YOUKI 15
Das Magazin zum Internationalen Jugend Medien Festival. # Rausch
Faible und Notwendigkeit Faible nannte sich ein Magazin mit Fokus auf teils skurrile, jedenfalls aber liebenswürdige Hobbys, das vor nicht ganz zehn Jahren im Medien Kultur Haus Wels entstanden ist. Ein Printmedium zu produzieren war damals eine Selbstverständlichkeit des medialen Kanons und Faible das logische Projekt für ein Haus, das junge Leute und Medien zusammen denke, wollte (und auch heute noch will). Nach wie vor entstehen im MKH Printprodukte. Etwa das vorliegende, realisiert während der YOUKI 15, dem Internationalen Jugend Medien Festival im November 2013. Freilich hat sich die Medienlandschaft seit Faible gehörig verändert. Während sich blinder Fortschrittsglaube heute im Fetisch für neue Medien manifestiert, erliegen andere einer nicht minder dummen, zumeist nostalgischen RetromaniaBegeisterung für die Vergangenheit. Das einzig Wahre, Schöne und Gute wird in letzterem Fall in alten Medien dingfest gemacht, Kulturverluste sentimental betrauert. Wie so oft liegt die Wahrheit weder hier noch da und schon gar nicht in der sprichwörtlichen Mitte, sondern erschließt sich erst in einer kritischen Bestandsaufnahme: Gemein haben beide Zeitgeistphänomene nämlich das Fehlen einer ideologiekritischen Perspektive auf die Mediengeschichte. Einen Denkanstoß wider diesen blinden Fleck versucht das YOUKI-Festival mit seinen Projekten und seiner Programmierung alljährlich zu geben. So haben wir uns auch 2014 entschieden, das YOUKI Magazin herauszugeben. Einerseits, weil Printmedien mit ihren spezifischen Eigenschaften nach wie vor Bedeutung zukommt; andererseits, weil gerade der Entstehungsprozess eines Heftes der eingangs geforderten kritischen Bestandsaufnahme zuspielen kann; und nicht zuletzt, weil junge Menschen nach wie vor Freude daran finden, ihr eigenes Heft zu gestalten. Jonas Vogt hat als Redakteur der Wiener Popgazette The Gap die Projektleitung für die vorliegende Jahresausgabe übernommen. An dieser Stelle möchten wir ihm und allen Redakteur_innen sowie den Grafikerinnen Sarah Schögler und Lea Pürling von Herzen danken. Zu hoffen bleibt, dass mit dem Magazin und über die Produktion des Magazins hinaus ein Probierraum für die Arbeit mit und an Texten geschaffen werden konnte. Zu hoffen ist auch, dass junge Leute daraus weitere Inspiration sowie Enthusiasmus für Printmedien gewinnen können und konnten. Nicht zum Selbstzweck, aber aufgrund spezifischer Vorteile. Zugegeben nicht nur als Notwendigkeit, sondern auch als lustvoller Faible.
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Editorial
Bis alles glüht
18 Some Peoples Poetry
24 20 6
Changing, Changing, Changed
Vor dem Rausch herrscht Langeweile
Wunschrausch
28 Taub sein, um zu leben
8 Wie die YOUKI für uns war
32 Kontrollverlust
22 „Es ist ein gutes Gefühl, berauscht zu sein“
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Es ist alles in Einem
S(ch)ein
48 Katerrezepte
52 Gewinner
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Im Rausch der Musikvideos
69 Lovesongs
50 Zwischending
42 Die Stille nach dem Schuss
58 Impressum
Wunschrausch Dass viele Gäste aus allen möglichen Ländern kommen, die es wirklich interessiert. Und viel Erfolg weiterhin! Paul, 15, Besucher — Schöne Teenagerjahre und viel Party bevor ihr erwachsen werdet! Joschi, 23, Filmemacher — Alles Gute! Christoph Huber, 40, Filmkritiker — Dass sie weiter so viele Filme sammelt, die sehr vielfältig sind, und ein ganzes Spektrum an Filmschaffenden und Filmwerken aufzeigt. Julia, 28, Besucherin — Alles Gute und dass die YOUKI weiterhin so innovativ und interessant und offen für junge Menschen bleibt! Claudia Furthner, 36, Lehrerin — Größere Parties, noch mehr internationale Gäste und auch weiterhin ganz lauschige Stimmung. Sebastian Höglinger, 29, Organisator der YOUKI — Dass sie genau so lang wie bis jetzt existiert und dass sie nach wie vor so lustig und bewusst bleibt. Andi, 34, von Fettkakao — Alles Gute, weiterhin viel Erfolg und viele Besucher! Patrizia, 16, Besucherin — Weitere wunderbare 15 Jahre und dass sie bloß nicht erwachsen wird. Vera Schöpfer, 34, Workshopleiterin — Sehr gute Filme, noch mehr Publikum natürlich und vor allem viel Öffentlichkeit! Detlef Fluch, 52, Festivalorganisator — Herzlichen Glückwunsch, Happy birthday YOUKI, Dögum gününkutle olsun (türkisch)!!! Berkat, 23, Besucher und Festivaldirektor — Mindestens gleich viel Energie wie jetzt, so viel Spaß, so viel verschiedene Dinge, so viel Lebhaftigkeit, dass sie das beibehalten und weiterhin so viele Dinge tun! Barbara Reumüller, Idenfitys Wien — That it is in the next years like it is now because I like it now very much. Helmy Nouh, 24, Filmemacher — A lot of good films. Marte, 27, Festivalorganisator — Viele Gäste und dass viele weitere Geburtstage kommen Elena, 20, Team
YOUKI 15 — Filmhighlights 1 Satellites (R: Karin Fisslthaler) — 2 Dazed and Confused (R: Richard Linklater) — 3 Auschwitz on my mind (R: Assaf Machnes)— 4 On the Beach (R: Marie-Elsa Sgualdo) — 5 Tough Bond (R: Austin Peck, Anneliese Vandenberg) — 6 Jeanetmila (R: Eike Frederik Schulz, Hendrik Raufmann) — 7 C’était un rendez-vous (R: Claude Lelouch) — 8 Gay Goth Scene (R: Kai Stänicke) — 9 Geschwister (R: Margareta Kosmol) — 10 Off-grid (R: Ola Røyseland) — 11 zounk! (R: Billy Roisz) — 12 Blokes (R: Marialy Rivas) — 13 Das Rudel (R: Alexander Schimpke) — 14 Daddy’s Pride (R: Dinko Draganovic) — 15 Schulfilm eine Reaktion (R: Nana Thurner, Olena Newkryta)
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Wie die YOUKI für uns war Von Nele Hazod (15) und Lena Steinhuber (15) Wir hatten am Dienstag beide mit schlechtem Frühstück und anstrengenden Schulstunden keinen so guten Vormittag, doch da wir uns schon so auf die YOUKI gefreut hatten, war es dann doch nicht so schlimm. Als wir am Nachmittag dann ins Medien Kultur Haus (MKH) gekommen sind, war alles noch ein bisschen leer und in der Vorbereitung, doch trotzdem schon fortgeschritten und zum Wohlfühlen. Aufgeregt sind wir dann also zur YOUKI-Magazin-Sitzung gegangen und lernten dort gleich mal alle „Autoren“ des YOUKI-Magazins kennen. Mit Jonas, dem Leiter des Magazins, haben wir dann den Aufbau des Heftes besprochen und Artikel aufgeteilt, was echt ziemlich spannend und interessant war. Bis kurz vor der offiziellen YOUKI-Eröffnung saßen wir also in dem „Schreiber-Zimmer“, in dem es immer zieht. Doch weil wir schon so müde waren, kamen wir nicht mehr zur Eröffnung. Wir mussten am Mittwoch den Vormittag leider wieder in der Schule verbringen, doch danach sind wir sofort ins MKH gerast und haben uns an unsere Arbeit gemacht. Nele fing gleich an, den Artikel über Musikvideos zu schreiben und Lena streifte durch das MKH, führte Interviews und besprach mit ihren Kollegen die Moderation der Kurzfilme. Die Stimmung am Mittwoch war schon etwas ausgereifter als am Vortag, es gab viel zu essen und das Haus war ziemlich voll mit Zusehern und Mithelfern. Manche Tage waren ziemlich lange, mit Aus-dem-Bett-hüpfen um 6:45 Uhr und Ins-Bett-gehen um Mitternacht, doch es hatte sich definitiv gelohnt. Auch am Donnerstag waren wir trotz einer kurzen Nacht schon morgens sehr übermotiviert und haben beinahe den ganzen Tag im MKH verbracht. Während Nele sich durch die energieraubenden Schulstunden plagte, moderierte Lena vormittags und interviewte später zwei Musikvideo-Macher. Danach konnten wir uns gleich zusammensetzen, um an unserem Artikel zu schreiben, an dem wir echt lange herumgetüftelt haben. Am Abend traf man auf den Gängen schon viele müde und ausgelaugte YOUKI-Männchen, an dessen Gesichtern man schon erkennen konnte, dass die letzten Parties ein großer Erfolg gewesen sind. Am Freitag kamen wir beide schon früh morgens. Filme-Anschauen und Moderieren war angesagt! Wobei die Kurzfilme so gut waren, dass man sich kaum entscheiden konnte, welchem Film man seine Stimme für den Audience-Award geben sollte. Den Rest des Tages verbrachten wir mit Schreiben, Schreiben, Schreiben. Natürlich ziemlich anstrengend, aber mit einem leckeren Essen von den Fettkakao-Köchen im Bauch auch wieder nicht so schlimm. Den Abend verbrachten wir mit wirklich berauschenden Filmen, die fast eine hypnotisierende Wirkung hatten, und natürlich mit der Party und dem Konzert am Schlachthof. Als wir heute, Samstag, also der letzte Tag der YOUKI, im MKH eintrafen, lag schon eine etwas träge und trauernde Stimmung in der Luft. Jeder wusste, dass heute der allerletzte Tag der diesjährigen YOUKI war, aber keiner konnte es wirklich fassen. Sind die letzten fünf Tage wirklich so schnell vergangen? Das letzte Wettbewerbsprogramm wurde angeschaut und mit einem großen Applaus beendet. Gott sei Dank hatte der letzte Kurzfilm etwas sehr Aufmunterndes. Jetzt sitzen wir also wieder in unserem kleinen Schreiber-Zimmerchen, die letzten Artikel werden noch schnell fertiggestellt und alles ist schon sehr ruhig und verlassen. Doch trotz allem fühlen wir uns heute noch genauso wohl wie in den letzten Tagen. Es wirkt fast schon so, als wären auf der YOUKI die Teilnehmer die Familie und die Räumlichkeiten das eigene, traute Heim. Unfassbar, dass wir ab heute wieder ca. 360 Tage, also ca. 8.640 Stunden, also ca. 518.400 Minuten also ca. 31.104.000 Sekunden bis zur nächsten YOUKI zählen müssen.
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Von Kristina Kirova (24) Das Filmfestival feierte heuer sein 15-jähriges Jubiläum und beglückte uns mit toller Atmosphäre, deliziöser Hausmannskost und ausgeflipptem Nachtprogramm. Aber erst mal ein paar Fun-Fragen zum warm werden: Was gibt es besseres als Knödel mit Gulasch? Vegane Knödel mit Gulasch! Und was gibt es besseres als eine Küche? Eine Küche mit Fettkakao! Und wann isst man am liebsten? Wenn man am YOUKI-Festival ist! Wien. Man setzt sich in den Zug und brettert langsam in Richtung YOUKI-Wels. Und während man das Infoheft durchstöbert, sich für neun Programmblöcke anmeldet und im Übrigen auch die Partyreihe ganz gut findet, überkommt einen das schleichende Gefühl, dass die einzige Mangelware am Festival wohl Schlaf sein wird. Sich fragend, ob jetzt das Festivalthema einen so plötzlich berauscht hat oder es sich einfach um die gewohnte Aufbruchstimmung handelt, gehen schon die freudigen Gedankensaltos los. Unter den Festivalhighlights: Ein Vortrag des Musikgurus Tino Hanekamp, eine Rocksession mit den Sex Jams, eine Wissenschaftsmatinee mit Brigitte Marschall und ein Screening des verbotenen Kurzfilms „Blumen des Bösen“, veganes Essen made by Fettkakao und ein Q&A mit Wuhlesyndikat-Mitbegründer Stefan Hupe. Dann pilgert man ins berüchtigte Medien Kultur Haus und erschrickt, weil man sich nach geschätzen zehn Minuten schon wie zu Hause fühlt. Ein Kulturrausch jagt den nächsten: Ausstellungen, Filmvorstellungen, Vorträge, Workshops zu Illustration und Filmmusik. Jeder Moment prägt sich ein und in jeder Ecke begegnet man jungen, kulturbegeisterten Persönlichkeiten, die was zu sagen haben. Als es heißt „ab zum Schlachthof“ erschrickt man kurz und bangt – wenn nicht um das eigene – so zumindest um das Leben der armen Tiere. Nur um dann wieder beruhigt auszuatmen, als jemand erklärt, das wäre ja bloß die Jugendherberge und keine Neuverfilmung von Jensens „Dänische Delikatessen“. Apropos Delikatessen: Die meiste Zeit kugelt man dann wie eine muntere Weihnachtsgans durch die Gegend und findet hie und da allerlei Knabberzeugs. Sei es in Form von Hustinetten, selbstgemachten Müslibrikett-Riegeln, einer Käseplatte, Hildegards Dinkelkräckern, Voelkel Apfelschorle oder dem tierfreundlichen Comfort-Food des FettkakaoDuos. In der restlichen Zeit arbeitet Proto-Weihnachtsgans dann nonstop und voller Leidenschaft am eigenen Projekt und lässt sich von unglaublich vielen großen und kleinen Wunderkindern inspirieren, sprich Filmbegeisterte, Fotografietalente, Musikkomponisten, Illustratoren, Schnittexperten, bildende Künstler, Organisationswunder, Tanzbomben, DJ-Kanonen und Rockstars. Das sind dann nämlich all die großartigen Menschen, die dem YOUKI-Festival erst Leben und Atmosphäre einverleiben und es zur Kirsche auf der Sahnehaube beziehungsweise zum filmischen Mekka für Supercats aller Art machen.
