UNIVERSALIS Nr. 10

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Universalis Das Alanus Magazin  |  Ausgabe 10  |  November 2017

Titelthema

Ich-Begegnung Über Selbstbildnisse, Selbstaktivierung und Selbstoptimierung Seite 6 – 17

www.alanus.edu/universalis


Sonett-hilft_210x280.qxp 28.09.17 15:38 Seite 1

Sonett hilft Sonett hilft Ö K O L O G I S C H

K O N S E Q U E N T

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Erhältlich im Naturkostfachhandel und bei Alnatura.

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Editorial 3

Liebe Leserinnen und Leser … Ich-Begegnung kann sich in der Meditation, beim Waldspaziergang oder während des künstlerischen oder wissenschaftlichen Arbeitens vollziehen. Als Eurythmist erlebe ich sie während der täglichen Stunde eurythmischer Arbeit in der Stille. Ich erarbeite und entwickele ein Werk, auf das ich mich kraft meiner Person, mittels meines Seins einlasse. In diesem Moment begegne ich auch mir – meiner Abgelenktheit, meiner Ungeduld, meiner Fantasielosigkeit. Verschiedenste – positive wie auch unangenehme – Schichten meines „Ich“ werden offengelegt, mit denen ich umgehen muss. Nur wenn ich sie wirklich angehe, kann Neues entstehen. Gleichzeitig ist Ich-Begegnung ein höchst sozialer Prozess: Erst in der Begegnung mit anderen Menschen, im sozialen Wechselspiel aus Reflexion und Reaktion der anderen mit meinem Sein, entstehen meine Haltung und meine Anliegen, meine Meinung. Wir verstehen und erkennen uns ständig neu in der Begegnung mit anderen und setzen uns auf dieser Basis ins Verhältnis zu unseren Mitmenschen und unserer Umwelt. Unser großes Anliegen an der Alanus Hochschule ist es, Raum zu schaffen für fruchtbare Begegnungen mit anderen und sich selbst – um Neues zu schaffen und die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen zu unterstützen.

Ihr Prof. Stefan Hasler Rektor (komm.)


Inhalt 4

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Titelthema Ich-Begegnung 6 „… wie dünn die Haut zwischen dem Leib und den Dingen ist.“ Zur Begegnung mit sich selbst im künstlerischen Bild 10

Wissenschaftlich und existentiell Dimensionen geistiger Selbstaktivierung

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Selbstverwirklichung durch Selbstoptimierung? Warum man nicht machen kann, was sich ergeben muss

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Lebenslanges Lernen – Untiefen eines prominenten Schlagworts

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Von Räumen der Begegnung in Zeiten des Brandschutzes

20 Campus 18

Kunst im Wald Partizipatives Land-Art-Projekt von Bildhauerei-Studenten

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Wo lang? Studentenkonferenz: Fragen nach der Zukunft der Demokratie

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Mit der Form in Bewegung kommen Kunsttherapie in der Flüchtlingshilfe

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Vom Güterbahnhof zur Waldorfschule

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Getanzte Literatur Fünf Fragen an den Schriftsteller Michael Kumpfmüller

Forschung 26

Mit Kunst Unternehmen verändern Interview mit Ruediger John

28

Lernen und Arbeiten: Die Bildungsidee der Waldorfschule

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Blick in Richtung Zukunft Zehnjähriges Jubiläum des Fachbereichs Künstlerische Therapien und Therapiewissenschaft

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Inklusive Bildung gewinnt an Einfluss Inklusion – ein Begriff setzt sich durch

Der Titel zeigt eine Fotografie unserer Studentin Leonie Hochrein, die diesen Sommer verstorben ist. Unsere Gedanken sind bei ihrer Familie und ihren Freunden, denen wir unser tiefes Beileid und Mitgefühl aussprechen. Nach umfassenden Überlegungen haben wir uns dazu entschlossen, das Bild zu verwenden – nicht zuletzt, um das Werk dieser begabten Künstlerin zu würdigen.


Inhalt 5

Die abgebildeten Werke sind Arbeiten, die im Kontext der Alanus Hochschule oder des Alanus Werkhauses ­entstanden sind.

Alanus Werkhaus 32

Kunst fließt immer in alles ein Das Werkhaus-Team und die Kunst

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„Nicht einfach ein Kurs …“ Workshops für Künstler am Alanus Werkhaus

Menschen 36

Marek Nowak – ein Professor, der große Visionen umsetzt

38

Viele unter einem Dach Studenten-Wohngemeinschaften in Alfter

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Ins Mekka der Kunstszene Alanus-Absolvent Michael Weiß an der New York Academy of Art

Engagement 42

Alfter: ganz persönlich Zwei Vertreter der Software AG – Stiftung sprechen über ihre Begegnungen am Campus

Der besondere Ort

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Das Beachvolleyballfeld am Johannishof

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Kurz und knapp

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Terminvorschau

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Impressum

Weitere Informationen zum Hochschulgeschehen finden Sie unter k www.alanus.edu. Oder besuchen Sie die Weiterbildungseinrichtung unter k www.alanus.edu/werkhaus.


Titelthema: Ich-Begegnung 6

„  … wie dünn die Haut zwischen dem Leib und den Dingen ist.“

Zur Begegnung mit sich selbst im künstlerischen Bild


Titelthema: Ich-Begegnung 7

Die Begegnung mit dem eigenen Bild kann Ausdruck der Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst sein. Beim Sich-Mustern im Spiegel vergewissert man sich seiner Außenwirkung, gleicht Vorstellung und Wirklichkeit ab. Die Musterung kann aber auch zu einer tieferen Begegnung mit sich selbst führen, zu einem Dialog, der Gemütszustände wahrnimmt, momentane Lebensgefühle bewusst macht und Zusammenhänge herstellt – im weitesten Sinne den Faden der eigenen Geschichte aufnimmt.

Bildende Künstler manifestieren die eigene Beobachtung im Selbstportrait. Seit Dürers berühmtem Portrait von 1500 geht es um genaue Wahrnehmung, um Selbstvergewisserung, Rollenspiel und Repräsentanz, auch um ein Überdauern unserer Endlichkeit – das memento mori schwingt quasi mit. Die weitere Entwicklung der Kunst führt etwa bei Rembrandt zu einer Erforschung der eigenen Person. Allen seinen Stimmungen und Verfassungen scheint dieser Maler präzise Rechnung zu tragen – von kindlichem Fratzenschneiden über alkoholisierte Heiterkeit bis zu tiefer Verzweiflung wie auch stolzer Inszenierung in höfischem Auftritt. Er begegnet sich gnadenlos wahrhaftig, dabei voller Anteilnahme. Er setzt damit einen Meilenstein in dieser Bildgattung.

Malerei als Selbsterforschung Hin zur Moderne ließen sich viele Künstler nennen, die wie van Gogh oder Edvard Munch ihre Malerei ebenfalls weiter als Selbsterforschung betrieben haben. In der zeitgenössischen Malerei fällt mir sofort Maria Lassnig als eine besondere Vertreterin der Gattung Selbstbildnis ein, die in ihrem Schaffen die körperlich-seelische Selbstwahrnehmung thematisierte und Bilder entwickelte, die sie selbst als „body awareness painting“, als „Körpergefühlsbilder“ bezeichnete. Sie entwickelt einen Ausdruck aus dem, was ihr Körper fühlt, wie sie sich als und durch ihren Körper wahrnimmt – also Bilder dafür, „wie dünn die Haut zwischen dem Leib und den Dingen ist“, so formuliert es anschaulich-poetisch der Kunsthistoriker Gottfried Boehm 1.


Titelthema: Ich-Begegnung 8

Inwiefern das an Beispielen aus der Kunstgeschichte so enorm reiche Thema des Selbstportraits auch heute noch Teil der künstlerischen Ausbildung ist, fragte ich Studierende und Künstler-Kollegen an unserer Hochschule, wo sich „die Pädagogik als Geburtshelfer des ‚Ich-Bin‘ versteht“, wie es Uwe Battenberg umschreibt.

wird. Hier will man im Rahmen des übergreifenden Konzepts „Auf links gedreht“ sogar zur Veränderung des zwischenmenschlichen Klimas in einem „marginalisierten Stadtteil“ beitragen, indem individuelle Standpunkte „als ‚Portrait’ im engeren und übergeordneten Sinne zum Ausdruck und in eine ästhetische Form gebracht werden“.

Man traut dem Thema viel zu, wie das ambitionierte Kunstprojekt „Von Angesicht zu Angesicht, FACE TO FACE“ zeigt, das von Professorin Ulrika EllerRüter in Kooperation mit „Internationales Frauen- und Familienforum e. V.“ betreut

Schonungslos Auch interessierte mich, ob K ­ olleginnen oder Kollegen selbst dem Thema in ihrem künstlerischen Schaffen nachgehen. So meint Beatrice Cron, man könne


Titelthema: Ich-Begegnung 9

in Bonn, studiert in Alfter, fühlt sich aber nicht wirklich am Ort angekommen. Um diesem Defizit auf die Spur zu kommen, inszeniert sie das Malen von Selbstportraits im Bonner Stadtraum. Sie sucht sich ungewöhnliche Plätze, baut dort ihre Staffelei auf, die mit einem Spiegel versehen ist, und malt sich – ihr Gesicht im Zusammenhang mit dem städtischen Lebensraum. Beispiele, die zeigen, wie tiefgründig die künstlerische Begegnung mit dem „Ich“ sein kann in einer Zeit, die von einer Identitätssuche im Bild geprägt ist wie kaum eine Zeit zuvor. Nicht umsonst hat ein besonderes mediales Phänomen einer ganzen Generation einen Namen gegeben: der „Generation Selfie“.  ■

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in (in ihrem Fall übrigens nicht für die Öffentlichkeit bestimmten) Selbstbildnissen „an sich selbst am schonungslosesten dranbleiben und ausprobieren“. Sowohl in der freien Malerei als auch im Studium der Kunst-Pädagogik-Therapie herrscht kein Mangel an Beispielen: Viele Studierende widmen sich dezidiert dem „Bild von sich“. Im großen Atelier der Maler treffe ich Annika Hoffmann und Caspar Höhnen, beide studieren im 7. Semester. Ihre Skizzen und Bilder lassen mich in eine komplexe Beobachtung und Analyse der eigenen Person eintauchen, in faszinierende Inszenierungen – als selbstreferentielle Reflexionsbeziehung bezeichnet es die Kunstkritik. Ein großformatiges Bild von Caspar Höhnen sticht heraus: Es thematisiert den Mythos des Narziss und zitiert Caravaggios Narziss-Gemälde von 1597/98.

Hier bündeln sich vielfältige Reflexionen zur Künstleridentität. Nach Ovids Darstellung in seinen Metamorphosen scheitert und stirbt Narziss, weil er sich in sein Spiegelbild – also in sich selbst – verliebt. Thomas Macho zeigte 2002 in einem Essay 2, dass wir den Mythos auch – durchaus zeitgemäß – lesen können als leidenschaftliche Verliebtheit in ein „cyber-Phänomen“, ein körperloses Trugbild. Auch Ovid spricht von einer „körperlose(n) Hoffnung, hält das für einen Körper, was nur Welle ist“ 3.

Identitätssuche im Bild Eine weitere Ansprechpartnerin für meine Frage finde ich in Susann Turan, Absolventin des Studiengangs Kunst-­ Pädagogik-Therapie. Ihre Abschlussarbeit thematisiert die Suche nach Verwurzelung an ihrem Studienort: Sie lebt

ottfried Boehm, zit. in: Deutsches Ärzteblatt G 2013; 110(3) Thomas Macho: Narziß und der Spiegel. Selbstrepräsentation in der Geschichte der Optik, in: Almut-Barbara Renger (Hrsg.): ­Narcissus. Ein Mythos von der Antike bis zum Cyberspace, Stuttgart/Weimar (Metzler) 2002, 13-25 P. Ovidius Naso: Metamorphosen III. Übersetzt und herausgegeben von Michael von ­Albrecht. Stuttgart, Reclam, 416-19

FACE TO FACE Von Angesicht zu Angesicht, FACE TO FACE – Interdisziplinäres und multimediales Kunstprojekt in Bonn-Tannenbusch Kooperation zwischen dem Fachbereich Bildende Kunst, Prof. Dr. Ulrika Eller-Rüter und dem Verein „Internationales Frauen- und Familienforum e. V.“. Künstler und Bewohner aus Bonn-Tannenbusch und Studenten der Bildenden Kunst der Alanus Hochschule bringen individuelle Standpunkte („Portraits“) mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln zum Ausdruck und in eine ästhetische Form. Außerdem: Workshops für Kinder und Jugendliche zum Thema „Gesichter in Tannenbusch“ sowie Wandmal-Aktionen im öffentlichen Raum. Laufzeit: September bis Dezember 2017 Von: Gabriele Oberreuter Professorin für Kunstgeschichte


Titelthema: Ich-Begegnung 10

Wissenschaftlich und existentiell Dimensionen geistiger Selbstaktivierung Rudolf Steiner hatte die Anthroposophie ursprünglich als Wissenschaft der Zukunft konzipiert: an dem Berührungspunkt von Erkenntnis und Leben. Seine Voraussage für das 20. und 21. Jahrhundert war, dass die Wissenschaft und das menschliche Leben an eine Grenze kommen, an der das Selbsterleben und die Existenz des Menschen gefährdet wären – wenn es der Wissenschaft nicht gelänge, diese Grenze zu überwinden. 1 ich „professionell“ eine nicht menschlich empfindungsfähige Wissenschaft praktiziere und mich nur in der Freizeit in einer nicht wissenschaftsfähigen Gefühlsbildung als Mensch erlebe. Welches menschliche Selbstgefühl ist wissenschaftsfähig und welche Erkenntnis gefühlswirksam? Dieser Fragestellung geht das Studium Generale der Alanus Hochschule nach. Einige Aspekte einer wissenschaftlichen Anthropologie und Psychologie, die eine solche „humane Wissenschaft“ ermöglichen könnten, sollen im Folgenden beispielhaft benannt werden.

Damit war prognostisch eines der entscheidenden Probleme gegenwärtiger Wissenschaft beschrieben. Die Frage nach dem Menschen in der Wissenschaft stellt sich immer dringlicher; Rufe nach einer „Humanisierung der Wissenschaft“ werden lauter. Gemeint ist mit diesem Stichwort, dass die Wissenschaft den Menschen im Blick behalten muss. Dass eine Wissenschaft ohne Berücksichtigung ihres erlebenden und erkennenden Subjekts, des Menschen, sich selbst widerspricht. Dass das Erkenntnisideal der „Objektivierung“ ohne Einbeziehung des Subjektes eine Gefahr darstellt. Dass

dann eine vermeintliche Objektivität die Entmenschlichung der Wissenschaft bedeuten würde.

Wissenschaft als Lebenshaltung Andererseits wäre auch ein existentielles menschliches Selbstverständnis jenseits der Wissenschaft problematisch. Denn zum aufgeklärten und selbstverantwortlichen menschlichen Selbsterleben gehört die Wissenschaft: weniger in ihren Inhalten, mehr als Lebenshaltung. Wissenschaft als Lebenshaltung bedeutet, nicht die Trennung zu akzeptieren, in der

1. Die Individualität, das menschliche Ich, existiert nicht nur subjektiv innen und die objektive Wirklichkeit nicht nur außen. Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie ist neu zu bedenken und neu zu erleben: In mir wird die Welt subjektiv und ich werde durch mein Interesse an der Welt objektiv. Was mir im Sinne von Intention, Empfindung und Erkenntnis draußen begegnet, bin ich letztlich selbst, und was davon in mir lebt, ist die Wirklichkeit – keine abstrakte Wirklichkeit „an sich“, die unabhängig und außerhalb des Menschen besteht. 2. Entwicklung findet nicht aus Kräften der Vergangenheit statt; Vergangenes begründet niemals Zukünftiges. Ein offener Blick auf die eigene Biografie (und auch auf die Geschichte) kann verdeutlichen,


Titelthema: Ich-Begegnung 11

dass sich der Vergangenheitsstrom stets durch Zukunftsintentionen positiv qualifizieren muss. Und diese Zukunftsintentionen lassen sich meistens nicht aus der Vergangenheit ableiten. Eine „Erinnerungskultur“ allein kann nicht ausreichen. Die Begründung der Zukunft rein aus der Erfahrung der Vergangenheit würde in individuelle und soziale Depression führen. Erst der nächste freie Schritt vermag den Sinn und den Zusammenhang vergangener Erfahrungen zu erhellen. Welches wissenschaftliche Denken kann die Vergangenheitsfixierung im Entwicklungsbegriff überwinden? 3. Rein beschreibende Wissenschaft steht in der Gefahr der Ontologisierung: Die Realität erscheint dann als gegeben. Dabei wird vergessen, dass aus der Vergangenheit nur feststeht, was noch nicht von menschlicher Aktivität ergriffen wurde. Beispielsweise zeigen neuere hirnphysiologische Forschungen, wie schnell sich Zellstrukturen durch Denk-, Erlebens- und Intentionsprozesse der Individualität modifizieren. Schon länger ist klar, dass sich problematische genetische Dispositionen vor allem dann biografisch durchsetzen, wenn vor dem 30. Lebensjahr keine freie geistige Selbstaktivierung und Zukunftsbestimmung realisiert wurde. Ähnliches gilt für die Natur: Eine wahrhaft ökologische Zukunft entsteht nicht aus sich selbst überlassener Vegetation, sondern aus der menschlichen Intention, die die Natur über ihre eigenen Grenzen hinaus entwicklungsfähig hält. Genau in diesem Sinne ist eine zukünftige Natur ohne den Menschen nicht denkbar. Deshalb hat bereits im 19. Jahrhundert der Naturphilosoph F. W. J. Schelling die rein gegebene Natur als eine immerwährende Ruine bezeichnet. 4. Wissenschaftliche Analyse sollte methodisch durch wissenschaftsfähige Synthese ergänzt werden. Für eine zukunftsfähige Psychologie und Therapie hat Rudolf Steiner sinngemäß die Aussage formuliert: Es kommt weniger darauf an, Träume besser zu deuten; es kommt aber alles darauf an, besser träumen zu lernen. 2 Hinzuzufügen wäre, dass möglicherweise die Träume, die ich einfach habe, noch gar nicht meine Träume sind – dann lohnt es sich auch nicht, sie zu

deuten. Erst die Träume, die auftreten, wenn ich im Sinne geistiger Selbstaktivierung zu meinem Leben gekommen bin, sind über mich aussagefähig. Vielleicht gilt das auch allgemein: Was ich in der Welt vorfinde und analysieren kann, ist noch gar nicht Wirklichkeit – sondern das nur Vorfindbare wartet darauf, durch positive menschliche Intentionen zu Wirklichkeit zu werden.

