Nora Bader, Andrea Fopp: ‹Frau Macht Medien›

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Andrea Fopp Geb. 1983 in Chur, studierte Soziologie und Englisch an der Universität Basel. Arbeitet als Redaktorin für das Basler Medien-Start-up Bajour, vorher war sie Redaktorin bei TagesWoche, Basler Zeitung und Gesundheitstipp.

«Redaktionssitzungen sind Orte des Machtkampfes. (...) Viele Frauen haben einfach keine Lust auf diese Fights.» Susan Boos, Reporterin und ehemalige Redaktionsleiterin WOZ

«Die Dudes bräuchten auch eine emanzipatorische Bewegung, es würde ihnen gut tun, sich und ihren Journalismus mehr zu reflektieren.» Miriam Suter, freie Journalistin

FRAU MACHT MEDIEN

Andrea Bleicher, ehemalige Chefredaktorin Blick ad interim

Nora Bader, Andrea Fopp

Foto: Eleni Kougionis

Nora Bader Geb. 1986 in Olten, aufgewachsen in Laupersdorf SO, studierte am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern, arbeitet ab Juni 2020 beim Videoteam von 20 Minuten, vorher als Stv. Leiterin News beim Lokalsender Telebasel, als Journalistin beim Oltner Tagblatt und Zofinger Tagblatt.

«Der Grund, dass es so wenig Chefredaktorinnen gibt, ist ganz einfach: Die Beförderungsstrategien im Journalismus sind hochgradig amateurhaft. Man findet jemanden witzig beim Feierabendbier und stellt ihn ein.»

Nora Bader, Andrea Fopp

FRAU MACHT MEDIEN Warum die Schweiz mehr Journalistinnen braucht

Frauen, die in den Journalismus ein­ steigen, merken schnell: Sie werden weniger ernst genommen, sowohl von den Kollegen als auch von Interviewpartnern. Das hat Gründe. Der Journalismus ist eine Männerbranche. Der Konkurrenzkampf ist heftig, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schwierig – und die Arbeitsbedingungen für Frauen sind unattraktiv: Eine Journalistin verdient gemäss einer Studie der FHNW im Schnitt 700 Franken pro Monat weniger als ein männlicher Kollege. Auf drei von vier Chefsesseln sitzen Männer, und ein durchschnittliches Politikressort besteht aus sieben Redaktoren und drei Redaktorinnen. Das ist bedenklich: Eine Demokratie braucht eine vierte Gewalt, in der auch ihre Bürgerinnen vertreten sind.


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NORA BADER, ANDREA FOPP FRAU MACHT MEDIEN


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Diese Publikation entstand unabhängig von der Anstellung der Autorinnen bei Telebasel und Bajour © 2020 Zytglogge Verlag, Basel Alle Rechte vorbehalten Lektorat : Angela Fessler und Irène Fasel Projektbetreuung : Angelia Schwaller Korrektorat : Anna Katharina Müller Layout/Satz : 3w+p, Rimpar Druck : CPI books GmbH, Leck ISBN : 978-3-7296-5037-4 www.zytglogge.ch


Nora Bader, Andrea Fopp

FRAU MACHT MEDIEN Warum die Schweiz mehr Journalistinnen braucht



Inhalt Editorial

«Für mich gibt es nichts anderes als Journalismus» Nora Bader, Stv. Leiterin News beim Lokalsender Telebasel, vorher als Journalistin beim Oltner Tagblatt und Zofinger Tagblatt, ab Juni 2020 beim Videoteam von 20 Minuten . . . .. . . . . .. . . . .. . .. . . . .. . .. . . . . .

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«Warum ich nicht Chefin werden will» Andrea Fopp, Redaktorin für das Basler Medien-Start-up Bajour, vorher bei der TagesWoche, Basler Zeitung und beim Gesundheitstipp . . . .. . . . . .. . . .

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Vorwort

Journalistinnen, wir müssen reden . . .. . . . . .. . .. . . . . . . .. .

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Einleitung

Willkommen im Haifischbecken Eine Analyse . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . .

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Interviews

1. «Das Hochstaplersyndrom ist im Journalismus besonders verbreitet» Andrea Bleicher, ehem. Chefredaktorin der SonntagsZeitung und ehem. Chefredaktorin Blick ad interim . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . .

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2. «Natürlich bin ich nicht neutral» Miriam Suter, freie Journalistin, vorher Izzy, Annabelle . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. .

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3. «Frauen brauchen keine spezielle Förderung, sie sind ja keine behinderten Wesen» Katharina Fontana, Inlandredaktorin Weltwoche, vorher NZZ . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . .

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4. «Die versteht ohnehin nur etwas von Mode und Küche» Margrit Sprecher, Grande Dame des Reportagejournalismus . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . .

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5. «Die Smartstorms zeigten mir, dass ich kein wehrloses Opfer bin, sondern Macht habe» Patrizia Laeri, Moderatorin und Wirtschaftsredaktorin SRF . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . .

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6. «Primeurs sind das Letzte, was mich interessiert» Naomi Gregoris, Host Untenrum-Podcast, Redaktorin Bajour, vorher BZ Basel . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . .

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7. «Mehr Hexen braucht die Welt» Steffi Buchli, Programmchefin MySports, vorher SRF 109 8. «Wir haben in Graubünden eher ein Flirtproblem» Stefanie Hablützel, SRF Regionaljournal und Verein Investigativ . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. 129 9. «Früher war die WoZ für junge Frauen eine unangenehme Veranstaltung» Susan Boos, Reporterin und ehem. Redaktionsleiterin WoZ . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . 143 10. «Man muss sich seinen Platz schon erkämpfen, bis man ernst genommen wird» Hanna Girard, Stagiaire Radio X, Co-Gründerin Viral . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . 161 11. «Sorry, Politik ist etwas langweilig, immer dieselben Themen, nur die Köpfe wechseln» Martina Fehr, Leiterin Publizistik Somedia, ab Mai 2020: Direktorin MAZ – Die Schweizer Journalistenschule . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. 175 12. «Eine Frau muss besser sein als ein Mann, um dasselbe zu erreichen» Monika Zech, langjährige Journalistin, u. a. Tages-Anzeiger, Basler Zeitung . . . .. . . . . .. . . . .. . .. . . . .. . .. . 189 13. «Ich sehe keinen Geschlechterkampf im Journalismus» Judith Wittwer, Chefredaktorin Tages-Anzeiger . . . .. . 197


14. «Ciao Bella!» Marianne Baltisberger, Chefredaktorin Tessiner Zeitung . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . 211 15. «Meine Tochter war mein Motörli» Sophie Hostettler, Programmleiterin TeleBielingue . . 223 Nachwort

Journalisten, ihr müsst auch reden . . .. . . . . .. . .. . . . . . . .. . 234 Dank . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . 237



Vorwort


Journalistinnen, wir müssen reden An einem Nachmittag im Oktober 2018 sassen wir in der Basler Herbstsonne auf der Treppe vor dem Haus und tranken Weisswein. Wie das so ist, wenn zwei Journalistinnen sich treffen, sprachen wir vor allem über unsere Jobs. Respektive über die Branche. Wir sind beide Lokaljournalistinnen in Basel. Eine von uns hatte kürzlich erfahren, dass ein Gerücht über sie im Umlauf war. Es war so altmodisch wie die Unterscheidung von weiblichen Filmfiguren in Heilige und Hexen: Offenbar erzählten sich die Basler Journalisten untereinander, eine von uns hätte mit dem Chefredaktor geschlafen, um an ihren Job zu kommen. Die Geschichte nervte uns zwar ein bisschen, erstaunte uns aber nicht. Wir hatten schon viele ähnliche Anekdoten von Kolleginnen in der Branche gehört. Anekdoten von latentem Sexismus und Machtgehabe unter Journalisten. «Diese Geschichten müssten mal öffentlich erzählt werden», realisierten wir. Seltsamerweise war die Gleichstellung in der Medienlandschaft bislang kaum Thema gewesen. Wohl hatten Journalistinnen über Sexismus in anderen Branchen geschrieben, ihre eigene aber ausgespart. Also beschlossen wir kurzerhand, ein Buch zu schreiben. Unsere Methode war einfach: Wir besuchten verschiedene Journalistinnen und stellten unter anderem folgende Frage: «Spielt das Geschlecht in Ihrem Berufsleben eine Rolle?» Entstanden ist eine Momentaufnahme des Schweizer Journalismus aus Frauensicht. Fünfzehn Frauen erzählen von der eigenen Karriere, berichten, wie sie sich als Frau in einer Männerbranche behaupten, und analysieren, mit welchen Strategien Medienunter-

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nehmen Frauen gewinnen können. Einige der Journalistinnen werden dabei persönlich, andere halten uns mit analytischen Antworten auf Distanz. Die Mehrheit der Interviewten liess uns beim Schreiben freie Hand und stand zum gesprochenen Wort, einige wenige hingegen schrieben uns den Text komplett um. Und ja, es gab auch die, die das Interview kurz vor der Veröffentlichung wieder zurückzogen. Aus Angst, sie würden ihren Ruf in der Medienbranche ruinieren, wenn sie ehrlich darüber reden, wie es wirklich läuft. Journalistinnen sollen sich bekanntlich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.1 Aber es ist wichtig, eine Haltung einzunehmen, und die unsrige ist simpel. Es ist unsere Aufgabe, als sogenannte vierte Gewalt, den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft auf die Finger zu schauen. Dazu gehört etwa, aufzudecken, wenn die Mächtigen wider die Interessen der Bevölkerung handeln. Das kann aber nur leisten, wer die Bevölkerung kennt. In unseren Augen kann der Journalismus seine Aufgabe daher nur erfüllen, wenn die Frauen – die Hälfte der Bevölkerung nota bene2 – in der Branche angemessen vertreten sind. Dieses Buch formuliert also einen Machtanspruch. Und es tut dies nicht aus einer neutralen Perspektive, wir Autorinnen sind selbst Journalistinnen und Teil der Branche, über die wir

1 Das Zitat wird dem Deutschen Journalisten Hanns Joachim Friedrichs zugeschrieben und ist das Motto des gleichnamigen Journalistenpreises. Journalisten streiten sich zwar über die Interpretation, dennoch gilt das Zitat vielen Medienschaffenden als ethische Richtschnur für ihre journalistische Objektivität. Siehe z. B. https://www.arminwolf.at/2018/12/08/womit-darf-sich-einjournalist-gemein-machen/ 2 Bundesamt für Statistik: Altersmasszahlen der ständigen Wohnbevölkerung nach Staatsangehörigkeitskategorie und Geschlecht 1999 – 2018 https:// www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/stand-entwicklung/ alter-zivilstand-staatsangehoerigkeit.assetdetail.9466622.html

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hier berichten. Dieses Dilemma versuchen wir zu lösen, indem wir deutschsprachige Journalistinnen aus verschiedenen Schweizer Regionen und aus unterschiedlichen Medien zu Wort kommen lassen. Dabei vermeiden wir, dass nur prominente Gesichter aus der Medienhochburg Zürich oder politisch gleichdenkende Kolleginnen darunter sind. Am Ende sind nun doch einige Zürcherinnen dabei. Dennoch hat dieses Buch einen blinden Fleck, über den wir reden müssen: Die Interviewten haben alle klassische Biografien. Die Perspektive von Frauen mit Migrationshintergrund fehlt, auch die Geschlechtsidentität oder die sexuelle Orientierung spielen keine Rolle. Das ist uns erst ganz am Schluss bewusst geworden, als alle Gespräche geführt, transkribiert und autorisiert waren. Das hat Gründe: Das Manko im Buch spiegelt ein Manko in der Schweizer Medienszene: Die hiesige Journalistin hat im Schnitt einen Hochschulabschluss, gehört keiner Religion an und hat eine der vier Landessprachen zur Muttersprache, wie Medienwissenschaftler Filip Dingerkus bestätigt.3 Und das ist schlecht. Rund 9 Prozent der Menschen, die in unserem Land leben, sprechen zu Hause keine der vier Landessprachen, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik4 zeigen.

3 Filip Dingerkus und sein Team haben mehrere Studien zum Schweizer Journalismus durchgeführt, ein Überblick findet sich beispielsweise hier: Dingerkus, F., Keel, G., & Wyss, V. (2016). Country report: journalists in Switzerland. Worlds of Journalism Study. https://doi.org/10.21256/zhaw-3843 https ://digitalcollection.zhaw.ch/bitstream/11475/7638/1/2016_Wyss_ Country_Report.pdf 4 Bundesamt für Statistik: «Die am häufigsten üblicherweise zu Hause gesprochenen Sprachen der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren, 2015 – 2017» https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/spra chen-religionen.assetdetail.7726962.html

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Und rund 73 Prozent gehören einer Religion an.5 Diese Menschen arbeiten hier, zahlen Steuern, prägen die Schweiz mit. Doch in den Medien haben sie wenig zu sagen. Wie würde wohl eine Zeitung aussehen, die von lesbischen Journalistinnen mit Wurzeln im Balkan oder in Eritrea gemacht wäre? Welche Geschichten würden sie erzählen? Eine wichtige Frage, die sich moderne Medien stellen sollten. Eine, die sie sich früher oder später wohl stellen werden müssen, wenn sie überleben wollen. Die serbelnde Branche braucht jede Konsumentin und jeden Konsumenten, der oder die gewillt ist, Aufmerksamkeit und Geld in den Journalismus zu investieren.

Andrea Fopp und Nora Bader

Bundesamt für Statistik: «Ständige Wohnbevölkerung ab 15 Jahren nach Religionszugehörigkeit» https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/ bevoelkerung/sprachen-religionen/religionen.assetdetail.7226715.html 5

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Interviews


Foto: Hendrik Nielsen


1. «Das Hochstaplersyndrom ist im Journalismus besonders verbreitet » Andrea Bleicher, ehem. Chefredaktorin der SonntagsZeitung und ehem. Chefredaktorin Blick ad interim

Andrea Bleicher war die erste Chefredaktorin des Blick, jedoch nicht lange: Nach nur sechs Monaten endete das Arbeitsverhältnis im August 2013. Bleicher verliess das Unternehmen per sofort und wechselte in die Chefredaktion der SonntagsZeitung. Seit 2018 betreibt sie eine Agentur für Storytelling. Was steckte wirklich hinter ihrem Bruch mit Blick ?

Es ist ein sonniger Freitag im Mai 2019. Wir sitzen in einem Café am Zürcher Hauptbahnhof. Um uns herum herrscht Pendler-Rushhour. Andrea Bleicher kommt direkt von der Arbeit. Sie lächelt und streicht sich eine Strähne ihrer Kurzhaarfrisur aus dem Gesicht. Nebenbei beobachtet sie eine Gruppe vorbeigehender Touristen. Wir haben eine Stunde Zeit, dann muss sie ihren Sohn vom Flughafen abholen. Andrea Bleicher, Sie wurden 2013 ad interim Chefredaktorin des Blicks. Doch nach sechs Monaten kündigten Sie. Warum? Als Ringier-CEO Marc Walder mich fragte, ob ich Chefin ad interim werden wolle, sagte ich von Anfang an: «Wenn ich mir das zutraue und dann am Ende doch nicht richtig Chefin bin, mache ich von meinem Menschenrecht Gebrauch und gehe.» Ich finde es wichtig, dass man dann nicht immer in diesem Ad-interim-Dings bleibt. Und ich konnte durchaus einschätzen, dass Chefin zu sein etwas für mich war.

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Dann haben Sie den Job aber doch nicht erhalten. René Lüchinger bekam ihn. Deshalb bin ich gegangen. Es war keine Option, wieder Stellvertreterin zu werden. Niemand sagte mir zwar, man traue mir das nicht zu. Und die Version, ich verstünde zu wenig von Politik, verbreitete man erst nach meinem Abgang. Was sagte Ihnen die Verlagsleitung denn ins Gesicht? Man sagte mir etwa, ich sei zu jung. Ich wusste aber von meinem ehemaligen Chef, dass es jemanden auf der oberen Etage gab, der schon hatte verhindern wollen, dass ich Stellvertreterin würde. Weshalb, weiss ich nicht. Wir haben nie miteinander gesprochen. Trotzdem war ich lange genug dabei, um zu sehen, wie es läuft. Selbstkritisch muss ich sagen: Vielleicht hätte ich politisch klüger netzwerken sollen. Wenn man einen Job aber nur bekommt, wenn man arschkriechen muss, will ich ihn sowieso nicht. Denken Sie, dass Sie den Job als Blick-Chefin nicht bekommen haben, weil Sie eine Frau sind? Ja. Ich glaube, in diesem Moment war das so. Man sah es als grösseres Risiko an, die Verantwortung mir zu übertragen, als einem Mann. Die Leute, die mit mir arbeiteten, wussten ja, was ich kann. Dort spielte es keine Rolle und das Geschlecht war auch kein Thema. Wäre ich ein Mann, hätte es die Diskussion, ob ich das kann oder nicht, gar nie gegeben, denke ich. Sie sahen ja, dass der Laden lief. Die Mitarbeiter ziehen nicht mit einem Chef mit, den sie nicht mögen oder von dem sie merken, dass er es nicht kann.

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Haben Sie das direkt angesprochen? Ehrlich gesagt, nein. Weil mir lange nicht bewusst war, dass das ein Thema war. Ich hatte vorher nicht bewusst erlebt, dass das Geschlecht eine Rolle spielt. Ich dachte, man würde nur nach der Leistung beurteilt. Tatsächlich ist man doch einfach nur so gut wie sein Team. Und meins war gut. Allein die Tatsache, dass Sie als Frau Interim-Chefin wurden, war aber schon eine kleine Sensation. Ich weiss noch, als der Kommunikationschef zu mir sagte: «Morgen kannst du nicht arbeiten. Da werden viele Anfragen kommen.» Da wurde mir erstmals bewusst: Offenbar ist es aussergewöhnlich, dass ich als Frau jetzt in dieser Position bin. Was geschah an diesem Tag? Tatsächlich riefen alle Medien an. Das zeigte auch, wie es bei anderen Medien aussah punkto Frauenquote: noch viel schlimmer als beim Blick. Die meisten hatten bis dato noch nie eine Chefredaktorin gehabt. Etwa der Tages-Anzeiger, der hatte Esther Girsberger und dann lange niemanden. Jetzt ist mit Judith Wittwer wieder eine Frau federführend. Wie waren die Reaktionen intern? Zwei, drei ältere Männer gaben mir plötzlich Tipps, was ich anziehen sollte. Da dachte ich nur: «Ich bin erwachsen und weiss, was ich anziehe.» Offenbar waren die Ratschläge nur gut gemeint. Aber ich will nur von Leuten Ratschläge, die mir auf eine gute und kritische Art etwas zu sagen haben.

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Andrea Fopp Geb. 1983 in Chur, studierte Soziologie und Englisch an der Universität Basel. Arbeitet als Redaktorin für das Basler Medien-Start-up Bajour, vorher war sie Redaktorin bei TagesWoche, Basler Zeitung und Gesundheitstipp.

«Redaktionssitzungen sind Orte des Machtkampfes. (...) Viele Frauen haben einfach keine Lust auf diese Fights.» Susan Boos, Reporterin und ehemalige Redaktionsleiterin WOZ

«Die Dudes bräuchten auch eine emanzipatorische Bewegung, es würde ihnen gut tun, sich und ihren Journalismus mehr zu reflektieren.» Miriam Suter, freie Journalistin

FRAU MACHT MEDIEN

Andrea Bleicher, ehemalige Chefredaktorin Blick ad interim

Nora Bader, Andrea Fopp

Foto: Eleni Kougionis

Nora Bader Geb. 1986 in Olten, aufgewachsen in Laupersdorf SO, studierte am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern, arbeitet ab Juni 2020 beim Videoteam von 20 Minuten, vorher als Stv. Leiterin News beim Lokalsender Telebasel, als Journalistin beim Oltner Tagblatt und Zofinger Tagblatt.

«Der Grund, dass es so wenig Chefredaktorinnen gibt, ist ganz einfach: Die Beförderungsstrategien im Journalismus sind hochgradig amateurhaft. Man findet jemanden witzig beim Feierabendbier und stellt ihn ein.»

Nora Bader, Andrea Fopp

FRAU MACHT MEDIEN Warum die Schweiz mehr Journalistinnen braucht

Frauen, die in den Journalismus ein­ steigen, merken schnell: Sie werden weniger ernst genommen, sowohl von den Kollegen als auch von Interviewpartnern. Das hat Gründe. Der Journalismus ist eine Männerbranche. Der Konkurrenzkampf ist heftig, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schwierig – und die Arbeitsbedingungen für Frauen sind unattraktiv: Eine Journalistin verdient gemäss einer Studie der FHNW im Schnitt 700 Franken pro Monat weniger als ein männlicher Kollege. Auf drei von vier Chefsesseln sitzen Männer, und ein durchschnittliches Politikressort besteht aus sieben Redaktoren und drei Redaktorinnen. Das ist bedenklich: Eine Demokratie braucht eine vierte Gewalt, in der auch ihre Bürgerinnen vertreten sind.


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