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Die Veranstaltungen der Reihe »Zwiesprachen« wurden gefördert durch die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG) aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und den Freundeskreis der Stiftung Lyrik Kabinett e.V.; der Druck wurde unterstützt durch Reinhard Gorenflos.

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Mit freundlicher Unterstützung von:


Marion Poschmann Du ungeseh’ner Blitz. Zur Dichtung Catharina Regina von Greiffenbergs

Zwiesprachen Eine Reihe der Stiftung Lyrik Kabinett Herausgegeben von Holger Pils und Ursula Haeusgen

Wunderhorn


Diese Rede wurde am 26. Oktober 2016 im Lyrik Kabinett, MĂźnchen, gehalten.


Bedeutung I Catharina Regina von Greiffenberg gilt als bedeutendste Dichterin des Barocks. Ihre Sprachgewalt ist außerordentlich, ihre Metaphern sind neu, ihre Bilder kühn. Sie findet für die Themen der protestantischen Mystik einen gesteigerten, gleichzeitig lichten Ton, aller Regelpoetik zum Trotz. Es ist eine zärtliche, eine bewegliche Sprache, eine Sprache der Verzückung. Greiffenberg hat ausschließlich geistliche Literatur verfaßt. Ihr erstes Buch, Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte, wurde, angeblich ohne ihr Wissen, von ihrem Onkel zusammengestellt und in Druck gegeben. Es enthält ein bemerkenswertes Vorwort, vermutlich von Sigmund von Birken, der das weibliche Geschlecht der Verfasserin zu rechtfertigen sucht, indem er eine Reihe (literar-) historischer Beispiele der Geist- und Kunstfertigkeit von Frauen anführt. Weil Birken dabei mit großer Ausführlichkeit und Akribie vorgeht, gerät dieses Vorwort zu einer zusammenfassenden Nacherzählung der Bibel im Kanzleistil unter besonderer Berücksichtigung aller Frauenfiguren seit Abraham, es geht über zu den Märtyrerinnen und weiter zu den »Heiden« und mündet im Lob der Greiffenbergschen Dichtkunst. Nach diesem Debüt publizierte Greiffenberg in eigener Regie eine Reihe von Andachtsbüchern, teilweise mit Kupferstichen versehen, und sie führte eine rege Korrespondenz. Ihr Werk umfaßt über 4 000 Druckseiten. Was aber hat ihre Dichtung so berühmt gemacht, worin liegt das Bedeutende ihrer Schriften  ?, so möchte man sofort fragen, und vor allem auch  : Gilt diese vielbeschworene Bedeutung auch heute noch, liegt etwas in diesen Texten, was für die Dichtung der Gegenwart von Interesse ist  ? Was ist an ihnen zeitbedingt, und was, dem entgegen, unterscheidet diese Gedichte von anderen dieser Epoche, von der Unzahl schwülstiger Sonette, von den regelgeleiteten Fingerübungen und rhetorischen Elaboraten, von den vielen Gelegenheitsgedichten und auch von der damals üblichen Andachtsliteratur  ? Die Barocklyrik besticht durch starke Bilder, wuchtige Rhythmen, wuchernde Metaphern. Einmal in Gang gesetzt, scheint sich ein solches Gedicht oft wie von selbst zu generieren, und diese Mechanik der Versatzstücke, die scheinbar unkontrollierte Häufung der Bestandteile bei gleichzeitiger didaktisch motivierter Bildungs- und Bedeutungshuberei hat an diesen Gedichten oft einen Überdruß erzeugt.


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Auch bei Greiffenberg führt die schiere Menge der Texte, die die bekannten christlichen Topoi wieder und wieder variieren, auf den er­ sten Blick eher zu einem beklommenen Engegefühl als zu besonderer Begeisterung. Aber ein zweiter Blick lohnt sich, denn er zeigt, daß diese Gedichte in der Tat gerade nicht süßlich, manieriert und in kunsthandwerklicher Serie verfertigt, sondern radikal, leidenschaftlich und, aus heutiger Sicht, mit geradezu modern anmutenden Mitteln verfaßt sind.

Biografisches

Catharina Regina von Greiffenberg wurde 1633 auf Schloß Seisenegg in Niederösterreich geboren. Als sie sieben Jahre alt war, starb ihr Vater, was ihre Mutter in bedrohliche wirtschaftliche Verhältnisse brachte. Ein Onkel, Hans Rudolph von Greiffenberg, nahm sich der finanziellen Situation der Familie an und kümmerte sich auch um die Erziehung und Ausbildung Catharinas. Er unterrichtete sie in den unterschied-