Geistige Selbstaktivierung besteht im Ausbilden der Fähigkeit, mich selbst, die Welt und den anderen Menschen über den Status quo hinauszubringen. Entsprechende Erfahrungen kann ich sammeln, wenn ich intentional an meiner Entwicklung arbeite: beispielsweise meditativ, durch freies Erkenntnisinteresse in bestimmten Bereichen oder durch andere Schritte der Selbstsensibilisierung.


Titelthema: Ich-Begegnung 12

In gewisser Hinsicht bildet eine solche geistige Selbstaktivierung die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Grundhaltung. Und man könnte fast vermuten, dass die Gesundheit der eigenen Lebenssituation, der sozialen und natürlichen Umgebung und wohl auch des eigenen Organismus zunehmend auf solche kleine Entwicklungsschritte angewiesen ist.

Sich miterlebt erleben Welche Psychologie wäre in der Lage, über die Analyse von Gefühlen hinaus die gefühlsschaffende Kraft im Menschen zu aktivieren? Welche Wissenschaft wäre in der Lage, über die Beschreibung gegebener natürlicher, sozialer oder auch wirtschaftlicher Zustände hinaus diejenige Gestaltungskraft zu aktivieren, die das rein Gegebene zu einer Wirklichkeit verwandelt? Eine solche intentional-synthetische Wissenschaftshaltung könnte heilsame Kräfte im körperlichen, seelischen und sozialen Organismus anregen und, über die reine Analyse problematischer Zustände hinaus, positiv intentionale Entwicklungsimpulse diskursfähig darstellen. Ein Kind lernt, indem es an mir erlebt, wie ich mich für die Welt interessiere – und weiter dadurch, indem es empfindet, dass ich mich dafür interessie1 2

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re, was das Kind an der Welt erlebt. Es liegt eine verheerende Verkürzung darin, zu meinen, dass das Kind lernt, wenn man ihm nur „Erfahrungsräume“ oder „Wahrnehmungsräume“ eröffnet. Zum Lernen und zum Erkenntnisfortschritt gehört das gegenseitige menschliche Interesse; das gilt auch für Erwachsene und für die Wissenschaft. Ich kann letztlich nur etwas verstehen, wenn ich mich prinzipiell in meinem Verstehen von anderen Menschen mitempfunden empfinden kann. Erkenntniszusammenhänge und Begriffe setzen in dieser Weise zwischenmenschliche Begleitung und positives gegenseitiges Erleben im Erkenntnisbereich voraus. Anderenfalls bleibt die Wirklichkeit dunkel und die Wissenschaft menschlich und sachlich stumpf. Eine solche wechselseitige „Subjektivität“ ermöglicht letztlich erst wissenschaftliche Objektivität und begründet die Bedeutung einer forschenden Gemeinschaft. In diesen Dimensionen könnten praktische Schritte zu einer Humanisierung der Wissenschaft vollzogen werden. Gerade das Studium Generale kann verdeutlichen, dass Wissenschaft nicht nur als Selbst- und Weltobjektivierung vollzogen werden muss. Dass Kunstgeschichte, Philosophie, Anthropologie und Psychologie als Entwicklungswissenschaften verstanden werden

udolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze (1924, GA 26), Nr. 2. R Ders.: Über Psychoanalyse. Vorträge vom 10. und 11. Nov. 1917 (GA 178). – Weiterführend: Wolf-Ulrich Klünker u. a.: Psychologie des Ich. Stuttgart 2016. Vgl. dazu: Wolf-Ulrich Klünker: Alanus ab I­nsulis. Stuttgart 1993 (insb. die Einführung).

können, die sich aus der Erfahrung geistiger Selbstaktivierung speisen und diese wiederum auch initiieren können. Eine in diesem Sinne humane Wissenschaft führt zu einer neuen Wertschätzung des individuellen Wahrheits- und Verantwortungsgefühls als integralem Element von Wissenschaftlichkeit. Hier liegen Ansatzpunkte für eine Neubestimmung des Wissenschaftsbegriffs, dem sich die Alanus Hochschule in der Tradition ihres Namensgebers verbunden fühlt. Denn Alanus ab Insulis sah im Übergang zum 13. Jahrhundert die Zukunft der Wissenschaft in einer menschlichen Erkenntnis, in der sich das erkennende Subjekt selbst durchsichtig wird, indem es sich entwickelt. 3 Alanus sprach von einer Zukunft, in der die Wissenschaft den Glauben und die Religion ablösen könnte. Als Grundlage einer solchen existentiell Lebenssinn stiftenden Wissenschaft sah er die Selbsterkenntnis. Diese Perspektive widerspricht einer Anpassung an ein rein deskriptives und szientistisches Wissenschaftsmodell, das heute oft im aufklärerischen Kleide erscheint, oftmals aber seine eigenen Grenzen wissenschaftstheoretisch nicht vor Augen hat. Ein wirklich zukunftsfähiges Wissenschaftsverständnis kann sich nicht vom erlebenden Menschen distanzieren. Ich wünsche mir für die Zukunft der Alanus Hochschule, dass in diesem Sinne an einem wissenschaftlichen Menschenbild und einer menschlichen Wissenschaft Pionierarbeit geleistet werden kann, gerade auch in der Entwicklung einer empfindungsoffenen, dadurch aber nicht weniger wissenschaftlichen Anthropologie und Psychologie.  ■

Von: Wolf-Ulrich Klünker Professor für Philosophie und Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie sowie Leiter der Delos-Forschungsstelle für Psychologie, Berlin


Titelthema: Ich-Begegnung 13

Selbstverwirklichung durch Selbstoptimierung? Warum man nicht machen kann, was sich ergeben muss Ein Kommentar von Thomas Schmaus Ob Körper-Training, Pillen zur Leistungssteigerung oder Apps, die dabei helfen, den Tag möglichst effektiv zu nutzen – Selbstoptimierung ist ein Phänomen, das heute bei Weitem nicht nur Fitness-­ Freaks und Technik-Nerds betrifft oder bloß zu bestimmten (Arbeits-)Zeiten zum Tragen kommt. Sich selbst zu optimieren, ist für viele zu einem Alltagsprojekt, ja zu einer Lebensaufgabe geworden. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass es sich dabei inzwischen um die zeitgemäße Form der für den modernen Menschen so wichtigen Selbstverwirklichung handelt. Denn was es da zu optimieren gilt, sind ja nicht nur physische Faktoren, sondern auch die psychischen, sprich die emotionalen und mentalen Eigenschaften einer Person. Es wäre allerdings verfehlt, daraus zu schließen, Selbstoptimierung beträfe den ganzen Menschen. Sie ist vielmehr mit einem reduzierten Bild des Menschen verbunden, das diesen als jemanden versteht, der etwas aus sich zu machen hat. Dieses Konzept zielt also auf den „Selfmademan“ und konzentriert sich dabei auf das technische Know-how und die damit verbundenen Entwicklungsfähigkeiten. Ohne technisches Denken und Handeln, so die Pointe, wäre der nackte und schutzlose Mensch gar nicht überlebensfähig. Was ihm aber zunächst nur dazu verhalf, seine natürlichen Mängel auszugleichen, entfaltet seit Jahrhunderten eine Steigerungsdynamik, der scheinbar keine Grenzen gesetzt sind. Dieser Schwung des Fortschritts, die Faszination immer raffinierterer technischer Möglichkeiten, die Entdeckung, was alles machbar ist, ja die zunehmende Überzeugung, dass alles machbar ist,

und das Erleben von erhöhter Selbstwirksamkeit erklären die Lust daran, die eigene Leistung technisch zu steigern. Woher aber kommt der Frust, der damit ja offensichtlich auch verbunden ist und bis hin zum Burn-out führen kann? Eine wichtige Quelle ist sicherlich das Wissen um die ständige Gefahr zu scheitern: Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied – und wer sich „verhaut“, wer nichts aus sich macht, ist selbst schuld. Auch dann aber, wenn man dieser Gefahr gewachsen ist, bleibt ein Problem bestehen, das noch tiefer liegt. Das Menschenbild der Selbstoptimierung beruht auf einer grundlegenden Unzufriedenheit mit sich und der Welt: So wie es jetzt ist, ist es (noch) nicht gut. Und fatalerweise stellt der Weg, mit dem man diesen Zustand verlassen möchte, nämlich die permanente Selbstoptimierung, gar keinen Ausweg dar: Der Optimalfall wird niemals eintreten. Denn es geht ja immer noch besser …

Wege aus der Alternativlosigkeit Es genügt nicht, auf die Verkürzungen dieses Menschenbildes hinzuweisen und ihm ergänzende oder ganzheitliche Konzepte zur Seite oder entgegenzustellen. Wer es verinnerlicht hat, ist in der Regel davon überzeugt, dass es „funktioniert“ und – oder wenigstens – „alternativlos“ ist. Alternativen müssen daher aus Erfahrungen erwachsen – und zwar aus solchen, die nicht nur aus dem Scheitern des Machbarkeitsdenkens bestehen, sondern aus dem Gelingen von andersgearteten Prozessen. Ich denke dabei zum Beispiel an Erlebnisse, selbstvergessen in einer Tä-

tigkeit aufzugehen und dabei in Fluss zu kommen, weswegen man auch von „Flow“-Erfahrungen spricht. Solche oft erfüllenden und beglückenden Erfahrungen entziehen sich der Machbarkeit, lassen sich nicht herstellen, sondern müssen sich ergeben. Sie werden dankbar als Geschenk oder gar Gnade erlebt. Mit anderen Worten: Es geht um kreative Erfahrungen, bei denen die Welt nicht zur Verfügung steht, um etwas aus ihr zu machen, sondern in Schwingung gerät und gewissermaßen antwortet. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht daher von „Resonanzerfahrungen“ und weist darauf hin, dass sie unabdingbar für ein gelungenes Leben sind. Wo sie auftreten, ist aber nicht Herstellung, sondern Gestaltung gefragt. Es kommt dabei zu einem schöpferischen Prozess, bei dem man mitgestaltet, mitwächst und sich auf diese Weise auch selbst formt, selbst verwirklicht. Derart gestimmte Begegnungen zu ermöglichen und Resonanzräume für sie zu schaffen, gehört meines Erachtens zu den wichtigsten Bildungsaufgaben unserer Zeit.  ■


Titelthema: Ich-Begegnung 14

Lebenslanges Lernen – Untiefen eines prominenten Schlagworts

In unseren Breiten ist lebenslanges Lernen nicht erst seit wenigen Jahren in aller Munde. Programmatische Vorschläge dazu reichen weit ins 20. Jahrhundert zurück und finden in zahlreichen Konzepten Ausdruck. In jüngerer Zeit kreisen sie besonders um etwaige Anforderungen einer „Wissensgesellschaft“ und Folgen der „Digitalisierung“. Wegen des unprägnanten Charakters waren neben dem Schlagwort vom lebenslangen Lernen von Beginn an unterschiedliche Wortbildungen wie z. B. auch lebensbegleitendes oder lebensumspannendes Lernen im Gebrauch, die alle eine ähnliche Stoß-


Titelthema: Ich-Begegnung 15

richtung haben. Zu einer Präzisierung hat all das nicht beigetragen. Worum könnte es beim lebenslangen Lernen gehen und worum geht es dabei tatsächlich meist?

Keine traditionale Lebensführung Wohlwollend könnte man mit dem Schlagwort vom lebenslangen Lernen etwas beschreiben, das heute beinahe zum Allgemeingut geworden ist: dass der Mensch nämlich über die gesamte Lebensspanne hinweg im Stande ist, sich Wissen anzueignen bzw. hervorzubringen, und dies tatsächlich mal mehr, mal weniger tut. Wandel und Veränderung wären also etwas, das zum Leben dazugehört. Die Frage bleibt allerdings, weshalb nun jenseits dieser Trivialität dafür ein Schlagwort Verbreitung gefunden hat? Worauf könnte sich die Rede vom lebenslangen Lernen beziehen? Neu wäre dabei nicht so sehr die Fähigkeit, Neues aufzunehmen und hervorzubringen, denn sie zeichnet den Menschen aus. Es wäre vielmehr die Haltung, geradezu die Erwartung, Veränderung als solche zu begrüßen, und zwar über Bildungsmilieus und bestimmte Berufsgruppen hinaus. Lebenslanges Lernen wäre eine alltägliche Herausforderung, die für jeden gilt, und zwar nicht nur im Beruf.

Autonomisierung der Lebenspraxis Wie ist es dazu gekommen? In der Soziologie lässt sich für diese Diskussion mindestens eine Linie bis zu den Untersuchungen Max Webers zur protestantischen Ethik ziehen. Früh schon wurde diese Frage in der Kunst thematisiert, so in Goethes Werther, aber auch in der französischen Romantik. Weber erkennt in der protestantischen Ethik einen Wegbereiter methodisch rationaler Lebensführung („Entzauberung der Welt“). Diese Haltung führt Umwälzungen systematisch herbei und ist zugleich Triebkraft der Säkularisierung. Die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich in einem Prozess der Enttraditionalisierung und Autonomisierung der Lebensführung. Was bedeutet das? Wurden einst Entscheidungen der Lebenspraxis noch mit Verweis auf Traditionen getroffen und waren sie gerade dadurch legitimiert (z. B. Heirat, Berufswahl, Haushalts-

bzw. Sorgetätigkeiten), stellt sich dies heute ganz anders dar. Die Berufung auf Traditionen kommt heute einer Beschränkung autonomer Entscheidungsfindung gleich. Nicht nur gilt, dass gemäß der Autonomisierung der Lebenspraxis der Einzelne eine Entscheidung treffen soll, die zu seinem Lebensentwurf, seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten passt. Es geht also um Individuierung. Die Entscheidung muss mit dem Anspruch auf Begründbarkeit getroffen werden, auch wenn diese Begründung erst in the long run geliefert werden kann. Nicht zu verwechseln ist diese Struktur der Lebensführung mit dem empirischen Fall, dass im Alltag Entscheidungen sich häufig bloß als Vollzug bewährter Routinen erweisen. Im Zweifelsfall gilt allerdings für diesen Fall genauso, dass die Entscheidungen mit dem Anspruch auf Begründbarkeit getroffen werden sollen und jederzeit in Frage gestellt werden können. Statt von „Lernen“ wäre es angemessener, von „Krisenbewältigung“ zu sprechen.

Transformation als Selbst­ verständlichkeit Wandel oder Transformation wären also nicht mehr die strukturelle Ausnahme, sondern vielmehr das Erwartbare. Eine solche Entwicklung eröffnet auf der einen Seite mehr Handlungsmöglichkeiten, weitet diese aus. Dieses Mehr an Handlungsmöglichkeiten fordert dem Einzelnen auf der anderen Seite jedoch Begründungen ab, wodurch das Leben fordernder wird. Gewonnene Freiräume muten einem zu, sie auch füllen zu müssen. Das Schlagwort vom lebenslangen Lernen könnte also genau dies zum Ausdruck bringen.

Institutionalisierte Zumutung der politischen Ordnung Was für den Einzelnen nun schon zum Alltag gehört, wird durch eine politische Ordnung verstärkt, die Autonomie zur normativen Verpflichtung erhoben hat. Die Legitimationsbasis einer republikanischen Demokratie, wie sie in Deutschland existiert, ist das Volk der Staatsbürger (Art 20 (2) GG). Ausdrücklich wird von ihrer Mündigkeit – das ist nichts


Titelthema: Ich-Begegnung 16

anderes als Autonomie und Verantwortung für Entscheidungen – ausgegangen. In einer spezifischen Form zeigt sich diese Autonomie ebenso als Moment der Wirtschaftsordnung, die auf unternehmerische Initiative setzt und diese zu schützen sucht (Art 12 GG, „freie Berufswahl“). Veränderung ist insofern erwünscht, als für Handlungsprobleme nach angemessenen Lösungen gesucht werden muss. Lebenslanges Lernen wäre ein anderer Ausdruck für diesen Zusammenhang.

