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Erkenntnisse zu Corona-Ausbrüchen mithilfe von Abwasserproben
Dem Virus auf der Spur: Mithilfe von Abwasserproben und Daten zu früheren Infektionsherden berechnet eine KI den Ort, an dem ein aktueller Corona-Ausbruch am wahrscheinlichsten lokalisiert werden kann.
Grafik: ORI GmbH
INTELLIGENTES FRÜHERKENNUNGSSYSTEM LIEFERT MITHILFE VON ABWASSER-PROBEN ERKENNTNISSE ZU CORONA-AUSBRÜCHEN Der Berliner Engineering-Spezialist IAV hat ein Konzept entwickelt, das mittels einer intelligenten Auswertung öffentlich verfügbarer Daten und Analyseergebnissen von Abwasserproben aus dem Kanalisationsnetz Informationen zur Ausbreitung von Covid-19 ableitet. Das ermöglicht eine deutlich frühere Erkennung sowie genauere Lokalisation von Infektionsherden. Der nächste Schritt ist der Test-Einsatz in einem Pilotprojekt.
Aktuell steigende Corona-Fallzahlen machen deutlich, dass eine rasche Nachverfolgbarkeit des Infektionsgeschehens ein ausschlaggebender Faktor im Umgang mit Covid19 ist. Dr. Matthias Pätsch, verantwortlich für das Business Development Wasserwirtschaft bei IAV: „Zwischen einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus, dem Auftreten erster Symptome, der Entnahme eines Abstriches, dem Vorliegen eines Testergebnisses und der Meldung an die zuständigen Ämter können leicht mehrere Wochen vergehen. Währenddessen kann sich das Virus unbemerkt weiterverbreiten. Im Abwasser ist die Erreger-RNA (Ribonukleinsäure) hingegen unmittelbar nachweisbar. Führen wir die Daten aus Abwasserproben mit öffentlichen Test- und Infektionsdaten zusammen und werten diese intergiert aus, können wir eine Infektionswelle früher erkennen und genauer lokalisieren als bislang möglich.“ Das von IAV entwickelte Konzept eines Früherkennungssystems basiert auf zwei Entwicklungen: Einer bereits in der Praxis erprobten, intelligenten und cloudbasierten IoT-Plattform zur Datensynthese und -auswertung und einer KI-gestützten Methode zur intelligenten Positionierung von Vorrichtungen im Kanalisationssystem, die automatisiert Proben entnehmen können (sogenannte Probenehmer). IAV kooperiert bei diesem Projekt mit der Technischen Universität Berlin (Institut für Siedlungswasserwirtschaft) und der ORI Abwassertechnik GmbH, einem führenden Hersteller automatisierter Probenehmer mit Datenfernübertragung für Kanalsysteme. Die TU Berlin ist für die Entnahme und Analyse der Proben zuständig, während die ORI GmbH die Probenehmer und Messtechnik liefert. IAV wiederum stellt die IT-Umgebung, verantwortet die Datenanalyse und -auswertung und bildet damit die Klammer des gesamten Projekts. „Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wir bei IAV Datenmanagement- und KIKnow-how aus der Automotive-Entwicklung in neue Anwendungsfelder übertragen, mit exzellenten Partnern an unserer Seite weiterentwickeln und damit Mehrwert stiften“, so Matthias Kratzsch, Geschäftsführer Technik von IAV.
KI BERECHNET WAHRSCHEINLICHKEIT FÜR POSITIVE PROBEN
Die IoT-Plattform von IAV erfasst – unter strikter Einhaltung der gesetzlichen Datenschutzvorschriften – die öffentlich verfügbaren Gesundheitsdaten von Ämtern und weiterer öffentlicher Institutionen sowie die Daten der vernetzten Probenehmer, wertet diese in Echtzeit aus und bildet das Ergebnis auf einer topografischen und individuell skalierbaren Karte ab. Um zu identifizieren, wo die Probenehmer in der Kanalisation positioniert werden sollten, untersucht und testet IAV die Nutzung einer künstlichen Intelligenz auf Basis eines sogenannten Bayesschen Netzes. Mit Hilfe initialer Probenahmen im Klärwerk und in der Kanalisation, historischer Daten früherer Infektionsausbreitungen sowie Daten über Infektionsherde aus Humantests kann die Wahrscheinlichkeit für
positive Proben an einem bestimmten Punkt im Kanalsystem berechnet werden. Ziel ist es dann, in dem mitunter von tausenden Zu- und Abflüssen gespickten Kanalsystem weitergehende Proben an jenen Knotenpunkten zu nehmen, die eine hohe Trefferquote versprechen – und damit eine besonders hohe Aussagekraft für die Lokalisierung eines Infektionsgeschehens besitzen.
BEISPIEL-SZENARIO FÜR DIE VORGANGSWEISE
Ein stark vereinfachtes Beispiel: In einem der Klärwerke Berlins wird in einer Abwasserprobe die Erreger-RNA gefunden. Damit ist klar, dass es in dem angeschlossenen Abwassernetz einen positiven Fall geben muss. Im nächsten Schritt werden die Probenehmer an den Hauptabwassersammler jenes Kiezes oder Stadtgebietes gebracht, der die statistisch größte Wahrscheinlichkeit für einen Treffer aufweist, etwa, weil in besagtem Kiez/ Stadtviertel bei einer ersten Infektionswelle besonders viele Fälle registriert worden waren. Wird in der nun genommenen Probe die Erreger-RNA registriert, wird der Infektionsherd mit weiteren Proben an mittels KI ausgewählten Punkten im betroffenen Kiez/ Stadtviertel eingegrenzt – wenn möglich bis auf ein Wohnviertel oder einen Wohnblock. Bleibt ein positiver Fund aus, lässt sich das
Sobald in einem Klärwerk die Erreger-RNA nachgewiesen werden kann, ist klar, dass es in dem angeschlossenen Abwassernetz einen positiven Fall geben muss.
entsprechende Stadtgebiet ausschließen und die Ressourcen können auf ein anderes Stadtgebiet fokussiert werden. Dr. Matthias Pätsch erklärt: „Die große Herausforderung besteht neben der Identifizierung der Viren-RNA darin, zu entscheiden, wo genau man sinnvollerweise nach der RNA suchen sollte. Ein Kanalnetz hat tausende Verzweigungen und in jeder variieren ständig die Strömungen. Mit der KI-gestützten Methode kommen wir
Foto: zek
schneller zu einem aussagekräftigen Ergebnis. So lässt sich wertvolle Zeit bei der Erkennung und Lokalisierung eines neu auftretenden Infektionsherdes einsparen.“ Das Konzept des Früherkennungssystems befindet sich in der Umsetzungsphase. Ein nächster Schritt auf dem Weg zur kommerziellen Anwendung ist der Test-Einsatz in einem Pilotprojekt mit einer Stadt oder einem Landkreis.