J.Rothenberg_Khurbn_Nachwort

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Nach/Wort

In den 70ern, als ich A Big Jewish Book als Anthologie/Assemblage von Gedichten konzipierte, »von Stammeszeiten in die Gegenwart«, begann ich mit einem Traum über ein »Haus der Juden« (»wie ein großes schwarzes Loch im Weltraum«) und mit einem Kafka-Zitat (»Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam«), und ich endete mit einem Gedicht Paul Celans, gewidmet seiner Dichter-Freundin Nelly Sachs (einer anderen Holocaust-Überlebenden), in dem er seinen Zweifel äußerte an der »Trübung durch Helles, von / Jüdischem, von / deinem Gott. // Da- / von«. Mit Celan, einem Dichter der menschlichen – nicht allein der jüdischen – Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, möchte ich auf eine Angelegenheit oder Anwesenheit zu sprechen kommen, die meine Arbeit bis zu einem gewissen Zeitpunkt kaum streifte, die aber immer ein Subtext für meine Gedichte und zum großen Teil der Gedichte meiner Generation war. In einer Spanne von kaum einem halben Dutzend Jahren (1939–1945) gab es 50 Millionen staatlich verordneter Morde an menschlichen Wesen und mindestens genausoviele Leiden, Verstümmelungen und Folterungen: eine Katastrophe von kaum geahnter Größenordnung und selbst nur Teil jener Katastrophen und Flächenbrände des vergangenen Jahrhunderts sowie der ersten Jahre des Jahrhunderts, in dem wir heute leben. Auschwitz und Hiroshima sind zu den beiden Ereignissen geworden, anhand derer wir darüber sprechen – Zeichen einer Abscheulichkeit, die Mythos zu Geschichte gerinnen ließ, Alptraum zu einer Tatsache. Der Schrecken dieser Ereignisse umfasste Hundertausende vergleichbarer Katastrophen, verband sich mit einer anderen (so wurde uns klar) Gewalt gegen die Umwelt/die Erde sowie die Welt jenseits des Menschen. Mitte des 20. Jahrhunderts hatte es den Menschen, wie Charles Olson sagt, »reduziert auf kaum mehr als so viel Fett für Seife, Superphosphat als Dünger, Füllungen und Schuhe zum Verkauf«, eine Abscheulichkeit, durch die Sprache (für ihn eine unserer »stolzesten Gaben«) ihrer Macht beraubt worden war, Antworten zu stiften, was eine Krise des Wortes (nein, der Re-

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