Konzert für das Eis

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Poesie der Nachbarn – Dichter übersetzen Dichter begründet von Gregor Laschen

© 2010 Verlag Das Wunderhorn Rohrbacher Straße 18 69115 Heidelberg www.wunderhorn.de © 2010 Autoren und Übersetzer Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung ­elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Cyan, Heidelberg Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda ISBN 978-3-88423-343-6


Hans Thill (Hrsg.)

Konzert f端r das Eis Gedichte aus Kroatien 端bersetzt nach Interlinearversionen von Alida Bremer

Wunderhorn



Vorbemerkung Es ist schwer, den Zeilen eines anderen Autors zu folgen. Sophronius Eusebius Hieronymus Nur wenige wissen, daß der Heilige Hieronymus (347 – 420), erster Bibelübersetzer und Schutzpatron des gesamten Berufszweigs, im kroatischen Strigova geboren wurde. Er wird häufig mit einem Löwen dargestellt, dem er einen Dorn aus der Pranke zieht. Die Legende erzählt uns eine paradiesische Geschichte von der zahmen Bestie, die sich bereit findet, den klostereigenen Esel zu hüten, weil Heironymus ihr einen Dorn aus der Pranke gezogen hat. Die Mitbrüder des Hieronymus kamen nur deshalb nicht mit aufs Bild, weil sie vor dem Löwen reißaus genommen hatten. Hieronymus ist Einsiedler, aber nicht allein. Dem Löwen den Dorn zu entfernen, so heißt es in der »Legenda Aurea« des Jacobus de Voragine, steht für das Eliminieren des Fehlers. Der Meister der Askese und Demut ist ein gefürchteter Kritiker. Er findet Textstellen, in denen Matthäus die Bibel ungenau zitiert, weil er um jeden Preis einen Bezug zwischen dem Alten Testament und dem Evangelium herstellen möchte (Matth. 27,9). Er kommt auf manche andere Schludrigkeit der Evangelisten. Dann schreibt er: »Man könnte den Apostel der Fälschung anklagen …« (»Brief an Pammachius«). Will man die Legende des heiligen Hieronymus emblematisch lesen, erhält auch eine eher komödiantische Episode ihren neuen Sinn. In seiner kirchenpolitisch aktiven Zeit hatte man Hieronymus zum Papst gewählt. In dieser Position straft er »die Unzucht etlicher Mönche und Cleriker«, die ihm deshalb eine Falle stellen. Nachts vertauscht man seine Kleider

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und »da er zur Frühmesse aufstund nach seiner Gewohnheit, da fand er einer Frauen Rock, den hatten ihm die Neider neben sein Bett gelegt; den zog er an und wähnte, es wäre sein eigen Kleid und ging also in die Kirche.« Diese Eulenspiegelei führt dazu, daß Hieronymus (d.i. der heilige Name) sich nach Bethlehem zurückzieht, um sich nur noch zu kasteien und der Übersetzung der Vulgata zu widmen. Der Übersetzer, so könnte man folgern, geht im fremden Rock. Auch die Travestie, der Wechsel der Vorzeichen, des Geschlechts, ist ihm nicht fremd. Seine Funktion ist eine dienende. Man kann die Sache aber auch umgekehrt sehen. Im fremden Rock gehend, partizipiert er an dem Werk des anderen. Dem Werk, das er übersetzt, ist er am zweitnächsten, gegenüber dem Autor hat er überdies die Position des privilegierten Kritikers. Dem Übersetzer der Evangelien wird natürlich besonders hohe Wertschätzung zuteil. Die in der »Legenda Aurea« übliche etymologische Auslegung des Namens (mit zahlreichen Varianten) gipfelt in folgendem Übersetzungsvorschlag: »Hieronymus heißt auch Erschauung der Schönheit oder Richter des Worts.« Man kann darüber erstaunt sein, daß ausgerechnet ein philologischer Heiliger in ganz Europa große Verehrung genießt. Von den Kirchenvätern ist Hieronymus auch heute noch der populärste. Eine Spur der Hieronymus-Verehrung findet sich noch in den afro-amerikanischen CandombléKulten, wo er für den Orixa Xangó steht. Der Heilige Hieronymus im Gehäus ist das Inbild kreativer Einsamkeit. Umringt von seinen Büchern, einigen Gegenständen und Tieren, die selbst alten Büchern entsprungen scheinen, geht er der solitären Arbeit der Auslegung des heiligen Textes nach. Oft sieht man ihn mit gequälter Miene, sich den Kopf aufstützend und mit der Rechten auf einen Totenschädel weisend. Bei Poesie der Nachbarn – Kroatien stand in der knappen Woche vom 24. bis 30. Juni 2009 in Edenkoben die gemeinschaftliche Arbeit am Text im Vordergrund – nicht die unerbittliche Auseinandersetzung über die wahre Lesart dieser oder jener Stelle. Zum Glück hatten wir es nicht mit einem heiligen Text, sondern mit zeitgenössischen Gedichten zutun. Die

