Heft 11+12 November-Dezember 2011

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Agrar forschung schweiz 2 0 1 1

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H e f t

1 1 – 1 2

Agroscope | BLW | SHL | AGRIDEA | ETH Zürich

N o v e m b e r – D e z e m b e r

Spezialausgabe

F orschung, Beratung und Bildung für eine gesunde Ernährung und eine nachhaltige Landwirtschaft


Inhalt

November–Dezember 2011 | Heft 11–12 Spezialausgabe zum Landwirtschaftlichen ­Wissenssystem der Schweiz 483

lobale Bedeutung der Schweizer Agrarforschung G Bernard Lehmann

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Das Landwirtschaftliche Wissenssystem der Schweiz Alfred Buess, Urs Gantner, Markus Lötscher, Anton Stöckli und Matthias Tschumi

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groscope – Landwirtschaftliche Forschung für die A Schweiz, Jean-Philippe Mayor, Michael Gysi und Paul Steffen

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GRIDEA: Innovative und dauerhafte Lösungen für A den ländlichen Raum, Ulrich Ryser

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I nterviews mit elf Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen, Karin Bovigny-­ Ackermann, Carole Enz und Sibylle Willi

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ollzugsaufgaben von Agroscope – wissenschaftV lich fundierte Unterstützung für den Gesetzgeber Lukas Bertschinger, Daniel Guidon und Stephan Pfefferli

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issenschaftliche Grundlagen für die Politik­ W beratung, Stephan Pfefferli und Lukas ­Bertschinger

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F orschung, Entwicklung, Beratung – Schweizer Erfolgs­rezept Paul Steffen, Denise Tschamper und Ulrich Ryser

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Pflanzenbau Fusarien und Mykotoxine bei Körnermais in der Schweiz Tomke Musa, Eveline Jenny, Hans-Rudolf ­Forrer und Susanne Vogelgsang

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Pflanzenbau Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken Gabriella Silvestri und Simon Egger

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Lebensmittel Weltmeisterliche Käse-Kulturen Hans-Peter Bachmann, Elisabeth Eugster, ­Barbara Guggenbühl und Hans Schär

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ISSN infos ISSN 1663-7852 (Print) ISSN 1663-7909 (Internet) Schlüsseltitel: Agrarforschung Schweiz Abgekürzter Schlüsseltitel: Agrarforsch. Schweiz

Nutztiere Projekt «Weidekuh-Genetik»: ­Zusammenfassung und Perspektiven Valérie Piccand, Erwan Cutullic, Fredy Schori, Karin Keckeis, Christian Gazzarin, Marcel ­Wanner und Peter Thomet

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Aktuell

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Veranstaltungen

© Copyright Agroscope. Nachdruck von Artikeln gestattet, bei Quellenangabe und Zustellung eines Belegexemplars an die Redaktion.

Sortenlisten Beilage Schweizerische Sortenliste für Kartoffeln 2012 Thomas Hebeisen, Theodor Ballmer, Tomke Musa,

Jean-Réné Germanier, Nationalratspräsident 2010/2011 auf dem Gemüsemarkt in Bern. Das Wissen zur Produktion von Nahrungsmitteln, zur ­Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft wird in der Schweiz durch die vier Einheiten Forschung, Bildung, ­Beratung und Praxis erarbeitet und kommuniziert. (Foto: Hélène Tobler)

Impressum Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse ist die Zeitschrift der landwirtschaftlichen Forschung von Agroscope und ihren Partnern. Die Zeitschrift erscheint auf Deutsch und Französisch. Sie richtet sich an Fachpersonen aus Forschung, Industrie, Lehre, Beratung und Politik, an kantonale und eidgenös­sische Ämter und weitere Fachinteressierte. Herausgeberin Agroscope Partner b Agroscope (Forschungsanstalten Agroscope Changins-Wädenswil ACW; Agroscope Liebefeld-Posieux und Schweizerisches Nationalgestüt ALP-Haras; Agroscope Reckenholz-Tänikon ART) b Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Bern b Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL, Zollikofen b Beratungszentrale AGRIDEA, Lindau und Lausanne b Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Departement Agrar- und Lebensmittelwissenschaften Redaktion Andrea Leuenberger-Minger, Agrarforschung Schweiz / ­Recherche Agro­ nomique Suisse, Forschungs­anstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP Postfach 64, 1725 Posieux, Tel. +41 26 407 72 21 Fax +41 26 407 73 00, E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch Judith Auer, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW Postfach 1012, 1260 Nyon 1, E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch Redaktionsteam Vorsitz: Jean-Philippe Mayor (Direktor ACW), Sibylle Willi (ACW), Evelyne Fasnacht (ALP-Haras), Etel Keller-Doroszlai (ART), Karin Bovigny-Ackermann (BLW), Beat Huber-Eicher (SHL), Philippe Droz (AGRIDEA), Jörg Beck (ETH Zürich). Abonnement Preise Zeitschrift: CHF 61.–* (Ausland + CHF 20.– Portokosten), inkl. MWSt. und Versandkosten, Online: CHF 61.–* * reduzierter Tarif siehe: www.agrarforschungschweiz.ch oder info@agrarforschungschweiz.ch Adresse Nicole Boschung, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP Postfach 64, 1725 Posieux, Tel. +41 26 407 72 21 Fax +41 26 407 73 00, E-Mail: info@agrarforschungschweiz.ch Internet www.agrarforschungschweiz.ch www.rechercheagronomiquesuisse.ch

Ruedi Schwärzel und Jean-Marie Torche

Erfasst in: Web of Science, CAB Abstracts, AGRIS

Berner Fachhochschule Haute école spécialisée bernoise Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL Haute école suisse d’agronomie HESA


Editorial

Globale Bedeutung der Schweizer Agrarforschung Liebe Leserin, lieber Leser

Bernard Lehmann, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft BLW

Forschung ist für die Ernährung und für die nachhaltige, landwirtschaftliche Nutzung der natürlichen Ressourcen von höchster Priorität: Es sind Investi­ tionen für die künftigen Generationen. Das prognostizierte Bevölkerungswachstum, der Anstieg des Proteinverbrauchs und die zu erwartenden ­regional sehr unterschiedlichen Konsequenzen der Klimaveränderung, kombiniert mit den bereits weltweit vielerorts übernutzten natürlichen Ressourcen, stellen eine immense Herausforderung dar. Das Konzept der Ernährungssicherheit zeigt die limitierenden Faktoren auf: ••genügend Nahrung dank einer nachhaltigen Agrarproduktion und Verarbeitung ••Zugang zur Nahrung für alle Menschen, sei es physisch oder monetär ••gesunde Ernährung bei Arm und Reich sowie •• ökologische und sozioökonomische Stabilität auf lokaler wie globaler Ebene. Globale nachhaltige Intensivierung nötig Deshalb muss zum Beispiel eine nachhaltige Intensivierung auf globaler Ebene gelingen – dazu ist Forschung für die nachhaltige Nutzung des Bodens und die Züchtung von Pflanzen und Tieren zwingend. Ebenso sind ökonomische Erkenntnisse über die bestmögliche Zuteilung von knappen Ressourcen zwischen heutigen Nutzern und Regionen sowie in der intergenerationellen Perspektive nötig. Zudem sind wir in den entwickelten Ländern gefordert, bewusster zu essen und weniger zu verschwenden. Nehmen wir den Ausschnitt «Schweiz» und stellen ihn in den globalen Kontext: Wir stellen ziemlich genau ein Promille der Weltbevölkerung dar, die Zunahme der Bevölkerung in der Schweiz entspricht ebenso einem Promille des globalen Wachstums (1 % pro Jahr). Bei den verfügbaren Agrarflächen sieht es jedoch anders aus: Während im Weltdurchschnitt ein FIFA-Fussballfeld pro Kopf zur Verfügung steht, ist es bei uns ca. ein Viertel. Der Anteil ackerfähiger Fläche beträgt in der Welt knapp 30, in der Schweiz knapp 25 Prozent. Deswegen ist die Schweiz ein Importland für Nahrungsmittel. Herausforderung: knappe natürliche Ressourcen Das knappe Land wird bei uns so genutzt, dass Konflikte zwischen der Agrarproduktion und ökologischen Ansprüchen möglichst minimiert und explizite Umweltleistungen erbracht werden. Dies ist auch dank einer starken Agrar­ forschung in der Schweiz möglich geworden. Der Entwicklungsprozess der Landwirtschaft und deren Beziehung zu den knappen natürlichen Ressourcen wurde stets mit Forschung begleitet (Nationale Forschungsprogramme NFP zum Thema Umwelt und Ressourcen). So ist die Schweiz ein «Labor für die Welt», weil die Themen von Vermeidung der Übernutzung und Nutzungsüberlagerungen kombiniert mit einer produktiven Landwirtschaft bereits früh angegangen wurden. Die zwei neuen NFP «Boden» und «Ernährung» sind Beweis dafür, dass die Schweiz aktiv an einer zugleich national wie global relevanten Thematik forscht. Dies unterstreicht die Tragweite der «Agrarforschung in der Schweiz», die aufgrund des geografischen, ökologischen und gesellschaftlichen Kontextes Forschungsfragen bearbeitet, deren Erkenntnisse für viele andere lokale Kontexte auf der Welt – also globale – Bedeutung haben.

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S p e z i a l a u s g a b e

Das Landwirtschaftliche Wissenssystem der Schweiz Alfred Buess1, Urs Gantner2, Markus Lötscher2, Anton Stöckli2 und Matthias Tschumi2 Präsident des Landwirtschaftlichen Forschungsrates LFR,Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL 2 Bundesamt für Landwirtschaft BLW Auskünfte: Alfred Buess, E-Mail: alfred.buess@bfh.ch, Tel. +41 31 910 21 11

1

Praxisversuche sind Teil der landwirtschaftlichen Ausbildung. (Foto: SHL)

Im Landwirtschaftlichen Wissenssystem (LWS) wird Wissen zur Produktion von Nahrungsmitteln, zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft erarbeitet und kommuniziert. Das LWS stützt sich dabei auf die vier Systemeinheiten Forschung, Bildung, Beratung und Praxis. Die Schweiz fördert die sowohl auf Erkenntnisgewinn gerichtete als auch die anwendungsorientierte landwirtschaftliche Forschung und sie verfügt über ein bewährtes berufliches und universitäres Bildungsangebot sowie über ein breit aufgestelltes Beratungswesen. Forschung, Bildung, Beratung und Praxis sind optimal zu vernetzen, denn der Innovationsbedarf beschleunigt sich und die Wissenserarbeitung wie auch das Wissen selber werden zunehmend komplexer.

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Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 484–489, 2011

Im Landwirtschaftlichen Wissenssystem (LWS) vereinigen sich alle Kenntnisse und Erfahrungen zu Wissen über die ••landwirtschaftlichen Produktionsmittel, ••landwirtschaftliche Produktion bezüglich Produktionstechnik und Organisation, ••Veredelung der landwirtschaftlichen Rohstoffe bis hin zu Aspekten der menschlichen Ernährung, ••Lagerung der landwirtschaftlichen Rohstoffe und Nahrungsmittel, ••Einflüsse von Umwelt und Gesellschaft auf die Landwirtschaft, ••Einflüsse der Landwirtschaft auf Umwelt, Natur, Landschaft und Gesellschaft. Die Hauptakteure im LWS sind die Landwirte und Landwirtinnen sowie die Verantwortlichen der Veredelungs-


Das Landwirtschaftliche Wissenssystem der Schweiz | Spezialausgabe

Wissenstransfer/ -nachfrage

Monetärer Transfer/ Berichterstattung

Gütertransfer

Meinungstransfer

Private Forschung

Raum, Landschaft, Umwelt Input Lieferanten

Landwirtschaft Produzenten

Veredelung

Konsum

Verarbeiter Handel

Konsumenten

Beratung SNF EU FP7

öffentliche Forschung

Forschungsfinanzierung über Wettbewerb

Bildung

Regierung / Verwaltung Bund und Kantone

Parlament / Politik

Medien / Interessenvertreter

Schweizer Bevölkerung Private Unternehmen

Portfolioanalyse | Führungsseminar Research Management 2008

Abb. 1 | Auftraggeber und Leistungsbezieher im Landwirtschaft­l ichen Wissenssystem LWS. Markus Lötscher SNF = Schweizerischer Nationalfonds; EU FP = Forschungsrahmenprogramme der EU

betriebe. Ihr Handeln ist getragen von Kenntnissen und Erfahrungen. Sie sind somit im hohen Masse auf eine fundierte Aus-, Weiterbildung und Beratung angewiesen. Ihre Leistungsfähigkeit hängt wesentlich von den eingesetzten Methoden und Verfahren, baulichen Einrichtungen, Geräten und Maschinen sowie vom genetischen Material ab. Technik und Methoden werden durch öffentliche und private Forschung laufend weiterentwickelt, über Bildung und Beratung verbreitet und finden Eingang in innovative Produkte. Diese Weiterentwicklungen zusammen mit den Erfahrungen in der Praxis­ anwendung bilden die Basis dafür, dass die landwirtschaftliche Produktion und Verarbeitung auf neue Herausforderungen angemessen reagieren und sich mit grosser Innovationskraft positiv entwickeln kann. Somit nehmen Forschung, Bildung und Beratung – nebst den Erfahrungen der Praxis – im LWS eine Schlüsselrolle ein, indem sie Fortschritt generieren. Die vier Systemeinheiten Forschung, Bildung, Beratung und Praxis müssen jedoch in hohem Masse miteinander interagieren und kommunizieren.

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Welche Ziele verfolgt das LWS? Ziel des LWS ist es, Erkenntnisse in der Produktion von gesunden Nahrungsmitteln bereit zu stellen und Erfahrungen auszutauschen. Dabei sollen öffentliche Anliegen wie der schonende Umgang mit den Ressourcen und der Umwelt, der Erhaltung der Kulturlandschaft, der Mitgestaltung der ländlichen Räume und die Förderung des Tierwohls berücksichtigt werden. Gleichzeitig erwartet unsere Gesellschaft hochwertige und sichere Nahrungsmittel, die ressourceneffizient produziert werden. All diesen Anliegen an das LWS wird über den Verkauf (Kundenwünsche) der landwirtschaftlichen Produkte und über politische Prozesse (Anliegen / Erwartungen der Gesellschaft) Nachachtung verschafft. Ein bedeutender Teil des Wissens über Produktion und Verarbeitung wird durch private Forschung erarbeitet. Dieses Wissen erreicht die landwirtschaftliche Praxis und die Konsumentenschaft über neue Produkte und Dienstleistungen und wird über den Preis abgegolten. Private Forschung ist oft nur rentabel, wenn ein grosser (teils globaler) Markt mit den Produkten versorgt werden 

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Spezialausgabe | Das Landwirtschaftliche Wissenssystem der Schweiz

Abb. 2 | Analysen sind ein wichtiges Element der landwirtschaftlichen Forschung. (Foto: ACW)

kann. Lokalspezifisches Wissen (z.B. standortangepasste Sorten), Wissen um ressourcenschonende, landschaftspflegerische, biodiversitäts- und tierwohlfördernde Produktion wird von der privaten Forschung kaum generiert. Die Bevölkerung erwartet zwar diese Leistungen von der landwirtschaftlichen Praxis, bezahlt sie aber nur teilweise über den Produktpreis. Das dazu erforderliche Wissen wird vielmehr von der durch die öffentliche Hand finanzierten Forschung generiert und via Bildung und Beratung der landwirtschaftlichen Praxis zur Verfügung gestellt (Abb. 1). Die Finanzierung kann direkt oder über den nationalen und internationalen Wettbewerb um Forschungsmittel erfolgen. Das Ausmass der Finanzierung hängt weitgehend von Bedürfnis und Einsicht der Konsumentenschaft und Bevölkerung ab und wird über den politischen Prozess gesteuert. Dabei übernehmen die Medien und Interessenvertreter eine zentrale Rolle in der Anspruchsvermittlung zwischen landwirtschaftlicher Praxis, Bevölkerung und politischen Entscheidungsträgern. Ein breites Angebot an land- und ernährungswirtschaftlicher Forschung, Bildung und Beratung Forschung Die Motivation in die Forschung zu investieren liegt im ureigenen Bedürfnis des Menschen nach Erkenntnisgewinn sowie im Bestreben nach einer Steigerung des

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Lebensstandards (Abb. 2). Die Forschung verfolgt damit zwei Ziele: allgemeiner Erkenntnisgewinn und spezifische Anwendung des Wissens. In Anlehnung an die neuen Definitionen des Schweizerischen Nationalfonds SNF (SNF 2010) wird Forschung zum allgemeinen Erkenntnisgewinn ohne spezifische Anwendung «Grundlagenforschung» und Forschung, die den allgemeinen Erkenntnisgewinn mit dem Ziel einer spezifischen Anwendung vereint, «anwendungsorientierte Grundlagenforschung» genannt. Bei der dritten Kategorie, der «angewandten Forschung», steht die spezifische, vor allem kommerzielle Anwendung im Vordergrund. Angewandte Forschung erfolgt daher oft in Kooperation mit Unternehmen. Eine bemerkenswerte Besonderheit in der landwirtschaftlichen Forschung ist die Extension, die Forschung und Nutzniesser an einen Tisch bringt zur Entwicklung neuer Methoden und Lösung von Problemen. Forschungsfragen werden in diesem Rahmen von der Praxis formuliert und priorisiert und von den entsprechenden Forschungsinstitutionen bearbeitet. Extension ist ein geeigneter Prozess, um Wissen, das in der anwendungsorientierten Grundlagenforschung generiert wird, in die Beantwortung von praxisnahen Fragestellungen einfliessen zu lassen und den Wissensaustausch und Technologietransfer zu festigen. Um die Praxistauglichkeit neuer Erkenntnisse möglichst früh einschätzen zu können, werden auch Versuche


Das Landwirtschaftliche Wissenssystem der Schweiz | Spezialausgabe

Forschung

Institutionen

schwerpunktmässige Ausrichtung

Kantonale Beratungsstellen

Bildung

Beratung

Kurse für Bauernfamilien1

Landwirtschaftliche Beratung

AGRIDEA

Beteiligung an Projekten und Programmen1

Kurse für Landwirtschaftliche BeraterInnen

Unterlagen für landwirtschaftliche Beratung

Landwirtschaftsschulen

Praxisversuche Demonstrationsversuche

Grundbildung und höhere Berufsbildung

Landwirtschaftliche Beratung

Fachhochschulen

Angewandte Forschung

B.Sc. und M.Sc. Agrar- und Lebensmittelwissenschaften

Ausseruniversitäre

Agroscope

Anwendungsorientierte

Extension

Grundlagen-

Forschungs-

forschung ,

On-FarmForschung

Lehraufträge an ETH, Universitäten und Fachhochschulen 1

anstalten

FiBL

Hochschulen

ETH

Grundlagenforschung

B.Sc., M.Sc., PhD Agrar-und Lebensmittelwissenschaften

Vetsuisse

Grundlagenforschung

B.Sc., M.Sc., PhD Veterinärmedizin

und Universitäten

Extension

Praxisberatung im Biolandbau

Abb. 3 | Schematische Übersicht über Forschung, Bildung und Beratung im Landwirtschaftlichen Wissenssystem (LWS). 1 Ergänzende Aufgaben der Institutionen

direkt auf landwirtschaftlichen Betrieben durchgeführt (On-Farm-Forschung). Als weitere Besonderheit der Agrarforschung sind die Demonstrations- und Praxisversuche an den landwirtschaftlichen Schulen und den dazu gehörenden Versuchsbetrieben zu erwähnen. Mit diesen Versuchen werden das von der anwendungsorientierten Grundlagenforschung generierte Anwendungswissen und die von der angewandten Forschung entwickelten Produkte in der Praxis getestet, verglichen und interessierten Kreisen vorgestellt. Ein Forschungsprojekt lässt sich nicht immer explizit einer der erwähnten Forschungskategorien zuordnen. Auch die Tätigkeiten der Forschungsinstitutionen lassen sich nicht auf eine einzige Forschungskategorie festlegen. Gleichwohl bestehen spezifische Erwartungen an die Forschungsinstitutionen: So soll die universitäre ­Forschung massgeblich zum Erkenntnisgewinn beisteuern und sich dementsprechend der Grundlagen­forschung widmen (Abb. 3). Von den Fachhochschulen wird erwar-

tet, dass sie angewandte Forschung und Entwicklung betreiben, die eine rasche Umsetzung von Forschungs­ ergebnissen in praktische Anwendungen und markt­ fähige Innovationen gewährleisten (CRUS 2009). Die ausseruniversitären Forschungsinstitutionen sehen sich aufgrund ihres öffentlichen Auftrags oft mit weit aus­ einanderliegen Ansprüchen in wissenschaftlicher Exzellenz und Praxisnähe konfrontiert. Ihre Stärken liegen dementsprechend in der anwendungsorientierten Grundlagenforschung. Wie die grosse Bandbreite ihrer bearbeiteten Themen belegt, zählen das Departement der Agrar- und Lebensmittelwissenschaften an der ETH Zürich (D-AGRL), die Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft (SHL), die Forschungsanstalt Agroscope und das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) zu den zentralen nationalen Kompetenzzentren der Agrar- und Ernährungsforschung. Weitere Institutionen fokussieren sich auf thematische Schwerpunkte: 

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Spezialausgabe | Das Landwirtschaftliche Wissenssystem der Schweiz

Abb. 4 | Gelebter Wissensaustausch zwischen Forschung und Praxis. (Foto: Schweizerisches Nationalgestüt SNG)

Im Agrarbereich der Vetsuisse Fakultäten der Universitäten Zürich und Bern steht die Nutztierforschung im Zentrum, bei der EIC in Changins die Oenologie und der Weinbau, bei der HEPIA in Lullier der Gartenbau, bei der ZHAW Wädenswil und bei der HES-SO VS die Lebensmittelwissenschaften. Bildung Die Stärken des Schweizer Bildungssystems kommen im LWS voll zum Tragen. Je nach individuellen Neigungen und Stärken bietet das LWS berufliche, fachhochschulische und universitäre Bildungswege (Abb. 3). Die Berufsbildung auf den unterschiedlichen Stufen obliegt den Landwirtschaftsschulen sowie auch privaten Institutionen, die dafür von den jeweiligen Kantonen anerkannt und finanziell unterstützt werden. Um die Berufsbildung gesamtschweizerisch zu koordinieren, haben sich neun Berufsorganisationen zur Organisation der Arbeitswelt (OdA) AgriAliForm zusammengeschlossen. An verschiedenen Fachhochschulen können in den Bereichen Agronomie, Lebensmitteltechnologie, Ernährung und Umwelt Studiengänge mit dem Bachelor of Science abgeschlossen werden. Der Master of Science (M.Sc.) in Life Sciences ist ein Kooperationsan-

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gebot der Berner Fachhochschule BFH (SHL in Zollikofen), der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW (Life Sciences und Facility Management, Wädenswil), der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW (Hochschule für Life Sciences in Muttenz) und der Haute Ecole spécialisée de la Suisse occidentale HES-SO (Fribourg, Lullier, Changins, Sion). Die ETHZ bietet als einzige universitäre Einrichtung Bachelor- und Masterstudiengänge und Doktoratsstudien in Agrar- und Lebensmittelwissenschaft. Beratung Die Beratungstätigkeiten in den Kantonen können entweder durch die kantonale Verwaltung oder über ein landwirtschaftliches Bildungszentrum ausgeübt werden. In einigen Kantonen wurde die Beratung einem landwirtschaftlichen Fachverband übertragen. Seit 2008 sind alle kantonalen Beratungsdienste zusammen mit Beratungsdiensten weiterer Institutionen im Beratungsforum Schweiz / Forum La Vulg Suisse (BFS/FVS) organisiert. Das Forum arbeitet eng mit AGRIDEA zusammen und pflegt den Wissensaustausch mit der landwirtschaftlichen Forschung; es gilt wissenschaftliche Erkenntnisse und Praxiswissen zu verbinden und zu einer Synthese zu


Das Landwirtschaftliche Wissenssystem der Schweiz | Spezialausgabe

bringen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Beratung und Bildung wird in einigen Kantonen durch die Zusammenfassung in sogenannten kantonalen Bildungs- und Beratungszentren (LBBZ) ermöglicht. Für den Biolandbau ist das Beratungsangebot des FiBL bedeutend. AGRIDEA ist eine nationale Dienstleistungsinstitution für die Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums. Sie bildet ein wichtiges Bindeglied zwischen der Forschung und der kantonalen Beratung, letztere unterstützt sie mit Aus- und Weiterbildungskursen, Informationen und Netzwerkarbeit. Praxis Die rasante Entwicklung in der Forschung zu neuen Erkenntnissen und deren Eingang in neue Produkte, Verfahren und Methoden erfordert ein lebenslanges Lernen von allen Beteiligten. Von der Praxis wird einerseits erwartet, dass sie das Bildungs- und Beratungsangebot nutzt und neue Erkenntnisse mit den eigenen Erfahrungen verknüpft und entsprechend umsetzt. Andererseits beteiligt sie sich an der Wissensgenerierung. Insbesondere die Teilnahme an Forschungsprojekten und -kampagnen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Verschiedene Institutionen wie Swiss Food Research und Euresearch fördern und unterstützen die Partnersuche in der Forschung und Praxis (Abb. 4). Herausforderungen für das LWS Die zunehmende Komplexität des Wissens und der anstehenden Herausforderungen, aber auch die zunehmende Beschleunigung der Wissensgenerierung und des Innovationsbedarfs erfordern immer mehr eine Vernetzung sowohl zwischen Disziplinen als auch zwischen den Forschungskategorien und zwischen Forschung, Bildung und Beratung. Eine hohe Innovationsleistung ist vor allem dann gewährleistet, wenn ein Themengebiet von allen Forschungskategorien angegangen wird und so reines Erkenntniswissen durch geeigneten Transfer entlang der Wertschöpfungskette Grundlagenforschung – anwendungsorientierte Grundlagenforschung – angewandte Forschung sowie Entwicklung / Extension eine In-Wertsetzung erfährt. Der Erfolg der Forschung misst sich zudem wesentlich daran, wie breit und schnell neue Erkenntnisse verbreitet werden und in kommerziellen Produkten, Praxisanwendungen, allgemeinen Entscheidungsfindungen und Verhaltensweisen Eingang finden. Dabei sorgt die enge Verknüpfung von Forschung und Lehre an den Universitäten und Fachhochschulen dafür, dass neue Erkenntnisse rasch in die Aus- und Weiterbildung einfliessen. Gleichzeitig braucht es ein geeignetes Beratungswesen, das einerseits hilft, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Praxisreife zu führen. Anderseits

wird von ihm erwartet, dass es die Herausforderungen der Praxis erkennt und im Dialog mit der Forschung in neue Forschungsprojekte einfliessen lässt. Fazit Die komplexen Herausforderungen wie Globalisierung der Märkte, Ressourcenknappheit und Klimawandel (BLW 2010) erfordern ein Zusammengehen und eine breite Vernetzung aller Beteiligten. So können die notwendigen Kräfte stärker gebündelt und auf eine maximale Nutzung von Synergien konzentriert werden. Die Gesellschaft wie auch die im Agrar- und Ernährungssektor Tätigen erwarten zudem Beratung auf dem neusten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, was eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Beratung voraussetzt. Für die im Agrar- und Ernährungssektor tätigen Unternehmungen – insbesondere die Bauernfamilien – stehen die inter- und transdisziplinäre Forschung zur Lösung von aktuellen Problemen sowie die praxisgerechte Kommunikation der Forschungsresultate im Vordergrund. Gleichzeitig erwarten sie eine Grund- und Weiterbildung, die Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz vermitteln. Alle diese Erwartungen können nur mit einem LWS erfüllt werden, das flexibel, vernetzt, effizient, unterstütn zend und kundenorientiert arbeitet.

Literatur ▪▪ Bundesamt für Landwirtschaft BLW. 2010. Land- und Ernährungswirtschaft 2025. Diskussionspapier des Bundesamtes für Landwirtschaft zur strategischen Ausrichtung der Agrarpolitik. ▪▪ Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten CRUS, Rektorenkonferenz der Fachhochschulen der Schweiz KFH und Schweizerische Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der Pädagogischen Hochschulen COHEP. 2009. Die drei Hochschultypen im schweizerischen Hochschulsystem. ▪▪ Schweizer Nationalfonds SNF. 2010. Mehrjahresprogramm 2012 – 2016. Planungseingabe zuhanden der Bundesbehörden.

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S p e z i a l a u s g a b e

Agroscope – Landwirtschaftliche Forschung für die Schweiz Jean-Philippe Mayor1, Michael Gysi2 und Paul Steffen3 Agroscope Changins-Wädenswil ACW, 1260 Nyon 2 Agroscope Liebefeld-Posieux ALP-Haras, 1725 Posieux 3 Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8046 Zürich Auskünfte: Jean-Philippe Mayor, E-Mail: jean-philippe.mayor@acw.admin.ch, Tel. +41 22 363 41 06

1

Bundesamt für Landwirtschaft BLW Bernard Lehmann

Fachbereich Forschung und Beratung Urs Ganter

ACW

ALP-Haras

ART

Jean-Philippe Mayor

Michael Gysi

Paul Steffen

Planung und Ressourcen

Forschung und Entwicklung

Kommunikation und Wissensaustausch

Abb. 1 | Organisation von Agroscope.

Agroscope gehört zum Bundesamt für Landwirtschaft und besteht aus den drei Forschungsanstalten Agroscope Changins-Wädenswil ACW, Agroscope LiebefeldPosieux ALP-Haras und Agroscope Reckenholz-Tänikon ART (Abb. 1 und 2). Agroscope beschäftigt rund 900 Mitarbeitende, davon mehr als 39 % Mitarbeiterinnen und mehr als 50 Lernende im Durchschnitt pro Jahr. Ausserdem veröffentlicht Agroscope durchschnittlich mehr als 1800 Publikationen pro Jahr, die einen sehr geschätzten Wissenstransfer in der Schweiz und im Ausland gewährleisten. Darüber hinaus haben Agroscope-Mitarbeitende im Jahr 2010 über 4200 Vorlesungsstunden an Universitäten und Fachhochschulen gehalten (Abb. 3).

490

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 490–493, 2011

Eine Landwirtschaft im Dienste des Menschen und der Umwelt Agroscope forscht für gesunde Lebensmittel und eine lebenswerte Landschaft. Diese Forschung richtet sich auf die Bedürfnisse ihrer Leistungsempfänger aus: die in der Landwirtschaft tätigen Personen sowie Kon­ sumentinnen und Konsumenten, Bevölkerung und Verwaltung. Agroscope fördert eine multifunktionale und wettbewerbsfähige schweizerische Landwirtschaft und orientiert sich dabei an wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten. Sie richtet sich auf zukünftige Herausforderungen aus, gibt transdisziplinären und innovativen Systemansätzen den gebührenden Stellenwert.


Agroscope – Landwirtschaftliche Forschung für die Schweiz | Spezialausgabe

Lektionen [Std]

5000 ALP-Haras

ART

4228

4000 3000 2000

ACW

0

Abb. 2 | Standorte der Forschungsanstalten Agroscope.

Die schweizerische Land- und Ernährungswirtschaft wird nur wettbewerbsfähig sein, wenn sie sichere, gesunde und geschmackvolle Lebensmittel von höchster Qualität erzeugt. Die Agrarforschung unterstützt die Branche in ihrem Bestreben nach Qualitätsführerschaft, indem Agroscope Pflanzensorten züchtet und Produktionsverfahren entwickelt, die an schweizerische Bedingungen adaptiert sind. Das Ziel dabei: verbesserte ernährungsphysiologische Eigenschaften der Lebensmittel, die darüber hinaus den Geschmack der Konsumentinnen und Konsumenten treffen sowie ressourcenschonend und mit noch geringerer Umweltbelastung produziert werden können. ACW Die Forschungsanstalt ACW befasst sich mit der angewandten Forschung für Pflanzenbau und Lebensmittel pflanzlicher Herkunft sowie mit den dazugehörigen Vollzugsaufgaben. Ihr Forschungsziel ist die marktgerechte Produktion von gesunden und attraktiven pflanzlichen Produkten mittels einer wettbewerbsfähigen, umweltschonenden Landwirtschaft.

1252

1476

2008

2009

1000 2010

Abb. 3 | Anzahl Stunden, die Mitarbeitende von Agroscope an Schweizer Hochschulen in den letzten drei Jahren unterrichtet haben.

ACW ist in den wichtigen Anbauzonen der Schweiz präsent, um praxisnahe Resultate für die Landwirtschaft vor Ort erarbeiten zu können. Das Thema Qualität und Sicherheit der Lebensmittel wurde in den letzten Jahren verstärkt angegangen. Schweizer Lebensmittel haben nämlich in einem immer stärker liberalisierten Markt nur eine Chance, wenn sie einwandfrei sind, also weder unerwünschte Mikroorganismen noch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln aufweisen. ALP-Haras Die Forschungsanstalt ALP-Haras forscht vom Futtermittel über die Produktion und Verarbeitung tierischer Erzeugnisse bis hin zum genussfertigen Lebensmittel tierischer Herkunft. Ihr Ziel ist es, dass diese Lebensmittel das volle Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten geniessen. Mit ihren Forschungs-, Vollzugs- und Beratungsaktivitäten trägt sie zu einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Produktion von Milch, Fleisch und Honig bei, aber auch zu deren Verarbeitung zu gesunden, sicheren und qualitativ hochwertigen Pro dukten.

Frittieröl ohne Transfettsäuren dank HOLL-Raps Das klassische Rapsöl kann ohne vorgängige Härtung nicht als Frittieröl verwendet werden. Doch bei diesem industriellen Verfahren entstehen gesundheitsschädliche Transfettsäuren. In enger Zusammenarbeit haben ACW und Industriepartner nun den HOLL-Raps (high oleic low linolenic) entwickelt, aus dem ein natürlich hitzeresistentes Öl gewonnen werden kann. Aufgrund der Fruchtfolge, die das Nachwachsen von unerwünschten Rapssorten begrenzt, sowie des Klimas, das diesem Produkt entgegenkommt, ist die in der Schweiz erzielte Qualität ausgezeichnet. Heute wird bereits auf 20 Prozent der gesamten Rapsfläche HOLL-Raps angebaut.

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 490–493, 2011

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Spezialausgabe | Agroscope – Landwirtschaftliche Forschung für die Schweiz

Schweizer Käse – Swissness pur! Rund die Hälfte der in der Schweiz produzierten Milch wird zu Käse verarbeitet. Schweizer Käse ist international bekannt für seine Qualität und trägt massgeblich zu einer gesunden Ernährung bei. Veränderungen in der Milchproduktion und -verarbeitung sowie steigende Anforderungen bezüglich Lebensmittelsicherheit werfen in der Praxis neue Fragen auf. ALP-Haras unterstützt die Käsebranche mit praxisorientierter Forschung, die beispielsweise mitgeholfen hat, Fehlgärungen zu vermeiden, die Bildung biogener Amine zu verringern und die Lochbildung zu optimieren.

