Die Veranstaltungen der Reihe »Zwiesprachen« wurden gefördert durch die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG) aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und den Freundeskreis der Stiftung Lyrik Kabinett e.V. ; der Druck wurde unterstützt durch Reinhard Gorenflos.
© 2017 Verlag Das Wunderhorn GmbH Rohrbacherstrasse 18, D-69115 Heidelberg www.wunderhorn.de © 2017 Autoren und Übersetzer Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gestaltung & Satz : Leonard Keidel Druck : NINO Druck GmbH, Neustadt / Weinstrasse ISBN : 978-3-88423-555-3
Mit freundlicher Unterstützung von :
Christoph W. Bauer Das zweite Auge von Florenz. Zu Leben und Werk von Guido Cavalcanti Zwiesprachen Eine Reihe der Stiftung Lyrik Kabinett Herausgegeben von Holger Pils und Ursula Haeusgen
Wunderhorn
Diese Rede wurde am 28. November 2016 im Lyrik Kabinett, MĂźnchen, gehalten.
Im Frühjahr 2006 erhielt ich die Einladung zu einer Lesung an der Universität von Florenz, ich sollte vor Studierenden der deutschen Sprache aus meinem zwei Jahre zuvor erschienenen Roman Aufstummen vortragen. Florenz und mein Buch, das passt zusammen, dachte ich, ist doch die Protagonistin des Romans eine passionierte Leserin, ein Dichter hat es ihr besonders angetan. Sie habe ihn in der Hölle kennengelernt, sagt sie und zitiert einige Verse. »Was von der Liebe schönes ich gedacht / im Herzen ist’s vergangen. / Die Hoffnung war ein Trug, sie kehrt nicht wieder ; / gedenk der Wonnen ich, die mir entgangen.« Die Zeilen stammen aus einem Gedicht des um 1255 geborenen Dichters Guido Cavalcanti, wie hätte ich die Einladung ausschlagen können, sie in seiner Heimatstadt vortragen zu dürfen. Ich fuhr also in die Toskana, im Gepäck hatte ich neben dem Roman meinen damals jüngsten Lyrikband supersonic, dessen Entstehen auf meine Beschäftigung mit Cavalcanti zurückgeht. Begleitet wurde ich von Gerlinde Tamerl, als Kunsthistorikerin wusste sie mir viel über Florenz zu erzählen, auch über einen, nach dem unser Hotel benannt war : Cimabue, ein Florentiner Maler der Frührenaissance, der als Lehrmeister Giottos gilt. Bestens eingestimmt betrat ich die Universität, ernüchtert verließ ich sie wieder. Ja, von Cavalcanti hätte man gehört, eine Studentin glaubte sich zu erinnern, mal ein Gedicht von ihm gelesen zu haben, einer ihrer Kommilitonen verwies auf eine Stelle in Dantes Commedia, die er in der Schule hätte durchkauen müssen, sein Gesicht nahm Züge schwerster Verbitterung an. Cavalcanti sei doch Florentiner und in Italien ein Klassiker, geriet ich aus der Fassung, sogar in der Bahnhofsbuchhandlung von Santa Maria Novella hätte ich Ausgaben seiner Rime gesehen. Völlig zu Recht würde er im Sortiment geführt, einer der bedeutendsten Lyriker des europäischen Mittelalters sei er. Durch Jahrhunderte hindurch habe man ihn rezipiert, Boccaccio spreche von ihm, Petrarca, der Kreis um Lorenzo de Medici, von der Renaissance bis herauf in die Gegenwart — Cavalcanti, wohin man blicke, verstieg ich mich. Zahlreiche italienische Dichter des 19. und 20. Jahrhunderts hätten ihm höchste Bewunderung gezollt, Carducci nannte ich, D’Annunzio, später Pavese, Caproni, nicht zuletzt Mario Luzi und Italo Calvino. Als auch dies kaum mehr als ein Gähnen hervorrief, pflückte ich ein zweifelhaftes Ass aus meinem Ärmel : »Übrigens«, sagte ich, »Dante hat seinen einstigen Freund und Mentor Guido Cavalcanti auf dem Gewissen.« Später erzählte ich meiner Begleiterin von meinem Auftritt an der Universität, sie fand meine Empörung befremdlich. Ob ich denn ernst-
6
Christoph W. Bauer
haft der Ansicht sei, bei Romanistikstudenten einer deutschsprachigen Universität mit Heinrich von Morungen punkten zu können. Und überhaupt, ich wisse doch um die Zustände an den — Ich habe Universitäten immer gemieden, »Anstalten zur Verhinderung des Lernens« nannte sie Ezra Pound einmal, nun ja. Alles, was ich über Literatur weiß und was mir möglich ist, über sie zu sagen, hat mich die Literatur gelehrt, ein Autodidakt bin ich. Und als solcher will ich ein wenig erzählen von Guido Cavalcanti, über seinen Einfluss auf mein Schreiben, mehr noch auf mein Leben. Ist es nicht so, dass wir meist von uns selbst reden, wenn wir über andere sprechen ? Wer ist Guido Cavalcanti, wie bin ich auf ihn gestoßen ? Welche Begegnungsorte gibt es ? Die Hölle ? Die Protagonistin meines Romans spielt zweifelsohne an auf jenen berühmten, oft zitierten und immer wieder neuen Interpretationen unterzogenen Passus in der Commedia, in dem Dante und sein Begleiter Vergil auf Cavalcantis Vater und Schwiegervater treffen, die beiden büßen im sechsten Höllenkreis als Epikureer, eine damals geläufige Bezeichnung für Ketzer. Voll Sorge fragt Cavalcantis Vater : »Wo ist mein Sohn ?