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OOH!–Fokus
from OOH - Magazin 2022-4
by APG|SGA
Der Wert der Werbung
Der Konsument eine Katze, die Werbung ein ungebetener Gast: Es fehlt weder an Bildern noch an Selbstkritik, wenn die Vertreter der großen deutschen Werbeverbände zusammenkommen, um die Hintergründe der zunehmend distanzierten Haltung von Politik und Öffentlichkeit gegenüber der Werbung auszuloten. Es geht um den Beitrag der Werbung zum Wohlstand, zur Meinungsvielfalt und demokratischen Kultur einer Gesellschaft, es geht um die emotionale Bedeutung von Werbung für die Verbraucher, aber auch um Fehler und Versäumnisse der Branche selbst, diese Werte zu kommunizieren. Am exklusiven OOH! Round Table nehmen teil: Dr. Bernd Nauen (ZAW), Uwe Storch (OWM), Larissa Pohl (GWA) und Klaus-Peter Schulz (OMG) sowie Werbewirkungsexpertin Cornelia Krebs (september Strategie & Forschung).
Das Gespräch moderiert FAW-Geschäftsführer Kai-Marcus Thäsler.
Uwe Storch, auf der diesjährigen DMEXCO und vor kurzem erneut in einem Interview haben Sie als OWM-Vorsitzender die mangelnde Akzeptanz von Werbung offen angesprochen – „Niemand liebt Werbung“ haben Sie gesagt. Warum? UWE STORCH: Bei der DMEXCO ging es in einem Panel um die Frage, wie wir heute im „Nebel“ der Kommunikation noch durchdringen können. Dabei wurde die These aufgestellt, dass Werbung nicht mehr so geliebt wird, wie sie früher geliebt worden ist. So kam es zu meiner zugespitzten Formulierung. Denn dass irgendjemand Werbung liebt, ist einfach eine vollkommen falsche Vorstellung. Wir finden toll gemachte Werbung, wir finden einzelne Bereiche, die uns auch bewegen, über die wir sprechen. Aber Werbung ist immer nur ein Teil von Kommunikation gewesen, und das sollte man auch nicht überhöhen.
Ihre Kritik geht noch weiter, denn Sie haben die Werbebranche selbst für die ausbleibende Zuneigung der Konsumenten verantwortlich gemacht. Wie war das gemeint? STORCH: Meine Kritik betraf im Wesentlichen den digitalen Bereich, der in fast jeder Hinsicht schlecht gemacht ist. Angefangen von der Kreation, von der Lesbarkeit, von der Kargheit, von der Art, wie man verfolgt wird, von der medialen Platzierung, von der medialen Aussteuerung bis hin zur Kontrolle. Damit haben wir für den Konsumenten im Digitalbereich von den vielen Optionen, die wir hatten, eigentlich die schlechteste gewählt. Wir haben ihn bombardiert in einem Maße, das direkt Reaktanzen erzeugen musste. Da müssen wir uns auch selbst an die Nase fassen, wir als Branche, aber auch wir als Werbetreibende, und dort einfach besser werden. Aber ich möchte nicht missverstanden werden, dass ich generell Werbung nicht gut finde oder nicht nachempfinden kann, welchen Beitrag Kommunikation leisten kann – ganz und gar nicht. Es gibt ganz wunderbare Werbungen, auch heute. Und wenn unsere Kinder später mal unsere Werbung von heute betrachten, den Schrei von Zalando oder manche Werbespots von Mercedes Benz, werden sie dabei genauso schmunzeln, wie wir heute über das HB-Männchen von vor 30, 40 Jahren schmunzeln. Bernd Nauen, Kritik hat zur Werbung immer dazugehört, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite war die Werbebranche lange sehr selbstbewusst, denn Werbung war etwas Relevantes, in Gesellschaft und Wirtschaft stark verankert. Was hat sich aus Sicht des ZAW verändert? BERND NAUEN: Wir müssen differenzieren. Die Eigenwahrnehmung