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Die Zukunft der Neutralität

Zur Zukunft der Neutralität

von General i. R. DI Mag. Günther Greindl

Der Krieg in der Ukraine hat uns vor Augen geführt, dass der Friede in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Finnland und Schweden haben sich entschlossen, der NATO beizutreten, weil sie auf deren Sicherheitsgarantien vertrauen. Diese Entscheidung hat auch in Österreich den Status der Neutralität zur Diskussion gestellt.

Der Preis der Freiheit

/ Die Freiheit Österreichs ist historisch mit der Neutralität verbunden. Im Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 verpflichtete sich Österreich, sich nach dem Vorbild der Schweiz für immerwährend neutral zu erklären. Die Zustimmung Österreichs zur Neutralität erfolgte aufgrund der Erkenntnis, dass das Verlangen der Sowjetunion den realpolitischen Verhältnissen entsprach. / Österreich hat seine Neutralität von Beginn an selbst interpretiert. Es hat sich für eine aktive Friedenspolitik im Rahmen der Vereinten Nationen entschieden. Bereits drei Wochen nach dem Beschluss des Neutralitätsgesetzes ist Österreich am 14. Dezember 1955 den Vereinten Nationen beigetreten, ein Schritt, den die Schweiz erst 2002 vollzog. Seitdem ist die Charta der Vereinten Nationen der verbindliche Rahmen unserer aktiven Friedenspolitik. / Heute wird die Neutralität laut Umfragen von mehr als 80 % der Österreicher unterstützt. Österreich hat verstanden, dass Sicherheit und Frieden nur durch einen Ausgleich der Interessen möglich ist und dass unsere Neutralität dazu einen Beitrag leistet. Die Neutralität ist mit unserer Freiheit, mit dem stetigen Aufschwung der österreichischen Wirtschaft und mit dem Wohlstand verbunden, den Österreich seither erlebt. Diese emotionale Bindung ist jedoch kein Grund, die Neutralität nicht einer sicherheitspolitischen Prüfung zu unterziehen. Wie ist die Sicherheit Österreichs am besten gewährleistet? Was bedeutet Neutralität im Rahmen der Weltordnung? Kann ein neutraler Staat einen Beitrag zur Sicherheit Europas leisten? Das sind die Fragen, die zu beantworten sind. / Die Sicherheitspolitik eines Landes wird im überwiegenden Maß von der geostrategischen Lage bestimmt. Darauf hat der erste Bundespräsident der Republik Karl Renner bereits 1946 in einer Grundsatzrede vor der Österreichischen Liga der Vereinten Nationen hingewiesen: „Wegen dieser seiner Lage kann Österreich sich nicht einseitig binden, ohne das Gleichgewicht der Interessen zu stören und selbst eine Wiederholung von 1914 und 1939 mit heraufzubeschwören. Österreich ist in der ernsten und vielverheißenden Lage keinen anderen Partner wählen zu dürfen als die Organisation der Vereinten Nationen.“ / Österreich ist mit Ausnahme der Westgrenze zur Schweiz von NATOStaaten umgeben. Diese geostrategisch günstige Lage ist das Ergebnis der NATO-Osterweiterung, die ohne jegliches Zutun Österreichs vonstattenging. Deshalb können daraus keinerlei sicherheitspolitische Verpflichtungen gegenüber der NATO abgeleitet werden, auch wenn sich dadurch die geostrategische Lage verbessert hat und ein Landkrieg für Österreich ziemlich unwahrscheinlich geworden ist. / Sollte es zu begrenzten Auseinandersetzungen oder einem Krieg zwischen der NATO und Russland kommen, sind alle NATO-Staaten zum gegenseitigen Beistand verpflichtet. Als NATO-Mitglied wäre Österreich Kriegspartei und müsste sein Territorium für die Stationierung von Verteidigungskräften der NATO oder den Transport von Kriegsmaterial zur Verfügung stellen. Es wäre somit ein legitimes Ziel für russische Raketenangriffe, um Waffenlieferungen der NATO durch Zerstörung der Transportinfrastruktur zu unterbinden. Bleibt Österreich neutral, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, sich aus dem Krieg herauszuhalten. Ein Beitritt zur NATO bringt keinen erkennbaren Sicherheitsgewinn. / Es gibt natürlich keine Garantie, dass Österreich nicht in einen Krieg in Europa hineingezogen werden könnte. Würde eine Kriegspartei unsere Neutralität verletzen, fielen alle Verpflichtungen weg. Österreich wäre frei, mit Nachbarländern gemeinsam Widerstand zu leisten. Deshalb ist es wichtig und richtig, die eigenen militärischen Kräfte so vorzubereiten, dass sie im Bedarfsfall mit den befreundeten Nachbarländern operieren können. Das waren übrigens 1995 die Beweggründe für die Teilnahme an der NATO-Partnerschaft für den Frieden. / Mit der Auflösung des Warschauer Paktes hat die NATO ihren ursprünglichen Zweck verloren. Das neu entstandene Russland sah die NATO als Relikt des Kalten Krieges und propagierte das

