Urban Essen

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WETTBEWERBE: ERWEITERUNG KUNSTHAUS ZÜRICH MAGAZIN: JUNGER WEIN IN ALTEN SCHLÄUCHEN

URBAN ESSEN KALORIENHERZ DER STADT | SANDWICH MIT GESCHICHTE MARKETINGINSTRUMENT ARCHITEKTUR | ZU REICH FÜR PPP? | NEUE NORMEN GENEHMIGT

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Farbkreis aus Nahrungsmitteln in Anlehnung an Johannes Itten (Bild: Sonja Stummerer und Ludwig Löckinger, A-Wien)

URBAN ESSEN Architektur und Essen haben eine besondere Nähe zueinander. Nicht nur, weil sich Architekten gerne als Genussmenschen geben und die Lust am Gestalten mit der Freude am Kochen verbinden – das waren die ursprünglichen Gedanken für das Konzept des vorliegenden Heftes. Und dann das: Kaum ein Medium, das sich zurzeit nicht dem Thema «Essen» widmet. Während der Vorbereitungen zu dieser Ausgabe sind neben zahlreichen Buchveröffentlichungen ein Sonderheft der Architekturzeitschrift «domus» und eine Ausgabe des Kulturmagazins «Du» mit diesem Titel erschienen. Andererseits sind die Nachrichten voll mit Meldungen über steigende Nahrungsmittelpreise. Als Ursachen werden Gründe wie die steigende Nachfrage in Asien, höhere Erzeugerpreise, die fragwürdige Verwendung von Lebensmitteln zur Ethanolerzeugung und die Börsenspekulation auf weiter steigende Preise angeführt. Die aktuelle Preissteigerung bei Grundnahrungsmitteln, die bei uns vielfach als unangenehme Teuerung wahrgenommen wird, bedeutet in den Entwicklungsländern für viele Menschen, dass sie sich ihr tägliches Brot – oder eben den Reis – kaum mehr leisten können. Laut einem aktuellen UN-Bericht sind über 800 Millionen Menschen weltweit vom Hunger bedroht. In diesem Spannungsfeld zwischen Lifestyle und Existenziellem scheint es zunächst gewagt, sich dem Thema aus dem Blickwinkel einer saturierten, urbanen Gesellschaft zu nähern. Da aber das gemeinsame Essen die Basis aller urbanen Gesellschaften darstellt, haben wir unseren Schwerpunkt genau auf diesen Bereich gelegt: «Kalorienherz der Stadt» zeigt einen knappen Abriss einiger kulturhistorischer, soziologischer und versorgungstechnischer Entwicklungen, die unsere heutigen urbanen Strukturen erst ermöglichten und weiter beeinflussen. Drei Architekturbeispiele zeigen aktuelle Orte gemeinschaftlichen Speisens im städtischen Umfeld: Die neue Mensa des Kirschgarten-Gymnasiums in Basel ist ein Ort, an dem in anspruchsvoll gestaltetem Rahmen heute Schülerinnen und Schüler Grundlagen für ihren künftigen bewussten Umgang mit Nahrung erleben. Im «Magazin» stellen wir die Wiederbelebung der historischen Wiener Viaduktbögen von Otto Wagner und eines Zürcher Gasthauses für Quartierbewohner und Stadttouristen vor als eine gelungene Verbindung von Historie und Globalisierung. Dass es darüber hinaus noch sehr viel mehr interessante Aspekte gibt, die den Rahmen einer Heftausgabe bei weitem sprengen, ist nicht der einzige Ansporn, den The-

5 WETTBEWERBE Erweiterung Kunsthaus Zürich

10 MAGAZIN Junger Wein in alten Schläuchen

16 KALORIENHERZ DER STADT Ein kurzer Denkanstoss: Wie beeinflussen Kalorienversorgung und Urbanität einander? Was können Architektur

Martin Hablesreiter

und Städtebau von der Ernährungswissenschaft, der Lebensmitteltechnologie, der Soziologie und der Kulturgeschichte lernen?

22 SANDWICH MIT GESCHICHTE Andrea Wiegelmann Mit der neuen Mensa für das Kirschgarten-Gymnasium in Basel

haben HHF Architekten einen Ort geschaffen, der die Schüler zum gemeinsamen Essen und Verweilen einlädt.

28 SIA Marketinginstrument Architektur | Zu reich für PPP? | Zwei neue Normen genehmigt

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menbereich künftig weiterzuverfolgen. Hoffentlich macht auch Ihnen dieses Hors d’œuvre Appetit auf mehr...

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Alexander Felix, felix@tec21.ch

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Junger Wein in alten Schläuchen

03 01 Der Gastraum wird dominiert von der Theke aus Zinn (Bild: Urbanoffice, Zürich) 02 Pensionszimmer (Bild: Julian Salinas, Zürich) 03 Grundrisse EG / OG, Mst. 1:400 01

Unvermittelt tauchen im dichten Stadtgewühl immer wieder kleine gastliche Oasen auf. Mit unterschiedlichem Konzept und beinahe gegensätzlichem Charakter erwecken zwei Gastronomie-Projekte in Zürich und Wien beispielhaft historische Bauten zu neuem, urbanem Leben.