der Branche, die Verbraucheransichten, das Bild in den Medien, die Wahrnehmung der Politik und die objektive Bedeutung der Branche – das meiste davon geht nicht Hand in Hand. Zunächst zu dem, was aus der Sicht der Werbungtreibenden zählt: nämlich, ob sich ihre Investitionen auszahlen. Ich denke, es gibt keinen Grund in dieser Hinsicht alles in Frage zu stellen – auch wenn sich in bestimmten Sektoren nicht alle Versprechungen realisiert haben. Blicken wir auf den Wert der Branche, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Bedeutung für eine vielfältige Medienlandschaft, sehe ich ebenfalls keinen Bedeutungsverlust. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, dass diese wahrlich gesllschaftpolitische Dimension sogar wichtiger denn je ist. Allerdings, und das ist gefährlich, scheint diese Qualität
UWE STORCH
an verschiedenen Stellen – auch politisch und medial – nicht mehr vollauf wahrgenommen zu werden. Hier müssen wir ansetzen. Zuletzt zu den Verbraucheransichten. Schauen Sie, vor kurzem ist der Deutsche Werberat 50 Jahre alt geworden. Zu seiner Entstehungsgeschichte im Jahr 1972 gehört dazu, dass Marktwirtschaft, Kapitalismus und damit auch Werbung im Zuge der 68-Bewegung in die Kritik gerieten. Die Wohlstandsentwicklung war recht weit vorangekommen, größere ökonomische Krisen und mit ihnen Fragen auch zur gesellschaftlichen Rolle und Verantwortung der Wirtschaft tauchen in dieser Zeit auf. Ähnlich ist es möglicherweise heute.
Gibt es dennoch Unterschiede in der Kritik gegenüber 1972? NAUEN: Die Kritik ist, jedenfalls in bestimmten Milieus, sehr stark aufgeladen. Werbung ist hier eine Chiffre für ein Wirtschaftssystem, das grundsätzlich in Frage gestellt wird. Diese Art Werbekritik ist Ausdruck grundlegender Zweifel, die unter anderem vom Klimawandel angeheizt werden, der in der Tat enorme gesamtgesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringt. Es kann nicht wundern, dass die Werbebranche hier ins Visier gerät und als Triebfeder von Überkonsum hingestellt wird. Das ist zwar zum großen Teil kaum evidenzbasiert, es verfängt aber.
Larissa Pohl, auf dem GWA-Sommerfest haben Sie den Fachkräftemangel in den Agenturen angesprochen. In den 90er, 2000er Jahren war es ein absoluter Traumberuf, als Kreativer bei Springer & Jacoby oder Jung von Matt zu arbeiten. Jetzt scheint es nicht mehr so hip und angesagt Werber zu sein. Warum haben es die Werbeagenturen so schwer, Nachwuchs zu finden? LARISSA POHL: Zunächst einmal möchte ich die steile These in den Raum stellen, dass wir gerne auf uns selbst referenzieren. Ich weiß nicht, ob die bundesdeutsche Bevölkerung damals gesagt hat, da würde ich gerne arbeiten. Wir leben sehr stark in einer Bubble, wie man so schön sagt. Vielleicht hätten wir alle gerne da gearbeitet nach dem Motto: früher war alles besser. Der Fachkräftemangel aber ist ja kein Werber- oder Kommunikationsbranchenthema, sondern ein Thema, das wir wirklich überall sehen. Wir haben in einer Studie 500 Studierende von unterschiedlichen Fachrichtungen gefragt, was sie werden wollen oder welche Berufe für sie interessant sind. Auf Platz 1 war die Wissenschaft, das hängt sicherlich auch mit der momentanen Situation zusammen. Dann kamen die Unternehmensberatungen, die ja immer gerne gewählt werden, und als Drittes kommt dann schon die Kommunikationsbranche. Insofern muss man das ein bisschen differenzierter sehen.
