingang auf der Kolumbastraße. Der Eintritts-
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preis beträgt schlanke acht Euro. Dafür erhält jeder Besucher ein kleines blaues Heft, das unter dem umfassenden Titel „Aufbrüche“ zu jedem ausgestellten Objekt eine Beschreibung liefert. Mantel und Rucksack finden in einem Schließfach in der mit Holz getäfelten Garderobe Platz,
Tausend Jahre Kirchen- und Stadtgeschichte, Ausgrabungen St. Kolumba
und so geht es, von Ballast befreit, in Raum 1. In ihm steht ausschließlich eine mit Handwerkzeugen beschlagene große Holzskulptur mit dem Namen „Propeller für D“, womit wohl Marcel Duchamp gemeint ist, der den Propeller 1912 auf der Pariser Luftfahrtschau zur Ikone der Kunst erhoben hat. Auf der linken Seite von Raum 1 befindet sich eine große Glaswand, dahinter ein Hof mit kiesbedecktem Boden. Einige Metallstühle zwischen Bäumen warten auf ruhebedürftige Besucher. An diesem Tag wird einem der Zutritt verwehrt, es regnet, und man hat Sorge um den Fußboden in den Ausstellungsräumen ob der kleinen Steine unter den Schuhen. Ebenerdig geht es weiter durch eine große Stahltür (die einzige im Museum). Vor einem liegt das mit 900 qm größte Ausstellungsobjekt des Museums. Über
geschwungene Pfade können tausend Jahre Kirchen- und Stadtgeschichte entdeckt werden, zumindest was davon geblieben ist bzw. ausgegraben wurde. Auf der rechten Seite ist die Kapelle „Madonna in den Trümmern“ zu sehen, durch die Außenwände strahlt das Tageslicht durch Tausende kleine Öffnungen, die Peter Zumthor beim Bau des darüber liegenden Museums ausgespart hat. Abgestützt wird das Gebäude durch zwölf schlanke Säulen. Selbstverständlich gibt es einen Aufzug in die oberen Etagen, aber ich nehme lieber die lange Treppe und betrete Raum 5. Werke von August Macke, Carlo Mense und Franz Wilhelm Seiwert empfangen mich. Eine Lithografie von Conrad Felixmüller erregt meine Aufmerksamkeit. Auf 63
Marienfigur mit Kind, Jeremias Geisselbrunn, 17. Jahrhundert
ihm sind Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nach deren Ermordung in einer Art Himmelfahrt zu sehen. Eine Seligsprechung für zwei der wichtigsten Arbeiterführer Deutschlands? Am Übergang zum folgenden Raum 6 hängt das „Jüngste Gericht“, das auf die Zeit um 1500 datiert ist. Es zeigt die Außenseite eines Altarbildflügels, auf dem die Verdammten in den Höllenschlund stürzen. Es scheint der passende Übergang zum „Zimmer der Sünden“ zu sein. Hier werden Themen aus den 20er-Jahren behandelt. Armut, Arbeitslosigkeit, Frühkapitalismus, der Erste Weltkrieg, Seuchen (Arnold Topp’s „Gelbes Fieber“), Sexualität (Linolschnitte aus der Pornomappe von Heinrich Hoerle). Als Höhepunkt und letzte Darstellung erscheint das Werk von Adalbert Trillhaase „Adam und Eva – Vetreibung aus dem Paradies“. Was sonst mit einem Apfel als Lustobjekt angedeutet wird, ist auf diesem Bild weitaus direkter, nähert sich die Hand Evas doch dem Geschlecht Adams. Über ihnen erscheint im Himmel der zürnende Erzengel Michael, der mit einem Schwert bewaffnet die Vertreibung aus dem Paradies befiehlt. Es ist, nach dem christlichen Glauben, die Mutter aller Sünden - die Erbsünde, die alle Menschen als Nachfolgende von Adam und Eva in sich tragen. Seltsam. Zuerst gibt Gott den Menschen sexuelles Verlangen, und dann schlägt uns sein Stellvertreter, die katholische Kirche, auf die Finger? Die Kreationisten werden sich freuen, die Charles Darwins Evolutionstheorie für Bullshit halten. Aber ist nicht die Aufgabe der Kunst, unsere Synapsen in Schwingung zu versetzen? Ich gehe weiter in Raum 8: Hier geht es um das Bauhaus in Weimar aus der Perspektive von Andor Weininger. In den Vitrinen wird Weiningers Arbeit als Bühnenbildner und Mitglied der Bauhauskapelle gefeiert, neben Darstellungen von Walter Gropius, Lyonel Feininger und anderen. An den Wänden Werke von Andor Weininger, Franz Wilhelm Seiwert und Oskar Schlemmer. 64
„Apollo 8“, Erich Bödeker, 1969
Über eine weitere Treppe zwischen glatten, lehmfarbenen Wänden geht es in die zweite Etage. Blaues Tageslicht am Ende der Treppe verkündet neue Kunstobjekte. Ich werde von der Muttergottes mit Kind höchstpersönlich empfangen. Die Worte des Architekten Peter Zumthor kommen mir ins Bewusstsein: „Mir gefällt besonders, wie man hier von den rheinischen Madonnen begrüßt wird. Sie lächeln!“* Die Marienfigur wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts von Jeremias Geisselbrunn aus feinstem Alabaster erschaffen und hatte einmal ihren Platz auf dem Marienaltar in St. Kolumba. Die Figur wurde im Zweiten Weltkrieg bei den Bombenangriffen auf Köln zerstört und konnte in den 1990er-Jahren aus über 70 Bruchstücken wieder in Form gebracht werden. In Raum 13 wird der Blick auf eine große Skulptur von Marek Poliks gelenkt, den „Interdictor“. In der Science Fiction Terminologie bedeutet das „Sternzerstörer“. Er ist aus Aluminium und Plexiglas gebaut, hat jede Menge Computerlüfter, FM-Synthesizer, Mikrokontroller, 6-Kanal-Wandler und LEDs an Bord, und die Besucher können sich in den Innenraum begeben und dort Platz nehmen. Mich erinnert das Raumschiff eher an einen Schutzraum – im Sinne von Lars von Triers filmischem Meisterwerk „Melancholia“, in dem kurz vor dem Ende des Films einer der Protagonisten eine magische Höhle aus Zweigen baut, in die er zusammen mit einigen anderen flüchtet, bevor der Planet Melancholia mit der Erde kollidiert und alles in einem Flammenmehr untergeht. In meinen Ohren erklingt die Filmmusik von Richard Wagner aus Tristan und Isolde.
