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Poesie der Nachbarn – Dichter übersetzen Dichter begründet von Gregor Laschen

Mitarbeit: Lisa Schwesinger © 2017 Verlag Das Wunderhorn Rohrbacher Straße 18 D - 69115 Heidelberg www.wunderhorn.de © 2017 Autoren und Übersetzer Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Cyan, Heidelberg Druck: NINO Druck GmbH, Neustadt/Weinstrasse ISBN 978-3-88423-558-4

9 783884 235584


Hans Thill (Hrsg.)

Storch im Schnee Gedichte aus Serbien Ăœbersetzt nach Interlinearversionen von Jan Krasni

Wunderhorn


Jan Krasni У лавиринту језика пријатељи ненадани саговорници пламен луталица Корак по корак све дубље и сам реч постајеш изговорена с осмехом

Im Labyrinth der Sprache Freunde Gespräche stellen sich ein Irrlichter führen fort Schritt für Schritt immer tiefer wirst du selbst ein Wort ausgesprochen mit Lächeln

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Hans Thill

Der tätowierte Tisch die beschriebene Apfelhaut. Ich träume den Windungen der Algen hinterher, gekentertes Pferd mit Schwertern, wo andere Flügel tragen. Ich arbeite mit dem Fleiss der Sonne, die im Garten untergeht, ich bin ein Nudist, mit seiner Gabel aus Sand und Silber, Taucher im flüssigen Meer! Jetzt kommen die hyperaktiven Mungos, dann die furchtsamen Zitterwale, dann die Kamikazekarpfen. Einst sprach ein Brite in Brocken zu den Troerinnen vom Ursprung der Stille, es war die Rede vom Dosenöffner an der Schläfe. Ein Gebüsch fiel um und der Rost schlief nicht und die Grammatik schlief nicht. Ich schichte Backstein aus Sprachmehl auf Backstein aus Silber und Sand. Das Geld gefriert in der Hose des Eremiten der Bernstein auf Bernstein baut, oh ihr lauten Lebenslehrer, zeigt mir den Kern in der Tischplatte des Apfels, ich bin ein gebissenes O-Wort mit Sehnsucht nach Gebäck Edenkoben, 29. Juni 2016

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Vojislav Karanović


Vojislav Karanović

О писању поезије Од сада стихове ћу писати по кори јабуке. Стихове румене, златне. Вршком светлосног зрака клизићу по глаткој опни плода, низаћу речи слатке, сочне. Не треба ми оловка, оштар нож, нити бела љуска папира, не треба рука да се пружи ка некој заумној крошњи, ни прсти да у грчу стегну управо убран плод. Створићу песму на невидљивој кожи ваздуха. Са стиховима паперјастим маљицама што трепере при додиру. Написаћу јабуку лепу као ова песма на длану.

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Über das Schreiben von Gedichten Ab sofort werde ich meine Zeilen auf die Schale eines Apfels schreiben. Rötliche Zeilen, gelb-gold. Mit der Spitze eines Lichtstrahls werde ich über die straffe Haut des Obsts gleiten und süße, saftige Worte aneinander fädeln. Ich brauche weder ein scharfes Messer noch einen Stift, und auch kein weißes Blatt Papier es gibt keinen Grund, mit der Hand in die undenkbare Baumkrone zu greifen oder mit den Fingern fieberhaft nach der eben gepflückten Frucht zu grapschen. Ich werde das Gedicht aus der unsichtbaren Haut der Luft holen. Mit Zeilen weich wie Daunenfedern die bei Berührung zittern. Ich werde einen schönen Apfel schreiben wie dieses auf der Hand liegende Gedicht. (Marcus Roloff)

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Vojislav Karanović

Über das Schreiben von Poesie Von jetzt an werde ich Verse auf der Haut des Apfels schreiben. Rötliche, goldene Verse. Mit der Spitze des Lichtstrahls werde ich über die Oberfläche der Frucht gleiten und süsse, saftige Worte aneinander reihen. Ich brauche keinen Stift, kein scharfes Messer, auch kein weisses Fitzelchen Papier, keine Hand, die nach einem imaginären Ast greift, keine Finger, die eine frisch gepflückte Frucht umklammern. Ich werde ein Gedicht auf der unsichtbaren Haut der Luft schreiben. Mit Versen wie Daunenflaum, der bei der geringsten Berührung erzittert. Ich werde einen schönen Apfel schaffen, wie dieses Gedicht auf der Innenfläche meiner Hand. (Ilma Rakusa)

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Писмо Не, нисам добио никакво писмо. Да, престао сам одговору да се надам. Ветар се још увек нагло диже. Сунце одблескује од солитера. Очи полако тону У кожу лица. Трава има ментални сјај. Понављам: ментални сјај. Ништа, није ми ништа. Као кит Јону Писмо би прогутало смисао. Зато ти не пишем. Више. Поштанско сандуче ми личи На угинулу рибу: празно тело Избачено на обалу. Да, нисам добио никакво писмо. Не, престао сам да се надам одговору.

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Vojislav Karanović

brief nein, den brief hab’ ich nicht bekommen. ja, auf antwort hoff’ ich nicht mehr. windböen, noch immer. hochhäuser, von der sonne bespiegelt. tiefer in den kopf hinein sinken die augen. das gras zeigt mentales funkeln – ich wiederhole: mentales funkeln. danke, mir geht’s gut. wie jona der wal würde der brief seinen sinn verschlingen. deshalb schreibe ich dir nicht. nicht mehr. der briefkasten sieht aus wie ein toter fisch: ein leerer körper auf den strand geworfen. nein, einen brief hab’ ich nicht bekommen. ja, auf antwort hoff’ ich nicht mehr. (Michael Speier)

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