LARISSA POHL
Was wir tatsächlich versäumt haben, ist, unserem Nachwuchs oder Fachkräften klarzumachen, was sie in den Agenturen erwartet. Wir haben immer wieder festgestellt: Menschen kommen in Agenturen aus Hörensagen. „Mein Vater hat eine Agentur“, „der Bruder von meinem Freund hat eine Agentur“, „ich kenne da jemanden“, „bei uns um die Ecke ist“ … so lernen Menschen Agenturen kennen. Und da machen wir zu wenig um die Agenturbranche bekannter und auch beliebt zu machen. Denn da glaube ich nach wie vor dran und erlebe es selbst: Es hat auch schon große Vorteile in der Agenturwelt zu arbeiten.
Klaus-Peter Schulz, wenn man Verbraucher fragt, wie sehr die einzelnen Werbeformen stören, fällt natürlich immer wieder das Stichwort Unterbrecherwerbung etc. Inwieweit tragen die Medien Verantwortung für die zunehmend kritische Distanz der Menschen zu Werbung? KLAUS-PETER SCHULZ: Schon in den 90er Jahren habe ich gelernt: Werbung ist wie ein ungebetener Gast, der an die Tür klopft und vielleicht gerade zu ungelegener Zeit kommt. Wenn dieser Gast aber freundlich, witzig und charmant ist, einen unterhält und eine relevante Botschaft mit sich bringt, dann mache ich die Tür doch auf und lasse ihn herein. Und: Er muss durch die richtige Tür und zum richtigen Zeitpunkt kommen. Soll heißen: Es ist richtig, mit der Kreation auch den Nerv der Menschen anzusprechen, die ich erreichen will. Und genauso haben wir als Mediaagenturen und auch als Medien die Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Werbung zum richtigen Zeitpunkt für die Menschen platziert wird. Nämlich dann, wenn sie aufgeschlossen und offen dafür sind. Und das ist bestimmt nicht dann, wenn sie gerade beruflich engagiert sind oder im Search-Bereich einem gezielten Interesse nachgehen. Das ist dann sicherlich der falsche Zeitpunkt. Nicht zum falschen Zeitpunkt nerven, sondern zum richtigen unterhalten und auch genau darauf achten, welche Werbung für welche Marke, in welcher Tonalität, in welcher Emotionalität, in welchem
Content, in welchem Umfeld wann zu den Menschen kommt – das sind Themen, auf die wir wieder sehr viel stärker in unserer Branche achten müssen. Das ergibt sich schon allein, weil wir technisch dazu gezwungen werden. Schließlich muss das Thema Third Party Cookies durch andere Optionen ersetzt werden. Dadurch geraten Content und Kontext wieder in einen stärkeren Fokus. Und das ist eine Grunddisziplin der Werbung, um für die nötige Akzeptanz zu sorgen.
Cornelia Krebs, Emotionalität durch Werbung, emotionale Reaktionen auf Werbung sind der Bereich, in dem Sie forschen. „Niemand liebt Werbung“ – ist das auch das Ergebnis Ihrer Forschung? CORNELIA KREBS: Wir erleben genau das, was Uwe Storch eingangs gesagt hat – vieles in der Werbung ist schlecht gemacht und schlecht lesbar. In unserer Emotionsmessung sehen wir dann, dass sich bei den Probanden nichts tut. Dann dümpeln die Messkurven vor sich hin. Es gibt aber auch großartige Beispiele. „Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?“ wirkt bis heute, oder „Die Freiheit nehme ich mir“ – unglaublich, was wir da noch abrufen. Klaus-Peter Schulz hat es eben gesagt: Die Werbung ist nicht eingeladen, sondern sie klopft an. Ich gehe also draußen irgendwo herum, sehe Plakate, die Werbung kommt auf mich zu, und ich will das gerade gar nicht. Aber wenn sie mich aufstört, mich einen Hauch aufrüttelt, dann dringt sie durch. Und, was in der Emotion so wichtig ist – es muss eben relevant für mich sein. Wir testen regelmäßig alle Werbemittel, alle Stimuli durch und vermessen die mit ihren Emotionen. Und dabei begegnete mir ein Ferrero-Plakat mit den kleinen Schokoladenbonbons – manche waren verpackt, manche aufgeschnitten, manche „nackig“. Unsere Messungen zeigen: Solche Bilder lösen Attraktion und Relevanz im ganzen
Körper aus. Die Bio-Signale sprechen von Lust und Gier, diesem inneren Kind in uns. Unsere äußere Schale sagt die ganze Zeit „Ne, also Werbung, da muss ich aufpassen, das beeinflusst mich, das muss ich regulieren.“ Wenn ich aber reingehe in die Emotionen, können wir uns alle nicht davon befreien, dass unser Ich innen drin, das kleine, sagt „Haben wollen“. Weil einfach ein Bedürfnis ausgelöst wird. Das sehen wir durch die Bank weg. Es hängt wirklich enorm von der Kreation ab.