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Vor en
glüh
Vorglühen, das: Die Ruhe vor dem Sturm. Die gespannte Erwartung. Die Vorfreude. Der Moment vor der Explosion. Jeder Rausch, jede Extase, jede Party braucht Vorbereitung. Und hat meist irgendein Motiv. Wir suchen den Rausch aus Langeweile, Neugier. Oder einfach aus Spaß am Rausch an sich. Rausch kann eine Flucht vor der Realität sein – oder auch eine Suche nach etwas. Nicht jeder Rausch ist ein bewusste Entscheidung. Manchmal planen wir tagelang vor, manchmal erwischt er uns kalt. Aber bei jedem Vorglühen liegt Spannung in der Luft. Denn was uns genau erwartet, wissen wir nicht.
Filmausschnitt „Dazed and Confused“ von Richard Linklater, USA 1993
Vorglühen
Bis
alles glüht
von Frieda Paris
Was ist der Unterschied zwischen einem Glühwurm und einem feierfreudigen Menschen? Wer hier einen Witz erwartet muss den Text bis zum Ende lesen. Den Leuchtkäfer findet man im Dunkeln auf allen Kontinenten, mit Ausnahme der Antarktis, den Feierwütigen hingegen auf der ganzen Welt. Was aber ist die Gemeinsamkeit von Lampyridae und homo sapiens? Beide leuchten, um sich zur Paarung zu finden. Damit also Leuchtkäfer und Mensch in der Nacht glühen, muss es zunächst zum Vorglühen kommen. Hierfür sollten bestimmte Bedingungen für den Abend geschaffen werden, an dem es eventuell zur Paarung, zum Rausch, zum Exzess oder zur Ekstase kommt. Ein gutes Vorglühen will also Weile haben. Zunächst muss eine nötige Grundmotivation vorhanden sein, es sei denn, man wird von seinen Freunden ungefragt in einen Partybus Richtung Rausch gesetzt. Eskapistische Motive, ein wachsender Emotionsüberschuss, Abenteuerlust, ein Hang zur Übertreibung und ein Drang zur Selbstdarstellung bekräftigen die Motivation, sein Haus gen Abend zu verlassen und sich dem Glühen vor dem Rauschen in all seinen Facetten hinzugeben. Weiter gilt es, einen adäquaten Ort für das Geschehen (warum nicht wirklich mal die dunkle Antarktis zum Glühen bringen?) zu finden. Wenn die Gewissheit, dass das menschliche Elternhaus elternfrei ist, nicht zu hundert Prozent besteht, sollte die Pre-Party beim Nachbarn stattfinden. Ebenso sollten die Materialien von den fürsorglichen Besorgern oder Dealern an die nachbarliche Adresse geschickt werden. Ein Smartphone ist für derartige Änderungen sowie für Material- und Futternachbestellungen wichtiges Werkzeug, auch falls die Anlage ausfällt, denn ohne Musik läuft die Vorparty Gefahr, einzulaufen wie Wollpullover bei 90 Grad. Eine Playlist im Vorfeld zu erstellen, schadet nicht. Lieder, die zum gemeinsamen Mitsingen animieren, werden besonders gerne gehört (play and sing: “I‘ve got a feeling, that tonights gonna be a good night“). Die Chancen, später nicht alleine zu glühen, erhöhen sich durch eine euphorische Grundstimmung und dank auffälliger Äußerlichkeiten, man sollte sich also entsprechend in Schale werfen und im Falle einer Mottoparty das Affenkostüm oder die Maske, die getragen wird, rechtzeitig organisieren. Bei vorherrschender Langeweile, Unlust, Demotivation, Depression müssen zusätzlich Aufwärmübungen
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vor dem Spiegel durchgeführt werden, um eben genannte Rauschkiller zu überwinden. Am besten gibt man sich ein paar alte Videoclips aus den 90ern und tanzt so, als ob keiner zuschauen würde (play and sing and dance and scream to Rihanna`s “Diamond“). Belohnen darf oder muss man sich nach der ersten körperlichen Ertüchtigung auf jeden Fall mit einer guten Grundlage, von der man aber ein Stück Pizza oder einen Teller Nudeln aufbewahren sollte, für den Morgen danach und den Kater. Doch Vorsicht, Übermut tut nur selten gut! Falls die allgemeine physische und psychische Verfassung mal nicht in bester Laune sein sollte, heißt es, körpereigene Glühbirnen nicht von null auf hundert Watt aufzudrehen. Es gilt die eigenen Grenzen kennenzulernen, aber nicht auf Teufel komm raus. Wenn der Mensch dann endlich herausgeputzt das Haus verlässt und zum Vorglühen aufbricht, sei es aus egoistischen Motiven oder wegen hedonistischen Trieben, sollte sich Mensch die Worte Handy, Schlüssel, Geldbeutel aufsagen wie ein Gebet und sich vergewissern, dass alle wichtigen Utensilien die es zum Rausch, zur Paarung, zum Exzess, zur Ekstase braucht, vorhanden sind: Kippen, Geschenke, Lippenstift, Tampos, Tempos, Ausweise, Schnaps, Pillendose, Konfettibombe, Mixtape, Headphones, Ohrenstöpsel, Kaugummis oder Minzbonbons, Kondome, Pfefferspray, mp3Player, Schminktäschen, Feuerzeug, Tabak, Paper, Filter, Fusselbürste, Nähzeug, Minischuhpflegeset, Handcreme, Einwegkamera, Taschenmesser, Sicherheitsnadel, Nagelset, Kompass, Taschenlampe, Pflaster, Klebeband, Führerschein oder nichts dergleichen und Alternativen erfinden. An dieser Stelle seien noch die lebensrettenden Gegenstände für den Heimweg und den Tag danach aufgeführt, wenn nichts mehr glüht: Notgroschen für den Nachtbus oder den Nachtsnack, Nummer des Taxiunternehmens der jeweiligen Stadt, die man zum Glühen bringen wird, flache Schuhe für den Heimweg (Girls), Flachmann gefüllt mit Wasser (Boys). Jetzt kann es eigentlich losgehen mit dem Vorglühen. Noch schnell einen Status posten, der die eigene Verrücktheit legitimiert: “The only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars.” Endlich bereit für den Beginn des Glühens, des Rausches, des Exzesses, der Extase. Auch die Glühwürmchen sind bereit. Sitzen in den Ästen und schaukeln und fragen (Achtung, es wird gleich richtig lustig): „Sag mal wo ist denn dein Kumpel abgeblieben?“ „Naja – der ist gestern durchgebrannt.“ Brennt also durch, Lampyridae und homo sapiens! Zieht euch an, um euch später eurer Kleider zu entledigen. Zieht los in die Nacht, auf die Party, geht zum Tanz oder auf das Konzert, freut euch auf das Date oder auf den Geburtstag, auf die Party des Jahres oder den Abschuss des Lebens. Glüht, brennt solange, bis alles glüht! Aber bleibt nicht allein und gebt Acht in der Nacht.
Some Peoples Poetry Lieber, es ist eine ganze Weile her, dass ich mich bei dir gemeldet habe. Ich war verreist, möchte dir aber ein paar meiner Notizen aus meinem Broken Sequence – Blackbook nicht vorenthalten. Keine Angst, ich habe kein Scary Diary geschrieben, vielmehr habe ich einige kleine Secrets of a Village gesammelt. Ich verbrachte meinen Sommer nämlich in Forastero. Wie das klingt und wo das liegt, fragst du dich? Ich will dir davon erzählen. Dieser Ort ist nur mit einem bestimmten Zug, dem Randomonium Pt.1 zu erreichen. Im Anschluss an die dreistündige Fahrt vom Ausgangspunkt Bellarmino Rebolledo, überquert man mit einem riesigen Paper Boat den reißenden Los Paralelos und ist angekommen. Meinen Eltern war es sehr recht, dass ich ein Personal Application an den großen Dichter António Botto gerichtet hatte um an der diesjährigen Summer School of Young Contemporary Poets teilzunehmen, anstatt auf den Zug Endstation Jugendheim zu springen. Vor einem Monat also machte ich mich mit nur Two Suitcases auf den Weg, um den Dichter, dessen ersten Roman The Secret According António Botto er 18-jährig veröffentlichte und den ich, vor neun Jahren ebenfalls 18-jährig verschlang (den Roman und nicht den Dichter), persönlich kennenzulernen. Ich wollte mich in Forastero finden, dort schreiben und lesen und mich austauschen mit den anderen TeilnehmerInnen, auch um Our Quarter-Life Crisis nicht alleine durchstehen zu müssen und die Frage: „Wie funktioniert die Welt“ am Ende jenes Sommers gemeinsam beantworten zu können. Nach meinem ganz passablen Studienabschluss ging es für mich Up Up and Away. Endlich lagen die oft erwähnten, lang ersehnten Sommerferien vor mir. Momentan könnte ich sogar von Endlosferien sprechen. Es war ungewohnt komisch, keinen Brief von meinem Chorleiter mehr unterschreiben zu müssen, der jahrelang von uns verlangte den Sommer über On The Beach weder zu Rauchen noch zu Saufen, damit unsere Stimmbänder im Herbst für das Weihnachtskonzert im Winter geschmiert waren. Kein Brief, keine Unterschrift, erster Zug in Richtung freie Unvernunft. Infinite Visions während der Fahrt und unser Lied auf meinen Ohren: Qu Skem a Malla Harza – Sometimes I’m lonely. Ich hörte den Song immer wieder, Time & Again, Time & Again, so wie ich auch an dich denke, immer wieder. Wie geht es dir? Are you lonely at the moment? Ich bin es nach meiner Reise weniger als zuvor. Lasyo, Bent, Mee, Goliath, Torben and Safira, Mobbfer, dessen Brillengläser dicker waren, als mein Daumen, Malik, Jean et Mila, die sich hier gefunden haben, Plastic Bertrand, sie alle habe ich auf unterschiedliche Art und Weise lieb und als Freunde gewonnen. Angekommen bezog ich das Gästehaus, ein herrschaftliches rotes Backsteinhaus, das der Stadt einst als Post- und Telegrafenamt diente. Der Office Ranger, den wir heimlich The Unfair Bastard nannten, lehrte uns die Hausregeln. Sein Lebensmotto lautete: Dictatorship Of Perfection. Die Alumni, auch als Houseworks Maniacs bekannt, drückten uns mit einem Augenzwinkern den Zombie School – A Survival Guide in die Hand und führten uns zu unseren Zimmern. Auf einer Suspense-Skala wäre unsere Aufregung zu Beginn des Workshops sicher bei Horror Hoch 2 oder Parental Movement and Suspense II gemessen worden, kursierten bereits im Vorfeld Gerüchte über die gängigen Initiationsriten der Summer School. Letztlich sind wir überglücklich, die Aufgabe bestanden zu haben. Barfuss, in Badekleidung, die Augen von den Maniacs verbunden und einen Löffel - auf dem zitterte ein rohes Ei – ins Maul gestopft, erklommen wir den Hausturm ebenfalls zitternd. „Scheiße“, dachte ich und Welcome to the Freakshow. Die Turmspitze erreicht, wurden wir mit einem 360 Gradblick auf Forastero und die forests der Stadt belohnt. Wir genossen die Aussicht auf Les Horizons Perdus. Ein tiefer Contrast zwischen dem tintenschwarzen Himmel und dem tiefgrünen Wasser des Sees, auf den wir blickten und der zum nächtlichen Baden einlud, wurde spürbar. Ich musste an dich denken, an Ich-Kreis-Du-Lauf/Unser Spiel. Dachte an meine Geschwister und meine guten alten Eltern, die um diese Zeit für gewöhnlich ins Bett fielen und an ihre Kinder dachten. Ein schöner Kreislauf. An jenem ersten Abend in der Fremde schien die Stadt zu glühen wie die Brandblasen an unseren von der
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Vorglühen
heißen Fassade geschundenen Händen. Die Aufgabe war noch nicht ganz beendet, wir durften uns den Angstschweiß mit einem Sprung in den See von der Seele waschen. Vor dem Sprung der Gedanke: What happens when the Heart just stops? Dann wäre es ein schönes Das Ente der Welt gewesen. Der arme Plastic Bertrand muss sich sicher gedacht haben: During the Day my Vision is Perfect, aber so ohne Brille fühlte er sich gehörig Off-Grid. Angst half uns allen nichts. Wir fassten uns an den Händen und brüllten Carpe Diem in die Nacht. Scream and Shout, dann der Sprung, der Aufprall von zwölf Körpern und Dive. Eintauchten in den kleinen grünen See Bonne Esperance. Carpe Diem als Echo auch unter der Wasseroberfläche hörbar. War ich soeben in einen See voller Hoffnung gesprungen? Völlige Awareness im kühlenden Nass. Wirre Träume. Am nächsten Morgen war es dann soweit. Wir sollten António Botto kennenlernen. Nach einer wortlosen Begrüßung las er uns zwei seiner Gedichte vor: „Draussen ist wo du nicht bist“ und „Das versteckte Leben“. Dann bat er uns aus einem von uns mitgebrachten Buch fünf Seiten willkürlich herauszureisen, sie zu zerschneiden und einen Text daraus zu basteln. Ich arbeitete an einem Text mit folgenden Worten: Ansich-