„Interdictor“ (Sternzerstörer), Marek Poliks, 2017-2019
In Raum 16 erwartet mich die „Tragedia civile“ von Jannis Kounellis, die „Bürgerliche Tragödie“, eine ganz mit Blattgold bezogene Wand. Man könnte sich in dem matten Glanz des Goldes verlieren, würde es da nicht einen Garderobenständer geben, einen von der Art, wie sie in Wiener Kaffeehäusern stehen. An ihm hängen ein Mantel und ein Hut, scheinbar flüchtig dort abgelegt, gleich kommt der Besitzer und nimmt beides mit sich. An der Seitenwand hängt eine brennende Öllampe, sie erinnert an das ewige Licht. Was soll uns diese Installation sagen? Erinnert sie an die Vergänglichkeit des Lebens? Die bereits 1975 entstandene Installation gibt Rätsel auf.
Ein Tipp zu guter Letzt: Wer seinem Geist nach dem intellektuell turbulenten Gang durchs Museum Entspannung bieten möchte, der nehme Platz auf einem der bequemen Ledermöbel im Mahagoni beplankten Lesezimmer. Ich überlasse das KOLUMBA jetzt einfach Ihnen. Besuchen Sie dieses wunderbare Gebäude und Museum, lassen Sie sich von der Kunst überraschen und zu eigenen Gedanken und Fantasien anregen. Text und Fotos: Helmut Steidler * Aus „Kolumba“, Verlag Krystal OP, 2011
In Raum 20 ist eine Skulptur aus drei menschlichen Figuren zu sehen, die einander zugewandt in einem Zuber sitzen. Sie lassen mich an Loriot denken, an Müller Lüdenscheid und Dr. Klöbner. Die Helme auf Ihrem Kopf und der Schriftzug „Apollo 8“ auf der Seite des Zubers verweisen aber auf ihre Mission im All. Die Skulptur aus Beton hat Erich Bödeker im Jahr 1969 erschaffen.
Kurztripempfehlung der Redaktion:
KOLUMBA Kunstmuseum des Erzbistums Köln Kolumbastraße 4, 50667 Köln www.kolumba.de 65
Die Sicht der Studierenden ist gefragt: Der JuniorBeirat berät die Geschäftsführung der Junior-Uni Ruhr, beide Fotos auf Seite 64: Andreas Köhring
Dagmar Mühlenfeld, Initiatorin der Junior-Uni Ruhr
Idee mit Zukunft
Die Junior-Uni Wuppertal hat Modellcharakter
„Die Stadt ist pleite. Und deshalb ist Wuppertal ein guter Ort für Utopien.“ So charakte-
risierte die Wirtschaftszeitschrift brand eins vor einigen Jahren die bergische Metropole. Es ist nicht zu leugnen: Die Stadt ist arm. Aber ist sie deshalb ein Magnet für Kreative? Vielleicht. Während die einst blühende Wuppertaler Textilindustrie in den 1960er-Jahren unterging, wurde die Stadt zu einem Zentrum der improvisierten Musik, zum „Global Village“ des Jazz, später zur Wahlheimat von Pina Bausch und Tony Cragg. Derweil die hohe Verschuldung der Kommune nur wenig Handlungsspielraum lässt, gewinnen private Initiativen an Bedeutung. Utopiastadt und 66
die Nordbahntrasse sind Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements à la Wuppertal, ein besonders leuchtendes Beispiel ist die Junior Uni. 2008 als deutschlandweit einmalige Lehr- und Forschungseinrichtung gegründet, wurde mit ihr nicht nur ein neues Kapitel in der Bildungsgeschichte aufgeschlagen. Mit ihrem Motto Kein Talent darf verloren gehen! und ihrem Ziel, Menschen jedweder Herkunft und Vorbildung zu fördern, war die Wuppertaler Junior Uni von Anfang an auch Inspiration für weitere Initiativen. Nach ihrem Vorbild ist die „Junior-Uni Ruhr“ gegründet worden, die nun in Mülheim an der Ruhr ihre Pforten öffnet. Doch der Reihe nach.
Was muss eigentlich passieren, um einer Stadt im Strukturwandel mit großen finanziellen Problemen und einer mutlosen Wirtschaft eine Zukunftsperspektive zu geben? Diese Frage stellte sich Ernst-Andreas Ziegler, Gründer der Wuppertaler Junior Uni. Seine Antwort lautete: Wir brauchen die „denkbar beste Bildung für alle Kinder“! Dieser Kerngedanke ließ den ehemaligen Presseamtsleiter und heutigen Ehrenbürger der Stadt Wuppertal buchstäblich nicht mehr los. Ziegler begnügte sich nicht damit, das im öffentlichen Diskurs gängige Mantra „Bessere Bildung für alle“ zu bedienen, sondern entwickelte die sehr konkrete Vision einer ganzjährig geöffneten Kinderund Jugenduniversität mit einem breiten Angebotsspektrum für möglichst viele Kinder und Jugendliche, auch aus einkommensschwachen Haushalten. Die Idee basierte auf einer tiefen Überzeugung: „Jeder Mensch ist einzigartig. Jeder hat was drauf. Unter Kindern und Jugendlichen gibt es keine Dummen. Jeder Mensch ist neugierig und wissensdurstig. Man muss ihn nur auf Augenhöhe respektieren, seine Fragen ernst nehmen und beantworten, seine Entwicklung verständnisvoll fördern.“ Für seinen Plan fand Ziegler viele Mitstreiter und Mitstreiterinnen, bezeichnenderweise aus dem bürgerschaftlichen, wissenschaftlichen und unternehmerischen Spektrum, während sich die Politik zunächst in Zurückhaltung übte. So wurde der fantastische, in Rekordzeit errichtete Neubau nicht mit öffentlichen Mitteln realisiert, sondern mit Stiftungsgeldern, Spenden und dem Sponsoring örtlicher Handwerksbetriebe und Unternehmen. Nachdem zähe Verhandlungen mit der Stadt über eine ungenutzte Immobilie Ziegler fast zum Aufgeben brachten, schenkte ein Unternehmer der Junior Uni kurzerhand das gewünschte Grundstück.