Muss man denn wirklich Werbung lieben oder reicht es, wenn der Konsument dem bestenfalls indifferent gegenübersteht und sagt, „naja, ich nehme es halt zur Kenntnis“? STORCH: Indifferent sollte es nicht sein, dann hat es ja keine Wirkung. Dieser „ungebetene Besucher“, wenn der so charmant gemacht ist, dass man sich auf ihn einlässt, dann ist das ja Werbung im ursprünglichen Wortsinn. Man wirbt um jemanden. Und dieses um jemanden werben müssen, sollen, können, dürfen – das müssen wir Werbetreibenden wieder stärker in Mittelpunkt stellen. Dass man zum Beispiel die Plakate so macht, dass es diesen Appetizer-Effekt hat. Das geht auch in digitalen Werbeformaten. Ich glaube, wir haben zu viel, zu schnell auf Reichweite geschaut. Wir achten auf solche vielen technischen KPIs, dass uns das Werbung machen in der Werbung manchmal abhanden kommt. Wir müssen uns wieder mehr um die Qualität, um die Präzision im täglichen Doing kümmern. Dass es wieder funktioniert, dass man durchdringen mag. Diese Bild von jemandem, der klopft, unangemeldet, ungefragt an deine Tür, und du musst schon in diesem Moment entscheiden, ob du es toll oder schlecht oder störend empfindest – das ist ein ganz schönes Bild. Damit kann ich gut leben. POHL: Ich weiß gar nicht, ob es Liebe sein muss. Werbung hat ja den grundsätzlichen Sinn und Zweck, Marken oder Unternehmen zu helfen, Botschaften zum Konsumenten zu bringen. Es ist ein konkreter Nutzen hinter Werbung. Das darf man in dieser Diskussion nicht vergessen. Und das ist es, was auch viele Werbetreibende treibt – wie bringe ich die Information am besten von A nach B. Wir haben bei Ogilvy immer das Bild von einem Hund und einer Katze bemüht. Der Konsument ist kein Hund, den ich abrichten kann, sondern eigentlich eine Katze. Der Katze muss ich etwas anbieten, ich
KLAUS-PETER SCHULZ
muss spielen, ich muss Aufmerksamkeit erregen, und die dreht sich halt auch um und geht weg, wenn sie das Interesse verliert. Es geht also nicht um Liebe. Es geht um Informationen und um die Vermittlung von Informationen. Werbung, die nur schön ist, braucht auch kein Mensch. Hohe Emotionen, totale Begeisterung, Zero-Effekt für die Marke – das ist auch nicht das, was wir wollen.
SCHULZ: Natürlich geht es in der Werbung um den Erfolg einer Marke, eines Unternehmens. Es geht um den Return on Investment, es geht um Erfolgs-, um Absatz-orientierte KPIs. Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil. Dazu würde ich jetzt gerne die Diskussion um einen Aspekt erweitern, wenn nämlich Werbung erfolgreich ist. Und sie ist in den meisten Fällen für viele Marken sehr erfolgreich. Indem sie den Erfolg und langfristig auch den Markenwert einer Marke steigert und damit einen Beitrag sowohl zum Absatz der Marke als auch zu ihrem Erfolg leistet, leistet Werbung auch gesamtwirtschaftlich einen Beitrag: zum Bruttoinlandsprodukt, für das Wachstum einer Gesellschaft. Die Werbung ist ein wesentlicher Faktor, um Wirtschaft anzutreiben, gerade auch in Krisenzeiten, wie wir sie im Moment erleben. Und damit einen positiven Impuls auf die Gesamtgesellschaft zu setzen. Ein zweiter Aspekt dazu: Werbung ist immer auch ein Ausdruck und ein Spiegel von Kultur und Kunst, von Ästhetik einer Gesellschaft. Werbung trägt erheblich zur Refinanzierung der Medienvielfalt bei. Die publizistische Vielfalt, die wir in unserem Lande haben, ist ein großer Wert und erheblicher Beitrag für eine demokratische, pluralistische Kultur. Dieser Wert und dieser Leistungsbeitrag der Werbung zur Refinanzierung der Medienvielfalt sollten nie unterschätzt werden. Er ist von unserer Branche auch wieder stärker zu betonen und in den Vordergrund zu stellen.