« Und Dante antwortet : »Ich komme nicht alleine. Der, der dort wartet, hat mich hergeleitet. Vielleicht hat euer Guido ihn verachtet.« Die Vita nova, Dantes Jugendwerk, könnte ebenfalls als Begegnungsort dienen, schließlich widmet der Dichter das Werk seinem »primo amico« Guido, den er später mit zwei Gedichten in seine De vulgari eloquentia aufnimmt. Gut, frei nach Italo Calvino lässt sich formulieren, wer den ganzen Dante gelesen hat, hebe die Hand. Auch Benvenuto da Imola wird wenigen bekannt sein, der Gelehrte des 14. Jahrhunderts bezeichnet Cavalcanti als »alter oculus Florentiae tempore Dantis«, als das andere, das zweite Auge von Florenz. Vielleicht aber ist man in Vladimir Nabokovs Ada oder das Verlangen über entstellte Verse gestolpert : »ballatetta, deboletta … tu, voce sbigottita … della Strutta, destruttamente … mente …« Diese Zeilen stottert der »Cavalcanti-Zitator«, sie stammen aus einem Gedicht, auf das sich auch T. S. Eliot in seinem Poem Ash-Wednesday bezieht, er lässt es beginnen mit : »Because I do not hope to turn again.« Eine direkte Anspielung auf eine Ballata Cavalcantis — muss man sie erkennen ? Und macht es uns James Joyce leichter, wenn er den Protagonisten seines Romans Porträt des Künstlers als junger Mann auf einen Morgenspaziergang durch Dublin schickt, wobei der sich an die Melancholie des Guido Cavalcanti erinnert ? Keinem der Genannten verdanke ich meine erste Begegnung mit Cavalcanti. Mitte der 1990er-Jahre geriet Ezra Pounds ABC des Lesens
Zu Leben und Werk von Guido Cavalcanti
7
in meine Hände. In autoritativem Tonfall, dabei nicht ohne Ironie, erstellt Pound in diesem Alphabet seinen Kanon lesenswerter Poesie. Hier erfuhr ich : »Der Prüfungskommissar an einer italienischen Schule, den meine Cavalcanti-Ausgabe aufrüttelte, äußerte seine Bewunderung für die nahezu ultramoderne Sprache Guidos.« Ultramoderne Sprache bei einem Dichter des Duecento ? Unmittelbar im Anschluss an die Pound-Lektüre wollte ich Cavalcanti lesen, zwei Ausgaben seiner Gedichte waren damals in deutscher Übertragung erhältlich, beide mussten bestellt werden. Daran hat sich bis heute nichts geändert, in den meisten Buchhandlungen hierzulande sucht man Cavalcanti vergebens. Schließlich aber erhielt ich die Bücher, bereits beim Verlassen des Geschäfts schlug ich einen der Bände auf und — Ich weiß es nicht, warum mein Herz mich treibt zu lieben, wenn es leidet und Seufzer es bestürmen. Ach, es kann mehr Gnade nicht erflehen und es bleibt der Lebenskraft entkleidet.
Dies waren meine ersten Cavalcanti-Zeilen, und sprichwörtlich wie vom Donner gerührt, blieb ich stehen : die Verse trafen mich mit einer Wucht, wie ich es mit Ausnahme des berühmten Epigramms von Catull kaum je zuvor und auch danach nicht mehr oft erlebt habe. Ja, Catulls Zweizeiler kam mir in den Sinn, ich erkannte darin eine Korrespondenz zu Cavalcanti, die freilich nur meiner persönlichen Wahrnehmung geschuldet war, beim Römer heißt es : ich hasse und ich liebe. warum, fragst du vielleicht ? ich weiß es nicht, fühls und es kreuzigt mich
Was für eine Verbindung zwischen den Gedichten, eine aus Verzweiflung, Ausweglosigkeit und existenzieller Notlage gegossene Verkettung ! Weder bei dem einen noch bei dem anderen trat mir ein freudenstrahlendes Ich entgegen, das personifizierte Glück stand auf dem Kopf. Eine völlige Reversion der Werte und keine Aussicht auf erneute Umkehrung. Rasch suchte ich nach weiteren Parallelen zwischen Cavalcanti und Catull, über beider Leben wissen wir wenig, beide galten zu jeweils ihrer Zeit als Neutöner, verwendeten den Spott als Stilmittel, hatten eine Vorliebe für Epikur — meine Euphorie trug einiges zusammen, wenig Haltbares letztendlich, egal, der Furor hatte mich gepackt.