Dank ihrer einmaligen Infrastruktur ist ALP-Haras in der Lage, eine Forschung zu betreiben, die eine Gesamtsicht erlaubt und sowohl national wie auch international vernetzt ist. Dies ermöglicht es den Forschenden, Systemansätze entlang der gesamten Nahrungsmittel-Kette zu prüfen und so Lösungen zu finden, die in der Praxis eine hohe Akzeptanz erreichen. Um diese beiden Ziele zu erreichen, sind bei ALP-Haras darüber hinaus die amtliche Futtermittelkontrolle sowie das nationale Referenzlabor für die Analyse von Milch und Milchprodukten beheimatet. ART Die Forschungsanstalt ART hat ihren Fokus auf eine umweltschonende und wettbewerbsfähige Landwirtschaft. Ihr besonderes Anliegen gilt einem vielfältigen, ländlichen Raum. Sie entwickelt und beurteilt nachhaltige Produktions­systeme im Pflanzenbau und in der Tierhaltung. Dabei verbindet ART Ökologie, Ökonomie und Agrartechnik mittels

Ökobilanz von 100 Betrieben Es ist möglich, umweltfreundlich zu produzieren und gleichzeitig ein gutes Einkommen zu erwirtschaften. Das zeigt das mehrjährige Projekt «Zentrale Auswertung von Ökobilanzen landwirtschaftlicher Betriebe» (ZA-ÖB), das die Umweltwirkung von rund 100 Schweizer Landwirtschaftsbetrieben untersucht hat. Allerdings gibt es auch Betriebe, die vom ökologischen Standpunkt aus schlecht abgeschnitten haben, etwa bei den klimarelevanten Emissionen oder bei der Nährstoffanreicherung in Gewässern. Es besteht also ein Optimierungspotenzial. Die Projektergebnisse bestätigen somit den Bedarf an einem praxisorientierten Umweltmanagement-Instrument, das die Landwirtinnen und Landwirte bei der ökonomischen wie ökologischen Optimierung ihrer Betriebe unterstützt.

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Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 490–493, 2011

eines ganzheitlichen Forschungsansatzes. ART erarbeitet wissenschaftliche Grundlagen und auch praxistaugliche Entscheidungshilfen für Landwirtschaft, Behörden und Gesellschaft. Diese Kombination von Praxisorientierung und Wissenschaftlichkeit ist ihre Stärke. Forschung, Politikberatung und Vollzug An der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik: Von der Entwicklung einer hochspezifischen Anwendung für den Ackerbau über betriebswirtschaftliche Auswertungen bis hin zu komplexen Laboranalysen wird an den drei Forschungsanstalten von Agroscope vieles gemacht, was einen Bezug zur Landwirtschaft und zum sogenannten Agrar- und Ernährungssektor hat. Um diese Vielfalt und Breite etwas besser zu überblicken, hat Agroscope ihre Aufgaben und Tätigkeiten neu gegliedert. Die revidierte Verordnung über die landwirtschaftliche Forschung prägt die drei Begriffe «Forschung und Entwicklung», «Politikberatung» sowie «Vollzugsaufgaben».


Agroscope – Landwirtschaftliche Forschung für die Schweiz | Spezialausgabe

Wissensaustausch stärken Die Aufgaben und Tätigkeiten von Agroscope sind durch einen lösungsorientierten und praxisnahen Ansatz gekennzeichnet. Dies hat den Vorteil, dass die landwirtschaftlichen Forschungsanstalten einerseits spezifisches Fachwissen und andererseits inter- und transdisziplinäres Wissen auf sich vereinen (siehe Kasten). Das ermöglicht zugleich eine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung auf hohem Niveau, eine Expertentätigkeit für Ereignisse, die es zu beurteilen oder zu antizipieren gilt, sowie die wissenschaftliche Unterstützung der staatlichen Vollzugsaufgaben im Zusammenhang mit der Agrarpolitik. Die neuen Begriffe der besagten Verordnung betonen jedoch auch den Wissensaustausch zwischen Forschungsgemeinschaft, Verwaltung und Praxis. Dieser Wissensaustausch ist von zentraler Bedeutung, um künftige Herausforderungen im Bereich Landwirtschaft und Ernährung zu meistern.

Kasten | Einige Definitionen Systemische Forschung: Die systemische Forschung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz zur Problemlösung, indem sämtliche daran gebundenen Disziplinen einbezogen werden. Bei einem agronomischen Problem beispielsweise kann es sich als notwendig erweisen, die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekte, die Produktions- und Zuchtsysteme, die Anbautechniken usw. zu berücksichtigen. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Disziplinen und Akteuren werden in der systemischen Forschung berücksichtigt. Transdisziplinäre Forschung: Die Formulierung der Zielsetzung erfolgt gemeinsam durch die naturwissenschaftlichen und die ­Esozialen Disziplinen. Die transdisziplinäre Forschungsgruppe ist in der Lage, neue Methoden zu entwickeln, die ohne diesen Forschungsansatz nicht existieren könnten. Die Forschung koordiniert sämtliche Disziplinen. Die transdisziplinäre Forschung berücksichtigt die Erfahrungen der Nutzerinnen und Nutzer in erheblichem Mass. Interdisziplinäre Forschung: Die Zielformulierung ist gegeben. Die Gruppen der verschiedenen Disziplinen tauschen Konzepte und Methoden aus, welche die Problemlösung erleichtern können.

Agroscope-Forschungsprogramme In den drei Forschungsprogrammen (AFP) laufen die Fäden zu zentralen Fragestellungen aus Landwirtschaft und Ernährung zusammen. ProfiCrops, NutriScope und AgriMontana decken Bereiche ab, denen Agroscope grosses Gewicht beimisst: die Zukunft des Pflanzenbaus in der Schweiz, die Bedeutung der Lebensmittelkette – vom Anbau bis zum Konsum bezüglich Nahrungsmittelqualität und sicherheit – sowie der Beitrag der Landwirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung der Berggebiete.

Neue Wege für einen wettbewerbsfähigen Pflanzenbau Oberziel von ProfiCrops ist es, einen wettbewerbsfähigen Pflanzenbau in der Schweiz in einem immer weiter liberalisierten Markt sicherzustellen und das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten in einheimische Produkte zu stärken. ProfiCrops erarbeitet neue Erkenntnisse, entwickelt sie weiter, bewertet sie, tauscht sie aus und gibt sie weiter.

Innovative Forschung für Schweizer Lebensmittel NutriScope koordiniert die Forschung für qualitativ hochwertige, sichere und gesunde Nahrungsmittel aus der Schweiz. Die Forschungsschwerpunkte liegen bei der Ernährung, der Qualität und der Lebensmittel­sicherheit.

Relevante Fragen zur Berglandwirtschaft Die Landwirtschaft ist mit ihrer Produktion und den erbrachten multifunktionalen Leistungen sehr wichtig für das Berggebiet. Die Bergbetriebe und damit ihre Leistungen werden durch die vielfältigen Veränderungen im Umfeld jedoch zunehmend in Frage gestellt. Das Programm AgriMontana erarbeitet Entwicklungsstrategien für die Berglandwirtschaft sowie die ihr vor- und nachgelagerte Branche. Ziel des Programms ist es, den Beitrag der Landwirtschaft zur Entwicklung von Bergregionen zu stärken. n

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S p e z i a l a u s g a b e

AGRIDEA: Innovative und dauerhafte Lösungen für den ländlichen Raum Ulrich Ryser, Agridea, 1006 Lausanne / 8315 Lindau Auskünfte: Ulrich Ryser, E-Mail: ulrich.ryser@agridea.ch, Tel. +41 52 354 97 10

Die AGRIDEA organisiert jährlich rund 200 Kurse für ca. 7000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. (Foto: AGRIDEA)

AGRIDEA ist eine im Jahr 1958 gegründete private Vereinigung. Ihre Beratungszentrale ist tätig in der Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums und dies von zwei Standorten aus: Lindau und Lausanne. AGRIDEA setzt sich für eine nachhaltige ländliche Entwicklung und Landwirtschaft ein; sie bietet Leistungen an für kantonale Beratungsdienste, Organisationen und alle in der Entwicklung des ländlichen Raums tätigen Personen (Abb. 1 und 2). Anwendung der Landwirtschaftspolitik: AGRIDEA erreicht hervorragende Ergebnisse mit einem Minimum an Investitionen Über 95 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe erfüllen die heutigen Anforderungen des ökologischen Leistungsnachweises. Ohne die AGRIDEA und die kantonalen Beratungsdienste hätte der Bund die neue Agrarpolitik nie so wirksam und rasch umsetzen können. Den Abbau von Marktstützung und Grenzschutz will der

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Bund mit Begleitmassnahmen abfedern: die öffentliche Beratung ist eine international akzeptierte Massnahme mit Zukunft. BeraterInnengruppe Ökologischer Ausgleich: eine der vielen Fachgruppen, welche die AGRIDEA betreut Die BeraterInnengruppe Ökologischer Ausgleich (BÖA) ist eine Fachgruppe zum Thema ökologischer Ausgleich in der Landwirtschaft (Abb. 3). Sie setzt sich für einen sinn- und wirkungsvollen ökologischen Ausgleich auf dem Landwirtschaftsbetrieb ein. Das heisst, sie strebt einen optimalen Nutzen für Fauna und Flora an, unter der Voraussetzung, dass der ökologische Ausgleich in die Betriebskonzepte der Bewirtschaftenden passt und mit einem angepassten Aufwand für die Anlage und Pflege bewirtschaftet werden kann. In der BÖA treffen sich Fachpersonen aus Beratung, Forschung, Lehre, Behörden und Organisationen, welche im Bereich des ökologischen Ausgleichs tätig sind. Zum Einen fördert


AGRIDEA: Innovative und dauerhafte Lösungen für den ländlichen Raum | Spezialausgabe

Abb. 1 | Zur Unterstützung der Bauernfamilien erstellt die AGRIDEA über 400 praxisorientierte Dokumente und Fachpublikationen für die Produktion und die Betriebsführung. (Quelle: AGRIDEA)

Abb. 2 | Die AGRIDEA betreut rund 70 Plattformen für die Verbindung von Wissenschaft und Praxis und trägt in rund 150 weiteren Gruppen zum Erfahrungsaustausch bei. (Quelle: AGRIDEA)

die BÖA den Erfahrungs- und Wissensaustausch unter den Mitgliedern und mit andern Organisationen/Institutionen. Zum Andern ist die BÖA ein Fachgremium, in dem Methoden und praxisorientierte Lösungen für gemeinsame Herausforderungen erarbeitet und die fachlichen Aktivitäten der Mitglieder überkantonal koordiniert werden. AGRIDEA stellt die Geschäftsführung und organisiert und moderiert die Treffen der Mitglieder. Die BÖA ist zurzeit schwergewichtig in der Deutschschweiz tätig. In der Romandie betreut AGRIDEA eine «Groupe intercantonal de vulgarisation agriculture et nature», sowie eine «plate-forme intercantonale OQE». AGRIDEA stellt den intensiven Austausch zwischen diesen Gruppen sicher.

Abb. 3 | BÖA: eine der vielen Fachgruppen, welche die AGRIDEA betreut.

Kontakt AGRIDEA: Barbara Würth, Geschäftsführerin der BeraterInnengruppe Ökologischer Ausgleich (BÖA), Gruppe Umwelt & Landschaft, barbara.wuerth@agridea.ch, 052 354 97 70 Lindau (ZH) www.agridea-lindau.ch/boea «Ich engagiere mich in der BÖA, weil ich hier meine langjährige Praxiserfahrung aus der Beratertätigkeit ins landwirtschaftliche Wissenssystem einspeisen und auf nationaler Ebene mitarbeiten kann. Die BÖA bietet mir zudem die Möglichkeit, mein Beziehungsnetz zu pflegen und von den Erkenntnissen meiner Berufskolleg-Innen zu lernen, was ich wiederum bei meiner täglichen Arbeit anwenden kann.» Alois Blum, Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung, Schüpfheim (LU) (Foto: A. Blum)

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 494–497, 2011

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Spezialausgabe | AGRIDEA: Innovative und dauerhafte Lösungen für den ländlichen Raum

Value Chain: Ein Werkzeug für die Schweiz Die «Value Chain» Methode (Abb. 4) wurde für die internationale Entwicklungszusammenarbeit entwickelt. Sie besteht darin, die verschiedenen Wertschöpfungskreise eines Agrarproduktes systematisch aufzuzeichnen und zu studieren, damit man die bestehenden Wertschöpfungsketten optimieren und auf Marktchancen reagieren kann. AGRIDEA hat diese Methode auf die Untersuchung von Produkten nationaler und kantonaler landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten der Schweiz ausgedehnt. Ausgehend von gesammelten Informationen aus Gesprächen mit Experten und Branchen-Fachleuten, erstellt AGRIDEA «Wertschöpfungs-Karten», die die Marktanteile der verschiedenen Wertschöpfungskreise im Kanton und das Portfolio der Endprodukte aufzeigen. Strategische Gruppen von Akteuren, die eine ähn-

liche Geschäftsstrategie verfolgen, werden identifiziert. Diese sehr präzise Bestandsaufnahme ermöglicht es strategische Analysen und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Dies erfolgt insbesondere in Experten-Workshops, welche von AGRIDEA-Mitarbeitern moderiert werden. AGRIDEA arbeitet mit dem Interreg-Projekt der Union Lémanique des Chambres d’agriculture (Genf, Waadt, Wallis, Ain, Haute-Savoie) dem Landwirtschaftsamt des Kantons Waadt. Kontakt AGRIDEA: Sophie Réviron, Leiterin der Gruppe Märkte & Wertschöpfungsketten sophie.reviron@agridea.ch, 021 619 44 23, Lausanne http://www.agridea-lausanne.ch/pages/valorisation_produits.htm

Durchschnitt 2006- 2007- 2008 177 Betriebe / 772 ha andere Tafelbirnern

UFL

Hochstämme

Tafeläpfel CRP

880 t 1260 t

24 200 t 21 700 t

Spediteur Thury, Trottet, Chevalley Grosshändler

Gewerbliche 1200 t Verarbeitung Bäuerliche Obstverarbeitung 3 800 t

Léman fruits( (Fenaco) ) Grosshändler

Frische Früchte

Gastro & industrie*

Direktverkauf

Grossverteiler

Apfelsaft

* Schätzung Im Kanton ausgeführt

Bio

Andere: kiwi, Erdbeeren, Zwetschgen, Kirschen

Abb. 4 | Value Chain: ein Werkzeug für die Schweiz.

«Die Agrarmärkte in der Schweiz haben einen hohen Grad der Integration. Die «Value Chain» Methode ermöglicht es den verschiedenen Akteuren, insbesondere den Produzenten, Klarheit in die Wertschöpfungsketten zu bringen, damit sie ein besseres Verständnis des Marktgeschehens haben und infolgedessen präzisere strategische Anpassungen machen können.» Jean-Luc Kissling, Generalsekretär von Prométerre (VD) (Foto: Prométerre)

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Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 494–497, 2011


AGRIDEA: Innovative und dauerhafte Lösungen für den ländlichen Raum | Spezialausgabe

PRAMIG : Ein interdisziplinäres Projekt mit vielen Partnern Im Projekt PRAMIG arbeiten die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaus (AGFF), Agroscope ACW, der Kanton Tessin und Agridea zusammen (Abb. 5). PRAMIG hat die Verbesserung der Weideflächen im Tessin zum Ziel. Die Unterstützung der Bauernfamilien und der Beratungskräfte im Tessin erfolgt im Projekt durch eine Situationsanalyse, durch die Unterstützung von Experten und durch die Betreuung eines Betriebsnetzes. Weitere Massnahmen im Projekt umfassen die Entwicklung und Koordination von lokalen Aktivitäten, genauso wie die Erstellung von Merkblättern auf Italienisch.

Abb. 5 | PRAMIG: ein interdisziplinäres Projekt mit vielen Partnern.

13 landwirtschaftliche Betriebe sind zu einem Netzwerk zusammen geschlossen. Durch das Projekt wurde es möglich, für die entsprechenden Gräser Wachstumskurven zu erheben und Wachstumsstadien aufzuzeichnen. Mit diesen Daten werden die Verhältnisse im Tessin für die Forscher verständlicher und die Landwirte erhalten so laufend aktuelle Informationen, um Ihre futterbaulichen Arbeiten zeitlich optimieren zu können. Zu diesem Thema wurden verschiedene Massnahmen in den Bereichen Weiterbildung und Kommunikation durchgeführt. Die Originalität dieser Vorgehensweise besteht darin, dass die Eingriffe an die spezifischen Bedürfnisse angepasst sind, die auf jedem Betrieb mittels einer strategischen Diagnose herausgearbeitet wurden. Die Herausforderung für die Projektpartner liegt darin, auf diese individuellen Bedürfnisse mit angepassten Massnahmen und einer entsprechenden Begleitung zu reagieren. Für die Zukunft soll ein Netzwerk mit einer beschränkten Anzahl von Betrieben beibehalten werden. Zusätzlich wird ein neues Projekt erarbeitet, in dem Milchprodukte, insbesondere Käse, von Wiesen und Weiden in den Südalpen eine bessere Wertschöpfung erfahren sollen. Kontakt AGRIDEA: Pierre Praz, Projektleiter pierre.praz@agridea.ch, 021 619 44 62, Lausanne Emiliano Nucera, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, emiliano.nucera@agridea.ch, 077 432 05 70, Cadenazzo (TI)

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«Durch die Einrichtung von Austauschplattformen mit verschiedenen Akteuren, wie Forschern, Beratern, kantonalen Verantwortlichen und Landwirten, können die wichtigsten Fragen im komplexen wirtschaftlichen und sozialen Umfeld identifiziert werden. Anschliessend können Ergebnisse erarbeitet werden, die optimal auf reelle Praxisprobleme ausgerichtet sind. Dieser Ansatz ist heutzutage unabdingbar: Er erlaubt es wirkungsvolle Ergebnisse in kurzer Zeit und mit niedrigen Kosten zu erzielt.» Mario Bertossa, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Agroscope ACW, Cadenazzo (TI) (Foto: M. Bertossa)

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 494–497, 2011

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I n t e r v i e w

Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)?

Jean-René Germanier Präsident des Nationalrats 2010/2011, Önologe

Die schweizerische Forschung muss den Austausch auf internationaler Ebene ausbauen und an den weltweiten Forschungsnetzwerken teilnehmen. Auf nationaler Ebene sollte die Agrarforschung der Landwirtschaft eine bessere Marktorientierung ermöglichen, indem sie zur Entwicklung origineller, qualitativ hochwertiger Produkte unter umweltfreundlichen Bedingungen beiträgt. Eine Senkung der Produktionskosten wird unseren Landwirtinnen und Landwirten neue Perspektiven eröffnen und ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.

Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung?

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)?

Eine dynamische Agrarforschung ist für die Schweiz unerlässlich, damit die Studien und Entwicklungen auf die spezifischen Bedürfnisse unseres Landes abgestimmt werden können. Im Weinbau beispielsweise trieb die Kreation neuer Rebsorten – angepasst an ihr Terroir und an die Wünsche der Konsumentinnen und Konsumenten – die wirtschaftliche Entwicklung neuer Schweizer Weine voran.

Im Bereich der Verarbeitung müsste Forschungsarbeit im Hinblick auf eine optimale Inwertsetzung der Rohstoffe betrieben werden. Geschmack, Aussehen und alle anderen Aspekte, die die Exzellenz eines Produktes ausmachen, müssen perfekt beherrscht werden, damit sich Schweizer Produkte auf dem Markt profilieren können. Auf internationaler Ebene sind die Kreation und die Weiterentwicklung von Sorten mit geringem Wasserund Energieverbrauch von vorrangiger Bedeutung. Ausserdem sollte die Forschung im Bereich der Biotreibstoffe zweiter Generation, die keine Konkurrenz für die Lebensmittelproduktion darstellen, dazu beitragen, dass wir der demografischen Entwicklung unseres Planeten gerecht werden können.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung dem Agrarhandel? Die Nähe der landwirtschaftlichen Forschungsanstalten zu den Produktionsstandorten ermöglichte intensiven Austausch zwischen den Landwirtinnen und Landwirten und den Forscherinnen und Forschern. Die Qualität der landwirtschaftlichen Beratung hat erheblich zur Spitzenposition beigetragen, die unser Land im Bereich des Wissens um integrierte Produktion und Originalität einnimmt. Ausserdem ist diese Beratung von grundlegender Bedeutung für die Erhaltung des Spitzenniveaus unserer landwirtschaftlichen Fachhochschulen und der Qualität des dort vermittelten Wissens.

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Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 498–507, 2011

Die Interviews wurden durchgeführt von Karin Bovigny-Ackermann1, Carole Enz2 und Sibylle Willi2 1 Bundesamt für Landwirtschaft BLW 2 Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenwil ACW


Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen | Interview

Maya Graf Nationalrätin, Diplomierte Sozialarbeiterin HFS und Mitbewirtschafterin eines Biobauernbetrieb

Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Die Agrarforschung in der Schweiz ist wichtig. Damit meine ich vor allem die unabhängige, öffentliche Grundlagenforschung und angewandte Forschung. Meiner Meinung nach fliesst aber viel zu wenig Geld in die Forschung für den Biolandbau. Die Schweiz könnte hier weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen und voll und ganz auf die Forschung für eine ressourcenschonende, klimafreundliche Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion setzen.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung den Biobetrieben? Die Forschung für den Biolandbau ist zusammen mit dem praktischen Wissen und der Erfahrung der Landwirtinnen und Landwirten vor Ort zentral wichtig. Es gibt noch sehr viele Probleme zu lösen. Das kann nur gemeinsam und nicht nur im Labor, sondern muss auch auf den Höfen direkt geschehen. Das FIBL als international grösstes Forschungsinstitut für Biolandbau leistet in dieser Beziehung vorbildliche Arbeit und sollte eine grössere Unterstützung durch die öffentliche Hand erfahren.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)? Die Herausforderungen für die Agrarforschung sind immens: Es geht darum, endlich den bereits 2008 vom Weltagrarbericht geforderten Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft zu vollziehen. Denn angesichts des

Klimawandels, der sich verschärfenden Knappheit der natürlichen Ressourcen Boden, Wasser, Biodiversität sowie der fossilen Energie ist ein Weiter-wie-Bisher keine Option. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung. Zudem sind bisher keine politischen Strategien in Sicht, den Wegwerf-Konsum in den Industrieländern zu mindern. Eine weitere, bisher kaum diskutierte Herausforderung für die Agrarforschung besteht in der Marktkonzentration innerhalb der Agrarbranche: Nur eine Handvoll der grössten Saatgut- und Agrarchemiekonzerne beherrscht den Markt und hat sehr grossen Einfluss, in welche Richtung geforscht und entwickelt wird. Ihr ökonomischer und politischer Einfluss wirkt sich auch auf die öffentlich finanzierte Agrarforschung aus und bedroht deren Unabhängigkeit. Das Wissen und die Erfahrungen von Bäuerinnen und Bauern müssen in die Forschung mit einbezogen werden. Nur dann kann auch die landwirtschaftliche Beratung erfolgreicher verlaufen. Auch hier gilt, dass der Privatsektor einen sehr grossen Einfluss hat und so eine Umstellung auf ökologische Methoden erschwert.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)? Hier gibt der Weltagrarbericht sehr wichtige Empfehlungen, aber auch aktuellere Berichte aus der EU und Deutschland sowie des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung beinhalten klare Aussagen. Geforscht werden muss in Richtung einer kleinbäuerlich strukturierten, ökologischen, vielfältigen Landwirtschaft. Wir brauchen eine Forschung, die voll auf die Ressourcenknappheit ausgerichtet ist. Die landwirtschaftliche Produktion der Zukunft muss sich an natürlichen Kreisläufen ausrichten, darf nur wenig bis keine fossilen Energien einsetzen und die Bodenfruchtbarkeit verbessern. Auch soziale und ökonomische Faktoren sind zu berücksichtigen: Die Menschen auf dem Land müssen in der Landwirtschaft Arbeit finden, die ihnen eine Leben in Würde ermöglicht. Und natürlich braucht es Forschung, wie die Landwirtschaft zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen kann und wie sich die Lebensmittel-Produktion an den Klimawandel anpassen kann. Die Produktion darf weder die Umwelt noch die Gesundheit von Menschen oder Tieren gefährden. Es sind bereits jetzt sehr viel Wissen und Erfahrungen vorhanden, wie sich die Landwirtschaft den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen stellen kann. Aber dieses Wissen wird nicht umgesetzt. Es gilt also zu klären, warum und von wem diese Entwicklung gebremst wird und was (auch politisch) getan werden muss, um beispielsweise die Empfehlungen des Weltagrarberichts umzusetzen.

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Interview | Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen

garisierungs- und Beratungsstruktur. Der Schweizer Weinbau soll so schnell wie möglich von den neu gewonnenen Erkenntnissen profitieren können.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)?

Laurent Favre Nationalrat‚ Leiter der Neuenburger Kammer für Landwirtschaft und Weinbau Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? In allen Wirtschaftssektoren ermöglicht die Forschung technischen Fortschritt und Innovation und verleiht einem Produkt im Normalfall einen Mehrwert auf dem Markt. Die Agrarforschung stellt da keine Ausnahme dar. Die landwirtschaftlichen Unternehmen und Weinbaubetriebe unseres Landes brauchen eine wissenschaftliche Unterstützung, die den agronomischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in der Schweiz Rechnung trägt. Selbst wenn die Grundlagenforschung «hors sol» stattfinden kann, angewandte Forschung muss praxisnah betrieben werden, damit brauchbare Resultate erzielt werden können. Eine Besonderheit der schweizerischen Agrarforschung besteht in der Tatsache, dass sie stets versucht, konkrete Anliegen zu behandeln und Wert darauf legt, ihre Ergebnisse und ihr Wissen an die Hauptbetroffenen weiterzugeben. Das Netz aus Forschung, Beratung und Anwendung entfaltet hier seine volle Bedeutung.

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In der seit den 1980er Jahren entwickelten integrierten Produktion spielte die Dynamik der Produktionsmethoden stets eine zentrale Rolle. Wenn man mit Lebendigem arbeitet, lernt man schliesslich nie aus! Mehrere Wirkstoffe wurden in Frage gestellt oder gar verboten. Dies zeugt von der Fragilität der Lösungen, die wir einst für gut und dauerhaft gehalten haben. Die Forschung hat demnach den ständigen Auftrag, für unsere Landwirtschaft effiziente und umweltfreundliche Produktionsmethoden greifbar zu machen. Die Entwicklung neuer, krankheitsresistenter Sorten bleibt dabei von vorrangiger Bedeutung. Die finanziellen Mittel, die für die Agrarforschung bereitgestellt werden, sind bereits erheblich geschrumpft; die Bereiche Vulgarisierung und Beratung werden praktisch überhaupt nicht mehr gefördert. Diese Kürzung der Mittel ist langfristig für die gesamte Branche kontraproduktiv. Wie in anderen Wirtschaftssektoren auch, müssen Forschung und Innovation einen technologischen Fortschritt bringen, der im Normalfall einen Mehrwert auf dem Markt generiert. Deshalb muss der Bund das Budget für die Agrarforschung erhalten. Lassen die Forschungsanstalten ein Produkt patentieren, sollten die Produkterlöse ins Budget der jeweiligen Forschungsanstalt fliessen. Durch diesen «Return on Investment» können die Arbeiten der Forscherinnen und Forscher vorangetrieben werden. Ausserdem sollten Partnerschaften mit privaten Akteuren gefördert werden, denn sie tragen zur Effizienz der angewandten Forschung bei.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung den Winzerinnen und Winzern?

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)?

Vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Qualitätsansprüche an Wein liefert die Forschung Antworten und eröffnet neue Möglichkeiten, damit wir die Prozesse, die hinter der Inwertsetzung dieser Qualität stecken – sowohl auf dem Weinberg als auch im Keller – besser verstehen. Ein Aufeinandertreffen von Tradition, Empirismus und Wissenschaft ist hier sehr gewinnbringend. Die allgemeinen Produktionsmethoden, die überall und auf alles anwendbar sind, sind heute rückläufig. Moderne Lösungen werden immer präziser und sind an das entsprechende Terroir angepasst; die Vermittlung dieser neuen Kenntnisse verlangt nach einer guten Vul-

Die Genetik und die Entwicklung von Kultivaren mit einer höheren Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Krankheiten bilden eine Nische, in der grosse Fortschritte erzielt werden können. Die Forschung im Bereich der biologischen Produktionsmethoden muss weiterentwickelt werden und darf nicht nur Aufgabe von spezialisierten Institutionen sein. Im Bereich der Bodenwissenschaft, insbesondere im Zusammenhang mit der biologischen Beschaffenheit des Bodens. Die internationale Zusammenarbeit bringt Dynamik und trägt zu einem höheren Bekanntheitsgrad des Schweizer Weinbaus bei.

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Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen | Interview

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)?

Albert Rösti Nationalrat, Direktor Schweizer Milch­ produzenten SMP

Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Meine Forschungszeit als Doktorand am Institut für Agrarwirtschaft der ETH Zürich war sehr lehrreich. Seither bin ich jedoch vor allem Nutzniesser der publizierten Ergebnisse. Für mich ist es absolut zentral, dass die Schweiz eigenständige Agrarforschung betreibt. Klar befruchten Forschungskooperationen mit und Wissenstransfer aus dem Ausland unser Denken und Handeln. Doch die Schweiz hat zu viele natürliche, gesellschaftliche und politische Eigenheiten. Gerade deshalb muss insbesondere die Agrarökonomie eigenständige und auf die Schweizer Rahmenbedingungen abgestimmte Fragestellungen bearbeiten.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung den Schweizer Milchproduzenten?

Globale Megatrends wie beispielsweise die Zunahme von extremen Wettersituationen mit zu viel oder zu wenig Wasser oder die verstärkt auftretenden Preiskapriolen auf den Agrarmärkten verlangen auch regionale und lokale Antworten. Denn letztlich steht bei so stark vom Standort abhängigen Unternehmen wie die Landwirtschaft immer die persönliche Betroffenheit der Akteure im Vordergrund. Die Forschung ist hier doppelt gefordert. Einerseits muss sie nach den zukünftig besten Rahmenbedingungen forschen. Anderseits erwarten die Akteure ganz pragmatische Antworten auf viele neue Fragen. Wohl wissend, dass es immer weniger Patentrezepte gibt, sind Forschung und Beratung gefordert, die richtigen Grundlagen bereitzustellen und die Entscheidkompetenz der einzelnen Akteure zu stärken.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)? Die zentrale Aufgabe jeder Landwirtschaft ist und bleibt die nachhaltige Produktion von Nahrungsmitteln, damit die Ernährung der wachsenden Bevölkerung lokal, regional, national und global gesichert werden kann. Seit der 2007er-Nahrungsmittelkrise sehen wir aber, dass zunehmend und viel stärker neue Elemente wie Spekulation, Währungsrelationen oder Energiefragen die Ökonomie innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette beeinflussen. Ich denke, dass nebst dem «courant normal» in der produktionstechnischen und agrarökonomischen Forschung diesen neuen Einflüssen und Interaktionen ein Schwerpunkt eingeräumt werden sollte.

Die Agarforschung und der Wissenstransfer in die Praxis haben sowohl in der Pflanzen- als auch in der Tierproduktion wesentlich zur Erhöhung der Produktivität beigetragen. Auch bei der Ressourceneffizienz und der Ökologie erzielten die Bauern sehr gute Erfolge. Was mir jedoch grosse Sorgen macht: Der durchschnittliche Arbeitsverdienst als Mass der Wirtschaftlichkeit der Bauernbetriebe blieb in all den Jahren auf der Strecke. Bekanntlich beschleunigen tiefe Einkommen nicht den Strukturwandel, sondern verschlechtern in erster Linie die wirtschaftliche und soziale Stellung der Bauernfamilien in der Gesellschaft.

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Interview | Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen

schaftslehrer für die Bearbeitung von Beratungsaufträgen auf die Bauernhöfe kommt. Genauso ist es wichtig, dass die Agrarforscher einen Praxisbezug sicherstellen und Lehr- und Beratungskräfte den Kontakt zu den Forschungsanstalten pflegen.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)?

Peter Küchler Direktor LBBZ Plantahof

Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Die Schweizer Agrarforschung trägt die Eigenständigkeit unserer Landwirtschaft mit. Die Schweizer Landwirtschaft präsentiert sich anders als jene in der EU. Sie wird sich in Zukunft unterschiedlich ausrichten müssen. Agrarforschung darf sich nicht auf die Grundlagenforschung reduzieren lassen. Angewandte, praxisnahe Forschung ist einerseits die Überprüfung der Tauglichkeit und Wirkung von Verfahren, die in der Praxis entwickelt wurden. Andererseits generiert die Forschung selber Innovationen. Agrarforschung soll das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Strömungen, politischen Entscheiden und der landwirtschaftlichen Realität ausgleichen. Dies geschieht in ihrer Ausrichtung auf Langfristigkeit und Gesamtheit und schützt so das landwirtschaftliche Produktionssystem, welches weniger flexibel reagieren kann, als das gesellschaftliche und politische Denken schnelllebig ist.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung den Landwirtschaftsschulen? Agrarforschung und landwirtschaftliche Beratung beeinflussen die Schulen unterschiedlich. Die Agrarforschung zeigt den Lehrkräften Perspektiven der landwirtschaftlichen Produktion auf. Sie liefert «Futter», um den Unterrichtsstoff mit Aktualität und Fortschritt anzureichern. Nicht jede Stufe eignet sich für den Einbau von Forschungsresultaten gleich gut. Der landwirtschaftliche Beratungsdienst liefert den Lehrkräften Praxisfälle. Es ist der Idealfall, wenn der Berater auch im Unterricht tätig ist und der Landwirt-

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Die grösste Herausforderung ist das Tempo. Forschung braucht Zeit bis aussagekräftige, gesicherte Fakten vorliegen. Die Praxis muss sich immer rascher neuen Vorgaben anpassen. Dazwischen agiert der Beratungsdienst. Der individuelle Zugang zu Information hat sich potenziert. Gleichzeitig hat die Qualität der Information im Durchschnitt abgenommen. Der enge Schulterschluss zwischen Agrarforschung und Beratung garantiert die Relevanz und die Qualität der Information. Eine Herausforderung bleibt die Finanzierung der Forschungs- und Beratungsarbeit. Es ist grösste Vorsicht geboten, dass private Finanzierung nicht inhaltliche Abhängigkeit schafft.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden? Ganz persönlich ist mir die Veränderung der Werthaltung der Schweizer Bevölkerung ein Rätsel. Wie ist es möglich, dass ein existentielles Bedürfnis, wie es die sichere, reichhaltige Versorgung mit Nahrungsmitteln darstellt, gegenüber den Vorstellungen über extensive Landnutzung und über Tierwürde zunehmend marginalisiert wird? Ob dies jedoch im Rahmen der Agrarforschung untersucht werden kann, ist unwahrscheinlich. Ganz konkret haben wir festgestellt, dass bezüglich Sömmerung von Milchvieh wenig neue Forschungsresultate vorhanden sind. Gute Resultate über die Eignung von Milchkühen für die Alpung sind 30 Jahre alt und haben ihren aktuellen Wert und damit ihre Bedeutung längst verloren.


Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen | Interview

von Produktions- und Verarbeitungsverfahren sowie der Produktequalität wurden realisiert oder sind am Laufen. So wurde jüngst ein breit angelegtes Forschungsprojekt gestartet, welches die Entwicklung einer neuen Methode zur Bestimmung und Optimierung der Fettqualität bei Schweinen zum Ziel hat.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)?

Heinrich Bucher Direktor Proviande

Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Ohne Fortschritt keine Zukunft. In diesem Sinn ist Forschung ganz allgemein zwingend. Dass in der Schweiz im Agrarbereich sowohl Grundlagen- wie auch angewandte Forschung betrieben wird, ist für eine erfolgreiche Zukunft unserer Land- und Ernährungswirtschaft unumgänglich. Ohne uns eigenes Know-how zu erarbeiten, würden wir in eine problematische Abhängigkeit von ausländischen Forschungsinstituten gelangen. Diese könnten ihre Projekte jedoch nicht im erforderlichen Mass nach unseren spezifischen Umwelt- und Marktbedingungen ausrichten. Genau dies ist aber erforderlich, um die angestrebte Qualitätsstrategie realisieren zu können. In diesem Zusammenhang erachte ich es als sehr wichtig, dass die seit mehreren Jahren vakante Tierzuchtprofessur an der ETH Zürich endlich wieder besetzt wird.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung der Fleischbranche? In den letzten Jahren konnte die Fleischbranche in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungsanstalten diverse Projekte realisieren, welche nützliche Resultate hervorgebracht haben. So konnten die Ursachen für die Verwachsungen in den Unterspälten beim Rindvieh ermittelt werden, ein Phänomen, das der Branche seit Jahrzehnten jährlich hohe Verluste verursacht. In einem anderen von der KTI (Kommission für Technologie und Innovation des Bundes) unterstützten Projekt wurden die mannigfaltigen Einflüsse erforscht, welche Destrukturierungen in den Kochschinken verursachen können. Zahlreiche weitere Projekte zur Optimierung

Im Agrarbereich stehen wir global vor enormen Herausforderungen, muss doch die Ernährung der weiter wachsenden Erdbevölkerung mit qualitativ einwandfreien Nahrungsmitteln nachhaltig sichergestellt werden. Hierzu gilt es, bestehende Verfahren weiter zu entwickeln und auch neue zu finden, welche ökonomisch, ökologisch und sozialverträglich sind. Pauschallösungen wird es nur bedingt geben. Basierend auf Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung bedarf es standortangepasster Projekte. Die Schweizer Agrarforschung kann dazu auf nationaler wie auf internationaler Ebene einen bedeutenden Beitrag leisten. Über eine praxisorientierte Beratung sind die gewonnenen Erkenntnisse den betroffenen Akteuren zu vermitteln und in konkrete Massnahmen umzusetzen.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)? Wie gesagt, gilt es die Ernährung der Weltbevölkerung mit qualitativ einwandfreien Nahrungsmitteln aus nachhaltiger Produktion langfristig sicher zu stellen. Zur ausgeglichenen Ernährung des Menschen leisten tierische Lebensmittel einen wichtigen Beitrag. Insbesondere Milch und Fleisch haben für die Versorgung mit Eiweissen, Mineralstoffen und Vitaminen einen hohen Stellenwert. Die Tierproduktion wird, teilweise sehr undifferenziert, als umweltbelastend und klimaschädigend kritisiert. Damit tierische Lebensmittel künftig nicht nur umwelt- und tiergerecht, sondern auch möglichst CO2neutral produziert werden können, bedarf es intensiver Forschung. Bei den angestrebten Optimierungen muss den umfassenden Qualitätsaspekten besondere Beachtung geschenkt werden.

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Interview | Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen

xis entwickelt werden. Die Beratung ist das Bindeglied zwischen Forschung und Praxis. In dieser Funktion möchte der Berater vom Forscher Antworten auf Fragen, mit denen er bei seiner Arbeit konfrontiert wird. Eine aktive landwirtschaftliche Forschung vermag jedoch auch Entwicklungstrends zu erkennen und langfristige Perspektiven aufzuzeigen.

Welche Herausforderung sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)?

Peter Bieri Ständerat, dipl. Ingenieur Agronom ETH, Dr. sc. techn.

Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Während meines Agronomiestudiums an der ETH-Z, meiner Assistentenzeit am Institut für Nutztierwissenschaften sowie meiner 27-jährigen Tätigkeit am landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum des Kantons Zug begegnete ich regelmässig der landwirtschaftlichen Forschung. Als Präsident der beratenden Kommission des Institutes für Pflanzen-, Tier und Agrarökosystem-Wissenschaften der ETH-Z will ich auf dem Laufenden sein, was in der Agrarforschung aktuell passiert. Als Politiker möchte ich wissen, welchen Beitrag die Agrarforschung für genügend und gesunde Lebensmittel sowie für eine intakte Umwelt leisten kann. Da ich in der ständerätlichen Finanzkommission zusammen mit zwei Kollegen für das Volkswirtschaftsdepartement zuständig bin, habe ich jeweils auch das Budget, die Rechnung und die Leistungsvereinbarungen der landwirtschaftlichen Forschungsanstalten Agroscope vertieft zu studieren.

Was bringt die Agrarforschung der landwirtschaftlichen Beratung? In unserer modernen Gesellschaft trachten wir danach, neues Wissen zu generieren und dieses nutzbringend anzuwenden. Auch die Landwirtschaft kann sich als Teil der Volkswirtschaft den gesellschaftlichen und umweltrelevanten Entwicklungen nicht verschliessen. Vielmehr gilt es, diese aktiv und sinnvoll mitzugestalten. Neues Wissen kann auf zwei Wegen gewonnen werden: Dank Erfahrungen und Beobachtungen in der Praxis lassen sich neue allgemein gültige Erkenntnisse gewinnen. Umgekehrt können aus der vorwiegend theoretischen Grundlagenforschung neue Möglichkeiten für die Pra-

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Für die schweizerische Landwirtschaft ändern sich die ökonomischen und politischen Voraussetzungen genauso wie die produktionstechnischen Möglichkeiten. Forschung und Beratung können ihren Beitrag leisten, dass diese Veränderungsprozesse richtig erkannt werden und wir erfolgreich darauf reagieren können. Im Agrarbereich übernimmt der Staat einen grossen Teil der Kosten für Forschung und Beratung. Ich wünsche mir, dass diese öffentlichen Leistungen auch von der Bevölkerung und insbesondere von unseren Landwirten besser anerkannt werden. Wer mit offenen Augen unseren Planeten betrachtet, wird unschwer feststellen, dass grosse Herausforderungen auf den Agrar- und Ernährungssektor warten. Das aktuelle Jahr und der Blick nach Afrika zeigen uns, dass Nahrung, Wasser, Gesundheit, Lebensraum, Ressourcen und Umwelt zentrale Herausforderungen der Weltgemeinschaft sind. Auf internationaler Ebene kann unsere Forschung und Beratung Wissen generieren, vermitteln und so auch in anderen Regionen der Erde sinnvoll zur Anwendung bringen.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)? Qualitätssicherheit bei Nahrungsmitteln, schonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen, Erhaltung des ländlichen Raums, Welternährung, Energiebedarf, faire Handelsbedingungen, sinnvolle Synthese von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Anliegen; dies sind Herausforderungen, deren wir uns in der Gegenwart und in der Zukunft zu stellen haben. Falsche Entwicklungen gilt es zu korrigieren. Bessere Wege müssen aufgezeigt werden. All dies ist nicht zu machen ohne neues Wissen und Erkenntnisse, die uns die Forschung erarbeiten muss. Persönlich befasse ich mich immer wieder mit dem Thema, wie es uns gelingen soll, neues produktionstechnisches Wissen verantwortungsvoll in die natürlichen Lebensvorgänge zu integrieren.


Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen | Interview

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)?

Sibyl Anwander Phan-Huy Leiterin Qualität/Nachhaltigkeit COOP

Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Es ist erfreulich, dass die kleine und hochindustrialisierte Schweiz der Agrarforschung einen hohen Stellenwert gibt. Dieses Engagement betrachte ich als Bekenntnis zur Land- und Ernährungswirtschaft. Denn die Ernährungssicherheit als weltweite Herausforderung erfordert auch von der Schweiz einen Beitrag in der Agrarforschung. Die «Bodenhaftung» in der Schweiz kombiniert mit internationaler Zusammenarbeit sind für Coop Garanten, dass für die gesamte Wertschöpfungskette angepasste Lösungen zu den vielfältigen Herausforderungen erarbeitet werden. Von besonderer Bedeutung ist für Coop das Forschungsinstitut für biologischen Landbau, welches wir auch finanziell unterstützen und welches die Voraussetzung bildet für den weiteren Ausbau unseres Bio-Sortiments.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung den Konsumentinnen und Konsumenten? Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen mit gutem Gewissen qualitativ hoch stehende, vielfältige, nachhaltig produzierte Nahrungsmittel geniessen können. Im Hochpreisland Schweiz steht dabei weniger die kalorienmässige Versorgungssicherheit im Vordergrund als die Absicherung hoher Ansprüche an Tierwohl, Vielfalt und Qualität. Dabei wird die Lebensmittelsicherheit als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, obwohl sie Forschung und Kontrollbehörden immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Die Forschung bildet die Grundlage für eine Qualitätsführerschaft des schweizerischen Ernährungssektors.

Die Sicherung der Ernährung bei steigernder Weltbevölkerung, knapper werdenden Ressourcen und den Auswirkungen des Klimawandels ist eine ganz grosse Herausforderung weltweit. In diesem Kontext sind Ressourceneffizienz und der Umgang mit Unsicherheit und Instabilität grosse Forschungsthemen, die nicht nur technisch und agronomisch betrachtet werden dürfen, sondern auch den ­Einbezug von gesellschaftlichen und ökonomischen Faktoren bedingen. Da die Agrar- und Ökosysteme so komplex sind, ist ein globaler und systemischer Ansatz nötig. Wir begrüssen es deshalb sehr, wenn die internationale Zusammenarbeit in der Forschung verstärkt wird. Und schliesslich erwarten wir von der Agrarforschung einen Beitrag an die von Konsumenten und Politik geforderte Transparenz entlang der ganzen Wertschöpfungskette und bezüglich der ökologischen Auswirkungen.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)? Umweltschonende und tierfreundliche Systeme, die gleichzeitig ressourceneffizient, stabil und ökonomisch interessant sind, müssen durch Forschung und Beratung gefördert werden. Verstärkt muss noch der Ansatz der Value Chain integriert werden, um die Wertschöpfung entlang der ganzen Kette zu steigern und die Verluste zu minieren. Weltweit gehen heute rund 40 Prozent der Agrarproduktion verloren. Insgesamt ist die Funktionsweise von komplexen Märkten und Wertschöpfungs­ ketten noch zu wenig erforscht, aber eine wichtige Vor­ aussetzung, damit technologische Fortschritte ihr Wirkungspotenzial entfalten können. Weitere Themen sind der langfristige Ersatz von tierischen Proteinen, die bessere Verfügbarkeit von Mikronährstoffen, die Erhaltung der Biodiversität in den Produktionssystemen als Absicherung gegen klimatische Schwankungen sowie die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Private Forschungsinitiativen von Verarbeitern und Handel spielen heute schon eine wichtige Rolle. Diese Akteure werden sich noch vermehrt in die Agrarforschung einbringen müssen und sind auf gute Rahmenbedingungen und eine lösungsorientierte Zusammenarbeit mit den staatlichen Institutionen angewiesen.

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Interview | Interviews mit Persönlichkeiten aus der Politik und aus verschiedenen Branchen

zucht und anderen Bereichen der landwirtschaftlichen Produktion bereit stellen und vorausschauend kommende Probleme angehen. Wichtig ist, dass die Forschung praxisbezogen ist. Sie bildet damit die Basis für die landwirtschaftliche Beratung und Bildung und stellt sicher, dass die Schweizer Bauern über ein top Know-how verfügen.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen?

Hansjörg Walter Nationalrat, Präsident Schweizerischer ­Bauernverband Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Für die Schweizer ist eine inländische Agrarforschung sehr wichtig. Stillstand ist – wie wir wissen – mittelfristig gleichbedeutend mit Rückschritt. Es kommen immer wieder neue Herausforderungen auf uns zu, und denen müssen wir mit neuen Erkenntnissen begegnen können.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung den Bäuerinnen und Bauern? Die Agrarforschung muss neue Erkenntnisse bezüglich effizienter, ressourcenschonender Produktionstechnik, Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen, Sorten-

Ich sehe verschiedene Bereiche, die uns herausfordern werden. Zum einen der Klimawandel, der einen effizienteren Umgang mit den Ressourcen wie Wasser, neue Anbaumethoden sowie auch neue, trockenheitstolerantere Sorten nötig macht. Minimierung der Umweltschäden durch verbesserte Technik dürfte generell ein Thema sein. Auf der anderen Seite muss das verfügbare Land möglichst ertragreich genutzt werden, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Auch die optimale Krankheitsund Schädlingsbekämpfung, respektive die Resistenzzucht, bleiben wichtig.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden? Wichtig ist, dass die Forschung praxisbezogen ist. Wir brauchen in der Schweiz keine agronomische Grundlagen-, sondern vielmehr konkrete «Feld»forschung. Optimierung der Umweltauswirkungen und der Produktionskosten stehen für mich im Zentrum. ist eine exzellente Agrarforschung ganz wesentlich, damit wir punkto Produktionstechnik, Ökologie, Produktequalität, Mechanisierung und Wirtschaftlichkeit mit der Weltspitze mithalten können. Zusätzlich dürfen die nachgelagerten Stufen wie Lagerhaltung, Verarbeitung und Herstellungsverfahren nicht vernachlässigt werden.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung der Obstbranche?

Bruno Pezzatti Nationalrat, Direktor Schweizer Obstverband Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Die Schweizer Obstbranche muss aufgrund des Hochpreis-Umfelds mit Kostennachteilen zurechtkommen. Deshalb steht für uns die Strategie der Qualitätsführerschaft schon lange im Vordergrund. Im Bereich Obstbau

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Resultate aus der landwirtschaftlichen Forschung sind nicht von heute auf morgen zu erwarten, ohne langen Atem geht es nicht. Als Beispiel dafür möchte ich die Züchtung und Verbreitung feuerbrandtoleranter Apfel­ sorten nennen, welche seit Jahren höchste Priorität hat und viele Jahre, zum Teil Jahrzehnte, in Anspruch nimmt. Konkrete Resultate erhoffen wir uns hier allerdings so bald als möglich. Um mit dieser problematischen Krankheit umgehen und gleichzeitig die Kundenbedürfnisse befriedigen zu können, braucht es international vernetzte Forschende aus verschiedenen Fachgebieten,


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genauso wie kompetente Berater auf allen Stufen, die die Resultate in die Praxis hinaustragen. Es kann mit Stolz festgestellt werden, dass die Schweiz im Bereich der Obstbauforschung weltweit einen sehr guten Ruf besitzt; dies nicht zuletzt dank der jüngsten Forschungsergebnisse im Zusammenhang mit dem Feuerbrand.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)? Die Fragestellungen werden immer komplexer, und gleichzeitig wird Wissen immer schneller generiert und verbreitet. Eine Schlüsselrolle wird daher der Kommunikation zwischen Forschung und Praxis zukommen. Einerseits müssen die Forschenden die Produzenten zeitge-

mäss, auch mit modernsten elektronischen Mitteln und doch praxisnah informieren. Andererseits müssen auch Erkenntnisse aus der Praxis effizient in die Fragestellungen der Forschenden einfliessen.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)? Klimawandel, weiter anwachsende Anzahl Menschen, begrenzte Ressourcen, Wassermanagement: Schon nur diese Themen werden uns auf lange Sicht beschäftigen. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass die Forschung immer weniger zwischen national und international unterscheiden darf: Wichtig ist, dass die Schweiz ihren Beitrag zum weltweiten Wissenssystem leistet. Das sichert langfristig den besten Return on Investment!

dukte. Gesundes Saatgut, Pflanzenarten und Tierrassen, die eine optimaleVerwertung der eingesetzten Produktionsmittel ermöglichen und die gegen Krankheiten resistent sind, Anbaumethoden, die die Fruchtbarkeit des Bodens für zukünftige Generationen erhalten, verbesserte Produkte, die haltbar sind und zum Wohlbefinden der Konsumentinnen und Konsumenten beitragen – das wären einige permanente Ziele der Agrarforschung.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Agrarforschung und die landwirtschaftliche Beratung zukommen (national, international)? Willy Gehriger Präsident der fenaco-Geschäftsleitung Was bedeutet Ihnen die Schweizer Agrarforschung? Es ist Aufgabe jeder Gesellschaft und jeder Nation, sich an der weltweiten Agrarforschung zu beteiligen. Unser Planet ist nicht mehr derselbe wie gestern, und morgen wird er wieder anders sein. Die Umwelt verändert sich fortwährend, ob mit oder ohne dem Einfluss des Menschen. Eines bleibt für den Menschen, unabhängig von Raum und Zeit, immer gleich: Er muss sich ernähren. Die Schweizer Agrarforschung muss dazu beitragen, die Möglichkeiten zur Produktion gesunder Nahrungsmittel laufend an die sich ständig verändernden Umweltbedingungen anzupassen.

Was bringt die Agrarforschung beziehungsweise die landwirtschaftliche Beratung dem Agrarhandel? Die Agrarforschung liefert Lösungen für diverse Probleme im Zusammenhang mit der Produktion, der Aufbewahrung und der Verwendung landwirtschaftlicher Pro-

Die grossen Herausforderungen der Agrarforschung von morgen werden jenen von heute ziemlich ähnlich sein: die Landwirtinnen und Landwirte dabei unterstützen, mehr zu produzieren und zugleich natürliche Ressourcen und Inputs zu sparen; der Landwirtschaft helfen, ernährungsphysiologisch wertvolle Lebensmittel mit hoher Geschmacksqualität herzustellen.

In welchen Bereichen müsste noch verstärkt geforscht werden (national, international)? Am Anfang steht die Genetik und dort sollte verstärkt geforscht werden. Die Genetik ist die Basis für den Kampf gegen Krankheiten, sie erlaubt uns, die Umwelt besser in Wert zu setzen und uns besser anzupassen. Ich bedaure sehr, dass die staatliche Agrarforschung ihre Tätigkeit im Bereich der Gentechnik aufgegeben hat. Eine staatliche Institution soll schliesslich ausführlich und unabhängig zu den Fragen rund um die Verwendung neuer Technologien Stellung nehmen können. Wir leben alle auf demselben Planeten, der in ungefähr 15 Jahren acht Milliarden Menschen ernähren muss.

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Vollzugsaufgaben von Agroscope – wissenschaftlich fundierte Unterstützung für den Gesetzgeber Lukas Bertschinger1, Daniel Guidon2 und Stephan Pfefferli3 Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW, 8820 Wädenswil 2 Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP-Haras, 1725 Posieux 3 Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8356 Ettenhausen Auskünfte: Lukas Bertschinger, E-Mail: lukas.bertschinger@acw.admin.ch, Tel. +41 44 783 62 02

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Ein wesentlicher Teil der Aufgaben von Agroscope ist die Mitwirkung an Vollzugs- und Kontrollaufgaben. Der Bund will damit Massnahmen zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt im Zusammenhang mit der Land- und Ernährungswirtschaft auf ein wissenschaftliches Fundament stellen. Zu den aufwändigsten Aufgaben gehören dabei zur Zeit die Amtliche Futtermittelkontrolle, die Nationale Bodenbeobachtung, die Zertifizierung von Saat- und Pflanzgut und die Prüfung von Pflanzenschutzmittelzulassungen. Aber auch die Zentrale Auswertung von Buchhaltungsdaten von landwirtschaftlichen Betrieben zur objektiven Ermittlung der wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft bindet wesentliche Kräfte, ebenso wie beispielsweise die so genannte Pflanzenschutzmittelprüfung oder das Nationale Referenzlabor für Milch und Milchprodukte.

Agroscope erarbeitet in Feldversuchen und mit Computermodellen wissenschaftliche Schadschwellen für Schädlinge, damit Pflanzenschutzmittel nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich eingesetzt werden. (Foto: ACW)

Der Bund stellt Massnahmen zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt im Zusammenhang mit der Land- und Ernährungswirtschaft auf ein wissenschaftliches Fundament. Er beauftragt gemäss Artikel 5 der Verordnung über die landwirtschaftliche Forschung Agroscope mit der Unterstützung des Vollzugs solcher gesetzlicher Schutzmassnahmen. Damit erreicht er, dass die Erfüllung dieser so genannten Vollzugsaufgaben auf wissenschaftlicher Grundlage und gleichzeitig effizient, praxisnah und transparent erfolgt. Dadurch, dass Forschung und Entwicklung einerseits und Vollzug andererseits unter dem gleichen Dach sind, erhält die Öffentlichkeit günstige und qualitativ hochstehende, umsetzbare Vollzugsleistungen.

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Überblick Einen Überblick über alle Vollzugsaufgaben von Agroscope gibt die Verordnung über die landwirtschaftliche Forschung (VLF) vom 27. Oktober 2010. Artikel 1 verlangt, dass der Bund eine landwirtschaftliche Forschung betreibt, welche die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die technischen Grundlagen für den Vollzug gesetzlicher Aufgaben erarbeitet. Agroscope übernimmt Vollzugsaufgaben gemäss Artikel 5 und im Rahmen von Vereinbarungen mit anderen Bundesämtern. Artikel 6 – 8 ordnet diese Aufgaben den Forschungsanstalten Agroscope ChanginsWädenswil ACW, Agroscope Liebefeld-Posieux ALP-Haras und Agroscope Reckenholz-Tänikon ART zu (siehe Kasten). Die Vollzugsaufgaben werden bei Agroscope im Rahmen verschiedener Projekte bearbeitet (Tab 1). Ausgewählte Beispiele veranschaulichen die Vielfalt der Aufgaben. Nationale Bodenbeobachtung (NABO) Die Schadstoffbelastungen im Boden haben seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert stark zugenommen. Durch menschliche Aktivitäten freigesetzte Schadstoffe gelangen in den Stoffkreislauf der Natur. Der Boden hat für viele Stoffe eine wichtige ökologische Regelfunktion


Vollzugsaufgaben von Agroscope – wissenschaftlich fundierte Unterstützung für den Gesetzgeber | Spezialausgabe

als Filter, Speicher und Ort für den Stoffumsatz. Und er dient als Lebensraum für Tiere, Menschen und Bodenorganismen. Belastungen des Bodens mit Schadstoffen gefährden die Bodenfruchtbarkeit. Die Bedeutung des Bodens als Lebensgrundlage und die Gefahr einer nachhaltigen Schädigung führten zum gesetzlichen Auftrag der Beobachtung der Bodenbelastung durch den Bund. Seit 1984 betreiben das Bundesamt für Umwelt (BAFU) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und im Speziellen mit Agroscope das Nationale Bodenbeobachtungsmessnetz (NABO). Es erfasst an gut hundert über die gesamte Schweiz verteilten Dauerbeobachtungsstandorten den Zustand und die zeitliche Entwicklung der chemischen, physikalischen

Kasten | Die Forschungsanstalten sind ­ emäss Artikel 6c, 7c und 8c der VLF federfühg rend in Bezug auf folgende Vollzugsaufgaben: ACW 1. Sortenprüfung im Ackerbau, Anerkennung von Pflanzgut, Genbank und phytosanitäre Massnahmen 2. Prüfung von Pflanzenschutzmitteln sowie Düngungsrichtlinien für Acker- und Spezialkulturen 3. Kontrolle von Weinen für die Ausfuhr ALP-Haras 1. Führung des Nationalen Referenzlabors für Milch und Milchprodukte, 2. Bewilligung und Kontrolle von Futtermitteln 3. Meldung, Zulassung und Registrierung von Futtermittelproduzenten und -inverkehrbringern ART 1. Grundlagen für die Düngung, Hof- und ­Recyclingdünger, Düngungsrichtlinien für den Futterbau sowie Referenzmethoden und Laboranerkennung für Dünger- und ­Bodenanalysen 2. Beurteilung der Bodenfruchtbarkeit und der Bodenbelastungen im Rahmen der Nationalen Bodenbeobachtung 3. Anerkennung von Saatgut aller Kulturen, Sortenprüfung im Futterbau 4. Prüfung von technischen Einrichtungen und Fahrzeugen sowie Bewilligung von Stalleinrichtungen 5. Ermittlung der wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft

und biologischen Belastung im Boden. NABO bildet damit das zentrale Instrument in der Früherkennung und Erfolgskontrolle zum qualitativen Schutz des Bodens (siehe auch http://www.nabo.admin.ch). Pflanzenschutzmittelprüfung Eine nachhaltige und konkurrenzfähige Landwirtschaft, die qualitativ hochwertige pflanzliche Lebensmittel hervorbringt, ist ohne Schutz der Kulturen vor Schaderregern (Pilze, Insekten, etc.) mit Pflanzenschutzmitteln (PSM) nicht möglich. Um negative Auswirkungen eines PSM-Einsatzes auszuschliessen, unterstehen diese einer Bewilligungspflicht durch den Bund. Fachexperten verschiedener Bundesämter beurteilen die Informationen, welche von der Industrie zusammen mit den Zulassungsanträgen eingereicht werden müssen. Folgendes wird beurteilt: Ist der Einsatz agronomisch sinnvoll und wird die beabsichtigte Wirkung auf Schadorganismen tatsächlich erzielt? Liegen Rückstände auf Erntegütern im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben? Welche Auswirkungen hat der PSM-Einsatz auf Nicht-Zielorganismen (Ökotoxikologie) und die unbelebte Umwelt (z.B. Verhalten in Boden und Wasser)? Die chemische Zusammensetzung der PSM und die Korrektheit der Vermarktung (Beschriftung, Formulierung) werden ebenfalls geprüft. Diese Abklärungen werden mehrheitlich durch Spezialistinnen und Spezialisten von Agroscope sichergestellt. Sie sind international vernetzt und kennen durch ihre Forschungstätigkeit die Eigenheiten der Anbausysteme. Damit stellt Agroscope der Zulassungsbehörde wissenschaftlich unabhängige, praxisorientierte und nachvollziehbare Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung. Überprüfung Schadschwellen Ackerbau und Spezialkulturen Schadschwellen sind wichtige Instrumente der nachhaltigen Landwirtschaft. Die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln kann zwar die Kulturen und deren Produkte schützen, verursacht aber Kosten und kann bei unsachgemässer Ausbringung negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Schadschwellen legen fest, ab welchem Befall sich ein Einsatz unter Einbezug der oben erwähnten Faktoren rechtfertigt. «So wenig wie möglich, so viel wie gerade nötig» lautet dabei der Grundsatz. Schadschwellen sind ein Element der Vorschriften für die umweltschonende Landwirtschaft. Agroscope ist mit der Festlegung, Überprüfung und der Ausarbeitung von Empfehlungen auf wissenschaftlicher Grundlage und deren Bekanntmachung (Wissenstransfer) beauftragt. Es ist eine Herausforderung, sich in diesem Zusammenhang in Anbetracht der Vielzahl an Schaderregern und Kulturpflanzen auf das Nötige und Mögliche zu  konzentrieren.

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Spezialausgabe | Vollzugsaufgaben von Agroscope – wissenschaftlich fundierte Unterstützung für den Gesetzgeber

Tab. 1 | Umfang ausgewählter Projekte im Rahmen der Vollzugsaufgaben von Agroscope im Arbeitsprogramm 2012 – 13 Themen

Forschungsanstalt

Jährlicher Arbeitsaufwand: > 700 Arbeitstage Bewilligung und Kontrolle von Futtermitteln; Registrierung, Zulassung und Kontrolle von Futtermittelproduzenten und -inverkehrbringern Nationale Bodenbeobachtung (NABO) Saat- und Pflanzgutzertifizierung Pflanzenschutzmittelprüfung

ALP-Haras ART ACW und ART ACW, ALP-Haras, ART

Jährlicher Arbeitsaufwand: 200–700 ­A rbeitstage Abb. 1 | Proben an den Flughäfen Genf und Zürich werden mit ­m olekularen Diagnosemethoden geprüft. So wird vermieden, dass unerwünschte Schaderreger eingeschleppt werden. (Foto: ACW)

Import-Diagnostik Pflanzen oder Stecklinge als Ferien-Souvenir sind heutzutage schnell gekauft und eingepackt. Der internationale Pflanzenhandel und der Import von Früchten und Gemüse haben im Rahmen der Globalisierung in den letzten Jahren stark zugenommen. Damit ist das Risiko bezüglich Einführung neuer Schädlinge und Krankheiten (Quarantäneorganismen) gestiegen. Für viele Pflanzenarten gelten Beschränkungen oder gar Einfuhrverbote. Agroscope ist im Rahmen des Eidgenössischen Pflanzenschutzdienstes in die Umsetzung der diesbezüglichen Vorschriften involviert. Importsendungen von Pflanzen müssen auf das Vorkommen von exotischen Schaderregern kontrolliert werden. Die Diagnose an der Grenze, oft am Flug­ hafen, muss rasch erfolgen. Mit modernsten molekularbiologischen Methoden stellt sich Agroscope dieser Herausforderung (Abb. 1). Dank ihrem wissenschaftlichen Leistungsausweis können die Fachleute im Rahmen von spannenden internationalen Projekten neue, rasche und hoch sensible Methoden entwickeln und zum Schutz der Schweizer Land- und Forstwirtschaft und der Öffentlichkeit vor neuen Schaderregern zur Verfügung stellen. GVO-Analysen Die Verunreinigung von Lebens- und Futtermitteln, aber auch von Saatgut von Kulturpflanzen mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) oder Spuren dieser Organismen ist ein wichtiges Qualitätskriterium. Verunreinigungen von Produkten mit GVO oder mit Spuren von GVO führen zu hohen Werteverlusten dieser Produkte. Im Falle von Lebensmitteln aus integriertem oder biologischem Anbau muss Kundentäuschung vermieden werden, denn diese Lebensmittel müssen frei von GVO oder deren Spuren sein. Futtermittel werden diesbezüglich von Agroscope stichprobenartig für die ganze Schweiz kontrolliert. Ausserdem macht Agroscope ent-

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Zentrale Auswertung von Buchhaltungsdaten

ART

Nationales Referenzlabor für Milch und Milch­ produkte

ALP-Haras

Überprüfung Schadschwellen Ackerbau und ­Spezialkulturen

ACW

Kartoffelzystennematoden-Diagnose

ACW

Nuklearstock Reben

ACW

Pflanzenschutzinspektorat

ACW

Diagnostik Pflanzenimporte

ACW

GVO-Analysen Saatgut Beratungsstelle Pferd

ALP-Haras, ART ALP-Haras

Jährlicher Arbeitsaufwand: 50 – 200 ­A rbeits­t age Nuklearstock Obstbau

ACW

Empfehlungen Mindestabstände Geruch

ART

Nationaler Aktionsplan «Pflanzengenetische ­Ressourcen»

ACW

sprechende Untersuchungen an Pflanzensaat. Zur Erfüllung dieser Aufgabe sind modernste Analysemethoden notwendig. Sie werden zur Effizienzsteigerung und Sensitivitätsoptimierung im Rahmen anderweitiger Projekte weiterentwickelt und stehen so auch für die erwähnten Kontrollaufgaben zur Verfügung. Empfehlungen für Mindestabstände bezüglich Geruch Agroscope entwickelt und überprüft Grundlagen für die Herausgabe von Richtlinien, welche die geruchliche Belastung beispielsweise von Wohnzonen aus der Landwirtschaft vermeiden soll. Das Umweltschutzgesetz (USG) und die gestützt darauf erlassene Luftreinhalte-Verordnung (LRV) haben zum Ziel, die Menschen vor schädlichen oder lästigen Luftverunreinigungen und damit auch vor erheblich störender Geruchsbelästigung zu schützen. Der Regelungsbereich der Agroscope-Richtlinien umfasst in erster Linie die vorsorgliche Emissionsbegrenzung. Nach Bundesgericht können die AgroscopeRichtlinien aber auch als Hilfsmittel zur Beantwortung der Frage beigezogen werden, ob eine Tierhaltungsanlage (voraussichtlich) übermässige Emissionen bewirkt.