Junior-Uni Wuppertal, Foto: Willi Barczat
„Urknall“ - die Auftaktveranstaltung der Junior-Uni Ruhr begeisterte 2000 Kinder für Wissenschaft und Forschung, beide Fotos: Andreas Köhring
Das einladend bunte, amöbenförmige Gebäude im Herzen Wuppertals strahlt die Lebensfreude und Begeisterung der Akteuren und Akteurinnen aus. Angesichts der beispiellosen Erfolgsgeschichte der Wuppertaler Junior Uni, die seit ihrer Gründung mit inzwischen 75 000 belegten Kursplätzen förmlich überrannt wurde, hat die Politik längst nachgezogen. Zuletzt erwies sogar die Kanzlerin der Junior Uni ihre Referenz. Auch Dagmar Mühlenfeld, bis 2015 Mülheimer Oberbürgermeisterin, ließ sich von der Strahlkraft dieses Projektes anstecken. Als Sprecherin des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ hatte sie den Neubau in Wuppertal besichtigt und fasziniert beobachtet, wie junge Menschen hier zweckfrei ihren Interessen nachgehen können – ohne Noten und Leistungsstress. Dieses Modell auf Mülheim 67
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Seite 66 oben: Kinder untersuchen Mikroorganismen. Museen und Forschungseinrichtungen boten Experimentiermöglichkeiten beim „Urknall“, Foto: Andreas Köhring Seite 66 unten links: An der Hahnenfähre in Mülheim an der Ruhr hat die Junior-Uni ein erstes Domizil gefunden Seite 66 unten rechts: Letzte Renovierungsarbeiten vor Eröffnung der Junior-Uni, beide Fotos: Andreas Macat
zu übertragen, so Mühlenfeld, habe sich ihr als Pädagogin und ehemalige Schulleiterin geradezu aufgedrängt. Auf ihre Initiative kamen Ende 2016 in Mülheim Unternehmerinnen und Unternehmer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Journalistinnen und Journalisten zu einem ersten Planungstreffen im Aquarius Wassermuseum zusammen – darunter auch Ernst-Andreas Ziegler, der ihnen mit seiner Erfahrung zur Seite stand. In Workshops und Arbeitsgruppen wurde über die Finanzierung, die Organisation und das pädagogisch-didaktische Konzept der künftigen Junioruni beraten. 2017 gründeten die Initiatorinnen und Initiatoren den Förderverein JUNI e.V. und die gemeinnützige JUNI GmbH als Trägergesellschaft der Junior-Uni Ruhr. Dahinter stehen heute engagierte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, aus KiTas, Schulen und Museen, aus kirchlichen und sozialen Einrichtungen. Ganz ähnlich wie das Wuppertaler Vorbild versteht sich die Junior-Uni Ruhr als Antwort auf die Herausforderungen der Wissensgesellschaft und will zur Stärkung von Stadt und Region beitragen – beide Orte haben schließlich mit Folgen des Strukturwandels und Standortproblemen zu kämpfen.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass heute vielfältigere Fähigkeiten (z. B. Kreativität) gefragt sind, als in tradierten Bildungssystemen vermittelt werden, will die Junior-Uni Kinder und Jugendliche für Wissenschaft und Forschung begeistern, zum Querdenken und Experimentieren anregen, sie befähigen, Sachverhalte zu hinterfragen und ihren Wissensdrang auszuleben, und sie ermutigen, ihre Zukunft mitzugestalten. Ob das Leben gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob man sich die Welt aktiv aneignet oder ob sie passiv erfahren wird. Deshalb ist es wichtig, dass junge Menschen ihre Talente entwickeln können. Kinder aus sozial schwächerem Umfeld zu gewinnen, die mit herkömmlichen Bildungsangeboten nicht erreicht werden, ist daher ein vordringliches Ziel der Junior-Uni. Gerade frühkindliche Förderung - das zeigen alle Studien - ist gefragt,
um mangelnder Bildungsteilhabe entgegenzuwirken, weshalb die Junior-Uni auch ein besonderes Augenmerk auf die ganz jungen Studierenden legt. Die altersgestaffelten Kurse richten sich wie im Wuppertaler Modell an vier- bis 20-jährige Studentinnen und Studenten. Jenseits von Verwertungsimperativen und Leistungsbeurteilungen stellt die Junior-Uni ihren Studierenden einen Erfahrungsraum für zweckfreies Forschen und Lernen zur Verfügung, einen Ort, der Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht. Obwohl der Förderung von sogenannten MINT-Fächern, also naturwissenschaftlich-technischen Themen, im öffentlichen Diskurs meist Vorrang eingeräumt wird, sind Kursangebote zu allen Fachbereichen vorgesehen, Kunst und Kultur sind ausdrücklich eingeschlossen. Mehr noch als das Wuppertaler Vorbild legt die Junior-Uni Ruhr Wert auf Nachfrageorientierung, die an die Lebenswelten der Studierenden anknüpft. Fragen, welche die Kinder und Jugendlichen tatsächlich bewegen, gelten als Richtschnur für die Entwicklung der Studieninhalte. Bereits die Auftaktveranstaltung, der „Urknall“, die im Februar 2019 rund 2 000 Kinder mit zahlreichen Themen und Workshops in den Ringlokschuppen lockte, stützte sich auf eine Matrix von Fragen, die Mülheimer Kinder selbst formuliert hatten. Ein weiteres Partizipationsinstrument ist der „JuniorBeirat“, der die Geschäftsführung bei der Erarbeitung der zukünftigen Kursprogramme berät und derzeit aus zwölf Jungen und Mädchen besteht. Wie die Wuppertaler plant auch die Junior-Uni Ruhr ein ganzjähriges Bildungsangebot. Inzwischen hat sie eine bezahlbare Immobilie gefunden, nur einen Steinwurf von der Ruhr entfernt, die in den vergangenen Monaten hergerichtet und mit Mobiliar des Max-Planck-Instituts ausgestattet wurde. Mühlenfeld ist es gelungen, Spenden und Stiftungsgelder zu akquirieren, die eine Aufnahme des Studienbetriebs ermöglichen. Unterstützt wird die ehrenamtliche Geschäftsführerin dabei von drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hinzu kommen die Dozentinnen und Dozenten, die sich aus den kooperierenden Einrichtungen wie der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet und dem Wuppertaler Dozentinnen- und Dozentenpool rekrutieren. Am 20. April soll es losgehen, knapp 20 Kurse zu den verschiedensten Themen stehen auf dem Programm. Man darf gespannt sein. Andreas Macat
Junior-Uni Ruhr
Unigebäude im Haus Jugendgroschen Hahnenfähre 9-11, 45470 Mülheim an der Ruhr 69
Kulturnotizen