Geist der Bildungs- und Sozial­ politik – top down Wenn wir einen Blick darauf werfen, in welchen Zusammenhängen lebenslanges Lernen betont und mit welchen Zielen es in politischen Debatten verbunden wird, dann zeigt sich eine andere Seite. Lebenslanges Lernen wird dort viel weniger breit verstanden: In der Regel bezieht es sich auf Qualifizierung und Weiterqualifizierung für Erwerbstätigkeit. Erforderlich sei lebenslanges Lernen angesichts der Wandlungen der (Erwerbs-)Arbeitswelt, drängender noch angesichts etwa-

iger Folgen der Digitalisierung. Gerade sie berge die Gefahr, diejenigen zurückzulassen, die sich den neuen Anforderungen nicht durch Bildungsanstrengungen stellen. Lebenslanges Lernen wird so zur Präventionsmaßnahme gegen Erwerbslosigkeit. Wie weit sich lebenslanges Lernen dabei vom zuerst ausgeführten Verständnis einer die Autonomie der Lebenspraxis auszeichnenden Fähigkeit entfernt, zeigt sich darin, wie sehr in der Diskussion top down gedacht wird. Aus der Fähigkeit zur Veränderung wird eine Verpflichtung oder gar Pflicht gemacht. Nicht nur soll es Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen geben, die Möglichkeiten sollen gefälligst wahrgenommen werden. Was in der Sozialpolitik durch Sanktionen bei Arbeitslosengeld I   und   II sowie der Sozialhilfe „sichergestellt“ werden soll, findet sich auf ähnliche Weise in der Frühförderungsprogrammatik in Kitas, den Frühen Hilfen für Familien („Kein Kind zurücklassen“), der „kulturellen Bildung“ oder im Geist der nicht mehr ganz neuen Studiengänge z. B. in der Diskussion über Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen. Im Mantel von Fürsorge und Prävention tritt an die Stel-

le von Autonomie und Verantwortung das Bestreben, Scheitern möglichst zu verhindern. Es gehört zwar irgendwie zum Leben dazu, noch besser aber wäre es, das Scheitern zu verhindern.

Wollen oder müssen? Der Lackmustest dafür, wie es ein Gemeinwesen mit der Autonomie der Lebenspraxis und dem Vertrauen in ihre Fähigkeiten, mit den Herausforderungen umzugehen, hält, ist die Frage, ob lebenslanges Lernen ermöglicht oder zur Pflicht erhoben wird. Darf der Einzelne sich, wenn er es für angemessen hält, dem auch verweigern? Darf er wenig bis gar nicht initiativ sein, ist das legitim? Darf er sich der Kreativitätsbegeisterung verweigern und unkreativ sein? Erst wenn das ebenso legitim wäre, würde Autonomie ernst genommen.  ■

Von: Sascha Liebermann Professor für Soziologie


Titelthema: Ich-Begegnung 17

Von Räumen der Begegnung in Zeiten des Brandschutzes Kolumne Wie in der letzten Nummer dieses Magazins angekündigt, chille ich für diese Universalis-Ausgabe im Liegestuhl auf der sogenannten Obstwiese auf Campus II. Sogenannt, weil sich nach hartem frühjährlichen Frust, pardon Frost, in diesen Wochen kaum ein Früchtchen regt. Es hat sich aber viel getan auf diesem Stück Alanus, dem Studierendenrat sei Dank, der sich im Frühjahrssemester so ins Zeug gelegt hat und die Spontanvegetation (vulgo: „das Unkraut“) in eine sehr ansprechende Lounge-area (!!!) mit entsprechendem Meublement, Barbecue-Zone und Literaturschrank verwandelt hat. Alles outdoor wohlgemerkt und zusätzlich zum emsigen Studierendenleben; in welchem Verhältnis steht das zur Ich-Begegnung, der sich diese Universalis verschrieben hat? Die Verbindung passt, wage ich zu behaupten, denn bei aller Bezogenheit auf sich selbst („cocooning“) dürfen wir die

Begegnung mit dem Anderen, die, so Martin Buber, „alles wirkliche Leben“ ist, nicht vernachlässigen oder gar vergessen! Von daher machen uns unsere Studis (taufen wir das Stück doch bitte „Studi-Wiese“) vor, was wir im alltäglichen Alanus-Alltag nicht hoch genug bewerten können und immer wieder neu beherzigen sollten: viel mehr mit- und viel weniger übereinander reden. Aber wo, hier auf „Zezwei“? Apropos, können wir diesen arg technischen Namen nicht mal durch was Liebevolles ersetzen? Hat sich jemand schon mal gefragt, wo überhaupt „Zeeins“ ist? Alle sprechen und schreiben hier – zum Glück – vom Johannishof. Die Tage werden kürzer und dunkler, Zeit und Gelegenheit, sich – neben dem Studium – auch dazu mal Gedanken zu machen. Die Frage oben war ja: Wo hier auf „Zezwei“? Die Mensa lädt zu Speis’ und Trank’ ein – aber zum Verweilen? Sicher

nicht, zumal sie auch sehr reglementierte Öffnungszeiten hat. … Das Foyer? Wie oft habe ich mich schon gefragt, warum in diesen großen und eigentlich auch sympathischen Raum nicht etwas mehr, ja Gemütlichkeit, einkehren kann. „Brandschutz“ wird mir stets entgegengehalten, ja, wirklich wichtig, aber es müssten doch „Situationen“ geschaffen werden können, die den Brandschutz nicht vernachlässigen und trotzdem ein paar Sessel und Tische zulassen, Kaffeeautomat dazu, Wasser – fertig; und ich traue mich zu fragen, ob so auch die Theke des Infopoints aus grauer Urzeit – so und so – wieder zu neuem Leben erweckt werden könnte. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, so habe ich schon oben Martin Buber zitiert, wo gilt das mehr, als an einer Hochschule, als auf Alanus? Und weil „der zweite Bauabschnitt“ nun weiter auf sich warten lassen wird, rufe ich uns alle dazu auf, uns auch Gedanken dazu zu machen, wie wir die Rektor-Wiese (so habe ich jetzt ganz spontan(!) die Wiese der Studi-Wiese gegenüber getauft) zukünftig gestalten, ja nutzen und gleichzeitig die Wiese den Atelierbauten gegenüber. Es geht … mit ganz geringen Mitteln was ganz Ansehnliches, Liebevolles, Gemeinschaftsbildendes zu schaffen. Die Alanus-Studis haben es uns bewiesen und wir brauchen solche Initiativen, wir brauchen solche Räume, zur Begegnung mit dem Ich, aber auch für die Begegnung mit dem Anderen und den Anderen als Alanus- und Lebensziel. Herzlichst Euer Giovanni Del Monte


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K   unst im Wald Partizipatives Land-Art-Projekt von Bildhauerei-Studenten


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Aus dem Fenster einer umgedrehten Holzhütte lugt Willis Kopf. Und nur ein paar Schritte weiter spiegeln sich Baumkronen in einem Glaskasten, der mit weißen Kissen gefüllt ist. Studenten der Bildhauerei haben fünf Wochen lang in der Christopherus Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, einer heilpädagogischen Einrichtung, gelebt und gearbeitet. Und vor allem: mit den betreuten Menschen vor Ort in der Schwäbischen Alb Kunstwerke im Wald geschaffen. Für gewöhnlich kämen Künstler mit einer fertigen Idee im Gepäck und installierten ihre Werke auf dem Gelände der Einrichtung zwischen Bäumen und Laub, so die künstlerische Mitarbeiterin Bianka Mieskes. „Es war das erste Mal, dass Künstler hier so lange zu Gast waren. Wir waren Teil der Wohngemeinschaft. Das war etwas ganz Besonderes“, findet die Bildhauerin, die Bildhauerei-Professor Jochen Breme bei der Leitung des alljährlichen Land-Art-Projekts unterstützte. Auch für Studentin Silke Rivera war die Erfahrung außergewöhnlich: „Die ganze Atmosphäre war geprägt von einem sehr respektvollen und entspannten Umgang miteinander.“

zu großen Plastiken. „Man merkt, dass die Betreuten in unterschiedlichen Bereichen wie der Tier- oder Gartenpflege arbeiten. Manche haben richtig Kraft in den Händen“, so Nolte.

Willi in der Holzhütte Für Professor Jochen Breme steht rückblickend fest: „Was hier gezündet hat, ist die Begegnung mit den Bewohnern, die sehr poetische und expressive Figuren gestaltet haben. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, ihre Kunst zur Geltung zu bringen und durch unsere Installationen mit dem Ort in Verbindung zu setzen – und zu einem Gesamtkunstwerk zu verschmelzen“, erzählt er begeistert. Die Hütte von Professor Breme verkör-

kam sie wie gerufen: Da war zum Beispiel der 29-jährige Ralf, Landschaftsbauer, der das Betonieren gelernt hatte. So war es ein Leichtes für ihn, Silke Rivera bei ihrer Installation Mondkind unter die Arme zu greifen und für sie ein Fundament aus Beton in den Waldboden zu gießen. An dieser Stelle schimmert nun ein kleines Wasserbett und mittendrin ein rot gefärbter Stein, auf dem eine in Aluminium gegossene Tonfigur – das Mondkind – thront. Die Studenten bauten am Ende eine kleine Waldgalerie aus Dachlatten und Sockeln, die nun auch die unverarbeiteten Tonfiguren beherbergt. „Alle Werke sind mit dem Ort und für den Ort entstanden“, sagt Jochen Breme.  ■ MG

Tonfiguren inspirieren Im Vorfeld des Land-Art-Projekts fand ein zweitägiger Ton-Workshop für die Bewohner der Einrichtung statt. Die Figuren, die dabei entstanden, dienten den Bildhauerei-Studenten später als Inspirationsquelle: Manche Plastiken sind sogar unverzichtbarer Teil der Installationen geworden. Die Alanus-Absolventen Miriam Nolte und Lukas Thein führten den Workshop mit zwölf Bewohnern durch. „Es war nicht nur ein Kurs. Die Bewohner waren auch an der Gestaltung des Waldes beteiligt. In erster Linie war es also ein künstlerischer und kein pädagogischer Prozess“, berichtet die Künstlerin Miriam Nolte. „Die Teilnehmer hatten ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Manche haben sehr selbstständig gearbeitet. Andere, die beispielsweise im Rollstuhl sitzen, konnten den Ton nur leicht biegen“, fährt sie fort. So individuell waren am Ende auch die Ergebnisse: von filigranen Figuren, Mischwesen und phantasievollen Tiergestalten bis hin

Bildhauer Jochen Breme hat Willi die Hütte gewidmet. Dieser hätte sie am liebsten gar nicht mehr verlassen.

pert diese Intention: Willi hatte einen Hirsch aus Ton geformt. Das Hirschmotiv taucht in Form eines Geweihs an der Hütte und als grafisches Element im Innenraum wieder auf. Überhaupt sei Willi sehr präsent gewesen. „Ich habe ihm die Hütte gewidmet, die aber auf dem Kopf steht. Auch Willi stellt alles auf den Kopf. Er ist dort eingezogen“, erzählt der Bildhauer lachend. Über die tatkräftige Hilfe der Menschen vor Ort haben sich die Studenten gefreut. Gerade im Wald, wo auch körperliche Kraft gefragt war,

Über die Einrichtung In der Christopherus Lebens- und Arbeitsgemeinschaft wohnen rund 95 Menschen mit Behinderung. In der Einrichtung sind sie im Service beschäftigt, in der Pflege der Grünanlagen, betreuen Gäste oder die Kaffeerösterei. Ein LandArt-Parcours aus verschiedenen Installationen ist für Besucher geöffnet. Zwölf Bildhauerei-Studenten aus unterschiedlichen Jahrgängen haben fünf Wochen lang in der Einrichtung gearbeitet und gewohnt.


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Wo lang? Wie wird die Demokratie der Zukunft aussehen? Wie wollen wir zukünftig miteinander leben? Diesen Fragen gingen Studenten bei der „Wo lang?“-Konferenz Ende Mai nach.

Auf dem Gelände des Campus II herrscht reges Treiben: Menschen finden sich zu kleinen Gruppen zusammen, erklären, hören zu oder diskutieren. Auf der Wiese gegenüber der Atelierhäuser stehen Tische, an denen sich unterschiedliche Nachhaltigkeitsinitiativen vorstellen, an einer igluartigen Konstruktion aus den Bestandteilen alter Lattenroste trocknen per Siebdruck bedruckte T-Shirts und Jutebeutel in der Sonne. „Wo lang?“ ist darauf in leuchtend blauen Lettern zu lesen.

Kilian Wiest und ein Teil des „Wo Lang?“-Teams begrüßen die Konferenzteilnehmer.

Die Idee, gemeinsam eine Konferenz auf die Beine zu stellen, entstand bei einer Busfahrt. Im Omnibus für direkte Demokratie lernten sich Philosophy, Arts and Social Entrepreneurship-Student Kilian Wiest und BWL-Student Leon Tietz im


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Oktober des vergangenen Jahres kennen. Beide beschäftigten sich mit den Themen der Direkten Demokratie und des Bedingungslosen Grundeinkommens. „Wir suchen nach neuen Wegen und Formen, uns aktiv einzubringen“, so Wiest. „Stimme abgeben reicht uns nicht“, fügt sein Kommilitone Tietz hinzu. Die beiden Studenten nahmen sich vor, einen Raum zur „Auseinandersetzung mit Utopien“ zu schaffen. Sie interessierte der Austausch mit anderen zu der Frage, wie wir die Gesellschaft heute so formen können, dass sie auch in Zukunft lebenswert ist. Mit ihrer Idee begeisterten Kilian und Leon auch ihre Mitstudenten: Kommilitonen aus verschiedenen Fachbereichen der Hochschule gesellten sich schnell zum Organisationsteam der Konferenz. Ansprechen wollten sie hauptsächlich junge, engagierte Leute aus ganz Deutschland. Insgesamt rund 170 Teilnehmer folgten ihrem Ruf nach Alfter und kamen für die Konferenz an die Hochschule. Unter den Teilnehmern waren viele Studenten, aber auch zahlreiche Berufstätige. „Vom Künstler bis zum Mediziner war alles dabei“, freut sich Tietz. Teilnehmerin Dorothea Schmidt ergänzt: „Die Fragestellung sprach nicht nur die ,Generation Y‘ an, sondern machte einen wunderbaren Austausch zwischen Jungen und Erfahrenen möglich.“

Stimmen aus Wirtschaft, Politik und Kunst Impulsvorträge und Workshops gaben den Teilnehmern die Möglichkeit, sich auszutauschen und zu diskutieren. So erläuterten die Ex-Geschäftsführerin der Piratenpartei Marina Weisband und der sich für das Bedingungslose Grundeinkommen einsetzende Schweizer Unternehmer Daniel Häni, wie das gesellschaftliche Zusammenleben weiterentwickelt werden kann. Dabei wies Häni auf deutlich fühlbare Unterschiede in den politischen Strukturen Deutschlands und der Schweiz hin: „Bei uns sind die Politiker Angestellte des Volkes. In Deutschland habe ich den Eindruck, dass es die Chefs sind“. Auch über das Thema der Volksabstimmung diskutierten Weisband und Häni kontrovers.

Für den Künstler und ehemaligen Beuys-Meisterschüler Johannes Stüttgen ist die Direkte Demokratie, bei der das Volk unmittelbar über politische Fragen abstimmt, der nächste notwendige Schritt Richtung Selbstbestimmung der Bürger. „Der Satz von Joseph Beuys Jeder Mensch ist ein Künstler weist darauf hin, dass jeder Mensch an der Gestaltung der zukünftigen Gesellschaftsform selbstbestimmt und gleichberechtigt beteiligt sein muss“, so Stüttgen.

Wo lang mit „Wo lang“? Im kommenden Jahr ist eine weitere „Wo lang?“-Konferenz geplant. Vorab möchten die Studenten die Community deutschlandweit kontinuierlich ausbauen. Ein Schritt in diese Richtung hat wieder etwas mit Busfahren zu tun: Im September dieses Jahres fuhren Kilian Wiest und eine Gruppe „Mitstreiter“ im Vor-

feld der Bundestagswahl mit dem „Wo lang?“-Bus durch Deutschland. Entlang der Route zwischen Alfter und Berlin machten sie mit der Frage „Wie können wir die gestalterische Verantwortung für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie wahrnehmen?“ in verschiedenen Städten halt. Mit Aktionen und Dialogrunden rund um ihren gemieteten Doppeldecker-Bus gaben sie dort Passanten die Möglichkeit, sich aktiv mit den Fragen der Politik zu befassen. „Wir jungen Menschen sind nicht alle politikverdrossen“, so Wiest. „Die Form motiviert vielleicht einfach nicht dazu, sich zu engagieren. Wie viele junge Leute sieht man schon in Parteien?“ Auf ihrer Fahrt hat die „Wo lang?“-BusGruppe viele Fragen der Menschen, die ihnen begegnet sind, gesammelt – viel Material für die neue Konferenz im kommenden Jahr.  ■ SK


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Mit der Form in Bewegung kommen Die Kunsttherapie wird seit einigen Jahren auch in der Flüchtlingshilfe erfolgreich eingesetzt. Denn das Arbeiten mit Bildern und anderen künstlerischen Mitteln ist immer dann besonders wertvoll, wenn eine nonverbale Kommunikation durch Bilder angeregt werden soll. Vom Modellieren mit Ton über das Arbeiten mit Farben bis hin zum Einsatz neuer Medien ist das Methodenrepertoire beinahe unerschöpflich. „Eine dieser Methoden ist das Formenzeichnen. Es stellt einen geordneten Raumbezug zu den horizontalen und vertikalen Koordinaten her, die es einem Menschen ermöglichen, ein Oben, Unten, Rechts und Links zu erleben. Der Mensch in seiner Vertikalen braucht für seine Orientierung diese Bezugspunkte, um sicher in der Welt zu stehen“, sagt Dagmar Wohler, Professorin für Kunsttherapie. Sie initiierte im Sommer 2016 ein künstlerisch-kunsttherapeutisches Projekt für geflüchtete Frauen und deren Kinder im Vorschulalter. „Es ist anzunehmen, dass die meisten der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge starken Belastungen ausgesetzt sind. Wir wollten ein Angebot unterbreiten, das durch ein ressourcenorientiertes, künstlerisches Vorgehen zur Stabilisierung und Entlastung beiträgt.“ Die Projektphase führten zwei Studentinnen und eine Absolventin der Hochschule mit etwa zehn Frauen aus Afghanistan, Syrien, Somalia und Nigeria durch. „Wir haben im November 2016 das erste Mal mit den Frauen in einem Kreativ-Raum im katholischen Pfarrzentrum in Bornheim gearbeitet und es herrschte gleich eine sehr offene Atmosphäre. Gleichzeitig waren die Frauen aber auch verunsichert, was sie erwartet“, berichtet Virginia Reiner, die das Projekt im Rahmen ihres Kunsttherapie-Studiums mitgestaltete. Die Maßnahme wurde zusammen mit der Caritas Rhein-Sieg realisiert und

vom Förderverein der Alanus Hochschule finanziell unterstützt.

