Der Offizier (Dezember 2014)

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P.B.B. ABS. ÖSTERREICHISCHE OFFIZIERSGESELLSCHAFT, SCHWARZENBERGPLATZ 1, 1010 WIEN 14Z040084 M

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Ausgabe 4/2014 Zeitschrift der österreichischen Offiziersgesellschaft

NATO-Gipfel TeilstrategieVerteidigungspolitik Standard der Infanterie

Offiziersgesellschaft fordert

„Bundesheer-Milliarde“


© BUNDERHEER / PETER LECHNER

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ie Angehörigen des Österreichischen Bundesheeres erbringen seit langem, Jahr für Jahr, den Beweis, dass sie bemüht sind, die politischen Vorgaben und daher auch die Sparziele der österreichischen Bundesregierung und des Nationalrates loyal mitzutragen. / Wenn aber der finanzielle Spielraum von Jahr zu Jahr immer enger wird, dann wird eine erfolgreiche Arbeit auch bei großer Sparsamkeit immer schwieriger. / Dafür darf man aber nicht das Österreichische Bundesheer und seine Führung verantwortlich machen. / Aus der Tatsache, dass der Vorrang der Politik im Bereich der Landesverteidigung in der österreichischen Bundesverfassung verankert ist und auch Beachtung findet, folgt, dass die Po-

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litik auch die Verantwortung für die finanzielle Ausstattung der Landesverteidigung und des Bundesheeres zu tragen hat. Es sind daher die anstehenden Entscheidungen auf diesem Gebiet mit besonderer Sorgfalt und unter Bedachtnahme auf gesamtstaatliche Notwendigkeiten zu treffen. Auszug aus der Rede von Bundespräsident und Oberbefehlshaber des Österreichischen Bundesheers Dr. Heinz Fischer am „Tag der Leutnante“ an der Theresianischen Militärakademie Wiener Neustadt am 27.09.2014. Der Bundespräsident mahnt in seiner Rede besondere Sorgfalt bei Entscheidungen über die finanzielle Ausstattung des Österreichischen Bundesheeres ein.

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Inhalt 4

Brief des Präsidenten

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NATO-Gipfel 2014 in Wales

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Teilstrategie Verteidigungspolitik

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Wie viel Geld braucht das Bundesheer?

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Standard der Infanterie

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Strukturanpassung und ÖOG-Position

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Infanterie braucht 1 Mrd. Euro

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Neues Soldatendienstrecht

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Das UK-Urteil

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Fliegerabwehr in Österreich

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Buchbesprechung Franz Ferdinand

Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser! „Der Versuch, auf eine Entscheidung der politischen Arbeitsgruppe auf Ebene der Regierung zum Thema Bundesheer zu warten, wurde durch die fortgesetzten Verschiebungen, nicht zuletzt wegen der Personalvertretungswahlen, verunmöglicht. So erreicht Sie, werter Leser, die Zeitschrift zu einem Zeitpunkt, wo diese Entscheidungen vielleicht schon gefallen sind, aber nicht mehr berichtet werden konnten. Freuen Sie sich also auf die nächste Ausgabe. Umso mehr war es unser Anliegen, Basisinformationen zum Thema zu liefern, die der Politik wohl bekannt sein müssten, wo man aber nie weiß, ob sie bis ins Bewusstsein des adäquaten Handelns vordringen können. So zeigen wir die internationalen Entwicklungen am Beispiel des transatlantischen und damit auch europäisch relevanten Verteidigungsbündnisses NATO genauso auf wie die richtigen, aber finanziell unerfüllten Forderungen der Teilstrategie Verteidigungspolitik. Wir zeigen die Defizite der Hauptwaffengattung des Österreichischen Bundesheers, der Infanterie, und damit auch der Miliz auf, um dann Ideen zu einem angestrebten Soldaten-Dienstrecht anzusprechen und die Aufgaben und die Situation der Fliegerabwehr in Österreich darzustellen. Eine Expertise zum viel zitierten Gerichtsurteil des Höchsten Gerichtshofs Großbritanniens zeigt die Relativität solcher („Nicht-“)Urteile auf und unser Oberbefehlshaber verweist sehr deutlich auf die Verantwortung der Politik für die Streitkräfte der Republik Österreich. Der Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft bringt in seinem Brief in völliger Klarheit die Situation des Bundesheers auf den Punkt und eine Buchbesprechung über Franz Ferdinand ist unser Beitrag zum Gedenkjahr 2014.

DER OFFIZIER Medieninhaber und Herausgeber: Österreichische Offiziersgesellschaft, Schwarzenbergplatz 1, A-1010 Wien ZVR-Zahl: 795014511 Ι Chefredakteur: GenMjr Mag. Herbert Bauer Ι Erscheinungsort: Wien Ι MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Bgdr i. R. Ambros Eigentler, MSD; Obst i. R. Oskar Heel (Tirolbeilage); G. Haffer-Hochrainer; M. Musner; M. Sala Ι Marketing: Dr. Franz Palla (palla.franz@aon.at) Ι Hersteller: TARGET GROUP Publishing GmbH, Brunecker Straße 3, 6020 Innsbruck Ι Druck: Ing. F. Feilhauer A-2620 Neunkirchen, Seebensteiner Straße 1 Ι Fotos: Titelbild: ÖBH/Gerhard Simader; andere gem. Einzelnachweis

Mit unserem Österreichischen Bundesheer ist es, wie mit dem halb leeren oder halb vollem Glas: Wir haben viel Positives, aber auch große, vor allem finanzielle, Defizite, eine Lösung ist dringend erforderlich. So bleibt mir nur, Ihnen, trotz aller Unbilden für das Österreichische Bundesheer, frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2015 zu wünschen.“

Namentlich gezeichnete Beiträge müssen sich nicht mit der Meinung des Herausgebers decken. Unaufgefordert eingesandte Beiträge bedeuten keine automatische Veröffentlichung. Internet: www.oeog.at, deroffizier@oeog.at

Ihr Chefredakteur Herbert Bauer

Offenlegung gemäß § 24 und § 25 Mediengesetz: Die Zeitschrift „Der Offizier“ befindet sich zu 100 % im Eigentum der Österreichischen Offiziersgesellschaft, A-1010 Wien, Schwarzenbergplatz 1. Die Richtung der überparteilichen Zeitschrift ist durch die Statuten der ÖOG bestimmt und bezweckt Information in Wort und Bild zu Themen der österreichischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

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Brief des Präsidenten

© ÖOG

Hoffnungsvoll in die Zukunft blicken

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m Jahr 2013 hatte es zahlreiche Anlässe gegeben, hoffnungsvoll in die Zukunft des Bundesheeres zu blicken: Die Volksbefragung im Jänner 2013, den Bericht zur Reform des Wehrdienstes (mit den Schwerpunkten Attraktivierung des Grundwehrdienstes und Stärkung der Miliz) und die Verabschiedung der Österreichischen Sicherheitsstrategie durch das Parlament.

Das Diktat der leeren Kassen Doch mit den Budgetkürzungen für 2014 und die Folgejahre war der Optimismus rasch verflogen! Denn damit wurde der Planungsprozess auf den Kopf gestellt. Nicht mehr die Bedrohungen (Feindlage) bestimmen das militärische Handeln, sondern die verfügbaren Ressourcen. Das Motto dazu lautet schlicht: „So viel Geld so viel Bundesheer“. Bereits im Februar 2014 erklärte Minister Klug, dass der „Boden des Fasses“ erreicht und „die derzeitige Armee mit dem künftigen Budget nicht mehr finanzierbar“ sei. Demgemäß wurde eine neuerliche Heeresreform angekündigt, die das Bundesheer „schlanker, effizienter und fit für die Zukunft“ machen soll. / Am 3. Oktober 2014 wurde dann das „Strukturpaket“ vorgestellt. Dieses ist aber keine Reform, sondern enthält lediglich zahlreiche „Maßnahmen zur Leistungsanpassung des Bundesheeres“. Es ist aber unschwer zu erkennen, dass es sich dabei ausschließlich um Leistungsreduktionen handelt! Doch während sich zahlreiche Landespolitiker für den Erhalt ihrer Militärmusik einsetzen, findet es kaum Beachtung, dass etwa ein Drittel der präsenten Kompanien, einschließlich ihrer Gebäudeinfrastruktur, dem Sparstift zum Opfer fallen soll. Diese Leistungsanpassung soll durch das Aufstellen von zwölf zusätzlichen Miliz-Kompanien kompensiert

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werden. Allerdings wäre auch dafür erst eine Sonder-Finanzierung erforderlich!

Das Potemkinsche Dorf Unter diesen Umständen erscheint das Bundesheer insgesamt zu einer „Schein-Stellung“ zu verkommen. Zwar werden die Aufgaben im Bereich der Auslandseinsätze reduziert erfüllt, und es kann die Katastrophenhilfe bei regionalen Unglücksfällen durch das Aktivkader und Grundwehrdiener wahrgenommen werden. Aber großflächige Assistenzeinsätze bei Katastrophen oder zum Schutz kritischer Infrastruktur oder die „Sicherstellung des Überganges eines assistenziellen Schutzeinsatzes in eine räumlich/zeitlich begrenzte, eigenständige, militärische Schutzoperation zur Abwehr eines mit nicht-konventionellen Mitteln durchgeführten Angriffs“ (gem. Teilstrategie Verteidigungspolitik) können derzeit wohl kaum erfüllt werden. / Das zentrale Manko besteht darin, dass die in der Sicherheitsstrategie als erforderlich angeführten 55.000 Soldaten bei einem Gleichzeitigkeitsbedarf nicht aufgeboten werden können. Darin liegt auch der Grund für die massive Kritik am Zustand der Miliz, die erforderlich wäre, um dieses Soll zu erreichen.

Stärkung der Miliz? Von den derzeit zehn Jäger-Bataillonen der „strukturierten Miliz“ können wegen mangelnder Ausrüstung maximal zwei gleichzeitig aufgeboten werden. Außerdem herrscht ein eklatanter Mangel an Miliz-Unteroffizieren und Mannschaften. Dieses Nachwuchsproblem resultiert aus der Verkürzung des Wehrdienstes mit dem Wegfall der verpflichtenden Milizübungen und der Nicht-

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anwendung des § 21 (3) Wehrgesetz, der vorsieht, dass pro Jahrgang 12% der Grundwehrdiener zu Milizübungen verpflichtet werden können, wenn sich nicht genug Freiwillige melden. / Bei Übungen der Miliz – wie kürzlich der „Netzwerk 2014“ in Wien – kann öffentlichkeitswirksam über diese strukturellen Probleme hinweggetäuscht werden, indem Ausrüstung aus ganz Österreich zusammengezogen wird und fehlende Mannschaften durch Grundwehrdiener ersetzt werden. Dann entsteht der falsche Eindruck, dass die Miliz ihren neuen Hauptauftrag - den Schutz kritischer Infrastruktur - wahrnehmen kann. Übersehen wird aber, dass trotz der erwähnten Tricks ein Miliz-Bataillon in Wien den Schutz von nur drei Objekten sicherstellen konnte. Österreichweit gibt es jedoch hunderte schutzwürdige Objekte – wer würde diese im Ernstfall sichern?

Rekonstruktion militärischer Fähigkeiten Seitens der Politik wurde die Wahrscheinlichkeit eines konventionellen Angriffs auf Österreich oder eines Solidarbeitrags Österreichs zur EUVerteidigung als gering eingestuft. Demgemäß sollen die mechanisierten Elemente sowie die Fliegerabwehr des Bundesheeres auf einen Rekonstruktionskern zum Fähigkeitserhalt reduziert werden, aus dem lageangepasst eine Aufwuchsfähigkeit erwachsen kann. / Doch wer sagt, wann der richtige Zeitpunkt zum Aufrüsten gekommen ist? Bleibt der Krieg in der Ukraine ein regionales Problem? Sind Luftund Marine-Manöver Russlands nur eine Stärkedemonstration oder eine Vorbereitung auf mehr? Was bedeutet der erfolgreiche Test einer russischen Interkontinentalrakete? Fördern die USA gezielt einen Gegensatz zwischen EU und Russland? Welche Gefahren gehen vom Islamischen Staat und den zerfallenden Staaten Irak und Syrien aus? Wer garantiert uns, dass wir nicht wie die „Schlafwandler“ vor dem 1. Weltkrieg schon heute unmittelbar vor einem großen Konflikt stehen?

Erwartungen an die Politik Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und Herausforderungen habe ich mehrfach zu einem nationalen Schulterschluss in der Frage der Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufgerufen. Das Bundesheer muss aus einem parteipolitischen Hickhack herausgehalten werden. Es geht nämlich nicht bloß um politisches Kleingeld bei einer der nächsten Wahlen. / Es geht um die Gewährleistung von Sicherheit als Grundvoraussetzung für die Erhaltung

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eines selbstbestimmten, freien und demokratischen Gemeinwesens, des europäischen Gesellschaftsmodells sowie des sozialen Wohlstands und damit um die Republik Österreich. Und es geht darum, dass das Bundesheer nicht zu einer Hilfspolizei oder einem Technischen Hilfswerk uminterpretiert wird. Denn die Kernaufgabe und damit das Alleinstellungsmerkmal des Österreichischen Bundesheeres ist die militärische Landesverteidigung – das bedeutet insbesondere die Gewährleistung der Funktions- und Überlebensfähigkeit bei Angriffen auf Staat, Gesellschaft und Lebensgrundlagen.