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gemeinsame Arbeit am Text, in Klausur des durchaus nicht mönchischen Künstlerhauses Edenkoben, verhalf den deutschsprachigen Dichtern, die hier ins Kleid des Übersetzers geschlüpft waren, und den kroatischen Gästen zu einer Erfahrung gemeinsamer Anstrengung. Das Wissen, daß es die eine wahre Auslegung eines geschriebenen Textes nicht gibt, kann einem Mut einflößen. »Es ist schwer den Zeilen eines anderen Autors zu folgen«, weil jeder denkende Mensch seinen eigenen Kopf hat. Andererseits ist die Frage Voraussetzung für ein Zwiegespräch, ein Zweifel der Anfang jeder Annäherung an den Anderen. Eine Aufgabe, so unmöglich wie das Übersetzen eines Gedichts in eine andere Sprache, befeuert jeden Beteiligten zur größtmöglichen Treue gegenüber dem Text, aber sie läßt andererseits auch den Eigensinn des Nachdichtenden zur Geltung kommen. In vielen der hier abgedruckten Versionen von ein und demselben Gedicht ist das zu sehen: manche Lösung entfernt sich vom Original und kann doch sein getreues Abbild sein. Die Gegenüberstellung unterschiedlicher Les- und eben auch Schreibarten war schon immer ein wichtiges Detail dieses Projekts, das eher Schwierigkeiten sucht, um diese zu meistern, als Fehler aufzuspüren, um sie zu eliminieren. Schließlich könnte der Dorn in der Löwenpranke ein Griffel am falschen Platz ein, der in der Hand dessen, der ihn entfernt, wieder zum Griffel werden kann. Der Titel dieser Anthologie wurde einem Gedicht von Branko Čegec entnommen, das eine Wetterfront zum Anlass für ideologisch-geografische Betrachtungen nimmt. Diesarkastische Utopie einer »eisigen Sandbank« stellt sich den Reklamesprüchen der Tourismusbranche entgegen, die nur noch Sonnenländer zu kennen scheint. Zum ersten Mal in der 22-jährigen Geschichte von Poesie der Nachbarn hatten wir es diesmal mit einem Land zutun, in dem die Erinnerung an einen Krieg noch sehr lebendig ist. Zahlreiche Texte in dieser Anthologie handeln vom Wahnsinn des Krieges. In der Arbeit an den einzelnen Gedichten, – basierend auf der Vorleistung von Alida Bremer, im Gespräch unterstützt von Gabriela Dolić – mußten immer wieder die Zeitumstände erfragt werden, auf die sie sich bezogen. Bei manchem Gedicht etwa von

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Zvonko Maković war genau auf die Datierung zu achten: Was auf den ersten Blick als Übergriff aus dem letzten Krieg erscheinen konnte, war dann doch, wie sich herausstellte, eine Folterszene aus der jugoslawischen Zeit. Der Herausgeber

Literatur: Jacobus de Voragine, Legenda Aurea. Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz. Lambert Schneider, Heidelberg, 1984. Hieronymus, Brief an Pammachius, in: Hans Joachim Störig (Hg.), »Das Problem des Übersetzens«, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1963.