Vollzugsaufgaben von Agroscope – wissenschaftlich fundierte Unterstützung für den Gesetzgeber | Spezialausgabe

Amtliche Futtermittelkontrolle Agroscope kontrolliert und bewilligt im Auftrag des Bundes die Futtermittel für Nutz- und Heimtiere (Abb. 2). Damit wird verhindert, dass giftige oder sonst unerwünschte Substanzen in Lebensmittel gelangen. Die Futtermittelkontrolle schützt die Tierhalter auch vor Täuschung und sorgt dafür, dass die Futtermittel art- und umweltgerecht eingesetzt werden. Die amtliche Futtermittelkontrolle gilt für in der Schweiz hergestellte und importierte Futtermittel. Sie ist das erste Glied der Kontrolle entlang der Lebensmittelkette und somit ein wichtiges Element des Systems Lebensmittelsicherheit. Agroscope nimmt die Registrierung oder die Zulassung von Firmen vor, die Futtermittel herstellen oder in Verkehr bringen, führt Inspektionen vor Ort durch und lässt Futtermittel analysieren. Die amtliche Futtermittelkontrolle von Agroscope ist auch verantwortlich für die Bewilligung neuer Produkte zur Fütterung landwirtschaftlicher Nutztiere, aber auch von Heimtieren wie Hunde und Katzen. Nationales Referenzlabor für Milch und Milchprodukte Im Auftrag des Bundes unterhält Agroscope seit 1996 das Nationale Referenzlabor (NRL) für analytische Untersuchungen von Milch und Milchprodukten. Das NRL ist in das Netzwerk der EU-Referenzlaboratorien integriert. Amtliche und privatrechtliche Untersuchungen von Rohmilch werden zur Sicherstellung von Qualität und Hygiene (Lebensmittelrecht) durch Vertreterinnen und Vertreter der Milchbranche in der Kommission Milchprüfung koordiniert, in der das NRL beratend vertreten ist. Agroscope erarbeitet Grundlagen und bietet die erforderliche fachliche Vollzugsunterstützung für Bundesämter und kantonale Stellen sowie für private Laboratorien an, dies im Rahmen der Vollzugsmassnahmen gemäss Lebensmittelrecht. Die Anerkennung von Labors in der milchwirtschaftlichen Praxis basiert auf Forschungsarbeiten, auf der Erstellung von Interpretationshilfen, auf Risikobeurteilungen und auf einem bedürfnis­ orientierten Angebot an Referenzanalytik, Proficiency Testings sowie Referenzmaterial. Dadurch ist die Sicherstellung der Qualität von Milch- und Milchprodukten auf der analytisch-technischen Ebene garantiert. Fazit: Science-based und praxisbezogen Das Wort «Vollzugsaufgabe» mag wenig kreativ tönen. Die Realität ist anders. Die Tatsache, dass bei Agroscope neben Vollzugsaufgaben «unter einem Dach» auch Forschung und Entwicklung betrieben wird, ist spannend und herausfordernd und schafft Synergien. Die Aufgaben werden nicht von Expertinnen und Experten am runden Tisch erledigt, sondern von Personen, welche die Realität der Anwender und die neuste technische Ent-

Abb. 2 | Agroscope beprobt und analysiert jährlich rund 1400 Futtermittel. (Foto: ALP-Haras)

wicklung aus eigener täglicher Erfahrung kennen. Wie daraus Synergien enstehen, zeigen die in diesem Artikel genannten Beispiele. Im Spannungsbogen zwischen Berücksichtigung von wissenschaftlichen Untersuchungen und pragmatischer Praxisnähe liegt eine grosse Stärke, aber auch eine Herausforderung für Agroscope und seine Spezialistinnen und Spezialisten: Vollzugsmethoden, Empfehlungen und Entscheide sollen verzögerungsfrei, qualitativ hochstehend, nachvollziehbar und objektiv sein, müssen aber gleichzeitig praktisch und rasch, dem unmittelbaren Bedarf folgend, umsetzbar sein. Oft besteht keine Zeit für lange Untersuchungen. Die in diesem Artikel geschilderten Rahmenbedingungen stellen sicher, dass die Erfüllung der Vollzugsaufgaben bei Agroscope auf wissenschaftlicher Grundlage erfolgt und gleichzeitig effizient, praxisnah und transparent ist. Forschung und Entwicklung einerseits und den Vollzug andererseits unter dem gleichen Dach zu haben, ist eine Chance für die öffentliche Hand, weil sie damit günstig zu technisch qualitativ hochstehenden, umsetzbaren Vollzugsleistungen kommt.

Literatur ▪▪ Schweizerische Eidgenossenschaft. 2010. Verordnung über die landwirtschaftliche Forschung. Zugang: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c915_7.html. ▪▪ Schweizerische Eidgenossenschaft. 2011. NABO: Nationale Bodenbeobachtung. Zugang: www.nabo.admin.ch.

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Wissenschaftliche Grundlagen für die ­Politikberatung Stephan Pfefferli1 und Lukas Bertschinger2 1 Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8356 Ettenhausen 2 Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW, 8820 Wädenswil Auskünfte: Stephan Pfefferli, E-Mail: stephan.pfefferli@art.admin.ch, Tel. +41 52 368 32 02

Säume tragen zur Erhöhung der Biodiversität von Ackerflächen bei. (Foto: ART)

Die in den Jahren 2012 und 2013 aufwandgemäss wichtigsten Aufgaben von Agroscope im Bereich der Politikberatung sind das Agrarumweltmonitoring, der Aufbau des Bodeninformationssystem NABODAT, die Evaluation von Massnahmen zur Förderung der Biodiversität, das Monitoring von Resistenzen bezüglich Streptomycin, die Schliessung von Lücken bei der Zulassung von Wirkstoffen für den Pflanzenschutz, betriebswirtschaftliche Analysen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Politikevaluation im Vorhinein mit quantitativen Modellen. Die Schweizer Agrarpolitik ist ständig gefordert, sich dem ökonomischen, ökologischen und sozialen Wandel der Gesellschaft und im Speziellen der Land- und Ernährungswirtschaft anzupassen. Um die Weichen im Sinne ihres Auftrages im Landwirtschaftgesetz (SR 910.1)

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rechtzeitig zu stellen, brauchen Gesetzgeber und Vollzugsorgane fundiertes Wissen. Die Abschätzung der Auswirkungen geplanter politischer Massnahmen ist ein wichtiger Teil davon. Eines der drei Aufgabengebiete von Agroscope ist gemäss Verordnung für die landwirtschaftliche Forschung (VLF, SR 915.7) «Politikberatung, Expertise, Evaluation und Monitoring». Diese Aufgabe nimmt Agroscope vor allem in den Politikbereichen Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt wahr. Tabelle 1 zeigt, welche der Agroscope Forschungsanstalten in welchem Aufgabengebiet federführend ist. Die Zusammenstellung in Tabelle 1 ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Aufgaben in diesem Gebiet. Der Umfang und die Bedeutung der einzelnen Aufgaben ist unterschiedlich. Nachfolgend werden einige ausgewählte und zurzeit aktuelle Aufgaben exemplarisch beschrieben.


Wissenschaftliche Grundlagen für die ­P olitikberatung | Spezialausgabe

Tab. 1 | Aufgaben der Agroscope Forschungsanstalten im ­B ereich der Politikberatung Forschungsanstalt Artikel VLF

Aufgabengebiet

ACW Art. 6

1. Pflanzenbau und genetische Ressourcen, 2. P flanzenschutz sowie Düngung von Ackerund Spezialkulturen, 3. Qualität und Sicherheit von pflanzlichen Produkten sowie von deren Verarbeitungsprodukten.

ALP-Haras Art. 7

1. Fleisch- und Milchproduktion sowie -verar­beitung, 2. Zucht, Haltung, Fütterung und ernährungsphysio­­ logische Aspekte von Nutztieren einschliesslich ­Bienen, 3. Futtermittel und Futtermittelmarkt.

ART Art. 8

1. Nährstoff- und Ökobilanzen, Gewässer- und ­Bodenschutz sowie Emissionen der Nutztier­ haltung, 2. ökonomische, ökologische und soziale Aus­ wirkungen politischer Massnahmen auf den ­Agrarsektor, 3. Agrarumweltindikatoren.

Quelle: Verordnung vom 27. Oktober 2010 über die landwirtschaftliche Forschung (VLF, SR 915.7)

Agrarumweltindikatoren (AUI), Agrarumweltmonitoring Zur Beurteilung der Agrarpolitik und der Leistungen der Landwirtschaft unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit betreibt das Bundesamt für Landwirtschaft BLW, gestützt auf die Verordnung über die Beurteilung der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft (SR 919.118), ein Agrarumweltmonitoring. Agroscope ist als Kompetenzzentrum Agrarumweltindikatoren für die beiden Indikatortypen «Antriebskräfte1» und «Potentielle Um-weltauswirkungen2» verantwortlich. Zur Zielerreichung werden neben den Strukturdaten jährlich auf mehreren hundert Betrieben auch Bewirtschaftungsdaten erhoben. Um den Aufwand für die datenerfassenden Landwirtinnen und Landwirte tief zu halten, werden die einzelbetrieblichen AUI möglichst nur mit Daten gerechnet, für die zur Beantwortung anderer ökologischer Fragestellungen bereits jetzt eine Erfassungspflicht besteht. Dazu sind alle teilnehmenden Landwirtschaftsbetriebe gleichzeitig in die Zentrale Auswertung von Buchhaltungsdaten integriert. Die Methoden zur Kalkulation der AUI für die Betriebsebene (in den Bereichen Stickstoff, Phosphor, Energie, Klima, Wasser, Boden und Biodiversität), werden von Forschungsteams von ART, ACW und dem Bundesamt für Veterinärwesen BVET entwickelt. Die fachliche Interpretation der standardisierten Auswertungen erfolgt in Zusammenarbeit mit diesen Methodenverantwortlichen. Indikatoren für den Einsatz von Produktionsmitteln, welche Auswirkungen auf die Umwelt haben. 2 Indikatoren für mit Modellen berechnete Umweltwirkungen.

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Evaluation von Massnahmen zur Biodiversität Seit 1993 wird mit agrarpolitischen Massnahmen im Rahmen des ökologischen Ausgleichs dem Verlust an Biodiversität auf landwirtschaftlich genutzten Flächen entgegengewirkt. Die Massnahmen zeigen in Tallagen eine moderat positive Wirkung (Herzog und Walter 2005). In den Berggebieten ist die Arten- und Lebensraumvielfalt im Vergleich zum Potenzial auf einem deutlich höheren Niveau als in den Tallagen. Der Rückgang konnte hier jedoch nur gebremst, aber nicht gestoppt werden (Walter et al. 2010). Die Forschung unterstützt die politischen Prozesse durch Ziel- und Handlungswissen. Mit dem zunehmenden Rückgang der landwirtschaftlichen Biodiversität stellt sich vermehrt die Frage nach ihren Funktionen wie Bestäubung, Nützlingsförderung, Bodenfruchtbarkeit, Ertragsbildung. Die landwirtschaftliche Produktion ist darauf angewiesen, dass diese Funktionen auch in Zukunft erbracht werden. Damit die Funktionen der Biodiversität gefördert werden können, muss bekannt sein, welche Organismen welche Funktionen erbringen und wie sie gesteuert werden. Dazu sind sowohl Grundlagen- als auch anwendungsorientierte Forschung notwendig. Quantitative Modelle zur Politikevaluation Um die Auswirkungen geplanter agrarpolitischer Massnahmen abzuschätzen, sind quantitative ökonomische Modelle zentral. Von der Einführung und Weiterentwicklung der Direktzahlungen (Zimmermann et al. 2011), dem Ausstieg aus der Milchkontingentierung bis zum Freihandel mit der EU hat Agroscope für alle wichtigen agrarpolitischen Szenarien berechnet, wie sich das Produktionsportfolio, die Direktzahlungen, bestimmte ökologische Parameter, das Agrarpreisniveau sowie das ­Einkommen der Schweizer Landwirtschaft entwickeln könnten. Für diese ex ante Evaluationen (Evaluationen im Vorhinein) werden zurzeit drei Modelle eingesetzt: 1. Das Sektormodell SILAS in Kombination mit einem Marktmodell, das zur Vorhersage der Preise der landwirtschaftlichen Produkte verwendet wird. 2. Das in den letzten Jahren neu entwickelte Modell SWISSland. Dieses beruht auf einzelbetrieblichen Daten und ist im Gegensatz zu SILAS in der Lage, die Auswirkungen verschiedener Szenarien auf den Strukturwandel zu berechnen. 3. Das regionenbasierte EU-Modell CAPRI, das ähnlich aufgebaut ist wie SILAS und mit dem die Interaktionen zwischen der Schweiz und den EU-Ländern im Agrarbereich berechnet werden können. Mit Hilfe dieser Modelle lassen sich in verhältnismässig kurzer Zeit die wirtschaftlichen und immer mehr auch die ökologischen Auswirkungen verschiedener Sze narien simulieren.

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Spezialausgabe | Wissenschaftliche Grundlagen für die ­P olitikberatung

Betriebswirtschaftliche Analysen Die Reduktion der Produktionskosten ist zurzeit eine der bedeutendsten Herausforderungen der Schweizer Landwirtschaft. Im Vergleich zu den Nachbarländern sind die Produktionskosten in der Schweiz deutlich höher. Anhand von Kostenanalysen (Vollkostenrechnungen auf der Basis von Betriebsbuchhaltungen, Kostenkalkulationen, internationale Kostenvergleiche) werden Möglichkeiten zur Kostenreduktion auf den Stufen Verfahren, Betriebszweig und Betrieb aufgezeigt. Mittels einer Produktivitätsanalyse auf der Basis von Buchhaltungsergebnissen sollen Ursachen ermittelt werden, die für die einzelbetriebliche Effizienz von entscheidender Bedeutung sind. Den betrieblichen Auswirkungen einer zunehmenden Verlagerung weg von der Landwirtschaft und hin zum Nebenerwerb soll in einer Analyse der Nebenerwerbsbetriebe nachgegangen werden. Dabei interessiert sowohl der Arbeitsverdienst aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit als auch die Zusammensetzung des ausserbetrieblichen Einkommens. Als Hauptziel des Projektes sollen den Landwirtschaftsbetrieben, der Beratung sowie der Verwaltung auf Stufe Bund und Kantone Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung gestellt werden, die einen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit leisten. Bodeninformationssystem NABODAT Bodeninformationen sind unerlässlich für den gezielten Bodenschutz, das Ressourcenmanagement und die Umweltberichterstattung. Die Aufarbeitung bestehender analoger und digitaler Bodendaten in der Schweiz, die Betreuung und Pflege in einem Bodeninformationssystem bis zur räumlichen Auswertung von Bodeneigenschaften zur Generierung von Anwenderkarten und zur Inwertsetzung von Bodendaten stellt eine lange und eng verknüpfte Wertschöpfungskette dar. Kernstück ist das nationale Bodeninformationssystem NABODAT (Abb. 1), das im Frühjahr 2011 in die Betriebsphase ging. Der Arbeitsschwerpunkt Mapping der nationalen Bodenbeobachtung NABO verknüpft auf effiziente Weise diese Teilschritte und hat hierzu in den letzten Jahren auf den drei Ebenen Bodendaten, Bodeninformationssystem und Anwenderkarten wichtige Aufbauarbeit geleistet. Dank NABODAT wird es in Zukunft möglich, dass alle Bundesstellen und kantonale Ämter ihre räumlichen Bodendaten in einer zentralen Bodendatenbank verwalten können. Dieser Schritt stellt eine wesentliche Erleichterung im Hinblick auf harmonisierte schweizweite Auswertungen dar und ist sowohl für die Forschung als auch für den Vollzug und die Politikberatung äusserst wichtig.

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Abb. 1 | NABODAT fasst die vorhandenen Bodeninformationen in einer Datenbank zusammen. (Foto: ART)

Lückenindikationen Pflanzenschutzmittel Fehlende Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln bei Kulturen mit relativ kleiner Anbaufläche (Lückenindikationen) behindern beispielsweise den Gemüse- und Beerenbau. Damit dennoch Produkte betroffener Kulturpflanzen aus nachhaltigem Schweizer Anbau zur Verfügung stehen, befasst sich Agroscope damit, solche Lücken zu schliessen – entweder durch Mithilfe bei der Beschaffung der Versuchsdaten, die für Zulassungen notwendig sind, oder durch eigene Versuche. Diese Arbeit wird durch die Branchen finanziell unterstützt. In über 20 Kulturen sind bereits Erfolge sichtbar. So konnte zum Beispiel die Bewilligungssituation bei Fungiziden zur Bekämpfung des Falschen Mehltaus der Salate wesentlich verbessert werden. Bis anhin sahen sich Salatproduzenten damit konfrontiert, dass gute Fungizide nur für den Einsatz beim wichtigsten Salattyp Kopfsalat bewilligt waren, nicht aber für weitere Salattypen, wie Eichblatt, Lollo oder Endivie. Damit wurden Behandlungen gegen die wichtigste Krankheit der Salate praktisch unmöglich, sobald mehrere Salattypen im gleichen Feld gepflanzt wurden. In der Folge wurden fehlende Rückstandsdaten zu drei wirkungsvollen Pflanzenschutzmitteln beschafft, was Bewilligungen für alle Salattypen erlaubte. Damit wurde eines der grösseren Pflanzenschutzprobleme der Schweizer Gemüseproduzenten dank dem gemeinsamen Einsatz aller Beteiligten (Branche, Agroscope, Firmen, Behörden) zufriedenstellend gelöst (Baur et al. 2006). Monitoring von Streptomycin Resistenzen Feuerbrand ist eine Bakterienkrankheit (Erreger Erwinia amylovora), die im Kernobst zu sehr grossen Schäden führen kann. Diese Quarantänekrankheit hat sich in den letzten Jahren in der Ost- und Zentralschweiz regional besorgniserregend etabliert, wobei je nach Witterung von Jahr zu Jahr grössere Schwankungen des Befalls beobachtet werden können. Eine nachhaltige und effek-


Wissenschaftliche Grundlagen für die ­P olitikberatung | Spezialausgabe

tive Bekämpfungsmethode mit Pflanzenschutzmitteln ist weltweit nicht vorhanden. Die Eindämmung des Feuerbrandes und das «Leben mit dem Feuerbrand» beruht daher in der Schweiz auf einer breiten Palette flankierender und integrierender Massnahmen. Blüteninfektionsprognosen und ein Warndienst, die Diagnose bei befallsverdächtigen Pflanzen, eine gute Kommunikation und die Forschung zur Entwicklung nachhaltiger Managementstrategien werden miteinander verknüpft. Der Einsatz von Streptomycin zur direkten Bekämpfung des Erregers ist unter restriktiven Bedingungen bei hohem Infektionsrisiko seit 2008 zugelassen. Das Risiko der Bildung von resistenten Bakterien und eine allfällige Übertragung der Resistenz auf Mensch und Tier wird durch die erwähnten restriktiven Auflagen minimal gehalten, bleibt aber in einem biologischen System natürlicherweise ein Vorkommnis, das nicht zu hundert Prozent ausgeschlossen werden kann. Aus diesem Grund führt Agroscope im Auftrag des Bundes (Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit EFBS) ein interdisziplinäres Streptomycin-Monitoringprojekt in Obstanlagen durch. Dabei wird der agronomische Einsatz von Antibiotika hinsichtlich Resistenzbildung beim Erreger und bei der allgemeinen Mikroflora überwacht. Entwicklungstendenzen der Politikberatung Die Probleme, mit denen sich eine wissensbasierte Politik befassen muss, werden auf Grund der Globalisierung und der intensiven Vernetzung und Mobilität der Akteure immer komplexer. In den Politikbereichen Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt bestehen vielfältige Zusammenhänge, die oft nur mit inter- und transdisziplinären Ansätzen angegangen werden können. Der Herausforderungen sind viele: Die Politik verlangt nach möglichst einfachen Massnahmen. Die Forschung muss Zusammenhänge zwischen Ursachen und Wirkungen aufzeigen. Die Politik ist oft von aktuellen Fragestellungen dominiert, die Forschung ist mittel- bis langfristig ausgelegt. Bis sich die Auswirkungen von agrar- und umweltpolitischen Massnahmen in der Praxis empirisch nachweisen lassen, haben die Rahmenbedingungen und die Massnahmen oft bereits wieder geändert. Die Forschung, welche wissenschaftliche Grundlagen für politische Entscheide liefert, stellt sich diesen Herausforderungen. Mit quantitativen Modellen lassen sich die möglichen Auswirkungen von Massnahmen und Rahmenbedingungen berechnen, bevor diese in der realen Welt sichtbar werden. Aussagekräftige quantitative Modelle und Anwendungen benötigen in der Regel viele und differenzierte Daten, damit sie validiert werden können. Monitoringdaten helfen, diesen Datenbedarf zu decken.

Tab. 2 | Bedeutung der Aufgaben aufgrund der geplanten Arbeitstage 2012–2013 Forschungsanstalt(en)

Arbeitstage pro Jahr

ART, ACW, BVET

1000

Lückenindikationen Pflanzenschutzmittel

ACW

670

Evaluation Massnahmen zur Biodiversität

ART

500–600

Betriebswirtschaftliche Analysen

ART

575

Bodeninformationssystem NABODAT

ART

450

Quantitative Modelle zur Politikevaluation

ART

400

Monitoring von Resistenzen bezüglich Streptomycin

ACW

90

Aufgabe Agrarumweltindikatoren (AUI), Agrarumweltmonitoring

Fazit Die Abgrenzung zwischen Forschung einerseits und Politikberatung anderseits ist nicht immer klar. Wissenschaftliche Politikberatung stützt sich jedoch immer auf Forschungsergebnisse ab. Eine Zusammenstellung der wichtigsten aktuellen Aufgaben im Bereich der Politikberatung, für die von den Agroscope Forschungsanstalten in den Jahren 2012 und 2013 mehr als 80 Arbeitstage pro Jahr eingesetzt werden sollen, zeigt Tabelle 2. Von den drei Agroscope Forschungsanstalten ist ART am stärksten in der Politikberatung tätig, und zwar vorwiegend im ökonomischen und ökologischen Bereich. Hauptkunden sind das Bundesamt für Landwirtschaft BLW und das Bundesamt für Umwelt BAFU. n

Literatur ▪▪ Baur R., Heller W. & Neuweiler R., 2006. Lückenindikationen: Weitere ­Erfolge sichtbar. Der Gemüsebau/Le Maraîcher 5/2006. ▪▪ Herzog F. & Walter T., 2005. Evaluation der Ökomassnahmen, Bereich Biodiversität. Schriftenreihe der FAL 56, 208 S. ▪▪ Walter T., Klaus G., Altermatt F., Ammann P., Birrer S., Boller B., Capt S., Eggenschwiler L., Fischer J. Gonseth Y., Grünig A., Homburger H., Jacot K., Kleijer G., Köhler C., Kohler F., Kreis H., Loser E., Lüscher A., Meyer A., Murbach F., Rechsteiner C., Scheidegger C., Schierscher B., Schilperoord P., Schmid H., Schnyder N., Senn-Irlet B., Suter D., Zbinden N. & Zumbach S. 2010. Landwirtschaft in: Lachat T., Pauli D., Gonseth Y., Klaus G., Scheidegger C., Vittoz P. & Walter T. 2010. Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900. Ist die Talsohle erreicht? Zürich Bristol-Stiftung; Bern, Stuttgart, Wien, Haupt. S. 64 – 122. ▪▪ Zimmermann A., Möhring A., Mack G., Mann S., Ferjani A. & Gennaio Franscini M.-P., 2011. Die Auswirkungen eines weiterentwickelten Direktzahlungssystems : Modellberechnungen mit SILAS und SWISSland. ARTBerichte 744, 1 – 16.

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S p e z i a l a u s g a b e

Forschung, Entwicklung, Beratung – Schweizer Erfolgsrezept Paul Steffen1, Denise Tschamper1 und Ulrich Ryser2 Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8046 Zürich 2 Agridea, CH-1006 Lausanne / CH-8315 Lindau Auskünfte: Paul Steffen, E-Mail: paul.steffen@art.admin.ch, Tel. +41 44 377 72 70 1

Abb. 1 | Züchtungsgarten Apfel. (Foto: ACW)

Globale und auf die Schweiz bezogene Herausforderungen sind die treibenden Kräfte der Schweizer Agrarforschung. Im Fokus der nächsten zwei Dekaden stehen die Sicherung der Nahrungsmittelproduktion, die umweltund tiergerechte Produktion sowie der schonende und effiziente Einsatz von natürlichen Ressourcen. Der Schweizer Landwirtschaft wird durch einen praxisorientierten Wissenstransfer und gezielte Beratung geholfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit auch unter erschwerten Marktbedingungen zu erhalten.

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Zahlreiche Herausforderungen prägen unsere Zeit. Gemäss Schätzungen der FAO nimmt die Nachfrage nach Nahrungsmitteln global bis 2030 um 50 Prozent zu. Grund dafür ist die Bevölkerungsentwicklung. Auch die Schweizer Wohnbevölkerung wird gemäss Prognosen des Bundesamtes für Statistik von heute 7,8 auf 8,6 Millionen Personen im Jahr 2025 steigen. Zudem ändern sich die Ernährungsgewohnheiten in vielen Ländern: einerseits ernähren wir uns mehr und immer öfters ausser Hause, zudem steigt die Nachfrage nach tierischen


Forschung, Entwicklung, Beratung – Schweizer Erfolgsrezept | Spezialausgabe

Produkten und zugleich möchten wir mehr Informationen über die verarbeiteten Produkte. Andererseits ist auch ein Trend zu gesunder Ernährung und eine erhöhte Nachfrage nach Bioprodukten festzustellen. Steigender Nahrungsmittelbedarf unter verknappten, nicht-erneuerbaren und natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser, Biodiversität sind eine grosse Herausforderung. Betroffen ist die Landwirtschaft bei den Düngern wie Phosphor und Stickstoff, die zentral sind für die Lebensmittelproduktion. Guter Ackerboden wird immer knapper und durch den Klimawandel stellen sich bezüglich Wasser, Sorten und Krankheiten in der Pflanzenproduktion neue Fragen. Schliesslich ist die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft eng gekoppelt mit Innovationskraft, Anpassungsfähigkeit und der wirtschaftspolitischen Entwicklung. Die Schweizer Agrarforschung und Beratung orientieren sich an diesen Herausforderungen und suchen nach Lösungen für die hiesige Landwirtschaft. Dabei übernehmen die Agroscope-Forschungsanstalten als Kompetenzzentren des Bundes im Bereich der Agrarforschung eine zentrale Rolle. Die landwirtschaftliche Beratung ihrerseits fokussiert auf die praxisgerechte Aufbereitung zahlreicher Forschungsergebnisse. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik ist die Forschung von Agroscope durch einen lösungsorientierten und praxisnahen Ansatz gekennzeichnet. Hier treffen durch die interdisziplinäre Vorgehensweise biologisch-ökologische, wirtschafts- und sozialwissenschaftliche sowie ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen zusammen. Hinzu kommt eine ganzheitliche Systembetrachtung, die Praxiswissen, Anwender und Interessengruppen einbezieht.

Tab. 1 | Foren für den Austausch zwischen Forschung und Praxis Lead Gemüse, Kern- und Steinobst, Beeren, Viti-Vinicole Suisse, Ackerbau , Zier-, Medizinal- und ­Gewürzpflanzen, Proficrops

ACW

Milch- und Fleischproduktion, Fleischverarbeitung, Bienen, Pferde, NutriScope

ALP-Haras

Biolandbau, Acker- und Futterbau, Agrartechnik, AlpFutur, ­Agrimontana

ART

So bestehen zahlreiche, spezifische Fach-Foren, in denen Forschung und Praxis zusammen kommen, um über die aktuell wichtigsten Fragen und Ergebnisse von Projekten zu diskutieren und den künftig dringendsten Forschungs- und Entwicklungsbedarf abzuleiten (Tab. 1). Die Zusammensetzung der Foren variiert von Thema zu Thema, umfasst in der Regel aber die ganze Breite von der Produktion, über die Verarbeitung, Industrie bis hin zum Konsumenten. Damit ist gewährleistet, dass Forschung und Entwicklung nicht losgelöst von der Praxis agieren, sondern gemeinsam Probleme und Lösungen gesucht werden. Frühzeitig erkennen Im aktuellen Arbeitsprogramm von Agroscope sind etwa 60 % reine Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Ganz wichtig ist dabei die frühzeitige Beurteilung neuer Methoden und Technologien wie Gentechnologie, Robotik, Precision Farming oder von Nützlingen zur Schädlingsbekämpfung. In diesem Sinne hat sich Agroscope auch mit zwei Freilandversuchen zu Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen stark engagiert und wird die Wirkung von Nanomaterialien auf Bodenmikroorganismen und Nutzpflanzen untersuchen. Unter dem Stichwort Cleantech bearbeitet Agroscope auch die Zukunftstechnologien. Sicherung der Nahrungsmittelproduktion Zahlreiche Projekte von Agroscope widmen sich der Sicherung der Nahrungsmittelproduktion der Zukunft. Dafür braucht es eine starke Pflanzenbauforschung, die eine zukunftsgerichtete Züchtung von Acker- und Futterpflanzen betreibt, und sich dem Obst-, Wein-, Gemüse-, Beeren-, Medizinal- und Gewürz- sowie Zierpflanzenanbau widmet. Dabei geht es beispielsweise um die Entwicklung neuer Sorten, die den veränderten Umweltbedingungen wie Trockenheit, neuen Schädlingen und Krankheiten gewachsen sind und zugleich einen grösseren Ertrag und hervorragende Qualitätseigenschaften liefern. Dies braucht einen langen Atem, denn die Züchtung einer neuen Sorte, ob Weizen, Apfel, Klee oder Soja braucht von der Kreuzung bis zur Markteinführung mindestens 12 Jahre (Abb. 1). Ebenso wichtig sind die Milchund Fleischproduktion sowie die sich daran anschliessende Verarbeitung. Das Grasland Schweiz mit den saftigen grünen Wiesen und Weiden bildet die Grundlage für eine naturnahe und tiergerechte Fütterung. Im Bereich der Milchproduktion geht es primär darum, den Landwirtinnen und Landwirten optimale Empfehlungen für die Fütterung zu geben und damit zu hochwertigen Produkten beizutragen. Bei der Verarbeitung von Milch zu Käse unterstützt die Forschung mit Weiterentwicklun- 

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Spezialausgabe | Forschung, Entwicklung, Beratung – Schweizer Erfolgsrezept

gen das hohe Know-how der Käsebranche. In letzter Zeit konnte Agroscope der Käsebranche eine Methode zur Verfügung stellen, welche einen einwandfreien Herkunftsnachweis erlaubt. Damit können sowohl der Produzent wie auch der Konsument vor Täuschung und Betrug geschützt werden (Abb. 2). Schliesslich müssen die pflanzlichen und tierischen Produkte gesundheitlich hohen Anforderungen entsprechen und frei von jeglichen Rückständen sein. Agroscope sorgt für eine hohe Produktqualität indem wir Tierernährungs- und Hygienegrundlagen schaffen.

Umwelt- und tiergerechte Produktion Spezifische Umweltstandards und eine gezielte Tierschutzgesetzgebung prägen unsere Landwirtschaft. Daran gekoppelt sind der ökologische Leitungsnachweis (ÖLN) und die Direktzahlungen an die Betriebe. Umweltgerecht oder ökologisch zu produzieren, verlangt die natürlichen Lebensgrundlagen möglichst zu schonen. Zum einen sollen die Belastungen von Boden, Wasser und Luft bei der Produktion verringert werden, zum andern Leistungen erbracht werden, die sich positiv auf die biologische Vielfalt und das Landschaftbild auswirken (Abb. 3). Agroscope entwickelt daher Grundlagen für den Pflanzenschutz und sucht nach natürlichen Schädlingsregulationen im Acker- und Futterbau. Die Forschungsanstalten von Agroscope beurteilen auch die Wirkung von Schadstoffen wie Mykotoxinen in der Umwelt und in den Ernteprodukten und liefern Empfehlungen, wie diese durch die Fruchtfolge und Sortenwahl minimiert werden können. Aktuell ist auch die Feuerbrandbekämpfung – eines schaderregenden Bakteriums. Dabei wird intensiv nach einer nachhaltigen Alternative zur Verwendung von Streptomycin zur Bekämpfung des Bakteriums geforscht. Das Entwickeln nachhaltiger Produktionssysteme - der Biolandbau ist eine Variante - hat zum Ziel, die Nachhaltigkeit der Produktion zu sichern. Solche Systeme werden sowohl für die Hauptproduktionsregionen und Betriebstypen als auch für die Berglandwirtschaft oder Randregionen entwickelt. Damit die Biodiversität in der Schweiz und im kultivierten Landwirtschaftsland erhalten bleibt, sind Grundlagen und Umsetzungshilfen nötig, mit denen in der Praxis zielgerichtet gearbeitet werden kann. Erste Evaluationen zeigen, dass der Verlust von Vielfalt bei Pflanzen und Tieren reduziert werden konnte und dass es lokal Verbesserungen gibt. Diese Systemkenntnisse konnten

Abb. 3 | Vielfältige Landschaften sichern die Biodiversität und sind ein Mehrwert für den Tourismus. (Foto: ART)

Abb. 4 | Die tiergerechte Haltung hat in der Schweiz einen hohen Stellenwert. (Foto: ART)

Abb. 2 | Emmentaler-Käse. (Foto: ALP-Haras)

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Forschung, Entwicklung, Beratung – Schweizer Erfolgsrezept | Spezialausgabe

mit der Beratung ihre Umwelt Management-Instrumente weiter, in denen auch die wirtschaftlichen Aspekte von Produktionsverfahren berücksichtigt werden.

