Image im Tief, Engagement hoch
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Gemeinschaft in der Schule
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Kreuz gestohlen in Richterswil
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«Ohne Wandel zum Dialog geht die Kirche unter»
Guido Estermann, Beauftragter des Generalvikars für Pastoral, über den Reformprozess im Bistum Chur Ab Seite 6
März 2024 1 Das Magazin für Mitarbeitende der Katholischen Kirche im Kanton Zürich
Leben ist Transformation
Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur
Kleinsein oder kleiner werden, bedeutet nicht unbedingt, an Wirksamkeit, Tiefe und Reichweite einzubüssen. Das Gleichnis vom Senfkorn bringt es auf den Punkt: «Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es grösser als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten» (Mt 13, 32). Beim Lesen dieses Gleichnisses war ich immer neugierig, bis ich ein Säckchen mit solchen Samenkörnern bekam. Sie sind wirklich winzig klein. Aus ihrer Kraft aber entstehen Bäume, die für viele ein Zuhause werden können.
Aus dieser Perspektive sollten wir die gegenwärtige Lage unseres Bistums betrachten. Die Ressourcen werden bescheidener, die Mittel und die Kräfte reichen nicht mehr überall aus, um die Pastoral in der jetzigen Form aufrechtzuerhalten. Dennoch – wenn wir die Transformation wagen, die darin besteht, das Vorhandene ohne Vorbehalt einzusetzen – kann unsere Kirche, auch heute und in Zukunft, für die Menschen Heimat sein. Wir dürfen mit der Fruchtbarkeit der göttlichen Liebe rechnen, darauf bauen und vertrauen: immer!
Diese nötige Transformation besteht aus Kreativität und Entwicklung. Wir sollten uns auf einen Prozess einlassen, der Dynamik und Loslassen bedeutet. Diese Transformation geschieht in der Vielfalt und in der Freude an der Vielfalt. Unsere Diözese sollte vermehrt als Volk Gottes unterwegs sein, Volk Gottes gesät in die Welt, um Frucht zu bringen. So betrachtet müssen wir mehr denn je Volkskirche bleiben: Kirche für alle und mit allen.
Unsere Transformation kann nur in einer weitsichtigen Vernetzung gelingen. Es geht darum, sich mit allen Realitäten zu konfrontieren und zu versöhnen. Wir alle, jeder möchte ein Zuhause für die Menschen sein. In diesem Zuhause ist Gott immer für alle zu Hause. Wagen wir es, gemeinsam!
Bischof Joseph Maria Bonnemain
3 Momentum Stille in der Stadt
4 Aktuell Kirchensteuer wirkt
5 Aktuell Musikfest vor den Toren der Kirche
6-11 Fokus Handreichen im Bistum
12 Engagiert Religionsunterricht mit Herz
14 Perspektiven Englische Hotline hilft in der Not
15 Seelen-Nahrung Von Mäusen und Menschen
16 Ausläuten Auf dem Kreuzweg
Impressum
credo credo erscheint vierteljährlich und Behördenmitglieder und Freiwillige der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.
www.zhkath.ch/credo
credo@zhkath.ch
Layout
Herausgeberin und Redaktion
Katholische Kirche im Kanton Zürich
Kommunikationsstelle Hirschengraben 66 8001 Zürich
Druck und Papier Zürich aus 100% Recyclingfasern und mit dem Umweltlabel «Blauer
Editorial
«STILLES ZÜRICH war auch ein Gemeinschaftserlebnis: zusammen in die Stille eintauchen, sitzen, tanzen, essen oder in Stille einen gigantischen Baum zeichnen.» Elke Lohmann
Im Rahmen des Festivals STILLES ZÜRICH entstand in der Wasserkirche eine überdimensionale, kollektive Tuschezeichnung. Elke Lohmann ist Kommunikationsverantwortliche des Festivals.
Momentum
Zahlen & Fakten
3
Mal so hoch wie im üblichen Durchschnitt sind die Klickraten unserer Kampagnen-Spots in den digitalen Medien von Goldbach (z.B. 20minuten.ch, comparis.ch, teleboy.ch, tutti.ch, etc.).
10
von 74 Kirchgemeinden im Kanton sowie der Frauenbund organisieren bisher einen breiten Versand des Kampagnenflyers. Zusätzlich lag der Flyer der forum-Ausgabe vom 29. Februar bei.
64
digitale und gedruckte Plakate weisen an Bahnhöfen und weiteren offiziellen Plakatwänden und Bildschirmen im Kanton Zürich auf die Kampagne hin.
4’043
Mal wurden unsere organischen, das heisst nicht bezahlten, Kampagnen-Posts auf unseren Social-Media-Kanälen Facebook, Instagram und LinkedIn gesehen.
277’307
Mal wurden unsere bezahlten Kampagnen-Anzeigen unserer Zielgruppe in den digitalen Medien (Google, Facebook, Instagram, Goldbach OnlinePublikationen) bisher angezeigt. Weitere Medien werden im nächsten Schritt einbezogen.
«Kirchensteuer wirkt» zeigt
Wirkung
Grossformatplakate an Bahnhöfen, Social-Media-Anzeigen, Hinweise auf den Webseiten und in den Schaukästen der Pfarreien –unsere Kampagne «Kirchensteuer wirkt» ist aktuell kaum zu übersehen.
Text: Saskia Richter
Seit Anfang Februar will die von der Zürcher Agentur art.I.schock gestaltete Kampagne modern und ein wenig frech zeigen, was Kirche mit den Steuereinnahmen ihrer Mitglieder Gutes tut und so die Glaubwürdigkeit der Kirche stärken – und unter anderem damit hoffentlich den Trend zum Kirchenaustritt bremsen. Das ist dringend notwendig, denn die Zahl der Katholikinnen und Katholiken, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, hat sich im letzten Jahr verdoppelt und liegt bei fast 14’000.