In einer Publikation des ZAW vor einigen Jahren ging es in der Tat um das Thema Wert der Werbung und auch die Frage von Werbung in Krisenzeiten. Dringt man mit solchen Themen derzeit durch, politisch und gesellschaftspolitisch? NAUEN: Es ist viel erreicht, wenn wir unter den erschwerten Bedingungen, die wir mittlerweile haben, vermitteln können, dass Eingriffe nicht folgenlos sind, sondern ganz handfeste negative Auswirkungen haben. Wenn wir uns das Freiheitsniveau in Deutschland anschauen und mit anderen Ländern – auch in Europa – vergleichen, stehen wir aber immer noch ziemlich gut da. Auch aufgrund unseres Engagements. Wir müssen uns aber fragen, ob das künftig noch reicht – angesichts der Verschiebungen, die wir – auch in der Politik – bei der Wahrnehmung der Branche erleben, und zwar losgelöst von der jeweiligen Koalition einer Bundesregierung, ihrer Farbzusammensetzung. Betrachten wir zum Bespiel den beruflichen Hintergrund derjenigen, die über Gesetze entscheiden, die werberegulatorisch bedeutsam sind. Wir haben im Parlament sehr viele Berufsgruppen vertreten, Beamte, Lehrer oder anderweitig im Staatsdienst befindliche Personen, die sehr wenig Berührungspunkte und Erfahrungen mit unserer Industrie mitbringen, dafür aber starke Meinungen haben oder hiermit konfrontiert sind. Bereits die daraus resultierenden Herausforderungen sind größer als früher. Gleichzeitig sind die Mittel und Möglichkeiten Meinungen zu erzeugen – Stichwort: Campaigning – angewachsen. So erscheinen immer öfter kleine Gruppen wie eine politische Mehrheit, weil sie sehr gut organisiert und kampagnenfähig sind. Und in Bezug auf unsere Branche mit Werbewirkungsmodellen und Aussagen arbeiten, die wenig mit der Realität zu tun haben, aber selbst medial ziemlich unkritisch rezipiert werden. Damit ist klar: Wir müssen frühzeitiger auftreten, grundlegender argumentieren und, ja, auch deutlicher den Wert der Werbung vertreten. Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist hierfür allerdings auch eine Voraussetzung.
BERND NAUEN
In Hamburg und Berlin erleben wir gerade, wie eine Werbeform – Aussenwerbung – von einer kleinen Gruppe diskreditiert wird und verboten werden soll. Dabei geht es auch um grundsätzliche Konsumkritik. Wie steht die OWM zu einem solchen Vorhaben, ein Medium einfach abzuschalten? STORCH: Wir alle verbinden mit einer Stadt bestimmte Eigenschaften, Größe, Offenheit, bunte Farben, Begeisterungsfähigkeit. Dass wir eine Stadt beleuchten und erhellen können, dass wir für Informationsvielfalt und Farbenfreude sorgen, ist ein großes Gut und absolut erhaltenswert. Ich verstehe durchaus die einzelnen Aspekte von politischen Kampagnen und Gruppen, die das kritisch sehen. Dabei handelt es sich aber meistens um eine elitäre Oberschicht, die sich Dinge leisten kann, die sich Menschen in der Grundgesamtheit nicht leisten können. Im Sinne der großen Allgemeinheit haben wir immer den Deal gehabt, dass wir zu einer pluralistischen Meinungsvielfalt kommen, die eben zum Teil mit Werbung finanziert ist. Im öffentlichen Raum stellen werbefinanzierte Bushaltestellen eine Sicherheit auch in der Stadt dar. Die Stadtmöblierung hat eine ungeheure Verbesserung der innerstädtischen Strukturen geschaffen. Das bedeutet enorm viel, gerade für Menschen mit geringem Einkommen. Als Bürger lehne ich absolut ab, dass wir uns von ganz kleinen Minderheiten Dinge vorschreiben lassen. Als Werbetreibender glaube ich, dass wir dafür kämpfen müssen, dass wir den ungehinderten Zugang zu Werbeflächen haben. Wir müssen verantwortlich gestalten, kein Mensch möchte überall an jedem Platz den Times Square haben. In Deutschland haben wir das aber nicht. Dafür haben wir schon eine in meinen Augen viel zu restriktive Stadtpolitik, die vieles nicht ermöglicht.
