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Tierschutz als Gamechanger
DIREKTORIN VIER PFOTEN ÖSTERREICH
von Eva Rosenberg
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DER BEGRIFF ZOONOSE LEITET SICH AUS DEN GRIECHISCHEN WÖRTERN ZOON (LEBEWESEN) & NOSOS (KRANKHEIT) AB. ZOONOSEN SIND INFEKTIONSKRANKHEITEN, DIE VON BAKTERIEN, PARASITEN, PILZEN, PRIONEN ODER VIREN VERURSACHT UND WECHSELSEITIG ZWISCHEN TIEREN UND MENSCHEN ÜBERTRAGEN WERDEN KÖNNEN. * TOLLWUT EBOLA HIV MALARIA
„DER WELTWEITEN AGRARFLÄCHE DIENEN DER PRODUKTION VON FUTTERMITTELN UND/ODER ALS WEIDEFLÄCHE!”
„DER KALORIENVERBRAUCH ALLER NUTZTIERE AUF DER ERDE IST GRÖSSER ALS DER DER GESAMTEN WELTBEVÖLKERUNG.” Mensch, Tier und Natur sind unteilbar miteinander verbunden …
Die Klimakrise stellt eine Bedrohung für unser aller Existenzgrundlage dar. Es wird mehr und mehr deutlich, wie stark unser Umgang mit Tieren und Natur sowie unsere Ernährungsgewohnheiten den Klimawandel beeinflussen. Genauso mussten wir in zwei Jahren Pandemie schmerzhaft erfahren, dass die Ausbeutung von Tieren praktisch die ganze Welt lahmlegen kann. Denn die wahrscheinlichste Ursache für COVID-19 ist das Überspringen eines Virus von einem Tier auf den Menschen, wie auch bei früheren Zoonosen wie Tollwut, Ebola, HIV oder Malaria. Solange wir in den Lebensraum von Tieren eindringen und diesen mit all seiner Biodiversität und ihren Kreisläufen zerstören, werden wir die Entstehung von Zoonosen befeuern.
Genauso wie Wildtierhandel oder das Vordringen in Lebensräume von Wildtieren ist auch die Massentierhaltung ein Auslöser und Treiber für Zoonosen und andere Krankheiten: Wo Lebewesen auf engstem Raum gehalten werden, die genetische Vielfalt fehlt und das Immunsystem aufgrund von angegriffener Gesundheit und Stress angeschlagen ist, sind diese deutlich anfälliger für Krankheiten. Abgesehen vom damit verbundenen Tierleid können Krankheitserreger dann leichter von Spezies zu Spezies überspringen. Die Ausbeutung von Tieren fällt uns genauso auf den Kopf wie die Ausbeutung von Umwelt und Mitmenschen. Daher ist der Schlüssel zur Verhinderung künftiger Pandemien nicht etwa schlichte Symptombekämpfung, sondern ein echter Paradigmenwechsel hin zu mehr Tierwohl und Prävention – im Sinne eines One Health-Ansatzes.
Welches Ausmaß an Zerstörung die intensive Tierhaltung anrichtet, wird durch diese Zahlen deutlich: Wir sprechen weltweit von jährlich 88 Milliarden so genannten Nutztieren, die für den menschlichen Verzehr gezüchtet und geschlachtet werden – eine unvorstellbare Zahl. 16,5 % der globalen Treibhausgasemissionen gehen direkt auf die Nutztierhaltung zurück. Es ist absurd, dass bei der Herstellung eines einzigen Burgers so viel Treibhausgase wie bei einer Autofahrt von über 500 Kilometern entstehen. Ebenso schockierend: 77% der weltweiten Agrarfläche dienen der Produktion von Futtermitteln und/oder als Weidefläche – mit all ihren irreparablen Schäden wie Rodung von Regenwäldern, Verschmutzung des Grundwassers und Gülleseen. Der Ressourcenverbrach dieser Maschinerie ist enorm: Der Kalorienverbrauch aller Nutztiere auf der Erde ist größer als der der gesamten Weltbevölkerung.
Österreich ist, was Absurditäten betrifft, übrigens keineswegs ausgenommen: So erlaubt gerade das AMA-Gütesiegel Schweinemastbetrieben in Österreich weiter den Einsatz von gentechnisch verändertem Soja, das meist aus Südamerika stammt und dessen Anbau zur Abholzung des Regenwalds beiträgt.
All diese Tatsachen sind seit Jahren bekannt – nur passiert dennoch viel zu wenig, um dem gegenzusteuern. Der UNWeltklimabericht (IPCC Report) empfiehlt unter anderem, die Methanemissionen drastisch zu senken, da Methan 87-mal klimaschädlicher als CO2 ist. Schätzungen der EEA (European Environment Agency) zufolge machen Methanemissionen 54% der Treibhausgasemissionen des EU-Landwirtschaftssektors aus. Der Methanausstoß ist nahezu vollständig auf die Tierhaltung zurückzuführen und entsteht beim Verdauungsprozess der Tiere oder bei der Güllelagerung.
Auch Tiertransporte sind nicht nur grausam, sondern ein echter Klimakiller: 2020 wurden über 25 Millionen Tiere aus Österreich exportiert und über 24 Millionen Tiere importiert. Gründe sind zumeist die Produktion unter möglichst billigen Bedingungen und die Umgehung von Tierschutzstandards. Ein krankes System, das völlig aus dem Ruder gelaufen ist und nur Verlierer:innen kennt.