Pension mit Schuss (af) Zürich hautnah erleben: Bereits zum

zweiten Mal – nach dem «Kafischnaps» an der Kornhausstrasse – entsteht durch die Kombination aus Quartierbeiz und günstiger Pension mit Secondhand-Designerausstattung ein neuer urbaner Ort in Zürich, der zugleich geschickt betriebliche Synergien nutzt.

Das Gasthaus «Zum Guten Glück» befindet sich im Erdgeschoss eines fünfgeschossigen Wohnhauses aus dem Jahr 1897 an der Ecke Stations- und Weststrasse. Mit dem Plan, das Ladenlokal als Gasthaus zu nutzen, wandten sich die neuen Eigentümer an die Architekten und die Betreiber, die das «Kafischnaps» bereits erfolgreich realisiert hatten. Der Grundriss des zuletzt als Werkstatt und Massagesalon genutzten Erdgeschosses wurde so neuorganisiert, dass zwei unterschiedliche Gasträume entstanden. Das Herzstück bildet eine lang gestreckte Bar aus Zinn im vorderen Nichtraucherbereich, der in hellen Farben gehalten ist. Als Kontrast bietet das zum Hof durchgesteckte Fumoir Hinterzimmeratmosphäre. Für die angeschlossene Pension mit fünf Zimmern wurde die ehemalige Wohnung im ersten Obergeschoss umgebaut. Gebucht wird im Internet, und der Zimmerschlüssel wird an der Bar abgeholt.

Am Bau Beteiligte Bauherrschaft: Stationsstrasse AG, Zürich (Oliver und Michael Baumgartner) Eigentümer: Familie Fetz Architektur: URBANOFFICE, Amsterdam/ Zürich (Daniel Kobel, Madir Shah)

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06 04 + 05 Gasträume OG und EG im Bogen 215 (Bild 04: Chieh-shu Tzou, A-Wien, Bild 05 : Gerhard Wasserbauer, A-Wien) 06 Grundrisse EG/OG, Schnitt AA Mst. 1:750 (Pläne: ten.two, A-Wien) 04

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Schanghai-Küche Am Gürtel

Mit diesen baulichen Massnahmen hat sich ein ehemals braches Zwickelgrundstück in einen ruhigen städtischen Hofraum verwandelt: Zwischen den neu errichteten Gebäudeflügeln liegen weitere, beschauliche Lokale, und der Verkehrslärm ist nur noch als ein fernes Rauschen wahrnehmbar. In zwei der Viaduktbögen, die in ihrer Sichtziegelästhetik fast römisch anmuten, hat das Wiener Architektur- und Designbüro ten.two ein Restaurant eingerichtet, das in reduziertem Ambiente und mit authentischer Schanghai-Küche auf regen Zustrom hofft, etwa aus der nahen Wirtschaftsuniversität. Das Thema «Schanghai» wird in zwei Lichtinstallationen, die aus 1.1 m langen, grossteils U-förmigen Neonröhren zusammengesetzt sind, aufgegriffen. Sie verbinden beide Ebenen des Restaurants zu einer Einheit und spiegeln sich da und dort im Raum. «Dadurch entsteht eine kühle und urbane Stimmung, die an das pulsierende asiatische Grossstadtleben erinnert», so der Architekt Chieh-shu Tzou. Der gebürtige Taiwanese, der bereits zwei weitere Lokale in Wien realisierte, hat für das «Neon» mit Maria Prieto Barea auch das Geschirr entworfen sowie das grafische Erscheinungsbild von Logo und Speisekarte entwickelt. Dem signifi-

In den denkmalgeschützten Viaduktbögen von Otto Wagner im verkehrsumtosten Wiener-Gürtel-Dreieck hat das «Neon Restaurant» einen überraschend oasenhaften Standort gefunden. Die raumbestimmende Lichtinstallation spielt mit dem Bild einer pulsierenden asiatischen Grossstadt. Der Westgürtel in Wien ist ein beispielhafter Knotenpunkt grossstädtischen Lebens, wenn sich in schwindelnden Höhen kreuzende Verkehrsschleifen als ein Indikator für Urbanität gelten. Auf den ersten Blick mag es abwegig erscheinen, gerade in einem so unwirtlichen Umfeld ein Restaurant zu eröffnen. Nach der Stilllegung der Bahnlinie auf dem Heiligenstädter Ast in Wien Döbling waren die denkmalgeschützten Viaduktbögen, die an dieser Stelle eine Höhe von rund 11 m aufweisen, aufgrund hoher Sanierungskosten vom Abriss bedroht. 2002 wurde auf einem zuvor unzugänglichen Restgrundstück zwischen den Bahntrassen ein Bürokomplex errichtet, der diesem bislang abgetrennten Stadtgebiet neue Impulse geben sollte. Zusätzlich stellt eine Fussgänger- und Radfahrerbrücke eine geschützte Verbindung zwischen zwei bislang getrennten Stadtbezirken her.