Was noch wichtig ist Neuer Webauftritt des Kulturbüros Das Kulturbüro der Stadt Wuppertal hat sich digital neu aufgestellt. Auf der neuen Webseite werden das Team, die Aufgaben, Kommunikationswege und eigene Projekte wie „Viertelklang“ oder die Literatur Biennale vorgestellt. Darüber hinaus sind umfangreiche Informationen und Unterlagen zu den Förderschienen des Kulturbüros sowie Hinweise auf verschiedene externe Förderprogramme zu finden. www.wuppertal.de/kulturbuero
Website erinnert an Wilfried Reckewitz Das Internet vergisst nichts – was oftmals Fluch ist, kann auch zum Segen geraten. Erinnerung kann dauerhaft wachgehalten werden, Kunst und Künstlerinnen und Künstler können ihr Publikum finden und inspirierend wirken – sogar über den Tod hinaus. So kann man seit kurzem über eine Website eintauchen in das Werk des früh verstorbenen Wuppertaler Künstlers Wilfried Reckewitz (1925-1991). Viele Jahre gehörte er zu den prägenden Gestalten der Wuppertaler Kunstszene. Man traf sich im Künstlerlokal „Palette“, dem Stammsitz des 1946 gegründeten „Rings bergischer Künstler“, dessen Vorsitzender Reckewitz zuletzt war. Gelernt hatte er an der Wuppertaler Werkkunstschule und an der Kunstakademie Düsseldorf, Ewald Mataré und Otto Pankok waren seine Lehrer. Texte und Bildgalerien auf der Website zeichnen seinen künstlerischen Weg nach, der vom Gegenständlichen ins Abstrakte führte. Ein 1968 im Wuppertaler Von der Heydt-Museum uraufgeführter Reckewitz-Film von Peter Karlsruhen (Kamera) und Horst Laube (Buch) dokumentiert diese „Wege zur Form“ – mit damals äußerst progressiver Vertonung durch die Free-Jazzer Peter Brötzmann, Peter Kowald und Sven Johansson. Vier Jahre zuvor hatte Reckewitz gemeinsam mit der Publizistin Gertrud Höhler den Von der Heydt-Förderpreis erhalten. Texte (darunter warmherzige Erinnerungen des Freundes und damaligen Ministerpräsidenten von NRW, Johannes Rau) und Bilder zeigen einen überaus vielseitigen und produktiven Künstler und bewahren zugleich ein Stück Wuppertaler Zeitgeschichte. Die ihn kannten, werden sich so gern an ihn erinnern – die anderen bedauern, ihn nicht kennengelernt zu haben. www.wilfried-reckewitz.de (akr) 70
Wuppertaler Jazzmeeting mit neuem Konzept Nachdem das traditionsreiche Wuppertaler Jazzmeeting 2019 wegen fehlender Veranstaltungsräume ausfiel, will der Verein open Sky e.V. 2020 mit neuem Konzept durchstarten. Unter dem Motto „Let’s work together“ sollen ab dem 31. Oktober 2020 in Kooperation mit anderen Veranstaltern täglich Konzerte an verschiedenen Orten in Wuppertal mit einem großen Abschlussabend am 7. November stattfinden. Eröffnet wird er von den Siegern des Newcomer Wettbewerbs der monatlichen Wuppertaler JazzSession im Café Ada. Das Motto ist der Titel eines 50 Jahre alten Songs der Blues-Band „Canned Heat“, der von den auftretenden Bands interpretiert werden soll. Damit möchte der Verein ein Zeichen setzen gegen Rechtspopulismus und Ausgrenzung – für eine aktive Demokratie und respektvolles Zusammenwirken. Derzeit laufen die Verhandlungen mit Musiker*innen, Veranstalter*innen und Fördernden. Mehr unter www.opensky-ev.de (red)
Unterhaltsame Gelehrsamkeit: Aufsätze von Heinz Rölleke im NordPark-Verlag Als „Märchenprofessor“ ist er weltweit so bekannt geworden, dass ein Brief aus Japan mit der Anschrift „Professor Heinz Grimm, Wuppertal“, ihn tatsächlich erreichte. Aber nicht nur um die Märchenforschung hat sich der vielfach ausgezeichnete Heinz Rölleke verdient gemacht – wer das Glück hatte, bei ihm an der Bergischen Uni zu studieren, der wird sich immer mit Freuden daran erinnern, auf welch welterhellende und unterhaltsame Art dieser es vermochte, sein profundes Wissen aus weiten Bereichen der Literaturwissenschaften zu vermitteln. Wer dieses Glück nicht hatte, kann es sich wenigstens zu Teilen nachträglich über die Lektüre seiner ebenso kurzweilig verfassten Texte holen: Seit 2013 veröffentlicht der Emeritus ältere und neue Aufsätze im Internetmagazin Musenblaetter.de. Dessen Herausgeber Frank Becker – selbst einstiger Rölleke-Student – hat diese nun als kompaktes, handliches Buch herausgegeben, das man immer wieder gern zur Hand nimmt. Wer zuvor dachte, sich nicht für Zahlensymbolik in der Dichtung oder volksetymologische Namens(Um-)deutungen zu interessieren, wird sich wundern, wie schnell man sich daran festlesen kann. Besonderes Vergnügen machen die
Aufsätze aus der Märchenwelt, in denen Röllekes scharfer, kritischer Geist und seine umfassende Gelehrsamkeit zum Funkeln kommen. Ob er mit lieb gewordenen Falschinterpretationen von den angeblich „gesäuberten“ Märchenfassungen aufräumt, einseitig psychoanalytische Deutungen oder die fragwürdige Moralisierung der Grimm‘schen Märchen für Grundschulkinder kritisiert oder sich „Die Erotik in Grimms Märchen“ vornimmt – immer wieder verblüfft er mit interessanten Details, schlägt weite thematischen Bögen – etwa wenn er das Verwandlungsmotiv von den Grimms über Ali Baba zu Kafka verfolgt – und zeigt anhand beliebter Märchenmotive die engen Verflechtungen europäischer Literaturtradition über Jahrhunderte hinweg. Nach eigenen Worten frönt er (mit einem Augenzwinkern) dem Ideal der „Andacht zum Unbedeutenden“ – tatsächlich ist jede dieser Petitessen anregender und gehaltvoller als manches, das mit dem Anspruch auf Bedeutsamkeit daherkommt. (akr) Heinz Rölleke: Die Magie von Wort und Zahl, herausgegeben von Frank Becker, NordPark-Verlag, Hardcover, 226 Seiten, 14,95 €
Save the Date! Historische Stadthalle Wuppertal Samstag, 31. Oktober 2020, 19.30 Uhr
„Eine Welt zu gewinnen“
Friedrich Engels zum 200. Geburtstag Chor- und Orchesterkonzert des kritischen Erinnerns „Eine Welt zu gewinnen“ –diese Worte stammen aus dem Kommunistischen Manifest von Friedrich Engels und Karl Marx. Das weltberühmte Buch gehört zu den meistgelesenen Texten der Menschheit. Der große tschechische Komponist Erwin Schulhoff komponierte das Manifest in kongenialer Musik zu einem Konzerterlebnis von internationalem Format. Als NRWErstaufführung ist dieses Werk in der Historischen Stadt halle Wuppertal zu hören.