ten, Jugendkultur, Goa, Traumfrau, Life of Pigeons, Russland 2013, Kaffebesuch, Sophies Tanz, Gay Goth Scene, The Exit!, Towing, Smed /Blacksmith, Lament of Youmen, We don’t want to be Boots, Supercat, Graceland, Blockheads on the Road, Der Schein trügt, Tupsy Turvy Morning, Cloud Control, Joindiggapartybus <3, Legoland, Freeze it – One Moment, 30 Camers, Auschwitz on my Mind, Grandma knows everything, Sucre, Noch ist nichts passiert, Los Demonios, Satzball. Allesamt Filmtitel aus einem Festivalprogramm, das ich in einem meiner Koffer gefunden hatte. Prost und gute Nacht, die wurde lang. In der Früh las ich meinen Text ein letztes Mal und versetzte ihm den Filmtitel Some Peoples Poetry, bevor ich ihn den anderen zum Lesen gab. Wir lasen uns die Texte gegenseitig vor, kritisierten, korrigierten, diskutierten. Nach einer Mittagspause, Das Essen war täglich vorzüglich, hatten wir schweren Stoff vor uns. António Botto erzählte die tragische Geschichte der Dichterin Semra Ertan, die sich 1982 selbst angezündet hatte und damit ein erschütterndes Brandmal gegen Fremdenhass setzte. „We need to change this“ sagte António Botto mit seiner eindringlichen Stimme und entließ uns in den Nachmittag, den die Meisten von uns schweigend in ihren Zimmern verbrachten. Ich setzte vor meinen Text eine Widmung: Für Semra Ertan. Deine Worte bleiben. Die Tage in Forastero verstrichen, das Grand Finale stand bevor. Wir bereiteten die Abschlusspräsentation vor, kümmerten uns um Light, Camera, Projection und befanden uns in einem Zustand der Übermüdung, der Euphorie, des Aufbruchs. Eine Strange kind of Love erfüllte uns. Lesungen, Performances, Vorträge, Konzerte, Tanz, Musik, Küsse, Hände, Kippen, Drinks. Einige von uns kletterten ein letztes Mal auf den Turm, um Abschied zu nehmen, voneinander, dem Ort und der gemeinsamen Zeit. Die Sommerferien waren zu Ende, vor mir liegen Endlosferien, in denen ich dich sobald wie möglich besuchen möchte, mein Freund. Bis dahin gehab’ dich wohl, deine Poetin. von Frieda Paris
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Vor dem Rausch herrscht Langeweile von Phillip Koch
Wir alle sind auf der ständigen Suche nach dem besonderen „Kick“, nach einem Zustand des Rausches. Erreicht werden kann dieser erstrebenswerte Zustand nicht nur mit schädigenden Substanzen à la Drogen oder Alkohol, sondern ebenso mit Musik, Sport, Liebe oder sogar – passend zu der YOUKI – Filmen. Man könnte gar sagen, allein durch die Tatsache, dass wir im Rahmen der YOUKI Filme angeschaut haben, strebten wir nach diesem „emotionalen Zustand übersteigerter Ekstase“, wie Wikipedia den Begriff des Rausches zu definieren versucht. Nichtsdestotrotz bleibt die Frage: Warum brauchen wir Menschen diesen Rausch? Liegt das Streben nach Ekstase, die Flucht aus der Realität in der Natur des Menschen? Offensichtlich, denn so gut wie jeder begibt sich regelmäßig in einen gewissen Rauschzustand, wenngleich nicht nur durch Drogen oder Alkohol, sondern auch allein durch ein Hobby. Sogar einer Beschäftigung, die man gerne vollzieht, kann ein Trigger, ein Auslöser zum Rausch innewohnen. Jeder Trigger muss jedoch erst gefunden werden. Und dabei kommt ein weiterer Faktor hinzu, der unerlässlich ist, um das Streben des Menschen nach Rausch zu erklären: die Langeweile. Zugegeben: Jedem von uns war schon mal langweilig. Sobald man ein Gefühl der Langeweile verspürt, ist man automatisch auf der Suche nach einer Beschäftigung – man könnte auch sagen: nach etwas, das einem einen „Kick“ verleiht. Ergreifend dargestellt wird dieses Phänomen in der Dokumentation „Tough Bond“ von Austin Peck und Anneliese Vandenberg, die im Zuge der Filmreihe „Rausch – Dazed&Confused“ bei der YOUKI gescreent wurde. „Tough Bond“ portraitiert einige Jugendliche aus verschiedenen Slums Kenias, die sowohl wegen ihrer Perspektivlosigkeit als auch aus Langeweile begonnen haben, Klebstoff zu schnüffeln. „Wenn mir kalt ist und ich schnüffle Kleber, ist mir nicht mehr kalt“, erklärt der kenianische Jugendliche Simbad sein Verlangen nach dem Rausch. Die Dokumentation hebt aber auch die Langeweile als Grund hervor. Ausdruck findet sie einerseits in den Weiten der Landschaft Kenias, in der weit und breit nichts ist. Andererseits impliziert das Portrait der Jugendlichen, dass sie nicht viel zu tun haben: Sobald sie ein bisschen Geld verdient haben, ziehen
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sie auf der Suche nach neuem Klebstoff durch die Straßen. Daher rührt übrigens auch der Titel des Films: „Tough Bond“ ist der Name der Klebstofffirma, dessen Geschäftsführer sich durchaus bewusst ist, dass auf der Straße lebende Jugendliche seinen Kleber schnüffeln. Er sieht darin aber „keine Gefahr“. Kleberschnüffeln ist aber nicht der einzige Weg zur Ekstase für die kenianischen Teens. Auch die Musik gibt ihnen ein Gefühl des „Kicks“: Sie scheinen in Trance zu sein, als das Radio ertönt und sie zu tanzen beginnen. Ebenso in eine Art Trance verfallen sie vor dem steinzeitlichen Röhrenfernseher. Mit diesen drei Beschäftigungen – Klebstoffschnüffeln, Musik, Fernsehen – versuchen sie ihre Langeweile zu überspielen. Eine ganz andere, weniger schockierende Art des Zeitvertreibs wird im Film „Das Rudel“ von Alexander Schimpke, in den Vordergrund gerückt: Hierbei werden die Ultras, der eingeschworene Fanblock des 1. FC Union Berlin, portraitiert und zu einem Fußballspiel begleitet. Schimpke machte sich zur Aufgabe, die Stimmung der Fans auf der Tribüne einzufangen, weswegen man das Spielfeld als Kinobesucher kein einziges Mal zu Gesicht bekommt. Es ist unglaublich, wie stark der Fanklub zu seinem Verein hält. Die Fans selbst beteuern, dass der Fußballverein ihr Leben sei. Nur wie kommt es soweit, dass Männer ihr Leben für einen Verein opfern? Langeweile spielt auch hier eine große Rolle: Ein Großteil der Ultras sind ledig, haben entweder eine oder überhaupt keine Arbeit und denken ununterbrochen an ihren Verein. Es scheint, als sei der 1. FC Union Berlin ihr Leben; anders ausgedrückt: Ihr Trigger zur emotionalen Ekstase. Neben Sport, Kleberschnüffeln, Film oder Musik existiert noch eine weitere Möglichkeit der Realitätsflucht, des Strebens nach höchster Ekstase: die Liebe. Passend dazu thematisiert Luca Riblers Kurzfilm „Freunde“ einen Nachmittag dreier Schweizer Jugendlicher. Ihnen steht die Langeweile nahezu ins Gesicht geschrieben - bis einer beginnt zu filmen und sich über den anderen Jungen lustig zu machen, da er wegen seiner Impotenz nicht mit seiner heimlichen Liebe – der dritten im Freundesbund – schlafen kann. Schlussendlich eskaliert die Situation und nachdem er seiner heimlichen Flamme seine Liebe gesteht, läuft er davon. Liebe impliziert in „Freunde“ zwar einen Rausch, aber keinen erstrebenswerten, da er in diesem Fall in Wut mündet. Hingegen wird das Bild vermittelt, dass Sex einem Liebesrausch ohne Liebe gleichkommt, da der andere Jugendliche sehr wohl erregt sein kann. Es ist also offensichtlich: Neben Drogen, Alkohol und anderen abhängig machenden Substanzen gibt es einige weitere Möglichkeiten in eine Art Rausch zu kommen. Es klingt ungefährlicher, als es tatsächlich ist. Jeder Rausch macht abhängig – auch der aus Langeweile.
Filmausschnitt „Tough Bond“ von Austin Peck, Anneliese Vandenberg, USA 2013
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„Es ist ein
gutes Gefühl,
berauscht zu sein“
Filmausschnitt „Das Rudel“ von Alexander Schimpke, Deutschland 2009
Vorglühen
Von Bernadette Aigner Was ist das Rauschhafte am Ultra-Dasein? Reinhard Krennhuber und Jakob Rosenberg vom Fußballmagazin „ballesterer“ und Stefan Hupe, Mitglied des „Wuhlesyndikats“, die größte und führende Ultragruppe des 1. FC Union Berlin, im Gespräch über das Eintauchen in den Fanrausch.
Welche Motivation treibt Leute dazu, sich Ultras anzuschließen? Hupe: Der Reiz für Jugendliche ist die Abwechslung. Man weiß nie, was einen erwartet – das können zwei total langweilige Stunden sein oder ein Erlebnis, an das man sich die nächsten zehn Jahre erinnert. Rosenberg: Das Wesentliche ist, dass man etwas gemeinsam macht. Zum Beispiel Choreographien im Stadion. Solche Dinge sind ja dazu da, um von anderen wahrgenommen zu werden. Außerdem ist es ein sehr selbstbestimmter Freiraum, den man sich im Stadion kreiert und verteidigt. Steht das Gemeinschaftliche also im Vordergrund? Krennhuber: Ein Match oder eine Auswärtsfahrt beginnt ja viel früher als mit dem Anpfiff. Man trifft sich Stunden vor dem Spiel, steigt zusammen in den Bus, erzählt Geschichten. Der Rausch kann auch dann noch seinen Höhepunkt erfahren, zum Beispiel auf der Heimfahrt, wenn man ein Spiel gewonnen hat. H: Das Ganze funktioniert nicht ohne, aber auch nicht wegen dem Fußball. Du gehst zum Spiel, weil du dir denkst: Ich geh dort hin und habe Spaß mit meinen Freunden. Die 90 Minuten sind zwar nicht unwesentlich, aber eigentlich machst du es nicht nur deswegen. Was passiert in diesen Gruppen an Rauschhaftem? H: Der Rausch ist die Stimmung, die man aufsaugt. Du singst ein gutes Lied und genau in dem Moment hat die Mannschaft eine Chance oder macht ein Tor. Die Leute machen mit, und in diese Gruppendynamik kann man sich wirklich wunderbar reinsteigern. Das kann mit ein paar Leuten anfangen und am Ende macht das ganze Stadion mit. Manchmal ist diese Spannung schon von Minute eins da. Zum Beispiel, bei einem Saisonhighlight, auf das du dich schon die ganze Woche freust. K: Die klassische Stadiondroge ist natürlich Alkohol. Gleichzeitig wird in der Ultrakultur, auch ausgehend von Italien, massiv Marihuana konsumiert. Und wie vertreibt man sich die Zeit, wenn man zwölf Stunden im Bus sitzt? Man kann nicht dauernd reden und Musik kören. Man trinkt und raucht dann eben auch. Aber es geht auch anders. Zum Beispiel bei den Rapid-Ultras, die sagen, es geht darum, 90 Minuten alles für die Mannschaft zu geben. So etwas kann kein Angesoffener machen.
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Warum wollen Jugendliche genau das? Warum wollen sie in so etwas aufgehen? R: Einen Rausch zeichnet aus, dass man etwas macht, das man sonst nicht macht. Es ist ein gutes Gefühl, berauscht zu sein. H: Ich denke, dass es bis zu einem gewissen Grad auch der Ausbruch aus dem Alltag ist. Man kann sich ausleben und muss nicht nach Schema F handeln. K: Wenn man sich diversen Ding hingibt, dann bekommt man auch etwas zurück. Die Solidarität und das Gemeinschaftsgefühl in diesen Gruppen sind irrsinnig hoch, und es ist nicht so, dass da nur große, kantige, starke Typen sind. Es ist relativ egal, woher du kommst, wie du aussiehst und was du sonst noch machst. Was geschieht, wenn der Rausch nachlässt? H: Dann fiebert man dem nächsten Rausch entgegen. Wie kommen Jugendliche mit diesen Gruppen überhaupt in Berührung? H: Wir haben mal aus unserem Fanteam Leute aus verschiedenen Generationen gebeten, ihr erstes Spiel der Union zu schildern. Es war für die meisten tatsächlich so, dass das Interessante war, was in den Fangruppen passiert. Es ist zwar merkwürdig, aber es hat sich so entwickelt, dass sie eigentlich zuerst Fans der Fans waren und erst später Fans des Sports. K: Ich war zum Beispiel als 10-Jähriger im Stadion und mich hat diese Wildheit der Leute fasziniert. Man stößt auf Leute, denen es egal ist, was andere von ihnen denken. Als ob da andere Gesetze gelten würden. Wann ist der Punkt erreicht, an dem man diesen Fanatismus als gefährlich bezeichnet? H: Der ist wahrscheinlich bei mir schon überschritten. Für viele ist es sicherlich der Punkt, an dem die Freundin sagt: „Entweder der Fußball oder ich.“ Manch einer entscheidet sich dann für den Fußball, manch einer aber auch für die Freundin. R: Wenn die Selbstexistenz in Gefahr ist. Wenn man jede Woche mit der Mannschaft herumfahren muss, auch überall in Europa, und einfach kein Geld mehr zum Leben übrig ist. K: Ich finde Fußball ist einfach super interessant. Aber sehr wichtig ist, glaube ich, dass man auch andere Dinge nicht außer Acht lässt. Wenn man ein Leben nur für den Fußball lebt, dann ist das vielleicht auch ein Fehler. Wann ist der Punkt, an dem man aussteigt? H: Also ich bin jetzt 29 und sehe das Ende noch nicht. Was eher passiert, ist, dass man zwar noch Mitglied der Gruppe bleibt, sich aus privaten Gründen aber ein bisschen zurücknimmt.
