Vertikalgrün

Page 1

WETTBEWERBE: NATURMUSEUM, ST. GALLEN | BERUFSFACHSCHULE, SOLOTHURN MAGAZIN: RUDERALFASSADE ALS PROTOTYP | VERKEHR | BÜCHER | GRÜNES AN DER WAND

VERTIKALGRÜN

VERTIKALE GÄRTEN | KLEIN, GRÜN, HOFFNUNGSTRÄGER | HOCHWACHSENDE TRÄUME

SIA: GESCHÄFTSLAGE IM 4. QUARTAL 2009 | KURSE SIA-FORM

NR. 9

26. FEBRUAR 2010


Editorial | 3

TEC21 9 / 2010

Grün und künstlich: Triarylmethanfarbstoff Patentblau V (E 131) bildet zusammen mit Chinolingelb (E 104) und Gelborange S (E 110) die grüne Farbe von Wackelpudding mit Waldmeistergeschmack (Foto: photocase.de/ hannoverconny)

Vertikalgrün 2010 ist das Jahr der Biodiversität – Grund genug, das uns umgebende Grün mit frischen Augen zu betrachten. Der Platz für die Natur wird immer knapper, zumal in unseren dichter werdenden Städten (vgl. auch «Natur in der Stadt», TEC21 11/2009). Dabei führt uns die Pflanzenwelt selbst vor Augen, wie die Abhilfe aussehen kann: Zahlreiche Pflanzengemeinschaften staffeln sich auch in der Höhe so, dass eine optimale Anzahl von ihnen auf der zur Verfügung stehenden Fläche ihr Auskommen findet. Und siehe da, seit einiger Zeit entdeckt auch die Architektur, dass «vertikal» und «grün» sehr gut zusammenpassen. Wirklich neu ist die Idee zwar nicht, werden doch bereits aus Babylon «Hängende Gärten» überliefert. Bei genauerer Betrachtung der antiken Beschreibungen zeigt sich jedoch, dass es sich damals wohl eher um eine frühe Form der Dachflächenbegrünung handelte: Die Terrassen bildeten ein Quadrat mit einer Seitenlänge von gut 100 m. Mit einem Unterbau aus gebrannten Ziegeln erreichten die Strukturen eine Höhe von etwa 30 m. Die Schriftsteller verraten sogar konstruktive Details über den dreilagigen Bodenaufbau: eine Schicht Rohr mit Asphalt, darüber eine doppelte Lage gebrannter Ziegel in Gipsmörtel und schliesslich dicke Platten aus Blei, um die Durchfeuchtung zu verhindern. Heute vollzieht sich mit der gezielten Bepflanzung senkrechter Flächen ein Schritt in eine neue Dimension. Fassadenflächen werden – insbesondere im urbanen Umfeld – als eine der letzten Möglichkeiten genutzt, um naturnahe Nischen zu schaffen. Bislang finden sich begrünte Fassaden zumeist als durchgeplante Schmuckgärten («Vertikale Gärten», S. 16 ff.). Doch auch Spontanvegetation auf Fassaden sollte künftig möglich sein als nicht zu vernachlässigender Beitrag zur Stärkung der Artenvielfalt («Ruderalfassade als Prototyp», S. 10). Besonders ins Blickfeld gerückt ist in letzter Zeit noch ein anderes Grün: die Mikroalgen. Hier stehen die Forschenden vor weit grösseren technischen und politischen Herausforderungen, als nur eine optimale – vertikale – Bauform für ihre Algenreaktoren zu finden. Während die einen die Algennutzung als Universallösung fast aller Prob­ leme – vom Treibhauseffekt bis zur Treibstoffversorgung – handeln, wird sie von ande-

5 wettbewerbe Neubau Naturmuseum, St. Gallen | Neubau Berufsfachschule, Solothurn

10 magazin Ruderalfassade als Prototyp | Strassenverkehr | Bücher | Grünes an der Wand

16 Vertikale Gärten Konstruktion: Fassadenbegrünungen sind eine wichtige Möglichkeit, Natur in die Stadt zu integrieren. Verschiedene, konstruktiv erprobte Systeme stehen zur Verfügung.

Kerstin Gödeke

22 Klein, Grün, Hoffnungsträger Claudia Carle Umwelt: Energieversorger und Ölkonzerne interessieren sich vermehrt für Algen, weil sie CO2 binden und aus ihnen Biodiesel gewonnen werden kann. Noch ist die Technologie aber nicht effizient genug.

24 Hochwachsende Träume Alexander Felix Architektur: Grüne Zukunftsentwürfe wachsen in den Himmel – Anregungen dafür beziehen Architekten aus

der Raumfahrt ebenso wie aus der Graswurzelbewegung.

28 sia

ren als Irrweg verdammt («Klein, grün, Hoffnungsträger», S. 22 f.). Ebenfalls noch Vision ist es, Nutzpflanzen künftig in Hochhäusern zu stapeln. Architekten entwickeln Entwürfe für verschiedene Formen aufeinandergeschichteter Gewächshäuser, die zur Versorgung der Stadtbevölkerung und zugleich als Biokläranlagen sowie grüne Lungen dienen sollen («Hochwachsende Träume», S. 24 f.).

