Wohn- und Geschäftsbau in Bremerhaven

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HARTE SCHALE - WEICHER KERN

BA 6 Prof. Schäfer/Prof. Pahl Bachelor-Thesis

Verortung Northsea

Northsea

Bremerhaven

Hamburg

Bremen Harbour

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Kistner-Factory

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Bremerhaven ist Teil des Bundeslandes Bremen und befindet sich an der Wesermündung zur Nordsee. Seine noch kurze Geschichte ist wechselvoll und durch machtpolitische und territoriale Veschiebungen geprägt. So besteht der Name Bremerhaven erst seit nach dem 2. Weltkrieg, als sich die Städte Wesermünde und Geestemünde zusammenschließen. Bis dahin waren es getrennte Häfen, die verschiedenen Ländern angehörten. Das Kistner-Areal befindet sich am oberen Geestebogen, einem Weserarm, der sich durch Bremerhaven „schlengelt“. Dort siedelten sich im Zuge der Industrialisierung des Hafengebietes Handwerksbetriebe und Fabriken an. Sie belieferten den wachsenden Hafensektor u.a. mit Baumaterialien. Diese anfängliche Gewerbenutzung an der Geeste wich dem Bau von Arbeiterunterkünften entlang der Hafenstraße, die die Hauptverbindungsachse zum Ort Lehe darstellte. Lehe, noch dörflich geprägt, wächst an den Hafen „heran“ und bekommt Ende des 19. Jh. durch den Bau von bürgerlichen Mietshäusern und Fabrikantenvillen fast großstädtischen Charakter. Bremerhaven entwickelt sich in der Nachkriegszeit zu einem wichtigen Fischerei- und Auswandererhafen. Nachdem die herkömmliche Hafenindustrie zusammenbrochen ist, orientiert sich die Stadt neu. Der Bau von touristischen Magneten, wie dem Klimahaus, ist ein Ansatz der Stadt ein neues Bild zu geben. Trotzdem zählt Bremerhaven zu den „shrinking cities“ und sucht nach einer glaubwürdigen Identität in postindustriellen Zeiten. In dieser Arbeit versuche ich für das brachgefallene Gelände der Kalksandsteinfabrik der Firma Kistner am oberen Geestebogen, eine neue Nutzung und Gestaltung zu entwickeln.

1 Bremerhaven im Kontext Norddeutschlands 2 Bundesland / Stadt Bremerhaven

Das Kistnergelände am Geesteufer - im Spannungsfeld zwischen der brachen „Stadtwildnis“ und Lehe mit seiner großstädtischen Hafenstraßen

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Luftaufnahme des Areals: links der ehemlige Baumarkt mit Verwaltungsbau der Firma Kistner, dann die Fabrik mit denkmalgeschütztem Schornstein und Tonnenhalle, rechts ein KFZ-Bertrieb

Bremerhaven Center


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Die von gründerzeitlichen Bauten geprägte Hafenstraße ist die Hauptschlagader für den Stadtteil Lehe. Folgt man ihr gelangt man zum Marktplatz mit Kirche und Gymnasium. Weiter nördlich gelangt man zum alten Markt des Dorfes Lehe. Um dem Kistnergelände einen Auftakt zu geben und es einzuleiten, wäre ein kleiner Platz unmittelbar an der Hafenstraße vorstellbar. Er könnte Eingangstor für die Werftstraße sein, die zur alten Fabrikhalle der Firma Kistner führt. Während die Hafenstraße fast großstädtischen Charakter hat, bleiben die Potenziale des Geesteufers weitgehend ungenutzt. Auf der Suche nach gelungenen Uferbebauungen in Bremerhaven findet sich ein fast akademisch anmutender Block aus den 1930er Jahren. Er bildet eine starke Kante zur Hafenstraße und prägt einen schlüssigen Übergang zum Ufer aus.

Bürgerliche Mietshäuser Ende 19. Jhh.