Changing, Changing, Changed I can’t breathe. I’m in a new place, doing something I’ve done half a million times, and I can’t breathe. My lungs are refusing to cooperate. My heart is trying to compensate, and it feels like it will burst out of my chest at a moment’s notice. My brain is a slug. A fat, slimy, slow, disgusting slug. What am I? Change is good, they say. Change will do you good. I’m about to pass out and I have to keep believing them. Because I’m changed. It’s the allure of the Great Unknown that does it. No one can resist the Great Unknown. It’s just lying there; calling you, tempting you, promising it will be better than the current, Average Known. What it doesn’t tell you, is that the Great Unknown doesn’t remain unknown for very long. And once that has disappeared – what is left? What is ever left, you begin to wonder. After you have watched it happen dozens of times, a pattern begins to form. You’re bored. You’re stuck. You’re in a rut. Obviously, this needs to change. And there’s the key word: change. What is change, even? It is this broad concept that leaves everyone breathless and confused and unable to explain what happened, or what it means. Change is Friday night, when you’ve been wearing the same clothes since 7AM and you find it perfectly worthwhile to spend two hours going home and dressing up, dressing down, dressing on the exact same level – just differently. Change is Thursdays at noon, when you walk that extra mile to have lunch at the organic sandwich bar. Change is finally replacing your threadbare sneakers that have been your favorites since 1998. Change is leaving your hair down on Wednesdays – but never Mondays. Change is naming this one Maracuja, after Peaches, Peaches2, and Peaches3 all died and/or ran away. Change is the name of a bar, in the 20th arrondissement in Paris, that is always half empty and always half full. Change is colorful and bland and change is big and small and change is unattainable and change is attainable. And change… change is what you need. Change is the solution. So you do it. Sometimes it takes an hour or a day or a week or a year. Other times it takes everything in you. Sometimes it’s nothing more than a split decision you don’t get to make twice. Other times it takes the role of that thing you keep admiring from afar, longing for, wishing for, dreaming about. Procrastination is the chain around your ankle: You are going to do it – that’s not the problem. You definitely are, just not right now. Then insanity sets in. Routine makes a person crazy. Stir-crazy. So you go out and you take a deep breath and you do it: you change. Heart beating, lungs collapsing, vision blurring; you do it. And it’s intoxicating, it really is. You’re soaring, high, high, higher until nothing can ever 26
Vorglühen
reach you because everything is changed. It doesn’t matter if what you changed is schools, or addresses, or favorite colors, or what day of the week you walk that extra mile for lunch. All of it is change. All of it has satiated your routine, your boredom. You’ve done it! The impossible has been made possible. The inimaginable is being imagined. The inaccessible has been accessed, and the unfeasible has been feased. You’re soaring, floating and you’re flying. It’s all your doing. And you’re high with that knowledge. There’s an appropriate newness to this high. The nervousness is playing in. Any regrets? You don’t have the willpower. This strengthens the high, sends you out into space. If this gets messed up, you can’t help but think, there’s no one to blame but myself. Because everything was perfectly well and good and organized and why did you have to go and change it? Now everything is new and dangerous and unknown. Do you see it? Unknown. What you were aiming for, is what you got. You got the Great Unknown. You have it. It’s yours. What to do with it? It’s fluttering in your grip; the Great Unknown doesn’t stay for long. It has places to be, people to visit, lives to change, revolutions to lead. You can feel its restlessness manifest itself in your being. This confuses you. You did this, you took the Great Unknown to get rid of that antsy feeling. And now the restlessness is back and you don’t know what to do, because you can’t breathe and you can’t see straight and your pulse is off the grid. This is the real change. The one that doesn’t ever go away, the one that isn’t ever satisfied. It wants more. It always wants more. This is a different kind of intoxication, and there’s no denying it – you are intoxicated. This high is more hesitant. Confusing. You’re not sure you really want it. Fear. You’re afraid. The beginning is ending. Consequences, positive and negative, are becoming more real, more pressing, more distracting. Once again life has rendered you powerless. Well? Go on, then. Come down from there. It’s time to start living again. by Aida Koné-el-adji
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Mit drin
ten
Mittendrin. Lichter, Lachen, vielleicht Musik. Der Kontrollverlust, den man f端rchtet und doch bewusst herbeif端hrt. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich sonst bin. Ich kann der sein, der ich will. Die Sorgen meines normalen Lebens k端mmern mich nicht mehr. Mir ist nichts mehr peinlich, Hemmungen sind nicht gefragt. Der Mensch neben mir oder am anderen Ende des Raumes ist ein Instant-Freund. Ich teile mit ihm einen Moment, in dem wir gleich sind. Es ist egal, ob wir uns schon gestern kannten oder morgen noch kennen werden. Heute wollen wir alle dasselbe.
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Taub sein, zu leben
um
von Aslihan Özüyilmaz
Es ist Winter. Auf der Wiese liegt Schnee. Es ist kalt. Ich spür’ es nicht. Irgendwie merk ich dann, dass mich jemand hochhebt. Einige Momente danach rutschen wir aus und fallen hin. Normalerweise tut das doch einigermaßen weh, doch stattdessen lachen wir und empfinden keinen Schmerz. Taubheitsgefühl. Wodka war es, der uns das Empfinden aus den Gliedmaßen geraubt hat in dieser Nacht. Ich kann mich nicht beschweren, denn diesen Sturz habe ich nicht gespürt und das war gut so. Jedoch gibt es genug andere Facetten der Taubheit, die es zu durchleben gilt. Und einige kennen wir vielleicht nur zu gut. Wenn dich die Taubheit einhüllt in ein wohliges Gefühl, dann spürst du zwar nichts, doch du fühlst noch. Deine Zunge gehorcht dir nicht mehr ganz, verändert manchmal deine Worte, doch du sprichst. Du fällst und tust dir nichts. Dies ist ein Zustand der genau zwischen Sein und Nichtsein steht. Er ist instabil, er ist ein Fluss und greift ineinander ohne Grenzen zu kennen. Die Taubheit ist nicht greifbar und nicht ohne Weiteres abrufbar. Jedes einzige Mal ist diese Taubheit anders und unvergleichbar. Manchmal bist du ganz außer dir und nicht mehr ganz da. Manchmal bist du im Einklang mit dir selbst, einfach nur wach. Und wie du dorthin gelangst, ist eine unschätzbare Sache. Wenn mein Brustkorb vibriert und ich mich den Klängen hingebe, die meine Haut durchdringen, lege ich meinen Kopf in den Nacken, blicke hinauf an die Decke und schließe meine Augen. Was ich dann noch sehe, überlasse ich meiner Taubheit. Musik ist es, was mich dorthin bringt und die tobende Menge, die jeden Song lauthals mitsingt. Konzerte sind daher oftmals etwas sehr Intimes, obwohl man nicht unbedingt nur zu zweit ist. Doch genau die Masse kann einen genau so taub machen. Wie und was genau passiert ist nicht vorauszusagen. Wir wollen diesen Zustand der Taubheit nicht mehr so schnell verlassen. Er soll so lang wie möglich anhalten. Wann er wieder kommt, wissen wir nicht. Und eine Garantie, dass er das nächste Mal wieder so ein dermaßen gutes Gefühl auslöst, gibt es nicht. Oft braucht man diesen Ausbruch aus allen Vorgaben. Man will in einen Raum aus Schwarzlicht, Strobo und Bässen eintauchen und sich mit der Dunkelheit und dem Rauch vermischen. Alles läuft ineinander, es gibt keine Grenzen, weder
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für Zeit, noch für den Körper. Man vergisst alles was einem schwer fällt und schwach macht. Tanzen ist es, was die Taubheit freisetzt. Ich bin der Taubheit während des Festivals gleich am ersten Abend begegnet: wie ich den Kurzfilm „Blokes“ von Marialy Rivas sah. Der Fokus ist auf Luchitos Hinterkopf gerichtet. Er bewegt sich nur langsam. Die Berührung mit Manuel taucht den ganzen Film in eine Taubheit, der Ton erstickt in einer Dumpfheit und hüllt mich mit ein. Aus der Blässe der Bilder tritt eine solch unglaubliche Intensität hervor, die einen äußerst raffinierten Kontrast zum dargestellten Alltag im Film bildet, sodass wiederum das Taubheitsgefühl in eine zentrale Position rückt. Jedoch ist unser Rausch nur ein kleiner Teil des ganzen Films; ein kräftiger Ruck des Busses in dem sich Luchito befindet zieht uns wieder raus in die nüchterne Wirklichkeit, in eine Diktatur. Zugang zum Geschehen ist Empfinden, denn es wird nicht viel gesprochen im Film. Doch die Darlegung der Gefühle ist offen, unkompliziert und nahe. Ich folge Luchito, ich sehe, spüre seine Begierde und werde gemeinsam mit ihm taub. Wenn er Manuel erblickt und ihn beobachtet aus seinen großen, tiefschwarzen Augen, bin ich angespannt und halte den Atem an. Diese Sequenzen sind für mich die Intensivsten, denn alles konzentriert sich auf Luchito, der sich Manuels Anblick ohne Widerrede ergibt. In diesen Momenten wirst du taub gelassen, denn der Ton schwindet vollkommen. Das einzige was ich hier und da vernehme ist Luchitos Atem, der aus dem Rauschen dringt. Er offenbart die Erregung und Entspannung im ganzen Film und nimmt meine Wahrnehmung ein. Ich fühle nicht nur, ich erlebe mit. Nicht nur seine Aufregung, Taubheit auch. Marialy ist eine Regisseurin aus Chile, sie begann mit 19 Filme zu machen und hat seither nicht damit aufgehört. Sie lebt immer noch in Chile, obwohl es für sie dort nie einfach gewesen war ihre Filme zu drehen. In „Blokes“ fängt sie die chilenische Realität ein, denn in dieser Zeit lebten die Menschen in Chile in einer Diktatur. Luchitos Geschichte um Manuel basiert auf einer Kurzgeschichte von Pedro Lemebel, die sie zufällig entdeckte. Was mich in Taubheit, geleitet von einem Aufeinanderprallen von Vernunft und Leidenschaft, stürzt ist hier folgendes: Das Leben ist gnadenlos in dieser Diktatur und es verschwinden laufend Menschen, wenn jemand Verdacht schöpft. Doch gleichzeitig lebt jeder seine eigene Realität weiter. Vor allem Teenager. Das eigene Verlangen löst sich nicht einfach auf. Es besteht weiterhin. Ich empfinde dieses Zusammenspiel als äußerst seltsam und doch weiß ich, wie real es ist. Wir machen uns oft selbst taub um zu leben.
Filmausschnitt â&#x20AC;&#x17E;Blokesâ&#x20AC;&#x153; von Marialy Rivas, Chile 2010
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A bis Z von Jonas Vogt Auf Bedenken scheißen. Betrinken. Chaotisch sein. Das Morgen vergessen. Einmal im Jetzt sein. Feiern. Genug gearbeitet. Hier an diesem Ort nur an diesen Ort denken. Im Moment aufgehen. Jetzt einmal nur im Jetzt sein. Keine Sorgen mehr machen. Liebe machen oder es sich zumindest vorstellen. Meine Bedürfnisse zählen lassen. Nicht zögern. Ohne Reue oder Scham sein. Party machen. Quatsch zur obersten Maxime machen. Reaktionen ignorieren. Sich selbst nicht wichtig nehmen. Tanzen. Und sich nicht dabei schämen. Völlig fallen lassen. Wunder vollbringen. Keine Lust haben, sich etwas für X auszudenken. Und auch nicht für Y. Zum Schluss einfach in allem Aufgehen.