Geschäftslage im 4. Quartal 2009 | Kurse SIA-Form

Alexander Felix, felix@tec21.ch

37 impressum

33 Produkte

38 veranstaltungen


46

1 26

Fassadenhaut Gummi CONTEC

TEC21 9 / 2010

16

10 | Magazin

1 10 10

24/1

RuderalFassade als Prototyp 10

26

8

DG

62.5

62.5

5 2.86

5 3.12

(5.OG Wiederaufbau)

Auf der Swissbau 2010 wurde am «Woodstock» eine neue Technik zur Fassadenbegrünung gezeigt. Noch steht die Idee der ruderalen Fassade am Anfang, doch sie hat das Potenzial zum System. (af) Aus einer schwarzen Kautschukhülle

spriesst die Natur. In die Haut sind Taschen

01–02 Prototyp der mit Winterjasmin bepflanzten Folienfassade am «Woodstock» auf der Swissbau 2010 (Foto: Contec; Plan: Artevetro Architekten)

In Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

5

(ZHAW) in Wädenswil wurde eine Pflanzliste erstellt. Fassade mit vertikalem Garten Um längerfristige Erfahrungen zu sammeln, ist eine Testwand installiert, die ihre Bewährungsprobe noch vor sich hat. Wenn sich der Prototyp allerdings bewährt, wird der Aufbau mit allen notwendigen Abnahmen zu einem kommerziell einsetzbaren Fassadensystem weiterentwickelt. 10.07

5 2.78

5 3.12

ausgebildet und in die Gummihaut eingeklemmt. Als Kälte- und vor allem Überhit1. OG (4.OG Wiederaufbau) zungsschutz für die Pflanzen sind zusätzlich drei Lagen Geotextil eingebettet. Die Pflanzen wachsen in einem Humussubstrat, das auf einer Lage Geohumus als Wasserspeicher (ca. 20 cm) aufgebracht ist.

26

3

10

Detail 3.3 A

EG

2 2.76

(3.OG Wiederaufbau)

Wandaufbau: Buche massiv 100 mm Spaceloft 10 mm Flumroc 100 mm Flumroc 120 mm Lattung 48/48 mm Spaceloft 10 mm Gummi CONTEC 2 Lagen mit Schlitze für Begrünung

24 10

5 3.12

drücklich gewünscht ist dabei, dass sich Pionierpflanzen ansiedeln und so im Laufe der Zeit für eine ortsspezifische Begrünung sorgen. Der Wandaufbau ist relativ einfach: Die wasserführende Ebene verläuft zwischen der Gummihaut und dem dahinter liegenden Aerogelvlies. Dieses Vlies ist absolut wasserdicht (hydrophob), sodass keine Gefahr der Durchfeuchtung der Wärmedämmung aus Mineralwolle besteht. Zudem verhindert es eine Durchwurzelung. Die Taschen für die Aufnahme der Pflanzen sind aus Geotextil

24 10

eingebaut, die das nötige Substrat als Lebensgrundlage für Pflanzen aufnehmen. Aus-

Wandaufbau: – Buche massiv 100 mm – Aerogel-Hochleistungsdämmung 10 mm – MineralwolleDämmung 100 mm – MineralwolleDämmung 120 mm – Lattung 48/48 mm – Aerogel-Hochleistungsdämmung 10 mm – EPDM-Folie, zweilagig, mit Taschen zur Begrünung


VERTIKALGRÜN 16

VERTIKALE GÄRTEN

22

KLEIN, GRÜN, HOFFNUNGSTRÄGER

24

HOCHWACHSENDE TRÄUME

Kerstin Gödeke Claudia Carle

Alexander Felix

NR. 9

26. FEBRUAR 2010


16 | Vertikalgrün

TEC21 09 / 2010

Vertikale Gärten Das Grün erklimmt zurzeit eine neue Dimension: Besonders im dichten, urbanen Umfeld ist die Bepflanzung von Fassadenflächen eine wichtige und willkommene Möglichkeit, Natur zu integrieren. Noch ist die Zahl vertikaler Gärten nicht sehr gross, jedoch stehen verschiedene, konstruktiv erprobte Systeme zum Einsatz bereit. Titelbild Projekt «EcoPod»: Zwischennutzung einer innerstädtischen Bauruine in Boston als vertikale Algenfarm und öffentlicher Grünraum (Visualisierung: Howeler + Yoon Architecture, Boston / Squared Design Lab, Los Angeles)