gemeinsame Haus Europa. Das mangelnde Vertrauen des Westens in die Absichten Russlands und die Interessen osteuropäischer Staaten, ihre neue Freiheit abzusichern, ließen jedoch alte Fragen europäischer Machtpolitik wieder aufleben. Mit dem strategischen Konzept 1991 war der Grundstein gelegt, Einsätze der NATO auch außerhalb des Bündnisgebietes (out of area) durchzuführen. Das neue strategische Konzept hat in Übereinstimmung mit den amerikanischen Sicherheitsstrategien eine Transformation eingeleitet, deren Ziel es ist, auf sämtliche Bedrohungen weltweit reagieren zu können. Bei einer Mitgliedschaft in der „NATO neu“ würde von Österreich erwartet, sich an „out of area“-Einsätzen der NATO zu beteiligen.

Die Handhabung der Neutralität

Die Entscheidung, den Vereinten Nationen beizutreten, hat der klassischen Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz die Satzungen der Vereinten Nationen als Leitlinie für eine aktive Friedenspolitik zur Seite gestellt. Die österreichische Neutralität bewegt sich somit im Spannungsfeld zwischen Neutralitätsgesetz, Charta der Vereinten Nationen und den Verträgen der Europäischen Union.

Das Neutralitätsgesetz

Das Gesetz sieht vor, dass die Neutralität „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ zu verteidigen ist. Diese Verpflichtung hat Österreich immer sträflich vernachlässigt. Die Konzeption der Umfassenden Landesverteidigung und der Raumverteidigung waren sicherheitspolitisch und militärstrategisch richtige Ansätze, die 1983 von allen politischen Parteien im Parlament beschlossen wurden. Sie scheiterten an der unzureichenden Finanzierung und fielen 1989 mit dem Fall der Mauer zu Unrecht dem geänderten Bedrohungsbild zum Opfer. Der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen, wie erfolgreich Raumverteidigung sein kann und wie nötig die Vorgaben der Umfassenden Landesverteidigung in Bezug auf Bevorratung, Ernährungssicherheit, Energieversorgung und integrierten Sanitätsdienst gewesen wären. / Die Notwendigkeit, in unsere Landesverteidigung zu investieren, wird wieder von allen politischen Lagern betont. Dennoch löste die Forderung der Verteidigungsministerin, das Budget für die Verteidigung schrittweise auf 1,5 % des BIP anzuheben, ungläubiges Staunen aus. Wiederum wird gefordert, zuerst die Sicherheitsdoktrin zu überarbeiten und neuerlich die Aufgaben des Bundesheeres zu beschreiben, um falsche Investitionen zu vermeiden. Dabei ist der Rückstand an nötigen Investitionen so groß, dass auf Jahre hinaus keine Gefahr falscher Investitionen besteht. Der Bericht des Verteidigungsministeriums „Bundesheer 2030“ verdeutlicht in anschaulicher Form, was sofort dringend nötig ist. Die Notwendigkeit, in die militärische Landesverteidigung zu investieren, ist so offensichtlich, dass jede Verzögerung nur Zeitverschwendung ist. Der Neutrale muss dafür Sorge tragen, dass im Kriegsfall sein Territorium von keiner Kriegspartei genutzt werden kann. Er darf keine Zone minderer Sicherheit sein. Seine Landesverteidigung zur ›