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Filmausschnitt „Bonne Esperance“ von Kaspar Schiltknecht, Schweiz 2013
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Mittendrin
Kontrollverlust Von Marie-Christine Wilfer
(Oder: Wege sein inneres Selbst kennenzulernen und rauszulassen). Ich verliere mich. Verliere mich im Strudel der Gefühle und Farben. So viele bunte Farben, die um mich herum tanzen. So viele Stimmen die reden und reden. Aber ich versteh’s nicht, will’s nicht verstehen, bin in meiner eigenen Welt. Hier, ohne Kontrolle, lebt sich‘s am Leichtesten für mich, hier gibt’s keine Regeln, keine Gesichter, denen ich konform sein muss. Hier gibt’s nur mich, mein reines Ich, und ich kann loslassen. Loslassen, einen Moment alleine sein im Rausch der Gefühle, im Rausch der Musik, im Rausch der Atmosphäre. Mein Herz sucht auf der Tanzfläche nach Dir, obwohl ich weiß dass Du nicht da bist. Ich will Dir alles sagen. Jetzt und hier. Hab keine Kontrolle über mein Herz und meinen Verstand, und ich mag‘s so. Weil in diesem Moment bin ich frei, frei zu tun, frei zu handeln. Aber Du bist nicht da, also hol ich mir noch ein Achterl Rotwein (weils das Billigste ist) damit ich Dich auch noch vergessen kann. Noch ein bisschen mehr die Kontrolle verlieren, bis ich nichts mehr weiß. Nur mehr Farben und das wohlige Gefühl von Liebe, welches durch den viel zu stickigen Raum zieht. Gleich bei der Eröffnung des YOUKI-Filmfestivals wurde der Film „Satellites“ von Karin Fisslthaler, der Youtube-Videos von Jugendlichen dokumentiert, die sich gegenseitig so lang würgen bis sie ohnmächtig werden, gezeigt. Die „Fainting Games“, wie sie genannt werden, werden gespielt um den Kick zu bekommen, den Rausch und den kompletten Verlust aller Sinne. Weiter gab es dann noch mit „2 Birds“ ein FilmBeispiel, wo der Kontrollverlust wohl übertrieben wurde. Eine tragische Geschichte zweier Jugendlicher, die sich auf einer Party dem Drogenrausch hingeben wollen, aber dies bis zur Besinnungslosigkeit hinaustreiben. Über die Tage am Festival hinweg hab ich viele Videos gesehen und Ansichten zum Thema Kontrollverlust gesammelt. In „Contrast“ wird das Thema bildlich durch schöne, verwirrende, fast hypnotisierende Videos behandelt. Es gibt aber auch eine Dokumentation über einen jungen Mann, der immer wieder die Kontrolle über seinen Drogenkomsum verliert und dafür kämpft, sie wiederzuerlangen („Bent“). Was heißt das den überhaupt: Kontrolle verlieren? Ich glaube, das ist der Moment wenn zu
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viele Emotionen da sind, einen einfach alles überwältigt, so dass man sich nicht festhalten will und kann. Nicht nach gesellschaftlichen Regeln richten, sondern mitten auf der Straße tanzen, wenn man Lust darauf hat. Im Regen stehen und krank werden, einfach nur weil man gerade so einen wunderbaren Moment hatte. 3 Stunden lang vor einem Klimt-Bild stehen, weil es so ein schönes Gefühl hervorruft und an das letzte Treffen mit der ersten Liebe erinnert. Oder einfach „Titanic“ mal allein daheim anschauen, seine Tränen rauslassen und stundenlang wie ein unkontrollierbarer Waserfall von Wörtern über Herzschmerzgeschichten jammern. Am besten mit einer Packung Chips und Kakao. Aber dann gibts ja auch noch den Alkohol oder Drogenrausch. Das ist natürlich der einfachste Weg und verbreitetste um seine Sinneswahrnehmungen außer Gefecht zu setzen. Aber Achtung! Im Überfluss kann‘s schnell auch schiefgehen. Es macht nun wirklich absolut keinen Spaß um 4 Uhr in der Früh orientierungslos durch Wien zu laufen, oder im Klo der Bar aufzuwachen und nicht zu wissen ob man einen Filmriss hat oder einfach nur eingeschlafen ist. Nun, die Sache mit den Drogen, das ist so eine Sache für sich. Meiner Meinung nach: Ausprobieren geht, aber bitte nicht schon komplett besoffen und wenn keiner deiner Freunde in der Nähe ist. In dem Fall funktioniert die Devise „What doesn‘t kill you makes you stronger“ nicht. Das Argument der Bewusstseinserweiterung durch Drogen ist glaub ich einfach nachzuvollziehen. „Erfahre mehr über dich selbst“ erscheint als Werbeslogan ganz passend, vor allem wenn man sich in der Technoszene umschaut, die gerne auf harten Drogen feiern geht. Wenn man Drogen aus Lust und Neugier zum Sich-selbst-Verlieren macht, wird es schwer dieses Selbst wiederzufinden, die Kontrolle wiederzuerlangen. Ich hab im Zuge meiner Recherchen natürlich alles gegoogelt. Was mir sehr gefallen hat: Wenn man „Bewusstseinserweiterung“ auf Wikipedia sucht, wird einem vorgeschlagen zu meditieren. Besser als Meditation (und auch schon selbst ausprobiert) find ich ja, ist das sich Loslassen in der Musik, oder seine Gedanken einfach treiben lassen. Man schließt die Augen und denkt nur in Bildern. Zum Beispiel: Wo wärst du denn gerne jetzt im Moment? Mit wem wärst du denn gern dort? Oder man macht ein Spiel daraus: mehrere Leute in einem Kreis, alle mit Augen zu, und man gibt ein Schlagwort: Strand. Einer fängt mit einem Bild an, beschreibt den Strand in seinem Kopf. Der Nächste denkt diese Fantasiewelt weiter. Auf solche Weise lernt man sich selbst gut kennen und darf frei denken, kontrollfrei sozusagen.
Das Witzige und Schöne wenn der ganze Raum die Kontrolle verliert, alle ein wenig beschwippst und wild in der Gegend rumhüpfen und der ein oder andere schon auf der Theke eine One-Man-Show abzieht, ist, dass jeder irgendwie plötzlich am selben Level ist. Sei es Organisator oder Gast, man ist in einem Zustand wo Herkunft, Job und Erfolg schlichtweg wurscht sind.
Es alles
ist von Amira Ben Saoud
einem Der Autor, Journalist und Veranstalter Tino Hanekamp nahm den weiten Weg von Hamburg nach Wels auf sich, um sich selbst und alle anderen abzufüllen. Was er über Selbsthass, Rocko Schamoni und seine Jugendliebe zu erzählen hatte, sei hier zu Protokoll gegeben. Tino Hanekamp nimmt an einem Tisch vor einer Kinoleinwand Platz, auf der zur Einstimmung gerade noch Betrunkene durch die Gegend torkelten. Man merkt ihm die Nervosität an. Später wird er erzählen, dass er trotz einiger öffentlich absolvierter Auftritte noch immer aufgeregt ist, vor allem, weil er ein Experiment wie heute noch nie gemacht hat. „Ich werde mich jetzt einfach abschießen und schauen, was dann passiert.“, sagt er im Vorfeld. Auch ein inszenierter Alkoholkonsum führt zwangsläufig zu Rausch. Hanekamp liest auch Passagen aus seinem 2011 erschienenen Buch „So was von da“, dessen Rahmenhandlung eine rauschende Silvesterparty bildet, während er abwechselnd an Wodka und Weißwein nippt und auch das Publikum mit Alkohol versorgt. Gegen Ende 36
in der Performance sind zwei Wodkaflaschen geleert, verschiedene Menschen haben auf dem zuerst freigebliebenen Platz neben dem Autor Platz genommen und Hanekamp versucht lallend Namen entlegener Synthetika richtig zu artikulieren. Durch die Rauchschwaden im Raum, der natürlich strengstem Rauchverbot unterliegt, dringt das losgelöste Lachen des Publikums, das sich mittlerweile zu großen Teilen von den Sitzplätzen zur Bar bewegt hat. Alle sind betrunken. Das Konzept hat funktioniert. Nicht zuletzt, weil Trinken immer ein gutes Konzept ist. Tino Hanekamp weiß das natürlich. Als Mitbegründer des Hamburger Clubs „Übel & Gefährlich“ war der Rausch lange genug sein Business und man darf mutmaßen, dass seine Erfahrungen als Clubbetreiber auch in die detailliert beschriebenen Partyszenen seines Erstlingsromans einflossen. Abgesehen davon scheut Hanekamp Selbstversuch nicht und berichtete mir im Interview, auf das ich mich ausschließlich mit Schnapskonsum vorbereitet habe, wie das so ist mit den Drogen.
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Dein Charakter mit einer Droge beschrieben? Alkohol und dann zu früh gekifft. Albert Hofmann, der Erfinder von LSD, sagte, dass Drogen nur schon vorhandene Eigenschaften und Gefühle kanalisieren... ...Ja natürlich, es ist alles in einem. Sowieso. Aber hast du nie auf Drogen irgendetwas gemacht, was du sonst nie gemacht hättest? Ja, aber dann hinterher hab ich gedacht: „O Gott, das bin ich.“ Wenn man dann so Sachen sagt, die man sonst nicht sagt. So wie jetzt. Also bist du jetzt du? Willst du so sein? Das ist ja das Problem mit mir. Dass ich nicht weiß: Will ich denn so sein? Du nimmst also Drogen um zu sein... ...wie ich wahrscheinlich bin um dann festzustellen, dass ich so eigentlich nicht sein will. Reflektierst du das? Natürlich: Wenn ich nüchtern bin, aber auch wenn ich betrunken bin. Jetzt gerade reflektiere ich wie der Wahnsinn. Die Mischung aus Selbsthass und „Ja, da bist du und es ist ok.“ Ist es die Sicherheit oder die Unsicherheit, die einen für den Rausch offen macht? Unsicherheit macht einen für den Rausch offen, weil im Rausch immer etwas zu finden ist, was man gerade nicht hat. Es gibt aber auch Drogen, die man in sehr unsicheren Phasen vielleicht nicht nehmen sollte, Mushrooms zum Beispiel... ..Ja, das sagt ja auch Timothy Leary, dass man da stabil sein soll, weil es an das eigene Fundament geht. Ich unterscheide zwischen Wohlfühldrogen und Konfrontationsdrogen. LSD oder Pilze sind Konfrontationsdrogen, weil sie dich hinter Bereiche führen, derer du gewahr bist. Und wenn du schon mit dem nicht klar kommst, was du ohnehin weißt, wird dich das, was dahinter ist, noch mehr fertig machen. Kannst du dich an eine Drogenerfahrung erinnern, die nachhaltig etwas für dich eröffnet hat? Auf Pilzen in der Natur. Seit dem weiß ich, dass eine Beziehungsfähigkeit zu den Dingen, an denen man sonst stumpf vorbeigehen würde, möglich ist. Das kann man aber auch im nüchternen Zustand erreichen. Ich nehme jedenfalls nicht die ganze Zeit Drogen, nur dass das klar ist. Hast du dich vor deinem Vortrag mal intensiver mit dem Thema Rausch auseinandergesetzt, aus Interesse? Nein, eigentlich gar nicht. Mein Booker meinte, die Typen von YOUKI wollten eigentlich Rocko Schamoni haben. Der hatte aber keinen Bock. Dann habe ich diesen Ankündigungstext geschrieben und realisiert: Ich muss da jetzt wohl hin. Also habe ich angefangen zu recherchieren. Ich bin natürlich dem Rausch zugetan, aber ich schätze mich nicht als suchtgefährdet ein.
Mittendrin
Mein Selbstverständnis ziehe ich erbärmlicherweise aus meinem Schaffen. Deswegen kann ich nicht drogenabhängig werden, weil ich dann nichts auf die Reihe kriege. Und dann geht’s mir schlecht. Ich muss was auf die Reihe kriegen. Ist dein Wohnort Hamburg ein guter Ort für den Rausch? Nein, Hamburg ist ein reaktionäres, kleines Scheißkaff. Ich habe mit 14 Naked Lunch gelesen und das hat mich nachhaltig verstört. Gab es denn auch Rauscherfahrungen bei dir, die durch Musik oder Literatur ausgelöst wurden? Schon. Bisschen später und mit einem zahmeren Buch. Mein Erweckungserlebnis war mit 16 „Betty Blue“, was mir Jana Müller geschenkt hat, eine Frau, in die ich total verknallt war. Und ich dachte mir: Genau so muss man leben, wie die Charaktere in diesem Buch. In Musikform: Nick Cave, Leonhard Cohen, Tindersticks. Dieser ganze romantische, pathetische Kram – da stand ich echt total drauf. Ich würde den wahren Rausch immer über erste Male definieren. Momente, die nie wieder so sein werden und unerzählbar sind... Echt? Ich finde nicht, dass es immer ein erstes Mal sein muss. Es ist interessant, darüber hinaus zu gehen und zu sehen, was noch möglich ist.