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Hans Thill

Erster Schritt ins Fenster Soba (Zimmer), More (Meer), Cape Maybe und ein auf Sandalen gebauter Himmel Himalaya. Neon Lyra, Mädchen im Mandolinenslip, beim Zählen der Vögel, der Plastikflügel über Illyrien. Hotel Donau, hier endet Edekobe, fest stehen die Karawanken, wo der Srebrobär sein Sägemehl frißt wie wir die Sprachwolken. Auf deinen Augen, inneres Mädchen, rudern wir für einen Würfelzucker, für eine Handvoll vergessener Kirschen, für die geworfene Peperoni der Revolution. Teheran. Genosse Absolut an die Korinther: Ha! Ha! Upha! Gebt mir ein Blei dann rufe ich die Heilsarmee der Worte. Johann Köhl, der die Klarinetten zählt, die toten Fische im blauen Kaltwasser. Alte Wasser, bittere Früchte. Wir küssen das Meer. Strah (Angst), Ime (Name), Prah (Staub) Edenkoben, 24. Juni 2009

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Tomica Bajsić


Tomica Bajsić

Apokrifi o Titu Tito glođe svinjsku glavu na tavanu jednim okom vreba ulicu da ga roditelji ne uhvate baš me briga / misli / pobjeći ću biciklom Tito ilegalno u bečkom tramvaju obukao je svoje najbolje sivo odijelo misli: što sam ja gori od tih studenata? Tito je Walter / John Smith / Fantomas / Caspar Hauser / Howard Hughes / Tito je alias / alias je Tito koliko imam imena / divi se Tito sam sebi Tito jaši Romanijom iza njega starina Nazor posrće kroz snijeg Vladimire Vladimire / misli Tito dobrohotno Tito maše okupljenoj djeci iz Mercedesa crvene marame im vezane kao omčice oko vrata / i sunce će se jednom ugasiti / misli Tito filozofski Tito je elegantan u smrti spisak neutješnih po abecednom redu: akrobati u cirkusu / činovnici / djelatnici Instituta za historiju radničkog pokreta / engleska kraljica / filmski radnici / hipiji / Ilich Ramirez Sanchez a.k.a. Carlos / krojači / kubanska industrija cigara / lijepe žene / ljudi koji nose brkove / medvjedi nosorozi lavovi / nastavnici u osnovnim školama / nogometaši / oficiri iz vatrogasnih domova / odlični učenici / operni pjevači / povijesne ličnosti / predsjednici ribičkih društava / prodavač kukuruza na radnom mjestu br. 7 / punkeri / rezervni milicioneri /

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Sai Baba / šahisti / šefovi kućnih savjeta / umirovljeni stariji vodnici / zeleni Tito se opet pojavio u balonu iznad istočne Afrike spušta dalekozor na krdo zebri prugasti đavli / misli Tito / svi su isti Tito kaže ne Staljinu a Staljin njemu baš me briga / ko te jebe umiješ li računati? imam ih dvadesetjednu tisuću osamstopedesetšest umrvljenih u lišće Katynske šume / imam ih tristo tisuća zakopanih krišom imam ih deset milijuna likvidiranih likvidacijama imam sve njihove papire / fotografije njihove djece / pisma puna neopravdanog optimizma / njihove olovke / sitan novac imam ih sve čitko provedene kroz knjige

