Festschrift Kathi

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Dass die Not in der Nachkriegszeit groß war, erlebten Käthe und Kurt Thiele täglich. Geld war knapp. Wer Essen auf dem Tisch haben wollte, musste ein Organisationstalent sein. Eier, Mehl, Zucker – es mangelte eigentlich an allem. An Kuchen backen war erst gar nicht zu denken. Doch Not machte erfinderisch. Und so begannen die experimentierfreudige Hausfrau Käthe Thiele und ihr Mann Kurt mit der Kreation erster Brotaufstriche und herzhafter Produkte. Die Thieles waren auf den Geschmack gekommen und gründeten am 31. März 1951 ihr eigenes kleines Unternehmen. Kathi war geboren.


Mit einfachsten Mitteln brachten die frisch gebackenen Unternehmer die Produktion ins Rollen – zunächst im Garagenkomplex ihres Mietshauses. Das Geschäft nahm Fahrt auf und schon bald bekamen sie Appetit auf mehr. Sie entwickelten eine neuartige Allround-Backmischung: Das Tortenmehl war erfunden. Kurt Thiele empfand die Idee als so überzeugend, dass er die Kathi „Tütenkuchen“ höchstpersönlich in seinem alten Opel Olympia von Geschäft zu Geschäft fuhr. Seine Produkte erklärten sich fast von selbst und gelangen immer. Große Überredungskünste brauchte er deshalb nicht.


Schon nach kurzer Zeit war klar: Die Menschen wollten Kuchen! Immer mehr Kuchen – in allen erdenklichen Varianten. Durchaus verständlich, blieben die Regale in der DDR doch übersichtlich, während in Westdeutschland das Wirtschaftswunder blühte. So zeigte sich Kathi entschlossen und erweiterte das Sortiment. Zum einen bei den Backmischungen, zum anderen bei den Trockenfertiggerichten wie Kartoffelpuffern, Bratensaucen und Tütensuppen oder Gulasch mit Klößen. Schon bald war Kathi aus der ostdeutschen Küche nicht mehr wegzudenken. Der Einzige, dem dieser Erfolg überhaupt nicht schmeckte, war der Staat. Und so kam es, wie es kommen musste.


1972 bricht für Käthe und Kurt Thiele eine Welt zusammen. Schon 1969 hatte das sozialistische Regime seine Macht demonstriert und die Unternehmer gezwungen, Maschinen und Rezepte für Fertiggerichte, Suppen und Klöße dem Staat zu überlassen. Künftig durften die Thieles nur noch Kuchenmischungen produzieren. Drei Jahre später kam schließlich das amtliche Aus. Der lebendige Familienbetrieb „Kathi“ wurde das einheitsgraue „VEB Backmehlwerk Halle“. Entschädigung gab es keine. Ein Tiefschlag, von dem sich Kurt und Käthe Thiele nie mehr erholen sollten. Umso entschlossener glaubte Sohn Rainer an das Lebenswerk seiner Eltern. Er wusste: Zeiten ändern sich, auch wenn das manchmal etwas länger dauert.


Während der Staat versucht, mit dem Vorzeigeunternehmen Kathi sozialistisch zu glänzen, verpflichtet sich Rainer Thiele auf seine eigene Weise dem Familienbetrieb. Er kümmert sich um Vater Kurt und Mutter Käthe. Und um seine eigene kleine Familie. Was er damals nicht wissen kann, aber wovon er sicher geträumt hat: Seine Hoffnungsträger Marco und Thomas werden eines Tages das drittgrößte Unternehmen für Backmischungen in ganz Deutschland leiten. Im März 1989, die politische Wende liegt bereits in der Luft, stirbt Gründerin und Namensgeberin Käthe Thiele. Versöhnlich, denn ihr Sohn Rainer hat ihr versprochen, Kathi zurückzugewinnen.


Zwanzig Jahre hat Rainer Thiele gewartet. Ein gutes Training für die Geduldsprobe, die ihm nun der Reprivatisierungsantrag abverlangt. Den hatte er gleich am 10. November ‘89 gestellt. Die nötigen Unterlagen dafür waren allerdings über die halbe DDR verstreut. In der für Kathi zuständigen „Umwandlungskommission“ saßen teilweise dieselben Leute, die 1972 den Betrieb enteignet hatten. Rainer Thiele war fassungslos. Als er nach 13 Monaten Papierkrieg endlich die ersehnte Genehmigung in den Händen hielt, blieb ihm vor Freude das Herz stehen. Diagnose Herzinfarkt! Zum Glück erholte sich Rainer Thiele schnell, sodass er Kathi ab 1991 erfolgreich durch die Wendewirren führen konnte und schließlich dahin, wo das Unternehmen heute steht: an die Spitze des ostdeutschen Marktes.