kanten Pink der Lichtinstallation steht auf zwei miteinander verschränkten Ebenen (plus Plateau) eine schlichte Raumgestaltung gegenüber, die sich in ihrer Materialität auf Sichtbeton, Chromstahl und Streckmetall beschränkt, um die Präsenz des alten Mauerwerks nicht zu schmälern. Die technische Infrastruktur ist im hohen Ziegelgewölbe des Viadukts offen verlegt. Das herbe Ambiente, in dem die verkehrstechnische Herkunft des Gewölberaums spürbar bleibt, verträgt sich aber mit der Feinheit der Speisen, die in offener Küche stets frisch vor den Augen der Gäste zubereitet werden. Gabriele Kaiser, Architekturzentrum Wien kaiser@azw.at

Am Bau Beteiligte Bauherrschaft: Zhi-shi Chen, Wien Architektur: ten.two, Wien Chieh-shu Tzou, Gregorio Santamaria Mitarbeit: Conrad Kroencke, Maria Prieto Barea


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KALORIENHERZ DER STADT Titelbild «Fuji Onion Omelette»: In seinem Projekt «Sponsored Food» entwirft Marti Guixe die Idee von Restaurants, in denen jeder kostenlos essen könnte (Bild: Imagekontainer, D-Berlin)

01 Ein palästinensischer Bäcker arbeitet fast wie vor 2000 Jahren an seinem Holzofen (Bild: KEYSTONE/CAMERA PRESS/Mustafa Hassona) 02 Nahrung und Architektur sind über alle Zeiten eng verknüpft: Der Getreidespeicher, den Wayss & Freytag 1908 in Worms errichteten, erinnert mit seinem Rustika-Mauerwerk, den Säulen, kapitellartigen Klammern und einem Giebel an einen antiken Tempel (Bild: Reyner Banham: A Concrete Atlantis – U.S. Industrial Building and European Modern Architecture. MIT Press, Cambridge Massachusetts 1989)

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Die Stadt besteht nicht aus Architektur allein. Ohne eine ausreichende Kalorienversorgung sind Städte und Urbanität nicht denkbar. Das Essen prägt wesentlich die Stadtgestalt – mit Bauten für die Aufbereitung und Verteilung der Nahrung, vor allem aber, weil das Essen immer und überall als Kultur verstanden und entsprechend architektonisch inszeniert, gestaltet und überhöht wurde. Ein historischer Abriss zur Beziehung zwischen Essen, Kultur und Stadt. Der kreative Umgang mit Essbarem ist wahrscheinlich ebenso alt wie der Drang des Menschen, Kunst zu schaffen. Allerdings wird im Gegensatz zum Kunstwerk die Nahrung aufgegessen und taugt nicht als bleibendes Zeugnis der Menschheitsgeschichte (vgl. Bild 2). Dennoch hat der gestalterische Umgang mit lebenserhaltenden Kalorien die Entwicklung der Menschheit massiv beeinflusst. Sowohl kulturelle Faktoren als auch pragmatische Denkweisen bei der Nahrungsgestaltung spielten und spielen eine entscheidende Rolle bei der Evolution. Der Paläoanthropologe Richard Leakey schrieb dazu: «Zwar enthielt die Kost der Hominiden mehr Fleisch als die ihrer nichthominiden Verwandten, (…) aber die entscheidende Abweichung war die ganz neue Verhaltensweise, Nahrung zu suchen, um sie erst später zu verzehren, sowie der Verzehr in der Gruppe. Die unmittelbare


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Konsequenz einer solchen Ordnung dürfte gewesen sein, dass die bereits unter den höheren Primaten wohlentwickelten sozialen Wechselbeziehungen noch weiter verstärkt wurden.»2 Die Ernährung wird vom Menschen als kultureller Akt begriffen, der Hierarchien festlegt, den Jahresablauf strukturiert und Gemeinschaften eine Identität verschafft. Der Schritt von der individuellen «Hand in den Mund» zum zivilisierten Erzeugen und Aufteilen war eine bahnbrechende kulturelle Leistung: Erst das Wissen und die Fähigkeit, Nahrung zu produzieren, zu lagern, zu transportieren und zu verteilen, führte in der neolithischen Revolution zum Sesshaftwerden der Menschen, zum Bau fester Gebäude (Speicher), zur Entwicklung grösserer Gemeinschaften und letztlich zur Entstehung von Städten.

DIE KULTUR DER ERNÄHRUNG ALS URBANER FAKTOR

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DEIPNOSOPHISTAI – DAS GELEHRTENMAHL «Als noch Kannibalismus und zahlreiche andere Übel herrschten, trat ein gewisser – und alles andere als törichter – Mann auf den Plan, der als erster dazu überging, das Opferfleisch zu rösten. Und weil es um so vieles besser als (rohes) Menschenfleisch schmeckte, liess man davon ab, einander zu verspeisen, und bereitete fortan die geopferten Tiere auf ebendiese Weise zu. Durch die genussvolle Erfahrung belehrt, experimentierte man weiter und kam zur Kochkunst. (...) Nachdem eine gewisse Zeit verstrichen war, gelang schliesslich die Entdeckung des Wurstens. Sein Erfinder kochte ein Zicklein, zerlegte es, setzte eine Süssspeise, dann, dem Auge nicht sichtbar, mit viel Geschick einen Fisch zu und rundete das Ganze zum Schluss mit Zugaben von Gemüsen, reichlich gepökeltem Fisch, Grütze und Honig ab. Und als alle auch aufgehört hatten, das Fleisch der verstorbenen Menschen zu essen, verstärkte sich in ihnen, der Genüsse wegen, von denen ich spreche, der Wunsch zusammenzuleben, so dass alsbald die ersten Lokalgemeinschaften, dann – alles, wie gesagt, infolge der Kochkunst! – ganze Städte entstanden.»1 Athenaios, griechischer Schriftsteller im 3. Jh. n. Chr., über die untrennbare Verbindung von Nahrungsmittelversorgung und Urbanität

