10 minute read
Wasserkraftspezialist geht in Sachen Digitalisierung voran
Seit Jahren investiert der bekannte Wasserkraftspezialist Global Hydro in eine weitreichende Digitalisierungstransformation. Heute gehört man in den Zukunftsbereichen Machine Learning und Predictive Maintenance zu den Vorreitern der Branche.
Foto: Global Hydro
OBERÖSTERREICHISCHER WASSERKRAFTSPEZIALIST GEHT IN SACHEN DIGITALISIERUNG ENTSCHLOSSEN VORAN
Unter dem Leitmotiv „Digovation 2025“, in dem die Begriffe Digitalisierung und Innovation stecken, hat sich das oberösterreichische Wasserkraftunternehmen Global Hydro ambitionierte Ziele gesteckt. Neben avisierten Innovationen in den Bereichen Maschinenbau, Geometrien und Fertigungstechnologien werden auch Digitalisierungsprojekte vorangetrieben. Darunter fallen auch hochaktuelle Trends wie Machine Learning oder Predictive Maintenance, also Teilaspekte des weiten Themenfelds der künstlichen Intelligenz. Mittels selbständiger Lernroutinen sollen die Maschinen schon bald eigenständig Entscheidungen treffen und Zukunftsszenarien vorausberechnen. Bei Global Hydro keine Zukunftsmusik: Prototypen befinden sich bei einigen Kraftwerken bereits im Testbetrieb.
Kaum ein anderes Thema hat die Wasserkraftbranche in den letzten Jahren stärker elektrisiert als das Phänomen der Digitalisierung. Es sind Schlagworte wie Digital Twin, Big Data, Machine Learning oder Predictive Maintenance, die für Hochbetrieb in den F&E-Abteilungen der Branchenleader sorgen. Ein Unternehmen, das dabei mit den Takt angibt, ist der bekannte Wasserkraftallrounder Global Hydro aus dem oberösterreichischen Niederranna. Schon vor über zwei Jahren hatten die Mühlviertler unter dem Slogan „Digovation 2025“ ein höchst ambitioniertes Programm ins Leben gerufen, in dem die Digitalisierungstransformation einerseits auf den Bereich der „Digital Workplaces“ und anderseits auf die Digitalisierung am Kraftwerk und den Produkten verteilt wurde. „Um diese Projekte umzusetzen, haben wir hausintern die neue Abteilung ‚HydroLab‘ und innerhalb des Software Developments das neue Team ‚DataScience‘ gegründet. Je nach Aufgabe und Anforderung arbeiten in diesem Team Mitarbeiter aus den Fachbereichen Data Engineering, Data Science, Software Engineering, oder Messtechnik zusammen“, umreißt Richard Frizberg, Geschäftsführer bei Global Hydro und zuständig für Business Development, Finanzen und HR, die Kompetenzverteilung im Unternehmen.
EXPERTEN BILDEN DAS TEAM Das vor rund einem Jahr in dieser Form ins Leben gerufene HydroLab übernimmt dabei im Wesentlichen die Grundlagenentwick-
Grafik: Pixabay
Foto: Global Hydro Foto: Global Hydro
Ein entscheidender Faktor bei Global Hydro: Teamwork
lung, die Messversuche und die Interpretation der der Messreihen – hier werden also die grundlegenden Erkenntnisse für die Weiterentwicklung gewonnen. „In diesem Team sind hauptsächlich Experten des Hydraulik-Engineerings und der Messtechnik aktiv. Das Team der DataScience übernimmt diese Daten und versucht die Interpretation anhand von Daten und Machine-Learning-Modellen automatisiert nachzustellen“, skizziert Thomas Stütz, Leiter des Bereichs Electrical Engineering and Software Development, den weiteren Modus operandi. Er verweist auch darauf, dass darüber hinaus regelmäßig die Zusammenarbeit mit renommierten Forschungseinrichtungen und Universitäten sowie Technologiepartnern wahrgenommen wird.