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Tomica Bajsić

Tito-Apokryphe Tito knabbert unterm Dach an einem Schweinskopf ein Auge auf die Straße gerichtet, seine Eltern sollen ihn nicht erwischen ist mir schnurz / denkt er / ich werde das Fahrrad nehmen und abhauen Tito als Illegaler in einer Wiener Straßenbahn er trägt seinen besten grauen Anzug er denkt: bin ich nicht genausoviel wert wie diese Studenten? Tito ist Walter / John Smith / Fantomas / Caspar Hauser / Howard Hughes / Tito ist alias / alias ist Tito ich habe schon so viele Namen / bestaunt Tito sich selbst Tito hoch zu Roß über den Berg Romanija hinter ihm stapft der greise Dichter Nazor durch den Schnee Vladimir Vladimir / denkt Tito gütig Tito winkt aus seinem Mercedes einer Kinderschar sie haben rote Tücher um den Hals wie kleine Schlingen / und einmal erlischt die Sonne / ist Titos philosophischer Gedanke Tito, ein Toter mit Eleganz die Liste der Untröstlichen in alphabetischer Reihenfolge: Akrobaten / Beamte / Carlos, d.i. Ilich Ramirez Sanchez / Dozenten, werktätig am Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung / England, die Königin von / Filmarbeiter / Garderobenschneider / Hippies / Irre Weiber / Kubas Zigarrenindustrie / Löwen / Menschen, schnurrbärtige / Nashörner u. Bären / Oberlehrer / Persönlichkeiten, historische / qualifizierte Fußballer / rekordverdächtige Feuerwehrleute / sehr gute Schüler / Tenöre / Uferangler und ihre Vereinspräsidenten / Verkäufer von Maiskolben am Arbeitsplatz Nr. 7 / wirre Punks / X-beinige Reservepolizisten / Yoga-Ökologen / Zackige Veteranenkorporale

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Tito als Wiedergänger im Heißluftballon über Ostafrika sein Fernrohr auf eine Herde Zebras richtend gestreifte Teufel / denkt Tito / sie sind alle gleich Tito sagt nein zu Stalin, und Stalin meint, das ist mir piepegal / du kannst mich mal weisst du überhaupt wieviel das ist: zwei und zwei? ich habe einundzwanzigtausendachthundertsechsundfünfzig von denen, die unter das Laub im Wald von Katyn gehobelt wurden / ich habe dreihunderttausend von denen die heimlich verbuddelt wurden ich habe zehn Millionen von denen, die liquidiert wurden ich habe ihre Papiere / Fotos von ihren Kindern / Briefe voll falschem Optimismus / Bleistifte / ihr Kleingeld ich habe sie alle leserlich in den Büchern vermerkt (Hans Thill)

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Tomica Bajsić

Jedanaest tisuća metara iznad velikih ravnica Miss Love u avionu sjedi do prozora da bi mogla gledati Oblake, bijele oblake, guste i meke poput šećerne vate Pjenaste oblake po kojima se možda može hodati Samo u majici bez rukava. U kasno poslijepodne (U vrijeme kada se njena kosa boji zlatom) Sunce zna biti jako, ovdje gore U visinama. Pored nje sjedi neki čovjek Sumnjičav prema njenim rukama Punim ogrebotina i modrica. Miss Love u avionu sjedi stisnutih koljena U krilu joj makrobiotička večera, pod nogama Stvari, stvari koje je kupila. Na leđima nosi ruksak U obliku medvjedića u kojem čuva vjenčanicu I urnu s pepelom svog muža čuvenog pop pjevača kojemu je zaboravila ime. Već dugo on stanuje tako u ruksaku u obliku medvjedića Jednu šaku njegova pepela Miss je zakopala Pod vrbom u dvorištu, druge dvije je pomiješala s ilovačom Napravila je tanjuriće, jedan je dio otpuhnut Nažalost: Završio je u ventilacijskom sistemu. Ostatak Miss nosi uvijek uz sebe na putovanja Blizu srca, poput talismana.

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