In der letzten Zeit macht eine neue Form von Grün im Aussenraum zunehmend auf sich aufmerksam: der vertikale Garten, pflanzliche Vorhänge, die sich über die ganze Fassade erstrecken und die Atmosphäre des Ortes wesentlich mitbestimmen. Sie gehen konstruktiv weit über die allgemein bekannten Berankungen von Häusern hinaus. Der Wunsch, einen Garten in der Höhe zu entwickeln, ist allerdings nicht neu – als Beispiel seien hier nur die Hängenden Gärten von Babylon genannt, die bereits 600 Jahre v. Chr. angelegt wurden. Grundsätzlich existieren drei Prinzipien, Pflanzen in der Höhe anzusiedeln: 1. Bepflanzung mit Selbstklimmern, Rank- oder Schlingpflanzen, die eine Höhe zwischen 10–20 m erreichen können. Hier sind kaum bauliche Massnahmen bzw. nur einfache Kletterhilfen notwendig. Die Pflanzen sind meist direkt im Erdreich am Fuss der Fassade gesetzt. Ranken die Pflanzen direkt an der Fassade hoch, können Probleme mit den Haftwurzeln auftreten, da sie auch in kleinste Risse eindringen. 2. Punktuell oder in der Fläche aufgestellte Pflanztröge, in denen Pflanzen in Substrat gesetzt sind. Das Substrat besteht in der Regel aus Erde oder, bei neuen Systemen, aus adäquaten Ersatzstoffen, die leichter sind und über eine hohe Wasserspeicherkapazität verfügen, wie zum Beispiel Blähton. Diese können sowohl am Fuss der Fassade als auch in der Höhe als modulares System integriert werden. 3. Kultivierung von Pflanzen, die ohne Substrat lebensfähig sind. Sie gehören grösstenteils der sogenannten Gruppe der Epiphyten an. Epiphyten (grch. epi = auf über; phyton = Pflanze) oder «Aufsitzerpflanzen» finden sich in völlig unterschiedlichen Pflanzengruppen. Allen gemeinsam ist, dass sie nicht auf dem Boden, sondern auf anderen lebenden oder abgestorbenen Pflanzen wachsen, ohne von diesen zu schmarotzen, und die lebenswichtigen Nährstoffe über ihre Wasserversorgung aufzunehmen. In den gemässigten Breiten sind dies vor allem Algen, Moose und Flechten. Der dünne und sehr leichte Aufbau erlaubt voll­ flächige Bepflanzungen. Allgemein berücksichtigen die neuen Techniken die mögliche Gefahr von Gebäudeschäden durch die Pflanze und vermindern deren Angriffspunkte, wie das Eindringen selbst feinster Wurzeln in kleine Spalten und Fugen, deren fortschreitendes Dickenwachstum zu Sprengungen führen kann.

Der Pionier Eine zentrale Rolle bei dem dritten System spielt Patrick Blanc, 1953 in Paris geboren, Professor der Botanik und Mitglied des hochangesehenen Centre National de la Recherche Scientifique. Inspiriert durch die üppige Pflanzenwelt Südostasiens, die auch ohne Substrat wächst, solange genügend Licht, Wasser und Mineralstoffe vorhanden sind, begann Blanc ab 1982 in seinen eigenen Innenräumen mit tropischen Pflanzen zu experimentieren und ein System zu entwickeln, das auf Mauern kleine Pflanzenparadiese spriessen lässt. Daraus entstand ein eigenes Patent, das sogenannte «Verfahren zur Kultivierung von Pflanzen ohne Substrat auf vertikalen Flächen», bei dem sich die Wurzeln auf einer dünnen Schicht Vlies


01

01 Metrostation Flon, Lausanne: Die Pflanzenwand entstand in Zusammenarbeit mit den Architekten Tschumi / Merlini et Ventura und dem Landschaftsarchitekten Jean-Jacques Borgeaud, Lausanne (Foto: Wolf/Schopp, Zürich) 02 Mit einer eher traditionellen Pflanzenhülle rundete EM2N den Umbau des Staatsarchives in Liestal ab. Der Sockel ist an allen vier Seiten mit Selbstklimmern überzogen: vier Arten sommergrünen Wilden Weines und fünf Arten immer­ grünen Efeus. Je nach Jahreszeit zeigt sich ein anderes Fassadenbild und vermittelt zu den umliegenden Gärten und zum Bahndamm (Foto: Hannes Henz, Zürich)

entwickeln und nicht in einem Substratkörper. Erst 1994 tauchen seine Grünen Wände mit entsprechender Artenauswahl auch im Aussenraum auf (vgl. «Retour à la nature», TEC21 11/2004). Der Grundaufbau besteht in der Regel aus einem Metallgerüst, das direkt an der Stützmauer befestigt wird und eine stetige Luftzirkulation ermöglicht. In diesem Metallraster liegen 10 mm dicke Hartschaumplatten. Sie dienen als Träger für die in zwei Schichten darübergespannten 3 mm starken Filzlagen. Die Pflanzen werden durch Schnitte in der ersten Lage hineingeschoben und wachsen zwischen den beiden Filzschichten. Die Bewässerung erfolgt mit einem perforierten Kunststoffrohr, das waagerecht am oberen Ende der grünen Wand angebracht ist. Die Pflanzen stützen durch die Ausbildung von Wurzeln die Trag­konstruktion mit, sodass der Aufbau ca. 30 kg/m2 wiegt. Blancs «Grüne Hüllen» beeindrucken nicht nur durch ihre Grösse und Pflanzendichte, sondern vor allem auch durch ihre Artenvielfalt und Blatttexturen. Patrick Blanc sieht 30 Pflanzen pro Quadratmeter vor. Beim Projekt Caixa Forum in Madrid (vgl. «Kunst elektrisiert», TEC21 36/2008), das in Zusammen­arbeit mit Herzog & de Meuron entstanden ist, bestücken insgesamt 20 000 Pflanzen aus 300 Arten eine Fassadenseite.

Begrünung mit System Es existieren verschiedene Systeme zur Fassadenbegrünung im Aussenraum. Europaweit betrachtet sind die meisten Methoden in Deutschland, den Niederlanden und England entwickelt worden. Die Anwendung ist aufgrund der kälteren und längeren Winter wesentlich diffiziler, und die Auswahl der Pflanzen ist relativ klein. Üppige Pflanzwände à la Blanc sind im Freien schwieriger realisierbar. Ein bekannter Schweizer Anbieter ist die Firma Forster in Golaten – aufbauend auf einem System zur Dachbegrünung entstanden die «HF-Vegetationswände»: Nach Montage der vorgefertigten, feuerverzinkten Stahlelemente mit vollflächiger Rückseite auf ein Stahlgerüst werden diese nach und nach mit Pflanzen und Substrat gefüllt. Gleichzeitig eingesetzte Querlamellen geben Halt. Die Standardmasse sind 90 oder 180 cm in der Höhe, 120 cm in der Breite, und 12.5 cm in der Tiefe. Die Wand kann als fertig bepflanztes Element gesetzt oder vor Ort bepflanzt werden. Be- und Entwässerung kann integriert werden, ihre Bedienung ist automatisiert oder auch per Hand möglich. Das Gewicht liegt in bepflanztem, wasser­ gesättigtem Zustand bei 150 kg/m2. (Fortsetzung auf S. 21) 02