WIE DIE MASCHINE LERNT Gefragt nach der Definition des Machine Learnings im Kontext mit der Wasserkrafttechnik erklärt der Ingenieur von Global Hydro, dass es sich dabei um ein Teilgebiet der „AI“ – der künstlichen Intelligenz – handle. Im Vordergrund stehe das Erstellen von Modellen, die in der Lage sind, selbständig zu lernen. Das Modell lernt dabei von Daten aus der Vergangenheit, um aktuelle Ereignisse besser einordnen und zukünftige im besten Fall vorherberechnen zu können. „Grundsätzlich gewinnt Machine Learning immer mehr an Bedeutung, aber im eigentlichen Sinne ist es nichts Neues. Einige der aktuell verwendeten Algorithmen wurden bereits in den 1960er Jahren entwickelt“, sagt Stefan Plank, Data Scientist bei Global Hydro. Die Antwort auf die Frage, wie die Maschine nun lernt, klingt letztlich weniger spannend als die Frage selbst. Schließlich verläuft es ähnlich wie beim Menschen durch Wiederholung und Optimierung. „Konkret gibt es stets
Je nach Aufgabenstellung arbeiten in den neuen Abteilungen „HydroLab“ und „DataScience“ Fachleute aus unterschiedlichen Abteilungen zusammen.
einen Trainings-Datensatz, der mit einem Zielvektor verknüpft ist. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Erkennung von handgeschriebenen Zahlen mit Hilfe von Machine Learning. Die Trainingsdaten sind in diesem Fall eine Vielzahl von handgeschriebenen Zahlen. Der Zielvektor beinhaltet die jeweils korrekte Zahl, die das Modell erkennen soll. Zur Lösung wird ein Algorithmus verwendet, um die Trainingsdaten zu lernen. Dies ist ein Prozess der Optimierung, und der wird so lange wiederholt, bis das gewünschte Ergebnis erreicht wurde“, liefert Stefan Plank eine anschauliche Erklärung.
KUNDENNUTZEN STEHT IM VORDERGRUND Auch wenn es am Weg zum selbstorganisierenden Wasserkraftwerk noch einige Hürden zu nehmen gibt, sind die Ziele klar – zumindest für die Verantwortlichen von Global Hydro. „Mit der digitalen Transformation verfolgen wir vor allem zwei Ziele: Zum einen der Erkenntnisgewinn für die Weiterentwicklung unserer Produkte und zum anderen für den optimierten Betrieb und die Wartung der Anlagen unserer Kunden. Primär steht der Nutzen unserer Kunden im Vordergrund“, betont Richard Frizberg. Der Geschäftsführer spannt dabei den Bogen weiter und erklärt, dass man vor allem an vollumfänglichen Lösungen arbeite: „Konkret heißt das, dass wir uns nicht auf die Turbine oder ein Hilfsaggregat beschränken, sondern Lösungen für die gesamte Anlage bieten wollen. Das heißt, dass darin auch sämtliche Nebenaggregate und auch die elektrischen Anlagen inkludiert sind.“
Foto: Global Hydro ERSTE PRAKTISCHE ANWENDUNGEN In der Praxis kann bereits auf eindrucksvolle Erkenntnisse für den Kundennutzen verwiesen werden. Etwa für den Bereich Hydraulik, wie Thomas Stütz näher ausführt: „Die Verstell-
Mithilfe von künstlicher Intelligenz (AI) lernen die neuen Systeme autonom, wie ein Kraftwerk effizienter betrieben werden kann.
Im Fokus der Entwicklungen steht dabei Mit der Situierung des neuen Krafthausesletztlich der Kundennutzen. unmittelbar vor dem Öllschützenspeicher fällt das zuvor bemängelte Schwank-Sunk-Problem weg.
Foto: Global Hydro
organe der Turbine werden in der Regel hydraulisch betätigt. Dabei wird der benötigte Hydraulikdruck in einem Blasenspeicher zwischengespeichert und von dort entnommen. Um eine punktgenaue Wartung der Hydraulik, im Speziellen des Blasenspeichers, zu gewährleisten, wird mittels ML-Modell das Verhalten des Auffüllvorgangs exakt analysiert. Die Ergebnisse lassen dann eine Aussage zu, in welchem Zustand sich die Blase befindet, und ob eventuell Stickstoff nachgefüllt werden muss, oder gar die Blase defekt wird.“ In einem weiteren Anwendungsbeispiel bezieht sich der Ingenieur auf die zahlreichen physikalischen Größen – wie Druck, Temperatur, Kräfte, etc. –, die in der Turbinensteuerung gemessen und überwacht werden. Auf Basis dieser Daten wird ein ML-Modell trainiert, das anhand einer großen Zahl an Input-Features ein Messergebnis vorhersagen kann. „Anschließend wird eine Anomalieerkennung erstellt, die Unterschiede zwischen dem prognostizierten Wert und dem tatsächlich gemessenen Wert feststellt. Dadurch können Probleme schon lange, bevor sie einen Grenzwert erreichen, erkannt werden. Dies wiederum ermöglicht in vielen Fällen eine schnelle und kostengünstige Behebung eines Problems, ohne dass es zu langen und kostspieligen Stillstandszeiten und aufwändigen Reparaturen kommt“, so Thomas Stütz.