ÖOG fordert ausreichende Finanzierung Doch dafür braucht es auch ganz sicher ausreichende Ressourcen! Daher fordert die ÖOG regelmäßig eine Erhöhung des jährlichen Wehrbudgets auf zumindest 1% des BIP und eine „Bundesheer-Milliarde“ für dringend erforderliche Investitionen in Miliz, Gefechtsfahrzeuge, Luftstreitkräfte, Bauinfrastruktur und persönliche (Schutz-)Ausrüstung der Soldaten. / Wenn mit dem heutigen Budget nur die Hälfte der gesetzlichen Aufgaben erfüllbar ist, dann muss eben für die andere Hälfte auch Geld bereitgestellt werden. Es obliegt nämlich der Bundesregierung, die Gesetze zu vollziehen. Sie hat nicht das Recht, diese Gesetze nach Gutdünken umzuinterpretieren oder einfach zu ignorieren. Geschätzte Herren Offiziere, liebe Mitglieder und Kameraden! Ich wünsche auf diesem Weg besinnliche Weihnachtsfeiertage, einen guten Rutsch ins neue Jahr und viel Soldatenglück in 2015! Erich Cibulka

INFORMATION: Über alle diese Fragen werden die Vertreter der wehrpolitischen Verbände mit den Wehr- und Sicherheitssprechern der Parlamentsparteien am „Tag der Wehrpflicht 2015“ diskutieren. Ich lade Sie sehr herzlich zur Teilnahme an dieser Veranstaltung ein! Wann?

„Tag der Wehrpflicht“ - 20. Jänner 2015, 17.00 Uhr bis ca. 20.00 Uhr Wo? Raiffeisen-Forum, 1020 Wien, Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Platz 1 Anmeldung: sekretariat@oeog.at

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Der NATO-Gipfel in Wales Sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel oder Weg in den Kalten Krieg des 21. Jahrhunderts? MAJOR DES GENERALSTABSDIENSTES MAG. (FH) THOMAS ASCHACHER

die es nun zu bewältigen gilt, gingen Analysten von einem sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel aufgrund der sich geänderten geopolitischen Sicherheitslage aus. Spätestens jedoch mit der turnusgemäßen Einberufung der 28 Mitgliedstaaten zum 26. Gipfel durch Anders Fogh Rasmussen und der deutlichen Kritik des NATO-Generalsekretärs an der russischen Expansionspolitik in Europa war klar, dass das Verhältnis der Allianz mit Russland auf dem Prüfstand stehen und somit zum Schwerpunkt der zweitägigen Konferenz werden würde.

© NATO

Klare Worte gegen Russland

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er am 4. und 5. September in Newport/Wales durchgeführte NATO-Gipfel zählt wohl zu den bedeutendsten Treffen der 28 Mitgliedsstaaten seit Ende des Kalten Krieges. Die mehr als 60 Staatsund Regierungschefs des Militärbündnisses zogen mitunter Bilanz zum Afghanistaneinsatz, fanden eine gemeinsame Position in der sicherheitspolitischen Irak- und Syrienfrage und diskutierten über gemeinsame Schritte gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Überschattet wurde der Gipfel allerdings von der krisenhaften Entwicklung in der Ukraine und dem Suchen nach einer adäquaten Antwort auf den Aggressionskurs des Kremlherrn Wladimir Putin. Was einst als gemütliches Arbeitstreffen geplant war, sollte sich aufgrund der geopolitisch angespannten Lage letztlich als „Gipfel der Zeitwende“ entpuppen.

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/ Der diesjährige Gipfel im walisischen Newport war das mittlerweile 26. Treffen der NATO-Staats- und Regierungschefs seit Gründung des Bündnisses im Jahre 1949. Zu dem zweitätigen Gipfeltreffen wurden insgesamt 60 Regierungsvertreter, 4.000 Delegierte, 70 Außen- und Verteidigungsminister sowie 1.500 Journalisten erwartet. Grundsätzlich dienen diese Gipfeltreffen vorwiegend dazu, über zeremonielle Abläufe und abschließende Erklärungen hinaus, insbesondere den Zusammenhalt der Bündnisstaaten zu verstärken. / Schon im Vorfeld wurde in den Medien intensiv über mögliche Themen des Gipfels diskutiert. Während Kritiker des wohl mächtigsten Militärbündnisses der Welt die NATO nach dem vermeintlichen Ende des UN-mandatierten Kampfeinsatzes in Afghanistan (ISAF) in einer tiefen Sinnkrise sahen,

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Schon am ersten Tag des Gipfeltreffens wurden deutliche Worte an die politische Führung in Moskau gerichtet. Insbesondere das Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine als auch gegenüber Georgien und in Transnistrien wurde scharf verurteilt. Die Föderation wurde offen bezichtigt, das Völkerrecht, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen zu missachten. Ebenso klagte die NATO Russland an, grundlegende Vereinbarungen und Verpflichtungen zur europäischen Sicherheit, einschließlich der in der Schlussakte von Helsinki enthaltenen, sowie gegen Verpflichtungen der NATO-Russland-Grundakte und der Erklärung von Rom zu verstoßen und somit das aufgebaute Vertrauen zerstört zu haben. / Ebenso deutlich wurden auch die Forderungen an Russland formuliert, indem die NATO-Mitgliedsstaaten die Föderation dazu mahnten, dem Völkerrecht sowie den internationalen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten nachzukommen. Die Allianz brachte klar zum Ausdruck, dass die durch die Föderation illegitime Besatzung der Krim zu beenden sei, vom aggressiven Vorgehen gegen die Ukraine abzusehen sei und sich die russischen Truppen

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zurückziehen müssten. Ebenso wäre durch Russland der Strom von Waffen, Ausrüstung, Personen und Geld über die Grenze zu den Separatisten zu stoppen und dem bewussten Schüren von Spannungen an und jenseits der ukrainischen Grenze ein Ende zu setzen. / Eingeleitete Sanktionen der Europäischen Union, sowie internationaler Organisationen, wie der OSZE, welche den Zweck verfolgen, die von der Russischen Föderation verursachten Krisen auf dem Verhandlungsweg zu lösen, wurden hingegen von Seiten der NATO begrüßt und gleichsam zum Anstoß genommen, Russland zur aktiven Mitarbeit an politischen Lösungen aufzufordern. / Festzuhalten ist, dass die westliche Allianz trotz der gegenwärtig aufgezogenen Eiszeit in der Beziehung zu Russland weiterhin um eine kooperative und konstruktive Zusammenarbeit bemüht ist, welche auf gegenseitige transparenz- und vertrauensbildende Maßnahmen gleichermaßen aufbaut wie auf ein besseres gegenseitiges Verständnis in Bezug auf Antworten in sicherheitspolitischen Fragen. / Die Russlandfrage war zwar in Anbetracht der aktuellen geopolitischen Entwicklung und der in diesem Zusammenhang, insbesondere von den östlichen Bündnisstaaten, geäußerten Besorgnis das dominierende Thema des Gipfels, rückte allerdings beinahe

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andere sicherheitspolitisch relevante Inhalte des Treffens in den Hintergrund der medialen Berichterstattung zum Gipfel 2014. Zu diesen zählten unter anderem die Positionierung der NATOBündnisstaaten zur sich zuspitzenden Lage im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika, die Gefahren des Terrorismus insbesondere in Bezug auf den Islamischen Staat oder die weitere Ambition der Allianz in Afghanistan.

Positionierung der NATO im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika Im Zuge des NATO-Gipfels brachten die Bündnisstaaten ihre tiefe Besorgnis über die Ereignisse in Syrien und im Irak zum Ausdruck. Bekräftigt wurde die Partnerschaft mit dem Irak, welche vor allem die Bereiche Politischer Dialog, Ausbildung, Bekämpfung von Terrorismus, Aufbau von Verteidigungsstrukturen, Sicherung der Grenzen und Kommunikation umfasst. Auf Antrag der irakischen Regierung erklärte sich die NATO darüber hinaus bereit, weitere Unterstützungen in der Krisenregion zu leisten. In Bezug auf die Syrienfrage verurteilte die NATO das Vorgehen der syrischen Regierung unter Präsident Assad gegenüber der eigenen Bevölkerung scharf und befürwortet eine Verhandlungslösung für eine Übergabe der Regierungsverantwortung an eine moderate Opposition.

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/ Einen Kernpunkt in der Irak- und Syrienfrage stellte auch die schwerwiegende Bedrohung, welche vom Terrorismus und hier insbesondere vom Islamischen Staat im Irak und in der Levante (ISIL „Islamic State of Iraq and the Levant“) ausgeht, dar. Dem Islamischen Staat, der von Seiten der NATO als transnationale Bedrohung eingestuft wird, tritt das Militärbündnis nunmehr auf internationaler Ebene mit entsprechender Entschlossenheit entgegen. / Des Weiteren wurde in der Gipfelerklärung der gesamte nordafrikanische Raum und die Sahelzone beleuchtet und die von dort ausgehenden Gefahren angesprochen sowie die Bemühungen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der African Union gewürdigt. Eine Unterstützung würde im Anlassfall und auf Anforderung der betroffenen Länder geprüft.

Afghanistan Mit dem Gipfel in Wales beschloss die NATO auch eine deutliche Wende im Engagement in Afghanistan. Mit dem Ende des Kampfeinsatzes im heurigen Jahr wird der neue Weg der NATO im Krisengebiet im Wesentlichen in drei parallele, sich gegenseitig verstärkende Stränge unterteilt. Kurzfristig erklären sich die NATO-Bündnispartner und die Partnernationen bereit, die ›

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© NATO

„Familienfoto“ der NATO-Außenminister

nationalen afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) nach 2014 in einer Mission ohne Kampfauftrag, die Mission „Resolute Support“, weiter auszubilden, zu beraten und zu unterstützen. Mittelfristig bekräftigt die NATO die Verpflichtung zum finanziellen Unterhalt der Sicherheitskräfte in Afghanistan und langfristig wird durch die Allianz eine finanzielle Unterstützung und eine andauernde Partnerschaft mit Afghanistan gewährleistet werden.

Militärische Zielsetzungen der NATO Die Gipfelergebnisse waren nicht unerheblich von der konfrontativen Lage gegenüber der Russischen Föderation beeinflusst und geben letztlich Aufschluss über die gegenwärtige, aber insbesondere künftige Ausrichtung des Bündnisses. So wurden im Zuge des Gipfels 2014 insgesamt fünf Dokumente verabschiedet. Neben der „Wales Summit Declaration“, welche die Auflistung jener Gefahren beinhaltet, welchen sich die NATO gegenüber sieht und welche das Bündnis zu einem wesentlichen Element der Sicherheitspolitik der Mitgliedstaaten macht, wurde die „Wales Declaration on the Transatlantic Bond“, das „Joint Statement of the NATO-Ukraine Commission“ sowie die „Wales Summit Declaration on Afghanistan“ und die „Armed Forces De-

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claration“ angenommen und in Kraft gesetzt. / In Bezug auf die Verlagerung des Schwergewichts der militärischen Ausrichtung der NATO sind wohl an erster Stelle die Aufgaben und künftigen Anpassungen der Operationsplanung und -führung zu erwähnen. Zwar bleibt die NATO ihren Kernaufgaben, welche im strategischen Konzept festgehalten sind, nämlich der Kollektiven Verteidigung, dem Krisenmanagement und der Kooperativen Sicherheit verbunden, doch gewinnt die Verteidigung des Bündnisses sehr an Bedeutung. Ziel ist es mitunter, sich den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen in Form des „Readiness Action Plan“ anzupassen, welcher den Änderungen der Grenzen des Bündnisses, den sicherheitspolitischen Bedürfnissen der Mitglieder und dem Verhalten der Russischen Föderation sowie den Herausforderungen, welche sich aus den Krisen im Nahen Osten und in Nordafrika ergeben, Rechnung tragen soll. / Zu diesem Zweck wird die „NATO Response Force“ (NRF) weiterentwickelt und dabei neben dem Fähigkeitsausbau insbesondere der Reaktionsschnelligkeit militärischer Kräfte der NATO besondere Bedeutung geschenkt. Mit einem neu zu bildenden in etwa 4.000 bis 5.000 Soldaten umfassenden brigadestarken streifkräftege-

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meinsamen Element, der sogenannten „Very high readiness Joint Task Force“ (VJTF), wird die Allianz künftig in der Lage sein, ein Landstreitkräftekontingent mit angemessenen, zur Verfügung stehenden Luftstreit-, Seestreitund Spezialkräften an der Peripherie, also an den Grenzen des Bündnisses, einzusetzen. Darüber hinaus werden Vorbereitungen getroffen, um Kräfte rasch in möglichen nordosteuropäischen Einsatzräumen aufnehmen und verstärken zu können, und die Kommandostruktur wird gestärkt. Übungen der NATO-Kräfte werden fortan auch verstärkt auf dem Territorium der osteuropäischen Mitglieder durchgeführt. Schwergewicht stellt hier insbesondere die Planung und das Üben gemeinsamer Verteidigungsszenarien dar. Ferner werden hybride Bedrohungen und die entsprechend richtigen Antworten auf diese bei künftigen Ausbildungen, Übungen und Operationen eine wesentliche Rolle spielen. Der Rahmen für die Ausbildungs- und Übungstätigkeit bleibt die „Connected Forces Initiative“. / Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von Fähigkeiten der NATO-Streitkräfte wurde in der Gipfelerklärung das sogenannte „Defence Planning Package“ verabschiedet, welches die Prioritäten für die künftige Streitkräfteplanung der Mitgliedsstaaten vorgibt. Aufbauend auf den Ergeb-

