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Action speaks louder than words
KLIMAEXPERTIN, BIS 2015 LEITERIN DES SEKRETARIATS DES UN-WELTKLIMARATS (IPCC), MIT DESSEN TEAM SIE 2007 DEN FRIEDENSNOBELPREIS ERHIELT
„FÜR DIE EINHALTUNG DES 1,5°C-ZIELS MÜSSEN DIE GLOBALEN CO2-EMISSIONEN BIS ZUM JAHR 2030 UM 45 % ABNEHMEN.”
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„WÜRDEN WELTWEIT ALLE COVID-HILFEN KONSEQUENT FÜR KLIMAFREUNDLICHE INVESTITIONEN EINGESETZT, SO KÖNNTEN DIE EMISSIONEN BIS 2030 UM 25 % SINKEN.”
ACTION
SPEAKS LOUDER THAN WORDS
Renate Christ
Der Winter 2019/20 war der wärmste in Europa, dieser Februar war viel zu warm, Zeynep war der heftigste Sturm seit 2007, das Hochwasser 2021 verursachte Schäden in Milliardenhöhe und es bleiben noch 7 Jahre um das Ruder herumzureißen. Wir haben uns an derartige Meldungen schon gewöhnt, fast wie an die täglichen Coronastatistiken. Doch nach zwei Jahren im Krisenmodus wollen wir einfach wieder normal leben. Nur: Das Klima wird sich weiter ändern und die Folgen werden immer dramatischer, je mehr wir unsere Augen davor verschließen. Bereits jetzt ist die Hälfte der Menschheit betroffen. Viele Auswirkungen sind irreversibel, wie Meeresspiegelanstieg, Gletscherschmelze und Artensterben. Zudem müssen wir uns, auch in Europa, auf Wasserknappheit und Missernten, Waldsterben, Überschwemmungen, Zerstörung von Infrastruktur, Hitzetote und gesundheitliche Schäden z.B. durch die Ausbreitung von Dengue-Fieber einstellen. Aber wir können etwas tun und zwar rasch und konsequent. Panik und Fatalismus sind keine guten Ratgeber.
Jede Tonne CO2, die wir durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen ausstoßen, trägt zur Erderhitzung bei, egal wann und wo sie emittiert wird. Wenn wir die Temperatur stabilisieren wollen, müssen die CO2-Emissionen auf NettoNull sinken. Sonst steigt die Temperatur weiter an. NettoNull bedeutet, dass nicht mehr CO2 ausgestoßen wird, als durch Senken, das sind Böden, Wälder und technische Maßnahmen, gebunden werden kann. Diese Senken können jedoch bei weitem nicht die derzeit ausgestoßenen Emissionen absorbieren. Daher hat Dekarbonisierung oberste Priorität. Das Verbrennen von Kohle, Heizöl, Benzin, Diesel und Erdgas muss aufhören, genauso wie das Abholzen von Wäldern, denn auch da entsteht CO2.
Das Klimarisiko ist geringer, wenn der Temperaturanstieg auf 1,5°C begrenzt wird, auch wenn Schäden nicht ganz zu vermeiden sind. Klimamodelle zeigen, dass für die Einhaltung dieses Ziels die globalen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 45 % abnehmen müssen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollten wir Netto-Null erreichen. Das ist möglich, aber es erfordert Mut, einen klaren Plan, Innovation, eine Umschichtung von Investitionen und die Unterstützung durch alle Akteur:innen und Betroffenen. Wir haben die technischen Möglichkeiten und, so unglaublich es klingen mag, die Klimawende würde, wenn gut geplant, keine Mehrkosten verursachen. Das Geld muss nur richtig eingesetzt werden. Würden weltweit alle COVID-Hilfen konsequent für klimafreundliche Investitionen eingesetzt, so könnten die Emissionen bis 2030 um 25 % sinken. Leider ist das nur zum Teil geschehen.
Natürlich müssen wir uns auf Veränderungen einstellen. Durch das Aus für fossile Brennstoffe in den Bereichen Heizen, Verkehr und Industrie wird mehr Strom aus erneuerbaren Quellen gebraucht. Das bedeutet: neue Windparks und Solarpanele, Modernisierung von Wasserkraftwerken
© Florian Krumm und auch Bau neuer Wasserkraftwerke. Da Wind und Sonne nicht immer Strom produzieren, benötigen wir Speicher und leistungsfähige Netze. Auch wenn gewaltige technische Fortschritte zu verzeichnen sind, wird es ohne Eingriffe in die Landschaft oft nicht gehen. Ein wichtiger Faktor ist daher die effiziente und nachhaltige Nutzung von Energie in allen Bereichen. Jede nicht benötigte Kilowattstunde verursacht weniger Kosten und weniger Umweltbeeinträchtigungen und bringt uns den Klimazielen näher.
Ein Umdenken in Raum- und Verkehrsplanung ist vor allem in Österreich dringend notwendig. Die täglich stattfindende Bodenversiegelung und Verbauung schafft neuen Verkehr, z.B. durch Einkaufsparks am Stadtrand, versiegelt Flächen, die andernfalls bei Bedarf Starkregen aufnehmen könnten, und zerstört Landschaft und Grünräume. Sie ist also in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Im Verkehrsbereich greift die Debatte, ob Benziner, Diesel oder E-Auto, zu kurz. Wir müssen einen neuen Blick auf Mobilitätsservices wagen. Die konsequente Umschichtung von Investitionen in bequeme öffentliche Verkehrsmittel anstelle von Straßen und Flughäfen ist der Kern einer glaubwürdigen Klimapolitik. Das Klimaticket ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber es braucht noch viel mehr Anstrengungen, um eine flächendeckende Versorgung bereitzustellen. Flexible Lösungen sind gefragt - am Land, für die letzte Meile oder für unkomplizierten Radtransport. Auch eine rigorose
„DIE KONSEQUENTE UMSCHICHTUNG VON INVESTITIONEN IN BEQUEME ÖFFENTLICHE VERKEHRSMITTEL ANSTELLE VON STRASSEN UND FLUGHÄFEN IST DER KERN EINER GLAUBWÜRDIGEN KLIMAPOLITIK.”