Die Form als Mittel zum Zweck Die vielfältigen künstlerisch-ästhetischen Methoden, die in der Kunsttherapie zum Einsatz kommen, bieten Räume, in denen sich innere Bilder und Gefühle in Farben und Motiven ausdrücken können. Manche Methoden eignen sich dabei besonders, eine Distanz zwischen den negativen Erlebnissen der Vergangenheit und der Gegenwart aufzubauen. Dabei geht es nicht darum, eine aktuelle Belastung zu thematisieren, sondern um die Stabilisierung der Betroffenen. „Im Formenzeichnen verbinden sich viele positive Eigenschaften, die Menschen mit Fluchterfahrungen helfen können: Werden sie von negativen Gefühlen und Erinnerungen überfallen, gibt das Malen der Form Halt und ermöglicht Distanz von belastenden Emotionen. Gleichzeitig kommen die Malenden durch die Formgestaltung in eine körperliche Bewegung. In der Kunsttherapie spricht man hier von den Vitalkräften, die durch die Bewegung angeregt werden“, sagt Wohler.

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte Kinder, die Krieg erleben mussten, malen in der freien Bildgestaltung häu-

fig Kriegsszenen. Im Gegensatz zum freien Malen, bei dem traumatisierte Menschen ihre Erlebnisse in den Motiven zeigen, zentriert das Formenzeichnen die Betroffenen. „Es gibt ein Zentrum, eine Mitte, die Orientierung schafft und zu der der Malende immer wieder zurückkehrt. Wenn man zum Beispiel die Form einer Acht nimmt und diese einmal vertikal und einmal horizontal anordnet, entsteht ein mandalaähnliches Gebilde. Beim Malen hilft die Wiederholung der Form und ihrer Symmetrie, dass die Betroffenen ihre eigene Mitte finden“, erklärt Reiner. Und auch der Umgang mit den Farben spiegelt meist den Zustand einer Person wider. „Eine der Teilnehmerinnen hat eine besonders positive Entwicklung durchlaufen, da sie am Ende des Projekts zu kreativen Lösungen in der Lage war, die über die eigentlichen Aufgabenstellungen hinausgingen. Mit Blick auf die Ziele des Projekts denke ich, dass ihr Mut und Selbstvertrauen in die eigene gestalterische Handlungsfähigkeit gestärkt wurde“, berichtet Reiner, die selbst bei dem Projekt viel gelernt hat: „Ich habe die Begegnung mit den Frauen, die so viel Stärke in sich haben, als sehr bereichernd empfunden. Daher werde ich das Projekt auch bei seiner Fortführung im Herbstsemester 2017 auf jeden Fall ehrenamtlich begleiten.“  ■ MM


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Vom Güterbahnhof zur Waldorfschule 300 Meter lang, 20 Meter breit: Man braucht Phantasie, um sich im alten Güterbahnhof von Görlitz eine Waldorfschule vorzustellen. Und einen Plan. Architektur-Professor Swen Geiss und Alanus-Student Simon Koolmann reizt diese besondere Herausforderung: In ihrem Entwurf, der ab 2019 umgesetzt werden soll, möchten sie gemeinsam mit der Schule Jacob Böhme „Waldorfschule weiterdenken“. Bis 1993 wurden in den denkmalgeschützten Hallen im Westen der sächsischen Kleinstadt Güter verladen, ab 2021 sollen hier Kinder und Jugendliche lernen und sich auf dem Pausenhof austoben. „Das riesige Industriegebäude entspricht so gar nicht dem Klischee einer Waldorfschule. Es ist ein unglaublich starker Ort. Das wird den Charakter der Schule bestimmen. Es wird eine ungewöhnliche Waldorfschule“, sagt Swen Geiss, der seit 2007 an der Alanus Hochschule lehrt und in Wuppertal sein Büro team 51.5° architekten führt. In seinen Plänen ist das Gebäude nach Jahrgangsstufen gegliedert, und der Grundriss bildet die Schullaufbahn ab. Bis zur Eröffnung ist es allerdings noch ein weiter Weg, der bereits 2015 begann. Schon länger sucht die 2011 gegründete Waldorfschule einen dauerhaften Standort, der das Gesicht der Schule wird. Das derzeitige Gebäude ist schlicht zu klein. Die Schule kontaktiert schließlich Swen Geiss. „Jede Waldorfschule ist

selbst Betreiber eines Gebäudes. Es gibt also nicht nur einen Bauherren, sondern viele Beteiligte. Das war eine der großen Herausforderungen“, erzählt der Architektur-Professor. Wie möchte die Schule den Prozess organisieren? Wer entscheidet mit? Wie nutzt man das riesige Gelände? Um diese und andere Fragen zu klären, schlägt er ein „moderiertes Werkstattverfahren“ vor – und überzeugt mit seinem Konzept. „Wir haben dann die Planung der Planung übernommen.“ Dafür engagierte er Simon Koolmann als freien Mitarbeiter in seinem Büro.

Alle Beteiligten an einem Tisch Gemeinsam konzipieren sie vier Workshops und holen von Juni bis November 2016 in Görlitz Lehrer, Eltern, Schüler und Mitarbeiter der Stadt an einen Tisch. Doris Bach, Vorstandsmitglied der Waldorfschule, blickt zurück: „Die Workshops haben den Güterbahnhof als Standort bestätigt. Er war zuvor immer ein Wackelkandidat in der Schulgemein-

schaft. Es gab starke Befürworter, aber auch viele Bedenken.“ Die Workshops hätten eine hohe Akzeptanz geschaffen. Mittlerweile sei die Waldorfschule ein Prestigeprojekt der Stadt, sagt Bach. Das Görlitzer Projekt fasziniert auch Simon Koolmann. Während der Workshops entscheidet er sich, seine Bachelorarbeit darüber zu schreiben. „Ich habe einen Vorschlag gemacht, wie die Schule aussehen könnte. Anhand der Entwürfe, die ich präsentiert habe, konnte die Schule Position beziehen und musste nicht im luftleeren Raum diskutieren“, sagt Koolmann. Für seine Arbeit wird er unabhängig vom Görlitz-Projekt als einer von neun bundesweit ausgewählten Kandidaten für den deutsch-polnischen Architekturförderpreis BDA-SARP-Award 2017 nominiert. Der Preis zeichnet herausragende Abschlussarbeiten im Bereich Architektur und Städtebau aus. Zahlreiche Erkenntnisse aus Koolmanns Studenten-Arbeit fließen sogar in die konkreten Umbau-Pläne für die Waldorfschule ein. Da die Europäische Union und das Land Sachsen das Projekt fördern, wird der Planungsauftrag im Frühjahr 2017 zunächst europaweit ausgeschrieben. „Auf Wunsch der Mitgliedergemeinschaft der Schule haben wir daran teilgenommen“, sagt Geiss. Im Juni bekommt sein Büro schließlich den Zuschlag. Geiss und Koolmann haben nun eine große Aufgabe vor sich: „So ein Projekt bekommt man wahrscheinlich nur einmal im Leben“, sagt Geiss und lächelt.  ■ FC


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Getanzte Literatur Fünf Fragen an den Schriftsteller Michael Kumpfmüller zu blicken, kamen sozusagen der Anfrage zugute. Meines Erachtens leben wir in einer komplizierten gesellschaftlichen Situation, in der sich die Frage stellt, wer eigentlich für die Produktion von Inhalten und Sinn verantwortlich ist. Da haben wir die Literatur, die Wissenschaft, Teile der Politik und natürlich alles, was im weitesten Sinne spirituell-religiös ist. Dazu rechne ich die Anthroposophie und ihre Arbeitsfelder. Kurz: Wir sitzen längst alle in einem Boot und sollten uns füreinander interessieren. Zudem hat es mich natürlich gereizt, einen Text zu schreiben, der tänzerisch beziehungsweise tänzerisch-eurythmisch von jungen Menschen bearbeitet und umgesetzt wird.

Herr Kumpfmüller, Sie haben ein Auftragswerk für das Fachgebiet Eurythmie verfasst, das von Studenten tänzerisch umgesetzt wurde. Wie kam es zu dem Kontakt? Der Kontakt ist über eine Literaturdozentin der Alanus Hochschule entstanden. Wir haben uns vor vielen Jahren bei einer Lesung eines meiner Bücher in Köln kennengelernt und waren uns gleich sympathisch. Als dann die Anfrage für das Auftragswerk für die Hochschule kam, habe ich sofort zugesagt. Das war einerseits Ausdruck meines Vertrauens in sie und andererseits das Gefühl, dass ich mich an einem Widerstand abarbeiten kann. Welche Form von Widerstand meinen Sie? Die Anfrage hat mich ehrlich gesagt erschrocken, da ich keine Ahnung hatte, wie ich damit umgehen soll. Gleichzeitig bewege ich mich als Schriftsteller in einem Literaturbetrieb, der auf die Dauer langweilen kann. Meine Neugier und mein Wunsch, über den Tellerrand

Hatten Sie von Seiten des Fachgebiets Eurythmie Vorgaben zu Inhalt und Länge des Textes? Nein, gar nicht. Es gab allerdings ein Vorgespräch mit den vier jungen Eurythmisten, die den Text tanzen sollten, und ihrem Dozenten Alexander Seeger. Ich wollte wissen, was die Studenten bewegt, was ihre Fragen sind und ob ihre Fragen in den Text aufgenommen werden können. Nach dem Gespräch hatte ich drei Dinge: Erstens hatte ich die Inhalte in Form von zwei Fragen, die sich ausschließen, bei genauerem Hinsehen aber nicht ausschließen: „Wer bin ich?“ und „Wie kann ich die Welt retten?“. Erstaunlicherweise sind das auch meine Fragen. Das Zweite, was ich hatte, waren Gesichter. Ich hatte den visuellen Abdruck einer menschlichen Begegnung. Und das Dritte war der Vorsatz, mich davon in keiner Weise beeinflussen zu lassen. Sie haben sich also zuerst mit den ­Tänzern getroffen und gesprochen, um dann davon losgelöst das Auftragswerk zu schreiben? Ich schreibe immer mit dem Bewusstsein, dass es einen Leser oder in diesem Fall einen Tänzer gibt. Das weiß ich, aber

ich vermeide es, ihn allzu genau zu kennen. Nach dem Gespräch bin ich natürlich mit dem Thema Tanz nach Hause gefahren. Denn wenn man weiß, dass ein Text getanzt werden soll, denkt man über das Tanzen nach. Zusätzlich stand ich unter dem Einfluss der Begegnung mit einer Frau, dich mich eingeladen hat, in ihrer Todesstunde an ihr Sterbebett zu kommen. Daraufhin fiel mir der Totentanz ein, woraus schließlich der Text wurde. Ihr Text handelt also vom Sterben? Ja, aber auch vom Leben, denn der junge Mann in meinem Text, der von der alten Frau Lila eingeladen wird, an ihrem Sterbebett zu erscheinen, findet durch die Begegnung und Erfahrung wieder zum Leben zurück. Mit diesem Thema habe ich den Tänzern auch einen Widerstand gegeben, an dem sie sich abarbeiten konnten und mussten. Das habe ich ihnen einfach zugetraut, und wie sich herausstellte, ganz zu Recht.  ■ MM

Michael Kumpfmüller Michael Kumpfmüller wurde 1961 in München geboren. Sein im Jahr 2000 erschienenes Erstlingswerk Hampels Fluchten machte ihn einer breiten Öffentlichkeit bekannt. 2003 erschien sein zweiter Roman Durst und 2008 Nachricht an alle, für den er schon vor dem Erscheinen mit dem Döblin-Preis ausgezeichnet wurde. 2011 wurde der Roman Die Herrlichkeit des Lebens zum Bestseller. Sein aktueller Roman Die Erziehung des Mannes stand im Herbst 2016 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Den Auftragstext Lila verfasste Kumpfmüller für das erste Poesie-Symposium des Fachgebiets Eurythmie an der Alanus Hochschule; er wurde am 9. Juni 2017 uraufgeführt.


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M   it Kunst Unternehmen verändern

Ruediger John arbeitet seit Mitte der 90er-Jahre forschend und praktisch zu kritischer Ästhetik, künstlerischer Forschung und systemischer Kunst in zahlreichen Projekten, Ausstellungen und Publikationen. Seit 2008 lehrt er als freier Dozent im Fachbereich Wirtschaft. Er ist bekannt für seine gesellschaftsorientierten, inter­ ventionistischen Arbeiten und seinen transdisziplinären Forschungsansatz. Wir möchten mehr darüber erfahren. Was genau bedeutet gesellschafts­ orientierte Kunst für Sie? Dass sie nicht im traditionellen Sinne ­gedacht wird, also die Kunst als eine Insel – separiert vom Rest der Gesellschaft, sondern dass Systeme aufeinander wirken. Und wenn man sich bewusst entscheidet, an Schnittstellen von Sys-

BWL-Student im Kunst-Modul: Künstlerische und kulturwissenschaftliche Inhalte sollen die Wahrnehmung schärfen.

temen in der Gesellschaft tätig zu sein, dann ergeben sich neue künstlerische Fragestellungen und Vorgehensweisen.

einer kritischen Ästhetik die Selbstreflexion und soziale Dynamik: Was und wer wirkt auf welche Weise? Im Gegensatz beispielsweise zum Künstler, der sein Bild allein im Atelier malt und es gar nicht präsentiert oder in einer Galerie zum Verkauf anbietet, und auch nicht daran interessiert ist, was der Betrachter darüber denkt.

Und interventionistische Kunst? Sie beabsichtigt eine direkte und eine indirekte Wirkung, eine mittelbare und eine unmittelbare und berücksichtigt in

Können Sie ein Beispiel für eine solche Wirkung nennen? Sie soll dazu führen, aus tradierten Verhaltensmustern auszubrechen und Wag-


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nisse einzugehen. Das kann mit kleinen Disruptionen beginnen, wie ich zum Beispiel mit einer Konzernleitung vereinbart hatte, dass sie ihre Sakkos auf links gedreht tragen. So habe ich in deren typische, uniformierte Fassade eingegriffen. Für manche stellt schon solch eine kleiner Ausbruch eine große Herausforderung dar. Meist begleiten meine Arbeiten Prozesse über längere Zeiträume, beziehen unterschiedliche Gruppen in Unternehmen ein und betreffen dabei sowohl Individuen als auch die Organisation. Welche Rolle nimmt in diesem Moment der Künstler ein? Ich beginne oft zunächst einmal als kritischer Beobachter und interpretiere einen ursprünglichen Auftrag in meiner künstlerischen Freiheit, um Grenzen zu übertreten oder zu verschieben. Welche Themen ich im Unternehmen anspreche wird durch die Situationen und meine Haltung als Künstler beeinflusst. Und dann ist es natürlich meine Aufgabe, zu initiieren, zu lenken, zu präzisieren, zu begleiten, die richtigen Fragen zu stellen und Erleben und Reflexion anzustoßen. Was bedeutet es für ein Unternehmen, wenn es sich auf künstlerische Prozesse eingelassen hat? Die Arbeit in und mit einem Unternehmen ist eine situative, die sich also auf den Ort, auf die Organisation und die soziale Situation bezieht. Sie ist vielfältig und die künstlerische Intervention verfolgt nicht nur ein Ziel oder Ergebnis. Es werden Prozesse angestoßen, über die es auch nur bedingt eine Kontrolle gibt – und das ist auch das Wertvolle daran. Es geht ja nicht darum, einem Unternehmen etwas aufzuoktroyieren. Ich führe auch Gespräche mit meinen Auftraggebern, aber im Gegensatz zum Unternehmensberater, der einen Auftrag zu erfüllen hat, fühle ich mich als Künstler frei. Kunst ermöglicht es, ein anderes Wertesystem bestehenden beizustellen und zu verfolgen. Und sie muss es sogar, um relevant zu sein. Ist es möglich, dass das Unternehmen plötzlich mit ganz neuen Problemen konfrontiert wird? Genau. Es ist nicht Aufgabe der Kunst, Lösungen anzubieten oder Ablenkung

zu schaffen. Vielmehr geht es um Wahrnehmung und Erleben. Man erkennt und empfindet Gegebenheiten, die man vorher nicht so wahrgenommen hat. Und das heißt nicht, dass man gleich eine Lösung mitgeliefert bekommt. Erst danach stellt sich die Frage, wie die Organisation und das Individuum damit umgehen. Warum werden solche Projekte mit Studenten durchgeführt? Es ist gut, wenn während eines Bildungsprozesses früh der Horizont erweitert wird, und es ist wichtig zu erkennen, dass es unterschiedliche und gleichzeitig gültige Sichtweisen auf Situationen gibt. Zum Beispiel im Unternehmen neben dem Controlling und Marketing auch einen Blick auf die gesellschaftliche Relevanz zu haben. Die Multiperspektivität auf eine Organisation und das eigene Handeln möglichst früh zu verstehen und im eigenen Tun zu implementieren und zu reflektieren ist ein großer Vorteil für künftige Entrepreneure, Entscheider und Unternehmensgestalter. Wie reagieren die Studierenden? Sehr unterschiedlich. Manche Studierende sind enttäuscht, weil ihr Kunstverständnis noch sehr im allgemeingesellschaftlichen Verständnis verhaftet ist, und wundern sich, was es mit Kunst zu tun hat, wenn man sich auf einer abstrakteren oder prozessualen Ebene mit solchen Fragestellungen beschäftigt. An dieser Stelle werden die Studierenden sehr gefordert, merken dann aber auch, wie sich ihr Kunstverständnis entsprechend erweitert. Solche Studierenden, die vielleicht gar keine Erwartungen hatten, stellen fest, dass sich ihre Reflexionsfähigkeit in der ästhetischen Arbeit manifestiert. Damit bewegen sie sich künftig auch erfahrener in den Spannungsfeldern zwischen Wert und Werten, Wissen und Verstehen, Theorie und Praxis. Können die Studenten die Wirksamkeit solcher Projekte erkennen? Der Vorteil ist, dass viele BWL-Studierende parallel zum Studium in Unternehmen tätig sind und damit gleichzeitig der Praxis und der Theorie ausgesetzt sind. Sie erleben Situationen im Unternehmen und kommen mit Fragen wieder an die