Abb. 5 | Immer grössere Traktoren und Kombinationen können dem Boden schaden. Schonende Bearbeitungsmethoden sind daher sehr wichtig. (Foto: ART)

in die Erforschung des Phänomens der Völkerverluste bei den Bienen integriert werden. In den internationalen Forschungsnetzwerken führte dieser ganzheitliche Ansatz dazu, dass Agroscope eine führende Rolle einnehmen konnte. Tiergerecht produzieren bedeutet, für das Wohl der Tiere zu sorgen und ihnen ein artgerechtes Umfeld zu schaffen. Mit dieser Optik werden durch Agroscope neue Haltungssysteme geprüft und bewilligt sowie die Haltung von Kühen, Schafen, Ziegen, Schweinen oder Pferden erforscht. Heute können drei Viertel der Nutztiere regelmässig ins Freie, zweieinhalb Mal so viele wie vor zehn Jahren (Abb. 4). Ressourcen schonend und effizient einsetzen Der effiziente und sachgemässe Einsatz der Produktionsmittel sowie der schonende Umgang mit dem Boden sind für die Landwirtschaft ein vordringliches Ziel. Ein wichtiger Aspekt betrifft hierbei die standortund pflanzengerechte Düngung. Dazu liefert Agroscope durch ihre angewandte Forschung Grundlagen für Empfehlungen an die Praxis. Ein langfristiges, unabdingbares Ziel ist auch der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit für künftige Generationen. Beispielsweise stellt sich die Frage, wo die Grenze der gewichtsmässigen Belastung eines Bodens liegt, ohne dass er durch Verdichtung einen irreversiblen Schaden nimmt. Dies ist eine Frage, die sich durch den Einsatz immer grössere Maschinen ergibt. Für die ­Praxis werden daraus Anwendungshilfsmittel in unterschiedlicher Form (Daten, Modelle, Anleitungen) bereit­ gestellt (Abb. 5). Insgesamt geben Ökobilanzen über die schonende und effiziente Nutzung der Ressourcen Auskunft. Und für die ökonomisch-ökologische Optimierung der Landwirtschaftbetriebe entwickelt Agroscope zusammen

Bindeglied Beratung Die landwirtschaftliche Beratung ist eine zentrale Drehscheibe im landwirtschaftlichen Wissenssystem. Dank dem zweistufigen Aufbau (AGRIDEA/Kantonale Beratungen) agiert die landwirtschaftliche Beratung schweizerisch, mit einer sehr guten regionalen Verankerung. Dies stellt eine hohe Akzeptanz und den effizienten ­Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis sicher. Zudem wird die Erreichung der agrarpolitischen Ziele massgebend positiv beeinflusst, da die Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen rasch praxisgerecht auf­ bereitet und mit Hilfsmitteln ergänzt wird. Doch werden die Bauernfamilien auch im Tagesgeschäft unterstützt. Mit massgeschneiderter strategischer Planung sowie Beratung in der Produktionstechnik wird die betriebliche Entwicklung aktiv gefördert. Insbesondere gemeinsame Kampagnen der Forschung, der Beratung und der Produzenten erzielen nachhaltige Verbesserungen auf den Landwirtschaftsbetrieben. Die Schweiz verfügt mit dem gut vernetzten landwirtschaftlichen Wissenssystem über ein vorzügliches Instrument, um die Multifunktionalität der Landwirtschaft positiv zu beeinflussen. Damit wird nicht nur die Nahrungsmittelproduktion erhalten, sondern auch eine intakte Kulturlandschaft gesichert (Abb. 6). n

Abb. 6 | Durch die Beratung gelangen neue Forschungserkennt­ nisse in die Praxis. (Foto: Agridea)

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P f l a n z e n b a u

Fusarien und Mykotoxine bei Körnermais in der Schweiz Tomke Musa, Eveline Jenny, Hans-Rudolf Forrer und Susanne Vogelgsang Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8046 Zürich Auskünfte: Tomke Musa, E-Mail: tomke.musa@art.admin.ch, Tel. +41 44 377 72 39 schädlich sind. Aus der Literatur geht hervor, dass Mais oft das am stärksten belastete Getreide ist (Munkvold 2003). Im Vergleich zu Weizen wird Mais von einer grösseren Anzahl an Fusarium-Arten befallen und das Spektrum an Mykotoxinen ist breiter (Dorn et al. 2009, Desjardins 2006). Dadurch kann das Erntegut gleichzeitig mit mehreren Toxinen belastet sein. Eine erste, lokal und auf Sortenversuchen begrenzte Maisuntersuchung der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART in den Jahren 2005 bis 2007 (Dorn et al. 2009) hat gezeigt, dass die Körnermais-­ Proben von einer Vielzahl an Fusarium-Arten befallen waren und bei den untersuchten Proben zum Teil sehr hohe Mykotoxin-Gehalte auftraten. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde über drei Jahre ein schweizweites Körnermais-Monitoring mit Praxisproben durchgeführt.

Abb. 1 | Kolben- und Stängelfäule auf Mais, verursacht durch ­F usarium -Befall. (Fotos: ART)

Einleitung In der Schweiz wird auf zirka 17 000 ha Körnermais angebaut und hauptsächlich – wie auch Silomais – zur Fütterung von Nutztieren verwendet. Verschiedene Krankheitserreger und Schädlinge befallen den Mais, darunter auch Schimmelpilze der Gattung Fusarium. Fusarien können sowohl Kolben als auch Stängel und Wurzeln befallen und verursachen Kolben- oder Stängelfäule (Abb. 1). Der Befall führt einerseits zu Ertragsund Qualitätsverlusten, andererseits produzieren Fu­sarien giftige Stoffwechselprodukte, so genannte Mykotoxine, welche für Mensch und Tier gesundheits-

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Körnermais-Proben aus der Praxis Ziel dieses Monitorings war es, repräsentative Aussagen über das Auftreten und die Bedeutung der einzelnen Fusarium-Arten sowie das Risiko für Mykotoxin-Belastungen von Körnermais in der Schweiz machen zu können. Zusätzlich sollten Faktoren, welche den Befall beeinflussen, identifiziert werden, um Empfehlungen für die Praxis abzuleiten. Im Vergleich zu Weizen stehen solche noch nicht zur Verfügung. Die Nachfrage ist in der Praxis jedoch gross, da auch für Mais und Maisprodukte für Futtermittel seit April 2008 entsprechende Richtwerte für die Mykotoxine Deoxynivalenol (DON), Zearalenon (ZEN) und Fumonisine (FUM) gelten (Tab. 1).

Material und Methoden Die teilnehmenden Landwirte erhielten eine Anleitung zur Probenahme des Erntegutes, um eine repräsentative Stichprobe zu gewährleisten. Zudem erhielten sie einen Fragebogen, in welchem sie die spezifischen Angaben zur angebauten Maissorte, Vor- und Vorvorfrucht, Bodenbearbeitung, Saat- und Erntetermin, MaiszünslerBefall, Fusarium-Befall, Hagelauftreten und Düngersowie Herbizid-Einsatz festhielten. In den Jahren 2008 und 2009 standen Proben aus 14 Kantonen und im Jahr


2010 aus 12 Kantonen zur Verfügung: AG, BE, FR, JU, LU, NE, SG, SH, SO, TG, TI, VD, VS, ZH. Die erhaltenen Proben wurden drei Tage bei 35°C getrocknet. Anschliessend wurde mit einem Riffelteiler eine repräsentative Stichprobe von 200 Körnern für die Untersuchung auf Fusarium-Befall gezogen. Die Körner wurden oberflächlich sterilisiert und in einem mehrstufigen Labor-Gesundheitstest ausgelegt. Die Fusarium-Arten wurden mikroskopisch anhand der morphologischen Merkmale der Sporen und des Koloniewachstums auf den Agarplatten bestimmt (Nelson et al. 1983, Leslie und Summerell 2006). Der Anteil der verschiedenen Fusarium-Arten am gesamten Befall wurde durch Auszählen der auf den Agarplatten gewachsenen Pilzkolonien ermittelt. Aus den Proben der drei Jahre wurden aus 289 eingesandten Körnerproben insgesamt 57 800 Maiskörner ausgelegt und daraus 6482 Fusarium-Isolate gewonnen. Für die Ermittlung der Mykotoxin-Belastung wurden die Proben fein gemahlen und die Mykotoxine extrahiert. Mit einem EnzymImmuntest (ELISA® Ridascreen) wurde der DON-, ZENund FUM-Gehalt in den Extrakten gemessen.

Resultate und Diskussion Fusarium-Befall in Körnermaisproben Im Jahr 2008 wiesen 14 % aller untersuchten Maiskörner Fusarium-Befall auf, in den Jahren 2009 und 2010 waren es 22 % beziehungsweise 31 %. Der FusariumBefall der Körner in den einzelnen Proben variierte zwischen 0 bis 100 % Befall. In den drei Jahren wurden 16 Fusarium-Arten identifiziert und die grosse Artenvielfalt, welche bereits in der ersten, lokal begrenzten Agroscope ART Mais-Studie gefunden wurde (Dorn et al. 2009) bestätigt (Tab. 2). In allen drei Jahren traten die folgenden Arten am häufigsten auf: F. graminearum, F. verticillioides, F. subglutinans, F. proliferatum und F. crookwellense (Abb. 2). Wie aus Abbildung 2 ersichtlich ist, konnte ein deutlicher Jahreseffekt in der Häufigkeit ihres Auftretens festgestellt werden. 2008 dominierte mit 42 % F. graminearum, während im Jahr 2009 die vier erst genannten Arten in fast gleichen Verhältnissen auftraten. Im Jahr 2010 traten F. graminearum und F. verticillioides häufiger als die anderen Arten auf. Solche Jahreseffekte wurden auch in Studien aus Deutschland, Belgien und der Schweiz beschrieben (Goertz et al. 2010; Scauflaire et al. 2011; Dorn et al. 2011). Das unterschiedliche Auftreten der Arten könnte mit der Witterung erklärt werden. Vor allem F. verticillioides tritt vermehrt bei trockenen und heissen Bedingungen auf, während F. graminearum eher bei feuchter und etwas kühlerer Witterung dominiert.

Zusammenfassung

Fusarien und Mykotoxine bei Körnermais in der Schweiz | Pflanzenbau

Zwischen 2008 und 2010 führte die Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART ein erstes schweizweites Körnermais-Monitoring mit Proben aus der Praxis durch. Ziel der dreijährigen Studie war es einerseits, das Vorkommen und die Bedeutung der verschiedenen Fusarium-Arten abzuklären, um das mögliche Mykotoxin-Risiko abzuschätzen. Andererseits sollten Anbaufaktoren, welche den Befall beeinflussen, identifiziert werden, um Empfehlungen zur Vermeidung von hohen Mykotoxin-Belastungen für die Praxis zu erarbeiten. Bei der Untersuchung der insgesamt 289 Körnermaisproben aus 14 Kantonen wiesen 22 % der Körner Fusarium-Befall auf und es wurden 16 verschiedene Fusarium-Arten festgestellt. Es dominierten die vier Arten Fusarium graminearum, F. subglutinans, F. verticillioides und F. proliferatum. In unserer Untersuchung zeigte sich, dass vor allem Kontaminationen mit dem Mykotoxin Deoxynivalenol eine grosse Rolle spielten: In den Jahren 2008 und 2010 überschritten 57 % beziehungsweise 70 % der KörnermaisProben den Richtwert von 0,9 ppm für Ergänzungsund Alleinfuttermittel für Schweine. Im Jahr 2009 überschritten 30 % diesen Richtwert. Die Belastung mit den anderen Mykotoxinen war deutlich geringer: Im Mittel der drei Jahre wiesen 19 % und nur 2 % der Proben kritische Gehalte von Zearalenon beziehungsweise Fumonisinen auf. Bezüglich Befall beeinflussender Faktoren können trotz umfassendem Datensatz vorerst nur allgemeine Empfehlungen gegeben werden.

Mykotoxin-Belastung der Körnermaisproben Dieser Jahreseffekt spiegelte sich auch in der MykotoxinBelastung der Proben wider: In den Jahren 2008 und 2010, in denen die DON produzierenden Arten F. graminearum und F. crookwellense dominierten, erreichten oder überschritten 57 % beziehungsweise 70 % der Proben den für Allein- und Ergänzungsfuttermittel empfohlenen Richtwert für Schweine von 0,9 ppm, 2009 waren dies hingegen «nur» bei 30 % der Proben der Fall (Abb. 2). Anhand dieser Resultate wird deutlich, dass das DON-Belastungsrisiko bei Körnermais sehr hoch ist. Diese Belastung ist von grosser Bedeutung, da der auf dem Betrieb produzierte Körnermais oftmals ohne vorhergehende Mykotoxinanalyse direkt zur Fütterung der Nutztiere verwendet wird. Somit bleiben allfällige Mykotoxinbelastungen unbemerkt und stellen ein Risiko  für die Tiergesundheit dar.

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Pflanzenbau | Fusarien und Mykotoxine bei Körnermais in der Schweiz

Tab. 1 | Richtwerte zur Fütterung von Mais-Erzeugnissen (Quelle: Amtsblatt der Europäischen Union, 23.8.2006, L 229/7)

Mykotoxin

Deoxynivalenol

Richtwert in ppm für ein Futtermittel mit einem Feuchtegehalt von 12 %

Zur Fütterung bestimmte Erzeugnisse – Maisnebenprodukte

12

– Ergänzungs- und Alleinfuttermittel ausser:

5

• für Schweine

0,9

• für Kälber (< 4 Monate), Lämmer und Ziegenlämmer

2

– Maisnebenprodukte

3

– Ergänzungs- und Alleinfuttermittel: Zearalenon

• für Ferkel und Jungsauen

0,1

• für Sauen- und Mastschweine

0,25

• für Kälber, Milchkühe, Schafe inkl. Lämmer und Ziegen inkl. ­Ziegenlämmer

0,5

– Mais und Maiserzeugnisse*

60

– Ergänzungs- und Alleinfuttermittel für: Fumonisine B1 + B2

• Schweine, Pferde, Kaninchen und Heimtiere

5

• Fische

10

• Geflügel, Kälber (< 4 Monate), Lämmer und Ziegenlämmer

20

• Wiederkäuer (> 4 Monate) und Nerze

50

* Der Begriff «Mais und Maiserzeugnisse» umfasst nicht nur die aus Mais gewonnenen Futtermittel-Ausgangserzeugnisse, sondern auch andere aus Mais gewonnene Futtermittelerzeugnisse, vor allem Silomais, Maisgrünfutter- und -raufutter.

Die gemessene Belastung mit ZEN war im vorliegenden Körnermais-Monitoring deutlich geringer als diejenige mit DON. Insgesamt wurde der ZEN-Richtwert für Sauen und Mastschweine (0,25 ppm im Ergänzungs- und Alleinfuttermittel) bei 19 % der Proben überschritten. Bei den Fumonisinen überschritten nur sechs (2 %) der 289 Proben den Richtwert von 5 ppm für Schweine und Pferde (Ergänzungs- und Alleinfuttermittel). Vier dieser Proben stammten aus dem Kanton Tessin und je eine Probe aus den Kantonen St. Gallen und Schaffhausen. Zusammenhang Fusarium- und Mykotoxin-Belastung Im Vergleich zur Studie bei Weizen (Vogelgsang et al. 2009) konnte bei dieser Untersuchung für alle Daten und Jahre kein enger Zusammenhang zwischen dem F. graminearum (FG)-Befall und dem DON-Gehalt festgestellt werden. Einzig im Jahr 2008 lag der Korrelationskoeffizient (r-Wert) bei 0,68 (2009 r=0,28; 2010 r=0,26). Eine stärkere Korrelation zwischen FG und DON konnte beobachtet werden, wenn nur diejenigen Proben in die Analyse mit einbezogen wurden, welche keinen F. verticillioides-Befall aufwiesen. Somit scheinen sich verschiedene, gemeinsam auftretende Fusarium-Arten gegenseitig zu beeinflussen, wie dies auch aus Untersuchungen von Reid et al. (1999) und Picot et al. (2011) hervorgeht. Kein Zusammenhang konnte zwischen dem Befall der FUM-Bildner (F. verticillioides, F. subglutinans und F. proliferatum) und dem FUM-Gehalt der KörnermaisProben festgestellt werden. Dies kann verschiedene

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Tab. 2 | Relative Befallshäufigkeit (%) und Anzahl Fusarium -Isolate von Maiskörnern aus dem Schweiz-weiten ART Monitoring in den Jahren 2008 bis 2010. Dargestellt sind die Mittelwerte der KörnermaisProben pro Jahr. Die Befallshäufigkeit wurde mit dem Gesundheitstest bestimmt. Die fünf häufigsten Fusarium -Arten sind hellblau hinterlegt.

Fusarium-Art

2008 (n = 94)

2009 (n = 105)

2010 (n = 90)

Relative Befallshäufigkeit (%)

F. avenaceum

2,1

F. crookwellense

3,7

2,1

7,3

F. culmorum

1,5

1,6

1,3

F. equiseti

3,3

3,3

1,7

F. graminearum

30,9

3,0

2,5

42,0

19,8

F. oxysporum

1,4

3,4

1,0

F. poae

2,9

5,6

1,3

F. proliferatum

7,9

13,0

11,2

F. sambucinum

0,1

0,0

0,0

F. semitectum

0,1

0,0

0,0

F. solani

0,0

0,1

0,1

F. sporotrichioides

0,3

0,3

0,7

F. subglutinans

20,1

24,1

13,4

F. tricinctum

0,1

1,1

0,6

F. venenatum

1,3

0,5

0,3

F. verticillioides

13,0

22,0

26,8

% Körner mit Befall Anzahl Isolate n = Anzahl Proben

14

22

31

1355

2354

2774


Fusarien und Mykotoxine bei Körnermais in der Schweiz | Pflanzenbau

Gründe haben: Aus der Literatur ist einerseits bekannt, dass es Isolate derselben Art gibt, welche viel oder wenig Mykotoxine produzieren (Logrieco et al. 2007). Andererseits könnte es mit so genannten «maskierten» Mykotoxinen zusammenhängen (Berthiller et al. 2009). Dieses sind lösliche Toxin-Komplexe, welche entweder während chemischer Prozesse in der Pflanze (z. B. Detoxifizierung), in Mikroben, im Pilz selber oder während der Lebensmittelverarbeitung gebildet oder als gebundene Komplexe in die Zellwand eingebaut werden. Durch verschiedene Prozesse wie z.B. der Verdauung können sie wieder in ihre ursprüngliche toxische Form zurückgebildet werden und damit gesundheitsschädlich sein. Somit können maskierte Toxine zum gesamten Toxinrisiko beitragen, obwohl sie nicht durch entsprechende Messungen erfasst werden. Solche Komplexe sind von DON, ZEN und FUM bekannt (Dall’Asta et al. 2008). Suche nach den Befall beeinflussenden Faktoren Der Schwerpunkt für die Identifikation der möglichen beeinflussenden Anbaufaktoren lag bei der am häufigsten vorhandenen Art F. graminearum (FG) und dem Mykotoxin DON. In Anlehnung an das Agroscope ART Weizen-Monitoring, bei welchem der deutliche Einfluss der Vorfrucht, der Bodenbearbeitung sowie ihrer Kombination auf den FG-Befall und die DON-Belastung gezeigt werden konnte (Vogelgsang et al. 2009), wurden diese Faktoren bei der Körnermais-Untersuchung ebenfalls betrachtet. Bei der Bodenbearbeitung wurde zwischen den Verfahren Pflug und Mulchsaat (Direktsaat inbegriffen) unterschieden, für den Vorfrucht­effekt zwischen den Gruppen Getreide (Weizen und Gerste) und anderen Vorfrüchten (Mais, Kartoffeln, Soja, Sonnen­blumen, Buntbrache, Kunstwiesen, Erbsen, Karotten). Für alle Daten und Jahre wurde einzig ein sig­nifikanter Unterschied bei der Bodenbearbeitung ge­funden. Weder die Vorfrucht alleine noch die Kombination Vorfrucht × Bodenbearbeitung ergaben signifikante Unterschiede. Körnermais-Proben von gepflügten Feldern wiesen im Vergleich zu Proben aus Mulchsaaten einen signifikant geringeren FG-Befall und DON-Gehalt auf (Abb. 3). Auch die Vor-Vorfrucht hatte für alle Daten und Jahre keinen Einfluss auf den FG– Befall und den DON-Gehalt. Im Jahr 2008 wiesen jedoch Proben, bei welchen eine Zwischenfrucht (meist KleeGrasmischung) angebaut wurde, einen signifikant höheren FG-Befall und DON-Gehalt auf. Spätere Erntetermine führten zu einem höheren Befall. Körnermaisproben, welche erst gegen Ende Oktober oder im November geerntet wurden, hatten einen signifikant höheren FG-Befall, DON- sowie ZEN-Gehalt als

13%

2008

4% 8%

57%

42% 43%

13% 20%

20%

19%

2009 30%

2% 13% 24%

70%

21% 11%

2010

7%

31%

11%

30%

70%

13% 27% F. graminearum F. verticillioides

F. subglutinans F. proliferatum

F. crookwellense

F. spp.

% Proben ≥ 0,9 ppm DON % Proben < 0,9 ppm DON

Abb. 2 | Fusarium -Artenspektrum und Häufigkeit des Artenvorkommens in befallenen Maiskörnern in den Jahren 2008 bis 2010 (linke Spalte), sowie der prozentuale Anteil der Körnermaisproben, welche den Deoxynivalenol Richtwert von 0,9 ppm überschritten haben (rechte Spalte). F. ssp.: Summe aller anderen identifizierten Fusarium -Arten. F.graminearum v.a. Deoxynivalenol- und Zearalenon- Bildner, F. verticillioides, F. subglutinans, F. proliferatum Fumonisin-Bildner, F. crookwellense v. a. Deoxynivalenol- und Nivalenol-Bildner.

Proben, die Mitte September bis Mitte Oktober geerntet wurden. Dies wurde auch in anderen Feldstudien beobachtet (z. B. Blandino et al. 2009). Da sehr viele Maissorten vorlagen, wurde der Sortenaspekt aufgrund der entsprechenden Reifegruppen (früh, mittelfrüh und mittelspät) analysiert. Frühe Sorten hatten einen signifikant geringeren Gehalt an DON und FUM als mittelspäte Sorten. Auf die ZEN-Belastung hatten die Reifegruppen jedoch keinen Einfluss. In den Feldern, in denen Maiszünsler-Befall beobachtet wurde, lag der gesamte Fusarium-Befall signifikant höher als in den anderen Feldern. Es liess sich jedoch kein Einfluss auf die einzelnen Fusarium-Arten nachwei- 

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 520–525, 2011

523


Pflanzenbau | Fusarien und Mykotoxine bei Körnermais in der Schweiz

10

10

FG-Befall (%)

12

8

8

6

6

4

4

2

2

0

DON-Gehalt (ppm)

Vorfrucht «Andere»

Vorfrucht «Getreide» 12

0 Mulchsaat

Pflug Mittelwert FG-Befall (%)

Mulchsaat

Pflug

Mittelwert DON-Gehalt (ppm)

Abb. 3 | Einfluss der Vorfrucht und der Bodenbearbeitung auf den F. graminearum -Befall (FG, blaue Säulen) und die Belastung mit dem Mykotoxin Deoxynivalenol (DON, gelbe Dreiecke). ­M ittelwerte aus den Erntejahren 2008 bis 2010 mit Standardfehler als Mass der Variabilität. n = 289, Vorfrucht «Getreide» = Weizen, Gerste; Vorfrucht «Andere» = Mais, Kartoffeln, Soja, Sonnenblumen, Erbsen, Karotten.

sen, obwohl andere Studien zeigen konnten, dass Maiszünslerbefall zu einem stärkeren F. verticillioides-Befall führt (Blandino et al. 2009).

•• Bei Verwendung des Körnermaises auf dem Hof sollte der Mais gut gereinigt werden, da Kümmerkörner und Bruchstücke stark mit Mykotoxinen belastet sein können.

Schlussfolgerungen

Fazit und Ausblick Da bei Körnermais häufig mit Fusarium-Befall gerechnet werden muss und sich das Mykotoxin-Risiko allein mit Anpassungen der Bodenbearbeitung und der Fruchtfolge nicht genügend vermindern lässt, sollte die Fusarium-Anfälligkeit der Maissorten möglichst gering sein. Um den Einfluss der Maissorten besser einschätzen zu können, sind Untersuchungen in den Körnermais-Sortenversuchen von Agroscope geplant. In Zusammenarbeit mit Agroscope ACW werden von verschiedenen Sorten Körnerproben genommen und diese auf ihren Fusarium-Befall und Mykotoxin-Gehalt untersucht. Durch die standardisierten Bedingungen (weniger diverse Anbaufaktoren, Wiederholungen) hoffen wir, das komplexe Zusammenspiel zwischen Fusarium-Befall und Mykotoxin-Belastung bei Körnermais noch besser zu verstehen und weitere Empfehlungen für die Praxis abgeben zu können. n

Im Vergleich zur Faktoren-Analyse bei Weizen mit einer klaren Ausrichtung auf die FG/DON-Problematik, ist die Analyse bei Körnermais viel komplexer. Mais wird von einer grösseren Zahl von Fusarium-Arten befallen, welche einander in ihrem Wachstum und in ihrer Mykotoxin-Produktion beeinflussen können. Die Witterung hat einen grossen Einfluss auf die Zusammensetzung des Fusarium-Arten- und Mykotoxinspektrums. Aufgrund der Resultate aus dem Körnermais-Monitoring 2008 bis 2010 sollten folgende Aspekte zur Vermeidung von FGBefall und DON-Belastung beachtet werden: ••Das FG-Befalls- und das DON-Belastungsrisiko sind bei Mulchsaat grösser als bei gepflügten Feldern. ••Die Bekämpfung des Maiszünslers reduziert das Fusarium-Befallsrisiko. ••Die Ernte sollte so früh wie möglich durchgeführt werden. ••Der Anbau von frühen Sorten verringert aufgrund des früheren Erntetermins das DON-Belastungsrisiko.

524

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 520–525, 2011


Fusarium e micotossine nel mais da granella in Svizzera Tra il 2008 e il 2010, la Stazione di ricerca Agroscope Reckenholz-Tänikon ART ha svolto il primo monitoraggio della contaminazione da micotossine su campioni di mais da granella svizzeri. L'obiettivo era di chiarire l'importanza delle diverse specie di Fusarium presenti e di valutare il rischio dovuto alla micotossina. Si trattava inoltre di identificare i fattori legati ai metodi colturali sull'infestazione ed elaborare raccomandazioni per evitare contaminazioni. L'esame di 289 campioni (da 14 cantoni) ha rivelato un tasso di Fusarium del 22 %. Ne sono state identificate 16 specie. Le più frequenti erano Fusarium graminearum, F. subglutinans, F. verticillioides e F. proliferatum. La nostra analisi ha indicato che le contaminazioni sono dovute soprattutto alla micotossina deossinivalenolo: nel 2008 e 2010, il 57 %, risp. il 70 % dei campioni di mais ha superato il valore indicativo di 0,9 ppm (complementi nutritivi e foraggi completi per suini). Nel 2009, il 30 % ha superato questo valore. La contaminazione da altre micotossine era molto inferiore. Nonostante la gravità dei dati, per ora si possono formulare solo raccomandazioni generali per evitare il rischio di contaminazione.

Literatur ▪▪ Berthiller F., Schuhmacher R., Gerhard A. & Krska R., 2009. Formation, determination and significance of masked and other conjugated mycotoxins. Analytical and Bioanalytical Chemistry 395, 1243–1252. ▪▪ Blandino M., Reyneri A. & Vanara F., 2009. Effect of sowing time on toxigenic fungal infection and mycotoxin contamination of maize kernels. Phytopathology 157, 7–14. ▪▪ Dall’Asta C., Galcerna G., Aureli G., Dossena A. & Marchelli R., 2008. A LC-MS/MS method for the simultaneous quantification of free and masked fumonisins in maize and maize-based products. World Mycotoxin Journal 1, 237–246. ▪▪ Desjardins A.E., 2006. Fusarium Mycotoxins, Chemistry, Genetics and Biology. St. Paul, APS, 260 S. ▪▪ Dorn B., Forrer H.R., Schürch S. & Vogelgsang S., 2009. Fusarium complex on maize in Switzerland: occurrence, prevalence, impact and mycotoxins in commercial hybrids under natural infection. European Journal of Plant Pathology 125, 51–61. ▪▪ Dorn B., Forrer H.R., Jenny E., Wettstein F.E., Bucheli T.D. & Vogelgsang S., 2011. Fusarium species complex and mycotoxins in grain maize from maize hybrid trials and from grower‘s fields. Journal of Applied Microbiology, 11, 693–706. ▪▪ Goertz A., Zuehlke S., Spiteller M., Steiner U., Dehne H., Waalwijk C, de Vries I. & Oerke E., 2010. Fusarium species and mycotoxin profiles on commercial maize hybrids in Germany. European Journal of Plant Pathology 128, 101–111. ▪▪ Leslie J.F. & Summerell B.A., 2006. The Fusarium Laboratory Manual. Blackwell Publishing. Oxford, UK. 388 S.

Summary

Riassunto

Fusarien und Mykotoxine bei Körnermais in der Schweiz | Pflanzenbau

Fusaria and mycotoxins in grain maize in Switzerland Between 2008 and 2010, Agroscope ReckenholzTänikon ART conducted a first Swiss-wide monitoring of commercial grain maize samples. The aim was to determine the occurrence and impact of different Fusarium species in order to assess the potential risk of mycotoxin contamination. In addition, we evaluated the potential influence of different cropping factors in order to provide advice for growers on how to avoid high mycotoxin loads. 289 grain-maize samples from 14 cantons were analysed. Overall, 22 % of the grains were infected with Fusarium and 16 different species were identified. Fusarium graminearum, F. subglutinans, F. verticillioides and F. proliferatum were the most dominant species. In 2008 and 2010, 57 % and 70 % of the samples, respectively, exceeded the guidance value of 0,9 ppm deoxynivalenol (complementary and complete feedingstuffs for pigs). In 2009, 30 % of the samples exceeded this value. The levels of the other mycotoxins were substantially lower. Despite the extensive dataset, as of yet, only general recommendations can be defined with respect to influencing cropping factors that reduce the risk of mycotoxin contamination in grain maize. Key words: maize, fusarium ear rot, mycotoxins, cropping factors.

▪▪ Logrieco A., Moretti A, Perrone G. & Mulè G., 2007. Biodiversity of complexes of mycotoxigenic fungal species associated with Fusarium ear rot of maize and Aspergillus rot of grape. International Journal of Food Microbiology 119, 11–16. ▪▪ Munkvold G.P., 2003. Cultural and genetic approches to managing mycotoxins in maize. Annual Reviews of Phytophathology 41, 99–116. ▪▪ Nelson P.E., Tousson T.A. & Marasas W.F.O., 1983. Fusarium species: An Illustrated Manual for Identification. Pennsylvania State: University Press. 89 S. ▪▪ Picot A., Hourcade-Marcolla, Barreau C., Pinson-Gadais, Caron D., ­R ichard-Forget F. & Lannou C., 2011. Interactions between Fusarium verticillioides and Fusarium graminearum in maize ears and consequences for fungal development and mycotoxin accumulation. Plant Pathology, DOI 10.1111/j.1365 – 3059.2011.02503.x, published online 13.7.2011. ▪▪ Reid L.M., Nicol R.W., Ouellet T., Savard M., Miller J.D., Young J.C., Stewart D.W. & Schaafsma A.W., 1999. Interaction of Fusarium graminearum and F. moniliforme in maize ears: disease progress, fungal biomass, and mycotoxin accumulation. Phytopathology 89, 1023–1037. ▪▪ Scauflaire J., Mahieu O, Louvieaux J., Foucart G., Renard F. & Munaut F., 2011. Biodiversity of Fusarium species in ears and stalks of maize plants in Belgium. European Journal of Plant Pathology 131 (1), 59–66. ▪▪ Vogelgsang S., Jenny E., Hecker A., Bänziger I. & Forrer H.R., 2009. Fusarien und Mykotoxine bei Weizen aus Praxis-Ernteproben. Agrarforschung 16 (7), 238–243.

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525


P f l a n z e n b a u

Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken Gabriella Silvestri und Simon Egger Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW, 8820 Wädenswil Auskünfte: Simon Egger, E-Mail: simon.egger@acw.admin.ch,Tel. +41 44 783 63 94

Kasten 1 | Anforderungsprofil für Most­ apfelsorten • Feuerbrandrobust und allgemein robust ­gegen weitere Krankheiten (z.B. Schorf, Mehltau und Krebs) • Sehr gute Saftqualität (Geschmack und Aroma) • Säuregehalt ab 5 g/l, Zuckergehalt ab 45 °Oechsle (11.2 °Brix) • gute Pressbarkeit, Saftausbeute (Gewichtsanteil gewonnener Saft aus den Früchten) ab 77 % • Gute und möglichst regelmässige Erträge • Kurzes Erntefenster und geeignet für ­maschinelle Ernte • Gute Wuchseigenschaften und stabiler ­Kronenaufbau Abb. 1 | Saftanalysen im Labor. Vielfalt an Farben, Geschmack und Aromen.

Einleitung Feuerbrand, eine gravierende Krankheit des Kernobstes, wird durch das Bakterium Erwinia amylovora verursacht. Der Erreger befällt vorwiegend die Unterfamilie Pomoideae der Rosaceae und stammt ursprünglich aus Nordamerika. In der Schweiz wurde er erstmals 1989 nachgewiesen und hat sich seitdem stark verbreitet. Starke Feuerbrandjahre wie 2000 und 2007 haben in einigen Teilen der Schweiz den generellen Rückgang der Mostapfelbestände verschärft: mehr als 15 000 Hochstammbäume sind laut Expertenschätzung seit 2000 dem Feuerbrand zum Opfer gefallen. Die Versorgung der Obst verarbeitenden Industrie mit qualitativ hochwertigen Schweizer Mostäpfeln ist dadurch zunehmend gefährdet. 30 bis 50 % der angebauten Mostapfelsorten sind mittel bis stark feuerbrandanfällig; weitere Bäume werden der Krankheit zum Opfer fallen. Soll der produzierende Feldobstbau langfristig erhalten bleiben, ist die Wahl von Sorten, die bezüglich Feuerbrand robust sind, eine wichtige Massnahme (Kasten 1). Die Beurteilung der Feuerbrand-

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anfälligkeit einzelner Sorten ist jedoch komplex. Im Feld kann sie je nach Witterungsbedingungen, Blühverlauf, Baumalter und Infektionsdruck mehr oder weniger stark variieren. Im Projekt SOFEM (Kasten 2) wurde die Anfälligkeit mit gezielten Trieb- und Blüteninokulationen im Quarantänegewächshaus unter kontrollierten und für den Erreger optimalen Bedingungen geprüft. Erhebungen im Feld in den Jahren 2007, 2008 und 2011 dienten dazu, die Ergebnisse der künstlichen Inokulationen unter Praxisbedingungen zu validieren. Aus Sicht der Mostereien ist das wichtigste Auswahlkriterium die Saftqualität, gemessen an Geschmack und Aroma sowie an Zucker-, Säure- und Gerbstoffgehalt. Das Projekt SOFEM prüfte deshalb vielversprechende feuerbrandrobuste Sorten auch eingehend auf ihre Eignung für die Saftherstellung (Abb.1). Ein guter Saft muss sich durch ein apfeltypisches, fruchtiges Aroma auszeichnen. Bei der sensorischen Beurteilung werden Säfte anhand eines 18-Punkte Bewertungsschemas des Panel Marktkontrolle im Schweizer Obstverband SOV klassiert.


Zusammenfassung

Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken | Pflanzenbau

Kasten 2 | Das Projekt SOFEM SOFEM steht für «Sortenwahl für eine nach­ haltige Feuerbrandstrategie im Schweizer Mostapfelanbau». Auftraggeber und Hauptfinanzierungspartner war die CAVO-Stiftung, verantwortlich für die Durchführung die Forschungsanstalt ACW. Das Projekt dauerte von 2008 bis 2011 und wurde von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes finanziell unterstützt. Als Projektpartner haben die Fachstellen Obst der Kantone BE, LU, SG, TG und ZH aktiv im Projekt mitgearbeitet, ebenso wie Jardin Suisse und der Schweizer Obstverband SOV. Das Projekt SOFEM ist Teil eines ganzen Bündels verschiedener Lösungsansätze, welche die Forschungsanstalt ACW im Hinblick auf ein nachhaltiges Feuerbrand-Management verfolgt. Merkblätter und weitere Informationen zum Thema unter www.obstsorten.ch/Bewertungen und Ergebnisse.