03

04

03–04 Umbau Wohn- und Geschäftshaus, Bern: Schmale Hofsituation mit vertikalem Garten (Fotos: Alexander Gempeler, Bern) 05 Ansicht Brandmauer mit Pflanzplan, Mst. 1:100 (Plan: BSR Architekten & David Bosshard, Bern)

Farne

Stauden Polystichum setiferum, Grannen-Schildfarn

Anemone hupehensis, Herbstanemone

Dryopteris wallichiana, Schwarzschuppenfarn

Astilbe japonica Deutschland, Prachtspiere

Blechnum spicant, Rippenfarn

Bergenia cordifolia, Herzblättrige Bergenie

Asplenium scolopendrium, Hirschzungenfarn

Brunnera macrophylla, Kaukasus-Vergissmeinicht Campanula poschars­ kyana ‹Blauranke›, Dalmat. Glockenblume

Gräser Carex morrowii ‹Ice Dance›, Japansegge

Darmera peltata, Schildblatt

Carex plantaginea, Breitblatt-Segge

Hosta ‹Blue Cadet›, Funkie

Luzula sylvatica, Wald-Hainsimse

Pachysandra terminalis, Dickmännchen/ Japanischer Ysander Phuopsis Stylosa Rosenwaldmeister Vinca minor, Kleines Immergrün

05


06

07 170 Gewindestange, Ø=15 mm

«HF-Vegetationswand»: Stahlblech, feuerverzinkt, 170mm

Stahlbetonwand

Wärmedämmung

70 Granitplatte, 25mm

08

09

06–07 Verwaltungsgebäude Edipresse, Lausanne: In die mit Naturstein verkleidete Nordfassade sind zwei vertikale Grünstreifen integriert (Fotos: Hüsler & Associés, Lausanne) 08 Fassadenansicht mit Pflanzbändern (Pläne: Hüsler & Associés, Lausanne) 09 Fassadenschnitt, vertikale Begrünung, Mst. 1:40 10 Lausanne Jardins 2009: Temporäre Installation «Green Tower» von Ex Studio, Barcelona (Foto: Wolf/Schopp, Zürich) 11 «Green Tower»: Gerüstkonstruktion mit bepflanzten Lüftungsrohren (Foto: Ex Studio, Barcelona)

10

11


20 | Vertikalgrün

12

TEC21 09 / 2010

13

14 15 12–13 Lausanne Jardins 2009: Hosepipe Garden von Julie Courcelle, Mathilde Merigot und Clotilde Berrou, Marseille (Fotos: Leonore Baud, Lausanne) 14 Systemschnitt «Wonderwall» 15 Innenraumbegrünung im HydroLab, Zürich (Plan + Foto: Creaplant, Gerlafingen) 16–17 «Mercator Sportplaza» von Venhoeven CS, Amsterdam. Filzsubstrat vor und nach der Begrünung (Fotos: Luuk Kramer, Amsterdam)

16

17


Vertikalgrün | 21

TEC21 09 / 2010

am Bau beteiligte – Umbau Wohn- und Geschäftshaus, Bern Architektur: BSR Bürgi Schärer Raaflaub Architekten sia AG, Bern Landschaftsarchitektur: David Bosshard Landschaftsarchitekt BSLA, Bern Begrünungssystem: Forster Baugrün AG, Kerzers Bauingenieur: Tschopp Bauingenieure GmbH, Bern Gebäudetechnik / Bauphysik: ibe Institut Bau und Energie AG, Bern Bauherrschaft: IG Scholl AG, Familie Busato, Bern – Verwaltungsgebäude Edipresse, Lausanne Architektur: Architram SA, Renens Landschaftsarchitektur: Hüsler & Associés, Lausanne Begrünungssystem: Forster Baugrün AG, Kerzers Bauingenieur: AIC Ingénieurs Conseils SA, Lausanne Gebäudetechnik / Bauphysik: Jakob Forrer SA, Le Mont-sur-Lausanne (Heizung / Lüftung); Betelec SA, Villars-Ste-Croix (Elektrik); Fluides Concepts SA, Lausanne (Sanitär) Bauherrschaft: Edipresse, Lausanne – Green Tower, Lausanne Landschaftsarchitektur: Ex Studio Patricia Meneses; Iván Juárez, Barcelona Gerüstbau: Richard & fils SA, Vevey Botanische Beratung: Bourse aux Arbres, Chavannes-près-Renens Montage: Eurojardin Sàrl, St-Sulpice – Hosepipe Garden, Lausanne Landschaftsarchitektur: Julie Courcelle, Mathilde Merigot und Clotilde Berrou, Marseille – HydroLab, Zürich Innenarchitektur: Vitra, Birsfelden Begrünungssystem: Creaplant, Gerlafingen Bauherrschaft: Spectraseis, Zürich – Mercator Sportplaza, Amsterdam Architektur: Venhoevens CS, Amsterdam Begrünungssystem: Copijn, Utrecht Bauingenieur: Pieters Bouwtechniek, Amsterdam Gebäudetechnik: Hellebrekers Technieken, Nunspeet Bauphysik: Lichtveld Buis en Partners, Nieuwegein Bauherrschaft: Sportfondsenbad Nederland, Amsterdam; Gemeente Amsterdam

Anmerkung 1 Dieses Projekt wird imTEC21-Dossier «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft» ausführlich vorgestellt. Es erscheint demnächst als Beilage zu TEC21.