Investment für das Gute
Für die Zielgruppe 20- bis 45-Jährige konzipiert, möchte die Kampagne mit selbstkritischen und informativen Inhalten aufzeigen: Wir sind uns als Kirche durchaus bewusst, wo wir stehen und was unser Image ist und was wir zu tun haben. Aber auch, was auf dem Spiel steht und was alles durch die Beiträge der Mitglieder an Gutem möglich wird.
Um die gewünschte Zielgruppe möglichst effizient zu erreichen und Streuverluste zu minimieren, konzentrieren wir uns hauptsächlich darauf, Plakate und Online-Werbung in Gemeinden mit einem hohen Anteil katholischer Einwohnerinnen und Einwohner zu platzieren.
Zum Kampagnenverlauf sagt die verantwortliche Projektleiterin der Agentur, Yaël Weissmann: «Bisher sind wir mit der Kampagne sehr zufrieden, was anhand der Klickrate auf die Online-Anzeigen deutlich wird, die um das Dreifache über dem Durchschnitt liegt. Für den weiteren Verlauf der Kampagne wäre eine grössere Anzahl an Statements im italienischen, spanischen und englischen Bereich der Webseite wünschenswert, um auch die nicht deutschsprachigen Kirchenmitglieder besser zu erreichen und ihr Engagement in der Kirche sichtbar zu machen.»
kirchensteuerwirkt.ch
Aktuell
Illustration aus der aktuellen Kampagne zur Kirchensteuer
Quartier rockt die Kirche
«Vorstadt Sounds» ist ein kleines Festival am Rande Zürichs. Über zwanzig Bands sorgen auf drei Bühnen für ein stimmungsvolles Erlebnis in gemütlicher Atmosphäre. Das Festival überzeugt mit seiner besonderen Stimmung. Von Beginn weg im Ruf eines sympathischen Quartier-Festivals wuchs die Veranstaltung rasch und machte sich einen Namen als Plattform für junge, ambitionierte Bands aus dem Raum Zürich. Zur Hauptbühne kamen nach und nach die OpenAir-Bühne und das kleine, aber intime Festivalcafé. Auch der musikalische Rahmen wurde erweitert – das Programm hält heute nicht mehr nur Newcomerinnen und Newcomer bereit, sondern auch bereits etablierte Künstler und Künstlerinnen aus Zürich und anderen Kantonen. Das Festival findet auf dem Gelände der Kirche St. Konrad statt, die auch als eine der Hauptsponsoren auftritt. Die nächste Ausgabe findet am 24. und 25. Mai statt. Und: Ohne viele Helfende kommt das ehrenamtliche Ok nicht aus.
Wer also gerne Musik und gute Stimmung mit einem Helfendeneinsatz verbinden möchte, meldet sich gerne hier: www.vorstadtsounds.ch
Personelles
Wir begrüssen
Daniele Faedo hat am 1. Februar als Pfarrer die Verantwortung für die Personalpfarrei San Francesco für die italienischsprachigen
übernommen.
ist seit dem 1. Februar Pfarradministrator der Pfarrei Heilig Kreuz in Zürich-Altstetten.
Bruder Paul Zahner OFM wirkt seit dem 1. Januar als Spitalseelsorger im Stadt-
Karin Reinmüller betreut als Seelsorgerin seit dem 1. Januar das Alterszentrum
Dorian Winter wirkt seit dem 1. Januar als Seelsorger in den Bundesasylzentren Zürich und Embrach.
Salvador Luis Ferrandis Bellvis verstärkt seit dem 1. Januar die Seelsorge der spanischen Mission im Kanton Zürich.
Magdalena Thiele unterstützt seit dem 1. Dezemberpensen die Spitalseelsorge sowie die Behindertenseelsorge.
Sirius Schürmann ergänzt
C66 als Systemadministrator und Onsite Supporter.
Auf unseren drei Praktikumsstellen sind neu Andrina Scherrer
Bernarda Brunovic (Spitalseelsorge) und Jonathan Schnyder (kabel) tätig.
Wir gratulieren
Maria Kolek feiert ihr Karin Oertle ihr
sind in der Spitalseelsorge tätig.
Wir verabschieden
Gábor Szabo war bis Ende 2022 in der italienischsprachigen Seelsorge tätig und anschliessend bis Ende
Sarah Salamone betreute bis Ende Januar das Sekretariat der MCLI Don Bosco in Zürich.
Thomas Ebneter leitete bis Ende Februar die Spitalseel-
Wir trauern
Rolf Eberli, Mitglied der Synode und dort Vizepräsident der Kommission Seelsorgewartet am 22. Februar.
«credo» braucht Ihre Mithilfe!
Senden Sie uns bitte die Adressen Ihrer Mitarbeitenden, aber auch jener wichtigen Freiwilligen in der Pfarrei, die an «credo» interessiert sind. Kontaktadresse: credo@zhkath.ch
Aktuell
Zürich-St. Konrad
«Eine Kirche der Zukunft ist nur eine Kirche des Dialoges. Sonst ist sie nicht mehr»
Viele reden von Kultur- und Strukturwandel in der Kirche. Aber wie soll das gehen und was soll sich genau wandeln und wann wird konkret etwas geschehen?
Guido Estermann, Beauftragter des Generalvikars für Pastoral, beschreibt in einem Grundsatzartikel seine Idee, wie dieser Reformprozess gestaltet werden kann. Jedenfalls nicht von oben nach unten, sondern nur umgekehrt.
Text: Guido Estermann / Foto: Sibylle Ratz
6
Klar ist es vielen, ja fast allen, die sich im kirchlichen Umfeld bewegen. Die Kirche steht vor fundamentalen Herausforderungen. Neu ist das grundsätzlich nicht. Aber heute werden sie durch Mitgliederschwund, zu erwartendem Schwinden der finanziellen sowie personellen Ressourcen, der Missbrauchskrise und der allgemeinen Bedeutungsveränderung für Gesellschaft und Kultur verstärkt sichtbar - um nur einige Aspekte zu nennen.