Material und Methoden Triebinokulation Edelreiser der zu testende Genotypen wurden auf die Unterlage M9vf T337 veredelt und als Topfpflanzen (Topf-Höhe 35,5 cm, Topf-Durchmesser 7 cm) vier bis fünf Wochen unter optimalen Bedingungen angezogen (Temperatur 18°–25°C bei 70 % relativer Luftfeuchtigkeit). Blüten und heranwachsende Wildtriebe wurden regelmässig entfernt; zur Vorbeugung gegen Mehltau wurde ein Schwefelverdampfer und gegen Blattläuse bei Bedarf ein Insektizid eingesetzt. Nach vier Wochen wurden die Pflanzen auf den kräftigsten Trieb reduziert. Für die Versuche berücksichtigt wurden nur Triebe mit einer minimalen Länge von 10 cm. Die künstlichen Triebinokulationen erfolgten im Quarantänegewächshaus. Als Inokulum diente der Schweizer Erwinia-amylovora-Stamm ACW610rif mit einer Konzentration von 109 cfu/ml. (Kahn et al. 2006, Momol et al. 1998). Der Erreger wurde auf Höhe des letzten vollentwickelten Blattes mittels Medizinalspritze direkt in die Spitze der Jungtriebe injiziert (pro Genotyp 10 bis 12 Pflanzen). Die Messung der äusserlich sichtbaren Läsionslänge (Abb.2) erfolgte wöchentlich während drei Wochen. Für die Bewertung der Triebanfälligkeit der einzelnen Sorten wurde das Verhältnis der sichtbaren Läsionslänge zur Gesamttrieblänge in Prozent berechnet (Le Lezec und Paulin 1984). Die Einstufung

Die Abnahme der Mostapfelbestände, mit verursacht durch den Feuerbrand, gefährdet zunehmend die Versorgung der Mostereien mit qualitativ hochwertigen Schweizer Mostäpfeln. Feuerbrandrobuste Sorten sind zentraler Bestandteil eines nachhaltigen Feuerbrand-Managements, stellen die Versorgung mit hochwertigem Schweizer Mostobst sicher und helfen mit, den landschaftsprägenden und ökologisch wichtigen Feldobstbau langfristig zu erhalten. In einem zunehmend liberalisierten Marktumfeld sind hohe Saftqualität und kurze Transportwege dank einheimischer Produktion wichtige Trümpfe der Schweizer Obstverarbeiter. Zusammen mit der Centralgenossenschaft für Alkoholfreie Verwertung von Schweizer Obstprodukten CAVO und weiteren Partnern hat die Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW bekannte und neue Apfelsorten auf ihre Feuerbrandanfälligkeit, hinsichtlich der Saftqualität und technologischen Eignung für die Verarbeitung sowie bezüglich ihrem Wuchs- und Produktionsverhalten geprüft. Von 2008 bis 2011 wurden rund 100 Apfelsorten mittels Inokulation unter kontrollierten Bedingungen auf ihre Triebanfälligkeit gegenüber Feuerbrand getestet, zehn davon auch auf ihre Blütenanfälligkeit. Insgesamt 50 vielversprechende Sorten wurden auf ihre Verarbeitungseigenschaften geprüft und deren Saftqualität chemisch und sensorisch beurteilt. Von den geprüften Sorten liefern 17 Sorten hochwertige Säfte und sind gleichzeitig robust gegenüber Feuerbrand.

Tab. 1 | Für die Beurteilung der Triebanfälligkeit der Sorten nach künstlicher Triebinokulation wurde im SOFEM die Läsionslänge in Prozent der Gesamttrieblänge drei Wochen nach Inokulation mit der anfälligen Referenzsorte Gala verglichen. Triebanfälligkeit 1 = resistent

% im Vergleich zu Gala =0

2 = sehr schwach

< 10

3 = schwach

10 < 25

4

25 < 40

5 = mittel

40 < 60

6

60 < 80

7 = hoch

80 < 100

8

100 < 125

9 = sehr hoch

≥ 125

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Pflanzenbau | Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken

Abb. 2 | Vom Einstich der Nadel her breiten sich die Bakterien aus; die Einstichstelle und die Triebspitze verfärben sich rostbraun, der Stiel ist grün-grau bis schwarz.

der Sorten erfolgte im Vergleich zur anfälligen Referenzsorte Gala (Tab. 1). Als robuste Referenzsorte diente die Sorte Rewena. Blüteninokulation Tests im Quarantänegewächshaus Die Anzucht von Versuchsbäumen mit möglichst gutem Blütenansatz verlangt eine gezielte Vorbereitung. Um die Blüte hinauszuzögern und zeitlich zu steuern wurden zweijährige Bäume während des physiologischen Winterschlafs bei 2°C gekühlt. Nach der Kühllagerung wurden die Bäume in 5-Liter-Töpfe getopft und bei Aussenbedingungen zum Austreiben gebracht. Die Inokulation (Abb.3) erfolgte bei Vollblüte (BBCH65). Als Inokulum diente analog zu den Triebinokulationen der Schweizer Erwinia-amylovora-Stamm ACW610rif mit einer Konzentration von 108 cfu/ml (EPPO Richtlinie PP1/166(3)). Pro Blütenbüschel wurden jeweils vier Blüten inokuliert. Nicht inokulierte Blüten und Blütenbüschel wurden markiert und am folgenden Tag entfernt. Bedingt durch die Blühbereitschaft der Sorten ergaben sich Unterschiede in der Anzahl verfügbarer Blütenbüschel. Das Klima wurde auf 25°C tagsüber und 15°C nachts bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 70 % eingestellt. Bonitiert wurde die Stärke der Symptome auf einer Skala von 1 bis 9, jeweils 4, 7, 10, 14, 21 und 28 Tage nach Inokulation. Die für die Beurteilung benutzte Skala wurde in einem Vorversuch im Herbst 2010 entwickelt (Tab. 2). Tests im Freiland Erwinia amylovora gilt in der Schweiz als Quarantäne­ organismus, künstliche Inokulationen im Freiland sind daher nicht möglich. Diese Versuche führte man deshalb auf einer Parzelle in isolierter Lage in Deutschland durch –

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in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee KOB. Die Inokulation erfolgte an dreijährigen Topfbäumen bei mindestens 50 % offener Blüten (je nach Sorte BBCH65 bis BBCH67). Mit einem Mesto®Drucksprüher wurden ausgewählte Blütenbüschel mit einer Bakteriensuspension hoher Virulenz (Erwinia-­ amylovora-Stamm 385, 108 cfu/ml) komplett eingesprüht und mit einer Plastiktüte fünf Tage eingepackt. Die Bonitur erfolgte 8, 15 und 22 Tage nach Inokulation. Es wurde wiederum die Stärke der Symptome nach der in Tabelle 2 dargestellten Skala 1 – 9 bonitiert. Die im Projekt SOFEM erarbeitete Skala konnte somit auch anhand von Freilandversuchen validiert werden. Während der 22-tägigen Versuchsdurchführung lag die Tagesdurchschnittstemperatur bei 14,9 °C. Bei der Inokulation am 26. Mai waren mit 17 °C mittlere Tagestemperatur und nasser Witterung die Bedingungen für eine Blüteninfektion erfüllt (Prognosemodell MARYBLYTTM). Nach dem Prognosemodell MARYBLYTTM kommt eine Blüteninfektion zustande wenn folgende vier Bedingungen am selben Tag erfüllt sind: ••Geöffnete, intakte Blüte (Stempel und Staubbeutel vorhanden) ••Ab offener Blüte 110 Stundengrade über 18,3°C (Periode mit mehreren warmen Tagen) ••Tagesdurchschnittstemperatur über 15,6 °C ••Regen (mind. 0.25 mm) oder Tau; oder am Vortag mehr als 2,5 mm Regen Verarbeitung und Saftqualität Je nach verfügbarer Früchtemenge wurden sortenreine Pressversuche auf eine von drei verschiedenen Arten durchgeführt: im industriellen Massstab (10 Tonnen) bei der Mosterei Möhl AG in Arbon, mittels Kleinpresse (250 kg) in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil oder in Kleinstmengen von 20 kg. Es wurde kein Gebrauch von Enzymen, Klärungs- oder anderen Zusatzstoffen gemacht. Als Minimalanforderungen an die

Abb. 3 | Künstliche Blüteninokulation im Quarantänegewächshaus. Mittels Sprühflasche wurde jede Blüte einzeln inokuliert (Menge pro Blüte: 200 µl).


Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken | Pflanzenbau

Tab. 2 | Im Rahmen des SOFEM-Projektes erarbeitete Skala zur Beurteilung der Stärke der Symptome nach künstlicher Blüteninokulation

Kl. 1 = keine Symptome • Ganzer Blütenbüschel ohne optisch erkennbare Symptome • Verwelken entspricht dem sortentypischen Abblühen

Kl. 5 = Blütenbüschel und Blütenstandstiel • Blütenstandstiel dunkel verfärbt, Blätter gesund • Nekrose auf Blütenstandstiel beschränkt • Jungtriebe gesund

Kl. 2 = unklare Symptome • Blütenboden, -stiel und Kelchblätter grün • Staub- und/oder Fruchtblätter verfärbt

Kl. 6 = Blütenbüschel, Blütenstandstiel und Jungtrieb • Jungtriebe krank • Sind keine Jungtriebe vorhanden, ganzer Büschel krank • Keine Nekrose im Holz sichtbar

Kl. 3 = Blüteninfektion • Kelchblätter und/oder Blütenboden orange bis schwarz verfärbt • Nekrose am Stiel max. 1/3 Stiellänge • Max. eine Blüte mit Symptome Kl. 4

Kl. 7 = Nekrose im Holz < 5 cm • Nekrose auch im Holz sichtbar (< 5 cm)

Kl. 4 = Blüteninfektion • Stiel ganz schwarz oder mind. 1/3 nekrotisch verfärbt • Blütenstandstiel grün, klare Abtrennung • Mehr als eine Blüte mit Symptome Kl. 4

Kl. 8 = Nekrose im Holz < 10 cm Kl. 9 = Nekrose im Holz > 10 cm • Optischer Befall breitet sich weiter aus

Fruchtqualität galten die vom Schweizer Obstverband SOV festgelegte Qualitätsvorschriften (Normen und Vorschriften für Mostobst, SOV 2008). Wiederholungen in den verschiedenen Versuchsjahren wurden wenn möglich mit Früchten der selben Herkunft durchgeführt. Für die chemische Charakterisierung der Säfte wurden der Gesamtzucker (°Brix), die titrierbare Apfelsäure (g/l) und der Gehalt an Gesamtphenolen (mg/l) bestimmt. Zudem wurde der Gehalt verschiedener Zuckerarten (Glucose, Fructose, Saccharose) und des Zuckeralkohols Sorbit ermittelt. Zucker, Säure und Phenole gehören zu den wichtigsten Geschmackskomponenten von Apfelsäften (Schobinger und Müller 1975). Projektpartner und Vertreter der gewerblichen Mostereien beurteilten die Säfte anhand des 18-Punkte-Bewertungsschemas des Panels Marktkontrolle SOV. Dabei wurden «Klarheit und

Resultate Feuerbrandanfälligkeit Die Triebinokulationsversuche zeigen, dass sich die Sorten bezüglich der visuell wahrnehmbaren Ausbreitung der Bakterien im Wirtsgewebe unterscheiden. Als robust wurden im Projekt die Sorten eingestuft, welche eine sichtbare Läsion unter 40 % im Vergleich zu Gala zeigen (Tab. 1). 

2011 2010 2009a 2009b 2008

80

60 6 40 3 3

20

3

3

3

3

0

3

4

3 3

3

4

3

2

3

3

4 3

3

3 3

a rH or da pf el Flo rin He a im en h Sc of hn er eid er ap fe Sa l ue rg ra uc h Bo hn ap fe l Re gli nd Ga is la Ga lax y

l

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4 332

Lib e

Läsionslänge nach drei Wochen (%)

100

Farbe», «Geruch», «Geschmack» und «Gesamteindruck» benotet. Da die säurereichen Säfte oft eher eine tiefe Punktzahl erreichen, ist für eine komplette Beurteilung der Safteigenschaften die Erfassung mündlicher Kommentare wie «fruchtig, aromatisch, als Mischpartner geeignet, schöne Gerbstoffe» unverzichtbar. Als Referenz diente der Saft der Sorte Boskoop.

Abb. 4 | Triebanfälligkeit der 17 für den Mostapfelanbau empfohlenen Apfelsorten nach künstlicher Triebinokulation. Dargestellt ist die Läsionslänge in Prozent zur Gesamttrieblänge drei Wochen nach Inokulation. Die Zahl entspricht der Einteilung im Vergleich zur anfälliger Referenzsorte Gala gemäss Tabelle 1 (1 = resistent, 9 = sehr hoch anfällig).

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 526–533, 2011

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Pflanzenbau | Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken

% Kl. 5

a

Gala (27) > Kl. 5 <= Kl. 4 % Kl. 5 Gala (23) > Kl. 5

% Kl. 5 Enterprise (5) <= Kl. 4

Enterprise (6) <= Kl. 4

b % Kl. 5 Gala (35) > Kl. 5

% Kl. 5 Rewena (16) <= Kl. 4

% Kl. 5 Heimenhofer (8) <= Kl. 4

<= > Kl. Kl. 4 5 Liberty (19) % Kl. 5

% Kl. 5

> Kl. 5 % Kl. 5 Empire (18) <= Kl. 4

> Kl. 5 Empire (18) % Kl. 5

<= Kl. 4 >5Kl. Reanda (26) % Kl. 5

> Kl. <= 5 Kl. 4 Boskoop (34)

> Kl. 5 Sauergrauech (42) <= % Kl. 5 Kl. 4

% Kl. 5 Reglindis (15) > Kl. 5

c

<= > Kl. Kl. 4 5 Remo (20) % Kl. 5

Abb. 5 | Prozentualer Anteil von Blütenbüscheln in den Boniturklassen bis 4 (blau), 5 (gelb) und grösser als 5 (rot) . In Klammern ist die Anzahl inokulierter Büschel (100 %). a = Gewächshaus Serie 1, b = Gewächshaus Serie 2 (Bonitur jeweils 28 Tage nach Inokulation), c = Freiland (Bonitur 22 Tage nach Inokulation).

In Abbildung 4 sind die Ergebnisse der Trieb­inokulationen der 17 für den Mostapfelanbau empfohlenen Apfelsorten (ACW-Flugschrift Mostapfelempfehlung 2011) sowie der anfälligen Referenzsorte Gala dargestellt. Unter diesen Sorten gibt es eine gewisse Unsicherheit bei der frühreifen Re-Sorte Reglindis, die bei den Tests im Jahr 2009 eine Läsionslänge von über 60% im Vergleich zu Gala erreichte in anderen Versuchen aber besser abschnitt. Reglindis kann in Lagen mit hohem Feuerbranddruck deshalb nicht ohne weiteres empfohlen werden. Die robustesten Sorten wie Rewena und Enterprise zeigten in manchen Tests weniger als 10 % der Läsionslänge von Gala. Wie in Abbildung 4 am Beispiel von Gala ersichtlich, zeigen anfälligere Sorten oft eine beträchtliche Streuung der prozentualen Läsionslängen zwischen einzelnen Versuchsjahren. Auch bei den Blüteninokulationsversuchen sind zwischen den Sorten Unterschiede in der Ausprägung und Stärke der Symptome feststellbar (Abb. 5). In Boniturklasse 4 werden die Blüten an der Basis der Stiele abgewor-

(1)

(2) Abb. 6 | Feuerbrandsymptome nach künstlicher Blüteninokulation. Boniturklasse 5: gut erkennbar sind die sich bildende Trennungsnarbe im Blütenstandstiel (1) und die fehlende Verfärbung im Holz (2).

530

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 526–533, 2011

fen, in Boniturklasse 5 wird im Blütenstandstiel eine Narbe gebildet, die oft auch zu einem Abwurf führt (Abb. 6). Bei Sorten mit einem hohen Anteil an Blütenbüscheln in den Klassen 3 bis 5 beschränken sich die sichtbaren Symptome auf die Blütenorgane. Dem gegenüber breitet sich der sichtbare Befall bei der feuerbrandanfälligen Sorte Gala weiter im Baum aus. Im Holz ist eine klare Nekrose zu erkennen. Bei den Blüteninokulationen im Gewächshaus (Abb. 5a, 5b) schnitten alle getesteten Sorten deutlich besser ab als Gala. Im Freiland (Abb. 5c) erzielten Reanda, Remo und Rewena gute Ergebnisse während Reglindis auch hier eine höhere Anfälligkeit offenbarte. Die ziemlich starke Ausprägung der Symptome im Freiland könnte an der sehr feuchten Witterung und hohen Blattnässe liegen. Feuchte und Nässe gelten zusammen mit der Temperatur als Schlüsselfaktoren für Feuerbrandinfektionen (Moltmann und Herr 2011, Pusey 2000). Sehr gute Saftqualität robuster Apfelsorten Die Saftqualität wird massgeblich durch die Sorte bestimmt, weshalb der Sortenwahl entscheidende Bedeutung zukommt. Das Ergebnis aus drei Jahren Verarbeitungsversuche ist erfreulich: es gibt eine ganze Reihe von Sorten, die sowohl robust gegenüber Feuerbrand sind als auch eine gute Saftqualität aufweisen. Die Vielfalt ist unter den traditionellen Schweizer Hochstammsorten wie auch bei neueren Züchtungen gross. Säfte von Boskoop, Grauer Hordapfel, Ingol, Remo und Rewena liegen im sauren Bereich und profilierten sich auch als gute Säurelieferanten bei der Verwertung von Tafelobstabgang, welcher oft säurearm ist und zu geringe Gehalte an Gerbstoffen und geschmackswirksamen Inhaltsstoffen aufweist. Säfte von Enterprise und Florina wurden als betont süsslich empfunden. Rubinola weist hingegen eine spezielle,


Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken | Pflanzenbau

Heimenhofer

Phenole

Ernte

A – M10

°Brix 5

Ausbeute %

90 – 80

°Oechsle

59,2 – 50,3

4

°Brix

14,3 – 12,0

Apfelsäure

3 2

Säure gAs/l

10,4 – 7,2

Phenole mg/l

490 – 365

Z/S-Verhältnis

17,4 – 13,8

1 Saccharose

Sorbit

ausgewogen-säuerlich, fruchtig, aromatisch, sauber, schön, als sortenreiner Direktsaft geeignet Visuell

3

Geruch

4,1 – 3,7

Geschmack

Fructose

Gesamt

Glucose Remo 5

Apfelsäure

3 2

Sorbit

Saccharose

Glucose

90 – 86

°Oechsle

56,7 – 46,8

°Brix

13,7 – 11,1

Säure gAs/l

11,2 – 8,2

Phenole mg/l

318 – 132

Z/S-Verhältnis

13.5 – 11,3

1

Fructose

M9

Ausbeute %

4

Phenole

15,5 – 15,0 Punkte (von Total 18)

4,3 – 4,2

Ernte

°Brix

4,2

Farbe etwas hell, zum Teil unstabile Trübung, sehr sauer, adstringierend. Hervorragender Mischpartner Visuell

3,0 – 2,0

Geruch

4,1 – 3,3

Geschmack

3,6 – 3,2

Gesamt

3,6 – 3,0

13,5 – 11,0 Punkte (von Total 18)

Abb. 7 | Safteigenschaften der Apfelsorten Heimenhofer (oben) und Remo (unten).

milde, fast birnenähnliche Aromatik auf. Unter anderem degustativ sehr gut bewertet wurden die alten Schweizer Sorten Schneiderapfel und Heimenhofer (Abb.7). Letztere ist laut Beurteilung des Panels auch für sortenreinen Direktsaft geeignet. Heimenhofer erreichte zudem eine sehr hohe Saftausbeute von bis zu 90 %.

Diskussion und Schlussfolgerungen Die über mehrere Jahre hinweg wiederholten Trieb­ inokulationen mit dem Feuerbranderreger haben gezeigt, dass auch unter standardisierten Bedingungen die Anfälligkeit einzelner Sorten erhebliche Schwankungen zeigen kann (Abb. 8). Demzufolge sind die Versuche mehrmals zu wiederholen. Die Beurteilung der Sorten im Vergleich zur anfälligen Referenzsorte Gala hat sich bewährt (Tab. 1) und erlaubte den Quervergleich über verschiedenen Testserien. Robuste Sorten zeigten konstant weniger als 40 % der Läsionslänge von Gala.

Die Triebinokulationsversuche zeigen, dass sich das Bakterium nicht bei jeder Sorte gleich schnell im Gewebe ausbreitet. Diese Erkenntnis ist wertvoll für die Praxis, da eine Sanierung durch geeignete Kulturmassnahmen am aussichtsreichsten ist wenn sich die Bakterien in der Wirtspflanze langsamer ausbreiten. Verschiedene Untersuchungen zeigen jedoch, dass bei befallenen Bäumen auch in den äusserlich symptomlosen, grünen Pflanzenteilen Bakterien nachgewiesen werden können (SOFEM, InterregIV «Gemeinsam gegen Feuerbrand», unver.). Dies ist für die Praxis insofern brisant, da diese Bäume als «unerkannte» Infektionsquellen gelten könnten und somit gesunde Wirtspflanzen im Umfeld gefährden. Allerdings konnte im InterregIV gezeigt werden, dass sich die Wahl robuster Sorten gegenüber anfälligen Sorten in Kombination mit geeigneten Kulturmassnahmen lohnt. Warum zeigen Sorten unterschiedliche Läsionslängen? Wie verändern sich die Bakterienkonzentrationen im Gewebe? Ändert sich die Virulenz der Bakterien? Künftige Untersuchungen zu diesen und weiteren Fra- 

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 526–533, 2011

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Pflanzenbau | Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken

Läsionslänge nach drei Wochen (%)

für die Situation im Feld. Abbildung 9 vergleicht die Ergebnisse der künstlichen Trieb- und Blüteninokulationen für die zehn Sorten, die 2011 auf ihre Blütenanfälligkeit geprüft worden sind, sowie für die anfällige Standardsorte Gala. Für eine zuverlässige Aussage sind zusätzliche Versuche mit weiteren Sorten nötig. Trotzdem zeigten Feldbeobachtungen 2007 und 2011, dass Sorten, die bei den Tests im Gewächshaus schlecht abschneiden, in der Regel auch im Feld zu den Anfälligen gehören. So zum Beispiel die Sorten Blauacher Wädenswil und Topaz, die aufgrund ihrer Saftund Fruchteigenschaften durchaus interessant wären. Nebst der Bereitstellung von qualitativ hochwertigem Schweizer Mostobst hilft auch die Wahl robuster Sorten (ACW-Merkblatt Nr. 732), den allgemeinen Infektionsdruck zu vermindern. Die Projektergebnisse sollen nebst der Mostobstproduktion auch Privaten und beispielsweise Naturschutzorganisationen als Entscheidungsgrundlage bei Ersatz- und Neupflanzungen dienen. Wichtig ist es nun, dass die Baumschulen mitziehen und ihre Sortimente vermehrt auf feuerbrandrobuste Sorten ausrichten. Allerdings sind drei Projektjahre bei einer langfristigen Kultur wie Obstbäumen eine sehr kurze Zeit. Verschiedene Züchtungsprogramme haben die Züchtung feuerbrandrobuster Sorten in letzter Zeit forciert. Es sind weitere Fortschritte zu erwarten. Bei neueren Sorten braucht die mehrjährige Bestätigung bezüglich Ertrags- und Wuchsverhalten noch etwas Zeit. In Pilotanlagen, in Zusammenarbeit mit den Obstfachstellen, werden vielversprechende Sorten in den nächsten Jahren weiter beobachtet. Die Projektverantwortlichen danken dem Wirtschaftspartner CAVO, den Projektpartnern sowie der KTI herzlich für die finanzielle Unterstützung und die gute Zusammenarbeit. n

2011 2010a 2010b 2009a 2009b

100

80

60

40

20 4

3 2

3

2 0 Gala

Rewena

Abb. 8 | Die Referenzsorten Gala (anfällig) und Rewena (robust) im Jahresvergleich nach künstlicher Triebinokulation. Dargestellt ist die Läsionslänge in Prozent zur Gesamttrieblänge drei Wochen nach Inokulation. Die Zahl entspricht der Einteilung im Vergleich zur anfälligen Referenzsorte Gala (1 = resistent, 9 = sehr hoch anfällig).

gen müssen Grundlagen für die Entwicklung und Optimierung geeigneter Management-Strategien liefern. Unter Feldbedingungen stellt die Blüte den wichtigsten Infektionsweg für das Bakterium dar (Thomson 2000). Wenn zur Blütezeit eine hohe Infektionsgefahr herrscht, können grundsätzlich alle Kernobstsorten vom Feuerbrand befallen werden. Ob und wie Blüten- und Triebanfälligkeit korrelieren ist unklar. Bisher durch­ geführte Arbeiten konnten keine eindeutige Korrelation zeigen (Berger und Zeller 1994, Le Lezec et al. 1986). Blüteninokulationsversuche erweitern somit das Anfälligkeitsbild einer Sorte und verbessern die Aussagekraft

2010

2009a

2009b

Triebinokulation

Gwh-1

Blüteninokulation

Gwh-2

Freiland

Sauergrauech Rewena 0,0 Remo Reglindis Reanda Liberty Heimenhofer 0,0 Gala Enterprise

0,0

Empire Boskoop 100

90

80

70 60 50 40 30 Läsionslänge nach 3 Wochen (%)

20

10

0

0

10

20

30

40 50 60 70 Blütenbüschel > Kl. 5 (%)

80

90

100

Abb. 9 | Trieb- und Blütenanfälligkeit im Vergleich. Durchschnittliche Läsionslänge in Prozent der Gesamttrieblänge drei Wochen nach Inokulation, beziehungsweise Anteil Blütenbüschel ganz krank und/oder mit sichtbarer Nekrose im Holz (Boniturklasse grösser als 5).

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Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 526–533, 2011


Combattere il fuoco batterico grazie a delle varietà poco sensibili Il calo dei frutteti di mele da sidro causato, in particolare, dal fuoco batterico, minaccia l’approvvigionamento delle sidrerie con mele svizzere di qualità. Le varietà poco sensibili al fuoco batterico sono fondamentali per gestire a lungo termine la propagazione del patogeno, per approvvigionare le sidrerie con frutti svizzeri di qualità e per preservare la frutticoltura da alto fusto che modella i nostri paesaggi e ricopre un ruolo ecologico importante. Nel contesto della crescente liberalizzazione dei mercati, l’alta qualità del succo e le brevi distanze di trasporto costituiscono dei vantaggi reali per i trasformatori di frutta svizzera. La stazione di ricerca Agroscope ChanginsWädenswil ACW, in collaborazione con la Zentralgenossenschaft für alkoholfreie Verwertung von Schweizer Obstprodukten CAVO e altri partner, ha testato diverse varietà di mele, vecchie e nuove, sulla loro sensibilità al fuoco batterico, la qualità dei loro succhi, la loro attitudine alla trasformazione, così come la loro produttività e crescita. Tra il 2008 e il 2011 un centinaio di varietà sono state inoculate in condizioni controllate per testare la sensibilità dei germogli al fuoco batterico e, per una decina di loro, quella dei fiori. Una cinquantina di varietà ha mostrato delle proprietà molto promettenti per la trasformazione e si sono analizzate le qualità chimiche e organolettiche del loro succo. Tra i cultivar esaminati, 17 forniscono un succo di alta qualità e risultano allo stesso tempo poco sensibili al fuoco batterico.

Literatur ▪▪ Berger F. & Zeller W., 1994. Resistenz von Apfel- und Birnensorten gegen Feuerbrand nach Blüteninfektion. Obstbau 8, 403–404. ▪▪ EPPO-Richtlinie PP 1/166(3), 2002. Efficacy evaluation of bactericides Erwinia amylovora. EPPO Bulletin 32, 341–345. ▪▪ Interreg-IV-A-Projekt «Gemeinsam gegen Feuerbrand». www.feuerbrand-bodensee.org. ▪▪ Khan M.A., Duffy B., Gessler C. & Patocchi A., 2006. QTL mapping of fire blight resistance in apple. Molecular Breeding 17, 299–306. ▪▪ Le Lezec M., Babin J. & Lecomte P., 1986. Sensibilité des variétés américaines et européennes de pommier au feu bactérien. Arboriculture frutière 388, 23–29. ▪▪ Le Lezec M. & Paulin J.P., 1984. Shoot susceptibility to fire blight of some apple cultivars. Acta Horticulturae 151, 277–281. ▪▪ Moltmann E. & Herr R., 2011. Effect of Wetness on Blosson Infections by Erwinia amylovora – Impact of Forecasting Models. Proc. 12th Int. Workshop on Fire Blight, Acta Horticulturae 896, 277–281.

Summary

Riassunto

Mit robusten Sorten dem Feuerbrand entgegen wirken | Pflanzenbau

Robust varieties crucial for fireblight control The loss of traditional apple orchards, also due to fire blight outbreaks, is threatening the supply of the Swiss cider industry in high quality cider apples. Fireblight tolerant varieties are a key-factor in a sustainable disease-management. They not only ensure the availability of high quality cider apples, but also help to maintain traditional orchards, playing an important role with respect to landscape and ecology. In the market liberalization context, high juice quality and short transport distances are trump cards for the Swiss cider industry in facing competitors. The Research Station Agroscope ChanginsWädenswil ACW in collaboration with the Centralgenossenschaft für Alkoholfreie Verwertung von Schweizer Obstprodukten CAVO and other partners tested traditional and new apple varieties for their susceptibility to fireblight, juice quality, processing ability, as well as growing habit and productivity. From 2008 to 2011 about 100 apple varieties were tested for fireblight susceptibility by shoot inoculation, whereof 10 additionally by bloom inoculation. In total 50 promising varieties have been tested for their processing ability and chemical as well as sensory juice quality. Out of all the varieties tested, 17 fulfilled the high requirements for juice quality, while showing low susceptibility to fire blight. Key words: Erwinia amylovora, fire blight, cider apples, apple juice, traditional orchards.

▪▪ Momol M.T., Norelli J.L., Piccioni D.E., Momol E.A., Gustafson H.L., Cummins J.N. & Aldwinckle H.S., 1998. Internal movement of Erwinia amylovora through symptomless apple scion tissues into the rootstock. Plant Disease 82, 646 – 650. ▪▪ Pusey P.L., 2000. The role of water in epiphytic colonization and infection of pomaceous flowers by Erwinia amylovora. Phytophatology 90, 1352–1357. ▪▪ Schobinger U. & Müller W., 1975. Produktions- und Verarbeitungstechnische Aspekte bei der Beurteilung von Apfel- und Birnensorten für die Getränkeherstellung. Flüssiges Obst 44, 414–419. ▪▪ Thomson S.V., 2000. Epidemiology of fire blight. In: Vanneste, J.L. (eds) Fire Blight: The Disease and its Causative Agent, Erwinia amylovora. CAVI Publishing, Wallingfort UK, 9–37.

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L e b e n s m i t t e l

Weltmeisterliche Käse-Kulturen Hans-Peter Bachmann, Elisabeth Eugster, Barbara Guggenbühl und Hans Schär Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP, 3003 Bern Auskünfte: Hans-Peter Bachmann, E-Mail: hans-peter.bachmann@alp.admin.ch, Tel. +41 31 323 84 91

Heute werden die Kulturen wöchentlich in flüssiger Form versandt. (Foto: ALP)

Einleitung Die Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP entwickelt und produziert seit mehr als hundert Jahren die mikrobiellen Kulturen (Kasten 1) für die traditionellen Schweizer Hart- und Halbhartkäse. ALP trägt damit ganz wesentlich zur Qualität, Sicherheit, Natürlichkeit

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und Authentizität dieser Käse bei. Da diese Kulturen nur in der Schweiz angeboten werden, ergibt sich daraus ein wichtiger Wettbewerbsvorteil für die Branche. In den kommenden Jahren lanciert ALP verschiedene neue Kulturen für fermentierte Milch- und Fleischprodukte, welche einen Herkunftsnachweis oder eine gezielte Wirkung auf das Aroma oder die Sicherheit von Käse


Weltmeisterliche Käse-Kulturen | Lebensmittel

Zusammenfassung

ermöglichen. ALP trägt damit massgebend zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit von fermentierten Milchund Fleischprodukten aus der Schweiz bei. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte Schweizer Käser sind regelmässige Preisträger bei internationalen Wettbewerben. Es ist in der Fachwelt breit anerkannt, dass die Kulturen aus dem Liebefeld massgeblich zu dieser Erfolgsgeschichte beitragen. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Nachfrage aus dem Ausland nach diesen Kulturen gross ist. In verschiedenen Ländern wurde versucht ALP Kulturen zu kopieren ohne durchschlagenden Erfolg. Bis heute ist es gelungen, diesen Wettbewerbsvorteil für die Schweizer Käse zu sichern. Die Einzigartigkeit dieser Kulturen beruht auf den folgenden Erfolgsfaktoren: ••Bereits vor Jahrzehnten wurden betriebseigene Kulturen aus gut produzierenden Käsereien aus der gesamten Schweiz im Liebefeld gesammelt und konserviert. Die Stammsammlung im Liebefeld besteht aus mehr als 12 000 Stämmen. Diese ursprüngliche Biodiversität bildet eine weltweit einzigartige Grundlage für die Entwicklung von neuen Kulturen.

Schweizer Käser sind regelmässige Preisträger bei internationalen Wettbewerben. Es ist in der Fachwelt breit anerkannt, dass die mikrobiellen Kulturen aus dem Liebefeld massgeblich zu dieser Erfolgsgeschichte beitragen. Dank der Verwendung von Kulturen mit Bakterien der ursprünglichen Biodiversität aus dem Herkunftsgebiet kann auch die Verbindung der traditionellen Schweizer Käsesorten zu ihrem Terroir wesentlich verstärkt werden. Im Artikel werden die Erfolgsfaktoren dargestellt, die geschichtliche Entwicklung zusammengefasst, aktuelle Forschungsprojekte präsentiert und das Geschäftsmodell der Kulturenproduktion vorgestellt. Eine approximative Berechnung zeigt auf, dass die öffentlichen Mittel, welche in die Kulturenentwicklung fliessen, eine grosse Hebelwirkung auf das landwirtschaftliche Einkommen haben und einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung einer dezentralen Milchverarbeitung und einer flächendeckenden, multifunktionalen Landwirtschaft in der Schweiz leisten.