Beim Um- und Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses in der Berner Altstadt spannt sich zwischen Vorder- und Hinterhaus ein schmaler Innenhof auf. Diesen versteckten Ort nutzten BSR Bürgi Schärer Raaflaub Architekten aus Bern in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekten David Bosshard, Bern, für eine grüne Inszenierung der Brandmauer (Abb. 3–5).1 Die Vegetationswand besteht weitgehend aus den standardisierten Pflanzgefässen der Firma Forster und wird automatisch bewässert. Die seitlichen Einfassungen, die Unter­ konstruktion sowie die begehbaren Sprossen wurden speziell für das Projekt entwickelt. Die Vegetationswand ist mit immer- und wintergrünen sowie saisonalen Pflanzenarten bestückt, die zusammen eine flächendeckende Grundbepflanzung mit üppigen Akzenten bildet. Hierzu gehören verschiedene Farne und Gräser durchmischt mit Stauden, die in einem Blau-Lila-Rosa-Farbspektrum blühen, wie Bergenien, Prachtspieren und KaukasusVergissmeinnicht. So zeigt sich während des ganzen Jahres ein lebendiges Gesamtbild, das dem kleinen Hof eine eigene Identität verleiht, die dank grossen Fensteröffnungen bis in die Innenräume ausstrahlt. Beim Neubau der Firma Edipresse in Lausanne wurde das gleiche System in Form von vegetativen Schmuckbändern eingesetzt (Abb. 6–9). In der Natursteinfassade ersetzen zwei vertikale Reihen von ca. 7 m Länge die bepflanzten Stahlelemente. Sie sind hauptsächlich mit der Japansegge «Ice Dance» bepflanzt, durchsetzt von einer kleinen Ahornart, Funkien und Farnen.

Weitere Beispiele in der Schweiz Auch bei Lausanne Jardins 2009 war vertikales Grün ein Thema. Das zum vierten Mal organisierte Gartenfestival war während der Sommermonate vergangenen Jahres Schauplatz origineller, temporärer Installationen. Exemplarisch seien hier nur zwei Projekte genannt: Der «Green Tower» von Ex Studio aus Barcelona bildete für kurze Zeit als hohes, auffallend bepflanztes Metallgerüst den Abschluss einer Gebäudereihe. In seiner Farbigkeit nahm es die angrenzen­den bunten Fassaden auf, ein Spiel der Kontraste begann, und der Ort wurde neu wahrgenommen (Abb. 10 –11). Bei der Intervention «Hosepipe Garden» installierten die Planerinnen Julie Courcelle, Mathilde Merigot und Clotilde Berrou aus Marseille in der Metrostation CHUV an den Betonwänden ein Gitter mit grünen Wasserschläuchen, bewachsen mit Medizinalpflanzen. Das Geflecht sollte einen Hinweis auf das nahe gelegene Bezirkskrankenhaus geben (Abb. 12–13). Die Firma Creaplant bietet das System «Wonderwall» an, das in den Niederlanden entwickelt wurde. Der technische Grundaufbau besteht aus einer Basiskonstruktion aus rostfreiem Metall, einer mehrschichtigen Vegetationsmatte und integrierten Bewässerungsleitungen. Vorkultivierte Pflanzen werden mit Wurzelballen in Taschen der Vegetationsmatten gesetzt. Das Gewicht liegt in unbewässertem Zustand bei 30 kg/m2. Bisher wurde dieses System vornehmlich im Innenraum angewendet – in der Schweiz beispielsweise in den Innenräumen von HydroLab in Zürich (Abb. 14–15). Der Einsatz ist aber auch im Aussenraum ohne weiteres möglich, wie das Projekt Mercato Sportplaza in Amsterdam zeigt (Abb. 16–17).

Mehrwert Neben der Ästhetik decken die begrünten Wände auch wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit ab. In den heutigen zunehmend dichten Städten wird es immer schwerer, einen Standort für Pflanzen oder Grünflächen zu finden. Das vertikale Grün beansprucht im Vergleich zur bepflanzten Oberfläche nur eine minimale Fläche im Grundriss. Zudem trägt es unter anderem deutlich zur Verbesserung des Kleinklimas, der Rückhaltung von Regenwasser und der Wärmedämmung bei. Unerlässlich ist allerdings konstante Pflege, Aufmerksamkeit und Kontrolle, die je nach Klima, Pflanzenwahl und System mehr oder weniger intensiv ist – in diesem Sinne bleibt das vertikale Grün ein Garten. Kerstin Gödeke, Dipl. Ing. Landschaftsarchitektur, Assistenz Freiraumentwurf Abt. Landschaftsarchitektur
HSR Hochschule für Technik Rapperswil; kerstin.goedeke@hsr.ch