Hochschule zurück. An diesen arbeiten sie dann gemeinsam mit Lehrenden und Kommilitonen. Das Positive an den Alanus-Studierenden ist, dass sie kritische Fragen stellen, sehr klar mit der Intention, Neues zu erfahren und dies mit ihrer Praxiserfahrung zu verbinden. Das erzeugt ein Mehr an Relevanz des Gelernten und damit Kompetenz. So kann man gemeinsam Wirtschaft neu denken. Kann der künstlerische Prozess einen Beitrag zur Forschung leisten? Ich arbeite häufiger als Partner in Forschungsprozessen, da gibt es einige Themen, zum Beispiel: Mit welcher Sichtweise schaue ich auf eine bestimmte Fragestellung? Wie formuliere ich eine Fragestellung und wie viel Variabilität lasse ich zu? Gehe ich deduktiv oder induktiv vor? Hier kann die Fähigkeit der ästhetischen Herangehensweise bei Prozessen eine große Rolle spielen. Warum sollte sich ein Unternehmen künstlerischen Interventionen stellen? Erstens: Wer kein Risiko eingeht, geht das größte Risiko ein. Weil es als Entrepreneur nicht nur darum geht, Prozesse zu optimieren und Produkte zu vermarkten, sondern um ein visionäres Momentum des Unternehmens als zoon politikon. Der zweite wichtige Punkt ist, dass man einen frischen Blick auf bestimmte Dinge wirft und damit eine Multiperspektivität schafft. Und der dritte Punkt ist, dass eine kritische Relativierung von Handlungen ermöglicht wird. Mit „kritisch“ meine ich nicht das Kritisieren im Sinne des Negativen, sondern in der Bedeutung des Unterscheidens, eine erweiterte Reflexionsgröße zu entdecken. Gibt es in Ihrer Arbeit Überraschungsmomente? Wenn ich selbst in einem Prozess überrascht werde, dann weiß ich, dass ich die Kontrolle über den Verlauf und die Ergebnisse abgegeben habe. Das ist ein wichtiges Qualitätskriterium für mich und meine Chance für Erkenntnisse. Die gibt es sehr häufig und sie sind Teil der immateriellen Belohnung dessen, was ich tue.  ■ JWD


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Lernen und Arbeiten: Die Bildungsidee der Waldorfschule

Das deutsche Bildungssystem krankt laut Martin Baethge an einem „Bildungsschisma“, der dichotomischen Aufspaltung in Allgemeinbildung und Berufsbildung. Dies ist nach Julian Nida-Rümelin der tiefere Grund für den „Akademisierungswahn“ mit der Gefahr einer „neuen Bildungskatastrophe“. Welchen Beitrag für eine ganzheitliche Berufsbildung kann hier die Waldorfschule leisten?

Machen wir uns zunächst klar: Der „Kairos“ der Waldorfschule ist der 23. April 1919 in der Waldorf A ­ storia Zigarettenfabrik in Stuttgart. Und die Waldorfschule war von Anfang an Teil einer gesellschaftlichen Vision im Spannungsfeld von individueller Freiheit als einer Aufgabe des Bildungswesens („Geistesleben“) und sozialer Verantwortung als Arbeit im „Wirtschaftsleben“. Die Waldorfschule sollte dazu die innere Selbstbefähigung zum Lernen gleichwertig mit der zur Arbeit veranlagen. Deshalb wurde von der ersten Klasse an arbeitspraktisches Lernen einbezogen und mit kognitivem und künstlerischem Lernen zu einem dreifachen und zugleich ganzheitlichen Bildungsgang integriert, ja zu einer pädagogischen Kultur der Arbeit aufgewertet und bis in den täglichen Morgenspruch gestaltet. „Lernend arbeiten, arbeitend lernen“1 – das war der Leitgedanke bei der Gründung der ers-

ten Waldorfschule. Mit diesem alt-neuen Bildungsimpuls sollte die Waldorfschule die volkspädagogischen Grundlagen einer künftigen Zivilgesellschaft „bilden“. In ihr sollte das Verhältnis von Arbeit, Bildung und Einkommen in einer politischen Kultur der Freiheit neu geordnet werden. Dies war nicht nur die kulturelle Leitidee der neuen Zivilgesellschaft, sondern zugleich auch der Kern jenes mitteleuropäischen Friedensimpulses, den Rudolf Steiner als direkten Gegenentwurf zu Wilsons 14-Punkte-Programm und zum späteren unheilvollen Friedensdiktat von Versailles entwickelt hatte.

Von der „Höheren Lehranstalt“ zur berufsbildenden Waldorfschule Den ursprünglichen dreifachen Bildungsgang durch kognitives, kreatives und arbeitspraktisch-berufliches Lernen konnte die Waldorfschule nur in ihrer

Unterstufe, den Klassen eins bis acht, verwirklichen, aber in ihrer Oberstufe nicht weiterführen, obwohl dies von Rudolf Steiner ausdrücklich gewollt war. Die Waldorfschule wurde zum „historischen Kompromiss“, zur „Höheren Lehranstalt“, und ist in der großen Mehrheit heute in ihrer Oberstufe gymnasial geprägt, eine auch schulrechtlich genehmigte Alternative zum Gymnasium. Es gab aber immer wieder Versuche, an diesen volkspädagogischen Ursprungsimpuls anzuknüpfen, sowohl in der Berufsbildung wie auch in der Waldorfschule selbst. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Hiberniaschule im Ruhrgebiet. Die Hiberniaschule hat, ausgehend von einer Lehrwerkstatt, auf waldorfpäda­gogischer Grundlage einen doppelqualifizierenden Bildungsgang entwickelt, der Berufs- und Studienqualifikation integriert. Durch einen wissen-


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schaftlich begleiteten Modellversuch der Kultusministerkonferenz wurde dieses „doppelqualifizierende“ Bildungsmodell in den 1980er-Jahren evaluiert, kritisch weiter entwickelt und in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs gebracht. Auch die Freie Waldorfschule Kassel und andere Bildungsstätten gehören mit ihren spezifischen Ansätzen zu den Pionieren des waldorfpädagogisch orientierten beruflichen Bildungsweges. In jüngster Zeit haben die Waldorf-Berufskollegs sowie die Emil Molt Akademie in Berlin eigenständige und zeitgemäße Ansätze für den waldorfpädagogisch orientierten beruflichen Bildungsweg entwickelt. Sie sind staatlich anerkannte Ersatzschulen und führen zu einer anrechenbaren beruflichen Grundbildung in Verbindung mit der Fachhochschulreife. In der Kooperation mit ausbildungsberechtigten Betrieben ist hier ein besonders anschlussfähiges Konzept in der Verbindung von Waldorfpädagogik und Berufsbildung entstanden und mittlerweile auch wissenschaftlich dokumentiert2.

Der Modellversuch: Berufsbildende Waldorfschule Die Alanus Hochschule hat die Notwendigkeit dieser Entwicklungen erkannt und eine Forschungsstelle für Waldorf-Arbeitspädagogik und -Berufsbildung eingerichtet sowie ein Kompetenzzentrum für Waldorf-Berufskollegs. Auf der Grundlage des genannten Modellversuches an der Hiberniaschule sowie der vorhandenen Erfahrungen und mit wissenschaftlicher Begleitung wurde der Modellversuch „Berufsbildende Waldorfschule“ eingerichtet. Er ist eine Alternative zum gymnasialen Lernweg – auch in den Waldorfschulen selbst. In diesem Modellversuch soll das Zusammenwirken von kognitivem, kreativem und arbeitspraktischem Lernen zur Allgemeinen Hochschulreife und gleichzeitig zum Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf führen. Gerade die rasant zunehmenden Herausforderungen durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Berufswelt erfordern kreative Kompetenz und damit eine neue Qualität ganzheitlicher Berufsbildung. Damit knüpft der Modellversuch sowohl an den volkspädagogischen Ursprungsimpuls der Waldorfschule an, sowie auch an die Konzepte einer allgemeinen Menschenbildung durch Arbeit und Beruf (Kerschensteiner u. a.). Und nicht zuletzt versteht sich der Modellversuch als ein Beitrag zur Zielorientierung unseres Schul- und Bildungswesens.  ■

Von: Peter Schneider Emeritierter Professor für Erziehungswissenschaft und Berufsbildung

Öffentlicher Bildungskongress „Lernend arbeiten – arbeitend lernen“. Die Bildungsidee der Waldorfschule. 18. bis 20. Januar 2018: Eine Veranstaltung der Alanus Hochschule/Forschungsstelle für Waldorf-Arbeitspädagogik und -Berufsbildung, Kompetenzzentrum Waldorf-Berufskollegs (gefördert von der Software AG – Stiftung), des Bundes der Freien Waldorfschulen und der Hibernia Schule Herne. Weitere Informationen unter www.alanus.edu/veranstaltungen

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udolf Steiner, Stuttgart, 2. August 1919 R Schneider, Peter/Enderle, Inga (Hrsg.): Das Waldorf-Berufskolleg. Entwicklung und Ergebnisse einer neuen Oberstufengestaltung der Waldorfschule. Frankfurt a. M. 2012.


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Blick in Richtung Zukunft Zehnjähriges Jubiläum des Fachbereichs Künstlerische Therapien und Therapiewissenschaft Die Künstlerischen Therapien sind mit ihrer rund 100-jährigen Geschichte eine vergleichsweise junge Therapieform. Etabliert haben sie sich in pädagogischen, klinischen und sozialen Praxisfeldern und kommen in Schulen, Kliniken, in der Kinder- und Jugendheilkunde und in der Flüchtlingshilfe zum Tragen. 2017 feiert der Fachbereich Künstlerische Therapien und Therapiewissenschaft sein zehnjähriges Bestehen – viel wurde erreicht und die Ziele für die Zukunft sind ehrgeizig: Mit dem Auf- und Ausbau des Forschungsinstituts für Künstlerische Therapien/Research Institute for Creative Arts Therapies (RIArT) sollen die Berufsfelder weiter etabliert und die offizielle Anerkennung der künstlerischen Therapieformen ausgebaut werden.

Lehre und Forschung verbinden „Vor zehn Jahren wurden im Fachbereich die beiden Masterstudiengänge Kunsttherapie und Eurythmietherapie eingeführt. Bereits zuvor gab es innerhalb der Bildenden Künste einen kunsttherapeutischen Schwerpunkt“, erinnert sich Harald Gruber, Professor für Kunsttherapie und Leiter des Fachbereichs. „Unser Jubiläum nehmen wir zum Anlass, inne zu halten und im Gespräch der Frage nachzugehen, wie unsere Ausbildung auf die berufliche Praxis vorbereitet und mit welchen Herausforderungen sich die

Künstlerischen Therapien heute im Gesundheitswesen konfrontiert sehen.“ Bei einem aktuellen Jahresvolumen von rund 352 Milliarden Euro an Gesundheitsausgaben in Deutschland gehe es immer stärker darum, die Evidenz der einzelnen Therapiemethoden wissenschaftlich zu überprüfen und somit den Mehrwert aller Therapieformen fundiert zu belegen. „In diesem Prozess befinden wir uns auch mit den Künstlerischen Therapien.“ Mit seinen Studienangeboten spricht der Fachbereich Berufstätige, die bereits in künstlerischen, sozialen oder in gesundheitsbezogenen Berufsfeldern arbeiten an sowie Personen, die eine geeignete Grundqualifikation absolviert haben. Nadja Fernandes, die 2016 ihren Abschluss machte und seither auch als Kunsttherapeutin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig ist, berichtet: „Das Studium an der Hochschule war nicht nur fundiert, sondern durch seinen hohen Praxisanteil besonders zeitintensiv. Geprägt haben mich die Studienjahre auch dahingehend, dass ich meine Persönlichkeit als Therapeutin ausbilden konnte.“

„Sinnliche Erfahrung als ­Erkenntnis“ Neben der Forschung zeigt der Fachbereich auch, was Künstlerische Therapien

heute leisten. Harald Gruber zeichnet ein simples und doch einleuchtendes Bild: „Wenn Kinder Laufen lernen, ziehen sie sich an Gegenständen hoch, versuchen zu stehen, wagen einen Schritt und fallen wieder um. Sie lernen das Laufen, indem sie mit dem Laufen Erfahrungen machen. Kein Kind lernt das Laufen, indem es darüber nachdenkt, wie es Laufen lernt.“ Das Prinzip der Erfahrung als Erkenntnis wohnt der Kunst und den Künstlerischen Therapien explizit inne. Elvira Schmitz arbeitete bereits viele Jahre als Künstlerin und Referentin in der Erwachsenenbildung für bildende Kunst und Kunsttherapie, bevor sie ihr Masterstudium aufnahm. Sie betont, wie wichtig die Selbsterfahrung sei, um in ihrem Beruf fundiert tätig werden zu können. „Das Studium hat mir zudem die Möglichkeit geboten, die Ausdrucksvielfalt verschiedener Materialien und deren therapeutische Einsatzmöglichkeiten kennenzulernen und vermittelte die dafür notwendigen theoretisch-wissenschaftlichen Grundlagen.“ Mit den Weiterbildungen zur Gesprächsführung und künstlerisch-therapeutische Beziehungsgestaltung und der Kunsttherapie im klinischen-ambulanten Bereich beschreitet der Fachbereich neue Wege und wappnet sich für die Zukunft.  ■ MM


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Inklusive Bildung gewinnt an Einfluss Inklusion – ein Begriff setzt sich durch Von den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts an verstärkte sich die Diskussion um die gemeinsame Bildung für Kinder und Jugendliche mit und ohne besonderen Förderbedarf. Zu dieser Bildungsgruppe zählen traditionell Kinder mit körperlichen, seelischen und/oder geistigen Behinderungen. Sie sollten, nach der Erklärung des deutschen Bildungsrates (1973), in die Schul- und Unterrichtsangebote der allgemeinen Schule (Regelschule) integriert werden. Dieser Eingliederungsprozess hatte in den letzten 45 Jahren folgende Phasen: 1.  Aufhebung der Exklusion (Ausschluss) von Bildungsmaßnahmen, wie ihn das nationalsozialistische Deutschland von 1933 bis 1945 durchgesetzt hatte. 2.  Die Bildungsmaßnahmen fanden zuerst in Separation statt, d. h. die Kinder mit Behinderung wurden in separierte Schultypen (Sonderschulen) eingeschult. 3.  Parallel dazu begann man auch, Kinder mit Behinderungen in die allgemeinen Schulen und den Kindergarten zu integrieren. Die Integration sah so aus, dass entweder Kinder in Einzelintegration oder in kleinen Gruppen (Kleingruppenintegration) von fünf Kindern zu zehn nicht behinderten Kindern im Sinne einer Zwei-Gruppen-Theorie nach Hinz (2004) beschult wurden. 4. Die Inklusion, wie wir sie heute verstehen, hat ihren gedanklichen Ursprung im Empowerment-Programm von Menschen mit Behinderungen in den USA (Theunissen 2006). Der begriffliche Ursprung der pädagogischen Inklusi­ on im Bildungswesen geht auf die sogenannte Salamanca-Erklärung zurück. Sie stellte die Schlussdokumentation der UNESCO-Weltkonferenz zur „Pädagogik für besondere Bedürfnisse“ dar, die 1994 in Salamanca stattfand. Dieser Inklusionsbegriff fand dann auch Ein-

gang in die bekanntere UN-Behindertenrechtskonvention von 2006, die im Jahre 2009 auch vom Deutschen Bundestag ratifiziert worden ist. Zur begrifflichen Wandlung von der Exklusion über Separation zur Integration und jetzt zur Inklusion kann man so viel vielleicht festhalten: In diesem Wandlungsprozess musste sich das allgemeine Bildungsangebot für alle Menschen öffnen und darf heute keinen mehr ausschließen (Exklusion). Wenn Bildung Menschenrecht ist, muss Gesellschaft diesen Bildungsgang ermöglichen. Die Organisationsform darf aber der betroffene Mensch selbst wählen, d. h. ob er sich in einer Separations-, Integrationsoder Inklusionsform bilden möchte. Es scheint aber gegenwärtig so zu sein, dass im gesellschaftlichen und pädagogischen Diskurs der Begriff der Inklusion einen höheren sozialethischen Wert besitzt. Die positive Bewertung kommt wohl daher, dass die Gesellschaft der Meinung ist, dass ein gemeinsames Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern nicht nur für die behinderten Kinder eine zusätzliche soziale Lernhil-

fe darstellen würde, sondern dass auch die nicht behinderten Kinder durch das gemeinsame Lernen einen sozialen Gewinn hätten, weil sie im späteren Leben mit solchen Menschen mit Behinderungen ganz anders umgehen würden, als wenn sie diese soziale Erfahrung in ihrer frühen Entwicklungszeit nicht gemacht hätten (Speck 2011). Das Menschenbild der Inklusion lässt sich durch die Grundaussage des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (im Amt von 1984 bis 1994) in seiner Bundestagsrede vom 1. Juli 1993 zusammenfassen, in der er feststellte: „Es ist normal, verschieden zu sein. Es gibt keine Normen für das Menschsein. (…) Dass Behinderung nur als Verschiedenheit aufgefasst wird, das ist ein Ziel, um das es uns gehen muss.“ (zit. in Klein 2015, S. 50).  ■

Von: Maximilian Buchka Professor für Sonder- und Kindheits­ pädagogik


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K   unst flieĂ&#x;t immer in alles ein Das Werkhaus-Team und die Kunst


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Unter dem Dach des Werkhauses vereinen sich Frauen und Männer, die teilweise schon seit ihrem frühen Lebensalter kunst­interessiert und künstlerisch-kreativ tätig sind – sei es im Malen und Zeichnen, in der Fotografie, im Film, in der Musik, in der Eurythmie, im Handwerklich-Gestalterischen oder im Schreiben. Einige wuchsen in einem künstlerischen Umfeld auf, manche wollten Kunst studieren, schlugen dann aber beruflich andere Wege ein – und andere sind in der Tat ausgebildete, professionelle Künstler.

den Arbeitsinhalten und kann kreativ mit den komplexen Tätigkeiten und Strukturen umgehen. Kunstaffine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben im Werkhaus einen guten Ort gefunden. Nicht nur, dass sie Kunst und Künstler auf dem Johannishof in Kursen, Ausstellungen, Aufführungen, bei Proben und im Schaffensprozess tagtäglich erleben, sie dürfen sich auch selbst immer wieder künstlerisch ausprobieren und die Ressourcen des

Das Team des Alanus Weiterbildungszentrums ist ein bunter Haufen. Bei der Vielfalt aller Lebensläufe und Bildungswege fällt jedoch eines auf: Die Affinität zur Kunst ist bei fast allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgesprochen ausgeprägt.