In dem durch seine hervorragende Akustik weltweit bekanntem Konzerthaus lassen in einer einmaligen Vorstellung 180 Musikerinnen und Musiker aus Wuppertal, Düsseldorf, Bremen, Köln und Melbourne dieses große Werk erklingen. Eine zugleich ergreifende wie auch kritische Erinnerung an den berühmten Sohn Wuppertals in Tönen – Friedrich Engels eigene Worte übersetzt in große Musik.
Das gesamte Konzertprogramm Ludwig van Beethoven „Coriolan“-Ouverture Albert Lortzing aus der Revolutionsoper „Regina“ Ulrich Klan „Seid Sand“ Erwin Schulhoff „Das Kommunistische Manifest“ op. 82 für Vokalsolistinnen und Vokalsolisten, Erwachsenenchöre, Kinderchöre und Orchester
Text Friedrich Engels und Karl Marx NRW-Erstauff ührung Dorothea Brandt Sopran, Wuppertal Joslyn Rechter Alt, Melbourne/Köln Christian Georg Tenor, Bremen Mauricio Virgens Bass, Köln Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal Leitung: Georg Leisse Tao-Chor Düsseldorf Leitung: Markus Maczewski Wuppertaler Kurrende Leitung: Markus Teutschbein Young Voices der Bergischen Musikschule Leitung: Andrea Anders Internationaler Else-Chor der Gesamtschule Else Lasker-Schüler Deutsche Rhein-Philharmonie Düsseldorf Leitung: Desar Sulejmani Ulrich Klan Musikalische Leitung
Eine Veranstaltung der Armin T. Wegner-Gesellschaft e. V. www.armin-t-wegner.de Historische Stadthalle, Johannisberg 40, 42103 Wuppertal Tickets: 25, 20, 15, 10 Euro (mit Vorverkaufsermäßigung) Tickets online oder in den Vorverkaufsstellen von wuppertal-live.de 71
Nan Goldin – The Other Side, englisch, 192 Seiten mit 135
David Goldblatt – The Last Interview,
überwiegend farbigen Abbildungen,
englisch, 144 Seiten mit 45 Abbildungen,
Hardcover mit Prägung, 27 x 22 cm,
Leinen, gebunden, 23 x 17 cm,
Steidl, 40,- €
Steidl, 28,- €
Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch
Vom Ganzen ein Teil Dem Rückblick ist Abschiednehmen, gar Trauer eigen, aber auch Erinnerung an das Schöne. Vielleicht erklärt der frische Blick auf das (längst) Vergangene manches, das danach geschehen ist? Es ist die Chance der Kunstbücher, hier nun der jüngst erschienenen, überarbeiteten und ergänzten Neuauflage von „The Other Side“ von Nan Goldin. Die USamerikanische Fotografin hat einige frühen Serien zusammengefasst, um neuere Bildfolgen ergänzt und mit eigenen und fremden Kommentaren und Erinnerungen der Beteiligten versehen. Bei Nan Goldin ist man sich vielleicht nicht sicher, ob ihr Werk, das ruppig und spontan daherkommt und sich den Außenseiter*innen der LGBT-Community in intimen Einstellungen nähert, mehr unter Kultur oder Kunst zu rechnen ist. Nan Goldin erzählt Biografien, vermittelt Sympathie, lässt uns teilhaben, ist zärtlich und in jedem einzelnen Bild genau, auch wenn es unscharf ist und nach einem Schnappschuss aussieht. Die Fotokamera ist als Mittel, nicht als Ziel zu verstehen. Das liegt schon in den ganz frühen Bildern vor, die Nan Goldin 1972 bis 1974 in Boston von ihren transsexuellen Freund*innen aufgenommen und mit dem Werktitel „The Other Side“ versehen hat. Schon diese Serie der damals nicht einmal 30-jährigen Fotografin ist grandios. Überwiegend handelt es sich um Porträts, sehr sachlich, zentriert, wechselnd zwischen Schwarz-Weiß und Farbe. Die Freunde sind selbstbewusst, schauen in die Kamera oder gelangweilt an ihr vorbei; nie hat man das Gefühl übertriebener Pose, auch dann wenn die Akteure in Verkleidung auftreten. Respektvolle Distanz 72
und die Intensität persönlicher Freundschaft spielen zusammen … Diese Konzeption zieht sich durch die in diesem Buch versammelten Serien, die noch Aufnahmen u.a. aus New York (1990-92), Bangkok (1992) oder Paris und Moskau (2008-2010) enthalten. Nan Goldin widmet sich einzelnen Lebensgeschichten und verknüpft die Fotografien in ihrer Abfolge auf subtile Weise. Etliche der Porträtierten sind mittlerweile verstorben. Gerade heute wirbt das Buch auch für Toleranz und Verständnis. Auch deshalb und weil sie so unglaubliche, brutal ehrliche Bilder schafft, ist Nan Goldin eine große Künstlerin. Ganz anders, aber ebenfalls ein toller Fotograf und Künstler war David Goldblatt, der vor zwei Jahren mit 87 Jahren daheim, in Johannesburg gestorben ist. Wenige Monate vor seinem Tod hat er sich ausführlich mit Alexandra Dodd unterhalten: „The Last Interview“. Veröffentlicht vom wunderbaren Steidl Verlag, wird der Text von ausgewählten fotografischen Bildern und Bildsequenzen aus verschiedenen Werkphasen begleitet. Spätestens seit seiner Teilnahme an der documenta 11 2002 war Goldblatt als Fotograf weltweit geachtet. 2005 hatte er eine Einzelausstellung im Museum Kunstpalast in Düsseldorf, da war er auch selbst da. Später hat er u.a. den Hasselblatt Award und den Cornell Capa Award erhalten und ohnehin weltweit ausgestellt. Sein Thema ist seine Heimat: Südafrika mit der Apartheid. Er hält über die Jahrzehnte Spuren des Rassismus und von Bilderstürmerei und Gewalt fest, zeigt aber auch die Schönheit
Giovanni Aloi,
F. Fehrenbach, C. Zumbusch (Hg.),
Lucian Freud – Herbarium,
Aby Warburg und die Natur,