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Im Rausch der Musikvideos
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Musikvideos gibt es in der Form, wie wir sie heute kennen, eigentlich noch nicht lange, obwohl bereits 1900 bei der Pariser Weltausstellung der erste Versuch, ein Musikvideo zu drehen, vorgeführt wurde. Damals war es aber nur eine Kombination aus Ton, Film und Theater – und außerdem ein totaler Flop, da die Bild- und Tonqualität so schlecht war. Das allererste richtige Musikvideo wurde allerdings 1975 zu dem Lied Bohemian Rhapsody von Queen gemacht. Dieses war das erste Popvideo mit großem Erfolg und es galt auch als Beginn der MusikvideoÄra. Richtig populär wurden Musikvideos erst mit der Geburt des Musikfernsehkanals MTV in den 1980er Jahren. MTV war lange die einzige Quelle um Musikvideos anzusehen, während es sich in den letzten Jahren immer mehr zu einem „normalen“ Sender entwickelte. Doch warum macht man eigentlich ein Musikvideo? Die Idee dahinter ist, die Alben und Lieder der Bands bekannter zu machen. Deshalb finanzieren die Plattenfirmen die Musikvideos im Sinne der Verkaufsförderung. Manchmal werden die Videos auch einfach als Kunst produziert und dann auf Festivals wie der YOUKI gezeigt. Denn Musikvideos sind eine spezielle Form des Films, bei der die Musik im Vordergrund steht und nicht der Film. Auf jeden Fall ist es nicht leicht ein Video zu machen, das einerseits zur Musik passt, vielleicht sogar zu dem Text und der Geschichte, die er beinhaltet, und andererseits auch für sich alleine stehen kann. Es gibt viele verschiedene Formen von Musikvideos. Auch aufgrund der künstlerischen Freiheit, die sie ermöglichen. Oft sind es wie bei „Welcome to the Freakshow“ gezeichnete Figuren, die zur Musik agieren, gefilmte Studio-Auftritte der Band oder sogenannte „Drehbuchvideos“, bei denen eine geschlossene Geschichte hinter dem Video steckt. Wie Filmemacher
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video versetzt einen mit seinen außerirdischen Szenen fast in Trance, oder – wie man heuer bei der YOUKI so schön sagt – in einen Rausch, einen Rausch der Musik. 2 Jugendkultur Raffinierte Sozialkritik einer jungen österreichischen Hip Hopperin in einem oft lustigen, und vor allem aussagekräftigen Video über viele Probleme der heutigen Jugendlichen. 3 Welcome to the Freakshow Perfekt zum Songtext abgestimmtes, außergewöhnliches Musikvideo mit verrückten Illustrationen von Clowns, Zirkusdirektoren, Piraten und mehr. Welcome to the Freakshow! 4 We don‘t want to be boots Ein Handpuppenalligator rappt auf Russisch davon, wie er beinahe zu einem Schuh
1 Infinite Das von Detailaufnahmen geprägte Musik-
Daniel Leber so schön sagt: „Du kannst beim Musikvideo machen, was du willst. Es ist nicht wie beim Spielfilm, wo du alles genau planen musst um eine perfekt strukturierte Handlung zu haben.“ Aufregend sind auch so simple und Musikvideos, die oft Visuals ähneln, wie zum Beispiel das Video zu dem brandneuen Lied von den Arctic Monkeys „Do I wanna know“ oder das sehr spezielle und wunderschöne Video „Zounk!“ von Billy Roisz, das die Musik von Broken.Heart.Collector perfekt filmisch umsetzt und im Rahmen der YOUKI lief. Musikvideos können auch helfen, richtig in das Lied „hineinzukommen“, sich sozusagen in den Rausch der Musik zu begeben, was sonst fast nur auf Konzerten möglich ist. Ausserdem sind sie als spezielle Filmkunst sehr spannend. In jedem Fall sagen sie auch immer viel über den Künstler und den Song aus.
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Von Nele Hazod und Lena Steinhuber
verarbeitet worden wäre. Krabben und Kraken begleiten das Musikvideo musikalisch mit fröhlichen Melodien. 5 Endlich Sommerferien Mit dem fröhlichen, sommerlichen Musikvideo bekommt man nicht nur einen ordentlichen Ohrwurm, sondern auch sofortige Ferienstimmung und Lust auf Sonne! 6 Broken sequence – Blackbook Ein durchaus sehenswertes Musikvideo, das durch die Nahaufnahmen des Sängers einen interessanten Touch bekommt. Es wirkt keineswegs gekünstelt, wie der Musiker durch die Straßen schweift und den Liedtext singt. Besonders das Ende des Kurzfilms ist interessant und gibt diesem wunderbaren Videoerlebnis noch den letzten Kick. 7 Gay Goth Scene Ein beeindruckender Film, mit einer ebenso traurigen, wie realen Geschichte und superguten Schauspielern, die perfekt zu der tiefgründigen Musik agieren. 8 Personal Application Ganz klar, dieses Lied setzt einem einen Ohrwurm in den Kopf, den man nicht vergessen kann. Die Idee der Verschwörung gegen die Smartphones, die heutzutage fast jeder Jugendliche besitzt, wurde nicht nur interessant, sondern auch humorvoll umgesetzt. 9 Zounk! Linien über Linien über Linien Billy Roisz hat ein unglaubliches, wirklich berauschendes Musikvideo zur Musik von Broken.Heart.Collector geschaffen, das sowohl hypnotisierend, als auch berauschend ist. 10 Scream & Shout: Die Schule ist der Ort, an dem man sich begegnet. Wenn man Glück hat, stößt man gerade da auf die große Liebe. Doch oft ist man nicht die Einzige, die mit einem Typen zusammen sein will.
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Mittendrin
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Kater ung
stimm
Kater, Der: Zurück auf null. Die Welt steht, Ernüchterung macht sich breit. Bei Lichte betrachtet, sieht der Tag, die Welt, der andere Mensch nicht mehr so gut aus wie gestern. Ereignisse kommen zurück. Schlechte Erinnerungen, schlechte Erinnerungen, keine Erinnerungen. Körperliche Schmerzen? Möglich, aber das geht vorbei. Wichtiger ist die Frage: Was habe ich gestern getan? Wer war ich – und warum? Oftmals sind wir einfach nur damit beschäftigt ins normale Leben zurückzukehren. Aber manchmal denkt man auch darüber nach, ob man nicht gerne auch sonst ein bisschen die Person von gestern wäre.
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Filmausschnitt „Rauschen und Saufen“ von Albert Sackl, Österreich 1997
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Katerstimmung
Die Stille nach dem Schuss von Jonas Vogt
Der Kater ist eine der essenziellen Erfahrungen der Pubertät. Er gehört zum ersten Rausch wie das Schmachten zum ersten Verliebtsein. Im Gegensatz zum Verliebtsein verläuft der Kater aber antizyklisch zum Lebensalter. Das heißt (leider): Je älter man wird, desto schlimmer und länger werden die Kater. Wenn man das erste Mal Samstag und Sonntag braucht, um sich von Freitag zu erholen, merkt man, dass man keine 18 oder 22 mehr ist. Ein Kater ist – medizinisch gesehen – eine leichte Alkoholvergiftung mit dem entsprechenden körperlichen Auswirkungen. Gefährlich ist er, anders als die akute Form der Alkoholvergiftung, nicht. Dass man Vergiftungen in jungen Jahres besser wegsteckt als später, ist nicht überraschend. Woher das Wort Kater kommt, ist nicht endgültig geklärt. Eine Theorie besagt, Studenten des 19. Jahrhunderts hätten sich mit dem Begriff über den Katarrh, eine sehr schmerzhafte Schleimhautentzündung, lustig machen wollen. Andere Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass die Bezeichnung auf den „Katzenjammer“ zurückgeht, mit dem im Mittelalter sehr großes Leid bezeichnet wurde. Die Engländer nennen den Kater „Hangover“. Die Franzosen haben ein deutlich weniger charmantes Wort dafür. Ins Deutsche lässt es sich ungefähr mit „Holzfresse“ übersetzen. Es gibt auch Kulturen, in denen Alkoholkonsum so selten ist, dass es kein eigenes Wort für den Kater gibt.
Schlaf, alles tut weh. Meist ist man nach dem Aufwachen sogar noch ein bisschen betrunken, was aber perfide ist: Man spürt dadurch die Schmerzen weniger und wähnt sich in trügerischer Ruhe. Ein paar Stunden nach dem Aufstehen schlägt der Kater dann aber voll ein. Auf dieser Katerstufe kann man sich noch irgendwie auf die Uni oder in den Job schleppen, an sinnvolles Arbeiten ist aber nicht zu denken. Man wartet nur noch darauf, ins Bett zu kommen und sich dort Serien und/oder Filme anzuschauen, während man Junk Food zu sich nimmt. Einmal dort angekommen, kann das Ganze aber sogar relativ angenehm sein. 3. Der-ich-kann-gar-nichts-mehr-Kater: Es geht wirklich nichts mehr. Speiben, stöhnen, herumwälzen. Essen geht nicht wirklich. Man geht nicht mehr ans Handy und hofft auch inständig, dass sich niemand auf Facebook meldet. Selbst Fernsehen schauen ist zu anstrengend. Es gibt nur noch ein Ziel: Den Tag so gut und schnell wie möglich überstehen. Verkatert möchte man meist keinen Menschen sehen. Ist man doch dazu gezwungen, lässt man sein Gegenüber demonstrativ spüren, wie schlecht man sich fühlt. Man will keine falschen Erwartungen wecken, gleichzeitig aber auch bemitleidet und vielleicht auch ein bisschen bewundert werden. Ersteres bleibt meistens aus – für einen Kater bekommt man kein Mitleid, man ist ja selbst schuld. Allerdings kann man gerade in jungen Jahren mit einem Kater noch ordentlich angeben. So wie das aufgeschrammte Knie früher ein Beweis war, dass man sich getraut hat, einen Trick mit dem Skateboard zu versuchen, ist auch der Kater der Beweis für das Erlebte. Wer sich an die 80er erinnern kann, der hat sie nicht miterlebt, heißt es in einem berühmten Bonmot von Falco. Der Kater ist ein universelles Thema. Es existieren tausende Tipps und angebliche Heilmittel, die einen Kater verhindern oder zumindest kurieren sollen. Man soll sich bewegen (oder auch nicht), man soll fettig oder salzig essen. Und so weiter. Weil der Kater so universell ist und jeder weiß, wie man sich dabei fühlt, ist er ein häufig behandeltes Thema der Popkultur. Im Film – man könnte hier die „Hangover“-Trilogie, aber auch viele Beiträge auf der YOUKI erwähnen – wie auch in der Musik.