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ZUM AUTOR

General i.R. DI Mag Günther Greindl,

Präsident des Vereins Aufbruch-Österreich

1957 Matura BRG Linz 1958 bis 1961 Theresianische Militärakademie in Wr. Neustadt 1961 bis 1966 Pionieroffizier in Linz und Salzburg 1966 bis 1969 Generalstabskurs an der Landesverteidigungsakademie Wien Anschließend Verwendung als Referent für territoriale Verteidigung im BMLV und Studium der Raumplanung an der TU Wien 1973 Kommandant Stabsbataillon, 3. Panzergrenadierbrigade in Mautern 1977 Auslandsverwendung als Chief Operations Officer und Österreichischer Kontingentskommandant in Zypern (UNFICYP) 1979 bis 1992 UN Force Commander am Golan (UNDOF), Zypern (UNFICYP) und UN Chief Military Observer in Irak- Kuwait (UNIKOM) 1992 bis 2002 Vorsitzender der Arbeitsgruppe: „UN Consultative Group on the Use of Military and Civil Defence Assets in Disaster Relief“ (MCDA) 1993 bis 2000 Leiter der Generalstabsgruppe Sicherheitspolitik und internationale Beziehungen im BMLV 1993 bis April 1994 Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs in der „United Nations Protection Force“ (UNPROFOR) im ehemaligen Jugoslawien 2000 bis 2002 erster Militärrepräsentant bei EU und NATO. Anschließend Versetzung in den Ruhestand 2013 Verleihung des Egon RanshofenWertheimer-Preis für Verdienste um die Republik Österreich im Ausland Gründungs- und Ehrenpräsident der Vereinigung Österreichischer Peacekeeper Erde und in der Luft muss sich an den Standards des sicherheitspolitischen Umfeldes messen. / Die Schweiz kann diesbezüglich als Vorbild und Messlatte dienen. Mit fünf Milliarden Euro jährlich gibt die Schweiz doppelt so viel für die Verteidigung aus wie Österreich. Das österreichische Verteidigungsbudget von derzeit 0,62 % des BIP müsste zumindest auf 1,3 % angehoben werden, um vergleichbar zu sein. In der Aufbauphase der Raumverteidigung betrug das damalige Verteidigungsbudget zwischen 1,2 % bis 1,4 % des BIP. Es gibt also keinen Grund heute nicht zu tun, was damals möglich war. Bei einem Beitritt zur NATO müssten sogar 2 % des BIP aufgewendet werden, um die Vorgaben zu erfüllen. / Die Glaubwürdigkeit der Verteidigungsanstrengungen ist nicht nur am finanziellen Aufwand zu messen. Laut Bundesverfassung Artikel 79 ist das österreichische Bundesheer nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten. Ein Milizsystem ist durch eine relativ kurze Ausbildungszeit der Wehrpflichtigen und verpflichtende Truppenübungen gekennzeichnet. Die verpflichtenden Truppenübungen wurden 2004 ebenfalls der sogenannten Friedensdividende geopfert. Mit ihrer Aussetzung wurde das Milizsystem, wie es die Bundesverfassung vorsieht, zunichte gemacht. Ohne eine Wiedereinführung verpflichtender Truppenübungen entspricht das Bundesheer nicht den verfassungsgesetzlichen Vorgaben. / Die Weisheit der Römer „Si vis pacem para bellum“ heißt für den Neutralen „Wenn du den Frieden willst, bereite deine Verteidigung vor“. Konkret heißt das die Umfassende Landesverteidigung wieder zu beleben, das

Milizsystem mit verpflichtenden Truppenübungen wieder einzuführen und jährlich 1,2 % bis 1,3 % des BIP für die militärische Landesverteidigung aufzuwenden.