Doch was ist dagegen zu tun? Muss die Welt vegan werden? Konkrete Lösungen liegen auf dem Tisch und beinhalten eine Kernbotschaft: Wir müssen die Tierbestände drastisch reduzieren! Damit ist natürlich eine Senkung des Fleischkonsums verbunden. Auch die Abkehr von der Massentierhaltung ist eine Voraussetzung zur Erreichung der Klimaziele. Sind dies schlechte Nachrichten? Nein! Denn inzwischen ist jedem klar, dass der Fleischkonsum in Österreich nicht nur absurd hoch, sondern auch gesundheitsschädlich ist: Pro Kopf verdrücken wir 60,5 kg Fleisch im Jahr. Der Fonds Gesundes Österreich empfiehlt allerdings, nur maximal drei Mal pro Woche Fleisch zu essen. Würden wir uns daran halten, wäre unser Fleischkonsum wohl um zwei Drittel niedriger. Es hilft nichts: Wir müssen aus diesem Fleisch-Koma endlich aufwachen, wollen wir nicht nur unsere Gesundheit, sondern auch das Klima retten.
„2020 WURDEN ÜBER 25 MILLIONEN TIERE AUS ÖSTERREICH EXPORTIERT UND ÜBER 24 MILLIONEN TIERE IMPORTIERT!”
„ES HILFT NICHTS: WIR MÜSSEN AUS DIESEM FLEISCH-KOMA ENDLICH AUFWACHEN, WOLLEN WIR NICHT NUR UNSERE GESUNDHEIT, SONDERN AUCH DAS KLIMA RETTEN.”
THOMAS WAITZ (AUT)
Thomas Waitz ist Biobauer, Imker und seit 2017 Abgeordneter im EU-Parlament. Der glühende Aktivist interessierte sich schon immer für Europapolitik und ist seit 2019 Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen. Seine Themen erstrecken sich von Klimaschutz, der Agrarwende und guten Lebensmitteln über den Schutz unserer Wälder und Flüsse, Tierschutz und den Kampf gegen Tiertransporte, Biodiversität bis hin zur EU-Außen- und Friedenspolitik. Auf seinem Bergbauernhof in der Südsteiermark kümmert er sich unter anderen um 70 Bienenvölker und ist als Förster im Einsatz. thomaswaitz.eu
„SOLANGE WIR SO GENANNTE NUTZTIERE AUF ENGSTEM RAUM ZUSAMMENPFERCHEN UND SIE IM WAHRSTEN SINNE DES WORTES FÜR DIE HALTUNGSBEDINGUNGEN ZURECHTSTUTZEN, WERDEN WIR AUF EINER TICKENDEN PANDEMIEBOMBE SITZEN.” Wir sehen erfreulicherweise, dass besonders junge Menschen ein hohes Bewusstsein hinsichtlich der Auswirkungen ihrer Ernährung haben. Der Trend hin zu vegetarischer bzw. veganer Lebensweise zeigt das deutlich. Aber leider lässt gerade die Politik die Menschen in dieser Frage völlig hängen. Es gibt weder ein klares Bekenntnis hin zu mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung, noch können sich genug politische Entscheidungsträger:innen zu einer flächendeckenden Kennzeichnung aller tierischer Produkte nach Herkunft und Haltung durchringen.
Ja, mehr noch: Es gibt ausgerechnet in der Klimafrage die gefährliche Tendenz, Errungenschaften in politischen Debatten gegeneinander auszuspielen. Mit dem Hinweis auf die niedrige CO2-Belastung wird da etwa nach Jahren plötzlich die Atomkraft wieder aus dem Hut gezaubert und salonfähig gemacht. Es gibt sogar Politiker:innen, die angesichts der Methanbelastung durch die Rinderhaltung vorschlagen, die Tiere nicht mehr im Freiland, sondern ausschließlich in Ställen zu halten. Vom „Klimakiller Kuh“ wird geredet, was wirklich eine dreiste Täter-Opfer-Umkehr ist. Um dieses absurde Framing zurechtrücken: Die einzigen wirklichen Klimakiller sind wir Menschen, die Millionen, ja Milliarden von Tieren halten und quälen, um sie letztendlich für unsere Nahrungsgewinnung zu töten. Diesem Gedanken kann die Frage nach der Vision für das Zusammenleben zwischen Mensch, Tier und Natur gegenüber gestellt werden: Wollen wir wirklich, dass alle Tiere in geschlossener Intensivtierhaltung leiden, oder ist es nicht an der Zeit, sie aus ihren Käfigen zu befreien?
Diese Vision – reduzierte Tierbestände in tiergerechter Haltung, mit einer Flächenbindung und regionalen Futtermitteln – würde nicht nur mehr Tierwohl, sondern auch einen großen Schritt zur Erreichung der Klimaziele bedeuten. Grünland ist ein wichtiger Faktor zur CO2-Speicherung und bietet im Vergleich zu Ackerland eine deutlich höhere Biodiversität. Auch die Haltung von Schweinen auf Stroh statt auf einem Vollspaltenboden zeigt eine deutlich bessere Klimabilanz.
Und ohnehin steht fest: Solange wir so genannte Nutztiere auf engstem Raum zusammenpferchen und sie im wahrsten Sinne des Wortes für die Haltungsbedingungen zurechtstutzen, werden wir auf einer tickenden Pandemiebombe sitzen.
Wir haben es also in der Hand, uns der Wahrheit zu stellen und aus diesem Teufelskreis auszusteigen. Wir Österreicher:innen können uns auch nicht ausnehmen: Wir sind genauso betroffen wie der Rest der Welt, jede:r einzelne von uns – One Health. • EVA ROSENBERG