GRUNDLAGEN FÜR DIE WEITERENTWICKLUNG Foto: zek Doch neben diesem primär für den Kraftwerksbetrieb intendierten Nutzen liefern die Erkenntnisse aus den Machine-Learning-Modellen auch wichtige Grundlagen für die Weiterentwicklung der eigenen Produkte, wie Richard Frizberg betont: „Für uns ist auch wichtig, dass wir intern damit dazulernen und unsere eigenen Lösungen weiter optimieren können.“ Als eindrucksvolles Beispiel dafür dienen etwa die gesamten Kräfte und Drehmomente, die im Normalbetrieb, aber auch bei einer Notabschaltung an der Turbine, den Verstellorganen und am Generator auftreten – und die üblicherweise schwer zu berechnen sind. Auch hier hilft ML, wie Thomas Stütz näher erläutert: „Um Berechnungsmethoden zu verbessern, ist es oft sinnvoll diese mit Messungen zu kalibrieren. In Zukunft werden bei Global Hydro die Turbinen automatisch diese Werte an die Cloud senden. Hier sind dann entsprechende Berechnungen und Visualisierungen hinterlegt, sodass jeder Konstrukteur diese Daten für die Verbesserung der Turbinenkonstruktion verwenden kann. Zusätzlich wird es uns möglich sein, mit ML-Modellen eine Aussage über die auftretenden Kräfte von ähnlichen Anlagen zu machen. Das heißt konkret: Wenn ein Konstrukteur eine Berechnung der Kräfte und Momente durchführt, kann er diese sofort mit den ML-Modellen abgleichen und auf ihre Plausibilität prüfen.“
Foto: Stockinger Die Ergebnisse aus einer Fülle von Messdaten tragen auch dazu bei, dass man die eigenen Produkte optimieren kann. QUALITÄT GEHT VOR QUANTITÄT Die Grundlage für ein effektives Machine Learning sind die Messdaten. Dass heute die Turbinen, Generatoren und Nebenaggregate viel mehr davon liefern als noch vor einigen Jahren, ist Faktum. Wobei das nicht bedeuten muss, dass die Analysen umso besser werden, je mehr Sensoren verbaut sind. „Es ist so, dass viele Sensoren heute nicht nur ein Signal liefern, sondern häufig mehrere Messwerte kombinieren können. Schon vor rund zwei Jahren haben wir bei Global Hydro fast alle Sensoren auf IO Link umgestellt. Das heißt, die Sensoren werden über ein Softwareprotokoll und nicht mehr über Hardwaresignale wie etwa +-10V oder 4/20 mA angebunden. Neben dem wesentlich geringeren Verkabelungsaufwand bringt dies auch den Vorteil mit sich, mehr Informationen vom Sensor zu bekommen“, so der Leiter des Bereichs Electrical Engineering and Software Development. Er verweist darauf, dass das prinzipielle Ziel lautet, möglichst viele Daten in höchster Qualität zu sammeln. Zu groß sollte die Datenmenge dann auch wieder nicht sein, räumt Thomas Stütz ein: „Neben der erhöhten Rechenzeit bei der Verarbeitung erhöht sich auch das Risiko, mehr Rauschen als Signal zu erhalten. Somit ist die Qualität der Daten wichtiger als deren Menge.“
EIGENE SOFTWARE ENTWICKELT Die gewonnenen Daten werden gemäß dem Konzept von Global Hydro sowohl auf einer Cloud als auch direkt am Kraftwerk gespeichert. Schließlich benötigt das Kraftwerk die Rohdaten für die lokale Visualisierung am Kraftwerks-PC. Das Team der oberösterreichischen Entwickler arbeitet mit den Daten der Cloud, wo sämtliche Signale zentral in einer Datenbank gesammelt und verwaltet werden. „Die Software für das ganze Prozedere, also das Generieren der Daten am Kraftwerk, das Sen-
Foto: Global Hydro
Foto: Global Hydro
Konstrukteurinnen und Konstrukteuren bei Global Hydro wird es in Zukunft möglich sein, mithilfe von ML-Modellen Aussagen über die auftretenden Kräfte bei Anlagen, für die man über Vergleichswerte verfügt, zu treffen.
den über gesicherte Kanäle in die Cloud und die anschließende Analyse, wird bei Global Hydro völlig eigenständig im Bereich Software Development entwickelt. Wir arbeiten hauptsächlich an der Erstellung von Modellen und an der Architektur, um diese Modelle dem Kunden bereitzustellen. Zur Datenaufbereitung und Analyse verwenden wir ein Produkt von Microsoft innerhalb der Azur Cloud. Diese Plattform kombiniert die komplette Prozesskette von der Datenspeicherung bis hin zur Vorhersage von Ereignissen mittels Machine Learning und erlaubt zudem noch die Verarbeitung von nahezu unbegrenzt großen Datenmengen“, geht Thomas Stütz ins Detail.