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/ Ein weiterer Schwerpunkt der Gespräche stellte die Beendigung der Reduzierung der Verteidigungsbudgets dar. Aufgrund der sich ändernden sicherheitspolitischen Lage wurde verabschiedet, dass es zu keinen weiteren Reduktionen der Budgets, wie in den letzten Jahren, kommen werde. Von den Bündnispartnern wurde festgelegt, dass jene Mitgliedstaaten, welche bereits Ausgaben von mindestens 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben, diesen Level beibehalten werden. Jene NATO- Staaten, welche unterhalb dieser 2 % liegen, werden ihre Budgets innerhalb der nächsten zehn Jahre auf diesen Level anheben. Des Weiteren wurde in diesem Zusammenhang festgelegt, dass jene Bündnispartner, welche bis dato mehr als 20 % ihres Verteidigungsbudgets für Forschung und Entwicklung ausgeben, dies beibehalten werden. Mitgliedsstaaten, welche unter diesem Level liegen, wollen innerhalb der nächsten zehn Jahre diesen Level erreichen, um einerseits festgelegte NATOFähigkeitenziele zu erreichen und andererseits Fähigkeitslücken der NATO zu schließen. / Eindeutige Zeichen wurden von Seiten der Allianz letztlich durch die militärischen Zielsetzungen mehr als deutlich in Richtung Moskau gesetzt. Die NATO verhärtet somit nicht nur in

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ungewohnter Manier ihre Wortwahl, sondern verschärft auch deutlich ihre Gangart in Form der künftigen militärischen Ausrichtung gegenüber Russland. Inwieweit dies letztlich Putin von seinem politischen Kurs abbringen und die angebrochene Eiszeit im Verhältnis Ost-West beenden wird, ist fraglich. Ein sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel wurde mit dem 26. NATOGipfel in Wales definitiv eingeleitet. Ob dieser allerdings zu einer länger andauernden Kälteperiode mit Russland führen oder sogar einen neuerlichen Kalten Krieg im 21. Jahrhundert heraufbeschwören wird, lässt sich gegenwärtig noch nicht abschätzen.

© BUNDESHEER/PUSCH

nissen der Gipfeltreffen in Lissabon im Jahre 2010 sowie in Chicago 2012 priorisiert die NATO nunmehr die Ausweitung und Verbesserung von Ausbildung und Übungen und Führung einschließlich der bei anspruchsvollen Lufteinsätzen, die Nachrichtengewinnung, die Bereiche Überwachung und Aufklärung sowie den Bereich der Cyber-Abwehr. Ebenso soll die Fähigkeit zur Abwehr ballistischer Raketen weiter ausgebaut werden. Dieser Ausbau der Raketenabwehr stellt, so in der Gipfelerklärung festgehalten, allerdings keine Kompensation zu einer nuklearen Bewaffnung dar, zu welcher sich die NATO-Mitgliedstaaten ebenso klar bekennen wie zur Bedeutung bestehender Abrüstungsverträge, wie beispielsweise den Vertrag über Mittelstreckenraketen und andere Vertragstexte über Rüstungskontrolle, „Open Skies“ oder „Conventional Armed Forces“ in Europa. Das Verteidigungsplanungspaket soll letztlich maßgeblich dazu beitragen, die Durchsetzungs- und Reaktionsfähigkeit insbesondere der Landstreitkräfte zu verbessern und die kollektive Verteidigung in den Vordergrund der Ambition zu bringen. So bleibt die Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen, konventionellen und Raketenabwehrfähigkeiten ein Kernelement der Gesamtstrategie der NATO.

© NATO

Abschlusspressekonferenz von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen

ZUR PERSON Major des Generalstabsdienstes Mag. (FH) Thomas Aschacher ist Absolvent des 19. Generalstabslehrganges und Angehöriger des Streitkräfteführungskommandos/J5 in Graz.

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© ÖBH/GÜNTER FILZWIESER, ÖBH/MARKUS ZINNER, ÖBH/HORST GORUP

Teilstrategie Verteidigungspolitik OBERSTLEUTNANT DES GENERALSTABSDIENSTES MAG. PHIL. MICHAEL EXELI

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m 28.10.2014 haben sich SPÖ und ÖVP auf eine neue Teilstrategie Verteidigungspolitik geeinigt. Dieses Dokument stellt jene Ableitung aus der Österreichischen Sicherheitsstrategie dar, welches die Aufgaben für das Bundesheer (in den nächsten zehn Jahren) konkretisiert. / „Die Verteidigungspolitik basiert auf einer engagierten Neutralitäts- und einer solidarischen Europapolitik.“ Was bedeutet jedoch diese Aussage für ein zukünftiges Bundesheer, und wie wirkt sich diese Vorgabe auf die Entwicklung des Bundesheeres aus? Auf insgesamt 36 Seiten werden einleitend die Rahmenbedingungen, in Folge die militärische Sicherheits- und Risikolage, die verteidigungspolitischen Zielsetzungen und das Konzept, der Auftrag mit Zielvorgaben sowie die Entwicklung von Human Resources und Wehrpolitk beschrieben. / Bereits in der Einleitung wird sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das zukünftige Bundesheer ein möglichst breites und multifunktionales Aufgabenfeld zu bewerkstelligen hat,

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jedoch die zur Verfügung gestellten Ressourcen den Rahmen letztlich vorgeben. Dies soll durch eine Verlagerung der Schwergewichte auf die einsatzwahrscheinlichsten militärischen Aufgaben erfolgen. / Danach werden jene Bedrohungen dargestellt und erläutert, welche eine Auswirkung auf die militärische Sicherheits- und Risikolage Österreichs haben. Dabei handelt es sich um Cyberangriffe, welche zur nachhaltigen Beeinträchtigung nationaler Infrastruktur führen können, Verletzungen des österreichischen Luftraumes, nicht konventionelle Formen organisierter Gewaltanwendungen in Verbindung mit transnationalem Terrorismus und Extremismus, Weitergabe von Gütern zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen, zunehmender Wettbewerb mit politischen Ordnungsvorstellungen europäischer Flankenmächte bzw. extremistischer Ideologien sowie Naturkatastrophen und technische oder ökologische Katastrophen. Die für Österreich relevantesten Krisen- und Konfliktregionen stellen Südosteuropa, die Schwarzmeerregion, der Nahe

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und Mittlere Osten sowie Nord- und Sahel-Afrika dar. Eine konventionelle militärische Bedrohung wird derzeit als unwahrscheinlich beurteilt. / Aus diesen Bedrohungen wurden insgesamt folgende fünf Zielsetzungen abgeleitet, welche in weiterer Folge die Grundlage für das verteidigungspolitische Konzept darstellen: Gewährleistung der staatlichen Souveränität und Integrität, Beitragsleistung zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und der kritischen Infrastruktur, zum Schutz der Bevölkerung auch bei der Katastrophenhilfe, zur Unterstützung der staatlichen Handlungsfähigkeit in Krisensituationen strategischen Ausmaßes, zur solidarischen Leistung von Krisenmanagementbeiträgen und zu einem militärischen Solidarbeitrag zum sicherheitspolitischen Handeln der EU. Die nationale Strategie verfolgt dabei drei Ziele. Erstens: die Sicherstellung der militärischen Landesverteidigung unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Bedrohungslage. Diese wird in konventioneller Hinsicht nur mehr durch eine mehrjährige Aufwuchsfähigkeit gewährleistet. Interessant er-

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gefasst: „Das Österreichische Bundesheer verteidigt Österreich, seine Menschen und Lebensgrundlagen, es ist die strategische Handlungsreserve der Republik, trägt zur gemeinsamen Sicherheit Europas bei und leistet einen sichtbaren und profilierten Beitrag zu internationalem Frieden und internationaler Sicherheit.“ Dieser Auftrag ist mit insgesamt 55.000 Soldaten in unterschiedlichen Bereitschaftsstufen zu erfüllen, wobei lagebedingt mindestens 1.100 Soldaten im Ausland einzusetzen sind. Anschließend kommt es zur Unterteilung in die Bereiche Krisenfrüherkennung, Landesverteidigung und Assistenz, internationales Krisenmanagement und militärische Sicherheitskooperation, in welchen weitere detailliertere Vorgaben be-

schrieben werden. Abgeschlossen wird dieser Punkt mit den Grundprinzipien der Streitkräfteentwicklung, wobei das Bundesheer einsatzorientiert, fähigkeitsorientiert, kooperationsorientiert und innovationsorientiert auszurichten ist. Besonders hervorzuheben ist allerdings die Tatsache, dass wiederum festgehalten wird, dass neben der militärischen Sicherheits- und Risikolage die budgetäre Situation maßgeblich für die zukünftige Entwicklung des Bundesheeres entscheidend ist. / Zuletzt werden noch die Vorgaben für den Bereich Humankapital und Wehrpolitik dargestellt. Es finden sich die Schlagworte attraktiver Grundwehrdienst, Miliz mit angepasster Bereitschaft, Zeitlaufbahnen, Akademisierung der Ausbildung zur ›

© ÖBH/THOMAS PUNTIGAM

scheint, dass der Schutz kritischer Infrastruktur in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wird. Zweitens: Assistenzaufgaben und militärische Katastrophenhilfe zur Unterstützung ziviler Behörden. Darunter fällt unter anderem das Bereitstellen von speziellen Pionierkräften und Transportmitteln, ABC-Abwehr- und Sanitätskräfte sowie Experten und Kapazitäten für die Cyber-Sicherheit und spezielle Infanterie zum Schutz kritischer Infrastruktur (!). Drittens: die Mitwirkung an gesamtstaatlichen sicherheitspolitischen Prozessen, wobei das Bundesheer insbesondere seine Analyse- und Planungsfähigkeiten einzubringen hat. Im Rahmen der internationalen Strategie soll auch weiterhin eng mit der EU, den VN, der OSZE und der NATO zusammengearbeitet werden. Insbesondere geht es darum, das hohe Engagement bei UN-Einsätzen fortzusetzen. Darüber hinaus sollen auch zunehmend Kooperationen mit anderen EU-Staaten (mit ähnlichen sicherheitspolitischen Zielen) eingegangen werden, welche zu verstärkter Arbeitsteilung und Spezialisierung führen soll. Die NATO wird vor allem im Bereich Kooperation, Interoperabilität, Standardisierung und Transformation als unverändert wichtig für die weitere Entwicklung des Bundesheeres beurteilt. / Die dargestellten Rahmenbedingungen und ersten Ableitungen für ein zukünftiges Bundesheer werden folgend als „zeitgemäßer“ verteidigungspolitischer Auftrag zusammen-

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© BUNDESHEER

ZUR PERSON

Verbesserung der Umstiegsmöglichkeiten sowie Anhebung der Anzahl weiblicher Soldaten. Für die Wehrpolitk gilt, die abgeleiteten Aufgaben nach außen und innen zu kommunizieren und verständlich zu machen. / Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich das Bundesheer, wie mehrfach im Dokument erwähnt, maßgeblich nach den vorhandenen Ressourcen auszurichten hat. Bei der Betrachtung der Beilage

© ÖBH/SIGI SCHWÄRZLER

Oberstleutnant des Generalstabsdienstes Mag. phil. Michael Exeli ist derzeit Teilnehmer am U.S. Army War College und war davor als Referent im BMLVS mit Planungen BH2025 beauftragt. Exeli hat zwei Einsätze im Kosovo absolviert und ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Offiziersgesellschaft.

zur Teilstrategie Verteidigungspolitik/ Einsatzwahrscheinlichkeit (s. Abb.) lässt sich daher ableiten, in welchen Bereichen zumindest noch, aber wahrscheinlich trotzdem nicht ausreichende Ressourcen zur Verfügung stehen werden: Militärischer Eigenschutz im Cyber-Raum und Abwehr von CyberAngriffen auf die Souveränität Österreichs, Luftraumüberwachung, Beitragsleitung zur ressortübergreifenden Krisenunterstützung & Evakuierung

von österreichischen & EU-Bürgern, Beitragsleistung für internationale Operationen, Katastrophenhilfe und Entminungsdienst. In allen anderen Bereichen sind radikale Kürzungen zu erwarten. Das ausgearbeitete Strukturpaket ÖBH 2018 für die ressourcenorientierte Anpassung des Bundesheeres zeigt ja genau in diese Richtung und orientiert sich kaum bis gar nicht an den abgeleiteten Bedrohungsszenarien.