englisch, 176 Seiten
teils deutsch, teils englisch,
mit 119 Farbabbildungen,
234 Seiten, ca. 30 s/w Abbildungen,
Leinen, gebunden,
Hardcover, 24,5 x 17 cm,
30,5 x 25 cm, Prestel, 45,- €
De Gruyter, 49,95 €
der Landschaft, ihrer Menschen und der Struktur ihrer Gesellschaft und entwickelt daraus Serien, deren Einzelbilder auch für sich Bestand haben – das bestätigt das bibliophil angelegte Buch. Was es besonders herausarbeitet: Goldblatt ist ein großartiger Porträtfotograf, der ebenso Gewalttäter zeigt, die nie die Chance auf ein gutes Leben hatten, wie die Machthaber von Südafrika und seinen Nachbarländern. Dass dieses Buch David Goldblatt uns auch als Menschen näher bringt und über die spezielle Forschung hinaus aufregend, lesenswert ist, muss nicht weiter betont werden. Ein weiterer großartiger Künstler ist der britische Maler und Zeichner Lucian Freud (1922-2011). Weltberühmt ist er mit seinen realistischen Porträts und Aktdarstellungen im Interieur, die ja auch immer Porträts sind. Freud inszeniert keine Posen, er zeigt das Leben so, wie es ist. Die nackten Menschen liegen in ihrer ganzen Leiblichkeit auf dem Sofa, blaue Adern schimmern durch die helle Haut. Meist sind die Innenräume leer, mitunter kommt ein Hund vor oder auf dem Fensterbrett steht ein Blumentopf. Es mag dieses dezente Wiederkehren pflanzlicher Motive gewesen sein, das Giovanni Aloi zu seinem Buch „Lucian‘s Freud Herbarium“ inspiriert hat. Tatsächlich hat sich Freud gerne in seinem wild wachsenden Garten aufgehalten, tatsächlich gibt es reine Natur- und Pflanzenstücke. Allerdings besitzt die Natur nicht die Bedeutung wie etwa bei Franz Gertsch. Und dann kommen die Blumen und Pflanzen offensichtlich über viele Jahre nicht vor, jedenfalls finden sich im Bildteil große chronologische Lücken. Freud hat die Pflanze primär als Architektur, als formales oder enigmatisches Phänomen interessiert, wie Aloi in seiner Einführung schreibt. Aber die paar grünen Pflanzen, die er malt, sind hinreißend. Und dann setzt der kommentierte Abbildungsteil sehr früh im
Werk ein, stellt zunächst einen mehr grafischen, schablonenhaft die Figur erfassenden Lucian Freud vor und enthält danach etliche Hauptwerke. Als Buch ist die im Prestel Verlag erschienene Publikation ein Vergnügen. Noch einmal Natur, auch hier als vielsagender Ausschnitt aus dem Ganzen. Vorgestellt wird Aby Warburg mit seinem Verständnis der Natur, die er in Analogien für seine theoretische Arbeit zitiert hat. Aby Warburg (1866-1929) war ein deutsch-jüdischer Kunsthistoriker und Kunstwissenschaftler. Er hat die Ikonografie als Disziplin der Kunstgeschichte etabliert; ein besonderer Schwerpunkt galt der Antike und ihrem Fortleben in der Renaissance. Legendär ist sein Bilderatlas „Mnemosyne“, der eben Beispiele für die Antike in der Gegenwart auf völlig unterschiedlichen Fotos anführt und in unserer Zeit Kurator*innen ebenso wie Künstler*innen zu weitergehender Beschäftigung angeregt hat. Schon deshalb ist es sehr gut und wichtig, dass bei De Gruyter jetzt der Sammelband „Aby Warburg und die Natur“ erschienen ist, der mitten ins Zentrum seiner Arbeit zielt. Jedoch werden keine Texte von ihm veröffentlicht, sondern sehr gute, unterschiedlich verständliche Aufsätze von Wissenschaftler*innen. Ärgerlich: Dass den Essays (wohl) eine Tagung in Hamburg aus dem Jahr 2015 zugrunde liegt, erfährt man erst aus der Fußnote eines späten Textes. Zwar gibt es eine umfangreiche Bibliografie zu Warburg, aber die Kompetenz der Autoren – ihre Vita – wird nicht vermerkt. Und schließlich wirkte Aby Warburg gerade durch seine Bildgewalt, doch davon findet sich kaum etwas: Referenzabbildungen sind selten. Aber wenn man Aby Warburgs Werk kennenlernen will (und das sollte man), erfährt man schon beim Querlesen eine Menge. Ein wichtiges, unverzichtbares Buch. 73
Kulturtipps und Kulturorte Aufgrund der Situation rund um die COVID-19-Pandemie können Veranstaltungen aktuell nicht stattfinden. Informieren Sie sich daher über den neuesten Stand der Dinge auf den Websites der Veranstalter. Hier finden Sie eine Auswahl: MUSEEN Von der Heydt-Museum Turmhof 8, 42103 Wuppertal www.von-der-heydt-museum.de
Von der Heydt-Kunsthalle Geschwister Scholl Platz 4-6, 42275 Wuppertal-Barmen www.von-der-heydt-kunsthalle.de
Kunstmuseum Solingen Wuppertaler Straße 160 42653 Solingen-Gräfrath kunstmuseum-solingen.de
Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen
Burg Wissem Bilderbuchmuseum, Stadt Troisdorf Burgallee 1, 53840 Troisdorf troisdorf.de
ANDERE ORTE Skulpturenpark Waldfrieden
Fr.-Engels-Allee 173, 42285 Wuppertal druckstock-hagemeier.de
Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal skulpturenpark-waldfrieden.de
WUBA Galerie
Stadtsparkasse Wuppertal
Fr.-Engels-Allee 174, 42285 Wuppertal wuba-galerie-brigittebaumann.de
Islandufer 15, 42103 Wuppertal
Riedel Hallen Uellendahler Str. 353, 42109 Wuppertal
Pina Bausch Foundation
Bahnstraße 16, 42327 Wuppertal buergerbahnhof.com
galerie#23
Historisches Zentrum Wuppertal
Ins Blaue Kulturwerkstatt e.V.