10 Hangover-Songs: 1. Johnny Bond – „Sick, Sober, and Sorry“ 2. The Weeknd — “Coming Down” 3. Kris Kristofferson — “Sunday Morning Coming Down” 4. The Smiths — “Heaven Knows I’m Miserable Now” 5. The Kills — “Good Night, Bad Morning” 6. Louis Jordan — “What’s The Use Of Getting Sober (When You’re Gonna Get Drunk Again?)” 7. Lee Hazlewood – „The Night Before“ 8. Sublime – „What Happened“ 9. Jason Mraz – „Sleep All Day“ 10. Modest Mouse – „The Good Times Are Killing Me“ Gerade letzterer Song zeigt aber auch, was der Kater ebenEs gibt verschiedene Abstufungen des Katers. 1. Der-ich- so ist: Ernüchterung. Die Erkenntnis, dass die Dinge nicht so glaub-ich-hab-gestern-ein-bisschen-was-getrunken-Kater: schön sind wie man dachte. Ein Rausch ist immer auch ein Alles geht noch irgendwie. Das Aufstehen fällt schwerer, die Urlaub aus dem Alltag, ein kurzzeitiges Entfliehen aus dem erste Tageshälfte ist ein bisschen dumpfer, man bewegt sich normalen Leben. Aber jeder Urlaub geht vorbei. Nach dem langsamer. Man spürt die 2-3 Bier des Vortages, aber ein nor- Schuss kommt die Stille, nach der Extase das Runterkommen, males Leben ist noch relativ unproblematisch möglich. nach der Euphorie der Kater. Wie es in einem oft geteilten 2. Der-hoffentlich-komm-ich-bald-ins-Bett-Kater: Man wacht Spruch aus dem Englischen heißt: „Getting drunk is just bormit dem Wort „Scheiße!“ im Mund auf. Kopfschmerzen, wenig rowing happiness from tomorrow.“
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Der Morgen danach Scheiße. Wo bin ich? Kenn ich diese Wand? Lieber noch einmal die Augen schließen. Die Fragen und unangenehmen Antworten kommen noch früh genug. Ok, jetzt aber wirklich. Vorbei an der schwerenden Lähme des Körpers. Bewegung. Bewegung! Die Lider öffnen, dieses Mal bewusst. Ok – die Tapete sehe ich nicht zum ersten Mal. Ich glaube ich liege in meinem Bett. Immerhin. Arm bewegen, auf das Handy schauen. Erst 9 Uhr? Warum bin ich schon wach? Alkohol lässt einen schneller einschlafen, verursacht aber – vor allem in der zweiten Hälfte der Nacht – einen unruhigen Schlaf und kürzere Traumphasen. Ingesamt schlafen Betrunkene kürzer, schlechter und weniger erholsam. Ok. Nächster Schritt: Wo war ich gestern? Ich erinnere mich, dass wir uns gegen neun getroffen haben. Dann haben wir angefangen was zu trinken. Dann waren wir zuerst in diesem einen Schuppen, und wir haben sicher gegen drei nochmal die Bar gewechselt. Aber dann? Wer war da noch dabei? Und wie bin ich nach Hause gekommen? Alkohol kann Gedächtnislücken verursachen. Alkohol hat Einfluss auf die Rezeptoren im Gehirn, sodass die Kommunikation zwischen den Nerven gestört ist. Oft funktioniert deshalb die Übertragung vom Langzeit ins Kurzzeitgedächtnis bei Betrunkenen nicht mehr richtig. Das erklärt, warum wir uns nachts noch an Dinge erinnern, am nächsten Morgen aber nicht mehr. Die Wahrscheinlichkeit für Blackouts hängt von Menge und Art des konsumierten Alkohols, aber auch stark von genetischen Faktoren ab. Scheiße, mein Kopf. Ich habe stechende Kopfschmerzen. Es dröhnt und hämmert in meinem Kopf. Mir ist schlecht. Ich glaube nicht, dass ich speiben muss, aber mir ist extrem flau im Magen. Was ist das für ein Geschmack in meinem Mund? Als wäre mir etwas den Rachen runtergeklettert und gestorben. Ahhhh. Bin ich schlapp. Wenn ich versuche, mich zu bewegen, sticht es in meinem Kopf. Verdammt. Was für ein Kater! Die körperlichen Schmerzen eines Katers werden vor allem durch zwei Dinge verursacht: Zum einen die Dehydration des Körpers. Man verbraucht mehr Flüssigkeit als man zu sich nimmt, weshalb der Körper dem Blutkreislauf Wasser entzieht, was zu starken Kopfschmerzen führt. Zum anderen verursacht – vereinfacht gesagt – der Abbau des Ethanols ebenso physische Schwierigkeiten. Was habe ich getrunken? Bier auf jeden Fall. Wein? Ich glaube nicht. Aber an der Bar später auf jeden Fall Whiskey. Waren nicht auch ein paar Shots dabei? Sicher. Der ein oder andere Vodka wird es wohl gewesen sein. Ziemlich billiges Zeug. Hätte ich doch bloß nicht alles wild durcheinander getrunken. Alkohole entstehen während der alkoholischen Gärung durch Hefen und Bakterien. Diese wandeln Zucker in Ethanol (quasi den „guten“ Alkohol) um. 46
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Daneben entstehen aber auch Begleitprodukte, sogenannte „Fuselalkohole“. Zum Beispiel wenn zuwenig Zucker vorhanden ist oder Obstschalen in der Entstehung des alkoholischen Getränks involviert sind. Fuselalkohole sind giftig, aber im Normalfall in ungefährlicher Menge vorhanden. Ihr Abbau verursacht allerdings ziemliche Beschwerden. In manchen Getränken ist die Konzentration höher als in anderen. Zum Beispiel sollen Cognac, Obstler und Rum sehr katerfördernd sein. Dass das Mischen von Akoholsorten zum Kater führt, ist nicht belegt. Aufstehen. Die Glieder sind schwer wie Beton. Erstmal trinken. Wasser, Wasser, Wasser! Aufs Klo gehen. Mehr Wasser trinken. SMS-Ausgang kontrollieren. Ok, zumindest keine peinlichen Nachrichten an Leute geschrieben, denen ich nicht hätte schreiben sollen. Ein ausgehender Anruf um 4:15 Uhr, aber nur an jemanden, mit dem ich unterwegs war. Nichts Dramatisches. Erstmal eine Folge irgendwas im Fernsehen schauen. Runterkommen, raufkommen, warten bis die Erinnerung zurückkommt oder nicht. Hab ich was im Haus? Nudeln? Oder Pizza bestellen? Ich brauch was Fettiges. Flüssigkeitszufuhr ist das wichtigste Mittel, um gegen einen Kater vorzugehen. Große Mengen lösen zumindest das Problem der Dehydration relativ schnell. Allerdings verliert der Körper durch Alkohol auch viele Mineralien und Elektrolyte, weshalb zum Beispiel Brühe eine sinnvolle erste Katermedizin ist. Honig oder süße Früchte unterstützen aufgrund des enthaltenen Fruchtzuckers den Alkoholabbau. Ob fettiges Essen oder ein üppiges Katerfrühstück im Nachhinein helfen, ist umstritten. Sie bieten aber vor dem Trinken eine Grundlage, weil Fett Alkohol bindet und damit die Aufnahme verlangsamt. Heute bewege ich mich nicht. Es kommen immer wieder Erinnerungsfetzen. Scheiße – hab ich das wirklich gemacht? Vielleicht später mal jemanden von gestern kontaktieren. Wie sind denn die anderen nach Hause gekommen? Einfach warten, bis der Tag vorrüber geht. Morgen geht’s mir sicher besser. von Jonas Vogt
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Filmausschnitt „Bent“ von Michael McKay, Australien 2013
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S ein ch
von Susanne Seiberl „Ich bin süchtig nach Einhörnern.“ Mit diesem Statement überrascht mich eine junge Frau, die selbst beim YOUKI 2013 mitwirkt. „Sie sind lieb und unschuldig und reiten oft auf Regenbögen. Es gibt zahlreiche Filme darüber, wobei einer meiner Liebsten ‚Das letzte Einhorn‘ ist, der unter anderem auch Themen wie Verlust, Trauer und Melancholie behandelt.“ Mit dieser außergewöhnlichen Aussage im Kopf schwirre ich aus, auf der Suche nach anderen Süchten, die die Leute hier bewegen und frage mich ständig: Was ist eigentlich Sucht? Wikipedia beschreibt sie recht technisch als „umgangssprachlichen Begriff für verschiedene medizinisch-psychologische Krankheitsbilder“, wobei Redewendungen wie „süchtig nach Ruhm“ oder „süchtig nach Schokolade“ nichts mit der Definition der Sucht im medizinischen Sinn gemein haben. Das ist mir dann aber doch zu nüchtern, denn Sucht hat auch sehr viel mit Emotionen zu tun.
Am Anfang war der Ausbruch Der Ausbruch aus normalen Verhaltensweisen, die Überdrüssigkeit des alltäglichen Lebens, die Flucht vor Entscheidungen oder zu ernsten Angelegenheiten bewegt uns oft dazu, in eine andere Welt fliehen zu wollen. Wir wissen, dass wir nicht für immer fliehen können, aber auch nur ein paar Minuten oder Stunden in einer anderen Welt können oft schon hilfreich sein, um wieder gelassener in die „reale Welt“ einsteigen zu können. Da kommt zum Beispiel die Musik gerade richtig, in sie können wir eintauchen und durch sie können wir uns ablenken und einen klaren Kopf bekommen. „Als Filmkomponist bin ich in jede Musikrichtung verliebt und in alles, was ein bewegtes Bild zum Leben erwecken kann“, erzählt mir ein anderer Teilnehmer. „Ich gehe in der Musik auf, sie bedeutet mir sehr viel. Besonders beeindruckt mich, dass durch sie Emotionen verstärkt oder ganz erschaffen werden können und Inhalte einen komplett neuen Kontext bekommen können.“ Auch das Medium Film ist eine willkommene Ablenkung. Wir können uns mit den Protagonisten eines Filmes identifizieren oder uns klar und bewusst von ihnen abgrenzen. Wir können mit ihnen weinen oder über sie lachen. Wir können über gewaltige Bilder staunen – oder über wunderbar verpatzte Szenen schmunzeln. Als ich mich weiter umhöre, kommen andere Süchte zum Vorschein: „Meine Sucht ist ganz klar das Fernsehen. Nicht so sehr das klassische Fernsehen, sondern eher das Serienschauen im Internet. Ich liebe es, mich ein ganzes Wochenende lang abzuschotten und am Besten eine US-amerikanische Serie rauf und runter zu schauen. Das Wichtige daran ist das ‚serielle‘, dass es also nicht nach 90 Minuten aufhört, sondern immer weiter geht. Das Ganze nenne ich ‚kontemplatives Versenken‘, das Hineinkippen in eine andere Welt und alles andere vergessen.“ Dann gibt es da natürlich auch noch Alkohol und Drogen. Viele von uns trinken oft Alkohol, sei es um des Genusses willen, um in einen Rausch zu kommen oder um etwas zu feiern. Viele experimentieren mit Drogen, leichteren und härteren. Man
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ist jung, will gegen das Bild rebellieren, das alle von einem haben, gegen das Gesetz oder den eigenen Körper. An und für sich keine schlechte Sache, vorausgesetzt, man konsumiert in Maßen. Wenn man den Rausch aber einmal braucht, weil man glaubt, ohne ihn nicht leben zu können, entwickelt sich aus Experimentierfreude und anfänglichem Spaß schnell die Sucht, die als erstes unser Denken, dann nach und nach den Körper einnimmt.
Der Teufelskreis Sucht ist die totale Abhängigkeit von einer Sache, mit der einen wahrscheinlich so etwas wie eine Hass-Liebe verbindet. Das ununterbrochene Verlangen nach dieser einen Sache, von der man sich einredet, ohne sie nicht leben zu können. Sie steht im Mittelpunkt unseres Denkens, man sehnt sich nach ihr, nach dem Gefühl, das sie in einem auslöst. Mögliche Nebenwirkungen werden ignoriert. Egal ob der Körper darunter leidet, Hauptsache ich bekomme, was ich so dringend „brauche“. Man freut sich auf das nächste Erlebnis, in dem man in die Sucht eintauchen kann, die oft in einem Rausch oder Höhepunkt gipfelt. Etwas, das manchmal so gut tut, kann doch nicht schaden, oder? Darüber hinaus beinhaltet „Sucht“ immer das Nicht-MehrHerauskommen aus einer bestimmten Verhaltensweise oder einem Ritual. Ob es nun Alkoholsucht, Drogensucht, Spielsucht, Fernsehsucht oder Magersucht ist. Durch Drogensucht verliert man die Kontrolle über den Körper und oftmals auch viel Geld, durch Fernsehsucht verliert man Freundschaften und die Zeit, sich um Mitmenschen zu kümmern. Durch Einhorn-Sucht verliert man, gut dabei verliert man jetzt vielleicht nichts, aber man sieht: Verlust wird beim Thema „Sucht“ Großgeschrieben.
Nochmal so wie letztes Mal Während des Hochgefühls, des Gipfels der Sucht, muss man für Keinen funktionieren. Verpflichtungen und Mitmenschen sind nicht mehr wichtig, die eigenen Wahrnehmungen rücken in den Vordergrund und je nachdem, ob man sich gerade gut oder schlecht fühlt, ist das Gefühl von Rausch, der alle möglichen Formen annehmen kann, dann im Endeffekt genial oder fatal. Man schwört sich, das immer und immer wieder zu machen, schließlich ist der Rausch besser als das öde Alltagsleben und auch nicht so anstrengend, als da man sich im „normalen“ Leben oft mit Anderen auseinandersetzen muss. Man will weg von den anderen, allein sein mit sich selbst und verkriecht sich, um den Rausch in vollen Zügen genießen zu können. Man fühlt sich frei und stark, um alles zu machen, man bezwingt innerlich alles, was einen mit der „normalen Welt“ verbindet und verliert sich in dem Gefühl, plötzlich unbegrenzte Freiheiten zu haben. Die Welt wird mit anderen Augen wahrgenommen. Dann ist der Rausch zu Ende. Das Leben geht weiter.
Katerrezept von Fettkakao
Zutaten 200 Gram Räuchertofu 1 Dose Kidney Bohnen Öl (Olivenöl oder Rapsöl) 1 Zwiebel Pfeffer und Salz Petersilie Majoran
Tofustreich-Kater-Vurst
Die Zwiebel schälen, in ganz kleine Würfel schneiden und in einer Pfanne glasig werden lassen. In der Zwischenzeit die Kidney Bohnen aus der Dose lassen und in einem Sieb gut durchwaschen; wenn es sich ausgeht auch gleich den Tofu in Würfel schneiden. Und solltet ihr ganz schnell sein – auch die Petersilie klein hacken. Zu den glasigen Zwiebel etwa 2 Teelöffel Majoran geben, verrühren. Danach die gut ausgespülten Kidney Bohnen
Koch Utensilien: Pürierstab, eine Pfanne und ein Behältnis, in dem ihr mit dem Pürierstab rumwerkeln könnt. Achja, Schneidbrett und Messer sind auch zu empfehlen.
draufleeren. Alles in etwa 3 - 5 Minuten warm werden lassen. Den geschnitten Tofu in einen Behälter geben und das nicht mehr allzu heiße Kidney Bohnen-MajoranZwiebel-Gemisch oben drauflassen. Pfeffern, salzen und die geschnittene Petersilie dazu. Jetzt den Pürierstab nehmen und gut durchpürieren. so lange bis euch die Konsistenz zusagt. Der Aufstrich ist nun bereit für Brot oder ein Gurkenglas zum aufbewahren. Aber Achtung: das solltet ihr ganz bald essen - so wie die meisten frischgekochten Lebensmittel hält auch die Tofustreich Vurst nicht allzu lange.