EINSATZWAHRSCHEINLICHKEIT MILITÄRISCHER AUFGABEN AUF BASIS DER STRATEGISCHEN LAGEBEURTEILUNG 2014 GERINGER BEREITSCHAFTSGRAD • Optionaler mil. Solidarbeitrag für den Fall einer EU-Verteidigung nach Maßgabe der „Irischen Klausel“ • Kompetenz zur mil. LV gegen konventionelle Angriffe, Sicherstellen des lageangepassten Aufwuchses MITTLERER BEREITSCHAFTSGRAD • Führung eines Sektors bei Einsätzen im Ausland • Bereitstellen von Kräften für gesamtes Spektrum von Einsatzaufgaben im internationalen Krisenmanagement • Beitragsleistung zur strategischen Handlungsreserve, Aufrechterhaltung der gesamtstaatlichen Führungsqualität • Militärische Schutzoperation gegen nicht-konventionelle bzw. hybride Angriffe • Beitragsleistung Schutz kritischer Infrastruktur, Cybersicherheit, Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung & Sicherheit • Sicherung des Luftraumes HOHER BEREITSCHAFTSGRAD • Beitragsleistung zur ressortübergreifenden Krisenunterstützung & Evakuierung von Ö- und EU-Staatsbürgern • Beiträge zur internationalen humanitären und Katastrophenhilfe sowie zu Such- und Rettungseinsätzen • Assistenzeinsätze bei Katastrophen im Inland • Beitragsleistung zur internationalen militärischen Sicherheitskooperation • Bereitstellung einer infanteristischen Battaillonskampfgruppe oder zwei Rahmenverbände und Beteiligung an Reservekräften • Militärischer Eigenschutz im Cyber-Raum und Abwehr von Cyber-Angriffen auf die Souveränität Österreichs • Einsatz des Entminungsdienstes • Überwachung des Luftraumes

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© BUNDESHEER/MICHAEL MILLER

Wie viel Geld braucht das Bundesheer wirklich?

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er ständige Ruf nach Konzepten und die gebetsmühlenartige Forderung, „man möge doch endlich einmal die Aufgaben des Bundesheers definieren“, sind mehr als ermüdend. Konzepte und Aufgaben liegen am Tisch, was fehlt, ist das Geld. Es mag wenig überraschen, dass sich die Aufgaben des Bundesheers aus der Verfassung und dem Wehrgesetz ableiten und damit bereits klare Vorgaben vorhanden sind. Vertiefende – öffentlich bekannte – Konzepte liegen mit der „Österreichischen Sicherheitsstrategie“, dem „Arbeitsprogramm der Österreichischen Bundesregierung 2013 –2018“, dem „Bericht zur Reform des Wehrdienstes“ und nun auch der „Teilstrategie Verteidigungspolitik“ auf. Was allen diesen Konzepten gemeinsam ist, ist das fehlende Geld. Neidisch blickt

man in die Schweiz, wo die Regierung vom Parlament (!) gezwungen wurde, angesichts der sicherheitspolitischen Lage, vor allem aber auch wegen des Investitionsrückstaus, das vorgelegte Wehrbudget – das ohnehin schon doppelt so hoch ist wie in Österreich – zu erhöhen. Auch die Wirtschaft sorgt in anderen Ländern dafür, dass ihre Konjunkturprobleme im Wege des Wehrbudgets gelindert werden, ein relatives Schweigen dazu findet man in Österreich. / Folgt man den im Oktober 2014 vorgelegten Strukturmaßnahmen des BMLVS, so ist zur Umsetzung nachstehender Maßnahmen/Beschaffungen eine Sonderfinanzierung erforderlich, da notwendige Investitionen aus dem seit zehn Jahren massiv reduzierten Budget nicht abdeckbar waren und bei

www.schiebel.net

Frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr!

gleichbleibender Tendenz auch nicht abdeckbar sind: Zur Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben und in Befolgung der Ableitungen in den oben angeführten Konzepten werden unverzichtbar und dringend benötigt: • Verbesserung der Ausrüstung sowie der Wirkmittel für die Infanterie einschließlich der bestehenden und neu aufzustellenden Miliz in den Bereichen Kommunikation, Nachtsichtfähigkeit, Schutz und Beweglichkeit • Attraktivierung des Grundwehrdienstes inklusive Anhebung des Taggelds • Geschützte Mehrzweckfahrzeuge • Handelsübliche Personenkraftfahrzeuge • Geländegängige Fahrzeuge für Spezialeinsatzkräfte und Gebirgstruppe ›


© BUNDESHEER/GERHARD UMGEHER

• Geländegängige Fahrzeuge als Ersatz für PuchG und Pinzgauer • Bergemittel und Kranfahrzeuge • Geräte für die ABC-Abwehr sowie schwere Pioniermaschinen und Pioniergerät einschließlich der erforderlichen amphibischen Mittel und Boote • Fortsetzung des Betriebs der dringend benötigten Systeme C-130 „Hercules” und S-70 „Black Hawk” • Ersatz Saab der Saab 105OE durch ein bewaffnetes Trainingsflugzeug als Luftraumüberwachungsergänzungsflugzeug • Ersatz von Alouette III und Bell OH-58 durch einen adäquaten Transporthubschrauber, der auch bewaffnet werden kann

• Revitalisierung und Sanierung der bestehenden Infrastruktur inklusive erforderlicher Neubauten • Erhalt der Rekonstruktionsfähigkeit von wegen Budgetmangel drastisch reduzierten Waffengattungen wie Aufklärung, Fliegerabwehr, Panzertruppe und Artillerie / Schaut man sich diesen, der bisherigen Budgetentwicklung geschuldeten, Rückstau der Investitionen an und versucht die zur Bereinigung erforderlichen Beträge zu schätzen, erkennt man den Bedarf von in etwa einem Jahresbudget des Bundesheers, also ca. 2 Milliarden Euro. Das ist der Betrag, dem man dem Bundesheer in

den letzten zehn Jahren vorenthalten hat, womit das Versprechen der Sonderfinanzierung des Eurofighters nicht eingehalten wurde. / Natürlich wird jetzt gleich reflexartig aufgezeigt werden, wer daran Schuld trägt. Es handelt sich hierbei jedoch einfach um zu geringe Ausgaben für die in der Verfassung klar geregelten Aufgaben des Bundesheers. Die technologische Entwicklung erfordert in allen Bereichen höhere Ansätze, so auch im Bereich der Militärgüter. Eines ist klar, selbst durch die Summe der Ersparnisse, die man vermeint, durch Reduzierungen von Personal, Abbau der den Hof- und Ministerialräten entsprechenden Generalsränge, Auflösung von Militärmusiken, Verkleinerung der Truppenstärke, Erhöhung der Milizanteile, Verkleinerung der Panzertruppe, Auflösung von Fliegerabwehr, Kasernenschließungen und einem neuen Dienstrecht erreichen zu können, werden nicht jene Kosten erwirtschaftet werden, die man als Investition für ein zeitgemäßes Bundesheer braucht! (Red./hb)


Standard der Infanterie

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ie Ausstattung eines Infanteristen mit zeitgemäßer Ausrüstung ist für die Glaubwürdigkeit einer überwiegend infanteristisch organisierten Armee von entscheidender Bedeutung. Die Fähigkeiten des Infanteristen der Zukunft sind mit einem optimierten Zusammenspiel der Ausrüstung für Durchsetzungsvermögen, Führungsfähigkeit, Beweglichkeit, Überlebens- und Durchhaltefähigkeit klar definiert. Neben der geforderten zeitgemäßen Qualität der Ausrüstung liegt ein entscheidender Wert natürlich auch in der quantitativ ausreichenden Ausstattung der aufgestellten Soldaten. Es ist ehrenwert und richtig, vor allem die konkret im (Auslands-)Einsatz stehenden Soldaten bevorzugt auszustatten, es zeugt aber von wenig politischer Ernsthaftigkeit, wenn nicht jene Geldmittel bereitgestellt werden, die eine gute Ausrüstung für alle Soldaten ermöglicht. / Betrachten wir die Ausstattung der Miliz, die, mehr oder weniger der

Verfassung folgend, den Hauptteil der Infanterie des Österreichischen Bundesheers bildet, so sehen wir, dass es schwere Defizite in Bewaffnung, Schutzausrüstung, Kommunikation, Beweglichkeit und Nachtsichtfähigkeit gibt. Eine ausreichende finanzielle

„Die Einsatzverbände sind ausreichend auszurüsten. Ausrüstungs- und Technologielücken sind rasch zu schließen.“ ÖSTERREICHISCHE OFFIZIERSGESELLSCHAFT – 5 SÄULEN FÜR EIN ZUKUNFTSORIENTIERTES BUNDESHEER, 14.11.2012

Abdeckung dieser Defizite lässt sich durch Kasernenschließungen oder Strukturreduzierungen nur höchst bedingt erreichen. Hier ist das Bereitstellen von Investitionsmitteln über das in den letzten Jahren laufend reduzierte Normbudget hinaus dringend erforderlich, wenn es die Politik ernst meint. Die Abbildung 1 zeigt uns die Ausstattung eines durchschnittlichen österreichischen Milizsoldaten, der mit dieser Ausstattung einem Soldaten der 1980er Jahre des vorigen Jahrhunderts entspricht. Die Abbildung 2 zeigt uns einen Infanteristen, der in der Lage ist, mit entsprechender Ausbildung seinen Auftrag auch in Zukunft zu erfüllen. / Der entscheidende Unterschied liegt vor allem in dem zugestandenen Schutz, aber vor allem in der Kommunikationsfähigkeit sowie der elektronisch unterstützten Beobachtungs- und Zielfähigkeit bei Tag und Nacht. Diese Fähigkeiten erfordern natürlich auch die Beweglichkeit im geschützten Transport. (Red./hb)

ABBILDUNG 2

© GRAFIKEN: MUSINER/SALA

ABBILDUNG 1

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Bundesheer: Neue Struktur und Schwergewichte AUSSENDUNG DES BMLVS VOM 3. OKTOBER 2014

© BUNDESHEER/JULIA WEICHSELBAUM

Darüber hinaus werden verwertet: • Amtsgebäude Garnisonstraße in Linz (Oberösterreich) • Kornellhof in Wiener Neustadt (Niederösterreich)

Verteidigungsminister Klug und Generalstabschef Commenda präsentierten das Strukturpaket 2018.

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ufgrund der Budgetlage ist das Österreichische Bundesheer gezwungen, seine Struktur anzupassen und klare Schwergewichte in den Bereichen Infanterie, Spezialeinsatzkräfte, Pioniere und ABC-Abwehr zu bilden. Durch die Umstrukturierung werden insgesamt 200 Mio. Euro pro Jahr eingespart. / Um diese Ziele zu erreichen, sind folgende Maßnahmen vorgesehen: Das Bundesheer konzentriert sich auf die Erfüllung der militärisch einsatzwahrscheinlichsten Aufgaben. Es behält aber in allen Waffengattungen Fähigkeiten, um im Bedarfsfall rasch neue Kapazitäten aufbauen zu können. Die Wehrdienstreform, die Auslandseinsätze, Cyber Defense und die Katastrophenhilfe werden weiterhin sichergestellt. Kleine Kasernen werden geschlossen, das Personal, die Ausrüstung und das Gerät an großen Standorten zusammengeführt. Der Verkaufserlös dieser Liegenschaften soll für Investitionen genutzt werden. Das Fliegerabwehrbataillon 3 in Salzburg

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wird aufgelöst und das Panzerbataillon 33 in Zwölfaxing in ein Jägerbataillon umgewandelt. Diese Liegenschaften waren bereits zur Verwertung vorgesehen: • Hiller-Kaserne in Linz/Ebelsberg (Oberösterreich) • Franz-Joseph-Kaserne in Lienz (Tirol) • Kirchner-Kaserne in Graz (Steiermark) • Hadik-Kaserne in Fehring (Steiermark) • Magdeburg-Kaserne in Klosterneuburg (Niederösterreich) • Starhemberg-Kaserne (Wien) Ebenso werden weitere Liegenschaften geschlossen und verwertet: • Radetzky-Kaserne in Horn (Niederösterreich) • Tilly-Kaserne in Freistadt (Oberösterreich) • Frundsberg-Kaserne in Vomp (Tirol) • Strucker-Kaserne in Tamsweg (Salzburg) • Goiginger-Kaserne in Bleiburg (Kärnten)

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/ Darüber hinaus wird die Raumordnung in Wien neu geregelt. / Die Militärmusiken Niederösterreich, Burgenland, Salzburg, Steiermark und Vorarlberg werden aufgelöst. Das Bundesheer trennt sich auch von Institutionen, die nicht zu seinen unmittelbaren Kernaufgaben gehören. In Niederösterreich werden daher das Militärrealgymnasium (zwei Jahrgänge können noch die Matura absolvieren) und der Reitausbildungszug der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt geschlossen. / Darüber hinaus beteiligt sich das Bundesheer nicht mehr an den Kosten für die Bundesfachschule für Flugtechnik in Langenlebarn. / Im Verteidigungsministerium, bei den Ämtern und Kommanden wird eine generelle Kürzung der Arbeitsplätze um 15% vorgenommen. / Das Bundesheer trennt sich von einer großen Anzahl schwerer Waffen. Es werden 106 Artilleriegeschütze, 25 Kampfpanzer, 23 Bergepanzer, 285 Panzerabwehrlenkwaffen und 424 Granatwerfer verwertet. / Die gesamte Luftraumüberwachung wurde bereits an die neue Budgetsituation angepasst. Um die Luftstreitkräfte jedoch weiterhin betreiben zu können, ist bis 2020 eine Sonderinvestition notwendig. Der Investitionsbedarf beinhaltet erforderliche Updates, Wartungsereignisse und Nachbeschaffungen. / Die Miliz erhält einen verstärkten regionalen Bezug und einen klaren militärischen Auftrag. Zusätzlich werden bis 2018 zwölf Miliz-Kompanien neu aufgestellt.