Die Formen und Arten der Ernährung definieren seit je den kulturellen Zusammenhalt urbanen Lebens. Bis heute werden beispielsweise zu bestimmten Anlässen Feste mit speziellen Speisen gefeiert. Bis heute entnehmen Gemeinschaften einen Teil ihrer Identität ihren Nahrungsvorlieben und grenzen sich damit bewusst von anderen Kulturen ab. Dazu zählen religiöse Tabus und Vorschriften genauso wie der Ekel gegenüber fremden Ernährungsformen. Damit gleicht die Art der Ernährung der metaphorischen Bedeutung von Architektur, ist doch die gebaute Stadt ein kultureller Ausdruck des Zusammenlebens. Auch die formale Sprache einer Stadt und ihrer Gebäude vermittelt Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Sowohl das architektonische Erscheinungsbild als auch die rituelle Auseinandersetzung mit dem Stadtraum, etwa in Form von Festen oder Prozessionen, verhelfen der urbanen Gemeinschaft zu einer spezifischen Identität und einer kulturellen Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Hierarchie und soziale Ordnung werden mit Hilfe von Architektur und Stadtplanung immer wieder manifestiert. Kirchen und Kathedralen gehören zu den bedeutsamsten Bauten Europas und sind ein essenzieller Bestandteil städtischer Identität. Sie markieren die städtischen Zentren und erfüllen – aus kulturanthropologischer Sicht – die Funktion eines «rituellen Restaurants»: Das von Athenaios angesprochene Menschenopfer (vgl. Kasten) findet noch immer symbolisch in Form der christlichen Liturgie statt. Die Teilnehmer von Messen teilen und verspeisen gemeinsam den Leib ihres Religionsgründers und trinken sein Blut. Die Kirchenarchitektur, die einen für die Elemente der Liturgie zweckdienlichen Raum schafft und diese gleichzeitig inszeniert und überhöht, ist das Resultat einer kultischen Handlung, die direkt mit der gemeinsamen Aufnahme von Nahrung zusammenhängt. Doch selbst im mittlerweile atheistisch geprägten kapitalistischen Europa treten identitätsstiftende Architektur und Nahrungsgestaltung in trauter Gemeinsamkeit auf den Plan. Nicht allein die Gesellschaften, sondern ganze Städte definieren sich über die Nahrung, wie etwa die sogenannten «Spezialitätenküchen» zeigen. Speziell gestaltete Esswaren wie das Wiener Schnitzel oder Zürcher Geschnetzeltes sind vergleichbar mit Wappentieren oder den gebauten Wahrzeichen der Städte. Auch das jeweilige Sortiment an Essbarem, an Zutaten, Gerichten und Geschmäckern gehört zum Aufputz städtischer Gesellschaften, wie Kathedralen, Gräber und andere Architekturen. Davon abgesehen ist es guter urbaner Ton, mit einer Überfülle an Esswaren und deren Gestaltungsmöglichkeiten zu protzen. Während Brüssel, Turin oder Zürich berühmt sind für ihre Schokoladenvariationen, sind in Wien die «disneyeske» Darbietung von Nahrung auf dem Naschmarkt oder das Schaufenster des Hofzuckerbäckers Demel, wo in kurios-dekadenter Gestaltungswut alle nur erdenklichen Formen aus Zuckerwerk nachgestellt werden, bedeutende Delikatessenattraktionen. Gemeinschaften grenzen sich durch Vorlieben und Abneigungen bei der Aufnahme von Nahrung ab. Dieser kulturelle Faktor definiert auch einen entscheidenden Teil pragmatischer, urbaner Infrastruktur: So verlangt etwa das hinduistisch geprägte Chennai im Süden Indiens nach perfekter Distribution verschiedenster Gemüse und vegetarischer Gerichte, während das Kalorienherz Tokios der weltgrösste Fischmarkt in Tsukiji ist und multiethnische Städte wie London oder New York möglichst grosse Nahrungsvielfalt bieten müssen. Die logistischen Anforderungen an die Infrastruktur dieser Metropolen sind enorm in Anbetracht des


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Bedarfs an biologischer, koscherer, geschächteter oder vegetarischer Nahrung. Das Essen muss zu städtischen Verteilerposten geliefert, gelagert, gekühlt, verteilt, zubereitet und endlich in entsprechender Form und passendem Rahmen verzehrt werden. Erst das gezielte Zusammenspiel von Architektur und Nahrungsangebot in gestalteten Zonen vermittelt die Identität einer Stadt. Dabei sind sowohl Versorgung (Märkte, Kleinhandel, Supermarkt) als auch Konsumation (Wohnung, Restaurant, Take-away) essenzieller Bestandteil der räumlichen Struktur und des gesellschaftlichen Wertekodex. So sind heute die Versorgungszonen im städtischen Gefüge – ursprünglich übel riechende Areale voller Logistik, Schweiss und Blut – viel besuchte Touristenattraktionen.