22 | Vertikalgrün

TEC21 09 / 2010

Klein, grün, hoffnungsträger Energieversorger und Ölkonzerne interessieren sich seit einigen Jahren vermehrt für Algen. Der Grund: Algen sind hocheffiziente und gleichzeitig sehr genügsame Produzenten von Biomasse, aus der Biotreibstoffe gewonnen werden können. Gleichzeitig binden sie bei ihrem Wachstum das Treibhausgas CO2. Noch ist die Technologie aber im Forschungsstadium, und es ist schwer abschätzbar, welchen Beitrag sie dereinst zur Senkung der CO2-Emissionen und zum Ersatz fossiler Treibstoffe leisten könnte. Algen sind die ältesten Pflanzen unseres Planeten. Für ihr Wachstum benötigen sie Sonnenlicht, CO2, Wasser und Nährstoffe und produzieren daraus mittels Fotosynthese Sauerstoff und Biomasse. Von der auf über 400 000 Arten geschätzten Vielfalt an Algen, die von einoder mehrzelligen Mikroalgen bis hin zu baumgrossen Makroalgen reicht, wird bisher nur ein Bruchteil industriell genutzt. Eingesetzt werden Algen zum  Beispiel zur Gewinnung von pharmazeutischen Wirkstoffen, von Nahrungsergänzungsmitteln, für Kosmetika, aber auch als Futter- und Düngemittel. Ins Rampenlicht gerückt sind Algen in letzter Zeit vor allem, weil sie das Treibhausgas CO2 binden und sich aus ölbildenden Algenarten Biodiesel gewinnen lässt. Während die bisher gebräuchlichen Biotreibstoffe unter anderem wegen der Flächen­ konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion kritisiert werden, sind Algen sehr genügsam: Sie können auf landwirtschaftlich nicht nutzbaren Flächen kultiviert werden, gedeihen auch in Salz- oder Abwasser und produzieren zudem mehr Biomasse und binden mehr CO2 als landwirtschaftliche Kulturen oder Wälder. Die Idee zur Herstellung von Biotreibstoff aus Algen ist nicht neu. Schon 1978 wurden in den USA im Rahmen eines Förderprogramms des Energieministeriums Mikroalgen als erneuerbare Energiequelle für die Biodiesel-Produktion untersucht. Nach Abschluss des Programms 1996 kam man zum Schluss, dass die Nutzung von Algen aufgrund niedriger Rohölpreise und aufwendiger Verfahren zur Kultivierung und Ölextraktion aus der Algenbiomasse nicht rentabel sei. Steigende Ölpreise haben nun aber das Interesse an dieser Technologie wieder geweckt und lassen Gelder in zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte fliessen. So gab Mitte letzten Jahres beispielsweise der Ölkonzern Exxon Mobil bekannt, dass er 600 Mio. Dollar in die Erforschung und Entwicklung von Biotreibstoffen aus Algen investieren wird. Der zunehmende politische Druck zur Reduktion von Treibhausgasen macht Algenkulturen auch für Kraftwerkbetreiber interessant. So gibt es in Deutschland eine ganze Reihe von Pilotprojekten, bei denen Energieversorger mit Forschungsgruppen zusammenarbeiten.

Algendiesel: EnergieaufwEndig und teuer Während man in den USA und in Asien Algen vor allem in offenen Becken züchtet, begann man in Deutschland mit der Entwicklung geschlossener Systeme. Diese Fotobioreaktoren in Form von Röhren (Abb. 1), Schläuchen oder flachen Platten (Abb. 2) aus Glas oder transparentem Kunststoff haben den Vorteil, dass sie aufgrund der grösseren Oberfläche eine deutlich höhere Produktivität aufweisen als offene Becken. Zudem sind die Wachstumsbedingungen besser kontrollierbar. Dafür sind neben den Investitions- auch die Betriebskosten wesentlich höher: Die Algensuppe in den Reaktoren muss mit Dünger und CO2 versorgt und durchmischt und der Sauerstoff muss abgeführt werden. Auch die Ernte der Algen ist aufwendig, da die verwendeten Mikroalgen so klein sind, dass sie nicht sedimentieren und daher herausgefiltert oder zentrifugiert und anschliessend getrocknet werden müssen. Zudem ist die Ausbeute sehr gering – zwischen 0.5 und 3 g Algentrockensubstanz pro Liter.


01

01 Der weltweit grösste Fotobioreaktor besteht aus einem 500 km langen Glasröhrensystem in einem 1.2 ha grossen Gewächshaus. Mit den hier produzierten Algen stellt die Firma «Bioprodukte Prof. Steinberg» im deutschen Klötze Lebensund Nahrungsergänzungsmittel her (Foto: J. Ullmann) 02 Diese Pilotanlage der Subitec GmbH – einem Spin-off des Fraunhofer Instituts für Grenz­ flächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) – in Eutingen-Weitingen (D) ist mit Flachplatten-Airlift-Reaktoren bestückt, die aus zwei Kunststoffhalbschalen bestehen (Foto: Thomas Ernsting)

Anmerkungen 1 L. Lardon et al.: Life-Cycle Assessment of Biodiesel Production from Microalgae. Environmental Science & Technology Vol. 43, No. 17, 2009 2 R. Zah, C.R. Binder, S. Bringezu et al.: TA-SWISS report «Future Perspectives of 2nd Generation Biofuels», erscheint ca. Juni 2010