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Diese Regierung ruiniert das Bundesheer? ÖOG kritisiert die verantwortungslose Demontage einer verfassungsmäßigen Institution PRESSEAUSSENDUNG DER ÖOG AM 03.10.2014

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ie durch die Bundesregierung getragenen Kürzungen für die Jahre 2014/15 haben dem schon lange kränkelnden Budget des Bundesheers den Todesstoß versetzt. Seit Monaten erlebt eine zunehmend verunsicherte Bevölkerung ein ständiges Absinken der Einsatzbereitschaft zu Lande und in der Luft. / Ohne zusätzliches Geld bleibt jeder Eingriff in die bestehende Struktur nur eine kosmetische Operation, eine politische Augenauswischerei, welche die Substanz ruiniert, aber die Sicherheit der Republik nicht erhöht. Zusätzliche Finanzmittel, um veraltete Ausrüstung zu ersetzen und Bauinfrastruktur zu modernisieren, hat die Bundesregierung konsequent verweigert. Daher musste der Verteidigungsminister jetzt die Notbremse ziehen, um das nackte Überleben zu sichern. / Mit Kasernenverkäufen und Auflösung von Militärmusiken kann man nicht die fehlenden Funkgeräte, gepanzerten Mannschaftstransporter, Nachtsichtgeräte, Kasernensanierungen und Ausrüstung der Miliz finanzieren, weil das eben mehr kostet, als durch die Reduzierung erspart wird. Und damit dann niemand behaupten kann, vor negativen Entwicklungen nicht gewarnt worden zu sein, halten wir fest: 1. Diese Reform ist keine Reform, die die Leistungsfähigkeit steigert

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und das Bundesheer auf moderne Aufgabenstellungen gemäß österreichischer Sicherheitsstrategie vorbereitet. Die vorgestellten Maßnahmen dienen ausschließlich dazu, die Strukturen und Fähigkeiten an die zu geringen finanziellen Möglichkeiten anzupassen, sie also trotz gestiegenem Aufgabenspektrum unwiederbringlich zu verringern. Forderung 1 der ÖOG: Erhalt der strategischen Zukunftsfähigkeit 2. Damit kann das gesamte Spektrum der Aufgaben, die in der Verfassung zwingend vorgeschrieben sind, nicht mehr vollständig erfüllt werden. Das Bundesheer wird zukünftig schon bei der einfachen Katastrophenhilfe oder sicherheitspolizeilichen Assistenzen größeren Ausmaßes an die Leistungsgrenze stoßen. Forderung 2 der ÖOG: Sicherstellung des verfassungsmäßigen Auftrages 3. Erst im vorigen Jahr hat das Parlament eine neue Österreichische Sicherheitsstrategie verabschiedet. Diese Vorgaben werden bei weitem nicht erfüllt. Damit ist Österreich auf aktuelle Bedrohungen des 21. Jahrhunderts nicht zeitgemäß vorbereitet, obwohl die Regierung in ihrem Programm selbst eine Modernisierung der Ausrüstung verlangt!

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Forderung 3 der ÖOG: Modernisierung der Ausrüstung und Infrastruktur 4. Die Attraktivierung des Grundwehrdienstes und die Neuausrichtung der Miliz finden nur alibimäßig statt. Der Wählerwille vom Jänner 2013 wird ignoriert und das verfassungskonforme Milizsystem mangels Nachwuchs und Ausrüstung weiter ausgehöhlt. Forderung 4 der ÖOG: Stärkung des Milizsystems 5. Die „strategische Reserve“ des Staates wird zerstört, durch die Reduzierung der schweren Waffen wird die Sicherheit der Soldaten und der Bevölkerung aufs Spiel gesetzt und die Souveränität des Staates wird gefährdet. Das ist angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage verantwortungslos! Forderung 5 der ÖOG: Stärkung der Einsatzbereitschaft 6. Die Bundesregierung verlässt damit den Boden der Verfassung und interpretiert die Gesetze, Parlamentsbeschlüsse und Volksbefragungen nach eigenem Gutdünken, statt sie zu vollziehen. Das ist ein rechtsstaatlicher Skandal! Forderung 6 der ÖOG: Breite parlamentarische Diskussion über ein nachhaltiges Sanierungs- und Finanzierungskonzept

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© RALF ZWILLING/ TANK MASTERS.DE

Österreichs Infanterie braucht 1 Milliarde Euro GENERALMAJOR MAG. HERBERT BAUER

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Infanterie SOLL-Zustand

ZUR PERSON Generalmajor Mag. Herbert Bauer war Kommandant des Ausbildungszentrums Jagdkampf sowie der 6. Jägerbrigade und ist derzeit Militärkommandant von Tirol.

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Der moderne Infanterist kann jederzeit mit seinem Nachbarn über Funk sprechen, wird mit seinem Standort von seinen Vorgesetzten digital erfasst, sieht bei Nacht fast wie bei Tag und kann mit einem breiten Waffenspektrum bei Tag und Nacht mit präzisen elektronischen Visiereinrichtungen wirksam werden. Er verfügt über wetterfeste multifunktionale Bekleidung und Schutzausrüstung gegen die wahrscheinlichsten Verletzungen und gefährlichsten Bedrohungen durch Verwundung und ABC-Bedrohungen. Er bewegt sich in gepanzerten Fahrzeugen, die gegen Beschuss und Minen Schutz bieten. Anfang des 21. Jahrhunderts wurden diese Forderungen definiert und von den Armeen zur Beschaffung in Auftrag gegeben. / Die Kosten sind im Verhältnis zu den Kosten aus dem vorigen Jahrhundert verzehnfacht. Der Schutz der Soldaten war und ist den Staaten jedoch wichtig. Für ihre Bürger in Uniform wollen diese Staaten eine Ausrüstung, die den technologischen Entwicklungen und den Mög-

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lichkeiten sowie den Preissteigerungen angepasst sind. Wer seinen Soldaten per Gesetz abverlangt, zur Erfüllung des Auftrages sein Leben einzusetzen, hat auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit dem technischen Standard entsprechend maximiert wird.

Infanterie IST-Zustand Die österreichische Infanterie, mehrheitlich durch Milizsoldaten gebildet, hinkt hier in der Ausrüstung weit nach. Als ein Indiz sei daran erinnert, dass diverse Bezeichnungen von Ausrüstung und Waffen mit der Jahreszahl ihrer Einführung beziffert sind. So verwendet die österreichische Infanterie das Panzerabwehrrohr 66, das Scharfschützengewehr 69, das Maschinengewehr 74, zum Teil noch über Elemente des Kampfanzugs 75, das Sturmgewehr 77 oder die Pistole 80. Nun sind die Waffen per se wohl auftragskonform, jedoch fehlen weitgehend elektronische Visiereinrichtungen, wie Laser-/ Lichtmodule, Nachtsichtzieleinrichtungen und

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© ÖBH/6. JGBRIG

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vor allem Aufsätze für das Verschießen besonderer Munition und die Spezialmunition, die für eine moderne Bewaffnung erforderlich sind. Als Regenschutz wird meist nur eine zweite wassersaugende Jacke ausgegeben, Schutz für Gelenke oder gar gegen ballistische Wirkung fehlen fast zur Gänze bzw. sind in nicht annähernd ausreichender Menge vorhanden, um das gemäß Österreichischer Sicherheitsstrategie - und damit auch im Parlament abgesegnet - geforderte Gesamtkräfteerfordernis von 55.000 Soldatinnen und Soldaten abzudecken. › Im Sinne dieser Sicherheitsstrategie ist die eigenständige militärische Landesverteidigung eine unabdingbare Voraussetzung für den Schutz der Souveränität und Integrität. Das bedeutet insbesondere die Gewährleistung bzw. Wiederherstellung der Funktions- und Überlebensfähigkeit bei Angriffen auf Staat, Gesellschaft und Lebensgrundlagen. Auf Grund der Möglichkeit überraschender Lageeskalationen ist eine rasche und flexible Kräfteaufbietung sicherzustellen. Die Fähigkeit für einen Übergang assistenzieller Schutzeinsätze in einen eigenständigen militärischen Einsatz ist zu gewährleisten. Als Grundlage dafür muss das ÖBH daher über ausreichende robuste und durchhaltefähige Kräfte verfügen. Österreichische Sicherheitsstrategie, Sicherheit in einer neuen Dekade – Sicherheit gestalten, Wien 2013, Seite 22

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fair gehandelt. nah versorgt.

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© ÖBH/DEBELAK

Weiß die Politik das?

Zur Erfüllung der vorgegebenen nationalen und internationalen Aufgaben sind für das Bundesheer die dafür notwendigen budgetären, personellen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen sicherzustellen. Österreichische Sicherheitsstrategie, Sicherheit in einer neuen Dekade – Sicherheit gestalten, Wien 2013, Seite 24

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Der Politik ist das alles bekannt, denn immerhin steht unter dem klingenden Titel „Erfolgreich. Österreich.“ im Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung für 2013 bis 2018 die klare Erkenntnis: „Das Bundesheer hat in Teilbereichen nicht die zukünftig notwendige militärische Leistungsfähigkeit.“ Folgerichtig heißt es daher weiter: „Das Bundesheer muss auf der Grundlage der neuen Österreichischen Sicherheitsstrategie, des Wehrdienstberichtes, des Milizsystems und der Immerwährenden Neutralität an die zukünftigen Herausforderungen und Aufgaben angepasst werden. Eine Verbesserung der Fähigkeiten sowohl zur militärischen Landesverteidigung als auch für Assistenzeinsätze ist anzustreben.“ Wir finden in diesem Regierungsprogramm auch das klare Ziel: „Sicherstellung eines bestmöglichen Schutzes für die SoldatInnen und Investitionen insbesondere in den Bereichen Führungs- und Aufklärungsfähigkeit, aktive Luftraumüberwachung und Modernisierung der Hubschrauber sowie bedarfsorientierte Modernisierung der Kaserneninfrastruktur.“

Was kostet das also? Nimmt man die immer wieder kolportierten Zahlen, wonach ein Jägerzug im Jahre 1997 ohne Fahrzeuge 700.000 Euro und mit (ungepanzerten) geländegängigen Fahrzeugen 840.000 Euro gekostet haben soll, und setzt das den Kosten eines modernen Infanteriezuges gegenüber, erkennt man eine Verzehnfachung des Preises.

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Denn ein oben beschriebener Infanteriezug, der sich auch geschützt bewegen können soll, wird mit 2,6 Millionen Euro ohne Fahrzeuge und mit 8,9 Millionen Euro inklusive geschützten Fahrzeugen veranschlagt. Demnach käme der Einzelsoldat ohne Fahrzeuge auf einen Kostenpunkt von mehr als 86.000 Euro; die deutsche Bundeswehr veranschlagt 140.000 Euro für den einzelnen Soldaten der Zukunft. / Was liegt nun näher als zu schauen, wie viele Infanteriezüge es im Bundesheer auszustatten gilt? In der nachstehenden Rechnung wird einmal nur von einem Infanteriezug mit 30 Mann ausgegangen und die Notwendigkeit der Berechnung des Überbaus von zumindest den Kompanie- und Bataillons-Kommanden, von begleitenden Aufklärungskräften oder anderen Bedarfsträgern wie Führungs-, Kampf- und Einsatzunterstützungsverbänden abgesehen! / Ohne Spezialeinsatzkräfte, ohne Garde, ohne Panzergrenadiere oder Aufklärer soll das Bundesheer über neun präsente Infanterieverbände verfügen, die natürlich erst mit Aufbietung der Miliz auf ihre volle Einsatzstärke aufwachsen. Die vorhandenen zehn Jägerbataillone der strukturierten Miliz sollen bis 2018 um weitere zwölf Kompanien aufgestockt werden, die dringend für den Schutz kritischer Infrastruktur mit regionalem Bezug, militärischer Heimat und einem Grundauftrag ausgestattet, benötigt werden. Geht man von drei Kompanien je drei Züge und Außerachtlassung allfälliger Kampfunterstützungskompanien aus, ergibt das also mit allen aufgezählten Unschärfen einen Ausstattungsbedarf von 207 Jägerzügen.

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Das Gesamtkräfteerfordernis beträgt aus heutiger Sicht 55.000 Soldatinnen und Soldaten. Österreichische Sicherheitsstrategie, Sicherheit in einer neuen Dekade – Sicherheit gestalten, Wien 2013, Seite 22

Die Gesamtstärke der Schweizer Armee ist 200.000 Soldatinnen und Soldaten. 120.000 Milizsoldaten leisten jedes Jahr drei bis vier Wochen Fortbildungsdienst bei der Truppe.

Das bedeutet also einen Investitionsbedarf von über 500 Millionen Euro und da ist noch kein (!) geschütztes oder geländegängiges Fahrzeug inkludiert. / Berechnet man auch den Bedarf an gepanzerten Fahrzeugen, zumindest für die Hälfte der Jägerbataillone, kommt man auf Zusatzkosten von über 600 Millionen Euro. Korrekterweise müssen aber auch Führungs-, Aufklärungs-, Kampfunterstützungs- und Logistikfahrzeuge, wie z. B. Sanitätspanzer oder Bergefahrzeuge, welche sich im Einsatzraum befinden, ebenso gepanzert sein, dann übersteigt man im bisher vernachlässigten Bereich der Infanterie auch die 2-Milliarden-Grenze.