Kasten 1 | Was sind Kulturen? Starterkulturen (auch kurz Starter) sind spe­ zielle, aufgrund spezifischer Eigenschaften ­selektierte vermehrungsfähige Mikroorganismen, die bei fermentativen Prozessen der ­Lebensmittelherstellung verwendet werden. Sie können in Reinkultur oder kontrollierten Mischkulturen vorliegen. Sie werden einem Lebensmittel zugesetzt, um dieses in Aus­ sehen, Geschmack oder Haltbarkeit zu verbessern. Meist werden Milchsäurebakterien oder Hefen verwendet, aber auch Mischungen beider Gruppen − wie beim Sauerteig oder ­Kefir. Die Bezeichnung «Starterkultur» ist inspiriert dadurch, dass diese Mikro­ organismen den Veränderungsprozess des Lebensmittels in Gang setzen. Mit Hilfe von Starterkulturen werden ungefähr 35 Prozent unserer Nahrung hergestellt. Beispiele auf dieser Weise hergestellter Nahrungsmittel sind Backwaren, Sauerkraut, ­Jogurt sowie Sauermilchprodukte, Käse, ­Rohwurst, Bier oder Wein. (Quelle: Wikipedia)

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Lebensmittel | Weltmeisterliche Käse-Kulturen

Abb. 1 | Tätigkeitsbericht aus dem Jahre 1908: Versand der Käsereikultur.

••Die Kulturen aus dem Liebefeld sind zum grossen Teil sogenannte Rohmischkulturen bestehend aus einer grossen Anzahl von verschiedenen Stämmen. Diese Kulturen werden wöchentlich frisch produziert und in flüssiger Form verschickt. Jeder Käser stellt damit seine eigenen Betriebskulturen her, was zur Vielfalt der Schweizer Käse beiträgt. Eine Kopie der ALP Kulturen, indem einzelne Stämme aus Schweizer Käse isoliert werden, ist deshalb nicht möglich. ••An der Forschungsanstalt im Liebefeld, bei den Käsern, den regionalen milchwirtschaftlichen Beratungsplattformen und den Sortenorganisationen wurde über Jahrzehnte ein sehr grosses Wissen rund um die Kulturen erarbeitet und unschätzbare Erfahrungen gesammelt. ••Die traditionellen Hart- und Halbhartkäse werden zum grössten Teil mit Kulturen aus dem Liebefeld hergestellt. Beim Le Gruyère AOC und bei Alpkäsen ist die Verwendung von betriebseigenen Fettsirtekulturen noch verbreitet, wobei deren Zusammensetzung ebenfalls mit Kulturen aus dem Liebefeld gezielt gelenkt wird.

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Wie alles begann… Schweizer Käse sind naturreine, durch verschiedene Gärungen gereifte, einzigartige Produkte mit langer Tradition. Zu ihrer Herstellung braucht es insbesondere frische, qualitativ hochstehende Rohmilch, fundiertes Wissen und Können der Fachleute sowie das Beherrschen der Gärungsvorgänge mit Kulturen. Die Forschungsanstalt im Liebefeld unterstützt die Landund Milchwirtschaft in diesen Gebieten seit über hundert Jahren. Die erste Bakterienkultur stand den Käsern bereits kurz nach Aufnahme der Aktivitäten der Forschungsanstalt im Liebefeld zur Verfügung. Im Tätigkeitsbericht von 1908 ist vermerkt, dass in diesem Jahr die damals bereits beachtliche Zahl von 3987 Flaschen «Reinkultur» («Thermobacterium helveticus») verschickt wurde (Abb.1). Mit der Reinkultur wurde in den Käsereien das Lab zubereitet. Im Tätigkeitsbericht steht auch, dass «die Abgabe von Reinkulturen zur rationellen Labbereitung seit dem Vorjahr bedeutend zugenommen hat», was darauf hindeutet, dass der Kulturenversand schon im Jahr 1907 begonnen hat. In den 1920er Jahren leistete ALP mit den Forschungsarbeiten zu der damals zunehmend ausbleibenden Lochbildung beim Emmentaler Käse Pionierarbeit. Es gelang zu zeigen, dass Propionsäurebakterien wesentlich zur Lochbildung und damit verbunden auch zum charakteristischen Geschmack von Emmentaler beitragen. Der gezielte Einsatz von entsprechenden Kulturen mit Propionsäurebakterien ermöglichte es, den typischen Charakter des Emmentalers zu bewahren. Mit der Isolation, Charakterisierung und Züchtung von vielen Stämmen aus der natürlichen Umgebung wurde eine wichtige Basis für das gezielte Sammeln von Bakterienstämmen gelegt. Dank dem Einsatz von PropionsäurebakterienKulturen konnte der typische Emmentaler gerettet werden. Damit gewann die Kulturenproduktion im Liebefeld weiter an Bedeutung. Ab den 1960er Jahren stiegen die Milchproduktion und die Käseherstellung in der Schweiz stark an und wurden zu einer der wichtigsten Einnahmequellen der Landwirtschaft. Sehr oft wurden aber ganze Monatsproduktionen guter Käse im Laufe der Reifung durch eine einsetzende «Nachgärung» entwertet, was zu massiven finanziellen Verlusten führte. Die Käseforschung im Liebefeld entwickelte Analysenmethoden, mit denen die unerwünschten Gärungen charakterisiert werden konnten. Mit dem Ersatz der damals in der Käserei üblicherweise selber gezüchteten Milchsäurebakterien durch Liebefelder-Kulturen konnte der Fehler rasch behoben werden (Abb. 2). Welch ein Erfolg für geplagte Käser und Bauern! In der Folge wurde im Bereich Kulturenentwick-


Weltmeisterliche Käse-Kulturen | Lebensmittel

lung im Liebefeld Vollgas gegeben: Sammeln, charakterisieren, konservieren und prüfen vieler Bakterienkulturen aus Käsereien der ganzen Schweiz. Die besten Kulturen wurden ausgewählt, wöchentlich produziert und an die Käsereien verschickt (Abb. 3). In den 1970er Jahren nahm der Kulturenverkauf sprunghaft zu. Die ursprünglichen Eigenschaften der verschiedenen Schweizer Käse konnten damit auf hohem Qualitätsniveau gehalten werden. Zudem erlaubten die Kulturen den Käsereien auch viele Innovationen. «Forschung, Beratung, Kulturen» drei Schlüsselwörter, die für die Forschungsanstalt im Liebefeld standen, stehen und stehen werden. Aktuelle Forschungsschwerpunkte in der Entwicklung neuer Kulturen Der zwischen der EU und der Schweiz vollständig liberalisierte Käsemarkt hat den Wettbewerb wesentlich intensiviert. Die Käsebranche hat deshalb ein grosses Interesse an neuen Kulturen, damit sich ihre Produkte von der Konkurrenz möglichst stark differenzieren. ALP entwickelt für verschiedene AOC-Käsesorten spezifische Kulturen, so wie sie schon heute für den Le Gruyère AOC angeboten werden. Weit fortgeschritten sind auch die Entwicklungsarbeiten für Kulturen, die eine gezielte Wirkung auf das Aroma oder die Produktsicherheit haben (Mallia 2008, Roth 2009). Noch etwas länger wird es dauern, bis Kulturen eingeführt werden können, welche die ernährungsphysiologischen Eigenschaften positiv zu beeinflussen vermögen, etwa durch probiotische Stämme (Ritter et al. 2009) oder durch die Bildung von bioaktiven Peptiden, die beispielsweise eine blutdrucksenkende Wirkung haben und so einen möglichen negativen Effekt des Kochsalzes ausgleichen.

Abb. 3 | Mikroskopisches Bild einer Rohmischkulturen mit Laktobazillen (Stäbchen) und Streptokokken (Kügelchen).

Bei der Entwicklung von neuen Kulturen wird mit modernsten wissenschaftlichen Methoden gearbeitet, um die Wirkung der Kulturen optimieren zu können und um sicherzustellen, dass die Eigenschaften der Kulturen keine Qualitätsschwankungen zeigen. Um die Stoffwechselwege der Bakterien aufzuklären und zu verstehen, gelangen neben vielen klassischen Methoden vermehrt auch gentechnologische Methoden zur Anwendung (Bogicevic et al., Irmler et al. 2006 – 2009). Dies ermöglicht in der Folge ein gezieltes Screening der umfangreichen natürlichen Biodiversität. Es gibt aber an ALP keine Projekte mit dem Ziel gentechnologisch veränderte Kulturen anzubieten. Die verschiedenen neuen Kulturen, die zurzeit entwickelt werden, führen in den nächsten Jahren zu einer grossen Sortimentserweiterung (Kasten 2). In der Folge wird es nicht mehr möglich sein, alle diese Kulturen wöchentlich frisch in flüssiger Form zu produzieren. Deshalb wird zurzeit auch eine alternative Angebotsform 

Kasten 2 | Kennzahlen der Kulturenproduktion von Agroscope Liebefeld-Posieux ALP (Angaben 2010): • Absatz: ca. 100‘000 Einheiten à 100 ml ­zuzüglich 2000 Lyo-Ampullen für Alpkäse • Umsatz: ca. 2 Mio CHF • Sortimentsbreite: 40 verschiedene Kulturen Abb. 2 | Lyophilisierte Konserve mit Milchsäurebakterien.

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Lebensmittel | Weltmeisterliche Käse-Kulturen

Abb. 4 | Käseplatte mit traditionellen Schweizer Käsen welche mit Kulturen von ALP hergestellt werden. (Foto: ALP)

entwickelt (Koch 2006). Ausgewählte Kulturen sollen in Zukunft in lyophilisierter Form in den Verkauf gelangen. Dies erlaubt es, vermehrt Kulturen für Nischenprodukte (Alpkäse, lokale Spezialitäten, Hofverarbeitung) anzubieten und die heutige Kompetenz zu nutzen, auch Kulturen für weitere fermentierte Milch- und Fleischprodukte zu entwickeln und zu produzieren. Bereits im nächsten Jahr wird die erste Rohwurst-Kultur auf den Markt kommen. Patentierter Herkunftsnachweis Der intensive Wettbewerb hat dazu geführt, dass vermehrt Fälschungen von traditionellen Schweizer Käsesorten auf dem Markt angeboten werden. Ein Grund für ALP sogenannte Herkunftsnachweis-Kulturen zu entwickeln, welche aus Milchsäurebakterien bestehen, die natürlicherweise eine einzigartige Gensequenz aufweisen, die im konsumreifen Käse nachgewiesen werden kann (Casey et al. 2008). Diese Stämme werden nach einem ausgeklügelten System eingesetzt, was erlaubt, mit grosser Sicherheit zu bestimmen, ob ein Käse ein ­Original oder eine Fälschung ist. Anfangs 2011 wurde dieses Konzept für die erste Käsesorte, den Emmentaler Switzerland, eingeführt. Können diese spezifischen Milchsäurebakterien nachgewiesen werden, ist der Käse zweifelsfrei ein Emmentaler AOC. ALP hat diese Methode patentiert und das Patent an die Sortenorganisation Emmentaler Switzerland verkauft,

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welche in der Lage ist das Patent auch durchzusetzen. Im Patentverkaufsvertrag wurde festgelegt, dass auch weitere Sortenorganisationen an diesem Patent teilhaben können. An der Entwicklung von exklusiven Kulturen, welche nicht von der gesamten Schweizer Branche bezogen werden können, müssen sich die Auftraggeber finanziell beteiligen. Da die Kulturenentwicklung mit Projekten für die nächsten Jahre ausgelastet ist, kann eine Exklusivkultur nur noch entwickelt werden, wenn ein Auftraggeber bereit ist, die gesamten Entwicklungskosten selber zu finanzieren, was mehr und mehr der Fall ist. Ausgewählte innovative Projekte haben dabei das Potenzial, dass sie von der Kommission für Technologie und Innovation KTI des Bundes mitfinanziert werden. Geschäftsmodell der Kulturenproduktion Die Kulturenproduktion von ALP arbeitet kostendeckend aber nicht gewinnorientiert. Die Kulturen werden heute ausschliesslich in der Schweiz angeboten. Beim Preis gibt es bewusst keine Differenzierung. Das bedeutet, dass Käsesorten mit einer kleineren Absatzmenge wie Tête de Moine AOC oder Sbrinz AOC ihre Kulturen zu den gleichen Preisen beziehen können wie umsatzstärkere Käsesorten (Emmentaler AOC, Le Gruyère AOC) (Abb. 4).


Weltmeisterliche Käse-Kulturen | Lebensmittel

Kasten 3 | Testimonials Die ALP-Kulturen sind das Rückgrat der Schweizer ­Traditionskäse. Die Forschungsanstalt hat dazu schon früh den Grundstein gelegt und weitblickend eine einmalige Stammsammlung und die Kulturenproduktion aufgebaut. Die aktuelle Forschungsarbeit und die technologische Weiterentwicklung der Kulturenproduktion an der ALP sind unverzichtbar für die Schweizer Milchwirtschaft. Jacques Gygax, Direktor bei Fromarte – Die Schweizer Käsespezialisten Die Kulturen der ALP sind heute aus der Produktion der Schweizer AOC Käse nicht mehr wegzudenken. ­Abgesehen von der hygienischen Beherrschung des Herstellprozesses mit Rohmilch sind die Kulturen der zentrale Erfolgspfeiler für eine gleichbleibend hochstehende Qualität der Schweizerischen AOC-Käse. Othmar Dubach, Leiter Geschäftsbereich Käse bei Emmi

Unterstützend zum Einsatz der Fettsirtenkulturen ­geben mir die RMK der ALP bei der Fabrikation von Gruyère täglich eine gesunde Kulturenbasis. Mit ­diesen Kulturen kann ich meine Fabrikationsparame­ter leichter steuern und positiv beeinflussen. Urs Kolly, Käser in St.Antoni und siebenfacher Goldmedaillengewinner bei Paralympischen Spielen Pour CASEi et pour les fromagers, les cultures d’ALP ­signifient une qualité, originales, naturelles et spécifiques. Elles sont les garants de la réputation des fromages de Suisse. La collection de souches d’ALP constitue la mémoire sensorielle de nos fromages. Jean-Pierre Häni, Chef der milchwirtschaftlichen Beratungsplattform CASEi

C’est avec la culture AOC-G3 du Liebefeld que j’ensemence le lait du soir qui me permet de garantir une bonne maturation et qui, à mon avis, contribue en grande partie à la qualité de mon Gruyère AOC. Cédric Vuille, Käser in La Brévine, Gewinner der ­Gesamtwertung des letzten World Championship Cheese Contest 2010 in Madison (USA)

Die AOC-Spezialitäten beruhen auf einer starken Verbindung zu Ihrem «Terroir». Bei der Produktion von AOC-Käsesorten ist es daher absolut notwendig, über qualitativ einwandfreie Kulturen verfügen zu können, die aus der Ursprungsregion stammen. Die ALP-Kulturen ermöglichen dies und tragen demzufolge auch zur weiteren Entwicklung dieser Aushängeschilder des Schweizer kulinarischen Erbes bei. Alain Farine, Geschäftsführer der Schweizerischen ­Vereinigung der AOC-IGP

Um das natürliche Image der Schweizer Käsesorten zu verstärken, wird der weitaus grösste Teil der Kulturen in Bio-Qualität (Knospe) angeboten. Diese Bio Kulturen sind garantiert frei von gentechnischen Veränderungen und werden einzig auf Bio-Milch ohne irgendwelche Zusatzstoffe gezüchtet. Auch dies ist eine wichtige Differenzierung zur ausländischen Konkurrenz, welche in Zukunft noch stark an Bedeutung gewinnen könnte. Mit der Einführung von neu entwickelten Kulturen wird es in naher Zukunft zu einem starken Umsatzwachstum kommen, was grosse Investitionen in den Aufbau einer neuer Angebotsform (Lyophilisation; Reinraum) bedingt. Damit diese Investitionen und das Kostenwachstum nicht zulasten des Forschungsbudgets von ALP gehen, wurde nach einem neuen Finanzierungsmodell für die Kulturenproduktion im Liebefeld gesucht. Seit anfangs 2010 wird die Kulturenproduktion als

eigene, sogenannte Subfinanzstelle geführt, welche auf der Grundlage eines Businessplanes zusätzliche Mittel für Investitionen, Personal und Sachaufwände beantragen kann und diese in der Folge über Mehreinnahmen wieder in die Bundeskasse zurückfliessen lässt. Dieses System führt dazu, dass die gesamten Investitionskosten durch die schweizerische Branche getragen werden müssen. Es soll deshalb in Zukunft geprüft werden, ob Kulturen, welche bezüglich Qualität für die Branche keinen wesentlichen Marktvorteil ermöglichen, mittelfristig auch im Ausland angeboten werden könnten. Eine solche Lösung wäre beispielsweise bei den Kulturen für den Herkunftsnachweis oder den Kulturen für die Erhöhung der Lebensmittelsicherheit denkbar. Ausländischen Kunden soll dabei untersagt werden darauf hinzuweisen, dass sie Schweizer Kulturen einsetzen. Diese USP (Unique Selling Proposition) soll der Schwei zer Branche vorbehalten bleiben.

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…und die Erfolgsgeschichte wird weitergeschrieben… Ende 2011 wird bei der Kulturenproduktion im Liebefeld ein Reinraum mit einer Lyophilisationslinie installiert. Dies erlaubt ALP im nächsten Jahr die Kultur für den Herkunftsnachweis im Tête de Moine AOC und die erste Rohwurst-Kultur einzuführen. Wie oben beschrieben werden rasch weitere neue Kulturen nachfolgen. Wenn diese Entwicklung weiter anhält, wird sich in einigen Jahren wiederum die Frage nach einer Kapazitätserweiterung stellen, was wohl auch Überlegungen hinsichtlich Finanzierungsmodell und Unternehmensform nach sich ziehen wird. Die Stammsammlung im Liebefeld ist weltweit einzigartig. Da viele Stämme sehr alt sind, decken sie eine Biodiversität ab, die es in dieser Form heute nirgendwo mehr gibt. Ein grosser Teil der Stämme wurde zu einer Zeit isoliert, als noch keine Antibiotika verwendet wurden. Der Einsatz von Antibiotika hat dazu geführt, dass viele Stämme verschwunden sind oder Resistenzen erworben haben. Erworbene Resistenzen sind grundsätzlich unter den Bakterien übertragbar, was eine potenzielle Gefahr darstellt. Dies ist ein weiteres Plus für die Kulturen aus dem Liebefeld, da sie keine solchen übertragbaren Resistenzen aufweisen. Es steht ausser Frage, dass mit den Stämmen von ALP mehr möglich ist, als «nur» Milch- und Fleischprodukte von hervorragender Qualität zu produzieren. Da ALP die Ressourcen fehlen, um dieses riesige Potenzial optimal zu nutzen, werden zur Zeit Investoren gesucht. Warum Steuergelder? Auch wenn die Kulturenproduktion im Liebefeld kostendeckend geführt und der Anteil an Fremdfinanzierung bei der Kulturenentwicklung kontinuierlich steigt, fliessen pro Jahr immer noch etwa zwei Millionen CHF öffentliche Mittel in die Kulturenentwicklung, ausserhalb der Subfinanzstelle. Lässt sich das heute noch rechtfertigen?

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Es steht ausser Zweifel, dass die Kulturen von ALP massgebend zum Markterfolg von Schweizer Käsen beitragen (Kasten 3). Da die Konkurrenz nicht schläft, muss der Qualitätsvorsprung auch mit der Einführung von neuen Kulturen sichergestellt werden. Die traditionellen Schweizer Käse sind das wichtigste Standbein der dezentralen Milchverarbeitung und führen zu einem höheren Milchpreis in Randregionen, was zur flächendeckenden Bewirtschaftung und zum Erhalt einer multifunktionellen Landwirtschaft beiträgt. Gerade in Randregionen kann die landwirtschaftliche Nutzfläche oftmals nur über raufutterverzehrende Wiederkäuer bewirtschaftet werden. Eine approximative Berechnung von ALP ergab, dass Schweizer Käse am Markt im Durchschnitt pro kg eine um 1,5 CHF höhere Wertschöpfung generiert als die ­ausländische Konkurrenz. Bei einer totalen jährlichen Produktionsmenge von 180 000 Tonnen entspricht dies einer Gesamtsumme von 260 Millionen CHF. Unter der Annahme, dass nur 1 % dieser höheren Wertschöpfung durch die Kulturen bedingt ist, würden sich die öffentlichen Mittel, die in die Kulturenentwicklung fliessen, bereits auszahlen. In der Realität darf davon ausgegangen werden, dass die Kulturen sogar noch einen wesentlichen grösseren Beitrag leisten. Zudem werden über die Kulturen von ALP auch immaterielle Werte wie Authentizität, Erhaltung Tradition (AOC) oder Natürlichkeit gestärkt. Es darf demnach festgehalten werden, dass die Kulturen aus dem Liebefeld in jeder Hinsicht eine Erfolgsgeschichte sind, die noch lange nicht fertig geschrieben ist. n


Colture per la produzione casearia vincente a livello mondiale I produttori di formaggi svizzeri sono regolarmente premiati nei concorsi internazionali. Esperti di chiara fama riconoscono ampiamente che le colture microbiche ottenute a Liebefeld contribuiscono in modo determinante a questo successo. Grazie all'impiego di colture batteriche che evidenziano la biodiversità originaria della regione di origine è possibile rafforzare anche il legame tra le varietà tradizionali di formaggio svizzero e il rispettivo territorio. Nel presente articolo sono illustrati i fattori di successo, riassunti gli sviluppi storici, presentati i progetti di ricerca in corso e il modello aziendale di produzione delle colture. Un calcolo approssimativo dimostra che i fondi pubblici stanziati per lo sviluppo delle colture hanno un notevole effetto leva sul reddito agricolo e contribuiscono in maniera considerevole al mantenimento di una trasformazione del latte a livello decentralizzato, nonché alla multifunzionalità dell'agricoltura svizzera su scala nazionale.

Literatur ▪▪ Bogicevic B., Irmler S., Portmann R., Meile L. & Berthoud H. Characterization of the cysK2-ctl1-cysE2 gene cluster involved in sulfur metabolism in Lactobacillus casei. Int. J. of Food Microbiol. , submitted. ▪▪ Casey M.G., Isolini D., Amrein R., Wechsler D., Berthoud H. & 2008. Naturally Occurring Genetic Markers in Bacteria. Dairy Sciences and Technology 88 (4 – 5), 457–466. ▪▪ Irmler S., Heusler M.L., Raboud S. Schlichtherle-Cerny H., Casey M.G. & Eugster-Meier E., 2006.Rapid volatile metabolite profiling of Lactobacillus casei strains: selection of flavour producing cultures. Australian Journal of Dairy Technology 61 (2), 123–127. ▪▪ Irmler S., Raboud S., Beisert B., Rauhut D. & Berthoud H., 2008. ▪▪ Cloning and characterization of two Lactobacillus casei genes encoding a cystathionine lyase. Applied and environmental Microbiology 74 (1), 99 – 106. ▪▪ Irmler S., Schaefer H., Beisert B., Rauhut D. & Berthoud H., 2009. Identification and characterization of a strain-dependent cystathionine ß/g-lyase in Lactobacillus casei potentially involved in cysteine biosynthesis FEMS Microbiol.Lett. 295 (1), 67–76.

Summary

Riassunto

Weltmeisterliche Käse-Kulturen | Lebensmittel

World champion cheese cultures Swiss cheeses regularly win prizes at international contests. Experts widely agree that the microbial cultures from Liebefeld have contributed greatly to this success story. Thanks to the use of cultures with bacteria originally stemming from biodiversity in the nearby area, the connection between traditional Swiss cheeses and their terroir can be strengthened considerably. This article will outline the success factors, summarise the historical development, present current research projects and introduce the business model of culture production. An approximate calculation reveals that the public funding going towards the development of microbial cultures has a lot of leverage over agricultural income and contributes significantly to the preservation of decentralised dairy processing and to extensive, multifunctional agriculture in Switzerland. Key words: cheese, cultures, lactic acid bacteria, propionic acid bacteria.

▪▪ Irmler S., 2009. Innovative Technologien in der Käseforschung. In: Forschung und Ernährung – ein Dialog Weinheim Verlag Wiley-Blackwell p. 259–262. ▪▪ Koch S., 2006. Effects of fermentation conditions on viability, physiological and technological characteristics of autolytic dried direct vat set lactic starter cultures. Dissertation ETH Zürich Nr. 16909. ▪▪ Mallia S., 2008. Oxidative stability and aroma of UFA/CLA (unsaturated fatty acid/conjugated linoleic acid) enriched Butter. Dissertation ETH Zürich Nr. 18020. ▪▪ Ritter P., Kohler C. & von Ah U. , 2009. Evaluation of the passage of ­L actobacillus gasseri K7 and bifidobacteria from the stomach to intestines using a single reactor model. BMC Microbiology 9, 87. ▪▪ Roth E., 2009. Control of Listeria contamination on the surface of semihard cheeses by natural smear eco-systems and protective cultures. ­D issertation ETH Zürich Nr. 18644.

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N u t z t i e r e

Projekt «Weidekuh-Genetik»: Zusammenfassung und Perspektiven Valérie Piccand1, Erwan Cutullic1, Fredy Schori2, Karin Keckeis3, Christian Gazzarin 4, Marcel Wanner5 und Peter Thomet1 1 Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft, 3052 Zollikofen 2 Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP, 1725 Posieux 3 Institut für Tierhaltung und Tierzucht, Veterinärmedizinische Universität Wien, 1210 Wien, Österreich 4 Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8356 Ettenhausen 5 Institut für Tierernährung, Vetsuisse-Fakultät, Universität Zürich, 8057 Zürich Auskünfte: Valérie Piccand, E-Mail: valerie.piccand@bfh.ch, Tel. +41 31 910 22 18

Die Wahl des Milchproduktionssystems und des entsprechenden Kuhtyps zur effizienten Nutzung unserer Futterressourcen ist ein weites und wichtiges Forschungsgebiet, das sich ständig weiterentwickelt. (Foto: Projekt «Weidekuh-Genetik»)

Einleitung Dieser Artikel fasst die wichtigsten Resultate des Projekts «Weidekuh-Genetik» zusammen und diskutiert sie in einem Kontext, der über den eigentlichen Versuch – Milchproduktion im Vollweidesystem mit Frühjahrs-Blockabkalbung – hinausgeht und neue Forschungsperspektiven auf Ebene Tier und Produktionssystem mit einbezieht.

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Dieses von der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft SHL und ihren Partnern von 2007 bis 2010 durchgeführte Projekt war Thema von drei Artikeln in der Agrarforschung Schweiz. Vorgestellt wurden die Kuhtypen und die Untersuchungsmethoden (Piccand et al. 2011c), die Produktions- und Fruchtbarkeitsleistungen in den drei Versuchsjahren (Piccand et al. 2011a) sowie die Wirtschaftlichkeit von Produktionssystemen mit diesen Rassen (Gazzarin und Piccand, 2011). Wer sich


für weiterführende Informationen interessiert, kann diese Artikel oder den Schlussbericht des Projekts «Weidekuh-Genetik» (2010) konsultieren. Kurz zusammengefasst hatte der Versuch zum Ziel, die Eignung der heutigen Schweizer Milchkühe für ein Vollweidesystem mit saisonaler Abkalbung zu testen. Aus diesem Grund wurden Kühe der Rassen Schweizer Holstein (CH HF), Schweizer Fleckvieh (CH FV) und Schweizer Brown Swiss (CH BS) Kühen mit Neuseeländischen Holstein-Friesian (NZ HF) verglichen. Letztere dient als Referenzrasse, da sie eine langjährige Selektion für diese Art von System erfahren hat und für ihre Milchproduktionseffizienz und guten Fruchtbarkeitsleistungen bekannt ist. Die hohe Futterkonvertierungseffizienz und die Fähigkeit, sich in einer begrenzten Zeit fortzupflanzen, sind faktisch die zwei wichtigsten an die Tiere gestellten Anforderungen.

Zusammenfassung

Projekt «Weidekuh-Genetik»: Zusammenfassung und Perspektiven | Nutztiere

Zusammenfassung der wichtigsten Resultate

90% Anteil der trächtigen Kühe in 6 Wochen der Besamungssaison

Auf Tier-Ebene: produzieren oder reproduzieren? Die beiden Holstein-Linien zeigten eine höhere Milchleistung, erreichen diese aber auf unterschiedliche Weise (Abb. 1). Die CH HF produzierte ein hohes Milchvolumen mit einer ausgeprägten Laktationsspitze, während der kleinere Kuhtyp NZ HF eine tiefere Milchmenge mit einer flacheren Laktationskurve aufwies, bei höheren Fett- und Eiweissgehalten. Diese Unterschiede scheinen mehr auf Stoffwechselunterschiede anfangs Laktation zu beruhen als auf dem unterschiedlichen Verzehr (dieser war gleich pro kg Lebendgewicht), obwohl Unterschiede im Verzehrsverhalten festgestellt werden konnten (P. Kunz, F. Schori, N. Roth, Schlussbericht 2010). Für Weidesysteme mit geringen Kraftfuttergaben (im Mittel 260 kg/Laktation) zeigen diese beiden Milchkuhtypen also eine vergleichbare Effizienz, übereinstimmend mit den Resultaten von Horan et al. (2005) aus Irland. Unter noch restriktiveren Fütterungssystemen in Neuseeland hatte sich der Typ neuseeländische Holstein als effizienter erwiesen (Macdonald et al. 2008). In Produktionssystemen, die auf eine hohe Jahres-Milchleistung setzen, würden die CH HF wahrscheinlich eine höhere Effizienz als die NZ HF zeigen, da sie das Kraftfutter besser umsetzen (Horan et al. 2005). Die Fruchtbarkeitsleistungen der CH FV waren ausgezeichnet (Abb. 1). Sie haben die in Neuseeland gesetzten Ziele sogar übertroffen. Die CH FV zeigten eine gute Fruchtbarkeit bei der Besamung, wahrscheinlich eine gute Zyklizität (nachgewiesen in der 2. Laktation durch Progesteronprofile) sowie ein klares Anzeigen der Brunst. Die CH HF hingegen zeigten eine ungenügende

Der Versuch hatte zum Ziel, die Schweizer Rassen Holstein, Fleckvieh und Brown Swiss mit derjenigen neuseeländischer HolsteinFriesian auf Vollweidebetrieben mit saisonaler Abkalbung Ende Winter zu vergleichen. Die zwei Holsteintypen wiesen die besseren Milchleistungen auf, die Schweizer Fleckvieh des Versuchs dagegen eine optimale Fruchtbarkeit. Die Schweizer Holstein ist auch in Low-Input-Systemen eine effiziente Milchkuh, sie müsste jedoch für Blockabkalbung bessere Fruchtbarkeitsleistungen aufweisen, obwohl unsere Modellrechnungen allerdings darauf hin deuten, dass die Milchproduktion einen grösseren Einfluss als die Fruchtbarkeit oder die Fleischleistung hat, was hier den zwei milchbetonteren Holsteintypen einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft. Die erhobenen Datensätze für diese spezifische Systeme müssen jedoch vervollständigt werden. Die Wahl von Produktionssystemen und effizienten Tieren für diese Systeme bleibt ein grosses und sich weiter entwickelndes Forschungsfeld. Die Effizienz eines Tieres hängt vom System ab und die Definition t der «RessourcenEffizienz» selbst entwickelt sich mit den wissenschaftlichen Fortschritten in der Tierproduktion, der menschlichen Ernährung, der Klimatologie und Ökologie weiter.

FRUCHTBARKEIT+ CH FV

80%

MILCH+ NZ HF

70% CHBS 60% 50% 40%

CH HF 40

45

50

Milcheffizienz (ECM270LG

55 -0.75

)

Abb. 1 | Milcheffizienz und Fruchtbarkeitsleistung der Kühe NZ HF, CH HF, CH FV und CH BS (nach Daten von Piccand et al. 2011a). Die Milcheffizienz wurde mit dem Verhältnis kg energiekorrigierte Milch in 270 Laktationstagen pro kg metabolisches Lebendgewicht ermittelt. Die Fruchtbarkeitsleistung wurde am Anteil der trächtigen Kühe in sechs Wochen der Besamungssaison gemessen.

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Nutztiere | Projekt «Weidekuh-Genetik»: Zusammenfassung und Perspektiven

Auf System-Ebene: die Milch zuerst? Die Wahl zwischen Milch- und Fruchtbarkeitsleistung ist nicht leicht zu treffen. Die Abgänge durch Unfruchtbarkeit werden zwar finanziell abgegolten, zwingen aber dazu, mehr Rinder aufzuziehen. Die getätigten wirtschaftlichen Modellrechnungen zum Vollweidesystem stellen eine Vereinfachung der Realität dar, sie erlauben es aber, die Auswirkungen der Remontierungsrate, des Schlachtkuhgewichts oder auch der Milchzusammensetzung auf das Einkommen des Betriebsleiters zu bewerten, und mit der Fläche des Betriebs oder den benötigten Arbeitsstunden in Beziehung zu setzen. Die erstellten Modellrechnungen für ein Milchbezahlungssystem mit Berücksichtigung des Fett- und Eiweissgehalts weisen einen Vorteil für die zwei Holsteintypen (CH HF und NZ HF) aus, welche zweifellos die milchbetonteren Kuhtypen sind. Der höhere Fleischertrag und die höhere Fruchtbarkeitsleistung der Gruppe CH FV haben nicht ausgereicht, um das tiefere Milcheinkommen wettzumachen. Unsere Modellrechnungen legen allerdings weniger Gewicht auf die Fruchtbarkeitsleistungen als irische Modelle, welche auf spezifisch für Blockabkalbungen entwickelten Modellen basieren (McCarthy et al. 2007). Auch legen unsere Modellrechnungen weniger Gewicht auf die Fleischleistung als die französischen Modelle von Delaby und Pavie (2008), welche bei einem Vergleich der Zweinutzungsrasse Normande mit der Holsteinrasse zum Schluss kamen, dass das MilchEinkommen durch das Fleisch-Einkommen (Schlachtkühe, ­männliche Kälber und überzählige Aufzuchtrinder) kompensiert werden könne. Insgesamt müssen für die Modellrechnungen des ­saisonalen Vollweidesystems noch Datengrundlagen beschafft werden (Verhältnis Anzahl Kühe und Arbeitszeit, Verhältnis Fruchtbarkeitsleistung und Kompaktheit der Arbeits­perioden, Konsequenzen der Remontierungsrate auf den genetischen Fortschritt der Herde, etc.) und dazu benötigen wir mehr Daten über das ganze Leben

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der Tiere. Diese ersten Datengrundlagen sprechen auf Produktionssystem-Ebene für einen eher milchbetonten Kuhtyp, um das Einkommen pro Arbeitsstunde und Hektar zu maximieren.

