Zwiesprachen danz issuu

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Die Veranstaltungen der Reihe »Zwiesprachen« wurden gefördert durch die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG), das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und den Freundeskreis der Stiftung Lyrik Kabinett e. V.

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Mit freundlicher Unterstützung von:


Daniela Danz Das philosophische Licht um mein Fenster. Ăœber Friedrich HĂślderlin

Zwiesprachen Eine Reihe der Stiftung Lyrik Kabinett Herausgegeben von Holger Pils und Ursula Haeusgen

Wunderhorn


Diese Rede wurde am 16. Juli 2015 im Lyrik Kabinett, M端nchen, gehalten.


An die Pa rze n Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen  ! Und einen Herbst zu reifem Gesange mir, Daß williger mein Herz, vom süßen Spiele gesättiget, dann mir sterbe. Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht  ; Doch ist mir einst das Heil’ge, das am Herzen mir liegt, das Gedicht gelungen, Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt  ! Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel Mich nicht hinab geleitet  ; Einmal Lebt ich, wie Götter und mehr bedarfs nicht.

Was ist es, das mich nun schon seit über zwanzig Jahren in den Bann schlägt, seit jener ersten Nacht, als aus dem Radio eine Sprache klang, die ich noch nie gehört hatte, die mich traf, wie mich bis dahin nur der Strom der Weidezäune auf den Koppeln um mein Dorf getroffen hatte  ? Die keinen Zweifel daran ließ, dass ich, sobald ich die Schule und das Elternhaus hinter mir lassen könnte, dorthin aufbrechen würde, wo diese Worte geschrieben worden waren  : nach Tübingen. Ich hatte die Stadt nie vorher gesehen, als ich mich an der Uni einschrieb. Ich ging zum Hölderlinturm und dann zu einem Haus am Österberg, von dem aus ich in einem unterhalb liegenden Garten ein kleines Gartenhaus entdeckte, das ich, mangels genauerer Kenntnisse, für das Presselsche Gartenhaus hielt, in dem Wilhelm Waiblinger und Eduard Mörike den kranken Dichter manchmal besucht hatten. In diesem Haus also wollte ich wohnen, und nachdem das Statut des Hauses für mich großzügig interpretiert worden war, bekam ich das Zimmer mit Blick in den Garten. Oben unter dem Dach lebte ich mich in die Hölderlinsche Sprache ein, die nun nicht mehr über den Äther, wie man erstaunlicherweise noch immer sagt, obwohl wir längst den spiritistisch-wissenschaftlichen Glauben der Frühzeit des Radios verloren haben, kam, sondern die in Seminaren an Tiefe gewann und an Unerschöpflichkeit. Die mich in


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Daniela Danz

die Oberseminare im Hölderlinturm bei Paul Hoffmann führte, jenes Professors, den Cees Nooteboom als den Dichter des Lesens bezeichnet hat, weil er in unvergleichlicher Weise das dem Dichter nächstverbundene Wesen  —  ein wirklicher Leser  —  war. Bis heute ist mir der Wunsch, ein guter Leser zu werden, ebenbürtig mit dem, ein gutes Gedicht zu schreiben. Ich kann mir auch vorstellen, das Schreiben aufzugeben, solange ich lesen kann. Paul Hoffmann, der in frühen Jahren prägende Erfahrungen durch den Kontakt zu Karl Wolfskehl erhielt, und eines der besten germanistischen Bücher, das ich kenne, über den Symbolismus geschrieben hat, hat das »so und nicht anders Sagbare« eines Gedichtes deutlich hervortreten lassen in seinem leisen, doch unerbittlichen Insistieren auf die schlichte, allem vorangehende und jede Deutung in sich aufhebende Lektüre. Und so lese ich immer wieder diese Sprache, die ich damals im Radio hörte, und immer wieder ein wenig anders. Manchmal scheint ein neues Verständnis auf, dann wieder verliert sich das Verstehen vollständig, und der Text wird mir dunkler, als er jemals war. Ich gehe durch ihn wie durch eine bekannte und doch fremde Landschaft, die sich gleich bleibt. Nur ich bin eine Andere, eine Unzulängliche, Ungeduldige, mal auch eine Empfängliche und Gesammelte. Mal öffnet sich die Landschaft und nimmt mich auf, was ich nur als einen paradoxen Ausdruck dafür, dass ich mich öffne und sie aufnehme bzw. dass etwas sich öffnet und etwas aufgenommen werden kann, gesagt haben will. Wenn man es recht bedenkt und auf diese Momente spekulieren wollte, würde man davon abstehen müssen, diese Landschaft auch nur ansehen zu wollen, geschweige denn, sie allen anderen vorzuziehen. Denn diese Landschaft ist nicht nur unzugänglich wie jede andere und im Grunde sogar die eigene Sprache  —  sie ist auch noch in die Unfassbarkeit einer über 200jährigen Ferne gerückt. Hölderlins Sprache reicht für mich wie keine andere des 18. Jahrhunderts, jener ohnehin auf unsere Gegenwart verweisenden Zeit, direkt in die unsere hinein. Sie verhakt und verkeilt sich in der notdürftig aufgerauten Glätte unserer mythenfernen Zeit. Sie splittert, denn ihre Bestandteile sind zu disparat, um dem Druck unserer fast restlos in Dienst genommenen Sprache zu entgehen. Dennoch  : Wir sprechen sie nach, wir geben uns ihr anheim, wir verwenden sie als Schild und Wappen. Wir tun dies in einem mythischen Zugriff. Hölderlins Rede vom Mythischen wird uns zur mythischen Rede. Ein Denken, das angesichts des rational turn seiner Zeit auf mythischen Kausalitäten be-