Nach dem Tabakwerbeverbot sind weitere Werbeverbote im Gespräch, für Zucker, für Alkohol etc pp.; brauchen wir eine Kampagne der gesamten Branche für den Wert der Werbung? POHL: Wir als Kommunikationsleute müssen uns mit dieser Diskussion auseinandersetzen. Ich glaube, dass wir sicherlich etwas für unsere Branche tun müssen. Dass wir unsere Branche besser positio-
nieren müssen in dem, was sie tut und was sie kann und was sie leistet innerhalb der Gesellschaft. Wir zeichnen ja mit dem Effie jedes Jahr den Wert von Kommunikation aus, in unterschiedlichen Formen. Und man merkt, dass das Thema wichtiger denn je ist, was die Einreichungszahlen belegen. Interessant ist, dass der Effekt und der Wert von Werbung selbst in vielen Unternehmen gar nicht mal so klar sind, auch die Nachweisbarkeit gar nicht mal so klar ist. Und wenn innerhalb der Unternehmen Geld ausgegeben wird für etwas, von dem ich mir gar nicht sicher bin, was es bringt oder es nicht messe, dann müssen wir uns nicht
wundern, wenn sich das auch nach außen hin nicht ändert. Insofern würde ich keine Kampagne machen für den Wert der Werbung. Ich würde lieber den Wert belegen und das kommunizieren.
SCHULZ: Es ist aus meiner Sicht schon an der Zeit, dass die Branche gerade auch bei jungen Menschen kommuniziert, dass Werbung einen Wert hat und einen wichtigen Beitrag zur Refinanzierung von Medienvielfalt leistet. Ob es ein Beitrag zur Meinungsfreiheit ist, ist eher schwierig zu beantworten. Wir haben im Verband zwei Studien aufgesetzt, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Medienvielfalt
und Meinungsvielfalt beschäftigen. Das ist ein sehr komplexes Thema. Was wir auf jeden Fall gemeinsam tun können: Wir müssen weiter das Thema Werbeverbote adressieren. Wir dürfen da nicht nachlassen. Das zweite Thema, das wir adressieren müssen, ist die dominierende Stellung von Google, von Apple, von Meta. Wenn es unter Umständen darum geht, die Geschäftsmodelle zwischen Werbekunden, Agenturen und Medien zu beeinträchtigen, zur Begünstigung dieser marktbeherrschenden Unternehmen, dann ist das ein Thema, das wir Verbände alle auf die Agenda setzen müssen. Denn hier geht es um die Refinanzierung durch Werbung und auch den Beitrag zu journalistischer Qualität und Medienvielfalt. Drittens: Wir brauchen eine zukunftsgerichtete Weiterentwicklung des dualen Systems. Auch hier werden redaktionelle und journalistische Qualitäten geleistet, die wir in anderen Ländern und Märkten nicht haben. Und hier muss der Beitrag der Werbung zur Refinanzierung weiter ausgebaut werden, um auch weiterhin eine Unabhängigkeit von der Politik zu gewährleisten. Auch das ist ein wesentlicher Beitrag der Werbung in diesem Kontext. Und viertens stellt sich die wichtige Frage: „Wie können wir die Medienkompetenz gerade unter jungen Menschen in der Gesellschaft wieder durch geeignete Projekte und Initiativen erhöhen?“ Eine Medienkompetenz, die eben nicht nur darin besteht, dass man sich über Influencer, über Freunde und Bekannte orientiert, sondern auch wieder über journalistische Inhalte. Dies droht in der jungen Generation, der Generation Z verloren zu gehen.