Kathi kann nicht nur auf bewegte Zeiten blicken, sondern vor allem auf eine tolle Familie, die sich mit aller Kraft für eine einfache Idee stark gemacht hat: Kuchen backen mit wenig Aufwand. Dieses Erfolgsrezept geht auch 60 Jahre später auf. In dritter Generation führen heute Marco und Thomas die Geschäfte – mit der gleichen Leidenschaft und Experimentier-Freude wie einst die Großeltern. Was die nächsten 60 Jahre bringen, kann niemand wissen. Aber so viel ist heute schon sicher:


Grußwort von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer für die Festschrift zum 60-jährigen Bestehen der KATHI Rainer Thiele GmbH am 31. März 2011 Ein wichtiges Standbein der Wirtschaft unseres Landes ist die Ernährungsbranche. Davon kann man sich jedes Jahr aufs Neue auf der Grünen Woche in Berlin überzeugen. Die KATHI Rainer Thiele GmbH ist dort vertreten, seit Sachsen-Anhalt sich das erste Mal auf der weltgrößten Ernährungsmesse präsentierte. Doch die Geschichte von KATHI reicht viel weiter zurück. In diesen Tagen wird das Unternehmen 60 Jahre alt. Das ist ein stolzes Jubiläum. Und dies gilt umso mehr, als auch schwierige Jahre zu überstehen waren. Nach der Gründung im Jahr 1951 wurden dem Familienbetrieb in der DDR immer wieder Steine in den Weg gelegt und schließlich erfolgte sogar die Enteignung. Die Wende der Jahre 1989/90 kam für die Familie Thiele zur rechten Zeit. Sie war für die Thieles, wie für viele von uns, ein hoffnungsvoller, aber zugleich auch schwieriger Neubeginn. KATHI hat die Chancen, die sich dem wieder gegründeten Unternehmen vor 20 Jahren boten, genutzt. KATHI-Backmischungen sind inzwischen nicht nur Marktführer in den neuen Bundesländern, sie werden auch deutschlandweit wie international immer stärker nachgefragt. Besonders freut mich, dass in den letzten beiden Jahrzehnten bei KATHI nicht nur zahlreiche neue Arbeitsplätze entstanden sind, sondern, dass das Unternehmen sich immer auch vorbildlich in der Ausbildung junger Menschen engagiert hat. Das Beispiel KATHI zeigt, wie mit Mut und innovativen Ideen Unternehmer Erfolg haben können und das nun schon in dritter Generation. Ich gratuliere KATHI und der Familie Thiele sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Unternehmens ganz herzlich zum 60-jährigen Firmenjubiläum und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und weiterhin viel unternehmerischen Erfolg.

Prof. Dr. Wolfgang Böhmer Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt


60 Jahre KATHI Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados: Die Familie feiner Backideen feiert ihren 60. Geburtstag. Das ist für uns alle ein Grund zur Freude und zum Stolz auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Herzlichen Glückwunsch! Die Kathi Rainer Thiele GmbH steht für eine Firmenphilosophie, die Tradition und Erneuerung in sich vereint. Das Familienunternehmen hat in den vergangenen 60 Jahren die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche im Osten Deutschlands unmittelbar erlebt. Es gab schwierige Zeiten, denn private Initiative und eigenständiges Handeln waren in der DDR nicht gefragt. Heute, mehr als 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, ist Kathi mit seinen Qualitätsprodukten gefragter als jemals zuvor. Rainer Thiele hat den Staffelstab übergeben, das Haus ist hervorragend bestellt. In einem deutschen Sprichwort heißt es: „Hoffe wenig, wirke viel – das ist der schnellste Weg zum Ziel“. Ganz in diesem Sinne wünsche ich der Unternehmensleitung sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine zielorientierte und erfolgreiche Zukunft!

Dagmar Szabados Oberbürgermeisterin der Stadt Halle (Saale)



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