Abwicklung der Hafenstraße

Gelände des ehemaligen Kalksandsteinherstellers Kistner

Block aus den 1930er Jahren

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Kistner areal

Size of piazzas

Städtebauliches Konzept Platzfolge entlang der Hafenstraße in Lehe

Die Hafenstraße verbindet das Zentrum mit dem Stadtteil Lehe

Vorbildsuche - Dieser Block aus den 1930er Jahren prägt einen klaren öffentlichen Raum aus und befindet sich am Geesteufer in unmittelbarer Nähe zum Kistnerareal


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Städtebau Mit dem Ziel das ehemalige Kistnergelände zu revitalisieren entsteht ein städtebauliches Konzept, das eine Öffnung und Anbindung des Areals an den Stadtteil Lehe vorsieht. Die alte Fabrik mit Tonnenhalle, Anbauten und Schornstein soll erhalten und durch neue Straßenrandbebauungen rechts und links eingefasst werden. Vor dem Fabrikgebäude zum Geesteufer ist ein Platz vorgesehen, an dem der öffentliche Geestewanderweg „angelangt“. Um die Öffnung und Aufmerksamkeit auf das Areal zu fördern, lagert sich entlang der Hafenstraße ein Quartiersplatz an der Stelle des derzeitigen Baumarktes vor. Die diesen Platz begrenzende Bebauung hat öffentlichen Charakter und kann als Eingangssituation für das dahinter befindliche Areal dienen. Die Nord-Süd Achse der Hafenstraße erfährt so eine Strukturierung. Der vorgesehene Platz ist Teil einer Folge von Plätzen, die sich entlang der Hafenstraße hierarchisch bis zum großen Marktplatz aufteilen.

Uferpanorama Kistnergelände Erhaltenswerte Fabrikgebäude

Skizze - Annäherung an einen glaubwürdigen Raum am Geesteufer

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Uferbebauungen mit Vorbildcharakter in Bezug auf den öffentlichen Raum

Schwarzplan Entwurf - Der Städtebau leitet sich mit einem Vorplatz der Hafestraße ein und führt über die freigestellte Kistnerfabrik zu drei Bausteinen die eine „harte“ Kante zum Geesterufer bilden


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Auf dem Gelände östlich der Kistnerfabrik werden Wohnungen und Geschäfte angesiedelt. Das Bauareal liegt im Spannungsfeld zwischen dem teilweise sehr großstädtischen Charakter Lehes und der auf dem anderen Geesteufer „frei wildernden“ Natur. Ziel wäre es, für den potentiell attraktiven Stadtteil Lehe mit dieser neuen Wohn- und Geschäftsbebauung am Geesteufer impulsgebend für weitere Sanierungs- und Umnutzungsprojekte zu sein. Der Ansatz verfolgt zudem eine Fortschreibung der Geschichte des gewerblich geprägten südlichen Bereichs der Hafenstraße. Nachdem sukzessive die Gewerbebetriebe entlang der Geeste durch Wohnbebauung verdrängt worden sind, stellt die Öffnung des letzten Betriebsgeländes einen Wendepunkt und eine neue Chance in der Geschichte der Hafenstadt dar.

Studien zu Uferausbildungen

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Perspektivische Skizze - Geesteufer mit neuen Baukörpern

Städtebauliche Rahmenplanung - Vertiefende Planung im ersten der drei Bausteine am Geesteufer

Städtebauliches Modell 1:500 - Neues Geesteufer

Städtebauliches Modell 1:500


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Die harte Schale Die städtebaulichen Erkenntnisse werden in der Ausbildung des Baukörpers aufgegriffen. Die Bebauung sollte nicht stören, sondern eine neutrale und ruhige Kulisse für die Fabrik bilden. So ist ein Baukörper mit ruhigen regelmäßigen Fassaden entstanden, die aus den jeweiligen Ansprüchen der angrenzenden Situation abgeleitet sind. Zum Norden gibt es eine klare Geste eines Eingangs durch die großzügige Einfahrt, die den Innenhof erahnen lässt. Zum Süden öffnet sich die Fassade zum Wasser mit größeren Fensterformaten und ebenerdigen Geschäftsräumen. Zum Osten schaffen Parkgaragen Anlässe die Stichstraße nicht tot fallen zu lassen. Auch die Westseite bleibt ruhiger und verschlossener in ihrer Erscheinung, sodass sie keine „gestalterische Irritation“ zu einer sanierten Kistner-Fabrik erzeugt.