Wie geht man kreativ an notwendige Veränderungen heran? Wie gestaltet man eine Zukunft der Kirche, in der Kirche als gesellschaftliche Grösse ihren Platz hat und innovativ bleiben kann?
Prozesse von unten statt Masterplan von oben
Die Kirchenentwicklung der vergangenen Jahre wurde in vielen Bistümern sehr oft von betriebswirtschaftlichen oder kirchenrechtlichen Vorgaben gesteuert. Ob nun direkt oder indirekt. Zwar gab es kreative Versuche, durch Pastoralpläne die kirchliche Lebendigkeit zu fördern. Jedoch gibt es eine Grunderfahrung: Eine Masterplanlogik zur Veränderung führte häufig bei jenen zum Erfolg, die selbst die Pläne erarbeitet haben. Sie haben im Prozess der Entwicklung ihre eigenen Sichtweisen verändert. Die Adressaten jedoch empfanden die Pläne oft als unrealisierbar, überfordernd oder gar der pastoralen Lebensrealität nicht entsprechend. Damit Veränderung geschehen kann, müssen die Beteiligten selbst zu Protagonisten werden. Erst durch die Erweiterung der eigenen Haltung ist es möglich, dass Veränderungen auch tatsächlich wirksam werden können. Daraus folgende Strukturen können diesen Veränderungswillen stützen und ermöglichen.
Keine KirchenEntwicklung ohne Entwicklung des Personals
Im Kontext der pastoralen Entwicklungsnotwendigkeit in der Kirche Zürich und im ganzen Bistum Chur fanden in den letzten Monaten viele Diskussionen und Gespräche statt. Dabei wurde klar: Pastoralentwicklung kann nicht unabhängig von Personalentwicklung und -förderung geschehen. Und eine Masterplanlogik mit Pastoralplänen, die umgesetzt werden sollen, wird – wie oben beschrieben - wenig erfolgversprechend sein. Deshalb gehen wir den Weg der Prozesslogik. Entwicklungsprozess auf der Makro-Meso-Mikro-Ebene, also Bistumsebene, kantonaler Ebene, Pfarrei-Seelsorgeeinheitsebene sollen die Vision einer lebendigen Kirche mit der befreienden Botschaft Jesu Christi im 21. Jahrhundert ermöglichen. Ziel ist es nicht, sich in die Nische der liturgisch geprägten Wohlfühlzone zurückzuziehen, sondern aktiv die Welt mitzugestalten. Dazu braucht es ein Commitment über die gemeinsame Kultur. Dieses Commitment kann mit drei Paradigmen beschrieben werden:
I. Vielfalt als Chance
Vielfalt als Chance meint zum Beispiel, dass eine vielfältige kirchliche Lebenspraxis bewusst und nachdrücklich wertgeschätzt und weiterentwickelt
wird. Dabei steht der Mensch mit seinen realen Fragen und Bedürfnissen im Zentrum. Die Dynamik des Lebens verwirklicht sich, Freude, Lust und Lebendigkeit sollen die Kirche auszeichnen. Damit wird ein wichtiger Aspekt der Frohbotschaft erfahrbar. Schwerpunktsetzungen kirchlichen Engagements liegen dabei nicht einfach auf der Liturgie. Diakonisches Handeln im Sinne der Wahrnehmung von Nöten der Menschen und Stützen in Lebensfragen sind genauso entscheidend, wie eine vielfältige und kreative Verkündigung. Und die Option einer kirchlichen Verbindung muss sich nicht nur in territorialen (pfarreilichen) oder kategorialen (z. B. Spezialseelsorge) Ausprägungen zeigen. Digitale Pastoral ist genauso möglich, ebenso neue spirituelle Orte mit Strahlkraft.
II. Reduktion
Gelingen kann dies, indem qualifizierte Vernetzungen nach innen und aussen bewusst gestaltet werden. Damit entsteht nicht nur die Möglichkeit, mit den kleiner werdenden finanziellen oder personellen Ressourcen umzugehen, sondern das eigene Engagement bekommt eine neue Weite.
Auch wenn die Kirche in Zukunft von ihrer Sozialgestalt kleiner werden wird, heisst das nicht unbedingt, dass sie an Bedeutung verlieren muss. Esprit und Engagement können auch in einer umgestalteten Sozialform gegen aussen und innen wirksam bleiben. Und kleiner werden kann durchaus auch heissen, dass sich Menschen wieder neu von der Botschaft der Befreiung angesprochen fühlen.
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III. Innovation
Diese Prozesse müssen gestaltet werden, professionell und unter Einbezug der Betroffenen. Solche Prozesse leben vom Dialog. Erst dieser ermöglicht es, eigene Konzepte zu hinterfragen und zu erweitern. Auch wenn es ein anspruchsvoller Weg ist, es lohnt sich trotzdem. Die Vielfältigkeit der Kirche zeigt und entwickelt sich, Bisheriges darf hinterfragt und auch verlassen werden, Neues darf entstehen. Dialog ist dabei nur möglich, wenn eine Differenzverträglichkeit, das Aushalten von anderen Meinungen, der Verzicht auf die eigene Deutungshoheit und eine gesunde Resilienz vorhanden sind. Die Übernahme von Verantwortung und das Zugestehen von Kompetenzen sind dabei wichtige Gelingensbedingungen. So wird viel mehr möglich, als man im ersten Moment vielleicht annimmt. Das Zumuten und ein finaler Vorschuss an Vertrauen können stärken. Die Möglichkeiten der Freiräume werden genutzt und mit einem sinnstiftenden Tun gefüllt. Auf Ebene der Pfarreien sollen zum Beispiel konkrete Pfarreiangebote mit den drei Paradigmen hinterfragt und weiterent-
wickelt werden. Das Zusammenarbeiten für konkrete Projekte soll Standard sein. Oder auf Ebene der Bistumsregion: Es wird in den nächsten Wochen eine Personalumfrage gestartet, um konkrete Weiterbildungsinteressen zu erheben, damit diese in die zukünftige Personalförderung eingebaut werden können.