Für Klimaneutralität 2040
Sonne, Wind, Wasser: Die Natur strotzt vor Energie für die Gestaltung eines nachhaltigen und klimafreundlichen Energie- und Mobilitätssystems. Daran arbeitet der Klima- und Energiefonds mit seinen innovativen Förderprogrammen und Initiativen. Und sie ermöglichen sowohl die Reduktion der heimischen Treibhausgasemissionen als auch die Stärkung von Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.
Parkraumbewirtschaftung ist wichtig, damit öffentliche Flächen wieder durch alle Bewohner:innen genutzt werden können, für Begegnung, Spielplätze und Bäume, die Schatten spenden und einfach schön sind.
Viele Entscheidungen im Energie- und Infrastrukturbereich können Einzelne nicht direkt beeinflussen. Aber als mündige Bürger:innen können wir sehr wohl etwas bewirken, indem wir klimapolitische Maßnahmen fordern, unterstützen und umsetzen. Im eigenen Umfeld ist es hilfreich, Gewohnheiten zu durchforsten und festzustellen, woher die größten Emissionen kommen – Wohnen, Mobilität, Fashion, Food? Heizung ist oft der größte Posten und die Umstellung auf ein CO2-freies System unumgänglich, wobei sich vielleicht innovative Nah- und Fernwärmeprojekte anbieten. Bei Neubau oder Sanierung auch noch Solarpanele zu installieren ist sicher eine gute Investition in die Zukunft. Bei der Mobilität gilt es, ehrlich unser Verhalten und unsere Möglichkeiten zu analysieren. Fahre ich mit dem Auto einfach aus Gewohnheit oder gibt es wirklich keine Alternative. Beim Konsum geht sowohl um die Frage „Was brauche ich wirklich?“ als auch im weitesten Sinn um Nachhaltigkeit, um dauerhafte Produkte, die sozial und ökologisch verträglich erzeugt worden sind, keine gefährlichen Abfälle verursachen und keine unnötig weiten Transportwege hinter sich haben. Konsument:innen können Transparenz fordern und Druck in die richtige Richtung ausüben.
Vorsicht geboten ist bei Versprechungen wie klimaneutralem Heizöl oder E-Fuels, die es angeblich erlauben, Ölheizungen und Verbrennungsmotoren „klimaneutral“ weiterzuverwenden. Aber die Erzeugung dieser Stoffe ist sehr energieintensiv und es ist um ein Vielfaches effizienter, wenn Strom direkt für den Betrieb einer Wärmepumpe oder eines E-Autos verwendet wird. In Bereichen, in denen es noch keine besseren Alternativen gibt, wie Flug- und Schiffsverkehr ist der Einsatz derartiger Treibstoffe allerdings sinnvoll. Ähnliches gilt für „grünen“ Wasserstoff: Auch der braucht zur Produktion große Mengen erneuerbarer Energie und wird dringend für die Umstellung von Industrieprozessen gebraucht.
Vorsicht ist auch bei Greenwashing angebracht. Einige Solarpanele machen einen Betrieb mit emissionsintensiven Produktionsabläufen und Geschäftsinteressen noch nicht klimafreundlich. Und die Emissionen einer Flugreise verschwinden nicht, wenn ich ein paar Euro zur Kompensation des dabei verursachten CO2 bezahle. Natürlich ist es gut, wenn dadurch Wald geschützt wird. Tatsache ist aber, dass alle Länder die Emissionen auf Netto-Null senken müssen und wir nicht weiter unsere Luxusemissionen zulasten der Länder des Globalen Südens abladen können.
Die vom Menschen verursachte Klimaveränderung ist da und die Menschheit muss lernen damit umzugehen. Eine Strategie, in der Emissionsreduktion, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit, Anpassung an den Klimawandel und Ökosystemgesundheit integriert werden, ist Erfolg versprechend, aber nur wenn es gelingt, die Erderhitzung rechtzeitig zu begrenzen.
• RENATE CHRIST
AM 28. FEBRUAR 2022 WURDE EIN NEUER BERICHT VERÖFFENTLICHT: "CLIMATE CHANGE 2022" IST DER ZWEITE VON INSGESAMT DREI TEILEN DES 6. IPCC-SACHSTANDSBERICHTS (AR6) DES WELTKLIMARATS. EXPERT:INNEN HABEN DARIN DEN AKTUELLEN WISSENSSTAND DER INTERNATIONALEN KLIMAFORSCHUNG ZU DEN FOLGEN DES KLIMAWANDELS, ANPASSUNG UND VERWUNDBARKEIT ERARBEITET.
IPCC.CH/REPORT/SIXTH-ASSESSMENTREPORT-WORKING-GROUP-II
„TATSACHE IST ABER, DASS ALLE LÄNDER DIE EMISSIONEN AUF NETTO-NULL SENKEN MÜSSEN UND WIR NICHT WEITER UNSERE LUXUSEMISSIONEN ZULASTEN DER LÄNDER DES GLOBALEN SÜDENS ABLADEN KÖNNEN.”