Die Charta der Vereinten Nationen

Die Charta kennt keine Neutralität. Sie ist nicht erforderlich, da im Falle eines Krieges der Sicherheitsrat Maßnahmen ergreift, an die sich alle Staaten zu halten haben. Neutrale Staaten können sich an allen militärischen und nicht militärischen Zwangsmaßnahmen, die der Sicherheitsrat autorisiert, beteiligen. Österreich hat sich seit 1960 mit über 120.000 Soldaten und Soldatinnen an den friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen beteiligt. 1988 wurde den Friedenstruppen der Friedensnobelpreis verliehen, ein Ausdruck internationaler Wertschätzung. / Das Ideal der Vereinten Nationen, nämlich die Geißel des Krieges zu bannen, ist in der realen Welt oft nicht möglich. Der Krieg in der Ukraine ist ein klassisches Beispiel. In diesem Fall lebt die Neutralität wieder auf.

Die Neutralität in der EU

Die Solidarität im gemeinsamen Handeln, der Beistand im Falle eines bewaffneten Angriffs, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) sowie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sie alle berühren die Neutralität Österreichs in unterschiedlichem Maße. / Die Solidaritätsklausel: Nach Artikel 222 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union handeln die Mitgliedstaaten gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Eine Auswirkung auf die Neutralität ist davon nicht ableitbar, weil die genannten Szenarien keine Kriegshandlungen darstellen. / Die Beistandsklausel: Nach Artikel 42 (7) des EU-Vertrages schulden im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung. Es obliegt aber den hilfeleistenden Mitgliedstaaten, Art und Umfang der Unterstützung konkret zu bestimmen. Außerdem lässt die Beistandspflicht den „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“ unberührt (irische Klausel). Österreich kann sich auf diese Klausel berufen und ist zu keinen militärischen Hilfeleistungen verpflichtet. / Zudem ist für die NATO-Staaten der EU die NATO das Rückgrat der Verteidigung und der sicherheitspolitische Akteur im euro-atlantischen Raum. Sobald ein Angriff auf einen NATO-Staat der EU erfolgt, ist es ein Angriff auf die NATO und nicht auf die EU. Das bedeutet, dass die EU keinen eigenständigen Verteidigungsraum darstellt. Die Anwendung der irischen Klausel ist somit nicht nur de jure, sondern auch aus geostrategischer Sicht gerechtfertigt. / Die Gemeinsame Sicherheit- und Verteidigungspolitik: Nach Artikel 42 (1) ist die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. / Die EU hat schon zahlreiche eigenständige Missionen zur Erhaltung des Friedens durchgeführt, die mit der aktiven Friedenspolitik Österreichs in völligem Einklang standen. Widersprüche zur Neutralität treten dann auf, wenn die EU militärische Einsätze ohne UNMandat durchführt. Der gerade von der EU beschlossene „Strategische Kompass“ sieht die Aufstellung einer Eingreiftruppe in der Stärke von 5.000 Soldaten vor. Die Beteiligung an der Aufstellung dieser Eingreiftruppe ist, so wie die bisherige Beteiligung an den EU-Battle-Groups, neutralitätspolitisch unproblematisch. Kommt es jedoch zu einem Einsatz, so gilt wie bei allen Auslandseinsätzen des Bundesheeres das österreichische Entsendegesetz. / Falls militärische Einsätze ohne UN-Mandat erfolgen würden, wäre eine Beteiligung jeweils im Einzelfall zu beurteilen. So könnte zum Beispiel bei humanitären Rettungs- und Katastropheneinsätzen eine Beteiligung erfolgen. Für diese Fälle haben die Vereinten Nationen unter Mitwirkung der EU und Österreichs bereits entsprechende Richtlinien verfasst. / Wie immer sich die GSVP entwickeln wird, bleibt eine starke nationale Verteidigung zu Erde und in der Luft der wichtigste Beitrag für die eigene Sicherheit und die Sicherheit der EU. / Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: In der Praxis tut sich hier ein ständiges Spannungsfeld zwischen den nationalen Interessen der Mitglieder und den gemeinsamen Aktionen der EU auf. Für das neutrale Österreich trifft dies in besonderem Maße zu. / Während die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Kriegsfall in den jeweiligen Haager Abkommen klar geregelt sind, besteht im nichtmilitärischen Bereich ein relativ großer Handlungsspielraum. Solange der UN-Sicherheitsrat keine Maßnahmen ergreift, kann in allen anderen Bereichen nach eigenem Ermessen vorgegangen werden. Es muss le- ›