Heilung der pastoralen Ermüdung
Strukturen sind dabei die Sprungbretter für die Verwirklichung der Vision und der Wirkung in Welt und Gesellschaft. Wir sind mit diesem Ansatz der Prozesslogik auch ein Stück weitergekommen, wenn sich die verbreitete pastorale Ermüdung unter vielen Seelsorgenden und kirchlichen Mitarbeitenden lindert. Wenn wir Freude, Humor, Tiefgang und Stille immer wieder ihren Platz geben, kann das Gesunde in der Kirche wieder neu keimen.
Gemeinsam auf zu neuen Ufern
Der Bischofsrat mit Bischof Joseph Maria Bonnemain hat sich mit Experten der einzelnen Pastoral- und Personalressorts des Bistums dazu entschieden, diesen Ansatz der Weiterentwicklung der Kirche im Bistum als Grundlage zu nehmen. Es ist eine Konkretion der «Handreichung für eine synodalen Kirche im Bistum Chur». In Zürich können wir gemeinsam mit allen Beteiligten alle bereits laufenden Prozesse stützen und neue in Angriff nehmen. Liebe Leserin, lieber Leser, Sie fragen mich jetzt sicher, was das alles konkret bedeutet. Aber genau diese Frage kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Es braucht die Mitarbeit aller Beteiligten. Eine konkrete Projektstruktur unsererseits als Unterstützungshilfe zur Umsetzung der Grundidee in ihrem Wirkungsbereich wird in den nächsten Monaten erarbeitet mit Daten, Etappen, Beteiligungen usw. Wenn die steht, informieren wir weiter.
Kirche im Dialog. Jetzt.
Adressaten: Seelsorgende, Dekane, GV-Rat, Dienststellenleitende.
Guido Estermann ist Beauftragter des Generalvikars für Pastoral. Er begleitet prozesshaft und kommunikativ pastorale Konzeptionen und Weiterentwicklungen in Pfarreien und Dienststellen.
21. November ganzer Tag: Studientag zu
Gestalten wir die Kirche im Dialog weiter - oder kirchlich gesprochen: in Synodalität. Brechen wir auf zu neuen Ufern.
Geplante Workshops zur Handreichung in der Paulus Akademie
vormittags: Prozesse
Prozesse
2. Oktober
vor Ort 23. Oktober nachmittags:
vor Ort
Vision
und Mission
Zukunft der Kirche gemeinsam gestalten
Letzten Herbst nach der Weltbischofssynode veröffentlichte unser Bistum eine «Handreichung für eine synodale Kirche». Bisher ist es um dieses Dokument verdächtig still geblieben. Dabei hat es den Anspruch, den schönen Be-
griff «synodale Kirche» konkret für unser Bistum auszudeutschen. Wir baten verschiedene in der Kirche tätige Männer und Frauen um einen persönlichen Kommentar zu den Grundsätzen dieses Dokuments.
«Wir begleiten Menschen in ihrer Beziehung zu Gott und untereinander in Offenheit, Respekt, Partizipation und Gleichbeechtigung.»
Erfreulich, dass auch das Bistum die synodale Grundhaltung nun unterstreicht. Für uns in der Pfarrei ist sie substanziell bei unseren Versuchen, Jesu Botschaft zu leben. Ohne können und wollen wir nicht – obwohl Partizipation auch anstrengend ist. Sich verständlich machen und einander versuchen zu verstehen ist gefragt. Gemeinsam um Entscheidungen ringen; sich selbst zurücknehmen, auch als Hauptamtliche – und das nicht nur bei der Farbe der Servietten.
Ich wünsche mir, dass Partizipation und Gleichberechtigung auf allen Ebenen des Bistums gelebt werden. Das geht nur, wenn der damit einhergehende Kulturwandel auch strukturell verankert wird. Vor allem bei personellen Entscheidungen sind wir noch weit davon entfernt. Die ernsthafte Anerkennung der Taufwürde und der Charismen der beteiligten und betroffenen Menschen in den Pfarreien, Teams und Kirchgemeinden und der Einbezug ihrer Erfahrungen stehen noch aus. Hier im Vertrauen auf das Wirken der Geistkraft mit partizipativen Prozessen ernst zu machen, könnte neuen Lösungen in Fragen von Leitung und Aufgabenverteilung einen kreativen und innovativen Schub geben. Ob er zugelassen wird?
«Wir fördern die Vielfalt, arbeiten mit anderen Gruppen zusammen und engagieren uns diakonisch.»
Der synodale Prozess im Bistum Chur erreicht nur sein Ziel, wenn er für Menschen in herausfordernden Lebenssituationen zu spürbarer Solidarität von Mensch zu Mensch führt. Diakonie ist Teil der christlichen DNA. Diakonie respektiert, dass alle Menschen zu solidarischem und helfendem Handeln befähigt sind und sich einbringen können. Dabei gilt es, die vielfältigen Lebenserfahrungen wertzuschätzen und für ein gelingendes Miteinander nutzbar zu machen. Die Zusammenarbeit auf ökumenischer, interreligiöser und zivilgesellschaftlicher Ebene lässt sich nur als Selbstverständlichkeit begreifen und ausgestalten. Eine praktische Anregung: Wie wäre es, wenn es auf allen Ebenen, vom Generalvikariat bis in die Pfarreien, bei Missionen und Dienststellen, beauftragte Mitarbeitende gäbe, die verantwortlich für das diakonische Handeln zeichnen? Viele sind da schon auf dem Weg, aber viel bleibt noch zu tun.