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© GLADIUS

Wikipedia

/ Stattet man nicht alle Soldaten gleichermaßen aus, nimmt man in Kauf, dass auch nicht alle gleichzeitig eingesetzt werden können oder dass es völlig unterschiedliche Qualitäten gibt. Die Stärke lässt sich allerdings nicht beliebig reduzieren, sind ja derzeit ohnehin zu wenig Kräfte geplant, um zeitgleich, über einen längeren Zeitraum und flächendeckend alle Schutzobjekte Österreichs zu bedecken. Quantitative und qualitative Defizite können nicht im Sinne der Politik, geschweige denn im Sinne des Schutzbedürfnisses der Soldaten und der Bevölkerung sein.

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Neues Soldatendienstrecht muss eine Win-Win-Situation sein BRIGADIER DR. HARALD PÖCHER

Einführung in die Problemstellung

© ÖBH/MICHAEL MILLER

Nahezu jeder Staat hat seine eigenen Vorstellungen, in welcher Form er seine Soldatinnen und Soldaten anstellt. Ein internationaler Vergleich über die Form der Anstellung von Soldaten ergibt ein unterschiedliches Bild; von flexiblen Zeitlaufbahnen bis hin zu pragmatisierten Dienstverhältnissen sind nahezu alle vorstellbaren Kombinationen vorhanden. / In Österreich war bis Anfang der 2000er Jahre die dienstrechtliche Stellung von österreichischen Soldaten kein vorherrschendes Diskussionsthema. Erst die Bundesheerreformkommission 2010 diskutierte intensiver dienstrechtliche Aspekte des Soldatenberufes. Es galt vor allem ein Dienstrecht zu finden, welches mehr Flexibilität und Mobilität beim Einsatz von Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland gewährleisten sollte. / Einen vorläufigen Höhepunkt erlebt die Diskussion um das Soldatendienstrecht im Zuge der aktuellen Einsparungsnotwendigkeiten, welche auch die einzelnen Ressorts massiv betrifft. Auf der Suche nach Einsparungspotentia-

len stellte man im Ressort fest, dass bereits 70 Prozent des zugewiesenen Budgets für die Bezahlung des Personals (Aktivkader, Zivilbedienstete und Rekruten sowie Waffenübende) aufgewendet werden muss. Dies ist ein Wert, der in Europa einzigartig, allerdings auch kein Wunder ist, wenn man das Budget laufend absenkt, die Aufgaben stetig anhebt und indexbegründete steigende Betriebskosten und moderne Ausrüstung seitens der Politik nicht bedeckt. Normalerweise beträgt dieser Wert nicht mehr als 50 Prozent. Mitverantwortlich gemacht wird für diesen hohen Wert das Dienst-, Pensions- und Besoldungsrecht, welches vorsieht, dass beamtete Soldaten erst mit Ablauf des 65. Lebensjahres ohne Inkaufnahme höherer Abschläge in Pension gehen dürfen und bis zum Pensionsantritt durch die Vorrückungssystematik immer teurer werden. Älteres Kaderpersonal ist aber für die Auftragserfüllung von Streitkräften im Einsatz an vorderer Front kontraproduktiv, da mit zunehmendem Alter und abnehmender körperlicher Leistungsfähigkeit die Einsatzmöglichkeiten begrenzt sind.

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Die aktuelle Situation – eine Ist-Darstellung

Historie des Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechts von Soldaten in Österreich Österreich beschritt bei der Aufstellung des Bundesheeres der 2. Republik im Jahre 1955 den Weg, Berufssoldaten in das Beamtendienst- und Pensionsrecht sowie in das Gehaltsgesetz für Beamte zu integrieren. Dies ist bisher ein Erfolgsmodell, da die Berufssoldaten im Schutzschirm der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst Schulter an Schulter mit den anderen Dienstzweigen des öffentlichen Dienstes ihre Arbeitsbedingungen sicherstellen konnten. Für die in das Bundesheer eintretenden Soldaten war damit klar, dass sie wie jeder andere Bundesbedienstete um das 60. Lebensjahr in Pension gehen können. Durch die Pragmatisierung hatten sie ferner auch eine Sicherheitsgarantie für ihren Arbeitsplatz, was attraktiv war und trotz vergleichsweise geringer Bezahlung erst Personal in ausreichender Quantität und Qualität sicher stellte. Bundesbeamte, vor allem in nachgeordneten Dienststellen, zählen sicher nicht zur Gruppe der Spitzenverdiener. / Es besteht kein Zweifel, dass das Kaderpersonal der österreichischen Streitkräfte im internationalen Vergleich gesehen überaltert ist. Bedingt durch die Novellierungen im Pensionsrecht, müssen nämlich alle beamteten Soldaten bis zum 65. Lebensjahr im Dienststand bleiben. Eine vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres angestrebte Pensionierung ist zwar prinzipiell möglich, bedeutet aber finanzielle Einbußen in spürbarer Härte oder - wie bei der „Chance 55“ im Jahr 2000 - zumindest keine spürbare Entlastung des Wehrbudgets. ›

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Die finanzielle Situation der österreichischen Streitkräfte ist in der fast 60-jährigen Geschichte des Bestehens der bewaffneten Macht niemals rosig gewesen und seit dem Beginn des Bundesheers generell ständig nach unten gegangen. Nunmehr ist das System aber an einem Punkt angelangt, an dem es ohne Richtungsentscheidung keine gesicherten Zukunftsperspektiven für das Bundesheer gibt. Entweder man macht so weiter wie bisher, dann wird das Bundesheer zwar weiter bestehen bleiben, aber nur mehr ein sehr geringes Aufgabenspektrum wahrnehmen können, oder es wird das Verteidigungsbudget spürbar erhöht, was zwar ein leichteres Überleben des bestehenden Systems ermöglicht, aber auch keine wirkliche Lösung für das Problem der Überalterung des Kaderpersonals, aber auch der Ausrüstung darstellt. / Sollte sich am Grundproblem nichts ändern, dass nämlich einfach zu wenig Geld für die Landesverteidigung zur Verfügung gestellt wird, braucht man kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass in naher Zukunft bald jenseits von 75 Prozent für die Bezahlung des Personals aufgewendet werden muss. Eine Umschichtung der Aufgaben auf die Miliz kann zwar eine Entlastung bringen, aber Rekrutenausbildung, Luftraumüberwachung, Nachrichtendienste, Akademien und Schulen oder diverse technische Einrichtungen werden dadurch noch nicht betreibbar und die Miliz ist damit noch lange nicht zeitgemäß ausgerüstet. Für Neuinvestitionen und den Betrieb bleibt dadurch kein Spielraum und das Bundesheer degeneriert damit zur reinen Operettenarmee, was wiederum auf die internationale

Reputation Österreichs spürbare Auswirkungen haben muss.

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ZUR PERSON

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Brigadier Dr. habil. Harald Pöcher ist Mitglied der OGB und Leiter der Revisionsabteilung B im BMLVS.

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/ Es besteht daher ein dringender Handlungsbedarf, will man den Streitkräften eine Verjüngungskur verpassen. Über das „Wie“ dieser Wunderkur gibt es bislang außer nebulosen, populistischen Forderungen keine ernsthafte Diskussion und damit auch keine Grundlage, auf der man einen konstruktiven Meinungsaustausch pflegen könnte. Vor allem kostet jede Lösung ganz einfach Geld, für dessen Aufbringung offensichtlich keine politische Bereitschaft besteht.

Skizzen eines neuen Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechtes Zur Herstellung „einer gesunden Altersstruktur des Kaderpersonals“ bedarf es eines außergewöhnlichen Kraftaktes, der nur als „Win-Win-Situation“ lösbar scheint. Dies bedeutet, dass bei der Lösung des Problems jeder einzelne Steuerzahler und Bürger als Konsument von Sicherheit einerseits und die Streitkräfte sowie nicht zuletzt die betroffenen Bediensteten Gewinner sein sollten. In der Folge werden erste mögliche Lösungsansätze als Diskussionsbasis skizziert. / Der „Soldat neu“ sollte auch nach einer Reform des Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechtes weiterhin öffentlicher Bediensteter sein, um das besondere Treueverhältnis des Soldaten zum Staat auszudrücken. Ein neues Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrecht hätte sich daher am Dienstrecht für den Öffentlichen Dienst zu orientieren, muss aber den Bedürfnissen moderner und flexibel einsetzbarer Streitkräfte Rechnung tragen. Hierzu sind sowohl Zeitlaufbahnen als auch pragmatisierte Dienstverhältnisse bis zum 60. Lebensjahr vorzusehen. Die Kurve der Lebensverdienstsumme sollte allerdings mit höherem Anfangsgehalt flacher ansteigen als bei der

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geltenden Rechtslage, um den jungen Soldaten den Aufbau einer gesicherten Existenz zu ermöglichen. Ferner hätte sich die Besoldung des Soldatenberufes an der Eigentümlichkeit des Dienstes zu orientieren, aber auch an Berufen in anderen Sicherheitssparten und natürlich am konkurrenzierenden Arbeitsmarkt. Die Art und Weise der Freisetzung von Personal nach dem Ende der Zeitlaufbahn ist umfassend zu regeln und zu organisieren. Ohne Sicherheiten und entsprechende Bezahlung werden sich, wie europäische Vergleiche zeigen, nicht genug Leute finden, die diesen anstrengenden und fallweise gefährlichen Beruf ausüben. / Begleitend zur Einführung des neuen Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechtes müsste das ältere Kaderpersonal zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr im Zuge von sondergesetzlichen Regelungen sozialverträglich abgebaut werden können. Sozialverträglich deshalb, da alle Berufstätigen ihre Lebensplanung auf eine Lebensverdienstsumme aufgebaut haben und eine vorzeitige Zwangspensionierung unverkraftbare finanzielle Einbußen mit sich bringen würde. Die Pensionsberechnung jedes einzelnen freizusetzenden Bediensteten hätte auf einer fiktiven Rechnung zu basieren, die als fiktives Pensionsantrittsalter das 65. Lebensjahr und die zu erwartende Lebensverdienstsumme zu berücksichtigen hätte. Eine Nachbesetzung der freigewordenen Arbeitsplätze – insbesondere der teuren Arbeitsplätze - hätte nach Beurteilung im Einzelfall zu erfolgen. In dieser ersten Phase könnten dadurch innerhalb der nächsten fünf Jahre rund 1.500 bis 2.000 Bedienstete, die zum Zeitpunkt des „Kalten Krieges“ und damit unter ganz anderen Voraussetzungen in die Armee eingetreten sind, ihren

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wohlverdienten Ruhestand antreten. Ausnahmen von den „Zwangspensionsregelungen“ sollte es nur in begründeten einzelnen Fällen geben, beispielsweise für die höchsten Repräsentanten und für akademische Spezialverwendungen, für die es keinen adäquaten Ersatz gibt und bei denen das Alter nicht die gleiche Rolle spielt wie beim MG-Schützen oder Gruppenkommandanten. Die Freisetzung von Kaderpersonal zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr sollte zunächst auf einen Beobachtungszeitraum von zehn Jahren befristet eingeführt werden. / Der Mehrwert all dieser Maßnahmen liegt in der Verbesserung der altersmäßigen Personalstruktur der Streitkräfte mit einem geringeren prozentuellen Aufwand für die Besoldung des Personals und in einer geringeren Steuerlast jedes einzelnen Steuerpflichtigen. Nach einer ersten geschätzten Gegenrechnung der Besoldung des Aktivkaders und der Pensionsansprüche der vor dem 65. Lebensjahr in den Ruhestand versetzten Bediensteten würde der Bund weniger Steuermittel benötigen. Schließlich wären auch diejenigen Bediensteten Gewinner, welche vor dem vollendeten 65. Lebensjahr den Ruhestand antreten durften und damit frei verfügbare Lebenszeit geschenkt bekämen.

ZITIERT NACH „STRUKTURPAKET - MASSNAHMEN ZUR LEISTUNGSANPASSUNG DES BUNDESHEERES“ WIEN, AM 3. OKTOBER 2014

Das Bundesheer hat seinen Personalstand in den vergangenen Jahren bereits stetig reduziert; nicht zuletzt infolge der Personalkonsolidierung des Bundes. Seit 2000 wurde die Anzahl der Beschäftigten um 16,5 Prozent reduziert. Derzeit beschäftigt das Bundesheer 15.690 Soldatinnen und Soldaten in einem Dienstverhältnis (davon 1.414 im Ausbildungsdienst) und 8.322 Zivilbedienstete. Aufgrund der vergangenen Reformen haben nicht alle Bediensteten einen Arbeitsplatz; derzeit gibt es 1.041 Personen über dem Stand. Diese sind aber in den Arbeitsprozess voll eingegliedert: • 251 arbeiten bereits auf einem Zielarbeitsplatz • 88 sind im Schichtdienst für Sicherheitsaufgaben eingesetzt • 702 werden als Personalaushilfe eingesetzt, arbeiten an Projekten bzw. versehen bereits in einem anderen Ressort Dienst in Vorbereitung auf eine Versetzung Innerhalb der letzten Jahre haben rund 300 Mitarbeiter in andere Bereiche des öffentlichen Dienstes gewechselt. Bis 2018 ist eine weitere Reduktion des Personals um 5,9 % geplant. Dies bedeutet eine Verringerung von 1.400 Arbeitsplätzen. Damit soll der Anteil der Personalkosten am Gesamtbudget reduziert werden. Die Kürzungen im Personalbereich sollen durch Pensionierungen, Reduktion der Aufnahmequoten und Personalfluktuation erreicht werden. Bis 2018 werden alleine ca. 1.600 Bedienstete in den Ruhestand versetzt.

