Das Buch Nero

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Edition K端nstlerhaus

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Edition Künstlerhaus, herausgegeben von Michael Buselmeier. Band 28 Die Edition Künstlerhaus ist eine literarische Reihe des Künstlerhauses Edenkoben, einer Einrichtung der „Stiftung Rheinland–Pfalz für Kultur“; verantwortlich: Ingo Wilhelm.

© 2009 Verlag Das Wunderhorn Rohrbacher Straße 18 69115 Heidelberg www.wunderhorn.de Zeichnungen auf S. 5, 39 und 40: Monika Rinck Alle Rechte vorbehalten Erste Auflage Satz: Cyan, Heidelberg Druck: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda ISBN: 978-3-88423-328-3

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Oleg Jurjew (Hg.)

Das Buch Nero Festschrift f端r einen Dienstkater

Wunderhorn 3



Bekanntlich sind die Katzen siebenbezogene Kreaturen (zum Beispiel haben sie sieben Leben), deshalb gilt 7 als eine runde Zahl bei ihnen, und sieben Jahre als Jubiläum. Als Nero sieben wurde, haben sich seine Freunde, seine Gäste, ich würde sagen, seine Stipendiaten dafür ausgesprochen, dem Jubilar und dem Lesepublikum eine Festschrift zu präsentieren, als Zeichen unserer Anerkennung seiner Verdienste um die künstlerische und insbesondere literarische Entwicklung Edenkobens, der südlichen Weinstraße, des Landes Rheinland-Pfalz und der Bundesrepublik Deutschland.

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Hans Arnfrid Astel

Ein Tanka für die Katz Sieben Jahre schon lebt er im Künstlerhaus. Da lebte ich auch gern. Sieben Leben hat Nero Ich habe nur das eine.

Hans Bender

Katzen lieben Aufzeichnungen Ich bin ganz sicher: Katzen lieben Aufzeichnungen. Sie sehen, hören, schmecken, was in ihrer Umgebung geschieht, und bleiben dennoch in ihrer Haltung unbewegt. Auch alles Ungewohnte nehmen sie wahr, als geschehe es selbstverständlich. Sie bekunden Ruhe, Distanz, Objektivität, und ein feiner Zug von Ironie kräuselt ihre Mienen. * Vor langer Zeit haben Katzen wohl in Höhlen gelebt. Deshalb lieben sie unsere Wohnungen und dort Verstecke, die sie umwölben: Körbe, Kartons, Schränke, Schubladen, die Rundungen der Sofas oder der Sessel. Auf der Insel Hydra habe ich noch wie in Urzeiten eine Katzenmutter mit ihren Jungen in einer Felsspalte entdeckt. Nirgendwo sonst konnten sie angenehmer wohnen und sich vor Gefahren, den Belästigungen der rohen Kinder und der Neugier der Touristen bewahren.

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* Es gibt Forscher, Neurobiologen, die fast alles über Katzen und ihr Verhalten zu ergründen versuchen und schon viel ergründet haben. Mich interessiert es nicht sehr. Ich begnüge mich mit meinen Beobachtungen. Ja, sie sind ein Teil des Vergnügens, das Crazy und Ben mir bereiten. * Sind häusliche Katzen glücklicher als streunende Katzen? So wie meine Katzen, die in der Wohnung im dritten Stock leben, seßhaft, umhegt, satt, ungestört, ohne Wind und Wetter und dem Verkehr der Straße ausgesetzt zu sein? Ich bedauere streunende Katzen, die man in den Städten im Süden sieht, und bin doch meiner Folgerung nicht sicher. Auch bei Menschen ist es nicht so leicht zu behaupten, wer glücklicher sei, der behauste oder der unbehauste. * Jeder hat seine Geschichten, und die, die in seiner Umgebung wohnen, sind ihrer schon überdrüssig und hören so aufmerksam nicht mehr zu. Die Geschichte zum Beispiel, wie ich Ben erworben habe und ihm seinen Namen gab. In Liege, am Quai de la Batte, wird jeden Sonntagvormittag ein Flohmarkt gehalten. Am Ende, nach den Ständen mit Antiquitäten, haben die Tierhändler ihre Plätze. Haustiere bieten sie an, Kaninchen, Hühner, Hunde, Katzen. An diesem kalten Novembersonntag war das Angebot an Katzen nicht groß. In einem Karton krabbelten drei kleine Kätzchen übereinander, höchstens drei Wochen alte, graugestreifte, aus der Rasse der Wildkatzen. H. hob eines heraus, das auch mir gefiel – seines runden Kopfes, seiner grünen Augen und weißen Pfötchen wegen. Der Händler nannte den Preis: »Soviel wie eine Schachtel Belga.« »Bel8