«Wir bemühen uns um eine Sprache, die die Menschen unserer Zeit verstehen.»
Angestrebte Begegnungen mit Menschen auf Augenhöhe können nur durch Aufbrechen der sprachlichen Codes geschehen. Als Religionspädagogin mein tägliches Brot - meinen Glauben authentisch und «Glaubenswissen» verständlich und lebensnah den Menschen im Quartier nahezubringen. Sich lösen vom Verstecken hinter Formeln und leeren Worten, überwinden von elitären «Geheimcodes» auch in der Liturgie, die mehr aus dem Herz gefeiert und verstanden werden darf und muss.
Das Wort «bemühen» in der Handreichung irritiert mich. Ist die Kirchenleitung soweit von den Menschen und der Zeit entfernt, dass es letztlich nur um ein Bemühen gehen kann?
Die Überwindung des Monologs zugunsten des Dialogs, ist - so meine Hoffnung – ernst gemeint, so dass dann Augenhöhe entsteht. Nur wenn das die Verantwortlichen zulassen und bereit sind, auch die Wahrnehmung anderer gleichwürdig anzuerkennen, kann Veränderung passieren und kann das Bemühen zu einer Zielvorgabe werden.
Hella Sodies Co-Pfarreileiterin
Martin Ruhwinkel Leiter der Abteilung Diakonie bei Caritas Zürich
Vivien Siemes Religionspädagogin und Sozialdiakonin
«Wir beteiligen das Volk an der Auswahl von Amtsträgern. In Bezug auf den Umgang mit Macht reflektiert der Bischof sein Amt kritisch.»
Genau so stelle ich mir Kirche vor. Wir alle, und dabei spielt unser Geschlecht nun wirklich keine Rolle, möchten lebendiges Evangelium werden und bemühen uns, das im Alltag zu leben. Mein Wunsch wäre konkret, dass sich unser Bischof aktiv dafür einsetzt, dass unsere Kirche alle Menschen gleichwertig, gleichwürdig und gleichberechtigt behandelt. Denn heute ist das leider immer noch nicht so. Und bezüglich der Mitsprache des Volks an der Auswahl von Amtsträgern wäre es dringend nötig, dass der nächste Bischof unter Einbezug aller Gläubigen im Bistum gewählt wird. Dafür heute die Weichen zu stellen, wäre ein tolles Zeichen für eine erneuerte, synodalere Kirche.
«Wir setzen auf liturgische Vielfalt und die
aktive Teilhabe von Pfarreimitgliedern
in der Gestaltung von Gottesdiensten.»
Martin
Conrad
ralvikars für die ökumenische Seelsorge
Liturgie ist immer synodal oder sie ist nicht! Eine oder einer allein kann keinen Gottesdienst feiern! Wo zwei oder drei im Namen Jesu zusammen sind, da ist er mitten unter ihnen (Mt 18,20). Das ist die Erfahrung der Emmaus-Jünger die zusammen («syn-») auf dem Weg («odos») sind und in der
Schrift, im Mahl und in der Gemeinschaft dem Auferstandenen als dem Gegenwärtigen begegnen und aus dieser Begegnung ihre Sendung erfahren (Lk 24, 13-35). Man könnte sagen, dass dieses gemeinsame Unterwegssein die Grundform aller Gottesdienste ist, die wir feiern. Ich träume von einer Vielfalt von Gottesdienstformen, in denen nicht nur Amtsträger (und in Zukunft vielleicht auch Amtsträgerinnen), sondern alle Mitfeiernden sich dafür einsetzen, dass die Begegnung mit dem Auferstandenen auch heute möglich ist.
«Wir fördern die Ökumene. Wir pflegen den Kanzeltausch und schätzen eine sinnvolle sakramentale Gastfreundschaft, offen für alle Menschen und Religionen.»
«Sakramentale Gastfreundschaft: sinnvoll und wünschenswert.» Es freut mich, dies in einem offiziellen Dokument explizit zu lesen. Die gegenseitige Einladung zur sakramentalen Gastfreundschaft verbindet uns als Christinnen und Christen. Vor allem die eucharistische Gastfreundschaft stärkt uns auf dem gemeinsamen Weg, wie das schon Weihbischof Henrici im Ökumenebrief von 1997 formuliert hatte. Irritierend dagegen ist für mich ein Wort, das in der Einleitung des Kapitels über die Ökumene steht: «Wir … schätzen eine sinnvolle sakramentale Gastfreundschaft.»
Kann es denn eine sinnlose Gastfreundschaft geben? Und wer will entscheiden, ob sie sinnvoll ist oder nicht? Ich wünsche mir von uns allen den Mut, die Handreichung ernst zu nehmen und sakramentale, eucharistische Gastfreundschaft zu leben, immer mehr und immer öfter.
«Im Rahmen unseres diakonischen Auftrags machen wir uns kundig, welches die gegenwärtigen Armutsrisiken sind, und entwickeln Gegenmassnahmen.»
Diakonie bezieht sich auf das urmenschliche Phänomen des Helfens. Diakonisches Handeln sucht, wenn immer möglich, die Kooperation mit Akteuren des sozialen Umfeldes. Insbesondere ist dabei freiwilliges und ehrenamtliches Engagement ein unverzichtbarer Teil für eine tragfähige und solidarische Gesellschaft. Die Freiwilligen sind es, die oft den direktesten Zugang zur Not an der Peripherie finden. Sozialarbeitende in den Pfarreien sind aufgrund ihrer professionellen Ausbildung besonders geeignet, Armutsrisiken festzustellen. Sie kennen Bewertungsgrundlagen und können Massnahmen ergreifen, um Ansprüche zu sichern, Verschuldungen zu begrenzen und eine Verelendung zu verhindern. In der Handreichung sind Sozialarbeitende nicht explizit erwähnt. Und doch sind sie fester, unerlässlicher Bestandteil einer Pfarrei, die in lebendigen Lebensräumen Seelsorge walten lässt. Wichtig ist hier, dass Seelsorgende und Sozialarbeitende eng zusammenarbeiten; dass man den interdisziplinären Blick füreinander hat.