STÄDTISCHE VERSORGUNG IN DER ANTIKE

03 Geschäftige Marktidylle auf dem Campo de’ Fiori in Rom (Bild: KEYSTONE/CAMERA PRESS/Anton Dijkgraaf) 04 Auf dem weltgrössten Fischmarkt Tsukiji in Tokio werden täglich etwa 2500 t Fisch gehandelt (Bild: Judit Solt)

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Die Gründungen der ersten nichtbäuerlichen Gesellschaften in Babylon oder Theben waren erst möglich, als man die Logistik der Versorgung im Griff hatte. Ehe an die Errichtung architektonischer Wunder in Mesopotamien und Ägypten gedacht werden konnte, musste die organisierte, «industrialisierte» Herstellung von Brot und Bier zur Versorgung einer grossen Zahl von Bauarbeitern und Stadtbewohnern gelöst sein. Später entfaltete sich auch die Macht Roms und Konstantinopels unter anderem dank ihrer perfekten Versorgung. Im alten Rom waren die Stadtverwaltung und unzählige «Take-away»Restaurants für die Ernährung der Bevölkerung verantwortlich, da nur wenige, sehr reiche Haushalte überhaupt über eigene Küchen verfügten. Die Auswirkungen auf das damalige Stadtbild und die urbane Struktur sind leider noch unzureichend erforscht. Kulturhistorisch werden heute die «Circenses» in Form der Kolosseumsruine als Denkmal verehrt, doch ohne «Panem» wäre Rom in sozialem Unfrieden untergegangen. Zweitausend Jahre vor der


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Erfindung von Kühlschrank, Supermarkt und Lastwagen waren die Römer in der Lage, ihre Millionenstadt und eine schlagkräftige Armee ausreichend zu ernähren. Während der Frühphase des Römischen Reichs belieferte Sizilien die Hauptstadt mit lebensnotwendigem Korn, bis Ägypten erobert und zur Kornkammer des Reichs wurde. Riesige Mengen an Weizen wurden nach Ostia verschifft, dort in Lagerhäusern gelagert, in zentralen Herstellungsbetrieben zu Brot verarbeitet, das gratis an die Bevölkerung verteilt wurde. Erst die Unterbrechung der «Lebensader» Ostia–Rom ermöglichte den Germanen die Eroberung der Ewigen Stadt.

ESSEN IM MITTELALTER Auf den Untergang des Römischen Reichs folgte ein langer Dämmerschlaf der europäischen Städte. Vergleichsweise kleine, stark befestigte Orte dominierten für Jahrhunderte das urbane Erscheinungsbild des Kontinents, und sie wurden auch anders versorgt als die antiken Vorgänger. Im ausgehenden Mittelalter regten sich ausserdem erste Formen des Kapitalismus, und daraus resultierten soziale Strukturierungen des Stadtraums: Die Lebensmittel wurden von den Bauern der Umgebung auf sogenannten Wochenmärkten angeboten, die nach ihrem Angebot getrennt waren. Die Segregation in Fleisch-, Gemüse-, Wildbretoder Fischmärkte definierte das Erscheinungs- und Geruchsbild städtischer Zonen und legte damit auch Hierarchien fest. So ist es beispielsweise kein Zufall, dass das westwindexponierte Wien seine fleischverarbeitenden Betriebe im äussersten Osten der Stadt ansiedelte und sich ein bis heute existierendes soziales West-Ost-Gefälle ausbildete, da sich wohlhabende Familien nicht in der Nähe «bäuerlichen Pöbels» oder «riechender Fleischergesellen» niederliessen. Im Unterschied zur Antike wurde im Mittelalter zu Hause gegessen. Die mittelalterliche Lebensgemeinschaft, bestehend aus Familie, Gesellen und

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Dienstboten, hatte den Ort ihres Zusammenhalts am gemeinsamen Esstisch, die Aufgabe der Verköstigung oblag der Hausfrau oder den Mägden. Erst die industrielle Revolution erschütterte dieses System aus kleinen Versorgungsgemeinschaften.

INDUSTRIELLE REVOLUTION Das drastische Wachstum der Städte, der schnelle Zuzug tausender Industriearbeiter und die Notwendigkeit, zur Sicherung des Überlebens alle Familienmitglieder in die Fabrik zu schicken, provozierten neuartige Formen der Ernährung. Eine Arbeiterfamilie konnte sich wegen der extrem niedrigen Löhne die kochende Frau am Herd schlichtweg nicht leisten. Kantinen existierten zunächst kaum und boten kaum ausreichend Nahrung an. Auf diese Situation reagierten erfindungsreiche und geschäftstüchtige Männer wie Justus von Liebig,