02

Für die Gewinnung des Algenöls ist ein weiterer Verfahrensschritt notwendig, der aber noch im Forschungsstadium ist. Das Öl kann z.B. durch Abpressen oder durch chemische Extraktion gewonnen werden. Erschwerend kommt bei der Ölproduktion mit Algen hinzu, dass optimale Wachstumsbedingungen zwar zu grossen Mengen an Algenbiomasse führen, allerdings mit geringen Ölgehalten. Denn Öl bilden die Algen als Speichermedium, wenn Stressbedingungen wie Nährstoff- oder Lichtmangel das Zellenwachstum begrenzen. Theoretisch mögliche Ölgehalte von bis zu 70 % sind daher bei schnellem Algenwachstum nicht erreichbar. Eine aktuelle Ökobilanz-Studie1 kommt zum Schluss, dass der Energieaufwand zur Herstellung in der Regel grösser ist als der Energieinhalt des produzierten Treibstoffs. Nur unter Annahme optimaler Bedingungen liegen sie etwa in der gleichen Grössenordnung. Das Hauptproblem liege aber bei den derzeit viel zu hohen Kosten für die Herstellung der Algentreibstoffe, meint Rainer Zah von der Empa, der im Rahmen einer Studie zu Biotreibstoffen2 auch die zukünftige Bedeutung von Algen analysiert. Er schätze daher das Potenzial von Algentreibstoffen in den nächsten 20 Jahren als klein ein. Ute Ackermann vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hält den Anspruch, zum jetzigen Zeitpunkt die Effizienz von Algen zur Treibstoffherstellung zu beurteilen, für verfrüht. Auch die Entwicklung von herkömmlichen Kraftstoffen auf Rohölbasis habe Jahrzehnte in Anspruch genommen. In der Forschung gehe es im Moment vor allem darum, die Algenreaktoren so weiterzuentwickeln, dass möglichst effizient grosse Mengen an Algenbiomasse produziert werden können. Am KIT untersucht man zum Beispiel die Lichtintensitäten im Reaktor, um die Lichtversorgung der Algen optimieren zu können. Die Optimierung der Produktion auf das gewünschte Endprodukt hin – beispielsweise das Algenöl – sei erst der zweite Schritt, den es anzugehen gelte. Im Moment gelinge der Markt­eintritt mit der Algenkultivierung nur bei einer Kaskadennutzung, betont Ackermann. Das heisst, man produziert primär hochpreisige Wirkstoffe beispielsweise für die Pharma-, Kosmetik- oder Nahrungsmittelindustrie und kann die übrigbleibende Algenbiomasse energetisch nutzen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Mittelfristig könnte dies laut Ackermann über die Produktion von Biodiesel geschehen. Einfacher sei momentan die Vergärung der Algen in einer Biogasanlage. Der Kohlenhydrat­ anteil der Biomasse kann aber auch zu Ethanol umgesetzt werden. Bei der Nutzung von Algen zur Bindung von CO2 ist man noch weiter von einem signifikanten Beitrag entfernt als bei den Algentreibstoffen. Da Algen mit hohen CO2-Konzentrationen besser wachsen, lassen sich CO2-Emissionen aus Verbrennungsprozessen, beispielsweise von Kohlekraftwerken, nutzen. Die CO2-Mengen, die von den derzeitigen Algenreaktoren gebunden werden können, sind allerdings relativ gering. Eine der wenigen kommerziellen Anlagen zur Algenkultivierung in Reaktoren, die es bisher gibt, liegt im deutschen Ort Klötze (SachsenAnhalt). Sie ist 1.2 ha gross und kann laut eigenen Angaben unter optimalen Bedingungen 130 t CO2 pro Jahr binden. Deutsche Kohlekraftwerke emittieren demgegenüber je nach Grösse zwischen 2 und 27 Mio. t CO2 pro Jahr. Um die gesamten Emissionen eines solchen Kraftwerks zu binden, müsste man also riesige Flächen mit Algenreaktoren bestücken. Claudia Carle, carle@tec21.ch


24 | Vertikalgrün

TEC21 09 / 2010

Hochwachsende Träume In den nächsten Jahrzehnten wird der Anteil der Bevölkerung in Städten dramatisch steigen. Diese Entwicklung ist Anlass für einige Architektur­ büros, Entwürfe für die urbane Umwelt von morgen zu entwickeln. Die Ansätze verlassen dabei den Rahmen klassischer Stadtplanung. Inspirationen kommen aus der Raumfahrt ebenso wie aus der Graswurzelbewegung. Nach Berechnungen der Uno wird die Erdbevölkerung bis 2050 auf etwa 9.2 Milliarden Menschen wachsen. Der Anteil der Stadtbewohner wird bis zu diesem Zeitpunkt von ca. 50 % im Jahr 2007 bis auf rund 70% ansteigen. Neben globalen Versorgungsfragen stellen sich auch Fragen nach Wohnqualität und Naturnähe der künftigen Städte.

AirTree Das Projekt «AirTree» (Abb. 1) des Architekturbüros Architecture and Vision, München /  Bomarzo, ist eine 8.8 m hohe Skulptur, die das Problem der städtischen Luftverschmutzung behandelt. Wie bei einem echtem Baum tritt die Struktur in einen aktiven Austausch mit der Umwelt. Der Stamm des «AirTree» besteht aus einem Acrylrohr, in dem sich Moosfilter zur Luftfilterung befinden. An den Enden der ausladenden Äste befinden sich Fotovoltaikzellen zur autarken Energieversorgung, unterstützt durch einen dreiflügligen Darrieus-Rotor. Die Umgebungsluft wird 4.8 m über dem Boden angesaugt und zunächst durch einen Filter geleitet, um grössere Partikel zurückzuhalten. Eine elektrische Pumpe im Sockel der Skulptur saugt die vorgereinigte Luft durch die Moosfilter, um den Feinstaub abzuscheiden. Bevor die Luft wieder abgegeben wird, gelangt sie durch einen Wasserfilter, um weitere Schadstoffe (Stick- und Schwefeloxide) zu binden. Im Sommer erzeugt der künstliche Baum einen feinen Wassernebel, um die Luft abzukühlen. Eine Skala aus vertikal angeordneten LED in der Spitze der Struktur informiert über die aktuelle Qualität der Umgebungsluft. Die Architekten Arturo Vittori und Andreas Vogler verstehen ihre Skulptur als aktive Reaktion auf die langjährigen Diskussionen um Luftverschmutzung durch städtischen Auto- und Lastwagenverkehr, die noch immer nicht zu substanziellen Verbesserungen geführt haben. Die Installation verbessert ihre Umgebung aktiv und regt gleichzeitig zur Diskussion an.