März 20224 4 11
Monika Zimmerli Synodale Illnau-
Thomas Münch
Mitglied der Dekanatsleitung Zürich und Seelsorger an der Predigerkirche
Nicola Siemon Sozialarbeiterin Liebfrauenkirche Zürich
«Die Sehnsucht nach Gemeinschaft stillen»
Text: Thomas Kleinhenz
Religionsunterricht in der Mittelschule? Für viele Lehrpersonen ein Horror. Thomas Kleinhenz hat diese Herausforderung geliebt und mit Kopf, Herz und Bauch gelebt. Ein persönlicher Rückblick auf 26 Jahre erfülltes Religionslehrer-Leben.
«In der Mittelschulseelsorge ist Beziehungsarbeit das Wichtigste. Ich durfte die Schülerinnen und Schüler für Religion begeistern. Meine Mittel und Wege waren gemeinsame Erlebnisse. Die Jugendlichen im Gymi sind gefordert und ihr Schulalltag oft Stress. Angebote wie Exkursionen zu besonderen religiösen Orten in und um Zürich waren eine gute Ergänzung zum Unterricht selbst.
Ich habe mit ihnen die Caritas, das jenseits IM VIADUKT, die hiv-aidsseelsorge oder auch das Krematorium Nordheim wie auch Pfarrer-Sieber-Einrichtungen besucht. Die Begegnungen und die daraus entstandenen Gespräche im Bereich Ethik waren eine willkommene Abwechslung zum sonstigen Schulalltag. So sind wir ins Gespräch gekommen und haben über das diskutiert, was wichtig ist im Leben. Ich habe
versucht, mit den Jugendlichen einen Teil ihres Weges miteinander unterwegs zu sein. Das lief auch über gemeinsame Weekends und Reisen.
Mir ging es darum, dass die jungen Menschen Gemeinschaft erfahren und ausserschulische Erinnerungen sammeln. Dazu gehörten auch das gemeinsame Kochen auf Weekends und das Mitorganisieren der 92 Reisen, die ich in dieser Zeit gemacht habe. Die Schülerinnen und Schüler haben sich dabei in den Freizeiten selbst miteingebracht, mit Kochen, Putzen, Referaten, Mitorganisation. Ein wichtiges Anliegen von mir war, dass wir jeden Abend alle gemeinsam das Nachtessen eingenommen haben.
Ich wollte für die ganze Schulgemeinschaft da sein. Daher gab es jahrelang die Weihnachtsfeiern für die ganze Schule. Alle zwei Jahre organisierte ich zusammen mit einem Kollegen Reisen für die Lehrpersonen nach Lissabon, Rom, Ravenna und andere Orte. Das gab in der Lehrerschaft ein ganz anderes Klima und mehr Verständnis für meine Tätigkeit.
Sechzig Prozent der Schülerinnen und Schüler wissen nicht, was sie nach der Matura machen, was sie studieren wollen. Bei den «In-days» waren wir daher jeweils von Donnerstag bis Samstag im Kloster Ilanz, abseits vom sonstigen Alltag, in ungewohnter Ruhe. Dabei ging es darum, zusammen mit einer
Auf Klassenfahrt im Ausland sollen gemeinsame Erlebnisse das Miteinander stärken.
Psychologin, herauszufinden, für was die Jugendlichen brennen.
Das alles ging nur, weil ich von den Verantwortlichen sowohl in der Leitung der Mittelschulseelsorge, vom Synodalrat als auch von der Schule selbst sehr unterstützt und mitgetragen wurde. Da blieb wenig Zeit für eine Familie, was ich im Nachhinein ein wenig bereue.
Ich würde heute alles nochmals genauso machen. Ich durfte viele Jugendliche in meiner Arbeit zur individuellen Selbstfindung begleiten. Das ist ein enormes Geschenk.»
ThomasKleinhenz unterrichtete von 1997 bis Herbst 2023 als Mittelschulseelsorger und Religionslehrer an der Kantonsschule Limmattal in Urdorf. Davor führte ihn sein Weg als Pastoralassistent in die Pfarrei Regensdorf und zum aki als Hochschulseelsorger. Dazwischen war er Assistent bei Prof. Dr. Leo Karrer in Freiburg i. Ue. 13 Jahre vertrat er die Mittelschulseelsorge im Seelsorgerat. Seit 27 Jahren ist er immer noch mit Überzeugung Notfallseelsorger, Chorleiter und vieles mehr. Seit letztem Jahr vertritt er die Kirchgemeinde St. Mauritius Regensdorf in der Synode.
Engagiert
Thomas Kleinhenz Notfallseelsorger und Chorleiter.
Buchtipp
Zeltplatz für den lieben Gott
Zur Einweihung der frisch renovierten Kirche St. Paulus in Dielsdorf gibt es ein neues, bildgewaltiges Buch. Die Pfarrei versteht sich als moderne und lebendige Gemeinde, bei der Gott sein Zelt aufgeschlagen hat, um unter ihnen zu sein. Es zeichnet das Bild einer Gemeinschaft, die immer wieder Wege sucht und findet, Kirche in der Gegenwart zu leben.
Das Buch kann unter zum Preis von 48.50 Franken plus 7 Franken Versandkosten bestellt werden.