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lichsten Gebieten und förderte auch ihre dichterischen Versuche. Der Tod ihrer jüngeren Schwester 1651 löste bei Catharina eine Krise aus, die schließlich zu einem religiösen Durchbruchserlebnis führte. In einer Kirche in Preßburg wurde ihr eine Lichterfahrung zuteil, die sie später selbst als »Deoglori licht« bezeichnete und die für ihre dichterische Arbeit bestimmend werden sollte. Eine weitere persönliche Krise durchlitt sie mit Mitte Zwanzig, als ihr Onkel, in dessen Obhut sich die Familie befand und der für sie die Vaterrolle einnahm, ihr einen Heiratsantrag machte. Diese Eheschließung unter Verwandten war ein rechtlicher Grenzfall und moralisch höchst bedenklich. Erschwerend kam hinzu, daß Catharinas damals schwerkranke Mutter kurz vor ihrer Geburt gelobt hatte, ihr Kind Gott zu weihen. Ein asketisches geistliches Leben schien mit dem Gedanken an eine Heirat nur schwer vereinbar, der Onkel wiederum erkrankte ob der Zurückweisung bedrohlich, und so rang Catharina in größter Ambivalenz mit sich, bis sie am Ende in die Ehe einwilligte. Sie lebte als Protestantin während der Gegenreformation in Österreich. Dies bescherte ihr ein unruhiges Leben, da die Protestanten in Österreich nicht gelitten waren. Immer wieder geriet sie unter Druck, mehrmals war sie gezwungen, das Land zu verlassen, lange hielt sie sich als »Exulantin« in Nürnberg auf, wo sie auch ihre letzten Lebensjahre verbrachte. Das katholische Bekenntnis des Kaisers und die gegenreformatorischen Bestrebungen im ganzen Land hielten sie nicht davon ab, ja stachelten sie vielmehr an, sich in ein Projekt zu verbeißen, das unter den gegebenen Umständen nicht nur aussichtslos, sondern schon absurd genannt werden kann  : Sie setzte sich in den Kopf, den Kaiser zum Protestantismus zu bekehren, und hielt an diesem Ansinnen ihr Leben lang fest.

U be r d a s una us s p re ch l i ch e H e i l i g e G e i s t e s- Ei ng eben  ! DV ungeseh’ner Blitz / du dunkel-helles Liecht / du Herzerfüllte Krafft / doch unbegreifflichs Wesen Es ist was Göttliches in meinem Geist gewesen / daß mich bewegt und regt  : Ich spür ein seltnes Liecht. Die Seel ist von sich selbst nicht also löblich liecht. Es ist ein Wunder-Wind / ein Geist / ein webend Wesen /


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die ewig’ Athem-Krafft / das Erz-seyn selbst gewesen / das ihm in mir entzünd diß Himmel-flammend Liecht. Du Farben-Spiegel-Blick / du wunderbundtes Glänzen  ! du schimmerst hin und her / bist unbegreiflich klar die Geistes Taubenflüg’ in Warheits-Sonne glänzen. Der Gott-bewegte Teich / ist auch getrübet klar  ! es will erst gegen ihr die Geistes-Sonn beglänzen den Mond / dann dreht er sich / wird Erden-ab auch klar.

Poetische Absicht Der zentrale Begriff für die Poetik Greiffenbergs ist die »Deoglori«, eine eigenartige Zusammenziehung von Gloria Dei, der Herrlichkeit Gottes, sowie Gloria Deo, der Ehre Gottes, die von seiten der Menschen und Engel an Gott herangetragen wird. Greiffenberg nennt diesen Begriff im Zusammenhang mit ihrem Erweckungserlebnis, bei dem sie ein göttliches Licht wahrnimmt, und diese Erfahrung durchdringt ihr gesamtes Werk, das im Auftrag des Lobens und Rühmens steht. Es ist eine reziproke Bewegung  : Der Glanz, der von Gott ausgeht, wird in der Dichtung zu ihm zurückgespiegelt. Dieser Ansatz verbindet zwei (wenn nicht drei) nicht ganz deckungsgleiche Dichtungskonzepte. Zum einen erscheint die Dichtung in platonischer Tradition als göttliche Inspiration, in christlicher Terminologie als das »Heilige Geistes-Eingeben«, das sich offenbar auch als Lichterscheinung (oder immerhin als Lichtmetapher) bemerkbar machen kann, als Inspiration jedenfalls, die aus göttlicher Quelle stammt und von der die Dichterin, ohne eigenes Zutun, ganz erfüllt ist. Zum anderen setzt Greiffenberg sich als Dichterin mit den lobsingenden Engeln gleich. In der christlichen Engelshierarchie kommt den Engeln der niederen Ränge eine Botenrolle zu, ihre Aufgabe besteht darin, zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln. Die höheren Engel, namentlich die Throne, Cherubim und Seraphim, sind ausschließlich geschaffen zum Lobe Gottes, und es ist diese Tätigkeit der himmlischen Heerscharen, der Greiffenberg ihr Leben und ihre Dichtung weiht.


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