05 In der Gefriertrocknungsanlage wird Kaffee bei minus 50°C schockgefroren und danach im Unterdruck getrocknet (Bild: KEYSTONE/BILDERBERG/Peter Ginter) 06 TV-Dinner wurde 1953 in den USA erfunden. Das Original bestand aus Truthahnfleisch, Mais, Erbsen und Süsskartoffeln, verpackt in einer Aluminiumschale, wie sie im Flugzeug bereits üblich war (Bild: KEYSTONE/Everett Collection)

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Julius Maggi und Henry Nestlé. Liebig kreierte den Fleischextrakt, eine stärkende Nahrung für die Massen. Maggi erfand gemeinsam mit dem Arzt Fridolin Schuler Methoden zur kostengünstigen, industriellen Herstellung nahrhafter Hülsenfruchtgerichte für Fabrikarbeiter und prägte den Spruch: «Wer schneller arbeitet, muss auch schneller essen.» Henry Nestlé nutzte Liebigs Analyse der Muttermilch und entwickelte daraus unter dem Namen «Henri Nestlés Kindermehl» das Milchpulver. Diese drei Produkte stehen exemplarisch für die radikale Industrialisierung der Nahrungsmittelversorgung. In und um Chicago entstanden zu dieser Zeit riesige, nach industriellen Gesichtspunkten funktionierende Schlachthöfe, die den Fleischbedarf der US-Metropolen decken konnten. Dort, und nicht in Henry Fords Autofabrik, haben die ersten Fliessbänder ihre Arbeit aufgenommen. Nestlé und seine Kollegen ermöglichten die Versorgung der arbeitenden Massen und erreichten damit wiederum die Vergrösserung von Industrie und Metropole. Billigst herge-


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stellte Nahrung, die obendrein kaum Kochaufwand erforderte, und effiziente Kalorienproduktion sicherten das wirtschaftliche und das urbane Wachstum. Notwendig war auch die Entwicklung von Gerichten, die in die Fabrik mitgebracht und dort einfach verzehrt werden konnten. Die heutigen Snacks und Fertiggerichte sind eine Spätfolge der Ernährungssituation in der frühen Industriegesellschaft. Fastfood ist deshalb in früh und stark industrialisierten Ländern wie England oder Deutschland tiefer verwurzelt als in Ländern wie Österreich und der Schweiz, wo ländliche und industrielle Lebensformen länger nebeneinander oder in Mischformen existierten und deshalb lokale Kochtraditionen stärker erhalten bleiben konnten. Arbeiter und Angestellte wohnten nicht mehr bei ihren Arbeitgebern, sondern in der eigenen 06

Wohnung. Der Trend zum Kleinfamilienhaushalt setzte sich im 20. Jahrhundert fort und prägte die weitere städtebauliche Entwicklung und die Ausgestaltung der Ernährungskultur. Die Erfindung des Kühlschranks erlaubte es, nicht mehr täglich einkaufen zu müssen. Da damit eine direkte Nähe zu Nahrungsquellen wie Märkten oder Läden nicht mehr entscheidend war, wuchsen die Distanzen zwischen Versorgern und Haushalten. So erlaubte der Kühlschrank die räumliche Ausbreitung der Städte. Der Kühlschrank, neue Konservier- und Lagermethoden, die Entwicklung des Autos und schliesslich die Einführung des Supermarktes als umfassender Nahversorger für motorisierte Kunden mündeten in der Ausbildung riesiger, suburbaner Ansammlungen von Einfamilienhäusern. Schlossen sich einst Menschen zu engen städtischen Räumen zusammen, um mit kurzen Wegen die Effizienz zu steigern, so erlaubte nun modernes Food Design eine distanzierte Behausungsform – eine «antidichte» Stadt.

WAS BRINGT DIE ZUKUNFT?

AUSTELLUNG / BUCH / FILM «food design – von der Funktion zum Genuss». Ausstellung Herbst 2008 in Dornbirn und Anfang 2009 in Brüssel Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter: «food design – von der Funktion zum Genuss». Springer Wien / New York 2005, 90 Fr., ISBN 978-3-21123512-6 «Food Design – der Film». Regie: Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter; Produktion: Nikolaus Geyrhalter Film, Koproduktion: u.a. ARTE, ORF. Fernsehausstrahlung im Herbst 2008