Buchtipp Baustellen der
Martin Werlen hats mit dem Bauen. Als Abt von Einsiedeln erinnerte er immer wieder daran, dass die Mönche früherer Zeiten viel mutiger waren und ganze mittelalterliche Klosteranlage abrissen, um sie im damaligen Barockstil neu aufzubauen. Heute undenkbar. Kaum ist Werlen Propst in St. Gerold, reisst er auch da Altes ab und baut zeitgemäss neu. Im neuen Buch interpretiert er Abriss, Um- und Neubau im Blick auf die Kirche, die sich immer mehr von den heutigen Menschen verabschiedet habe. «Nur, was sich verändert, bleibt», ruft er uns ins Gewissen. Ohne mutige Entscheidungen ändert sich aber nichts. Deshalb: «Anpacken, hier und jetzt.» Werlens neue Betrachtungen regen an, zielen in die Tiefe und bauen auf – und sind noch flott zu lesen.
Verlag Herder 2024, 29.90 Franken (in der Buchhandlung Strobel vorrätig)
Mein Hobby
Mit Worten jonglieren
«Als Philologin interessiert mich das Wort brennend. Das hat mich wohl zu diesem spannenden Hobby geführt, das ich seit zirka zehn Jahren mit meinem Glauben und aktuell mit meinem Theologiestudium verbinde. Gleichzeitig zuhören, verstehen und das Gesagte in einer anderen Sprache wiedergeben; alles unter Zeitdruck und live vor Publikum: Simultandolmetschen ist Spannung pur! Die ehrenamtlichen Einsätze finden hauptsächlich im christlichen Umfeld statt, sei es an internationalen Konferenzen geistlicher Gemeinschaften oder bei Bischofsbesuchen. Es trainiert mein Gehirn – und zwar auch für den Alltag. Die Zuhörer erwarten eine verständliche, fliessende Übersetzung, wenn möglich in einem angenehmen Stimmton. Es gibt immer wieder Fachausdrücke, die man dazulernen muss. Da hilft nur eine gute Vorbereitung und üben. Gewisse Tricks muss man sekundenschnell anwenden, sonst ist der Redner schon über alle Berge. Aber eine gute Simultandolmetscherin ist immer einen Satz voraus, und das bin ich.»
Unsere Kirche
Daniela Di Luzio ist ist Leitungsassistentin in der Pfarrei Zürich-Liebfrauen.
Daniela Di Luzio bei einem Übersetzungseinsatz.
Von Herz zu Herz auf Englisch
«Die Anruferin weint und findet kaum Worte. Sie möchte Englisch sprechen, da sie kein Deutsch kann. Die Mitarbeiterin der Dargebotenen Hand versucht, den Anruf an einen Englisch sprechenden Kollegen weiterzuleiten. Doch inzwischen hat die Anruferin schon abgehängt.
Solche Situationen gehen mir nahe. Da hat jemand den Mut, der Dargebotenen Hand anzurufen und scheitert an der Sprache. Das ist bei Tel 143 in Zürich in den vergangenen Jahren immer wieder vorgekommen.
Darum entschieden wir uns, eine ‹Crisis Hotline in English› aufzubauen. Da soll immer jemand mit sehr guten Englisch-
kenntnissen am Draht sein. Seit Anfang 2023 gibt es mit Heart2Heart diese Line. Nach gut einem Jahr haben bereits gegen 1’200 Englischsprachige angerufen. Nicht nur sie: auch Chinesinnen, Israeli, Tschechinnen, Finnen und viele andere, die keine Landessprache sprechen, aber sich in einer Krisensituation mindestens auf Englisch verständigen können. Die Gespräche berühren mich sehr. Viele Anrufende leiden unter schweren psychischen Belastungen. Suizidalität ist sehr oft ein Thema. Für dieses niederschwellige, englische Gesprächsangebot sind die nicht deutschsprechenden Menschen in Not sehr dankbar. Für sie,
die sich mit ihren Problemen stark isoliert
fühlen, ist endlich jemand da.»
Heart2Heart: Crisis Hotline in English
Die englische Linie der Dargebotenen Hand, Heart2Heart, ist täglich von 18 bis 23 Uhr über die Nummer 0800 143 000 erreichbar.
Die Gespräche sind kostenlos und anonym und werden von einem Team von 15 freiwilligen Mitarbeitenden geführt. Diese sprechen entweder Englisch als Muttersprache oder verfügen über sehr gute Englischkenntnisse. Die grosse Herausforderung ist, Englischsprechende in der Schweiz über das Angebote von Heart2Heart zu informieren. Die Dargebotene Hand Zürich wird von der katholischen Kirche Zürichs mit jährlich 290’000 Franken unterstützt.
Perspektiven
Matthias Herren, Leiter der Dargebotenen Hand, freut sich über den Erfolg des neuen englischsprachigen Dienstes.
Edith WeissharAeschlimann ist Seelsorgerin in den Bundesasylzentren Embrach und Dübendorf.
Sehnsüchtiges Suchen
Von Edith Weisshar-Aeschlimann
Zu Mäusen, die im Haus leben, pflegte ich bis jetzt kein freundschaftliches Verhältnis. Der Grund liegt in der Wohnung, die in der Jugendzeit mehrere Monate mein Zuhause war bevölkert von unzähligen Nagern. Seither achte ich darauf, meine eigenen Räume nur mit Zweibeinern zu teilen mit Ausnahme des Katers.
An meinen Arbeitsorten begegne ich den kleinen Nagern wieder. Freude an den quirligen kleinen Pelzen hat kaum jemand.
