4 minute read

Prom Night

„Oida was is mit dir, Gschissener, greif mi ned an!“ Der Security hebt nur die Augenbrauen und seufzt. Dann hebt er das Sakko des Burschen vom Boden auf, packt ihn am Gürtel und hebt ihn hoch, sodass seine Füße in der Luft baumeln. Als der Junge merkt, dass ein paar aus der anderen Klasse, die grad zum Rauchen draußen stehen kichern, reißt er sich los und dem Security sein Sakko aus der Hand. „Heast ich kann selber gehen du Idiot.“ Dann folgt er dem Handzeichen des Securities Richtung Ausgangstor. Ein paar Meter weiter steht Ralf und beobachtet das Treiben seiner lauten, triebgesteuerten und viel zu stark alkoholisierten Gleichaltrigen. „Einfach peinlich“, murmelt er leise, und ärgert sich, den Abend so verschwendet zu haben, hätte er doch für eine Physikarbeit lernen oder eine Serie fertigschauen können. Aus recht viel mehr als Serien schauen und lernen besteht sein Leben nämlich auch nicht. Events wie diese, die sich unter dem Begriff „Ball“ tarnen, sind eigentlich nur eine Möglichkeit für verzweifelte Jugendliche, sich bis zum Hirntod anzufüllen. Das ist absolut nicht sein Stil - heute war eine schmerzhafte Ausnahme, weil seine Anwesenheit verpflichtend war. Er bereit, sich darauf eingelassen zu haben. Er wirft einen Blick auf sein Handy: 2:28 Uhr, definitiv spät genug um nach Hause zu gehen.

Es ist ein Freitagabend im September, an dem das Gymnasium Sacré Coeur in der Stadthalle den Ma turaball ihres diesjährigen Abschlussjahrgangs feiert. Für Sebastian ein Abend, an dem er voll in seinem Element ist. Seine Eltern haben die Band für den Ball gesponsert und sein Vater hat deshalb bei der Eröffnung eine Rede gehalten. Für Sebastian ist das nichts Neues; seine Eltern sponsern ständig irgendwas. Als sie um 1:00 Uhr endlich vom Ball nach Hause gefahren sind, hat Sebastian für sich und seine Kumpels eine Magnum Flasche Eristoff aus dem Auto geholt und ja, jetzt, ist er richtig voll. Der Security hat ihn rausgeschmissen, weil er sich mit seiner Krawatte am Luster des Ballsaals schwingen wollte. Aber egal, seine Freunde kommen ohnehin später zu ihm, dann geht die Party im Poolhaus seiner Eltern weiter. Fast alle aus dem Jahrgang wissen Bescheid.

Advertisement

Mit seinem Mantel in der Hand spaziert Ralf aus dem Burggarten hinaus, in dem sich die Stadthalle befindet. Alles ist still als er auf die Straße hinaustritt. Kein Auto, kein Mensch, kein gar nichts „in diesem Kaff“, denkt sich Ralf. Plötzlich hört er hinter sich ein Würgen und dreht sich um. Ein paar Meter weiter am Gehsteig sieht er Sebastian aus seiner Parallelklasse. Er steht mit dem Kopf an die Wand gelehnt und kotzt sich selbst fast auf die Füße. Eigentlich will Ralf sich nicht darum annehmen, doch die Gestalt seines Mitschülers wirkt so erbärmlich, dass er sich genervt seufzend auf ihn zubewegt. Er greift in seine Sakkoinnentasche und zieht ein Taschentuch heraus, dass er mit spitzen Fingern an Sebastian reicht. Als dieser wieder fähig ist, sich aufzurichten, nimmt er es wortlos, mit einem skeptischen Blick, an, und wischt sich über den Mund.

„Was machst du noch hier, du Creep?“, keift Sebastian, während er versucht, den Kragen seines Hemds zu richten. „Kontrolle über mein Leben und meine Leber haben“, schießt Ralf zurück. Beide starren sich einen Moment lang mit einem gehässigen Blick an. Als sich Sebastian abwenden und das Weite suchen will, taumelt er erneut und reißt sein Gegenüber fast mit auf den Boden; nur mit Mühe bleiben beide aufrecht stehen. „Du bist ja völlig daneben.“, Ralf seufzt laut. „Komm, ich bring dich heim, du Depp.“ Er geht einen Schritt auf ihn zu und streckt den Arm aus, aber Sebastian schlägt die hingereichte Hand sofort weg. „Ich brauch keine Hilfe!“, schnauzt er, doch sein eigener Satz bricht ab, als er sich von der Wand zu lösen versucht und am Stehen scheitert. Verärgert lässt er sich aufhelfen und klopft den Staub von seiner teuren Anzugshose. Mit Mühe rappeln sich beide auf und setzen sich in Bewegung. Der Geruch von Alkohol, Zigarettenrauch und Kotze steigt Ralf sofort in die Nase, und er unterdrückt den Impuls, die betrunkene Gestalt wieder von sich wegzustoßen.

„Ich versteh nicht, wieso du immer auf Streit und Aufmerksamkeit aus bist.“ Für die Aussage erntet Ralf einen genervten, müden Blick von seinem Ge genüber, doch er redet weiter, um seinem Frust Luft zu machen. „Immer stiftest du irgendwas Dämliches an, nur um aufzufallen und deine Marionetten machen mit, weil sie sich von deinem Geld ansaufen können.“ „Wenigstens hab ich Freunde“, murmelt Sebastian, konzentriert darauf, nicht zu stolpern. “Du glaubst wohl du bist was Besseres, du Streber, mit deinen Noten“, denkt er heimlich.

Das Haus von Sebastian ist kaum zu übersehen. Es sieht aus wie ein Jagdschloss. Sebastian tritt die Gartentür mit dem Fuß auf und taumelt durch. „Du kannst ja trotzdem noch reinkommen“, sagt er über die Schulter Richtung Ralf. „Außer du hast was Besseres vor.“ Als er das sagt, lacht er hämisch. Ralf steht einen Moment im Dunklen und denkt nach. Ein Teil von ihm sagt „Scheiß auf den Snob“, der andere Teil sagt: „Scheiß auf den Snob, aber schau dir die Hütte davor noch von innen an!“. Er beschließt, nicht lange zu bleiben und geht rein.

This article is from: