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Kolumne »Nich rauchen, nich saufen

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Nich rauchen, nich saufen…

Corona hat auch im Markt der Trauerrederei zugeschlagen, lan- ge hatte ich kaum Aufträge und wenn, dann nur unter freiem Himmel die allerengsten Ange- hörigen mit riesigen Abständen. Nun gibt es wieder größere Fei- ern, auch die engsten Freunde dürfen sich wieder verabschie- den und es ist auf dem Friedhof jetzt wie früher auf dem Schul- hof: Mehrere Grüppchen, die zwar insgesamt zusammengehö- ren, aber untereinander kaum Kontakt haben: Der Enkel aus Hamburg mit seiner Familie, die Enkelin aus Ba-Wü mit Kindern und der Onkel aus Dresden – sie stehen getrennt voneinander am Grab und weinen um einen To- ten, den sie lange nicht besucht haben, weil er nach einer Anste- ckung mit Covid 19 hätte sterben können. Wenn man doch immer alles vorher wüsste. Aber wer will sich schon schuldig fühlen am Tod eines Menschen.

Nach einer Trauerfeier neu- lich lernte ich zwei quietschfidele Ü90-erinnen kennen. Sie saßen zusammen, hielten sich an den Händen und strahlten. Ich kam etwas näher, um mich zu verab- schieden und vergnügt erzählten sie mir von ihrer gemeinsamen Kindheit und dass sie immer noch so dicke Freundinnen sind wie früher. »Wie sind Sie denn nur so gut so alt geworden?«, fra- ge ich und die eine sagt: »Nich rauchen, nich saufen, kein Sex.« Die andere nickt zustimmend. »Naja, aber sie haben doch Kin- der«, sage ich und zeige auf eines der Grüppchen auf dem Friedhof. »Hihi, dafür schon, aber nich ein- fach so«, kichern sie und überle- gen weiter. »Keine Milch, keinen Honig«, sagt die eine und die an- dere widerspricht: »Nee, ich hab immer Milch mit Honig getrun- ken, das kann`s nicht sein.« Sie wollen ihre Trauerreden schon

mal bei mir buchen und ich ver- einbare mit ihnen, dass wir uns erstmal zum 100. Geburtstag wiedersehen und dann neu ver- handeln.

Wenn man sich so ein langes Leben ansieht, ist es sehr span- nend, was diese Leute alles erlebt haben. Nicht nur zwei Weltkriege, Hungersnöte und Zeiten des Über- flusses, sondern auch Mythen zur Erziehung und Ernährung. Wie oft hat die Wissenschaft ihre Theorien widerlegt, wie oft haben Gesundheitsminister zu etwas aufgerufen, was aus heu- tiger Sicht völliger Unsinn war. Wieviel Eltern habe ihre Kinder mit Spinat gequält, um dann als Großeltern zu erfahren, dass da gar nicht so viel Eisen drin ist. Dann haben manche ewig keine Eier gegessen, obwohl wir heute gesagt kriegen, dass die so böse gar nicht sind. Und wieviel essen heute vegan, um womöglich bald zu erfahren, dass das auch nicht die reine Lehre war. So ist es ja letztlich auch mit Corona. Die Erkenntnisse zum Virus nehmen zu, es gibt langfristigere Studien und jeden Tag veröffentlichen Menschen ihre Meinung zu dem Thema und je nach Bekanntheit und Aufwand schließen sich mehr oder weniger Leute an.

Letztlich ist alles eine Frage der Dosis. Mal biss'l Spinat, mal ein Ei, ein Glas Wein an guten Tagen – und zum Einkaufen und wenn's eng wird, einfach ne klei- ne Maske aufsetzen. Denn wer will sich nach dem Tod eines Menschen schon schuldig fühlen. Die Generationen vor uns haben ganz andere Sachen durchgestan- den. Ich wünsche einen schönen Corona-Sommer, der sicher un- vergessen bleibt. Vielleicht sitzen wir dann mit Ü 90 auf dem Fried- hof und kichern: »Nich rauchen, nich saufen, Hygieneregeln be- achten.« (Jana Huster)

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