Das enge Verhältnis der „Werkhäusler“ zur Kunst spiegelt sich auch in der Beteiligung an der letzten Alanus Mitarbeiterausstellung wider: Fast die Hälfte der zwanzig Ausstellerinnen und Aussteller sind Werkhaus-Mitarbeiterinnen – gemessen an den Mitarbeiterzahlen von Hochschule und Werkhaus eine erstaunliche Quote.

Kunstaffines Werkhaus-Team Wie kommt es, dass ein solch kunstaffines Team im Werkhaus arbeitet? Handelt es sich um einen Zufall oder hat es sozusagen Methode? Fühlen sich die Teammitglieder angezogen von der Nähe zur Kunst und der Kunsthochschule auf dem Campus Johannishof? Oder passten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren künstlerischen Neigungen einfach besonders gut zum Werkhaus – wo zum einen in den angebotenen Kursen und Seminaren sehr oft künstlerische Prozesse als Methode eingesetzt werden und zum anderen Kunstkurse einen ausgeprägten Schwerpunkt bilden. Beides mag zutreffen: Ein der Kunst nahestehendes Team fühlt sich im speziellen Werkhaus-Ambiente womöglich „Zu Hause“, es identifiziert sich leicht mit

künstlerischen Tuns ausloten. Sei es in frei gewählten Kursen und Workshops des hauseigenen Weiterbildungsangebotes oder bei einer Kunstwoche, wo dem Werkhaus-Team die Ateliers zur Verfügung stehen, sie künstlerisch tätig sind und experimentieren können.

Teambildungsprozesse mit künstlerischen Mitteln anstoßen Auch bei den gemeinsamen Teamtagen machen die „Werkhäusler“ künstlerische Übungen aus Malerei, Schauspiel und Bildhauerei, um Reflexion zu ermöglichen und manchen Teambildungsprozess in Gang zu bringen. In einer dieser gemeinsamen Übungen beispielsweise setzte jedes Teammitglied einen selbst gewählten gestalterischen Impuls auf ein weißes Papier und reichte das Papier in einem nächsten Schritt an den Nebenmann oder die Nebenfrau weiter. Diese fügten ihrerseits einen weiteren Impuls hinzu und gaben das Papier weiter, bis eine Kollegin oder ein Kollege befand, das Bild sei fertig. So erlebten die Teammitglieder auf der Ebene der Kunst, wie Arbeitsprozesse ablaufen, welche Rolle sie als Einzelperson ebenso

Das Werkhaus-Team bei einer Kunstübung. Auf der linken Seite Ergebnisse des gemeinsamen künstlerischen Schaffens.

wie als Team darin spielen, welche Fähigkeiten Teamarbeit erfordert und wie der Blick auf das gemeinsam erzielte Ergebnis die Arbeitsprozesse in einem anderen Licht erscheinen lässt. Der Spaß am gemeinsamen Tun war groß und der Blick auf die enorme Produktivität – hunderte von spannenden Bildern sind entstanden – ist verblüffend.

Kunst fließt immer in alles ein Verblüffend ist auch die gestalterische Vielfalt der Skizzenhefte der Kollegenschaft. Die Hefte kommen zu Beginn jeder Teamsitzung zum Einsatz, wenn sich das Team mithilfe einer siebenminütigen Kunstübung gedanklich fokussiert, um konzentriert in die Besprechung zu gehen. „Im Werkhaus“, so fasst eine Kollegin zusammen, „fließt Kunst immer in alles ein.“  ■ KS


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„Nicht einfach ein Kurs!“ Workshops für Künstler am Alanus Werkhaus Bereits seit 15 Jahren bietet das Alanus Werkhaus Workshops zur Spezialisierung und Professionalisierung für Künstler mit akademischer ebenso wie mit nicht akademischer Ausbildung an. Individuell begleitet erhalten Kunstschaffende in den Workshops inhaltliche und formale Impulse für ihre künstlerische Arbeit.

„Mich interessieren die Menschen, die in meine Kurse kommen, und das, was sie tun.“ Johanna Kintner, Dozentin am Alanus Werkhaus

Im Steinworkshop auf Åsgard in Norwegen und im Workshop zur praktischen Materialkunde für Bildhauer und Maler werden eher handwerkliche Aspekte vertieft, während in den Workshops zur Studiofotografie, zur grafischen Konzeption von Selbstdarstellungsmedien und zum Schreiben und Sprechen über die eigene Kunst vorrangig die authentische Präsentation der eigenen Kunst und die angemessene Kommunikation im Mittelpunkt stehen.


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KUNST

BERUF

360°

FERIEN

Zero Painting – Intuitives Malen ❙  Point 08.12.17–10.12.17 (BuT ) – Aufbau-Fortbildung ❙  Theaterpädagogik für Theaterschaffende und darstellende Künstler ®

Künstlerische Position schärfen „Die Workshops dienen dazu“, so Werkhaus-Bildungsreferent Martin Mohr, „die künstlerische Forschung zu intensivieren, die künstlerische Position zu schärfen und sich mit Kollegen auszutauschen und zu vernetzen.“ Die selbst als Künstler tätigen Dozenten bauen die Workshops inhaltlich auf die vorhandenen fachspezifischen Kenntnisse und Erfahrungen der Teilnehmenden auf. Besonders ist, dass der Erfahrungsaustausch der Künstler untereinander und mit den Dozenten auf gleicher Augenhöhe stattfindet und künstlerische Fragestellungen – anders als in Einsteigerkursen – intensiver, reflektierter und weiterführender behandelt werden.

Impulsgebend und unterstützend Die Dozentin und Bildhauerin Johanna Kintner unterstreicht das: „Egal wie fern die Themen und Techniken der Teilnehmenden denen meiner eigenen künstlerischen Arbeit sind – was sie mit mir als Künstlerin und meinen Werken gemeinsam haben, ist das künstlerische Arbeiten an sich; der Prozess, ein inneres Anliegen sichtbar werden zu lassen.“ Mit viel Erfahrung im Umgang mit Kunstschaffenden und großem Interesse

an Kunst und Künstlern gelingt es ihr, Menschen in der Auseinandersetzung mit ihrem künstlerischen Schaffen und Werk so zu begleiten, dass die jeweilige Intention deutlicher wird und die künstlerische Arbeit weiterentwickelt werden kann. Die teilnehmenden Künstler erleben die Workshops als einen Raum, der impulsgebend und unterstützend wirkt. Eine Teilnehmerin resümiert zufrieden: „Das ist nicht einfach nur ein Kurs, das ist ein Künstlercoaching.“  ■ KS

Workshops für Künstler Die Dinge ins rechte Licht rücken – Studiofotografie „Stilllife/Produkt“ 03.02.–04.02.2018 Menschen fotografieren – Studiofotografie „Mensch/Portrait“ 07.04.–08.04.2018 Steinworkshop auf Åsgard 02.08.–13.08.2018 Schreiben und Sprechen über die eigene Kunst 21.09.–23.09.2018

16.02.2018–01.12.2020 to go – Offenes Malatelier am Mittwoch ❙  Kunst 11.04.2018–10.10.2018 Jahr für die Kunst – Malerei und Zeichnung ❙  Ein 27.04.2018–28.04.2019 – Künstlerische Disziplinen, ❙  Kunstkompass Prozesse und Potentiale kennenlernen 30.04.2018–13.07.2018

❙  Studienvorbereitung/Mappenkurs 29.10.2018–29.03.2019

EN BE S T E L L R E S N U SIE CH 2018 K UR S BU E! ONLIN

MIT KUNST NEUE PERSPEKTIVEN ERÖFFNEN Kulturelle und berufliche Weiterbildung exten fürs Web ❙  T08.02.2018–10.02.2018 ediation in der Schule ❙  M09.03.2018 eprüfter Aus- und Weiterbildungspädagoge ❙  G09.03.18–12.10.19

Präsentationsmedien selbst gestalten 02.11.–04.11.2018

eprüfter Berufspädagoge ❙  G09.03.18–25.04.20

Praktische Materialkunde für Bildhauer und Maler 09.11.–11.11.2018

timme und Berufsalltag – Der Ton macht die Person ❙  S06.04.2018–07.04.2018 will ich wissen, was ich will? – ❙  Woher Berufsorientierung für Jugendliche 21.06.2018–22.06.2018 in sozialen Einrichtungen und Schulen ❙  Teamleitung 17.09.2018–05.12.2018 – Das ist mein Leben ❙  Biografiearbeit 24.11.17–26.11.17 und Stille – Musikalischer Workshop ❙  Singen 02.12.17 bin ich? Berufliche Neuorientierung und ❙  WoStandortbestimmung 20.01.2018–17.03.2018 Text an einem Tag ❙  Ein 03.02.2018 – Ferienkurse für Kinder ❙  Osterwerkstatt und Erwachsene 26.03.2018–29.03.2018 Weitere Kurse und Informationen finden Sie auf unserer Website: www.alanus.edu/werkhaus

Johanna Kintner und Teilnehmerinnen im Kurs „Schreiben und Sprechen über die eigene Kunst“

WEITERBILDUNGSZENTRUM ALANUS WERKHAUS Johannishof — 53347 Alfter Tel. 0 22 22 . 93 21-17 13 www.facebook.com/AlanusWerkhaus


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Marek Nowak – ein Professor, der große Visionen umsetzt Es ist gar nicht so einfach, einen Interview-Termin mit Marek Nowak zu bekommen. Der 56-jährige Professor ist ein gefragter Mann und häufig für Deutschlands größtes Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) unterwegs. Von einem, der in Alfter lehrt, in Aachen entwirft und rund um den Globus Stadien baut.

Wenn es dunkel wird über Köln, ragen sie inmitten eines Waldgürtels besonders heraus: die vier markanten Stahltürme des RheinEnergieSTADION. Dann leuchten die 72 Meter hohen Pylonen, die das Dach tragen, weithin sichtbar. Besonders von oben hat man einen spektakulären Blick auf die Stadt und das Fußballstadion des 1. FC Köln. „Das ist jedes Mal eine schöne Begrüßung und ein tolles Gefühl, wenn man abends mit dem Flugzeug in Köln landet und ‚sein eigenes‘ Stadion sieht“, erzählt Marek Nowak, als wir uns im Juli auf der Terrasse des Johannishofs treffen. Auch an diesem heißen Tag ist der gebürtige Pole lässig-schick gekleidet. Das weiße Hemd ist am Kragen und an den Ärmeln aufgeknöpft und hängt über die schwarze Stoffhose, seine runde Sonnenbrille hat sich Nowak auf die Stirn geschoben.

Volkwin Marg von gmp architekten aber 2001 den Architekturwettbewerb für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Dieser erste Preis ist zugleich der Anstoß seiner erfolgreichen Karriere. Es folgen Projekte in aller Welt – von Stadien über Museen bis hin zu Bürokomplexen, einer Messehalle und einer Brücke über die Donau. Gerade erst wurde in seiner alten Heimat Polens modernstes LeichtathletikStadion samt Trainingsgelände in der Nähe von Kattowitz eröffnet. Als Projektleiter besucht er regelmäßig seine Baustellen, zieht sich Gummistiefel an, einen Schutzhelm auf – und läuft auch in schwindelerregender Höhe auf Stadiondächern herum. „Sein eigenes Baby möchte man unbedingt selbst hochziehen“, sagt Nowak, der an der RWTH ­Aachen studiert hat und seit 1994 im Aachener Büro von gmp arbeitet.

Anpfiff einer internationalen ­Karriere

Ein länger geplantes Gespräch im Mai sagt Nowak kurzfristig ab, er muss spontan und dringend nach Istanbul und dort seine Pläne für die Kölner Deutschland-Zentrale des Verbands der Islamischen Kulturzentren präsentieren. Ein paar Wochen später klappt es dann schließlich doch. Wir sind im Atelier-

„Das Stadion in Köln ist mein Lieblingsentwurf, obwohl es nicht unbedingt eine Schönheit im klassischen Sinne ist“, erzählt er. Mit dem strengen, funktionalen Entwurf gewinnen Nowak und sein Chef


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haus des Fachbereichs Architektur verabredet, wo er an diesem Juni-Vormittag mit Studenten Entwürfe bespricht. Es herrscht eine lockere, betriebsame Atmosphäre. Mit seiner Skizzenrolle läuft Nowak von Tisch zu Tisch. „Hier fehlt der Fluchtweg, dort ist die Treppe zu breit und das Fenster zu klein“: Präzise weist er auf Schwächen in den Plänen hin – und zeichnet in S ­ ekundenschnelle mit seinem blauen Filzstift eine Lösung. Ein gute Viertelstunde nimmt sich der Professor Zeit für jeden Entwurf. Die Studenten schätzen Nowaks Art. „Er ist freundlich und hilfsbereit und lässt überhaupt nicht raushängen, dass er in der ersten Liga spielt“, sagt eine Studentin.

Teilzeit-Professor mit Leidenschaft Seit 2006 lehrt Nowak „Konstruktives Entwerfen“ an der Alanus Hochschule. Als Teilzeit-Professor kommt er in der Regel für zwei Tage pro Woche nach Alfter. Er genießt die entspannte Atmosphäre an der Hochschule und die vielen Gestaltungsmöglichkeiten in der Lehre. Besonders wichtig ist ihm auch das freundschaftliche Verhältnis zu seinen Kollegen. „Das kenne ich auch anders“ – Nowak stößt ruckartig seine Ellbogen nach hinten – „da wurden schnell Hierarchien aufgebaut. Hier weiß jeder, was er kann und wo er steht. Das ist schön.“

Schaut man ihm bei seiner Arbeit als Hochschullehrer über die Schulter, dann spürt man schnell, wie gerne Marek Nowak auch mit den Studenten arbeitet. Er lächelt viel, ist hochkonzentriert, kritisiert konstruktiv. „Ich liebe meinen Beruf und unterrichte gerne. Ich kann den Studenten glaubhaft von meinen Erfahrungen in der Planung und Umsetzung berichten. Ich glaube, das wissen sie zu schätzen.“ Er selbst lerne von den Studenten einen „freien, unbefangenen Blick. Das regt zur Selbstreflexion an.“ Nach zwei Betreuungstagen an der Hochschule sei er aber immer total ausgepowert, sagt Nowak lachend. Im September war er mit Studenten auf Exkursion in Krakau und Kattowitz. „Wir sind eine Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Mir ist es wichtig, dass die Studenten auch immer die Gesellschaft, Politik und Kultur des jeweiligen Landes wahrnehmen und kennenlernen und nicht bloß stumme Begleiter sind.“ In Kattowitz hatte die Reisegruppe natürlich einen ganz besonderen Ortstermin: die Begehung des neuen Leichtathletik-Stadions von Marek Nowak.