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Das Zwischending von Kristina Kirova
Filmausschnitt â&#x20AC;&#x17E;Les Horizons Perdusâ&#x20AC;&#x153; von Arnaud Khayadjanian, Frankreich 2012
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Irgendwann im Leben kommt der Moment, in dem man auf einmal erwachsen ist und Entscheidungen treffen muss. Choose life. Choose a job. Choose a career. Choose a family. Choose a fucking big television. Choose washing machines, cars, compact disc players, and electrical tin openers. Choose good health, low cholesterol and dental insurance. Choose fixed-interest mortgage repayments. Choose a starter home. Choose your friends. Choose leisure wear and matching luggage. Choose a three piece suite on hire purchase in a range of fucking fabrics. Choose DIY and wondering who you are on a Sunday morning. Choose sitting on that couch watching mind-numbing sprit-crushing game shows, stuffing fucking junk food into your mouth. Choose rotting away at the end of it all, pishing you last in a miserable home, nothing more than an embarrassment to the selfish, fucked-up brats you have spawned to replace yourself. Choose your future. Choose life. But why would I want to do a thing like that? Das Trainspotting-Intro geht in die Geschichte ein. Es spricht wohl jedem Menschen aus der Seele, der gerade an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht. Egal welche Gratwanderung man durchlebt: Hinter einem liegt die vermeintlich beste Zeit, der beste Rausch seines Lebens. Und vor einem nichts als gähnende Leere. Beim besagten Rausch geht es aber nicht nur um exzessive Partyreihen oder Jugend- und Studentenrabatte für alles, sondern um etwas viel Simpleres. Es ist die allseits unterschätzte Unbeschwertheit, die mit zunehmendem Alter scheinbar flöten geht. Klar zuckt man jetzt abfällig mit den Schultern, was heißt das denn schon? „Emerging Adulthood“ nannte Psychologieprofessor Jeffrey Arnett eine Reihe von Alltagsbeobachtungen, die er vor etwa zehn Jahren gleich in eine Theorie verpackte. Die ist immer noch aktuell und beschreibt oben erwähntes Syndrom ganz gut. Es geht nämlich genau um die 17-26-jährigen, die nur langsam vom Teenietum ins Erwachsensein übergehen und dabei von schier unbändigbaren Existenzkrisen geplagt sind. Die Gründe dieser Krisen sind vielfältig. Bei den Eltern hat der junge Mensch das konkrete Ziel, sich lustige Hobbies zu suchen und die Matura zu bestehen. Sobald der kleine Vogel dann aber das gehegte Nest verlässt, wächst die Verantwortung ein eigenständiges Dasein aufzubauen. Über seine Berufung grübelnd, ergreift er also den erst- oder zweitbesten Pfad, allerdings ohne zu wissen wohin der dann so genau führt. Kramt man aber in den Memoiren eines TwentySomethings finden sich einige Überlegungen zum Thema – und „einige“ ist da eine dreiste Untertreibung. Es gibt kaum
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jemanden, der Studium oder Lehre absolviert hat und dann nicht bangend um eine Existenzberechtigung kämpft. Beruf und Selbstverwirklichung sind wichtig. In Michel Houellebecqs Roman „Karte und Gebiet“ bemerkt ein Charakter sogar, dass man sich heutzutage nur mehr durch seinen Beruf definiert. Der französische Autor hat zwar einen Hang zum Pessimismus, aber man muss ihm schon Recht geben, dass man gerade in unserer Leistungsgesellschaft schnell stolpern und zurückbleiben kann. Im Raum steht da aber vor allem die Frage nach der Zukunft und was man zwischen rationalen Kopfund emotionalen Bauchentscheidungen überhaupt machen will. Da ist nämlich eine große Kluft zwischen sogenannten ‚vernünftigen‘ Berufen, die einem graue Haare wachsen lassen und brotloser Kost, die Mensch zwar nicht reich, dafür aber glücklich macht. Hier ist der Moment gekommen einmal einzuhaken: Es ist ja nicht so, als hätte man keine Vorlaufzeit. Vielleicht studiert man eine gefühlte Woche, in der Realität dauert‘s dann aber doch ein paar Jahre länger. Zeit seine Zukunft zu planen hätte man da also reichlich. Darf Protostudent also meckern oder versucht der junge Meckerzausel da eher seine Faulheit zu legitimieren? Gibt es überhaupt das Recht auf einen selbsterfüllenden Beruf? Oder ist diese Erwartungshaltung nur deshalb gewachsen, weil man die ersten 25 Jahre die Kosten für sein Leben nicht tragen musste? Zwei YOUKI-Filme beschäftigten sich mit eben dieser Sache: Die Doku „Our Quarter-Life Crisis“ der 24-jährigen Kanadierin Sonia Suvagao und Arnaud Khayadjanians Kurzdrama „Les Horizons Perdus“. Das Durchschnittsalter der Filmemacher liegt hier bei 25 Jahren. Emerging Adulthood wird hier einmal dokumentarisch und einmal fiktiv bearbeitet. Im französischen „Les Horizons Perdus“ steht ein junger Mann im Zwiespalt, ob er in die Fischfang-Fußstapfen von Vater und Großvater treten oder seiner Leidenschaft Musik nachgehen soll. Druck, Verpflichtung und Erwartungen reden ihm ins Gewissen, wobei der Regisseur das Ende glücklicherweise offen lässt. „Our Quarter-Life Crisis“ ist dagegen eine Sammlung echter Geschichten von krisengeschüttelten Mittzwanzigern. Eine 24-jährige Studentin hat Angst, die große Liebe zu verpassen, während ihr Kollege nach musikalischer Selbstverwirklichung strebt und keine Muse findet. Sonia Suvagaos Film spielt teils in Kanada und teils in Wien. Er ist aber keineswegs fertig. „We can‘t finish this film without you!“ titelt ihre Seite ourquarterlifecrisis.ca und versteht sich als Plattform für Krisenlinge. Stellt man sich also eine der nachfolgenden Fragen, wäre es vielleicht eine Überlegung wert an ihrem Projekt teilzunehmen: Do you ever feel like you were thrown overboard into a world that works differently with only your degree to keep you a float? Do you question if the path you are on is the right one for you? Do you wonder why your life is far from as perfect as your friends on Facebook? Are you between 19-33 and disappointed about where you are in life? Die Aussichten sind aber nicht ganz so unrosig wie es jetzt scheint. Das Leben ist ein Glückskeks. In der Hinsicht sollte man versuchen die Dinge – und auch sich selbst – nicht so ernst zu nehmen. Etwa wie die schrulligen Keks-Bonmots à la „Wer den Kern essen will, muss die Nuss knacken“, „Auch wenn Sie unmusikalisch sind, pfeifen Sie drauf“ oder „Abgesehen vom Gebirge kommt man ohne Schwindel nicht höher“. Letztendlich tut sich immer und überall eine Chance auf. Da wir alle Superhelden sind, packen wir sie beim Schopf. Aja und so etwas wie verpasste Gelegenheiten gibt es nicht, weil immer welche nachkommen – außer man sperrt sich auf unbestimmte Zeit in seine Küche und spült sein Smartphone ins Klo.
Gewinner Plastic Bertrand — Der Preisträgerfilm thematisiert auf raffinierte Weise den Öko-Horror des Plastikmülls. Komische Details wie ein vibrierender Vogel, der gerade ein Handy verschluckt hat, kippen in tragische Beobachtungen, wenn er im nächsten Moment an diesem zugrunde geht. Ebenfalls beeindruckend ist die liebevoll in Szene gesetzte collagenhafte Legeanimation. Hier werden gekonnt unterschiedliche Materialien wie Stoffreste, Zeitungspapier oder Fotos mit dem Plastikmüll zu stimmigen Bildern kombiniert. Graceland — Ohne die Protagonistin vorzuführen oder nur im Geringsten der Lächerlichkeit preiszugeben, schafft der Filmemacher das Portrait einer Misanthropin, deren Obsession für Elvis Presley ihr Leben vollständig einnimmt. Die zum Schrein umfunktionierte Wohnung stellt den Schauplatz für ein dokumentarisches Kammerspiel dar, das der Filmemacher mit einfachen Mitteln konsequent inszeniert. Auschwitz on my mind — Obsessionen: Die Alten sind von der Vergangenheit belagert, die Jungen fasziniert das Thema Sex. Der Gewinnerfilm erzählt handwerklich perfekt eine zarte aufkeimende Liebesgeschichte, da, wo man sie nicht erwartet. Ein mutiges und berührendes Werk, das es wagt Auschwitz nicht nur als Ort der Vernichtung sondern auch als Ort der Versuchung zu zeigen und selbstbewusst zwischen Tragik und Komik pendelt. Wenn also die Lehrerin dem jungen, israelischen Teenager-Paar sagt: „You can forget about Auschwitz!“, dann ist das nicht nur eine Bestrafung für ungehorsame Jugendliche, sondern auch eine Aussicht für eine neue Generation an jungen Juden, denen man ein Dasein mit weniger Angst und stattdessen ein befreites Leben wünscht. Noch ist nichts passiert — Dem Kollektiv von jungen Filmemacherinnen und Filmemachern ist es gelungen das ihnen wichtige Thema des „Mobbings in Schulen“ gekonnt in eine nachvollziehbare Geschichte zu verpacken. Mit einer berührenden schauspielerischen Leistung und der ebenso talentieren wie experimentierfreudigen Nutzung der filmischen Werkzeuge erzählen sie von den Ängsten und Unsicherheiten eines jungen Menschen - der im Durcheinander der Gefühle nach den richtigen Entscheidungen sucht.
Graceland Christian Hödl Germany 2013 19 years old Internationaler Wettbewerb Age 15-20
Paper Boat — Es geht um Träume, die wir wieder leben müssen. Und es geht um eine Gesellschaft, die sich Platz schaffen muss für verschiedene Ansichten. So schweift der Film ganz wunderbar unvorhersehbar dahin, durch eine Nacht und erschafft eine künstliche Stille in der Platz ist für die Fragen einer neuen Generation im heutigen Ägypten. Ein Plädoyer für die Schönheit von Dialogen in der Welt. Semra Ertan — Eine Frau fragt sich, ob sie nun ungemein glücklich oder heimlich unglücklich ist. Später wird sie dann sagen, ihr Name sei Ausländer. Über handgeschriebene Textfragmente, Fotos, Zeitungsausschnitte, Originaltonaufnahmen und Fernsehnachrichtenfetzen erstellt dieser Film ein besonderes Porträt einer mutigen Frau, die gegen Fremdenfeindlichkeit protestierte und sich im jungen Alter von 25 Jahren selbst verbrannte. Der Filmemacherin gelingt es sie nicht nur als Opfer darzustellen, sondern in diesem Porträt eine junge, intelligente Künstlerin und Poetin zu zeigen und ihr dadurch eine Stimme zu verleihen. Dieser Film folgt keinem ästhetischen Trend, um mit ganz wenigen Mitteln eine eigene Film- und Formsprache zu finden und so ein ganz persönliches Bild einer Frau und einer Zeit zuschaffen.
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Noch ist nichts passiert David Spiegl, Florian Eibel, Shannah Wieser, Laura Anninger – HTBLVA Ortweinschule Graz Austria 2012 18 years old Lobende Erwähnung Age 15-20
Semra Ertan Cana Bilir-Meier Austria 2013 26 years old Innovative Film Award
Plastic Bertrand Kidcam animation studio Belgium 2013 12 years old Internationaler Wettbewerb Age 10-14
Auschwitz on my mind Assaf Machnes Israel 2012 26 years old Internationaler Wettbewerb Age 15-20
Paper Boat Helmy Nouh Egypt 2012 24 years old Lobende Erwähnung Age 21-26
Infinite Florian Bayer & Austrian Apparel Austria 2013 | 25 years old Publikumspreis / Audience Award
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YOUKI ist mehr als ein Filmfestival. Es ist auch ein Ort, an dem sich Jugendliche ausprobieren können. Zum Beispiel bei einem Illustrationsworkshop. Von Mittwoch bis Freitag malten, klebten und bastelten die überwiegend sehr jungen Teilnehmer an verschiedenen „Plattencovern“. Ziel des Workshops: Die Charaktereigenschaft eines Musikstücks einzufangen und mit analogen Mitteln zu Papier zu bringen. Zufall, Zweckentfremdung und „Trial and Error“ spielten dabei eine größere Rolle als die korrekte Anwendung von Techniken oder ein tadelloses Vorgehen nach Plan. Geleitet wurde der Workshop von Julia Guther, Illustratorin und Grafik-Designerin aus Berlin. Guther malt und collagiert eine Vielzahl der Plattencover, Sticker, Poster und Merchandise-Artikel, des Labels „Morr Music“.
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Impressum Festivalleitung
Peter Schernhuber, Sebastian Höglinger
Leitung Wettbewerbsprogramm Anna Spanlang Gästebüro Eva Krenner Gästebetreuung Miriam Danter, Liser Kainz, Fahrer Florian Ettl, Severin Gonbocz Presse/Kommunikation Sebastian Höglinger Koordination Vermittlung Elisabeth Zach Sponsoring Marius Hrdy, Peter Schernhuber Kooperationen Sebastian Höglinger, Peter Schernhuber Media Meeting Sebastian Höglinger, Peter Schernhuber Leitung Filmsofa und Ko- Laura-Lee Röckendorfer ordination Moderationen Leitung YOUKImagazin Jonas Vogt Grafik YOUKImagazin Sarah Schögler, Lea Pürling Lektorat Martin Mühl Web Gerald Kriz, Sebastian Höglinger Sujet Ulrich Kehret, Agnes Miesenberger (tp3) Kommunikations design/Linz, Orenda Sophie Mohan Fotos Lukas Maul Trailer Amira Ben Saoud Technische Leitung Rahmen- Boris Schuld programm und Workshops Produktion Sebastian Achleitner, Andi Ecker, Florian Ettl, Severin Gonbocz, DavidHaunschmidt, Marius Hrdy, Markus Linsmaier, Elena Martin-Lobera, Lukas Maul, Sarah Oos, Anna Prischl, Laura-Lee Röckendorfer, Gregor Schernhuber, Boris Schuld, Team Alter Schlachthof, Team Medien Kultur Haus, Lukas Weiss, Erni Wiesinger u.a. Vorführer Andreas Eli Moderation International Laura-Lee Röckendorfer, Lena Steinhuber, Joan Competition Rieder, Anton Kolmbauer, Lukas Weiß, Christina Thurner, Aslihan Özüyilmaz, Kurator_innen: Petra Erdmann, Sebastian Höglinger, Maria Poell, Peter Schernhuber Marketing und Koordination Sackerl-Award:
Gregor Schernhuber, Sarah Oos
Kantine Team Fettkakao: Andi Dvorak, Matthias Peyker, Herta Schernhuber Vorstand Media Space Sebastian Höglinger, Laura-Lee Röckendorfer, Peter Schernhuber
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YOUKI 16 International Film Competition Age Limit: 26 Deadline: August 10 Prizemoney in total: Euro 6â&#x20AC;&#x2030;500 www.youki.at