Uljana Wolf Wandernde Errands. Theresa Hak Kyung Chas translinguale Sendungen
Zwiesprachen Eine Reihe der Stiftung Lyrik Kabinett Herausgegeben von Holger Pils und Ursula Haeusgen
Wunderhorn
Diese Rede wurde am 11. Juni 2015 im Lyrik Kabinett, M端nchen, gehalten.
Zwiesprache : Twosprach — ein Zursprache. Tosprech — ein Zusprech. Zusein auch oder Terrorsprech : manchn zugemacht. Verzurrtechnik und Zwieback. Zwiewesen und Niedagewesen und Tosend und Verfang und manchmal tom éhcac
»Ich habe nur eine Sprache, und es ist nicht meine.« Jacques Derrida
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Uljana Wolf
1978 fertigte Theresa Hak Kyung Cha, angehende Performancekünstlerin, Dichterin, Filmemacherin, einen Stempel an. Cha war 27 Jahre alt, hatte ihr Kunststudium an der University of California in Berkeley abgeschlossen. Anlass war eine internationale Ausstellung für Stempeldesign in Amsterdam, organisiert wahrscheinlich von dem Galeristen und mail-Artisten Ulises Carrión. Der Stempel ist fast so groß wie eine Postkarte. Im Zentrum stehen zwei Worte, durch schwarze Umrisse definiert : mot caché ( verborgenes Wort ). Oval angeordnet darum stehen andere Worte, die die Mitte einkreisen, allerdings spiegelbildlich : empreinte révèle signe évoque énonce dévoile marque tache inscrite trace. Eine Spiegelschrift, wodurch etwas entschlüpft, auf andere Seiten. Wenn der Stempel gestempelt wird, auf Papier, das zirkuliert, ist der äußere Kreis aus Worten richtig lesbar. Wird lesbar der Zyklus der Einschreibung. In der Mitte aber das Wort hat sich wieder verborgen, steht nun von links nach rechts gelesen als : tom èhcac. Der »richtige Ausdruck« aber, jedenfalls in dieser Lesart und Lesrichtung, bleibt zurück, bleibt bei sich selbst auf dem Stempel, woanders. Impliziert impish, etwas in uns selbst wäre, ihn lesend, weranders. Oder etwas wäre immer, wenn man liest, verwandert, who anders. Oder etwas in uns wäre immer, wenn wir lesen, in einer anderen Sprache, unlesbar, unübersetzbar, unübersehbar in der Mitte verborgen. Mausisch. »Wer weiß, vielleicht besteht mein Jubel darin, daß ich unauffindbar bin.« (Ilse Aichinger) Die Worte der Einschreibung umhüllen das verborgene Wort, sind wie ein Handschuh. Drin : ein Zentrum, das nicht sendet.
The stamp is mitten in its own mitten.
The stamp is not transmitter out of its mitten.
Unlocke mein Haar. Das Schreiben ist nicht Haar im eigenen Haus.
The reading ist not master in its owl house.
The writhing ist not Meister aus Germany.
( She does not have a mailbox yet ).
Aber da ist noch ein Wort. In der rechten unteren Ecke des Stempels, klein geschrieben : cha, Theresas Familienname. Auf den ersten Blick liegt der Name außerhalb des Wortkreises der Einschreibung. Jenseits
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des im Zentrum verborgenen Worts. Auf den zweiten oder dritten Blick aber merkt man, dass der Name auch verborgen liegt in der Mitte des Wortes. In der Mitte des Stempels. In den Buchstaben nämlich des Wortes caché : cha. Versteckt sich das Wort in den Sprachen ? Kommen die Sprachen darin zu Wort ? Die Sprache des Stempels ist französisch. Sie beherbergt mindestens zwei andere Sprachen : das Wort »trace«, das auch Englisch gelesen werden kann. Und den koreanischen Familiennamen, cha, der Fremdwort bleibt, nicht übersetzt wird, eigen-nämlich allen Sprachen gehört. Allen Sprachen gehört, und doch im Innern des verborgenen Wortes bleibt, displaced, unerhört. Aber die Karte hat immer eine andere Seite. Wo sind wir jetzt noch, Spieglein ? Cha stempelte das Stempelbild auf eine Postkarte und addressierte sie an ihre Familie. An John & Kathy & CO Cha, 2904 E. Van Owen ORANGE / C A 92667. Ein französischer Stempel mit verborgenem Wort. Eine Karte, angefertigt für eine Ausstellung in Amsterdam. Eine Postkarte, gestempelt in Amerika, an die Familie koreanischer Einwanderer. Das einzige koreanische Wort : cha. Mit lateinischen Zeichen geschrieben, versteckt in einem französischen, kolonialsprachlichen Wort. Einem Wort, das nur auf dem Stempel lesbar ist, auf der anderen Seite.
Mot caché, less cha.
More cha, less caché.
More less, cha caché.
Mot less, cha cha.
Was wird mit dieser Karte gesendet ? Und an wen ? Ist mit dem verborgenen Wort ein koreanisches Zeichen gemeint ? Wird überhaupt etwas gesendet ? Oder ist der Transmitter in Wahrheit das unübersetzte verlorene Wort in der Mitte, eine Störung — error — ein nicht ausgeführter Auftrag — errand ? Und wer ist die Familie ? Die Eltern, Geschwister ? Sind mit »& CO« auch wir gemeint ? Ist jede, die den Stempel sieht, die gestempelte Postkarte, Leserin des verborgenen Wortes ? Leserin einer Erfahrung von displacement ? Von einer anderen und ihrer eigenen ? Und wo brächte uns dieses Lesen hin ? Was bezeugt es, zeugt es, zeigt ?