Und in Zukunft? Verschlechterung, Konstanz oder Verbesserung der Fruchtbarkeitsleistungen? Auf Grund der negativen genetischen Korrelation zwischen Milchleistung und Fruchtbarkeit haben sich die Fruchtbarkeitsleistungen in zahlreichen Milchproduktionsländern rapide verschlechtert. Nur diejenigen Länder, die direkt oder indirekt eine Selektion der Fruchtbarkeits­ parameter mit einbezogen haben (Irland, Neuseeland, Schweden), konnten diesen Rückgang begrenzen. Seit Beginn der 2000er Jahre ist die Fruchtbarkeit nun in den meisten der globalen Zuchtwertschätzungen integriert und der Rückgang wurde gebremst (Le Mezec et al. 2010). Allerdings sollte heute das Ziel nicht darin bestehen, die Fruchtbarkeitsleistungen auf gleichem Niveau

100%

Anteil Kühe die Zyklizität wiederaufnahmen

Fruchtbarkeit und die NZ HF eine verspätete Wiederaufnahme der Zyklizität (Piccand et al. 2011 b). Bei gleicher Milcheffizienz verfügen die NZ HF über die besseren Fruchtbarkeitsleistungen als die CH HF und die CH FV über die besseren Fruchtbarkeitsleistungen als die CH BS. Bei gleicher Fruchtbarkeitsleistung weisen die NZ HF eine höhere Milcheffizienz auf als die CH BS (Abb. 1). Basierend auf den zwei Kriterien Produktion und Fruchtbarkeit, würde die Wahl der Züchter deshalb prioritär auf Kühe der Typen CH FV oder NZ HF fallen. Die Entscheidung für einen dieser beiden Kuhtypen hängt davon ab, welches Gewicht dem Merkmal Milchproduktion oder der Fruchtbarkeit zugewiesen wird.

75% H M 33T

50%

38T

T 53T

25%

0% 0

20

40 60 80 Tage nach dem Abkalben

100

Abb. 2 | Prozentsatz der neuseeländischen Holstein-Kühe in der 2. Laktation, die ihre Zyklizität nach dem Abkalben wieder aufgenommen haben und Prognose für einen Original Kiwi Friesian-Blutanteil der hoch (H, 73 %, oberes Quartil der NZ HF-Kühe des Projekts), mittel (M, 66 %, Median) oder tief (T, 50 %, unteres Quartil) ist (nach den Daten von Piccand et al . 2011 b). Die Treppenlinie ist abgeleitet von den Kaplan-Meier-Schätzung, die geglätteten Kurven von einem Überlebensmodell, das eine loglogistische Verteilung vorsieht und die unabhängige Variable Original Kiwi Friesian-Blutanteil integriert (P = 0,002). Die angegebenen Punkte und Zeiträume entsprechen für die drei ­s imulierten Kiwi Friesian-Blutwerte dem postpartum Stadium, in dem 50 % der Kühe ihre Zyklizität wieder aufgenommen haben.


Projekt «Weidekuh-Genetik»: Zusammenfassung und Perspektiven | Nutztiere

Die relevanten Effizienz-Kriterien bestimmen… Dieses Projekt zeigt die Bedeutung der Berücksichtigung des Lebendgewichts und des Protein- und Fettgehalts der Milch bei der Ermittlung der Milcheffizienz, stellte sich doch so die Leistung der CH HF und der NZ HF in Vollweide Betrieben als gleichwertig heraus. Die NZ HF (die sich zudem besser fortpflanzen) wären sonst längst aus unseren Selektionsschemas eliminiert worden, da sie als wenig produktiv beurteilt worden wären. Im Extremfall können Kühe jedoch fast zwei mal mehr Milch als

Effizienz (MP305 + M F305 / 100kg LG305)

150

100

6005 kg

9681 kg

50

0 2000

6000

10000

14000

305-Tage Milchleistung (kg)

150 Effizienz (MP305 + M F305 / 100kg LG305)

zu halten, sondern sie dauerhaft zu verbessern, indem man eine aggressive Selektion dieser Parameter wagt. Die genomische Selektion sollte es erlauben, den bei den konventionellen Kriterien (Non-Return-Rate, Intervall Abkalbung Besamung; h² ≤ 5%) langsamen Fortschritt bei der Fruchtbarkeitsleistung zu beschleunigen und die Selektion auf neue, besser vererbbare biologische Parameter auszuweiten (z.B. Zyklizitätsmerkmale). In unserem Projekt haben sich die CH FV durch ausgezeichnete Fruchtbarkeitsleistungen abgehoben, die sich positiv auf das Produktionssystem auswirken und auch die Anzahl Hormonbehandlungen niedrig halten. Dieser Vorteil darf im Kontext einer nachhaltigen Milchproduktion nicht vernachlässigt werden. Die zeitliche Verzögerung der Wiederaufnahme der Zyklizität der NZ HF ist kritisch zu beurteilen. Diese Abweichung nimmt mit der Abnahme des Original Kiwi Friesian-Blutanteils der Tiere zu (Abb. 2). In einer Untersuchung von Mac­ donald et al. (2008) wiesen die neuseeländischen Holstein der 1990er Jahre eine Verspätung vom mehr als sechs Tagen bei der Wiederaufnahme der Zyklizität im Vergleich zu denjenigen der 1970er Jahre auf. Wir müssen uns allerdings bewusst sein, dass aufgrund von potentiellen Selektionserfolgen die Karten neu gemischt werden könnten. Bei der Holstein-Rasse wurden verschiedene QTL identifiziert, die die Fruchtbarkeit beeinflussen. Die genetisch fruchtbareren Tiere können die gleich hohe Milchproduktion wie genetische weniger fruchtbare Tiere aufweisen (Coyral-Castel et al. 2011). Die Kreuzungsstrategien (idealerweise rotierend) verlangen zwar die Erhaltung von reinrassigen Populationen, Kreuzungen sollten aber nicht von Beginn weg aus den Überlegungen ausgeschlossen werden, wenn es um die Wahl von robusten und an Low-Input-Produktionssysteme angepasste Tiere geht. Es darf aber nicht vergessen werden, dass bei gegebener Genetik die Haltung der Tiere die Fruchtbarkeitsleistungen verbessern kann: einmaliges Melken insbesondere zu Beginn der Laktation; eine auf die BCS-Note 3 beschränkte Körperkondition beim Abkalben; und eine nur moderate Proteinzufütterung, um die Laktationsspitze zu bremsen.

100

515 kg

748 kg

50

0 400

500

600 700 Lebendgewicht (kg)

800

900

Abb. 3 | Verhältnis von Milchleistungs-Effizienz und durchschnittlichem Lebendgewicht über 305 Tage für Tiere der Rassen Holstein und Red Holstein (n = 30 767 im Jahr 2009 begonnene Laktationen bei swissherdbook; nach Daten von Cutullic et al ., 2011). Die Effi­ zienz pro 305 Tage wird hier ermittelt durch die produzierten kg Fett und Protein pro 100 kg Lebendgewicht, das Lebendgewicht wurde auf Basis von Parametern der linearen Beschreibung ermittelt. Die so berechnete Effizienz bezieht nur eine Laktation mit ein, die Nutzungsdauer des Tieres wurde also nicht berücksichtigt. Die Regression (grün angezeigt) entspricht Kühen in 3. Laktation mit ­e iner geschätzten mittleren Fütterungsintensität. Die zwei roten Punkte im Band der Effizienz um 90 kg Fett und Proteine pro 100 kg Lebendgewicht stehen für die Mittelwerte der zwei extreme Populationen die 5 % weniger produktiv beziehungsweise 5 % produktiver sind (Grafik oben) und die 5 % leichter beziehungsweise 5 % schwerer sind (Grafik unten).

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Nutztiere | Projekt «Weidekuh-Genetik»: Zusammenfassung und Perspektiven

andere produzieren, ohne deshalb effizienter zu sein, wenn die produzierte Fett- und Eiweissmengen pro Kilogramm Körpergewicht betrachtet werden (Abb. 3, Cutullic et al. 2011). Als weiteren wichtigen Schritt könnten die kg Milchinhaltsstoffe/kg Lebendgewicht durch die Anzahl Lebenstage dividiert, und so die Nutzungsdauer der Tiere integriert werden. Bei der Leistungs­ beurteilung muss auch die Fütterungsintensität im ­Produktionssystem mit einbezogen werden, um die Abhängigkeit der Milchleistung von der Energie- und Proteinkonzentration in der Jahres-Futterration zu gewichten. Die Zusammensetzung der Jahres-Futterration sollte direkt ermittelt werden und nicht indirekt über das Ausdrucksniveau des genetischen Potentials der Tiere auf dem Betrieb (verwendete Vereinfachung in der in Abb. 3 illustrierten Analyse). Die bisher diskutierten Kriterien berücksichtigen noch nicht die Fleischleistung, das Tierwohl (Lahmheit, Hitzestress; K. Keckeis, Schlussbericht 2010) oder die Feinzusammensetzung der Milch und ihre Verarbeitungsfähigkeit. Eine intensive Selektion auf die Milchinhaltsstoffe, wie sie bei der Rasse neuseeländische Holstein der Fall ist, darf nicht auf Kosten der Qualität der Fette und Proteine gehen. Eine spezifisch mit der Herde auf dem Betrieb «l‘Abbaye» in Sorens durchgeführte Untersuchung hat nur geringfügige Unterschiede zwischen NZ HF und CH HF gezeigt: mehr kurze Fettsäuren für die NZ HF, keine signifikante Unterschiede bei der Milchverarbeitbarkeit oder der Käsequalität (F. Schori, Schlussbericht 2010). Leider verfügen wir über keine Vergleiche mit den CH FV und insbesondere den CH BS. Die Brown Swiss Kühe weisen nämlich mehr BB-Genotypen des κ-Kaseins auf als andere Populationen (Moll 2003). Dieser Vorteil sollte in der Schweiz nicht vernachlässigt werden, wo 40% der produzierten Milch zu Käse verarbeitet werden. …indem wir unseren Ansatz ändern Die Parameter für die Bestimmung der Effizienz eines Tieres können sehr zahlreich sein. Sie müssen die Ziele des Produktionssystems spiegeln, welche von den politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft abhängen. Diese werden von den Erwartungen der Gesellschaft (Umwelt, Gesundheitsbewusstsein, soziale Aspekte, Nahrungsmittelpreise, Fleischverzehr, Tierwohl) beeinflusst und müssen die Natur und die Verfügbarkeit der lokalen Ressourcen (Raufutter, Nebenprodukte des Ackerbaus) sowie die Komplementarität von Produktionssystemen berücksichtigen. Zum Beispiel ist eine ovo-lakto-vegetarische Ernährungsweise zwar ökologisch vorteilhaft (Redlingshöfer, 2006), solange aber Fleisch konsumiert wird, bleibt die Wahl

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zwischen Zweinutzungsrassen oder Milch- oder Fleischrassen ein aktuelles Thema. Im Hinblick auf die Treibhausgasemissionen beurteilt Kampschulte (2009) die Option Zweinutzungsrasse als effizienter. Im Alpenraum kann die Option spezialisierte Rasse allerdings interessant sein, um zum Beispiel steil gelegene Alpen mit Mutterkuhherden optimal zu nutzen. Die Effizienz-Kriterien der Kühe sind somit nicht starr, sondern entwickeln sich mit den wissenschaftlichen Fortschritten im Bereich Tiergenetik, Management der Laktation oder der Produktionssysteme, aber auch im Bereich menschliche Ernährung, Klimatologie oder Ökologie weiter. Sie entwickeln sich parallel zu den auf Ebene Produktionssystem oder Regionen verwendeten Kriterien, welche die lokale Ressourcen-Effizienz mit einbeziehen.

Perspektiven für die Forschung: von der Kuh zum System Systemversuche, mittel- oder langfristige, sind heute notwendig, um die Fragen nach der Wahl der Produktionssysteme von morgen und nach der Wahl der Kühe in diesen Produktionssystemen beantworten zu können. Solche Versuche sollen erstens die Erhebung von Datensätzen erlauben, die aktuell, solide und umfassend sind (physiologische Parameter, Feinzusammensetzung der Milch, Verzehr …) und die ganze Lebensdauer der Tiere abdecken, und zweitens über den einfachen Vergleich von zwei oder drei getesteten Systemen und Kuhtypen hinaus eine Modellsimulation einer Reihe von Zwischensystemen erlauben (wirtschaftliche, soziale, umweltspezifische Auswirkungen...). Diese Versuche sollten transversal sein, zahlreiche Kompetenzen umfassen und könnten als Grundlage für zahlreiche Forschungen dienen. Sie würden es basierend auf der Ressourcen-Effizienz erlauben, für jedes Produktionssystem eigene neue Selektionsziele zu entwickeln. Es ist zu hoffen, dass sich dieser synergetische Versuchstyp in der Schweiz entwickeln wird. n


Progetto «La mucca da pascolo e la sua genetica» Sintesi e prospettive Scopo della prova era di confrontare, in aziende con pascolo completo e prato stagionale a fine inverno, le prestazioni tra le razze svizzere Holstein, pezzata e Bruna Alpina con le HolsteinFriesian neozelandesi. I due tipi Holstein hanno presentato le migliori prestazioni lattiere, mentre la razza pezzata nella prova presentava una fertilità ottimale. Le Holstein svizzere sono una razza lattifera efficiente anche quando gestita attraverso sistemi di basso input e dovrebbe presentare migliori prestazioni riproduttive relative ai parti raggruppati. Ciononostante le nostre simulazioni suggeriscono che la produzione lattiera influisce maggiormente sulle performance economiche, rispetto alla riproduzione e alle prestazioni di carne, conferendo, quindi, un vantaggio per i due tipi Holstein maggiormente lattifere. I dati precedentemente emersi dovranno essere completati rispetto a questi sistemi specifici. La scelta di sistemi di produzioni e la scelta di animali efficaci in questi sistemi rimane un’importante area di ricerca che è in costante evoluzione. L’efficienza di un animale dipende dal sistema in cui si trova e la definizione stessa di «uso efficiente delle risorse» evolve attraverso le nostre conoscenze nella biologia, nella nutrizione umana, climatologia o ecologia.

Literatur ▪▪ Coyral-Castel S., Ramé C., Monniaux D., Fréret S., Fabre-Nys C., Fritz S., Monget P., Dupont F. & Dupont J., 2011. Ovarian parameters and fertility of dairy cows selected for one QTL located on BTA3. Theriogenology 75, 1239–1250. ▪▪ Cutullic E., Bigler A., Schnyder U. & Flury C., 2011. Breeding for milk efficiency in three Swiss dairy breeds. In: 62nd meeting EAAP 2011, Stavanger NORWAY. ▪▪ Delaby L. & Pavie J., 2008. Impacts de la stratégie d’alimentation et du système fourrager sur les performances économiques de l’élevage laitier dans un contexte de prix instables. Rencontres Recherche Ruminants 15, 135–138. ▪▪ Gazzarin C. & Piccand V., 2011. Projekt «Weidekuh-Genetik»: Wirtschaftliche Bewertung. Agrarforschung Schweiz 2, 354–359. ▪▪ Horan B., Dillon P., Faverdin P., Delaby L., Buckley F. & Rath M., 2005. The interaction of strain of Holstein-Friesian cows and pasture-based feed systems on milk yield, body weight, and body condition score. Journal of Dairy Science 88, 1231–1243. ▪▪ Kampschulte J., 2009. Doppelnutzung statt Hochleistung. Beitrag einer Rinderrasse zur Verringerung der Emission von Triebhausgasen - das Beispiel Fleckvieh. In: Der kritische Agrarbericht 2009, pp. 136–141. ▪▪ Le Mezec P., Barbat-Leterrier A., Barbier S., Cremoux R. de, Gion A. & Ponsart C., 2010. Evolution de la fertilité et impact de la FCO sur la reproduction du cheptel laitier français. Rencontres Recherche Ruminants 17, 157–160.

Summary

Riassunto

Projekt «Weidekuh-Genetik»: Zusammenfassung und Perspektiven | Nutztiere

Wich cow for pasture-based production systems?: Synthesis and outlook The objective of the study was to compare, within pasture-based seasonal-calving systems, the performance of Swiss Holstein-Friesian, Fleckvieh and Brown Swiss dairy cows with New Zealand Holstein-Friesian dairy cows. Within the trial, the two Holstein breeds had the best production performance, whereas the Fleckvieh cows had optimal reproductive performance. Swiss Holstein cows were efficient milk producers, even in low-input systems, but should have better reproductive performance to be suitable for compact calvings, even though our economic simulations suggest that milk production is a more influential profit factor than reproduction or meat production, giving a financial advantage to the two more dairy-oriented Holstein breeds. However, our economic references need to be refined for these specific systems. The choice of dairy systems and of appropriately efficient cows for these systems remains a large and constantly evolving research area. The efficiency of an animal depends on the system in which it is and the definition of «efficient use of resources» is evolving with our knowledge of biology, human nutrition, climatology and ecology. Key words: pasture, seasonal calving, breeds, dairy systems, production efficiency.

▪▪ McCarthy S., Horan B., Dillon P., O'Connor P., Rath M. & Shalloo L., 2007. Economic comparison of divergent strains of Holstein-Friesian cows in various pasture-based production systems. Journal of Dairy Science 90, 1493–1505. ▪▪ Moll J., 2003. Höhere Käseausbeute dank Braunviehmilch. CH braunvieh. ▪▪ Piccand V., Cutullic E., Schori F., Weilenmann S. & Thomet P., 2011a. Projekt «Weidekuh-Genetik»: Produktion, Fruchtbarkeit und Gesundheit. Agrarforschung Schweiz 2, 252–257. ▪▪ Piccand V., Meier S., Cutullic E., Weilenmann S., Thomet P., Schori F., Burke C. R., Weiss D., Roche J. R. & Kunz P., 2011 b. Ovarian activity in Fleckvieh, Brown Swiss and two strains of Holstein-Friesian cows in pasture-based, seasonal calving dairy system. Journal of Dairy Research 78, 464–470. ▪▪ Piccand V., Schori F., Troxler J., Wanner M. & Thomet P., 2011c. Projekt «Weidekuh-Genetik»: Problemstellung und Beschreibung des Versuchs Agrarforschung Schweiz 2, 200–205. ▪▪ Projekt Weidekuh-Genetik, 2010. Schlussbericht, Dezember 2010, 217 Seiten (http://www.shl.bfh.ch/index.php?id=849&L=2). ▪▪ Redlingshöfer B., 2006. Vers une alimentation durable ? Ce qu’enseigne la littérature scientifique. Courrier de l’environnement de l’INRA 53, 83–102. ▪▪ Macdonald K. A., Verkerk G. A., Thorrold B. S., Pryce J. E., Penno J. W., McNaughton L. R., Burton L. J., Lancaster J. A. S., Williamson J. H. & Holmes, C. W., 2008. A comparison of three strains of Holstein-Friesian grazed on pasture and managed under different feed allowances. Journal of Dairy Science 91, 1693–1707.

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 542–547, 2011

547


A k t u e l l

Aktuell Feldbesichtigte und anerkannte Pflanz­kartoffelflächen* 2011 in der Schweiz Theodor Ballmer, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8046 Zürich Henri Gilliand und Brice Dupuis, Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW, 1260 Nyon

Sorte

anerkannte Fläche

angemeldete Fläche (ha)

davon abgewiesen oder ­zurückgezogen (%)

Total aller Zertifizierungs­ klassen (ha)

Flächenanteil pro Sorte (%)

Lady Christl

30,8

0,5

30,6

2,0

Agata

51,2

0

51,2

3,4

Lady Felicia

44,7

0

44,7

3,0

Annabelle

48,2

0

48,2

3,2

Amandine

34,7

0

34,7

2,3

Celtiane

6,6

0

6,6

0,4

Charlotte

209,6

0,5

208,6

13,9

Gourmandine

17,0

3,0

16,5

1,1

Bintje

28,0

0

28,0

1,9

Victoria

110,5

0,3

110,2

7,3

Ditta

45,0

0

45,0

3,0

Nicola

22,6

0

22,6

1,5

Désirée

40,9

0

40,9

2,7

Laura

20,7

0

20,7

1,4

Agria

429,8

2,4

419,9

27,9

Jelly

37,9

4,1

36,4

2,4

Lady Jo

5,5

0

5,5

0,4

Lady Claire

45,2

0

45,2

3,0

Innovator

79,9

1,3

78,9

5,2

Lady Rosetta

41,2

5,6

39,0

2,6

Pirol

13,5

0

13,5

0,9

Fontane

64,5

4,0

62,0

4,1

Hermes

15,0

39,0

10,8

0,7

Markies

63,1

17,1

53,9

3,6

Panda

22,0

0

22,0

1,5

Stella

2,4

0

2,4

0,2

Antina

4,4

0

4,4

0,3

Blaue St-Galler

3,3

0

3,3

0,2

2011

1538,1

2,2

1505,6

100

2010

1519,6

4,9

1445,6

100

*Provisorische Flächenangaben, Veränderungen zum Beispiel durch Abweisungen aufgrund der Virusuntersuchungen (ELISA) bleiben vorbehalten.

548

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 548–551, 2011


A k t u e l l

Neue Publikationen

ART-Bericht 746

Die wirtschaftliche Entwicklung der schweizerischen Landwirtschaft 2010 Hauptbericht Nr. 34 der Zentralen Auswertung von Buchhaltungsdaten (Zeitreihe 2001–2010)

September 2011

Die wirtschaftliche Entwicklung der schweizerischen Landwirtschaft 2010

ART-Schriftenreihe 16 | August 2011

Wendepunkte in der Dorfentwicklung

Autoren Dierk Schmid und Andreas Roesch, ART dierk.schmid@art.admin.ch, andreas.roesch@art.admin.ch Impressum Herausgeber: Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART Tänikon, CH-8356 Ettenhausen, Redaktion: Etel Keller, ART Die ART-Berichte/Rapports ART erscheinen in rund 20 Nummern pro Jahr. Jahresabonnement Fr. 60.–. Bestellung von Abonnements und Einzelnummern: ART, Bibliothek, 8356 Ettenhausen T +41 (0)52 368 31 31 F +41 (0)52 365 11 90 doku@art.admin.ch Downloads: www.agroscope.ch ISSN 1661-7568

Der Rückgang der Rohleistung im Pflanzenbau hat einen grossen Einfluss auf das Landwirtschaftliche Einkommen 2010. Im Jahr 2010 sind die Einkommen im Vergleich zum Vorjahr erneut deutlich zurückgegangen. Das landwirtschaftliche Einkommen der Referenzbetriebe erreicht 55 200 Franken je Betrieb gegenüber 60 300 Franken im Vorjahr, was einer Abnahme von 8,5 % entspricht. Der Rückgang der Einkommen fällt dabei in der Hügel- und Bergregion geringer aus als in der Talregion. Dieses negative Resultat ist auf einen erheblichen Rückgang der Rohleistung sowohl im Pflanzenbau als auch in der Tierhaltung zurückzuführen. Die Fremdkosten bleiben mit einer geringen Abnahme von 0,2 % praktisch auf dem

Niveau des Vorjahres. Das landwirtschaftliche Einkommen verzinst einerseits das im Betrieb investierte Eigenkapital von 455 000 Franken, andererseits ist damit die Arbeit der 1,22 Familienarbeitskräfte zu entschädigen. Der durchschnittliche Arbeitsverdienst pro Familienarbeitskraft liegt bei 39 100 Franken und sinkt im Vergleich zu 2009 um 4,9 %.

Wendepunkte in der Dorfentwicklung Stefan Mann und Maria-Pia Gennaio, ART

Ausführliche gesamtbetriebliche Ergebnisse finden Sie in den Tabellen der Seiten 10 bis 19.

ART-Bericht 746 Im Jahr 2010 sind die Einkommen im Vergleich zum Vorjahr erneut deutlich zurückgegangen. Das landwirtschaftliche Einkommen der Referenzbetriebe erreicht 55 200 Franken je Betrieb gegenüber 60 300 Franken im Vorjahr, was einer Abnahme von 8,5 % entspricht. Der Rückgang der Einkommen fällt dabei in der Hügel- und Bergregion geringer aus als in der Talregion. Dieses negative Resultat ist auf einen erheblichen Rückgang der Rohleistung sowohl im Pflanzenbau als auch in der Tierhaltung zurückzuführen. Die Fremdkosten bleiben mit einer geringen Abnahme von 0,2 % praktisch auf dem Niveau des Vorjahres. Das landwirtschaftliche Einkommen verzinst einerseits das im Betrieb investierte Eigenkapital von 455 000 Franken, andererseits ist damit die Arbeit der 1,22 Familienarbeitskräfte zu entschädigen. Der durchschnittliche Arbeitsverdienst pro Familienarbeitskraft liegt bei 39 100 Franken und sinkt im Vergleich zu 2009 um 4,9 %. Dierk Schmid und Andreas Roesch, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART

ART-Schriftenreihe 16 In den meisten ländlichen Gemeinden der Schweiz lässt sich ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum beobachten, in gewissen Problemregionen jedoch geht die Bevölkerungszahl über die Jahrzehnte leicht zurück. In wenigen Gemeinden nur lässt sich hingegen ein wirklicher Wendepunkt der Bevölkerungsentwicklung beobachten. Zehn Gemeinden mit einem solchen Wendepunkt zwischen 1960 und 1990 stehen im Zentrum dieses Buches. In fünf davon war der Wendepunkt ein Tiefpunkt, dem eine Aufwärtsentwicklung folgte. In den übrigen fünf Gemeinden handelte es sich um ein Bevölkerungsmaximum, dem ein Niedergang folgte. Die Bereitschaft, zwischen Wohn- und Arbeitsort wachsende Entfernungen in Kauf zu nehmen, ist der wichtigste Auslöser der Wendepunkte. Dadurch entwickeln sich viele Gemeinden von schrumpfenden Bauerndörfern zu wachsenden Pendlergemeinden. An zweiter Stelle steht der wirtschaftliche Strukturwandel im sekundären und tertiären Sektor. Weitere Auslöser werden im Buch beschrieben und analysiert. Diese ART-Schriftenreihe ist bei der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART auch in italienischer Sprache erhältlich (www.agroscope.ch). Stefan Mann und Maria-Pia Gennaio, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 548–551, 2011

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Aktuell

Medienmitteilungen

www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen 15.11.2011 / ACW Elektronische Nase testet Spinat-Saft Wer kauft schon ein Lebensmittel, das seltsam schmeckt oder riecht? Damit Lebensmittel den Konsumentinnen und Konsumenten zusagen und sich gut verkaufen, müssen sie getestet werden. Geruch und Geschmack zu untersuchen ist die Aufgabe von menschlichen Nasen und Gaumen. Dies ist aufwändig und kostet viel. Um Zeit und Geld zu sparen, prüfen Experten der Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW den Einsatz einer elektronischen Nase. Beim Testen von Spinat-Saft sind die Resultate der elektronischen Nase sehr ähnlich herausgekommen wie die Ergebnisse der menschlichen Nase.

14.11.2011 / ACW Reben und Milben in sensiblem Gleichgewicht Ende der 1970er Jahre hat die Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW die biologische Milbenbekämpfung im Weinbau eingeführt. Die Methode ist sehr rasch zum Standard avanciert. Dadurch konnten die Schweizer Weinbauern auf chemische Eingriffe zur Milbenbekämpfung praktisch verzichten. Dieser Erfolg hängt im Wesentlichen vom Erhalt der natürlichen Feinde der schädlichen Milben ab: auf die Raubmilben kommt es nämlich an. ACW setzt alles daran, dieses sensible Gleichgewicht, das durch Klimawandel und neue Schädlinge beeinträchtigt werden könnte, aufrecht zu erhalten.

08.11.2011 / ART Kosten der Milchproduktion im Schweizer Berggebiet Betriebe aus dem Schweizer Berggebiet produzieren Milch mit 70 % bis 85 % höheren Kosten als vergleichbare Betriebe in Österreich. Dies ist auf das höhere Preisund Lohnniveau der Schweiz zurückzuführen, aber auch auf unterschiedliche Produktionstechniken, wie eine Studie der Forschungsanstalt Agroscope ReckenholzTänikon zeigt.

03.11.2011 / ACW Alte Landsorten von Schweizer Kulturpflanzen: erhaltenswert und nützlich Die Schweiz ist ein kleines Land mit äusserst unterschiedlichen Regionen, was Klima, Bodenbeschaffenheit und Topographie angeht. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in

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Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 548–551, 2011

der Zahl der Landsorten wider. Jede Sorte ist den Bedingungen ihrer Ursprungsregion angepasst, die ihr auch die wichtigsten Eigenschaften verliehen hat. Die nationale Genbank der Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW umfasst neben diesen Landsorten auch zahlreiche alte Sorten, die hierzulande gezüchtet wurden und einst in gewissen Zeitepochen sowie in gewissen Gegenden bedeutsam waren. Mehrere davon werden heute immer noch angebaut und weisen äusserst interessante Merkmale auf.

18.10.2011 / ACW Schweizer Sommerweizensorten: Fortschritte bei Ertrag und Qualität Die Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW züchtet seit 1947 krankheitsresistente und ertragreiche Sommerweizensorten von sehr guter Backqualität (Klasse 1 oder TOP), die den Anforderungen des Marktes und des extensiven Anbaus gerecht werden (beschränkte Stickstoffzugaben und ohne Fungizide). Die Entwicklung der guten Backqualität und des Ertrags der von ACW gezüchteten Sommerweizenlinien im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ist nun analysiert worden.

13.10.2011 / ART Ökobilanzen optimieren Landwirtschaftsbetriebe Umweltschonend produzieren und trotzdem ein gutes Einkommen erzielen? Für Landwirte durchaus machbar, wie eine Analyse der Ökobilanzen von hundert Schweizer Betrieben belegt. Doch nicht allen gelingt es, beide Ziele zu vereinbaren. Die Ursachen sind von Betrieb zu Betrieb verschieden.

03.10.2011 / ACW Schweizer Soja Im Jahr 2010 waren 81 % der weltweit angebauten Soja gentechnisch verändert. Dieser Anteil steigt unentwegt weiter an. Seit 30 Jahren wird an der Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW Soja-Sorten gezüchtet, die GVO-frei sind. Dank der natürlichen Vielfalt der Art ist es ACW mittels Kreuzung gelungen, Schweizer Sorten zu entwickeln, die an unsere besonderen Klimabedingungen angepasst sind.


Aktuell

Veranstaltungen

Internetlinks

Agrovina International, 24. – 27.01.2012 www.agrovina.ch Die alle zwei Jahre stattfindende Internationale Fachmesse für Weinbau, Önologie und Obstbau ist heute der bevorzugte Treffpunkt für alle Fachleute aus der Weinund Obstbau-Branche. Sie ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

November 2011 28.11. – 02.12.2011 Winterbesuchswoche Agroscope Reckenholz-Tänikon ART Zürich-Reckenholz Dezember 2011 09.12.2011 BioForschungs-Infotagung 2011 Agroscope Reckenholz-Tänikon ART BBZ Arenenberg

Vor schau

Januar 2012

Januar 2012 / Heft 1

12. – 15.01.2012 Agroscope an der Swiss’Expo 2012 Forschungsanstalten Agroscope ACW, ALP und ART Lausanne

Lebensraum der Grossen ­Goldschrecke. Die Vernetzung der ökologischen Ausgleichsflächen fördert die Verbreitung der Feldgrille (Gryllus campestris) und der Grossen Goldschrecke (Chrysochraon dispar). Um dem Biodiversitätsverlust in der Landwirtschaftszone entgegenzuwirken, werden in der Schweiz seit 1993 ­Direktzahlungen für ökologische Ausgleichsflächen ausgerichtet.

••Vernetzte Oekoflächen fördern Heuschrecken, Martin Duss, Kim Meichtry-Stier et al., Vogelwarte Sempach und Universität Basel ••15 Jahre Getreideuntersuchungen von Bio-Getreidesaatgut an Agroscope ART, Irene Bänziger et al., ART ••Pastor, ein neuer, für die Weide geeigneter Rotklee, Beat Boller et al., ART ••Auf dem Weg zu einem kulturangepassten Pflanzenschutz bei hochwachsenden Gemüsekulturen im Gewächshaus, Jacob Rüegg et al., ACW

24.01.2012 Schweizer Obstkulturtag 2012 Agroscope Changins-Wädenswil ACW Martigny, im Rahmen der Agrovina 26.01.2012 ART-Tagung 2012 Agroscope Reckenholz-Tänikon ART Tänikon Februar 2012 03.02.2012 Journée Agriculture 2012 Agroscope Changins-Wädenswil ACW ACW, Changins Aula 23. – 26.02.2012 Agroscope an der Tier & Technik 2012 Forschungsanstalten Agroscope ACW, ALP und ART St. Gallen

••Faktoren mit Einfluss auf die Nähr- und Mineralstoffe von belüftetem Dürrfutter, Marc Bössinger und Pascal Python, Agridea ••Leistung und Stickstoffeffizienz von Schweizer Weizensorten aus dem 20. Jahrhundert, Anastase Hategekimana et al., ACW ••Wirtschaftlichkeit der Kaninchenfleischproduktion, Gregor Albisser Vögeli und Markus Lips, ART ••Vogelarten für eine kulturspezifische Risikobeurteilung von Pflanzenschutzmitteln in der Schweizer Landwirtschaft, Michela Gandolfi und Thomas Reichlin, ACW

Informationen: Informationen: www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen

Agrarforschung Schweiz 2 (11–12): 548–551, 2011

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LE SALON À LA MESURE DE VOTRE DOMAINE DIE MESSE NACH MASS FÜR IHREN BETRIEB

9e Édition - Ausgabe

24 -27 JANVIER 2012 CERM MARTIGNY SUISSE www.agrovina.ch ŒNOLOGIE - ŒNOLOGIE VITICULTURE - WEINBAU ARBORICULTURE - OBSTBAU

PARTENAIRES PARTNER ORGANISATEUR VERANSTALTER

Donnerstag, 26. Januar 2012

ART-Tagung 2012 Ammoniak und Geruch aus der Landwirtschaft: Herausforderungen und Lösungen

Themen

• Wie werden Emissionen und Immissionen gemessen? • Welche Daten liegen vor? • Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Ammoniak und Geruch? • Wo liegt Potenzial zur Minderung von AmmoniakEmissionen? • Wo stehen wir bei der Umsetzung? • In welchen Bereichen sind bessere Entscheidungsgrundlagen nötig?

Postenrundgang

Messmethoden: Geruch und Ammoniak, Ammoniak-Minderung: Laufflächen, Ausbringtechnik

einladung_art-tagung_12.indd 2

Ort und Zeit

Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, Refental, CH-8356 Ettenhausen Donnerstag, 26. Januar 2012, 9.00–17.00 Uhr

Anmeldung und Auskunft

www.agroscope.ch > Veranstaltungen Diana Niederer, Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, Tänikon 1, CH-8356 Ettenhausen Telefon +41 52 368 32 23 diana.niederer@art.admin.ch

Anmeldeschluss

Freitag, 15. Januar 2012

04.11.2011 16:11:20


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