Da ist zum Beispiel Frau M. Sie leidet an einer Zemmiphobie. Erstarrt vor den Vierbeinern verzichtet sie aufs Duschen. Vom Zimmer aus telefoniert sie ihrer Schwester. Die weiss um ihre Panik vor Mäusen seit Kindheit her; beruhigt sie für den Moment. Frau M. ist eine kluge Frau: Viele Jahre hat sie als Pflegefachfrau gearbeitet und war daneben politisch aktiv in ihrem Land. Dabei erlebte sie Gewalt auf allen Ebenen: zuhause durch den Ehemann und dessen Familie; im Spital pflegte sie Opfer häuslicher Gewalt und der autoritär geführte Staat bot nirgends Schutz. Nach all den überwundenen Gefahren soll jetzt ein so kleines Wesen Macht über sie ausüben? Nein, schon der Kinder wegen durfte das nicht sein. «Duschen mit den Vierbeinern ist möglich», sagte sie sich und schaltete ihren Angstschalter auf «off» alle Angst weggespült vor der Maus, vor dem, was kommen mag. Dies erzählt mir Frau M. auf einem Spaziergang. Die Mäuse bleiben gegenwärtig und mit ihnen der lebendige Beweis, dass die Angst ihre Macht über sie verloren hat. Ein Strahlen huscht über das Gesicht der leidgeprüften Frau. Sie ist bereit zum Weiterkämpfen im Wissen um alle Unsicherheiten und Gefahren.
Am Ostermorgen stehen die Frauen vor dem leeren Grab. Statt Spuren von Leid und Tod ist der Engel da. Ganz ehrlich: Was dieses offene Grab mir heute sagt bleibt ein sehnsüchtiges Suchen. Dabei lass ich mich gern überraschen, jetzt auch von Mäusen. Und versuche auszuhalten, wenn einmal mehr, eine Maus in einer der vielen Fallen um ihr Leben ringt.
Seelen-Nahrung
Von Gottes Liebe auch am Kreuz getragen
Text und Bild: Mario Pinggera
«Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht, ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht. Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.»
Dieses Lied mit einem aus dem Niederländischen übersetzten Text von Jürgen Henkys (1975) sowie der Melodie von Ignace de Sutter (1964), die übrigens dem gregorianischen Kyrie «Orbis factor» folgt, stellt eine besonders qualitätsvolle Alternative im neueren Liedrepertoire dar. Der Text spricht ebenso an, wie er auch betroffen macht. Das Lied eignet sich sehr gut für Kreuzwegandachten.
In unserer Richterswiler Kirche hängt passend dazu eine sehr spezielle Darstellung der Kreuzigungsszene. Die Betrachterin und der Betrachter werden auf den ersten Blick einwenden: «Hätte man dieses Bild nicht etwas schärfer abdrucken können?» Dieser Einwand ist berechtigt. Das Bild bekommt seine Schärfe jedoch aus seiner speziellen Geschichte. Es gehört zum kunstvoll gemalten Kreuzwegzyklus in der Pfarrkirche. Der Künstler Jakob Edwin Bachmann malte den Kreuzweg in den 1910er Jahren, die Kirche wurde 1914 eingeweiht. Dargestellt ist auf dem unscharfen Bild die Sterbestunde Jesu.
Sterbestunde Jesu gestohlen
Vor Jahren wurde das Original gestohlen. Die Verantwortlichen sahen damals von einer gemalten Reproduktion ab. Es existierte ein Foto des Originals, das vergrössert wurde (was die
mangelnde Schärfe erklärt) und sich nun in derselben Grösse wie die anderen dreizehn Originale in den Zyk lus einreiht.So wurde die zwölfte Station des Kreuzweges zu einer Zeitzeugin eines ungewöhnlichen Vorfalls: Die Sterbestunde Jesu gestohlen! Über die Motivation der Person, die das Bild entwendet hat, haben zuhauf Spekulationen stattgefunden. In der Tat ist die Frage berechtigt: Wieso ausgerechnet dieses Bild? Wieso nicht gleich mehrere? Tatsächlich sind die Worte Jesu «Eli, Eli, lema sabachtani?» eine deutliche Referenz an einen sehr viel älteren Text, nämlich Psalm 22, der exakt mit diesen Worten beginnt. Die folgenden Verse zeichnen in brutaler Klarheit nach, wie ein Mensch verhöhnt, gequält und gemartert wird. Die Schilderung in Psalm 22 ist eine minutiöse Vorzeichnung dessen, was Jesus am Kreuz angetan wird. Angefangen vom Spott der Leute bis zum Zerteilen der Kleider. Auch auf der unscharfen Fotografie der zwölften Station in Richterswil ist den Gesichtern, die zum Kreuz aufschauen, das pure Entsetzen abzulesen.
«Denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu. Doch der Himmel fragt uns: Warum zweifelst du? Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.»
Die jüdischen Zeitgenossen Jesu kannten selbstverständlich auch den Psalm 22 auswendig. Dass Jesus ausgerechnet den Beginn dieses Psalms mit letzter Kraft am Kreuz von sich gab, muss die Umstehenden in Angst und Schrecken versetzt haben: Auf einmal sehen sie sich mit der tiefen Wahrheit dieses Psalms konfrontiert. Ein Wort nach dem anderen hat sich in dieser Stunde zugetragen und erfüllt. Im Evangelium nach Matthäus werden einige zitiert, die meinen, Jesus habe Elija gerufen. Eine bewusste Ablenkung vom Psalm 22, der so wahr sich erfüllt hat und die Urheberschaft des Leidens Jesu so unvergleichlich blossstellt? Ebenso der letzte Satz des Psalms, «Er hat’s vollbracht» (hebräisch «Ki asá»), wird zitiert in den letzten Worten nach der Passion des Johannes.
«Denn die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht. Doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht! Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.»
Es bleibt nicht bei der Gottverlassenheit, den Schrecken des Karfreitags und dem Hingerichteten. Dieses dumpfe Gefühl liegt schwer über den Peinigern Jesu. Und diese Vorahnungen haben sich als richtig erwiesen. Gottes Liebe hat einen längeren Atem als jedwede menschliche Bosheit.
«Hart auf deiner Schulter lag das Kreuz, o Herr, ward zum Baum des Lebens, ist von Früchten schwer. Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.»
(6. Strophe)
Ausläuten
Die Kreuzigungsszene der Richterswiler Kirche