ga«, eine der billigen Zigarettensorten Belgiens. Ich zahlte mehr, und in einer Boucherie am Markt, die auch am Sonntagvormittag offenhielt, kauften wir Hackfleisch, um das kleine, ausgehungerte Wesen für uns zu gewinnen. Auf der Heimfahrt im Auto lag es in tiefen Schlaf versunken auf dem Rücksitz und überstand, unter dem Mantel versteckt, die belgisch-deutsche Grenzkontrolle. »Wahrscheinlich ein Kater«, sagte ich. »Wir nennen ihn Ben. Das bedeutet im Arabischen Sohn. Wir bringen ihn Crazy mit. Er wird ihn adoptieren.« So bekam Ben seinen Namen. * Katzen lieben das Unveränderbare. Sie selber sind unveränderbar. Das Schlimmste für sie – und darin gleiche ich ihnen – wäre eine Ortsveränderung, ein Umzug, gar eine Flucht. * Auch das kam vor: Crazy sprang auf den Schreibtisch und griff in die hin und her fliegenden Typenhebel. Wehrte ich ihn ab, zeigte er seinen Unmut und zerfetzte die Manuskriptblätter, die neben der Maschine lagen. Ich ließ ihn gewähren. Er zerriß, wußte ich. Erst- und Zweitfassungen, mit Korrekturen bedeckte Seiten. Nie zerriß er das Manuskriptblatt einer Reinschrift. So rücksichtsvoll war Crazy, so klug. * Man hat Scheu, den Namen seiner Katze preiszugeben; erst recht Leuten, die Hunde mehr als Katzen lieben oder Katzen überhaupt nicht mögen. Und was für sonderbare, alberne Namen haben sie oft, »Crazy« zum Beispiel. Auch dafür kann ich mich entschuldigen: Mein Crazy hatte einen berühmten Vorgänger. Bei meiner Lektüre habe ich ihn 9


entdeckt. Georges Antheil, der amerikanische Komponist, war sein Besitzer. In den zwanziger Jahren gehörte er zum Umkreis Strawinskys und Diaghilews »Ballets Russes«. Ezra Pound war sein Freund. Nach dem Skandal, den Antheils »Ballet Mécanique« verursacht hatte, rieten ihm Freunde, er sollte die Publicity nutzen; andere Freunde, er solle sich zurückziehen und eine neue Komposition beginnen. Ezra Pound riet dem Freund zu einer »Fußwanderung durch Italien mit seinem Kater Crazy auf dem Rücken«! Sylvia Beach erzählt das in ihrem Erinnerungsbuch »Shakespeare and Company«. * Willy Meyer-Osburg, mein Malerfreund, sammelt mit zunehmender Passion Autographen, hauptsächlich von französischen Autoren. Wie Bilder hat er sie gerahmt, und schon ist die eine Wand der Diele bedeckt mit den Manuskriptseiten oder Briefen von Flaubert, Hugo, Verlaine, Rimbaud, Valéry, Sartre und anderen. Ein Brief von Céline ist dabei. Schade, er ist mit Bleistift geschrieben, zudem verblaßt und verwischt; nur ein einziges Wort eindeutig lesbar: Bébé. Der Name seines Katers! Bébé hat – CélineKenner wissen es – alle Abenteuer seines Besitzers im Krieg und Nachkrieg miterlebt und das biblische Katzenalter von 20 Jahren erreicht. Von Bébé also handelt der Brief und hat daher seinen zusätzlichen Wert für den Autographensammler Willy MeyerOsburg, der selber zu den Katzenfreunden zählt. * Überhaupt Katzennamen, kuriose, einfalls- und aufschlußreiche! »Kater Murr«. Keiner ist berühmter als E.T. A. Hoffmanns Kater. Die meisten Schriftsteller, kommt heraus, hielten Kätzinnen: Maupassant eine »Piroli«, André Malraux 10