Starke Konzepte als Erfolgsrezept Immer wieder haben ihm Jurys für seine Entwürfe den ersten Preis unter allen

Wettbewerbskonkurrenten zuerkannt. So stach er auch schon weltberühmte Kollegen wie Norman Foster, Richard Meier oder die 2016 verstorbene Star-Architektin Zaha Hadid aus. Was ist sein Erfolgsrezept? Nowak überlegt. „In der Architektur gewinnen Konzepte, nicht schön gezeichnete Bilder. Wenn das Konzept nicht gut ist, kannst du so gut malen wie du willst. Ein guter Entwurf hat eine Vision und eine klare Vorstellung, wie das Gebäude funktioniert.“ Entscheidend dafür sei auch eine intensive Vorbereitung. „Wenn ich mit einem Entwurf anfange, dann lebe ich gedanklich an diesem Ort. Ich denke mich in die Zeit hinein, besuche den Ort, recherchiere sehr viel, lese Bücher.“ Für exzellente Entwürfe muss sich Nowak aber erst mal in kreative Stimmung bringen. Er zieht sich dann gerne auf die Terrasse des gmp-Büros zurück und schaut über die Dächer der Altstadt auf den Aachener Dom und das Rathaus. Am liebsten trinkt er dazu schwarzen Tee und hört klassische Musik, nachmittags Jazz. „Das ist ein wunderbarer Hintergrund, um die Gedanken spielen zu lassen.“  ■ FC


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Viele unter einem Dach In Alfter gibt es einige studentische Wohngemeinschaften. Wir haben zwei besondere WGs zum Semesterstart besucht und mit den Bewohnern über das WG-Leben gesprochen.

Im Hausflur türmen sich Schuhberge, in der Garage stehen 18 Fahrräder: Es ist Mitte September, das Semester hat wieder begonnen. Für die WG in der Holzgasse 26 ist das in vielerlei Hinsicht ein Neuanfang. „Das ist hier noch eine halbe Baustelle, weil wir uns gerade frisch gegründet haben“, erzählt BWL-Studentin Isabella, als sie mich durch das Haus führt. In der Ecke liegen noch die Umzugskartons. Acht Bewohner, zwei Etagen, neun Zimmer, ein Partykeller, Garage und Garten: nicht gerade der typische Standard für Wohngemeinschaften. Den acht Alanus-Studenten steht jedoch noch eine Menge Arbeit bevor. „In der ersten Juliwoche hatten wir eine Powerwoche, in der wir das Haus renoviert haben.“ Dann trennten sich über den Sommer erst einmal ihre Wege. Seit drei Tagen ist die WG wieder vollzählig vor Ort.

In der Küche ist es bereits gemütlich: Der WG in der Holzgasse stehen noch einige Arbeiten im Haus bevor.

Küche und Wohnzimmer ­ selbst gebaut Isabella, Lorenz, Oskar, Leon und Lennard sitzen mit mir am Küchentisch. Die Regale sind mit Konserven, Obst, Marmeladengläsern und Brezeln gefüllt. Mitbewohnerin Pia kommt gerade zur Tür herein und verstaut ihre Einkäufe. „Die Küche ist erst seit zwei Tagen wohnlich“, sagt Architektur-Student Lorenz und zeigt auf die noch leeren Küchenschränke aus hellen Spanholzplatten. „Die Möbel haben wir selbst gebaut. Vorher standen hier nur ein paar Küchengeräte“, erzählt er weiter. Zwischen Vorlesungen und Seminaren müssen sie nun anpacken. Auf einem selbst gebauten Ecksofa aus Holzpaletten und weißen Polstern kann man im Wohnzimmer bereits sitzen, der Kamin gegenüber verspricht gesellige Winterabende. Klebestreifen auf dem Boden der leeren Wohnzimmerhälfte sind die Vorboten für weitere selbst gebaute Möbel: „Hier soll eine Art Co-Working-Space mit mehreren Schreibtischen entstehen“, sagt Studentin Isabella. Im Gemeinschaftsbereich möchten die motivierten Studenten Orte

Das prächtige Backsteinhaus wird von viel Grün umgeben.

schaffen, die sowohl allein als auch gemeinsam genutzt werden können: zum Studieren und für die Freizeit. „Gleichzeitig soll es für acht Leute funktional sein“, erklärt Lorenz, ganz der Architekt in diesem WG-Ensemble mit vorwiegend Wirtschaftsstudenten und einer angehenden Kindheitspädagogin.

„Die Alanus-Blase“ Was die Studenten von ihrem WG-Leben in Alfter erwarten? Vollständig im Alfterer Studentenleben anzukommen. „Hier können wir uns voll auf das konzentrieren, wofür wir hier sind: studieren und gemeinsam Projekte durchführen“, sagt BWL-Student Leon. Auch Isabella wünschte sich, mehr im Geschehen zu sein. „Ich hatte Lust, richtig in die ‚Alanus-Blase‘ einzutauchen. Der Austausch mit anderen Alanern hat mir gefehlt. Jeder versteht mich, wenn ich hier erzähle, wie toll das Beuys-Seminar heute war.“ Die WGs kennen sich untereinander, man ist stets up to date: Partys, Begegnungen und nicht zuletzt das Kulturangebot am Johannishof.


Der Gruppenprozess zählt Dass so ein Bachelorstudium mit sechs Semestern kurz ist, scheint niemanden zu stören. „Natürlich habe ich oft daran gedacht, dass meine Zeit hier sehr begrenzt ist“, sagt Oskar, der im dritten Semester studiert. Aber was zählt, sind der Spaß und die Motivation, hier etwas Dauerhaftes auf die Beine zu stellen, was andere später weiter nutzen und gestalten können. „Ich finde den Prozess interessant, und wie jeder aus der Gruppe sich einbringt.“

Mit Sauna und Wintergarten Die Wohngemeinschaft im Stühleshof 15, nur ein paar hundert Meter weiter, gibt es seit 2008. Wer hier einzieht, profitiert vom Tatendrang der früheren und jetzigen Bewohner: Beispielsweise von der Sauna am Ende des üppigen Obstund Kräutergartens, die einige WG-Mitglieder aus dem steinernen Gartenhaus gebaut haben. „Lukas hat die WG mitgegründet“, erinnert sich Bildhauerei-­

Frisch gegründet: Die Studenten möchten gemeinsam studieren und Projekte durchführen.

Absolventin Valerie, die seit 2009 im Stühleshof wohnt. Dreizehn Menschen leben insgesamt hier. Das jüngste Mitglied ist Baby Louis – noch nicht einmal ein Jahr alt: Mama Nele ist Eurythmie-Studentin und Papa Jonathan hat BWL studiert. Sie haben sich entschieden, nach der Geburt weiter in der WG zu leben: „Auch ich bin in einer WG großgeworden. Unsere Eltern wohnen in Hamburg und Freiburg. Dafür unterstützt uns die WG vor Ort“, erzählt Jonathan, während unseres Gesprächs im Esszimmer. Baby Louis sitzt auf seinem Schoß und quiekt und brabbelt. Sie bieten mir ein Glas Saft aus selbst angebauten Trauben an. Schmeckt ein bisschen

sauer, aber trotzdem gut. Auch im Stühleshof macht sich der Semesterbeginn bemerkbar. In der Küche werden die ersten Kochtöpfe und Pfannen ausgepackt, es riecht nach gebratenen Zwiebeln.

Ein Haus mit Stil Das dreistöckige Haus aus rotem Backstein beeindruckt bereits mit seiner Fassade, den gewölbten Fensterbögen, umgeben von hochgewachsenen, dichten Bäumen: ein außergewöhnliches Haus mit einer besonderen Wohngemeinschaft. „Vor zehn Jahren hat sich eine Gruppe aus Alanus-Studenten gefunden, die das Haus gemietet hat. Der Ver-


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Der Wintergarten mit seinen Fensterverzierungen führt in einen üppigen Garten.

mieter hat die Bedingung gestellt, diese wertvollen Räumlichkeiten auch für andere Menschen zu öffnen“, erzählt Architektur-Student Ruben. Das ist leicht nachzuvollziehen, wenn man den Blick im Haus schweifen lässt: hohe Wände, Stuck an der Decke und ein Wintergarten mit Rosenmustern an der Fensterfront.

Winterausstellung und ­ Mottopartys Ein Fixpunkt im WG-Kalender ist die Winterausstellung, die die WG-Bewohner jährlich veranstalten, und so das Haus für Freunde, Bekannte und Nachbarn ­öffnen. Das Konzept der Ausstellung ändert sich von Jahr zu Jahr, ist aber immer interdisziplinär – die Bewohner zeigen persönliche und gemeinschaftliche Werke und auch Performances. „Letztes Jahr war das Thema ‚Alles Gute kommt von unten‘. Wir haben praktisch den Keller in den Wohnbereich hochgeholt“, erzählt Jonathan. Der Keller sei völlig zugestellt gewesen, mit eigenen und vergessenen Gegenständen von früheren Mitbewohnern. „Hier fiel praktischer und ästhetischer Nutzen zusammen“, resümiert Valerie. Nach der Aufräumaktion war im Keller Platz für die Party nach der Vernissage. Oben wurden in Regalen Objekte und Readymades als Installation ausgestellt. „Am 18. und 19. November haben wir wieder eine Ausstellung mit dem Thema ‚Was im Leben wirklich zählt‘ geplant.“ Kreativ geht es auch bei den Mottopartys zu: 20er-, Western- und Zirkusparty – alles schon dabei gewesen. „Wenn wir etwas planen, wird es gleich sehr aufwendig: Bei der Zirkusparty wurde aus dem Wohnzimmer ein Zirkuszelt“, sagt Jonathan. Für das Styling bei der Westernparty hat Eurythmie-Studentin Nele, die auch gelernte Frisörin und Visagistin ist, den Bewohnern zu authentischen Outfits verholfen. Aus dem WG-Leben kann man sich als Bewohner auch mal zurückziehen. „Durch die Aufteilung der Räumlichkeiten mit den Zimmern in den oberen Etagen kann man sowohl die Gemeinschaft genießen als auch sein eigenes Ding machen“, erklärt Ruben. ■ MG Entspannung im Garten: Die selbst gebaute Sauna erfreut neue wie alteingesessene Mitbewohner.


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Ins Mekka der Kunstszene Von Alfter über New York zur Kunstprofessur? Michael Weiß hat sich hohe berufliche Ziele gesetzt. „Ich bin sehr, sehr, sehr ehrgeizig“, betont der Maler. Nach seinem Master of Fine Arts an der Alanus Hochschule hat er ein Stipendium an der New York Academy of Art erhalten. Dort möchte er vor allem traditionelle Maltechniken erlernen und „seine pure Lust am Malen“ ausleben. Michael Weiß ist gut gelaunt, als wir uns Mitte September via Skype unterhalten. Der 26-Jährige sitzt in seinem WG-Zimmer in Brooklyn, das er gerade eingerichtet hat, und berichtet von seinem tollen Start in der Millionen-Metropole. „Manchmal ist es noch etwas surreal, dass ich jetzt wirklich hier bin und ein ganzes Jahr in New York wohnen und malen werde. Mir geht es gerade gut, ich habe eine nette WG gefunden und wurde gut an der Academy aufgenommen.“ Michael Weiß ist ein ruhiger, r­ eflektierter Typ. Man nimmt es ihm ab, dass er sich in New York City tatsächlich auf sein Certificate of Fine Art konzentrieren will. Weiß spricht fließend Englisch, in seiner Kindheit hat er bereits an der amerikanischen Ostküste gelebt. „Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu New York. Die Stadt zehrt unglaublich viel an den Kräften, aber sie gibt einem auch an ­manchen Stellen viel Energie wieder.“

Zwei „Alaner“ in New York Mit der Subway braucht Weiß etwa 30 Minuten vom eher beschaulichen Bay Ridge, einem Viertel in Brooklyn, nach Downtown Manhattan. Von der Haltestelle Canal Street sind es dann nur ein paar Minuten Fußweg zur Akademie, die 1982 von der Pop-Art-Ikone Andy Warhol mitgegründet wurde. Von Montag bis Donnerstag ist Unterricht in der Franklin

Street 111: An diesen Tagen verbringt Weiß viele Stunden vor der Staffelei. In den Pausen trifft er dann häufig seinen Kumpel und Alanus-Kommilitonen Leonard Virch, der ein Stipendium für den Masterstudiengang erhalten hat. „Wir haben zwar nicht die gleichen Kurse, laufen uns aber täglich über den Weg. Es ist super, dass man nicht ganz alleine hier ist“, sagt Weiß. In Alfter haben beide in der Malerei-Klasse von Andreas Orosz studiert, der einen Schwerpunkt auf gegenständliche Kunst legt. Der Professor ist natürlich stolz: „New York ist immer noch das Mekka der Kunstszene. Die Stipendien sind eine tolle Auszeichnung. Ich bin gespannt, wie sich Michael und Leonard weiterentwickeln werden.“

Traditionell und modern Michael Weiß malt hyperrealistisch. Von Weitem kann man seine Bilder kaum von Fotos unterscheiden. Er liebt Details und Schärfe, beschreibt seinen Stil als „sinnlich und überlegt“. Ungefähr acht Wochen braucht er, bis ein Werk in Postkartengröße fertig ist. In New York strebt Weiß den nächsten Schritt in seiner künstlerischen Entwicklung an: „Das Besondere an der Academy ist, dass sie traditionelle Maltechniken mit dem zeitgenössischen Diskurs verbindet. Sie legt einen starken Fokus auf Aktzeichnen und Aktmalerei, trotzdem sind die Arbeiten der Studenten modern und aktuell.“

Auch das Studium in Alfter hat Weiß genossen. „Ich habe viele interessante und sympathische Menschen kennengelernt und fand die Ausbildung sehr gut. Mit der figürlichen Malerei in der Orosz-Klasse hat die Alanus ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland.“ An der New York Academy of Art möchte er nun seinen Werkzeugkasten erweitern: „Je mehr du technisch kannst, desto freier bist du“, sagt Weiß, der künftig gerne promovieren und als Kunst-Professor lehren würde. „Ich traue Michael das auf jeden Fall zu“, sagt Andreas Orosz.  ■ FC


Engagement 42

Alfter: ganz persönlich Die Alanus Hochschule ist ein Ort, an dem sich Kunst und Wissenschaft ­begegnen. Dieser fruchtbare Dialog fördert die ganzheitliche Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit und wird deshalb seit über 15 Jahren von der Software AG – Stiftung unterstützt. Zwei Vertreter der Stiftung s­ prechen über ihre persönlichen Begegnungen mit dem Campus in Alfter.

„Zusammen mit meiner 16-jährigen Tochter, die eine Waldorfschule besucht, war ich in Alfter beim Tag der offenen Tür. Schon nach kurzer Zeit auf dem Campus schrieb sie einer Freundin über WhatsApp eine Nachricht, in der sie sie aufforderte, sofort herzukommen. Denn, so ihre Worte: ‚Das hier ist wie Waldorfschule – nur für Erwachsene.‘ Was sie damit sagen wollte, obwohl sie noch relativ wenig über Alfter wusste, war, dass sie eigentlich eine formale Hochschule erwartet hatte, die Alanus Hochschule aber eine sehr junge, frische und dynamische Bildungsreinrichtung ist, die ihren ganz eigenen Reiz und Charme hat.“ Markus Ziener Vorstand

„Ich erinnere mich an einen meiner letzten Besuche auf dem Hochschulgelände, bei dem ich erleben durfte, wie Studierende der Studiengänge ‚Kunst-Pädagogik-Therapie‘ und ‚Kunstpädagogik‘ ihre künstlerischen Projekte in die Praxis umgesetzt haben. Das fand ich sehr beeindruckend, weil ich beobachten konnte, wie durch diese jungen Erwachsenen Zukunft in unsere Gegenwart hineingetragen wird. Ich habe gespürt, dass in Alfter eine besondere Stimmung herrscht. Sie ist sehr lebhaft, anregend, ein Stück weit bunt. Würde ich diese Stimmung mit einer Farbe beschreiben, dann käme sie mit Sicherheit aus dem roten Farbspektrum. Rot ist eine belebende und aktive Farbe, die stark im Ausdruck ist und die Fantasie enorm anregt.“ Christoph Teixeira Projektleiter


Der besondere Ort 43

Das Beachvolleyballfeld am Johannishof In der Klasse von Andreas Orosz malen die Studenten figurative, gegenständliche Bilder. Sie können aber auch anpacken, wenn es grob wird. Vor drei Jahren war die Fläche zwischen den Atelierhäusern und Holzhäusern der Eurythmisten am Johannishof nur eine öde Kieslandschaft aus schwarzem Schotter. Professor Orosz und seine Studenten wollten das irgendwann nicht mehr mit ansehen: „Kunst, sitzen und denken – da muss ein Ausgleich her.“ Nach zwei Jahren Pläneschmieden wurde die Idee umgesetzt: Ein Beachvolleyballfeld soll die nutzlose Fläche ablösen und für sportlichen Ausgleich sorgen. „Also haben wir die Sache angepackt und zu den Schaufeln gegriffen“, erinnert sich Orosz. Der steinige Boden wurde zehn Zenti­ meter tief ausgehoben, auch einige Bäume und Sträucher mussten wei-

chen. „Viel Werkzeug hatten wir da nicht“, erzählt Absolvent Michael Weiß, der 2014 mit von der Partie war. Eine Woche lang wurde geschaufelt, gebaggert, geschleppt und geschwitzt. Die Baustelle hat sich dabei zu einem Gemeinschaftsprojekt entwickelt. „Es gab einen harten Kern, der jeden Tag da war. Aber jeder, der vorbeigekommen ist, hat versucht, irgendetwas beizutragen und mit dem, was er konnte, zu helfen“, erzählt Weiß. Zum Schluss wurden fünf Tonnen Sand über die Fläche verteilt, ein Netz hat die Hochschule spendiert. So war das Beachvolleyballfeld pünktlich zu „Blickwechsel“, den Tagen der offenen Tür 2014, spielbereit. Ein guter Zeitpunkt, der wohl auch ein bisschen zur Arbeitsmotivation beigetragen hat, berichtet Weiß: „Wir konnten da ja keine Baustelle haben, also mussten wir in dieser einen Woche fertig werden. Sonst

wäre es vielleicht doch zu einem Monats­ projekt geworden.“ Die mühevolle Arbeit hat sich gelohnt: Der Beachvolleyballplatz kam und kommt bis heute super bei den Kommilitonen an. In den warmen Sommermonaten wird regelmäßig in der Sonne gepritscht und gebaggert. Vor allem aber hat das Projekt stark dazu beigetragen, dass die verschiedenen Fachbereiche noch mehr zusammengewachsen sind. Sport verbindet eben, weiß auch Orosz: „Das gemeinsame Spiel hat dazu geführt, dass sich die Leute nähergekommen sind. Ein ganz ­anderer, neuer Austausch ist dadurch entstanden.“  ■ LV