Engelsstraße 10/18, 42283 Wuppertal friedrich-engels-haus.de
Haus Martfeld
Vogelsangstraße 20, 42109 Wuppertal hengesbach-gallery.com
Gustav-Heinemann-Straße 80, 51377 Leverkusen www.museum-morsbroich.de
KunstStation im Bahnhof Vohwinkel
Schauspielhaus Wuppertal Bundesallee 260, 42103 Wuppertal pinabausch.org
GALERIEN
Museum Morsbroich
Hofaue 55, 42103 Wuppertal bkg.wtal.de
DruckStock Ort für freie Grafik
Wuppertaler Str. 160, 42653 Solingen verfolgte-kuenste.de
Haus Martfeld 1, 58332 Schwelm schwelm.de
Bergische Kunstgenossenschaft
Hengesbach Gallery
Grölle pass:projects Friedrich-Ebert-Straße 143e, 42117 Wuppertal
RAUM 2
Frohnstraße 3, 42555 Velbert-Lgb. galerie-23.de
Verein für kulturelle Bewegung Siemensstraße 21, 42857 Remscheid www.ins-blaue.net
Galerie Wroblowski Alleestraße 83, 42853 Remscheid galerie-wroblowski.de
Galerie SK in den Güterhallen Alexander-Coppel-Str. 44 42651 Solingen solingerkuenstler.de
Kulturbahnhof Eller
passprojects.com
Vennhauser Allee 89, 40229 Düsseldorf kultur-bahnhof-eller.de
Museum für Asiatische Kunst
Neuer Kunstverein Wuppertal
Galerie Peter Tedden
Sieplenbusch 1, 42477 Radevormwald asianart-museum.de
Hofaue 51, 42103 Wuppertal neuer-kunstverein-wuppertal.de
Aquarius-Wassermuseum
Friedrich + Ebert
Burgstr. 70, 45479 Mülheim an der Ruhr aquarius-wassermuseum.de
Fr.-Ebert-Str. 236, 42117 Wuppertal friedrich-ebert.de
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Mutter-Ey-Straße 5, 40213 Düsseldorf galerie-tedden.de
Verschoben! Mehr auf: www.oktogon-wuppertal.de
Universitätsgalerie Oktogon Wormser Straße 55, 42119 Wuppertal Klophauspark
„Should I remain here“ Julian Behm & Jonas Habrich „Should I stay or should I go“ von The Clash gehört laut dem Rolling Stone zu den größten Hits aller Zeiten. „It was just a good rockin’ song.“ meint dazu Mick Jones. Die Zeile lässt sich in jedem Fall hervorragend laut schreien. „Should I remain here“ ist eine ähnlich gerichtete Frage allerdings stellt man die eher leise. Und auf Wuppertal und die Universitätsgalerie Oktogon bezogen ist sie sehr amüsant. Wie auch das Foto auf Poster und Einladungskarte von Julian Behm und Jonas Habrich. In zu kurzen Jeans, grauen Socken und geschnürten braunen Mokassins stellt sich die Frage wo man hin soll wohlmöglich besonders eindringlich. Bereits Motiv und Titel verweisen auf den Gestus der die meisten Arbeiten der beiden Künstler durchdringt. Behm und Habrich verbergen sowohl einzeln als auch im Duo gerne das ein oder andere Detail. Wie im romantischen Sujet der „Rückenfigur“ bei dem das vom Betrachter abgewandte Bildpersonal als Projektionsfläche dient erschaffen sie in ihren Werken produktive Leerstellen. Es bleibt nichts als die eigene Imagination um die Lücke selbstständig zu füllen. Nur durch die subjektive Vorstellung des Betrachters ergänzt ergibt sich eine Erzählung. Die Leerstellen sind die entscheidenden Auslösemomente für das Assoziationsvermögen des Beobachters. Die poetischen Reflexionsfiguren von Behm und Habrich zwingen den Betrachter sowohl zur teilnehmenden Beobachtung als auch zur inhaltlichen Deutung des Geschehens. Die jeweils fehlenden, nicht dargestellten Handlungssequenzen müssen vom Betrachter mittels seiner eigenen Fantasie hergestellt werden so er sie denn hat. Solche Gesten gehen in der zeitgenössischen Kunst leicht auch mal schief, nicht jedoch im Fall von Behm und Habrich denen es gelingt äußerst komplexe Arten von Leerstellen entstehen zu lassen, die von einem besonders feinsinnigen Humor durchdrungen sind. Die Arbeiten gelingen, da die Künstler aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit geschickt einige wenige Elemente auswählen, um sie in ihrem jeweiligen Medium zu fixieren. Sowohl emotional wie intellektuell ist es ein großer Genuss sich auf ihre Kommentare zur Wirklichkeit einzulassen und wir freuen uns ihre Arbeiten in situ im Oktogon präsentieren zu dürfen. Katja Pfeiffer Kunst-Professorin an der Bergischen Universität Wuppertal
VON DER HEYDT- MUSEUM WUPPERTAL
Peter Kowald, Global Village, 1994, Sparkasse Wuppertal, Foto: Björn Ueberholz
MEHR : WERT 28.4.- 2.8.2020
Die Sammlungen der Stadtsparkasse Wuppertal und des Von der Heydt-Museums im Dialog Ermöglicht durch:
www.oktogon-wuppertal.de, Instagram @oktogonwuppertal
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BÜHNE/THEATER/MUSIK: Wuppertaler Bühnen Opernhaus Wuppertal Kurt-Drees-Straße 4, 42285 Wuppertal Premiere Mittwoch, 20. Mai 2020, 19.30 Uhr weitere Vorstellung Sonntag, 24. Mai 2020, 18 Uhr Schulvorstellung Dienstag, 26. Mai 2020, 11 Uhr Community Oper
„Sommernachtstraum“ Die Oper Sommernachtstraum von Benjamin Britten wird in Zusammenarbeit mit den Wuppertaler Bühnen unter der Beteiligung von 120 Kindern und Jugendlichen als Comunity Oper realisiert. Seit September 2019 arbeiten freie Künstler der Wuppertaler Szene im Bereich Musik, Tanz, Bildender Kunst und Video mit Kindern und Jugendlichen aus Wuppertal, die ohne solche Projekte kaum Zugang zu unserer europäischen Musikkultur bekommen würden. Ihre künstlerischen Ergebnisse fügen sich nahtlos in den professionellen Rahmen ein, den die Mitwirkung des Sinfonieorchesters und des Opernensembles bietet.
Wuppertaler Bühnen Oper, Schauspiel und Sinfonieorchester
Theater Filidonia
Swane Design Café
Siemensstraße 21, 42857 Remscheid theater-filidonia.de.webnode.com
Luisenstraße 102a, 42103 Wuppertal swane-faircycledesign.com
Theater Hagen
Cafe ADA
Elberfelder Str. 65, 58095 Hagen theaterhagen.de
Wiesenstraße 6, 42105 Wuppertal cafeada.de
Historische Stadthalle
Café Hutmacher
Johannisberg 40, 42103 Wuppertal stadthalle.de
im Mirker Bahnhof Mirker Straße 48, 42105 Wuppertal facebook.com/beimhutmacher
die börse Wolkenburg 100, 42119 Wuppertal dieboerse-wtal.de
Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal Genügsamkeitsstr., 42105 Wuppertal alte-synagoge-wuppertal.de
CityKirche Elberfeld
KuKuNa-Atelier Hünefeldstraße 52c . 42285 Wuppertal caritas.erzbistum-koeln.de Caritasverband Wuppertal/Solingen e. V.