eine »Lustree«, Julien Green eine »Finette«, Robert Walser eine »Muschi«, Erich Kästner eine »Lollo«, Alfred Polgar eine »Betty«, Emil Beizner eine »Fanny«. Georg Kaisers »Paula« jedoch war ein Kater. Madame Colette liebkoste eine ihrer vielen Luxuskatzen lautmalerisch »Prrou«. Ob Léautaud wohl alle Katzen, die er um sich versammelte, auch mit Namen benennen konnte? Antike Namen sind beliebt: Jouhandeau besaß einen »Minos«, Hans Bütow einen »Petronius«, Horst Bienek einen »Cäsar«. Werner Koch, der auch sonst alles Arabische bewundert, ruft seine Siamkatze »Quettah«. Das ist das arabische Synonym für die deutsche »Katze«. Virginia Woolf gab ihrem Kater den Vor- und Nachnamen eines Zeitgenossen: »Charlie Chaplin«. Zu gerne wüßte ich den Namen der Katze, die Patricia Highsmith auf einem Foto liebevoll im Arm hält. »Taki« hieß Raymond Chandlers Katze. Sein Brief über den Tod dieser »Taki« ist herzzerreißend. Im Laufe seines langen klösterlichen Lebens in Montagnola hielt Hermann Hesse zahlreiche Katzen. »Unser Kater, mein Freund, mein Brüderchen«, sagt er im Epos »Stunden im Garten«. So sprach Franziskus die Geschöpfe an. * Der Germanistikprofessor M. in Austin/Texas, aus Freiburg im Breisgau stammend, nannte seinen großen, roten Kater »Heidegger«. »Aus Verehrung?« fragte ich. »Nein, aus Verachtung«, antwortete er. Sah der Kater deshalb so unglücklich aus, so zerzaust und ungepflegt? Nicht so hübsch wie meine Kater mit ihren liebevollen, beziehungsreichen Namen Crazy und Ben? Er dauerte mich, der Kater des Germanistikprofessors. * 11


Man muß die Katzenhalter beobachten, wenn sie etwas von ihren Lieblingen berichten oder erzählen. Sie freuen sich, einen Zuhörer gefunden zu haben. Ihre Mienen hellen sich auf. Ihre Stimmen werden weich. Selten etwas Unangenehmes, meist nur Erfreuliches gibt es mitzuteilen. Zwei Katzenhalter kenne ich, die in ihrer Briefmappe die Photos ihrer Katzen herumtragen und vorzeigen wie Eltern die Photos ihrer Kinder. * Crazy wurde 18 Jahre, Ben 19 Jahre alt. Nun sind sie fort. Nur ihre Plätze blieben erhalten: dort, der rote Sessel, dort, die Sofaecke mit der zerkratzten Lehne. Beweise oder Erinnerungen ihrer langen Anwesenheit. * Hans Erich Nossack fragte in seinem letzten Lebensjahr, als wir uns in Mainz trafen: »Wo hat Crazy sein Grab?« Ich hätte ihn enttäuscht, hätte ich die Wahrheit gesagt: daß ich ihn tot beim Tierarzt zurückgelassen habe. Ich schilderte, was ich mir eigentlich vorgenommen, aber nicht ausgeführt hatte. Ich log. »Crazy hat ein schönes Grab«, sagte ich, »in einem Wäldchen, auf einem Hügel, nicht weit vom Dom in Altenberg. «

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Michael Buselmeier

Dienstkater Ich habe ein Gespür für Tiere aller Art; besonders Katzen sind mir, obwohl sie so etwas wie Nähe kaum zulassen, vertraut. Schon als Kind besaß ich Katzen. Die erste ist mir 1948 zugelaufen, ein struppiges, halbverhungertes, schwarzweißrot geflecktes Wesen, das sich in der Folge, zum Kummer meiner Mutter, reichlich vermehrte. Bereits damals waren die Katzen unfähig, sich allein von der Mäusejagd zu ernähren. Einmal in der Woche kaufte ich für sie beim Metzger Schweinelunge; ein Einkaufsnetz voll, in Zeitungspapier eingewickelt, war billig und wog fast nichts. Wenn das klebrige Fleisch gekocht wurde, stank unsere Wohnung noch tagelang. Die kargen Straßenkatzen der Nachkriegsjahre kauten eine getötete Maus beharrlich durch und verschlangen sie anschließend mit Haut und Haar. Bei den verwöhnten Katzen des Künstlerhauses erinnere ich nur, daß sie uns eine gefangene Maus oder einen erjagten Vogel im Hof als Beute präsentierten. Sie quälten ihr Opfer langsam und mit Genuß, gleichsam spielend zu Tode, fraßen es jedoch nicht. Herr Paul indes, der großmäulige Charakterkater in Volker Reiches Comic-Serie „Strizz“, würde niemals eine Maus auch nur anrühren. Er erwartet sein tägliches „KatzGourmet“ aus der Dose. Kater Nero, über den hier zu berichten ist, verfügt auf den ersten Blick über keinerlei hervorstechende oder gar übernatürliche Eigenschaften; er wirkt als Katze sozusagen normal. Er kann sich auf menschliche Art (sprechend, lesend, schreibend) nicht ausdrücken. Er laboriert nicht am politischen Größenwahn des Herrn Paul, ihm fehlt die fast schon dämonische Gerissenheit des Gestiefelten Katers, er hat sich auch literarisch nicht gerade hervorgetan wie etwa E.T.A. Hoffmanns genialischer Kater Murr mit seinen „Le13