Trotz all diesen Zusammenhängen scheint sich die westliche Gesellschaft kaum für die Versorgung mit Nahrung zu interessieren. Architekten reden zwar gern übers Kochen und lieben schicke Restaurants, planen aber immer noch häufig Küchen wie in den 1950erJahren und schreiben bei städtebaulichen Planungen lediglich das Stichwort «Nahversorger» in den bunten Plan. Beinahe unbemerkt beeinflusst unterdessen der Lebensmittelhandel als Verteiler von Food Design Alltag und Lebensstil. Kaum wahrgenommen arbeiten Entwicklungsabteilungen von Nahrungsmittelkonzernen an perfekt angepassten Essensformen für alle nur denkbaren Lebenssituationen. Möglicherweise werden in nicht allzu ferner Zukunft Lebensmittel in Tanks an den Stadträndern gezüchtet. Schon heute spricht die Industrie von «taylor made food», von Produkten etwa, deren Bestandteile auf Wunsch des Konsumenten im Supermarkt maschinell gemixt werden, nach dem Motto: «Ich hätte gerne ein Joghurt mit 1.5 % Fett, 25 Erdbeerstückchen, 5 Mandeln, 1 Gramm Vanille und Crèmigkeitsfaktor 5.» Parallel dazu entwickelt sich das Internetshopping. Einige der erwähnten Entwicklungen gehen sicher weiter, doch gibt es auch Gegentrends: Die fortschreitende Industrialisierung der Produktion (mit hors-sol, also bodenunabhängig produzierter Nahrung und Functional Food) wird von einem neuen Interesse für biologischen Anbau und traditionelle Sorten begleitet; der Globalisierung der Nahrungsmittelversorgung steht ein neues Interesse an lokalen Küchentraditionen gegenüber. Auch die Individualisierung geht weiter, doch die steigende Zahl Einpersonenhaushalte in unseren Städten – diese Prognose darf man wohl mit einiger Sicherheit wagen – wird die soziale Tradition einer urbanen Gastrokultur nicht gefährden, eher im Gegenteil. Was immer sich durchsetzen wird: Jede Situation, in der gegessen wird, ist direkt oder indirekt mit Architektur, Städtebau und Produktdesign verbunden. Es ist die Aufgabe der Architekturschaffenden, Ausdrucksformen für die Versorgung, Herstellung und den Verzehr von Nahrung zu gestalten. Martin Hablesreiter, Architekt und Autor, honey & bunny productions, A-Wien, hables74@aon.at

Anmerkungen 1 Claus Friedrich: Athenaios. Das Gelehrtenmahl. Anton Hiersemann Verlag, Stuttgart, 1998 2 Richard Leakey: Die Suche nach dem Menschen. Umschau-Verlag, Frankfurt a. M., 1981, S. 94


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SANDWICH MIT GESCHICHTE Vieles verbindet die Disziplinen Kochen und Bauen: Der Einbau der neuen Mensa des Basler Kirschgarten-Gymnasiums in eine bislang wenig attraktive Wandelhalle des denkmalgeschützten Schulhauses von Hans Bernoulli zeigt, dass die Zutaten einfach sein können, wichtig sind der gekonnte Umgang und eine sorgfältige Verarbeitung. Die Architektur erinnert an eine trendige Kaffebar und lässt keine Assoziationen zu herkömmlichen Kantinenräumen aufkommen.

AM BAU BETEILIGTE Bauherrschaft: Immobilien Basel-Stadt, vertreten durch das Baudepartement des Kantons Basel-Stadt, Hochbau- und Planungsamt Architektur: HHF architekten, Basel Bauingenieur: Ingenieur-Büro Hans-Peter Frei, Basel Künstlerische Beratung: Gido Wiederkehr, Basel

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Sandwiches, ob vom Bäcker oder von zu Hause mitgebracht, Obst und Schokolade, gegessen auf den Fluren, dem Pausenhof, manchmal im Klassenraum, zwischen den Stunden – alles keine Situationen, die wir uns zum Essen aussuchen. Im KirschgartenGymnasium ist jetzt alles anders: Es gibt eine Mensa, deren grosszügige Glasfront sich zum Pausenhof öffnet und deren Sitzstufen zum Verweilen in der Sonne einladen. Der in hellen Tönen gehaltene Innenraum bildet einen zurückhaltenden Rahmen nicht nur während der Pausen.

DIE NEUE MENSA Das denkmalgeschützte Schulhaus, das die Basler Architekten Hans Bernoulli, Ernst Mumenthaler und Otto Meier im Jahr 1957 mit einer Fassade aus vorgefertigten Beton-


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elementen errichteten, liegt zwischen der Basler Innenstadt und dem Schweizer Bahnhof in der Aeschenvorstadt. Die Versorgung mit Zwischenmahlzeiten vom Bäcker oder mit Fastfood ist also für die Schüler relativ einfach. Dennoch wurde mit der Verkürzung der Wochenschulzeit von sechs auf fünf Tage für das Kirschgarten-Gymnasium und die angrenzende De-Wette-Schule eine gemeinsame Mensa eingerichtet, um den Schülerinnen und Schülern eine nahe und gesunde Alternative zu bieten. Nach dem Wunsch der Bauherrschaft sollte der Neubau nicht nur der Verpflegung dienen, sondern gleichzeitig einen Aufenthaltsbereich für die Schüler schaffen, da bisher ein entsprechendes Angebot fehlte. Auch der Pausenhof, der durch die drei Flügel des Schulbaus, die sich U-förmig um ihn legen, und die stirnseitig anschliessende Wandelhalle 02

eingefasst ist, konnte dies nicht bieten. Neben einer ansprechenden Platzgestaltung fehlte es vor allem an Sitzgelegenheiten. So lag es nahe, dass sich für die Architekten beim Neu- bzw. Umbau die Frage der Aufenthaltsqualität zu einem zentralen Thema ihres Entwurfs entwickelte. Es war ihnen wichtig, einen Ort zu schaffen, der Atmosphäre bietet und den die SchülerInnen für sich beanspruchen können – nicht nur, um Hausaufgaben zu erledigen, sondern gerade auch für ein zwangloses Zusammentreffen. Auflage der Schulbehörde war, dass die Mensa für die Schüler beider Schulen gut zugänglich ist. So entschied man sich für den zentralen Standort in der Wandelhalle, die den Pausenhof zur Eingangsseite abschliesst, auch wenn damit kein Neubau möglich wurde. Stattdessen war die knifflige Aufgabe zu lösen, die Mensa in einen denkmalgeschützten Gebäudeteil zu integrieren, dessen Substanz nicht beschädigt werden durfte. Die Architekten machten aus der Not eine Tugend und nutzten die bestehende Tragstruktur aus Stahlbetonstützen als Ausgangspunkt für ihren Entwurf.