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Subtraktive Raumbildungen zum Innenhof Additive Raumbildungen zum Innenhof Gerichteter Raum zum Fluss Konzentrischer Raum nach Innen gerichtet

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Schalen einer Zwiebel - Der Bau schichtet sich von Innen nach Außen

Vorbildsuche - Die Typologie des Kreuzgangs als Form der Erschließung und raumbildenes Element

Skizze Innenhof - Der Kreuzgang als Erschließungs- und Kommunikationsort, der schützt und verbindet


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Der weiche Kern Der Charakter der harten Schale wird erst durch den Innenbereich des Baus deutlich. Er wird maßgeblich durch die nach innen verlegte Erschließung geprägt. Überschneidungen zwischen öffentlichen und privaten Interessen werden vermieden. Gelangt der Bewohner von der geschäftigen Hafenstraße in die Werftstraße und schließlich in den Innenhof des Baus, erfährt er die schrittweise Beruhigung des Außenraums. Zur Erschließung dient ein überdachter Wandel– oder Kreuzgang der einen Hof definiert und das Herz des Gebäudes ausmacht. Hierzu habe ich die Qualitäten solcher Orte, wie sie sonst in mittelalterlichen Klosteranlagen und in Wohnformen südeuropäischer Regionen vorkommen, überprüft und übersetzt. Trotz der sehr unterschiedlichen Ausprägungen bildet der Kreuzgang in allen Fällen eine dem Haus vorgelagerte Zone, die als Filter für den Verkehr, als Ort der Kommunikation oder als Schutzraum vor Witterung dient. Dieser schützende und verbindende Charakter war Anreiz diese Qualitäten aufzugreifen und zu interpretieren.

Werfstraße

Kreuzgang

Kistnerfabrik

Hof

Läden

Wohnen - Erholen - Gewerbe Filtern II - Nebenräume/Nutzräume Filtern I- Erschließen Kommunizieren-Innehof

Geeste

Erdgeschoss - Geschäfte und Parkmöglichkeiten geben dem Eingangsgeschoss einen kommunikativen Charakter, der durch den Kreuzgang und Innenhof noch gestärkt wird

Schematischer Schnitt und Grundriss

Obergeschoss - Über einen Laubengang erschließen sich 3 Typen von Maisonettwohnungen

Modell des Innenhofes

Dachgeschoss - Dachterrassen und Individualräume


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Filtern Laubengang

Der Kreuzgang schafft Distanz zum angrenzenden Gewerbe. Für Nutzer der Gewerbeflächen im Erdgeschoss befinden sich im Kreuzgang die Zugänge zu den Kellerräumen, die als Lager dazu gemietet werden können. Diese Pufferzone setzt sich gleichermaßen im Inneren des Baus als zweiter Ring fort, in dem Nebennutzräume wie Sanitär-, Küchen oder Personalräume untergebracht sind. In den beiden Wohngeschossen setzt sich dieser Ring in Form eines auf dem Kreuzgang liegenden Laubengangs fort, von dem aus die Maisonett- Wohnungen erschlossen werden. Dem Hof sind sämtliche Sanitär und Küchenfunktionen zugeordnet. Das Wohnen und Schlafen befindet sich in den hinteren Räumen.

Dachterrasse

Schützen Schützenden Wert hat vor allem das halb über den Laubengang ragenden Dachgeschoss mit seinen Terrassen. Unterstützend wirkt hierbei das nach innen geneigte Pultdach mit einem markanten Dachüberstand. Eingangsbereiche und Dachterrasse sind gleichermaßen im Freien und doch vor Witterung geschützt.