NOCH BLEIBEN HERAUSFORDERUNGEN Trotz vielversprechender Ansätze sind die Digitalisierungsspezialisten bei Global Hydro noch mit einigen Herausforderungen konfrontiert. Allen voran zu nennen: das Thema Automatisierung. „Es ist insofern eine große Herausforderung“, erklärt Richard Frizberg, „als sämtliche von uns erstellten Modelle möglichst ohne Aufwand auf alle Kraftwerke ausgerollt werden können sollten. Die Generalisierung wird uns sicher noch länger beschäftigen.“ Und ergänzt: „Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist, alle Fachdisziplinen effizient zusammenzuschalten. Denn – um ein Beispiel zu nennen – der Data Scientist alleine kann noch keine vernünftigen Modelle abbilden. Es braucht Fachexperten, die wissen, welche Zusammenhänge hinter welchen Messwerten stehen und welche Schlussfolgerung daraus zu ziehen sind.“
AUF DEM WEG ZUR MARKTREIFE Wann die neuen ML-Modelle reif für den täglichen Praxiseinsatz sind, scheint aktuell bereits absehbar zu sein. Zukunftsmusik – das war gestern. Gerade Global Hydro arbeitet intensiv an der Marktreife der Technik. Richard Frizberg: „Die gesamte Steuerungs-, Regel- und Leittechnik am Kraftwerk ist schon zu 100 Prozent für diese Technologie vorbereitet. Ebenso ist die Cloud-Infrastruktur bereits im Live-Betrieb. Sämtliche Machine Learning Modelle und Datenanalysen befinden sich derzeit im Prototypen- Test und laufen bei mehreren Kraftwerken im Testbetrieb. Wir planen, dass der erste Prototyp Ende 2022 verfügbar ist. Nach einer weiteren Testphase folgt darauf dann die finale Entwicklung zur Marktreife.“ Der Geschäftsführer verweist im Interview darauf, dass der Fokus auf F&E für Global Hydro stets ein zentraler Leitaspekt im Unternehmen war, und dass gerade das Thema Digitalisierung schon früh im Zentrum der Weiterentwicklung gestanden hat. „Mit unserem Kraftwerksmanagement-System HEROS haben wir schon vor Jahren unsere Marktführerschaft in diesem Bereich am Kleinwasserkraftmarkt unter Beweis gestellt. Wir waren damals mit unseren Ideen bei den Ersten, und das wollen wir nun auch bei den Themen Machine Learning, Data Science und Predictive Maintenance sein“, betont der Geschäftsführer von Global Hydro. „Der Stellenwert von Digitalisierung und Automatisierung ist bei uns hoch.“
Foto: Global Hydro GEWAPPNET FÜR NEUE ANFORDERUNGEN Gerade die Corona-Pandemie habe dem Thema Digitalisierung im Hause Global Hydro noch einen zusätzlichen Schub gegeben, erklärt Richard Frizberg. Aber auch die Energiewende würde in diesem Bereich eine wichtige Rolle spielen. „Kurz- bis mittelfristig müssen Kraftwerke immer flexibler sein, immer besser miteinander kommunizieren und aufeinander abgestimmt sein. Mehr noch: Schon bald werden intelligente Systeme entscheidend sein für Hybrid-Lösungen, also von Wasserkraft mit Windkraft oder Photovoltaik. All das braucht die Weiterentwicklung in Fragen der Digitalisierung und den Teilbereichen der künstlichen Intelligenz“, so Richard Frizberg. Der Wasserkraft wird seit Jahren nachgesagt, dass sie technisch ausgereizt sei und es kaum neue technische Entwicklungen gebe. Doch der Einsatz von Machine Learning und anderen digitalen Technologien eröffnet heute wieder neue Perspektiven – und bietet einen echten Mehrwert für den Betreiber. Global Hydro zählt in diesem Bereich zu den Vorreitern. Man ist drauf und dran, hier wieder Standards in der Kleinwasserkraft zu setzen.
Erste Prototypen werden bereits getestet: Global Hydro arbeitet intensiv an der Marktreife der neuen ML-Modelle.