bensansichten“ oder der auf dem Dach umherspazierende Kater Hinze in Adalbert Stifters früher Erzählung „Der Kondor“, zu jener Zeit, „die die Philosophen, Dichter und Katzen lieben, die Nachtstille.“ Dieser Nero ist hübsch und wohlgenährt, aber gewiß kein geheimer Poet. Und ob er je einen Poeten zu einem Gedicht oder einer Erzählung inspiriert hat, bleibt vorerst fraglich. Manchmal rede ich ihn, seines seidigen schwarzen Fells wegen, mit „Gertie“ an – so hieß die ebenfalls schwarzhaarige frühere Verwalterin des Künstlerhauses, die ihn zusammen mit seinem Zwillingsbruder Tiger als „Dienstkater“ im Sold der Landesregierung eingestellt hat –, doch er reagiert auf diese mutwillige Ansprache nicht im geringsten. Nach meinen Recherchen wurde Nero im Frühjahr 2001 in einer Großgärtnerei in Herxheimweiher (bei Germersheim) geboren. Er hatte noch vier Geschwister, zwei sollen getigert, zwei schwarzweiß gewesen sein. Im Alter von acht Wochen hat man Nero und Tiger von ihrer Mutter weggerissen und nach Edenkoben verschenkt. Als Dienstkatzen wurden sie nachts vor die Tür geschickt, um zur Reduzierung der Mäuse im Park beizutragen, was sie – ungeachtet ihrer im Alter von sechs Monaten erfolgten Kastration – zur Zufriedenheit des Gärtners gelegentlich wohl auch taten. Nero soll der elegantere, grazilere, auch der klügere von beiden gewesen sein, „fast ein Aristokrat“, berichten zuverlässige Quellen. Wenn er etwa eine wertvolle Keramikvase zerbrochen oder einen halbtoten Singvogel im Kaminzimmer abgelegt hatte, empfand er eine Art Schuldgefühl und verbarg sich, bis der Zorn der Verwalterin verraucht war, unter dem Sofa, während sein Bruder Tiger als schlichter Draufgänger geschildert wird, was ihn möglicherweise vorzeitig das Leben gekostet hat, denn er verschwand eines Tages und tauchte nie wieder auf. Nur aufgrund seines differenzierten und vorsichtig abwägenden Charakters – so hört man – habe Kater Nero bis heute überlebt. Nach dem Weggang der früheren Verwalterin im Oktober 14


2002 huschten die beiden Dienstkater zeitweise verwirrt und zur Mäusejagd völlig unfähig durch die Flure und über den Hof des Künstlerhauses. Sie hatten ihre Ersatzmutter verloren (auch die geschwätzigen Dichter waren ihnen, wie so häufig, keine Hilfe). Sie kamen erst wieder zur Ruhe, als Claudia, die neue Verwalterin, sich ihrer annahm.

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Hugo Dittberner

Kladdentag Ein schlanker Schein für den Schwieger Mensch Geschichte vom Festland Vorn stand ein Teller Milch Die Katze war ins Foto geschlichen Du siehst mich wie ich dem Jahrhundert folge dem Gesang und dem Eisenbett der Künstlerin in einen neuen Bau Die Möwen schrien und wollten Meer Alles lag vor mir auf der Terrasse Ein Anruf hätte nicht mich gefunden Der Schein um den es ging war genau die Katze wert als die Tochter schwieg Wir alle spielen Liebe Katze Wer das begreift macht sich flüchtig oder ruht im Hintergrund einer Insel und opfert für dich die Kondensmilch Ich saß da und konnte den Schal nicht vergessen den ich seit Rom trug Er war so leuchtend kobaltblau und hing an mir entlang bis auf die Insel Nun saß ich auf dem weißen Liegestuhl und nahm den Schein aus der Geschichte Gebe Gott daß dies ein ruhiger Tag war Denn einen anderen gab es nicht.

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