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Beispielwohnungen OG

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Obergeschoss

Dachgeschoss

Kommunizieren Die Notwenigkeit den Kreuzgang zu durchschreiten, um in seine Wohnung oder zu seiner Garage zu gelangen, fördert Anlässe zur Begegnung und Kommunikation unter den Anwohnern und Nutzern. Der Kreuzgang definiert den Hof als gemeinsame Mitte des Hauses. Vier Zugänge durchbrechen den höher gelegenen Hof und laden den Nutzer und Anwohner ein, sich in die Mitte des Hofes zu begeben. Diese Wegebeziehung verstärkt den vernetzenden Charakter des Hofes.

Modellausschnitt 1:50 - Innenhof

Perspektive des Innenhofes mit Kreuzgang


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Tragwerk und Konstruktion Das Prinzip der Zonierung von Innen nach Außen spiegelt sich im Tragwerk wider. Der grundsätzlich introvertierte Charakter gegenüber dem Stadtraum äußert sich in regelmäßigen tragenden Lochfassaden. Die Stahlbetondecken spannen von Außenwand zu Außenwand und werden dazwischen durch eine Wand und Unterzüge getragen. Somit ergeben sich weitgehend freie Grundrisse. Die Wohnungen sind durch nichttragende schalldämmende Wände wie Schotten von einander abgetrennt. Innerhalb der Wohnungen untereilen nichttragende Leichtbauwände, ein Unterzug und eine tragende Wand den Grundriss. Um den städtebaulichen und räumlichen Qualitäten des Ortes gerecht zu werden dient ein solider Ziegel in der Fassade als prägendes Element.

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Ansicht Nord - Werfstraße Ansicht Süd - Geesteufer Anischt West - Farbrikseite Ansicht Ost - Garagenseite

Ansicht Süd

Modellausschnitt 1:50

Perspektive des Geesteufer


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Die Wahl einer vorgemauerten Ziegelfassade unterstützt das „Schalenhafte“ des Gebäudes. Dabei sollte ein materialgerechter Umgang im Vordergrund stehen. Sämtliche vertikalen Bauteile sind außen durch den braun-bunten Ziegel geprägt, der aus dem Sortiment des Bremer Ziegelherstellers Wehrmann bezogen wird und somit den ortsbezogenen Charakter des Entwurfs verstärkt. Horizontale Bauteile wie Decken und Böden sind aus Stahlbeton. Fensterbänke und Sohlbänke, wie etwa die Abdeckungen der Brüstung sind in einer gemauerten Rollschicht ausgeführt. Tür – und Fensterstürze werden durch stehende Ziegel (Grenadiere) in Form von Fertigteilstürzen betont. Die Lage der Fenster in der Dämmebene erlaubt nach außen eine nur durch Ziegel gefasste Laibung. Nach innen sind die Laibungen verputzt und bieten Platz für eine großzügige Fensterbank. Um die Wirkung des modularen kleinteiligen Ziegels zu bestärken sind die Decken im Kreuzgang in rauhschaligem Sichtbeton gestaltet.

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3 Details der Fenster 1 Ansicht 2 Vertikalschnitt 3 Horizontalschnitt Erstellt mit einer Studentenversion von Allplan

Erstellt mit einer Studentenversion von Allplan

Wohnen / Rückzug

Filter II Nebenräume

Schnitt durch Hof und Außenraum

Filter I Erschließen

Hof Kommunizieren / Treffen

Filter I Erschließen

Filter II Nebenräume

Wohnen / Rückzug

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Den oberen Abschluss bildet ein nach innen geneigtes Pultdach mit markantem Dachüberstand. Dieser dient den zum Hof orientierten Dachterrassen als Witterungsschutz. Außerhalb des Gebäudes ist das Dach durch eine hohe Attika versteckt - dem außenstehenden Betrachter wird das Innere des Hauses nicht ersichtlich. Wiederum verdeutlicht sich der stringente Städtebau im Kontrast zum kommunikativen Innenleben.

Modell 1:50 - Innenhof

Entspannen

Zurückziehen

Ankommen Abstellen Kochen

Zusammensein Wohnen

Lagern

Verkaufen

Lagern Haustechnik

Fassadenschnitt Hof- und Uferseite


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