Peter Kowald Gesellschaft/ ort e. V.
Hühnefeldstr. 52c, 42285 Wuppertal caritas.erzbistum-koeln.de
Luisenstraße 116, 42103 Wuppertal kowald-ort.com
Jazz Club im Loch Ecke Ekkehardstraße/Plateniusstraße 42105 Wuppertal lochloch.sommerloch.info
Kontakthof Genügsamkeitsstr. 11, 42105 Wuppertal kontakthof-wuppertal.de
Kulturzentrum Immanuel
TalTonTHEATER
Sternstraße 73/Von-Eynern-Straße 42275 Wuppertal immanuelskirche.de
Teo Otto Theater
Schwebeklang Klangkosmos Weltmusik
Konrad-Adenauer-Straße 31-33 42853 Remscheid teo-otto-theater.de
Internationale Musikkulturen in Wuppertal klangkosmos-nrw.de
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Schwelmer Str. 133, 42389 Wuppertal bandfabrik-wuppertal.de
Kirchplatz 2, 42103 Wuppertal citykirche-elberfeld.de
Kurt-Drees-Straße 4, 42283 Wuppertal wuppertaler-buehnen.de
Wiesenstraße 118, 42105 Wuppertal taltontheater.de
Bandfabrik Wuppertal Kultur am Rand e.V.
Int. Begegnungszentrum
BÜHNE/LITERATUR: Buchhandlung von Mackensen Friedrich-Ebert-Straße / Ecke Laurentiusstraße 12, 42103 Wuppertal mackensen.de
Glücksbuchladen Friedrichstraße 52, 42105 Wuppertal gluecksbuchladen.buchhandlung.de
KINO: Alte Feuerwache, Innenhof Gathe 6, 42107 Wuppertal talflimmern.de Rex-Filmtheater Kipdorf 29, 42103 Wuppertal rexwuppertal.de
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invitaciones
Ensemble Partita Radicale lädt Komponisten aus Lateinamerika ein Mit außergewöhnlichen Projekten macht das Ensemble für improvisierte und zeitgenössische Musik Partita Radicale immer wieder auf sich aufmerksam. Das im Sommer 2019 neu geschaffene Förderprogramm des NRW-Ministeriums für Kultur und Wissenschaft, das ausgewählte professionelle Ensembles über einen Zeitraum von drei Jahren in großzügiger Weise fördert, eröffnet den vier Musikerinnen aus Wuppertal und Köln jetzt noch einmal ganz neue Spielräume: Sie haben die argentinische Komponistin Natalia Solomonoff und den Komponisten Osvaldo Budon aus Uruguay eingeladen, für ihr Ensemble zu komponieren. „invitaciones“ heißt denn auch passend dieses neue Projekt, das mit vier Konzerten in Bonn, Bochum, Köln und Wuppertal Ende April 2020 Premiere feiert, um später auf einer Lateinamerika-Tour fortgesetzt zu werden. Ein Kompositionsauftrag von einem Improvisationsensemble – was wie ein Widerspruch klingt, eröffnet tatsächlich genau den Spielraum, in dem das renommierte Ensemble seit jeher zu Hause ist: In vielen ihrer Projekte bewegen sich Partita Radicale zwischen Komposition und Improvisation. Die Komposition gibt dabei Rahmen und Struktur vor oder erteilt Spielanweisungen, aber erst durch die Klanggestaltung der Musikerinnen entsteht letztlich das Stück. „Bei den invitaciones war dieser Prozess von Anfang an ein gemeinsamer“, erzählt die Violinistin Gunda Gottschalk. „Wir stehen im ständigen Austausch mit den Komponierenden, und Anfang April werden wir in Wuppertal noch gemeinsam konzentriert eine Woche an den Stücken arbeiten.“ Fest steht bereits: Das Werk von Osvaldo Budon wird eine Hommage an den US-amerikanischen Komponisten Charles Ives (1874-1954). Notenmaterial und Zitate von Ives werden vom Komponisten Budon neu organisiert und für die Instrumentalistinnen mit individuellen Spielanweisungen versehen, die unterschiedliche Freiräume der Interpretation offenlassen. Noch größer ist der Spielraum in Natalia Solomonoffs Komposition „Árbol de la dicha“ (Baum der Freude). Sie stellt den Musikerinnen einen Tonvorrat bereit, den diese im vorgegebenen Rahmen individuell benutzen dürfen. Das Ergebnis ist ein filigranes Klangfarbenstück, das von Aufführung zu Aufführung unterschiedlich schillert. Inspiriert von der gemeinsamen Arbeit mit den Komponisten entwickeln Gunda Gottschalk (Violine), Ortrud Kegel (Querflöten), Karola Pasquay (Querflöten) und Ute Völker (Akkordeon) zudem ein eigenes Stück: Die „Langzeitstudie 6“ knüpft dabei an das frühere Projekt der „slow motion – Langzeitstudien“ an und entwickelt dieses weiter. Alle Stücke beinhalten neben ihrer klanglichen Komponente auch eine Konzeption im Raum, in dem sich die Musikerinnen auf verschiedene Positionen begeben. Bei allen Konzerten wird der argentinische Posaunist Adrian Bosch als Gastmusiker mitwirken. Anne-Kathrin Reif Die im April geplanten Termine werden geschoben, eventuell in den Herbst 2020. 77
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wurde 1962 von Adrian von Saucken gegründet. Zu einem Zeitpunkt als diese Jazzmusik noch ein Geheimtipp in musikhistorischen Zirkeln war. Die Band gilt heute bei lnsidern, Publikum, Festival-Veranstaltern und Redakteuren als prominent. Durch ausgeprägte Professionalität in Klang und Improvisation ist die „Seatown Seven“ längst über den Stand einer Amateurkapelle hinausgewachsen. Eintritt frei. Eine Ausgangsspende für die Künstler wird erbeten. Maria Kovalevskaia und Natalia Maximova sind das Artpianoduo/YOLOduo – zwei junge russische Pianistinnen, die in Hamburg zuhause sind, wo sie sich im Studium an der Musikhochschule kennengelernt haben. Das Duo kann auf zahlreiche internationale Auftritte innerhalb Europas zurückblicken. Eintritt frei. Eine Ausgangsspende für die Künstlerinnen wird erbeten. Anmeldung/Onlinebuchung: www.larena-wuppertal.de „l‘aréna“, Siegesstraße 110, 42287 Wuppertal
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Prisma Quartett
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www.saitenspiel.de An jedem Montag nach den Sonntagsveranstaltungen finden zwei Konzerte für Schulklassen statt. | Veranstalter der Konzertreihe: Saitenspiele Wuppertal gGmbH