Kurz und knapp 44

Augen.Blick.Mal – Tage der offenen Tür

Im Frühjahr ist es wieder so weit. Mit Ausstellungen, Aufführungen, Performances, Rundgängen, Workshops, Vorträgen und Beratung zu Studium und Weiterbildung erwartet die Gäste der Tage der offenen Tür ein spannendes, abwechslungsreiches Programm. Am 23. und 24. März 2018 präsentieren sich Hochschule und Werkhaus in rund 100 verschiedenen Kultur- und Informationsangeboten an beiden Campus in Alfter. Eingeladen sind alle Kultur- und Studieninteressierten, Jung und Alt, Familien und Freunde sowie alle, die die vielfältigen Begegnungen zwischen Kunst und Wissenschaft erleben möchten. Das ausführliche Programm ist voraussichtlich ab Februar unter www.alanus.edu/augenblickmal zu finden. n

Lokal vernetzt und immer ­populärer

Das Fachgebiet Schauspiel hat in diesem Jahr sein Netzwerk an Kooperationspartnern in Bonn weiter ausgebaut. Mit der Aufführung der Komödie „Campiello“ von Carlo Goldoni setzen die Schauspieler in Zusammenarbeit mit dem Heimatmuseum Beuel die Tradition des Freilicht-und Sommertheaters in Bonn fort. Auch die Kooperation mit der Brotfabrik Bühne Bonn wurde fortgeführt und ausgebaut: Die Inszenierung von „Marat/Sade“ unter Regie von Michael Barfuß feierte im September Premiere, weitere

gemeinsame Projekte sind in Planung. Mit „Beethoven goes public“ ging es erstmalig mitten in den öffentlichen Bonner Raum, dies in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Bildende Kunst. Im Rahmen des Beethovenfest gab es eine Kooperation mit dem Theater Marabu. Mit insgesamt elf Erstsemestern ist der neue Jahrgang größer als erwartet, da es im Vorfeld sehr viele und gute Bewerber gab – eine schöne Resonanz auf das zukunftsweisende Ausbildungskonzept an der Hochschule. n

Eröffnung der Aussichtsplattform in Bonn-Oberkassel

Spektakulärer Ausblick auf das Rheintal: Seit Mitte September ist die Aussichtsplattform oberhalb des Oberkasseler Steinbruchs geöffnet. Die Idee für den Aussichtspunkt hatte Architektur-Student Ido de Baat, die Planung stammt von Ulrike Platz (ehemalige Mitarbeiterin im Fachbereich Architektur, dieDrei Landschaftsarchitektur Bonn). Unterhalb der Steilwand entdeckten Arbeiter 1914 die Skelette einer Frau und eines Mannes: Als „Doppelgrab von Oberkassel“ ging der Fund als wissenschaftliche Sensation in die Geschichte ein, da er zu den bedeutendsten altsteinzeitlichen Funden Europas zählt. 2013 fand auf Einladung des LVR Landesmuseums Bonn ein Workshop mit dem Fachbereich Architektur und dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz statt. Im Workshop wurden verschiedene Ideen erarbeitet, wie man diesen Erinnerungsort aufwerten könne. Über eine elegant geschwungene Plattform auf einer brückenähnlichen Holzkonstruktion können nun die Besucher das Rhein-Panorama genießen. n

Ph.A.S.E.-Studentin ver­ öffentlicht Kinderbuch

Schon als Zehnjährige hat Philosophy, Arts and Social Entrepreneurship-Studentin Lina Ashour ihre erste Kurzgeschichte geschrieben und veröffentlicht: „Meine Farbe“ handelt von einer Gurke mit Identitätskrise, die auf der Suche nach der „richtigen“ Farbe ihr eigenes Selbstwertgefühl entwickelt. Dank einer erfolgreichen Crowdfunding-Aktion konnte sie nun mehr als 2000 Exemplare neu auflegen lassen. Die Bücher möchte Ashour an Flüchtlingskinder verschenken. n

In Bildern zu Hause: Öffent­ liche Ringvorlesung des Fachbereichs Künstlerische Therapien

Mit bildnerischen Mitteln Heilungs- und Entwicklungsprozesse anzuregen, ist das Anliegen der Kunsttherapie. Dieses Herbstsemester lädt der Fachbereich Künstlerische Therapien und Therapiewissenschaft zu der Ringvorlesung „In Bildern zu Hause. Ansätze und Arbeitsfelder der Kunsttherapie“ ein. Referenten aus der kunsttherapeutischen Praxis zeigen, wie facettenreich die kunsttherapeutische Arbeit mit unterschiedlichen Patienten und Zielgruppen ist. „Die Experten berichten aus ihrem beruflichen Alltag. Somit nähern wir uns auf Grundlage von Praxiserfahrungen den unterschiedlichen Themen“, sagt Sigrid Völker, Professorin für Kunsttherapie. „Spannend ist auch, dass die

Referenten mit unterschiedlichem Klientel arbeiten: Es gibt Vorlesungen zur kunsttherapeutischen Projektarbeit mit besonders belasteten Kindern und Jugendlichen, zur Kunsttherapie bei Autismus, in der Psychotherapie oder der Psychoonkologie, das heißt in der Betreuung von Krebspatienten.“ Ergänzt wird die Themenvielfalt mit Berichten aus der Kunsttherapie als Familientherapie und der Arbeit mit Fluchtmigranten. n

Studenten gestalten Stockmar-Kalender

Studenten aus dem Bachelorstudiengang Kunst-­PädagogikTherapie haben unter der Leitung ihrer Professorin Beatrice Cron einen großformatigen Kalender für den Wachsmalfarben-Hersteller Stockmar gestaltet. Der Kunstkalender widmet sich in zwölf Motiven und einem umfassenden Begleitheft der Farbe „Blau“. 2019 und 2020 folgen Kalender zu den Themen „Gelb“ und „Rot“. Der Kalender kann über www.stockmar.de ­erworben werden. n

Die philosophischen Quellen der Anthroposophie – Ringvorlesung Bildungs­ wissenschaft

Welche philosophischen Ansätze finden sich in der Anthroposophie und welche geistesgeschichtliche Dimension hat sie? In der Ringvorlesung gehen die Referenten auf Spurensuche und zeigen die Verbindungen der


Kurz und knapp 45

Anthroposophie Rudolf Steiners mit dem Denken Platons, Goethes und Nietzsches. „Die von Steiner Anfang des 20. Jahrhunderts begründete Anthroposophie ist vornehmlich bekannt geworden durch die Waldorfpädagogik, durch die biologisch-­ dynamische Landwirtschaft und durch die anthroposophische Medizin“, sagt Jost Schieren, Fachbereichsleiter Bildungswissenschaft. „Dass Rudolf Steiner die Anthroposophie vor allem in seinem Frühwerk und dann in Neuansätzen in seinem Spätwerk in einer dezidiert philosophischen Dimension entwickelt hat, ist eher unbekannt.“ n

„Eine Welt – viele Sprachen“: Fünfte Kinderuni gestartet

Bereits zum fünften Mal laden Hochschulen des Rhein-SiegKreises Kinder zwischen 8 und 12 Jahren zur „Kinderuni im Rhein-Sieg-Kreis“ ein. Unter dem Motto „Eine Welt – viele Sprachen“ können die Nachwuchsstudenten die Vielfalt der Sprachen kennenlernen,

BESTE BESTE PIZZA!

Pizza, die über den Tellerrand hinausragt. Auf Wunsch gleich mit zwei unterschiedlich belegten Hälften. Und köstliche Pasta d‘amore. Düren | Fehlender Feld 4 | 52353 Düren Troisdorf | Junkersring 1 | 53844 Troisdorf Bornheim | Carl-Benz-Straße 11 | 53332 Bornheim Köln | Hahnenstr. 37 | 50667 Köln Köln | Martinstraße 1 | 50667 Köln Köln | Ebertplatz 14-16 | 50668 Köln Bonn | Portlandweg 4 | 53227 Bonn Hürth | Luxemburger Straße 146 | 50354 Hürth losteria.de

im Labor auf Verbrecherjagd gehen und erfahren, wie man mit dem eigenen Körper sprechen kann. Die Kinderuni feiert dieses Jahr ihr fünfjähriges Bestehen und ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und der Philosophisch-Theologischen Hochschule SVD. Die Vorlesungen und Workshops in den kommenden Monaten führen die jungen Forscherinnen und Forscher auf verschiedenen Wegen an das Thema Sprache heran: Sie lernen etwas über die Namen Gottes in Ghana, über das heb-

räische Alphabet und darüber, dass Menschen in verschiedenen Sprachen reden und denken. Die Rektoren Stefan Hasler (Alanus Hochschule) und Bernd Werle (Philosophisch-Theologische Hochschule SVD) sowie Präsident Hartmut Ihne (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) freuen sich, dass die Kinderuni im Rhein-Sieg-Kreis von Beginn an so erfolgreich war. Insgesamt haben in den vergangenen ­Jahren rund 1200 Kinder an 36 Veranstaltungen teilgenommen. Wer „ernsthaft“ studiert – also an vier von neun Veranstaltungen teilnimmt – erhält ein „Kinderdiplom“. n


Terminvorschau 46

Nov. 18. November 2017 Studieninfotag k Campus I und II 18. November 2017 Ich und Ich-Bewusstsein k Thementage Menschenkunde, Aspekte der Anthro­ pologie Rudolf Steiners, Fachbereich Bildungswissenschaft, Campus II

Jan. 25. Januar 2018 Die Alanus Hochschule bei der Hochschulmesse der Agentur für Arbeit Bonn k Stadthalle Bonn Bad Godesberg

9. März 2018 bis Oktober 2019 Geprüfter Aus- und Weiterbildungs­ pädagoge k Berufliche Qualifizierung für Ausbilder, Alanus Werkhaus

20. Januar bis 17. März 2018 Wo bin ich? Berufliche Neuorientierung und Standortbestimmung k Kurs am Alanus Werkhaus

9. März 2018 bis April 2020 Geprüfter Berufspädagoge k ­Berufliche Qualifizierung für Aus- und Weiterbildner, Alanus Werkhaus

23. bis 25. November 2017 Nachtasyl k Schauspielaufführung, Campus I

Feb. Dez. 11. Dezember 2017 Die philosophischen Quellen der Anthroposophie k Öffentliche Ringvorlesung, Fachbereich Bildungswissenschaft, Campus II 12. Dezember 2017 In Bildern zu Hause k Öffentliche Ringvorlesung, Fachbereich Künstlerische Therapien und Therapiewissenschaft, Campus II 14. Dezember 2017 Einstandsabend k Schauspiel­ aufführung, Campus I

März

2. und 3. Februar 2018 Die Alanus Hochschule bei der Messe Einstieg Köln auf dem Stand des dm-drogerie marktes k Messe Köln 16. Februar 2018 bis Dezember 2020 Theaterpädagogik (BuT®) k Einstieg Aufbau-Fortbildung für Theaterschaffende und darstellende Künstler, Alanus Werkhaus

14. bis 22. März 2018 Märchen-Tournee k Fachgebiet ­Eurythmie

Augen.Blick.Mal Tage der offenen Tür

16. Februar 2018 Studieninformationstag des Fachbereichs Bildungswissenschaft k Studieninforationen zu Waldorfpädagogik, Forschung, Kindheitspädagogik, ­Heilpädagogik und Kunstpädagogik, Campus II

15. und 16. Dezember 2017 Szenen der Weltliteratur k Schauspielaufführung, Campus I

23. und 24. März 2018 Lernen Sie unseren Campus kennen! Ausstellungen, Aufführungen, Performances, Rundgänge, Workshops und Vorträge für alle Kultur- und Studieninteressierten, Jung und Alt, Familien und Freunde.

Nähere Informationen, weitere Veranstaltungen und Aktualisierungen finden Sie unter k www.alanus.edu/veranstaltungen. Oder besuchen Sie die Weiter­ bildungseinrichtung unter k www.alanus.edu/werkhaus.


Impressum 47

Impressum Herausgeber Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft

19. bis 21. März 2018 Eurythmie mit Gegenständen k Projekt des 1. Studienjahrgangs, Fachgebiet Eurythmie 22. März 2018 Kinderuni im Rhein-Sieg-Kreis Sprache in Bewegung – ein Märchen zum Tanzen k Aufführung und Mitmachaktionen, Fachgebiet Eurythmie, Campus I 26. bis 29. März 2018 Osterwerkstatt k Ferienkurse für Kinder und Erwachsene, Alanus Werkhaus

Anschrift Villestraße 3 – 53347 Alfter Tel. 0 22 22 . 93 21-0 – info@alanus.edu www.alanus.edu Träger Alanus Hochschule gemeinnützige GmbH Geschäftsführung Dirk Vianden, Dr. Julia Wedel Redaktionsleitung Dr. Julia Wedel (V.i.S.d.P.), Elisabeth Höhnen Redaktion Felix Cornelsen (FC), Tatjana Fuchs (TF), Maria Gambino (MG), Susanne Krause (SK), Michaela Mezger (MM), Karin Scherer (KS), Dr. Julia Wedel (JWD) Weitere Autoren dieser Ausgabe Prof. Dr. Maximilian Buchka, Prof. Dr. Sascha Liebermann, Prof. Dr. Gabriele Oberreuter, Prof. Dr. Dr. Wolf-Ulrich Klünker, Prof. Dr. Thomas Schmaus, Prof. em. Dr. Peter Schneider, Laura Vogginger (LV) Lektorat Barbara Milde-Schulz Korrektorat Nele Thiemann Gestaltung Dirk Drevermann Anzeigen Bettina Vogel Werknachweise „7.07.2017“ (2017) und „7.05.2017“ (2017), Annika Hoffmann, S. 8 unten u. ob.; „Der Narziss“ (2015), Caspar Höhnen, S. 9; ohne Titel (2017), Kim Mertens, S. 10; ohne Titel (2016), Ulrich Mekiska, S. 12; „Erste Haut“ (2016), Timo Margaritidis, S. 11; „Ringen“ (2017), Ulrich Mekiska, S. 13; „Augenblick“ (2016), Talía Machí Martínez, S. 14 o.; „Fäden des Seins“ (2014), Annabelle Benn, S. 15; „One for Two“ (2017), Hazel Kilinc, S. 18; „Wilfrieds Holzhütte“ (2017), Jochen Breme, S. 19; ohne Titel (2015), Frieda Berger, S. 15 o.; „Meine Farbe“ (2017), Lina Ashour, S. 44 (dritte Spalte o.); Stockmar-Kalender (2017), Emily van Zyl, S. 44 (vierte Spalte o.) Fotos und Abbildungen Alanus Hochschule (S. 3, 18, 19, 23, 26, 36, 37, 38, 39, 40 u., 43, 44, dritte u. vierte Spalte u.); Nola Bunke (S. 16, 17, 30, 44 o. li., 46, 47); Smilla Dankert (45); Charlotte Fischer (S. 31, 42); Elisabeth Höhnen (S. 33); Simon Koolmann (S. 24); Nathan Dreessen (S. 44); Leonie Hochrein (Titelbild, S. 6/7); Britta Schüßling (S. 10–12, 14 u., 15, 34, 35, 41 ); Niklas Stålhammer (S. 25, 28, 29); Willem-Jan Beeren (44, zweite Spalte); wo lang (S. 20–21); WG Stühleshof (40 o., mitt.) Erscheinungsweise 2-mal jährlich Druck und Auflage Rautenberg Media KG, 4.000 Exemplare In diesem Magazin wird aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachform verzichtet. Sämtliche Bezeichnungen von Personengruppen gelten gleichgestellt sowohl für die männliche als auch für die weibliche Form. Für den Inhalt der einzelnen Artikel sind die jeweils benannten Autoren verantwortlich. Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung der Alanus Hochschule. Alfter, November 2017


Alanus [aːlaːnʊs]: Die Alanus Hochschule und das Alanus Werkhaus beziehen sich in ihrem Namen auf den Universalgelehrten Alanus ab Insulis (ca. 1120 bis 1202), der den Beinamen „doctor universalis“ trug. Er lehrte die Sieben Freien Künste in Paris und Montpellier. Alanus ab Insulis vertrat die Vorstellung, dass Studieren die Bildung des Menschen zum Menschen durch Interdisziplinarität bedeutet und über ein reines Fachstudium hinausgeht. Angelehnt an Alanus ab Insulis ist ein wichtiger Teil des Konzepts der Alanus Hochschule und des Werkhauses die ­Gemeinschaft und Begegnung von Kunst und Wissenschaft.

Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Villestraße 3 – 53347 Alfter Tel. 0 22 22 . 93 21-0 – info@alanus.edu www.alanus.edu Weiterbildungszentrum Alanus Werkhaus Johannishof – 53347 Alfter Tel. 0 22 22 . 93 21-17 13 – werkhaus@alanus.edu www.alanus.edu/werkhaus

Dieses Magazin wurde klimaneutral auf FSC ®-Papier gedruckt. Das Papier stammt aus verantwortungsvoll bewirtschafteten Wäldern und aus kontrollierten Herkünften.

Universalis Das Alanus Magazin  |  Ausgabe 10


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