Frage an die Emotionsexpertin: Mit welcher Botschaft könnten wir rausgehen und der Bevölkerung klar machen, was sie an der Werbung hat? KREBS: Es ist sehr, sehr schwierig, solche Botschaften überhaupt zu transportieren. Das wurde jetzt schon mehrfach deutlich. Ein solches Thema über eine klassische Kampagne an die Bevölkerung heranzutragen, ist wirklich schwierig. Was aber nicht heißt, dass man es nicht versuchen sollte. Natürlich müssen wir kommunizieren.
Wir werben für Dinge um den Konsum anzukurbeln, das ist unser Job. Die jungen Menschen, auch in unserer Branche, haben vielleicht andere Ziele, wollen mit Kommunikation dazu beitragen, die Gesellschaft zu verändern, wollen zu mehr Nachhaltigkeit in Werbung und Konsum. Lässt sich das miteinander vereinbaren?
CORNELIA KREBS
POHL: Die Kommunikation hat schon immer dazu beigetragen Gesellschaften zu verändern und auch gesellschaftliche Bilder zu positionieren und zu platzieren. Werbung wie früher für Jacobs Kaffee wäre heute schlicht undenkbar. Auch die barbusige „Fa“-Frau am Strand wäre heute schwierig. Man sieht, dass Diversity innerhalb von Kommunikation heute eine große Rolle spielt, und da tut die Branche auch viel. Es ist ja auch nicht so, dass die Jungen auf einmal nicht mehr konsumieren. Ganz im Gegenteil, die konsumieren extrem viel. Die Medien, die Informationsquellen sind vielleicht andere. Oder die Kommunikation von Marken findet vielleicht woanders statt, zum Beispiel auf Influencer-Kanälen. Das Thema Nachhaltigkeit ist unsere Pflicht. Es geht um die Art und Weise, wie wir als Agenturen aufgestellt sind, wie wir produzieren. Müssen wir für einen Spot nach Südafrika fliegen, weil das Licht da so toll ist? Wie viel geht denn schon im Digitalen, mit AI oder wie auch immer. Hier müssen wir weitermachen. Ich muss aber von Menschen erwarten können, dass sie eine eigene Verantwortung haben. Es gibt viele Produkte, die in größerer Menge ungesund sind, gleichzeitig sind sie Genussprodukte. Ich finde es einfach scheinheilig zu sagen ich verbiete die Werbung, aber das Produkt nicht. Also, wenn ich der Meinung bin, dass Zigaretten ungesund sind
und den Menschen schaden, dann muss ich die Produkte verbieten. Alles andere ist Symbolpolitik.
STORCH: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich habe große Bedenken, dass man die Werbung verbieten könnte, weil man die Produkte nicht verbieten darf. Da müssen wir wirklich sehr aufpassen. Es muss ein ehernes Grundsatz-Prinzip bestehen: Alle Produkte, die man frei, ohne Einschränkungen verkaufen kann, müssen auch beworben werden dürfen. Es mag tausend Gründe geben, um etwas verbieten zu wollen. Wenn wir aber in der Werbung alles klären wollen, was wir in der Gesellschaft versuchen zu verändern von Gender, von Nachhaltigkeit etc. etc. das ist einfach nicht richtig. Werbung ist wie der Spiegel einer Gesellschaft. Sie verändert sich, die Sprache ändert sich, die Einstellung ändert sich, und dann ist die Werbung immer ganz dicht an den Menschen. Wenn wir uns aber zu einem Büttel machen von politischen Gesinnungsmenschen, dann erweisen wir unserer pluralistischen Meinungsvielfalt einen absoluten Bärendienst. Ich fände ja immer ein Argument, warum etwas nicht gut ist, übertrieben, zu teuer, aufwändig und unökologisch. Wenn ich so weit denke, dann bin ich am Ende von allen Diskussionsthemen, und das darf die Werbebranche nie zulassen.