diglich darauf geachtet werden, die Kriegsparteien gleich zu behandeln. Die Neutralität verpflichtet auch nicht, die Wirtschaftsbeziehungen von Privaten zu regulieren oder einzuschränken. / Dieser Handlungsspielraum wird durch die GASP, so wie sie von der EU gehandhabt wird, erheblich eingeschränkt. Der Europäische Rat unterstrich in seinen Schlussfolgerungen vom Dezember 2013: „Die GSVP wird sich in vollständiger Komplementarität mit der NATO im vereinbarten Rahmen der strategischen Partnerschaft zwischen EU und NATO … weiterentwickeln“. / Die Gemeinsame Sicherheit- und Verteidigungspolitik (GSVP) als Teil der GASP bestimmt somit das Handeln der EU in enger Abstimmung mit der NATO. Im Zweifelsfall werden sich aufgrund der realen Machtverhältnisse die amerikanischen Interessen durchsetzen. Die GASP hat sich damit in die Abhängigkeit der USA begeben. Die ursprüngliche Begründung der EU, durch den Zusammenschluss europäischer Staaten als europäische Friedensmacht der wirtschaftlichen Stärke auch ein eigenständiges politisches Gewicht zu verleihen, ist damit verloren gegangen. / Diese Ausrichtung der GASP wird Österreich dazu nötigen, oft Maßnahmen mittragen zu müssen, die mit einer glaubwürdigen Neutralitätspolitik im Widerspruch stehen. Der Krieg in der Ukraine und die von der EU verhängten Sanktionen haben dieses Dilemma aufgezeigt. Einseitige Sanktionen gegen eine Kriegspartei sind mit der Neutralität nicht vereinbar. Es wird dem Geschick unserer Außenpolitik obliegen, darauf zu achten, gravierende Beschränkungen unserer Neutralität möglichst hintan zu halten. Österreich sollte sich jeder Kriegsrhetorik enthalten, sich in der humanitären Hilfe engagieren, gute Dienste anbieten und den Dialog mit allen Parteien aufrechterhalten. Aktive Friedenspolitik erfordert vorausschauende Planung, diplomatisches Geschick und in einem emotional aufgeheizten Klima viel Mut. Eine Änderung des EU-Vertrags zur Abschaffung der Einstimmigkeit in der GASP würde den Handlungsspielraum der Neutralität vollends beschränken und ist nicht im Interesse Österreichs. / Die weitere Entwicklung der EU ist ungewiss. Das Ziel einer GASP, die europäischen Interessen eigenständig und unabhängig vertritt, ist als Wunschziel unbestritten. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die EU für ihre Sicherheit selbst Verantwortung übernimmt. Der Vorschlag von Präsident Emmanuel Macron für eine „strategischen Autonomie“ greift die Idee einer eigenständigen europäischen Sicherheit erneut auf. Er zielt letztlich auf eine europäische Verteidigungsunion, die auch ohne NATO schlagkräftig genug ist, um die eigene Unabhängigkeit selbst zu verteidigen. Eine solche Verteidigungsunion müsste auch eine Komponente der atomaren Abschreckung enthalten. Frankreich als einzige verbliebene Atommacht in der EU müsste diese Rolle übernehmen. Der Vorstoß Frankreichs stieß in Deutschland auf sofortige Ablehnung. Eine Verteidigung Europas ohne Schutz der USA sei eine Illusion. Besser kann man die Schwäche der EU und ihre Abhängigkeit von den USA nicht verdeutlichen. So bleibt Europa der politische Zwerg, der zu sein es immer beklagt. Ebenso ergibt eine EU-Armee, die als Fernziel angestrebt wird, ohne eigenständige EU-Verteidigung keinen strategischen Sinn. Der Wert der Neutralität