Über Friedrich Hölderlin 7

steht, wird uns selbst zum mythischen Gedanken. Das umso mehr, als seine Zeit uns gleichzeitig nah und trotzdem unerreichbar ist. Hölderlins auf Wiederkunft einer harmonischen Weltordnung gerichtete Zukunftshoffnung liegt nun, zweihundert Jahre später, genauso hinter uns  —  denn viele Wege sind wir nicht gegangen, die wir hätten gehen sollen  —  wie vor uns, denn morgen schon kann die Utopie ortsfest werden. Wer aber kann daran glauben, so wie Hölderlin geglaubt hat  ? Und so bleibt uns, die Nähe zu seiner antizipierenden Energie zu suchen, in die uns die Ferne seiner Sprache führt. »Nah ist  /  und schwer zu fassen der Gott« setzt mein Lieblingsgedicht Patmos ein, ein Flug durch die schmerzlich empfundene Ferne mythisch-christlicher Gegenwart, der in einem Besinnen auf das Vermächtnis dieses Mythos’, nämlich das Wort, endet. Wir können diese Syntax der Eingangsverse nicht mehr selbst errichten, aber sie leuchtet uns ein. Wir können einen solchen von den Klippen des Adverbs »Nah« in das Verb »ist« hinabstürzenden und völlig im Offenen abbrechenden Vers, der schließlich, von einem verbindenden »und« aufgefangen, eine neue Wendung vollzieht und mit Wucht in dem Nomen »Gott«, endet, wir können einen solchen Gedichtanfang nicht mehr finden. Aber er kann uns noch immer den Atem verschlagen, wenn wir zwischen dem ersten und dem zweiten Vers in die Untiefen von Gottverlassenheit und Gottvertrauen blicken. Wenn wir mit diesem Stück festgefügter Syntax eine luftige Brücke schlagen, die nichts anderes als der Mythos ist, der uns trägt von einem der schroffen Gipfel der Vereinzelung zu einem anderen. Nichts kann uns sicherer tragen als Liebe und Mythos, die beide der Sprache bedürfen, um das Einzelne zu verbinden. An dieser Stelle muss aber nicht nur von Zeit, sondern auch von der klaffenden Lücke des Textes selbst die Rede sein. Davon, was die Ferne zum 18. Jahrhundert Hölderlins bedeutet, die die Distanz unserer Sprache zu der seinigen genau vermisst, habe ich eben gesprochen. Wie ist es aber mit der Lücke  ? Die Lücke betrifft vor allem das in seiner fragmentarischen Gestalt frappierende Spätwerk mit dem schmerzlichen Mangel an vom Autor selbst autorisierten Fassungen, der durch Fakturen unklarer Verszusammenhänge einerseits und textgenetische Editionssteinbrüche wie die Frankfurter Ausgabe andererseits kompensiert wird. Trotzdem  : Dies ist da in dieser Form und letzten Endes ist jedes Werk unvollständig und wird dennoch als abgeschlossenes betrachtet. Die Lücke in der Überlieferung verhält sich daher nicht viel anders als die Lücke der Unklarkeit, die hermeneutische Lücke dichterischer


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