Was kann der ZAW, was kann die Branche tun, um das negative Image der Werbung peu à peu zu drehen? NAUEN: Wir müssen, wie gesagt, erstens über den Wert der Werbung sprechen und hier insbesondere über ihre handfesten, auch gesellschaftlichen Vorteile. Zweitens müssen wir die Mythen über die angeblich negativen Wirkungen überzeugend hinterfragen und drittens tragfähige Lösungen aufzeigen, etwa, wenn es um die Nachhaltigkeit der Branche geht. Da müssen wir wirklich aufsatteln. Und wir müssen Formate finden, um besser ins Gespräch zu kommen. Ich habe den Eindruck, dass die Branche an diesem Punkt nicht so gut aufgestellt ist wie andere Industrien – obwohl es unser Metier sein sollte. Auch hier müssen wir nachlegen.
SCHULZ: Wir müssen insgesamt über uns und über den Wert der Werbung besser, effizienter kommunizieren. Gemeinsam alle zusammen, mit allen Verbänden, mit allen Bereichen der werbungtreibenden Wirtschaft. Wir müssen deutlich machen, wie wichtig der Beitrag der Werbung zur Refinanzierung der Medienvielfalt ist, als Leistung für eine demokratische, pluralistische Kultur und als Treiber einer marktwirtschaftlichen Konjunktur, gerade auch in Krisenzeiten. Wir müssen diese Dinge besser herausstellen, besser bei den Stakeholdern kommunizieren, gerade auch in der Politik, zusammen mit den Partnern der Medien. Da sehe ich unsere Aufgabe. STORCH: Wir müssen das Handwerk auch beherrschen. Im Digitalbereich stehen wir in der Verantwortung. Das kann jeder von uns ändern. Das müssen die Agenturen, das müssen die Kreativagentur und das müssen auch wir Werbetreibende machen. Jeder kann im Kleinen arbeiten. Die Rezession wird unsere finanziellen Möglichkeiten limitieren; dann lasst uns auch diese Chance der Krise nutzen, manches in Frage zu stellen. Wenn wir schon sparen müssen, dann sparen an Dingen, die wir falsch machen. Und dann müssen wir Diskussionen führen, wie wir es besser machen können. Bei allen politischen Diskussionen, die wichtig sind, dürfen wir uns nicht gegenseitig bashen, auch bei bestehenden Interessenskollisionen. Aber wir müssen einfach in das Doing kommen, also von großen politischen Themen runterkommen und sagen „ich will, ich kann besser werden“, jeder an seiner Stelle.
KREBS: Da liegt mir auch etwas auf dem Herzen. Wir bewegen uns hier in der Runde so sehr auf der politischen Ebene, dass wir kaum noch zum Konsumenten kommen. Wir werden ständig mit der Frage konfrontiert, ob man werben darf. Wir sagen aus psychologischer Sicht: Bitte, ja bitte! Gerade jetzt, nach Jahren der Pandemie, im Angesicht von Krieg und Rezession. Denn wenn sich Marken jetzt zurückziehen und nicht werben, dann fehlt den Menschen die letzte Botschaft zu sagen „Hey, Gott sei Dank, mein Kaffee morgens, der ist noch für mich da.“ „Ja, ich darf meine Schokolade noch essen, ich darf meinen Seelenstreichler noch haben“. Das wäre fatal. Weil wir, wenn wir helfen wollen, seelisch stabil sein müssen. Und Werbung hat eben auch diesen Auftrag, uns wieder Stabilität und Sicherheit zu geben – wir schaffen das, es wird weitergehen. Wir brauchen all diese Symbole. Wir müssen normal in den Tag kommen. Das ist psychologisch wertvoll. Am Ende geht es um den Konsumenten, der die Werbung und diese Marken einfach braucht.
Der vorliegende Text ist eine inhaltliche Verdichtung des 80minütigen Gesprächs. Hier können Sie das ausführliche Round Table-Gespräch als Podcast verfolgen.