Im Laufe der Geschichte hat sich die Menschheit auf unterschiedliche Weise der Errichtung einer Friedensordnung genähert. Die Hoffnung auf einen dauerhaften Weltfrieden bleibt als Sehnsucht der Menschheit weiter bestehen. Niemand weiß, ob der Traum je in Erfüllung gehen wird, aber es wäre unverantwortlich, nicht alles zu unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen. / Die besten Chancen für einen Weltfrieden liegen in einer multipolaren Weltordnung, die auf einer Machtbalance beruht, die in das kollektive Sicherheitssystem der Vereinten Nationen eingebettet ist. Die Regeln der Vereinten Nationen wären jene übergeordnete Kraft, die es benötigt, um eine Machtbalance aufrechtzuerhalten oder sie bei grober Verletzung wieder herzustellen. Der Friede erhält sich nicht von selbst, er benötigt ständige Pflege. Die kooperative Sicherheit, wie sie von der OSZE entwickelt wurde, hätte diese Aufgabe und wäre die unverzichtbare Ergänzung einer multipolaren Weltordnung. / Österreich hat als neutraler Staat gute Voraussetzungen mit einem ungetrübten Blick am Aufbau einer multipolaren Weltordnung aktiv mitzuwirken. Die Mitgliedschaft in der EU sollte so einer Politik nicht im Wege stehen, da die EU-Verträge ausdrücklich vorsehen, ihre Politik unter Beachtung der Charta der Vereinten Nationen zu gestalten. Wenn Österreich seine Möglichkeiten mit innovativen Ideen, diplomatischem Geschick und mutiger Entschlossenheit wahrnimmt, kann es als neutraler Staat für den Weltfrieden mehr bewirken als im Rahmen eines transatlantischen Bündnissystems. Die Neutralität hat Zukunft, es gibt keinen Grund sie aufzugeben.

Beschluss des Nationalen Sicherheitsrates vom 25. Februar 2022 betreffend die militärische Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine

Der Nationale Sicherheitsrat hat in seiner Sitzung am 25. Februar 2022 beschlossen: / „Der Nationale Sicherheitsrat verurteilt die militärische Aggression der Russischen Föderation auf das Staatsgebiet der Ukraine auf das Schärfste und fordert die Russische Föderation vehement auf, sämtliche Kampfhandlungen mit sofortiger Wirkung einzustellen. Überdies fordert er die Russische Föderation auf, ihre Truppen umgehend und vollständig vom Staatsgebiet der Ukraine abzuziehen. Die militärischen Handlungen der Russischen Föderation stellen einen massiven Bruch des Völkerrechts dar. / Der Nationale Sicherheitsrat unterstreicht seine uneingeschränkte Solidarität mit der ukrainischen Regierung und der ukrainischen Bevölkerung. / Der Nationale Sicherheitsrat stellt fest, dass mit dem Einmarschbefehl nicht nur die Grundpfeiler unseres weltweiten friedlichen Zusammenlebens gebrochen wurden, sondern eine Reihe von grundlegenden Dokumenten und Verträgen der internationalen Sicherheitsarchitektur, wie unter anderem die Satzung der Vereinten Nationen, die Helsinki Schlussakte, die Charta von Paris, der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa, das Wiener Dokument und das Budapester Memorandum, von der Russischen Föderation schlichtweg ignoriert wurden. Es darf niemals das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechs gelten. / Der Nationale Sicherheitsrat fordert deshalb klare Konsequenzen für diesen eklatanten Bruch des Völkerrechts durch die Russische Föderation. Ausdrücklich begrüßt er daher die von der Europäischen Union am 23. Februar 2022 als Reaktion auf den Beschluss der Russischen Föderation, die Unabhängigkeit der selbst ernannten Volksrepubliken Donetsk und Luhansk anzuerkennen, verhängten restriktiven Maßnahmen sowie die am 24. Februar 2022 als Reaktion auf den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine von den Staats- und Regierungschefs indossierten weiterführenden Sanktionen. Diese Sanktionen müssen nun rasch und mit Eindringlichkeit implementiert werden. Unter Verweis auf Punkt 7 der Schlussfolgerungen des europäischen Rates vom 25.02.2022 unterstützt der Nationale Sicherheitsrat auch Bemühungen um eine weitergehende Verschärfung der Sanktionen. / Der Nationale Sicherheitsrat befürwortet humanitäre Unterstützung in all ihren Formen und empfiehlt der Bundesregierung nachbarschaftliche Hilfe unter anderem für schutzbedürftige Menschen zu leisten. / Der Nationale Sicherheitsrat appelliert mit Nachdruck an die Russische Föderation, die Politik der Gewalt einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. In zivilisierten Gesellschaften werden Konflikte nicht mit Gewalt, sondern durch Dialog gelöst. / Der Nationale Sicherheitsrat bekennt sich unmissverständlich zur Souveränität, territorialen Integrität und Unabhängigkeit der Ukraine. Mehr als dreißig Jahre freundschaftliche diplomatische Verbindungen haben unsere Länder näher zusammenrücken lassen. Er empfiehlt der Bundesregierung, rasche humanitäre Schritte zur Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung zu setzen. / Diese aktuelle Krise zeigt dem Nationalen Sicherheitsrat die Notwendigkeit einer glaubwürdigen militärischen Landesverteidigung im Sinne eines gut ausgestatteten und ausgebildeten Bundesheeres mit einem dementsprechend hoch dotierten Budget im Sinne der verfassungsmäßigen Vorgaben. / Sie macht aus Sicht des Nationalen Sicherheitsrates zudem die dringende Notwendigkeit einer nachhaltigen und strategischen Reduktion der Abhängigkeit Europas von fossilen Energieträgern sowie eine Diversifizierung der Gasherkunftsländer deutlich. “ / Des Weiteren wolle der Nationale Sicherheitsrat beschließen: „Der Nationale Sicherheitsrat beschließt weiters, dass gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Errichtung eines Nationalen Sicherheitsrates die Vertraulichkeit hinsichtlich dieses Beschlusses aufgehoben wird.“

Alfred Schwarz (1904–1988) erwarb sich schon in jungen Jahren Wohlstand, indem er Kemal Atatürk bei der Industrialisierung der Türkei unterstützte. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er in Istanbul für den britischen und den amerikanischen Geheimdienst. Als Jude wollte er am Kampf gegen den Nationalsozialismus teilnehmen und leitete unter dem Decknamen „Dogwood“ das größte Agentennetzwerk des Office of Strategic Services (OSS) – dem Vorgänger der CIA. In der Zusammenarbeit mit deutschen, österreichischen und ungarischen Widerstandsgruppen sowie den Geheimdiensten der Zionisten stand er im Brennpunkt des geopolitischen Ringens um die Zukunft Europas. Das Buch beschreibt seine Erfolge und sein Scheitern – und wirft neue Fragen auf. Erich Cibulka arbeitet an der Schnittstelle von Wirtschaft, Militär und Politik. Als Brigadier des Österreichischen Bundesheers ist er ein fachkundiger Erzähler für ein militär- und spionageaffines Publikum. Er kannte Alfred Schwarz persönlich, als dieser nach dem Krieg in Wien lebte. Diese Erinnerungen an die 1970er-Jahre sind einzigartig und beschreiben eine bisher völlig unbekannte Lebensperiode von Alfred Schwarz. Mit dieser Biografie leuchtet Cibulka dessen schillernde Persönlichkeit aus und setzt ihm ein ehrendes Andenken. „Erich Cibulkas Zugang zu einem nicht nur für die österreichische, sondern gleichfalls auch im großen Kontext der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs bedeutenden Aspekt nachrichtendienstlicher Tätigkeit gestaltet sich erfrischend pragmatisch. Ausgehend von Jugenderinnerungen nähert sich Cibulka ‚seinem Onkel Fredi‘ aus einer ungewöhnlichen Perspektive an.“ (Dr. Christian Ortner, Direktor Heeresgeschichtliches Museum Wien)

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