pre-cycled architecture Das Projekt «Eco-Pod» (Abb. 2) von Howeler + Yoon Architecture, Boston, und Squared Design Lab, Los Angeles, nutzt die Bauruine des Konkurs gegangenen Kaufhauses Filene’s an der Downtown Crossing in Boston. «Eco-Pod» fungiert als temporäre vertikale Algenfarm und öffentlicher Park. Die eingehängten weissen Wannen dienen als Bioreaktoren (vgl. Artikel «Klein, grün, Hoffnungsträger, S. 22). In den Freiräumen dazwischen entsteht ein System aus öffentlichen hängenden Gärten. Eingebaute Roboterarme übernehmen die Positionierung der Wannen im modularen System, um das Algenwachstum zu verbessern. Die ständigen Umbauten der Struktur sollen zugleich als Leuchtturmprojekt für eine bauliche und wirtschaftliche Wiederbelebung der Innenstadt werben. Neben seiner Funktion als lokale Quelle erneuerbarer Energie dient das Pilotprojekt als Forschungsstation, in der Algenarten, Methoden zur Treibstofferzeugung und der LED-Einsatz zur gezielten Förderung des Algenwachstums getestet werden können. Der zentrale Standort des Projekts ermöglicht der Öffentlichkeit, am Algenwachstum und der Energie­ produktion teilzuhaben. Als ertragbringender Garten wirkt es auch als Informationszentrum und Katalysator für ökologisches Bewusstsein. Sollte die Finanzierung des ursprünglichen Investorenprojekts gesichert sein, können die Einbauten entfernt und anderenorts benutzt werden. Die Architekten beschreiben ihren Ansatz daher selbst als «pre-cycled architecture».


01

02

03

04

Vertical Farming In gestapelten Gewächshäusern (Abb. 3–4) soll sich auch die Landwirtschaft in eine neue Dimension entwickeln. Statt weite Landstriche zur Erzeugung von Nahrungsmitteln zu verwenden, benötigen diese innerstädtischen Farmen nur einen Bruchteil an Fläche. Die Produkte

01 «AirTree»: Energieautarke Baumskulptur, die durch Filterung aktiv zur Luftverbesserung beiträgt (Visualisierung: Architecture and Vision, München / Bomarzo) 02 «EcoPod»: Die Tragstruktur einer Bostoner Bauruine wird zu einer Algenfarm umgenutzt. Greifarme transportieren die Algentanks in die optimale Position (Visualisierung: Howeler + Yoon Architecture, Boston / Squared Design Lab, Los Angeles) 03 «Harvest Green Project»: Über einer unterirdischen Bahnstation stapeln sich ein Lebensmittelmarkt und verschiedene Gewächshausboxen (Visualisierung: Romses Architects, Vancouver) 04 «Vertical Permaculture»: In der Doppelfassade des Wohn- und Farmturms gedeihen ganzjährig Nutzpflanzen in hydroponischer Pflanzenzucht, die Dachflächen dienen dem saisonalen Anbau (Visualisierung: Blake Kurasek, New York)

wachsen direkt bei den Konsumenten und müssen nicht mehr energieintensiv gelagert und transportiert werden. Das Prinzip beruht auf einer möglichst genauen Nachahmung natürlicher Prozesse – speziell der effizienten Wiederverwertung aller organischen Mate­ rialien und einem geschlossenen Wasserkreislauf. Studien der Nasa gehen davon aus, dass man knapp 30 m2 intensiv genutzte Indoorlandwirtschaft benötigt, um einen Menschen täglich mit durchschnittlich 8500 kJ zu versorgen. Ein 30-stöckiges Gewächshaus mit 280 ha Fläche könnte so etwa 10 000 Personen ernähren. Dabei sind neben der Konstruktion, die mit UV-durchlässigen Folien eingepackt wird, Forschungen in etlichen Wissenschaftsbereichen nötig, um das Ziel zu erreichen, auf einem Hektar einer vertikalen Farm bis zu zwanzigmal höhere Erträge zu erzielen als mit herkömmlicher Landwirtschaft – Ganzjahresnutzung, Klima- und Witterungsunabhängigkeit einberechnet. Im Gegenzug können bisherige landwirtschaftliche Flächen brach fallen, sich regenerieren und durch den Bewuchs zu einem effizienten CO2-Speicher entwickeln. Wenn Menschen tatsächlich einmal im Weltraum oder auf dem Mars leben wollen, müssen wir erst einmal auf der Erde lernen, wie wir eine selbsterhaltende künstliche Umwelt schaffen – die bisherigen Biosphärenprojekte haben dieses Ziel jedenfalls bislang nicht erreicht. Alexander Felix, felix@tec21.ch


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.