Flieg ab Salzburg! Der Winterflugplan 2014/15 des Salzburg Airport ist ab sofort gültig. Durch die Anbindung an drei große Airline-Allianzen – Star Alliance, oneworld und Skyteam – sind ab Salzburg Destinationen auf der ganzen Welt erreichbar. Über die Verkehrs-Drehscheiben Amsterdam, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, Istanbul, London, Palma de Mallorca, Wien und Zürich steht den Reisenden eine große Auswahl an Weiterflugmöglichkeiten zur Verfügung. Zudem gibt es zahlreiche Direktverbindung nach Großbritannien, Spanien, Irland, den Niederlanden, Schweden, Finnland, Dänemark, Norwegen, Island, Estland, Litauen, Ägypten, der Türkei, Ukraine und Russland. Direkt ab Salzburg Die tägliche Verbindung von Salzburg nach Istanbul wird sehr gut angenommen und wird ab Sommer 2015 voraussichtlich sogar auf zehn wöchentliche Flüge aufgestockt. Intersky bedient weiterhin die Inlandsverbindung von Salzburg nach Graz bzw. die Strecke nach Zürich. Die britische Fluglinie easyJet erweitert ihr Flugprogramm ab Salzburg ebenfalls und fliegt neben Berlin-Schönefeld ab sofort 5-mal wöchentlich ganzjährig nach Hamburg. British Airways bietet die Verbindung von Salzburg nach London Gatwick nunmehr 9-mal pro Woche an. Mit Norwegian gelangen Sie jeweils samstags ebenfalls nach London Gatwick und Ryanair bringt Sie bis zu 8-mal wöchentlich nach London Stansted. Sommer in der Ferne Sonnenhungrige fliegen mit Niki/airberlin auf die Kanaren oder die Balearen. In Portugal stehen Faro und Funchal ebenso auf dem Programm wie Ziele auf dem spanischen Festland, darunter Alicante, Bilbao, Barcelona oder Madrid, um nur einige zu nennen. Sunexpress und Turkish Airlines runden mit Flügen nach Antalya die Sonnendestinationen ab. Für all jene, die das Fernweh gepackt hat, haben bekannte Reiseveranstalter reizvolle Pauschalangebote geschnürt. Fliegen Sie etwa nach Jamaica, Kuba oder auf die Seychellen!

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© UK SUPREME COURT (2)

Ermutigung oder Ernüchterung? Gedanken zum Urteil des UK Supreme Courts 2013

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or eineinhalb Jahren verkündete der UK Supreme Court ein Urteil zur Reichweite und zu den Grenzen staatlicher Grundrechtsgarantien in militärischen Einsätzen, das erhebliche mediale Aufmerksamkeit auf sich zog. Dabei wurde in manchen Darstellungen erheblich über das Ziel geschossen.

© PRIVAT

Sachverhalte

ZUR PERSON Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Sigmar Stadlmeier, LL.M. (London), Vorstand des Instituts für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internationale Beziehungen der Johannes Kepler Universität Linz. Geboren 1964, Promotion 1991, Habilitation 1997, Milizverwendungen in Sperrtruppe und Infanterie, derzeit Major des Intendanzdienstes und beordert als Rechtsberater.

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Dem Urteil liegen drei getrennte Sachverhalte zu Grunde. Der erste betraf einen Vorfall, in welchem drei britische Soldaten im März 2003 im Irak durch den Beschuss eigener Kräfte getötet bzw. schwer verletzt wurden. Die Kläger warfen der britischen Regierung vor, die Truppen vor Entsendung nicht ausreichend im Panzererkennungsdienst ausgebildet bzw. die Gefechtsfahrzeuge nicht mit zweckmäßigen Hilfsmitteln zur Identifikation Eigener ausgerüstet zu haben. Der zweite und der dritte Fall entstanden aus zwei Vorfällen Mitte 2005 und Anfang 2006 im Irak, in welchen mehrere britische Soldaten durch die Detonation improvisierter Sprengsätze (improvised explosive device, IED) neben ihren Fahrzeugen vom Typ Snatch Land Rover getötet wurden. Auch in diesem Fall warfen die Kläger Großbritannien vor, die Soldaten mit unzureichender Ausrüstung (unzureichende Här-

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tung und ECM-Ausrüstung der Land Rover zur vorzeitigen Auslösung von IEDs) in den Einsatz geschickt und damit unter anderem gegen die Pflicht zur angemessenen Gewährleistung des Rechts auf Leben aus Art 2 EMRK verstoßen zu haben.

Prozessuale Vorgeschichte Das britische Verteidigungsministerium hatte in den unterinstanzlichen Verfahren jeweils dafür plädiert, die Ansprüche der Kläger ohne nähere Prüfung als unzulässig zurückzuweisen: Zum einen stünde die doctrine of combat immunity staatlichen Schadenersatzpflichten aus Kampfhandlungen entgegen; zum anderen sei die EMRK auf britische Soldaten im Irak nicht anwendbar, und in jedem Fall seien ihnen keine Schutzpflichten im behaupteten Ausmaß unter Art 2 EMRK geschuldet.

Die Entscheidung des Supreme Court Die Ausführungen des Gerichts zur doctrine of combat immunity können hier außer Betracht bleiben, weil sie primär für den anglo-amerikanischen Rechtskreis und seine Common-LawTradition ungeschriebener Rechtsgrundsätze von Bedeutung sind. Diese Darstellung konzen-

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triert sich daher auf die Argumente zum Recht auf Leben unter der EMRK. / Für das Ausmaß, in welchem ein Vertragsstaat den Angehörigen seiner Streitkräfte aktive Schutzpflichten aus dem Titel „Recht auf Leben“ schuldet, erblickten die Richter durchaus Parallelen zu anderen Einsatzorganisationen wie Polizei oder Feuerwehr, indem auch deren Tätigkeit vorhersehbare Gefahrenlagen beinhaltet, sahen die Streitkräfte aber doch in einer Sonderrolle: Die Kernaufgabe von Streitkräften besteht im Einsatz in einem bewaffneten Konflikt, der seiner Natur nach gefährlich, aber auch unberechenbar sei; die Richter zitieren sogar die alte militärische Binsenweisheit, dass im Kampfeinsatz kaum ein Kampfplan den ersten Feindkontakt überdauere. Davon seien andere Einsatzformen und Szenarien wie friedenserhaltende Einsätze zu trennen (ohne deren eigentümliches Gefahrenpotenzial zu verharmlosen), weil diese im Rahmen eines Mandates besser planbar erscheinen. Ähnliches gilt für Übungsund Ausbildungsvorhaben, die hinsichtlich ihrer Inhalte und ihrer innewohnenden Risiken eben planbar wären, womit auch eine entsprechende Sorgfaltspflicht des Staates entsteht, Risiken für Leib und Leben möglichst hintanzuhalten. Das militärische Beschaffungswesen (das, wie wir uns erinnern, im Zentrum der Vorwürfe der Kläger steht) sei anders zu beurteilen: Die Besonderheit des im Zentrum stehenden Kriegsmaterials und seine in der Regel erheblichen Kosten würden Beschaffungsentscheidungen einen inhärent politischen Charakter geben, der nur bedingt richterlicher Beurteilung zugänglich ist. Die Bandbreite des militärischen „Tagesgeschäfts“ lasse keine einfache Regel zu, inwieweit

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der Staat eine rechtlich fassbare „Garantenstellung“ für Leben und Sicherheit von Streitkräfteangehörigen innehat: Es gehe dabei vielmehr um eine Balance zwischen unrealistischen oder unverhältnismäßigen Verpflichtungen des Staates in Ausnahmesituationen auf der einen Seite und vernünftigen Schutzpflichten für seine Rechtsunterworfenen auf der anderen Seite. Dabei sei auch der weite Ermessensspielraum ins Treffen zu führen, der dem Staat in der Planung und Durchführung militärischer Operationen zugestanden werden müsse. Deswegen sei es eben nötig, die Umstände eines Einzelfalls, in dem eine solche Verletzung staatlicher Schutzpflichten behauptet wird, zum Gegenstand der Beweisaufnahme und rechtlichen Würdigung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu machen, und deswegen sei den Rechtsmitteln der Kläger stattzugeben. / Damit hat der Supreme Court eben keine inhaltliche Entscheidung darüber getroffen, ob die Klagen inhaltlich berechtigt sind oder nicht, sondern nur angeordnet, dass sie nicht zurückzuweisen, sondern vor den zuständigen Unterinstanzen zu verhandeln und letztlich zu entscheiden sind. An dieser Stelle hakt die Mindermeinung zweier Richter ein und hält den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg für das bessere Forum, eine solch grundlegende Frage zu beantworten; einig ist das Gericht freilich im Grundsätzlichen, dass eine gerichtliche Behandlung geboten ist. Was die Klagsaussichten betrifft, hat der Supreme Court ausdrücklich vor überzogenen Erwartungen gewarnt: „It is far from clear that they [= die Kläger, d. Verf.] will be able to show that the implied positive obligation under article 2 (1) of the Convention to take prevent[at]ive operational measures was breached in either case.“ Die mediale Euphorie, die dem Urteil folgte, vermag der Verfasser jedenfalls nicht zu teilen.

KOMMENTAR DES CHEFREDAKTEURS Auch wenn das bisherige Urteil nicht sehr befriedigend erscheint, weil das Gericht vermutlich dem Staat eine dramatische Flut von Folgeklagen ersparen wollte, bleibt abzuwarten, was die nun wieder zuständigen Unterinstanz-Gerichte entscheiden werden. Wenn man sich im genannten Fall des Fehlens einer ausreichenden Härtung und ECM-Ausrüstung der Land Rover zur vorzeitigen Auslösung von IEDs vor Augen hält, kann sich das Gericht höchstens auf „an diesem Ort und zu dieser Zeit nicht vorhersehbar“ ausreden, ansonsten wäre im konkreten Fall eigentlich ein Verstoß gegen die Pflicht zur angemessenen Gewährleistung des Rechts auf Leben aus Art 2 EMRK zu erkennen. So oder so ist es ein herausforderndes Thema, diese Fragen der Verantwortung eines Staates für die Ausrüstung seiner Soldaten vor Gericht zu bringen, auch wenn es ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft ist, die Frage adäquater Ausrüstung ihrer Soldaten überhaupt vor ein Gericht bringen zu müssen. (hb.)

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Feuerleitgerät98 SKYGUARD

Fliegerabwehr in Österreich Schutz in drei Dimensionen! OBERST GERHARD HAUSMANN, MSDR

Die Österreichische Verteidigungspolitik

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Die wichtigste verfassungsmäßige Aufgabe des Österreichischen Bundesheeres ist die militärische Landesverteidigung und der Schutz der Souveränität, zu Land und in der Luft. Gemäß Entschließung des Nationalrates vom 3. Juli 2013 (Österreichische Sicherheitsstrategie) und der daraufhin entwickelten Teilstrategie Verteidigung (Beschluss der Bundesregierung vom 28. Oktober 2014) wird besonders auf die eigenständige militärische Landesver-

ZUR PERSON Oberst Gerhard Hausmann, MSD wurde 1982 zur Fliegerabwehr ausgemustert und ist seit 2009 Kommandant des Fliegerabwehrbataillons 3.

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teidigung, Luftraumsouveränität und Luftraumsicherung und -überwachung sowie den Schutz der strategisch bedeutenden Infrastruktur hingewiesen. / Der Schutz der Luftraumsouveränität Österreichs wird durch den Verband Luftraumüberwachung (LRÜ) wahrgenommen. Ein wichtiger Beitrag kommt dabei von der Fliegerabwehrtruppe.

Bedrohungslage Die große Anzahl von kürzlich entstandenen Krisen/Konflikten, die sich bereits direkt auf Österreich auswirken (Sanktionen gegen Russland und seitens Russlands, Flüchtlinge aus Nahost usw.) zeigen drastisch, dass die Welt nicht friedlicher und Krisen nicht langfristig vorhersehbarer werden. / Gerade Finanzkrisen, Ressourcenknappheit sowie ethnische und religiöse Auseinandersetzungen können das Konfliktpotential sowohl terroristischer als auch konventioneller militärischer Bedrohungen weltweit noch erhöhen. / Bedrohungen aus der Luft können vielfältig sein und überraschend wirksam werden. Das Spektrum reicht von sprengstoffbeladenen Kleinstflugzeugen (terroristische Angriffe) bis zu

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konventionellen militärischen Bedrohungen.

Aufgabe der Fliegerabwehr Die Fliegerabwehr schützt als „Ultima Ratio“ vor Angriffen aus der Luft, ist aber durch die terrestrische Aufstellung um die Schutzobjekte in der Lage, diese zu einem gewissen Maße auch infanteristisch zu schützen. Die österreichische Fliegerabwehr ist derzeit mit Radargeräten zur Aufklärung und Feuerleitung bis zu 70 km, sowie Kanonen und Lenkwaffen mit einer effektiven Reichweite bis 5 km, zum unmittelbaren Objektschutz ausgerüstet. Der Schutz kritischer Infrastruktur, von Großveranstaltungen und internationalen Konferenzen, ist gemäß den geforderten Sicherheitsstandards gerade mit diesen Einsatzmitteln im Rahmen der Luftraumsicherung im Verbund mit den fliegenden Einsatzmitteln erfüllbar. Im Übrigen ist die österreichische Fliegerabwehrtruppe aufgrund der derzeit noch modernen Ausstattung in der Lage, bei Tag und Nacht unter allen Witterungsbedingungen den Objektschutz sicherzustellen. Das Feuerleitgerät 98 SKYGUARD ist derzeit der einzige Sensor in Österreich, der Drohnen

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35mmZFliegerabwehrK85

(Kleinstflugkörper) aufklären kann und eine Bekämpfung ermöglicht. / Jüngste Internationale Beispiele für Fliegerabwehreinsätze bei Großveranstaltungen sind die Olympiaden in Peking 2008 und London 2012 (an sechs Standorten am Boden wurden Rapier- und Starstreak-Flugabwehrsysteme in Stellung gebracht), aber auch in Sotschi 2014 wurde Flugabwehr in Stellung gebracht. Das World Economic Forum (WEF) in Davos wird auf schweizerischer Seite im Objektschutz durch Flugabwehr geschützt und auf österreichischer Seite wird die Luftraumüberwachung durch Sensoren der Fliegerabwehr verdichtet. Interessant ist in diesem Zusammenhang die kürzliche Meldung in den Medien, dass in letzter Zeit mehrmals nicht identifizierte Drohnen französische Atomanlagen überflogen hätten. In Zukunft wird man wohl Bedrohungen derartiger Einsatzmittel, die relativ günstig herstellbar und einsetzbar sind, mehr Bedeutung beimessen müssen. / Die österreichische Fliegerabwehr hat sich in den letzten Jahren im INTEGRATED AIR DEFENCE SYSTEM (IADS) weiterentwickelt. Luftlagedaten sowie Aufträge zur Zielbekämpfung werden nahezu zeitverzugslos vom AIR OPERATION CENTER (AOC) über die TAKTISCHE EINSATZZENTRALE (TEZ), die Aufklärungs- und Zielzuweisungsradargeräte (AZR) und Zieldatenempfänger (ZDE) zu den Feuereinheiten weitergegeben. Dies befähigt die autorisierte und entschei-

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dungsbefugte Stelle (im Falle des sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatzes der zuständige Minister BMI oder im Fall der militärischen Landesverteidigung der zuständige Minister BMLV bzw. der Airdefence Commander ADC) zur zentralen Feuerleitung. Im Rahmen eines sich rasch ändernden Bedrohungsszenarios werden Bekämpfungsaufträge in Echtzeit an die Einsatzmittel in der Luft (Eurofighter etc.) und an jede Feuereinheit der Fliegerabwehr weitergegeben. Die Rückmeldung über die Auftragserfüllung erfolgt sofort nach der Bekämpfung.

Vorteil der Fliegerabwehr mit ihren bodengestützten Systemen ist zudem eine Durchhaltefähigkeit bei Tag und Nacht, die mit den vorhandenen fliegerischen Einsatzmitteln so nicht erreicht werden kann. Sehr spät erkannte Angriffe auf ein Schutzobjekt können auch nur mehr von vor Ort eingesetzten Einsatzmitteln, also der Fliegerabwehr bekämpft werden, da luftgestützte Einsatzmittel zu spät kommen würden. / Das zentrale Luftlagebild „GOLDHAUBE“ wird durch die Dateneinbindung der Fliegerabwehrsensoren ergänzt. Damit ist das Fliegerabwehrbataillon nicht nur Datenempfänger, sondern ebenso Datenlieferant und verdichtet das Lagebild unmittelbar im Bereich des Schutzobjektes.

Conclusio Auch wenn ein Einsatz der Fliegerabwehr gegen konventionelle Bedrohungen nicht unmittelbar bevorsteht, so ist die Bereithaltung zur Luftraumsicherung und zum Schutz kritischer Infrastruktur ein Gebot der Stunde. Nicht eine Reduktion der Fliegerabwehrtruppe, sondern zumindest eine Beibehaltung der aktuellen Stärke und Anpassung der Systeme an die laufenden Entwicklungen ist die logische Ableitung. (Weiterführende Information im TRUPPENDIENT 2/12)

KOMMENTAR DES CHEFREDAKTEURS „Aufgrund des reduzierten militärischen Fähigkeitsbedarfes im Bereich der Fliegerabwehr wird das Fliegerabwehrbataillon 3 in der Schwarzenberg-Kaserne aufgelöst“. Strukturpaket-Maßnahmen zur Leistungsanpassung des Bundesheeres, Wien 03.10.2014 (Anmerkung der Redaktion: Fliegerabwehrbataillon 1 gibt es keines mehr, nach Auflösung des Fliegerabwehrbataillons 3 verbleibt eines – das Fliegerabwehrbataillon 2). Sprach man bisher davon, dass die Fliegerabwehr in Österreich in der Lage sein muss, gleichzeitig – ohnehin nur – zwei Räume zu schützen, scheint man durch die irrationale Reduzierung von schweren Waffen diese Forderung sang- und klanglos über Bord zu werfen. Dass das justament zu einem Zeitpunkt stattfindet, wo durch den verstärkten Einsatz von Drohnen vermehrte Ziele - vor allem auch über Schutzobjekten - auftauchen, lässt die Frage nach der Sinnhaftigkeit legitim erscheinen. Die jeweilige horizontale Ausdehnung der Einsatzräume eines Fliegerabwehrbataillons beträgt bis zu 25 x 25 km. Innerhalb dieser Räume kann sich jeweils ein besonderes Schutzobjekt befinden. Dieses muss durch ein Fliegerabwehrbataillon gegen Bedrohungen aus der Luft geschützt werden - in Österreich wird das in Zukunft dann nur mehr ein Objekt sein. Natürlich erscheint es lobenswert, einen waffengattungsspezifischen Rekonstruktionskern zu erhalten, aber ist jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt zur Reduzierung von Schutzmitteln? Der Politik sei ins Stammbuch geschrieben, dass sie mit dem erzeugten ökonomischen Druck eine systematische Entwaffnung der ultima ratio des Staates durchführt. Nach und hinter dem Bundesheer mit seinem Alleinstellungsmerkmal der schweren Bewaffnung gibt es nichts mehr. (hb.)

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Wladimir AICHELBURG:

Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este 1863–1914 PROF. PETER MULACZ, OBERST A. D.

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ichelburg legt hier ein monumentales Werk von über dreitausend Seiten vor, dem eine kurze Rezension nicht gerecht werden kann. Die drei Bände rücken Erzherzog Franz Ferdinand in ein neues Licht und zeigen viele unbekannte Facetten seiner Persönlichkeit, z. B. geht er am liebsten von der Öffentlichkeit unerkannt im Zivil; die Uniform zieht er nur zu dienstlichen Anlässen an. Er ist sehr gebildet; seine Interessenschwerpunkte liegen – von Militär (insbesondere Marine) und Politik abgesehen – in Kunstgeschichte und Botanik: Er ist ein großer Kunst- und Antiquitätensammler und er legt in all seinen Schlössern Gärten an; der modernen Technik gegenüber ist er sehr aufgeschlossen. In der Architektur will er zugleich modernisieren und das Alte bewahren – analog dazu versucht er auch in der Politik konträre Aspekte miteinander zu vereinen. Während er bei seinen

Zeitgenossen kein Mann großer Popularität war, erscheint der Erzherzog bei Aichelburg durchaus sympathisch. / Als „Notizen zu einem ungewöhnlichen Tagebuch eines außergewöhnlichen Lebens“ bezeichnet der Verfasser sein gewaltiges Werk – und mit Recht, denn die Biographie ist chronologisch aufgebaut, sie beginnt 1858 mit der zweiten Ehe des Vaters und zeichnet nach dem Mord von 1914 in großen Zügen auch die Schicksale der Kinder nach. Nicht nur die einzelnen Ereignisse des Tages werden gemäß Aufzeichnungen und Briefen notiert, es kommen auch Stimmen aus der Umgebung des Erzherzogs und Pressemeldungen dazu; nur fallweise ergänzt Aichelburg sie durch erklärende bzw. textkritische Kommentare. Die in dem Werk gesammelten Quellenauszüge (die meisten stammen aus dem bisher der Öffentlichkeit kaum zugänglich gewesenen Privatnachlasses

Franz Ferdinands) werden als Zeitzeugnisse im Original zitiert. / Die Jugendjahre des Erzherzogs, seine Militärdienstzeit, seine Orientreise 1885, seine Weltreise 1892–93, von der er tausende ethnologische Sammelobjekte mitgebracht hat, die Jahre seiner schweren TBC-Erkrankung (1895–98), die ihre psychischen und physischen Spuren hinterlassen hat, die Einrichtung seiner Militärkanzlei, die morganatische Ehe mit Sophie Gräfin Chotek (später Herzogin), die Geburt der Kinder, die Ernennung zum Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht – all das spiegelt sich akribisch genau in den Quellenauszügen wider. Schließlich die unheilvolle Reise zum Besuch der „größeren Manöver in Bosnien-Hercegovina“ im Juni 1914 und der Ablauf der beiden Attentate: Dem ersten waren die Hoheiten entgangen, das zweite endete tödlich. / Weiters gibt es eine Reihe von Anhängen, u. a. das Regierungsprogramm des Erzherzogs für den Thronwechsel; die Gruft in Artstetten; Orden; seine Schlösser; Eisenbahnwaggons; Hofzüge und seine Automobile (darunter ein Elektromobil); seine Rezeption in der Literatur und im Film; ein Literaturverzeichnis und ein ausführliches Personenverzeichnis mit vielen Details. Wer sich seriös mit der Person des Erzherzogs beschäftigen möchte, kann an diesem Werk nicht vorbeigehen. Wladimir AICHELBURG: Erzherzog Franz Ferdinand von

© VERLAG FERDINAND BERGER & SÖHNE

Österreich-Este 1863–1914

Notizen zu einem ungewöhnlichen Tagebuch eines außergewöhnlichen Lebens. Europas Weg zur Apokalypse. 3 Bände, gebunden, in Kassette, insgesamt 3.284 Seiten, 56 s/w-Abb. Verlag Ferdinand Berger & Söhne, Horn, 2014, ISBN: 9783850286244 € 150,–

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„Die alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität – greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr.“ Wolfgang Schüssel QUELLE: NATIONALRAT, XXI. GP, STENOGRAPHISCHES PROTOKOLL, 97. SITZUNG, S. 138

Ausgewählte Zeitungsmeldungen aus dem Jahr 2014 In Europa und der Welt • Unbekannte Drohnen fliegen systematisch über französischen Atomkraftwerken. Behörden beunruhigt. Anschlag befürchtet. • NATO-Jets haben heuer bereits 100-mal russische Flugzeuge abgefangen und zur Kursänderung gezwungen. • Bei Konfrontationen zwischen pro-russischen und pro-ukrainischen Kräften im Süden der Ukraine kam es in den vergangenen Monaten zu über 1.000 Toten. Zeitweise herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. • Militärisch ist der Islamische Staat inzwischen eine ernstzunehmende Macht: Seine Truppen verfügen laut Medienberichten neben klassischen Infanteriewaffen über 3.000 Truppentransporter, rund 50 schwere Kampfpanzer russischer und amerikanischer Bauart und rund 150 gepanzerte Fahrzeuge. Dazu kommen schwere Artillerie, Granatwerfer und Raketen bis hin zum Scud. Etwa 12.000 ausländische Kämpfer sollen die Reihen der syrischen und irakischen IS-Truppen verstärken. Die Gruppe dürfte somit insgesamt auf mehr als 50.000 Kämpfer kommen. • Türkische Panzer bewachen die syrische Grenze. • Immer mehr Terroranschläge in Europa. Europol warnt vor einem Anstieg des Terrorismus in der EU. • Dänemark forderte seine Polizisten und Soldaten schriftlich dazu auf, besonders aufmerksam zu sein. • 154 Menschen sind von Österreich aus in den Dschihad gezogen. 26 von ihnen sind bei den Kämpfen in Syrien ums Leben gekommen, 64 zurückgekehrt und seither im Fokus des Staatsschutzes. • Verfassungsschutz Österreich: „Einige Tausend sympathisieren mit IS-Kämpfern.“ • 14-jähriger Terrorverdächtiger wurde vor Bombenattacke auf Ziele in Wien gestoppt. • Schweiz erhöht ihre Militärausgaben um ein Viertel auf 4,16 Milliarden Euro.

Und wie reagiert Österreich? • Das Wehrbudget soll 2015 erstmals unter die 2-Milliarden-Grenze sinken. • Die Sanierung des Palmenhauses in Schönbrunn in Wien ist abgeschlossen. • 28,7 Milliarden Euro mehr: Bankenhilfe und ÖBB treiben Staatsschulden in lichte Höhen. • Der Polizei ist das Geld ausgegangen. Es fehlt an allem. Sogar an banalen Ausrüstungsgegenständen wie Taschenlampen. • Bereitschaftsdienste in Kasernen werden eingeschränkt. • Bundesheer: Neben der Zahl der Kasernen wird auch jene der schweren Waffen und Panzer hinuntergeschraubt. • Bis 2018 wird das Bundesheer um 1.400 Arbeitsplätze verringert und ca. 1.600 Bedienstete gehen in den Ruhestand. • „Bundespräsident Heinz Fischer sollte die Regierung entlassen“, meinte der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek am Dienstag im Kleine-Zeitung-Salon in Klagenfurt. Der Grund für Buseks Forderung: Die Regierung verletze die Verfassung, weil sie durch den Sparkurs den Niedergang des Bundesheeres herbeiführe. Doch laut Verfassung müsse Österreich ein Bundesheer haben.


Ball der Offiziere 16. J채nner 2015

www.ballderoffiziere.at


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