01 Der Mensaeinbau greift zwischen den hofseitigen Betonstützen der ehemaligen Wandelhalle als Sonnenschutz und als Terrasse mit Sitzstufen in den Pausenhof hinaus. Die alten Sitzbänke werden um den Brunnen neu gruppiert (Bild: Tom Bisig, Basel) 02 Modell 03–04 Grundriss und Schnitt, Mst. 1:400 A Wandelhalle (Bestand) B Windfang C Saal D Küche E Pausenhof (Bilder: HHF architekten, Basel)

DER AUSBAU – DAS ARRANGEMENT In der ehemaligen Wandelhalle spannt der reversible Einbau vom Boden zur Decke, ohne die rückwärtige Bestandswand zu tangieren. Die Innenverkleidung zieht sich in Bändern von der Rückwand bis zur verglasten Front, die den Raum zum Pausenhof öffnet. Die Bänder bilden aber nicht nur die Innenhülle, sie ziehen sich über die ganze Länge des Einbaus und strukturieren ihn. Gleichzeitig löst sich dieses Gestaltungselement von der vorhandenen Baustruktur und bildet im ersten und in den letzten drei Feldern zur bestehenden Betonwand Zwischenräume aus, in denen Windfang und Küche untergebracht sind. Aus den Bändern heraus entwickeln sich Sitzbänke, der Küchenblock sowie Ablageflächen – weitere Einbauten werden damit überflüssig. Zusätzlich sind Schallschutzelemente und Leuchten integriert, die das Gefüge mit einem eigenen Rhythmus überlagern.

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Die Elemente sind in fünf Breiten eingebaut und bestehen aus unterschiedlichen Holzwerkstoffplatten: Während die Übergänge von Boden zu Wand bzw. Wand zu Decke durch Formholzteile mit Standardradien gestaltet sind, bestehen die geraden Wandelemente aus gespritzten MDF-Platten. Die Sitzbänke sind in Sperrholz ausgeführt, die perforierten Akustikelemente aus Tannenholz mit dahinter liegenden Holzfaserplatten. Das Farbkonzept aus drei minimal unterschiedlichen Farbtönen wurde in Zusammenarbeit mit dem Künstler Gido Wiederkehr entwickelt: Ein warmgrauer Grundton wechselt mit zwei Aufhellungsstufen zwischen den Elementen. Die so changierende Wandverkleidung geht optisch fast übergangslos in den hellen Bodenbelag über, einen abgeschliffenen und versiegelten Anhydritmörtel. Auch die alten Betonstützen und -träger verschwinden hinter Aluminiumverkleidungen, die im gleichen Grundton gehalten sind.

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05 Schnitt, Mst. 1:50 A Deckenaufbau: Betondecke (Bestand); Tragrost 2 × 60 mm, dazwischen Isolation; Dampfsperre; Installationsebene; Holztäfer MDF lackiert 16 mm B Wandaufbau Saal: Akustikelement 60 mm aus Leisten Weisstanne lasiert, dahinter Holzfaserplatte; Lattung konisch; Dampfsperre; Konterlattung 40/40 mm, dazwischen Wärmedämmung; Ständer 120/60 mm ohne Rückverankerung, dazwischen Wärmedämmung; Trennlage (Windpapier); Betonelement (Bestand) C Glasschiebetür in Aluminiumrahmen, elektrisch gesteuert über Bodentaster D Einbaumöbel, Sperrholz Polyurethan beschichtet 16 mm E Verkleidung Aluminium 3 mm E Betonstütze (Bestand) F Bodenaufbau Saal: Anhydrit-Fliessmörtel, weiss eingefärbt, Oberfläche geschliffen, 60 mm; Trennlage; Wärmedämmung 80 mm; Trennlage; Ausgleichsschüttung; Betonplatte im Gefälle (Bestand) G Lärche 27mm auf Metallunterkonstruktion (Bild: MMF architekten, Basel) 06 Hocker und Aufenthaltsqualität bedeuten für die Schüler noch keinen Gegensatz (Bild: Tom Bisig, Basel) 07 Holzstufen ergänzen das Sitzplatzangebot auf dem Pausenhof (Bild: Andri Pol, Basel)

Den farblichen Kontrapunkt zur hellen Umgebung bildet die dunkle Möblierung, die ebenfalls von den Architekten entworfen ist. Der Verzicht auf typisches Schulmobiliar unterstützt den eleganten Charakter der neue Mensa. Alle Möbel sind aus massivem, geräuchertem Akazienholz gefertigt und damit unempfindlich für Kratzer und robust gegenüber der ständigen Beanspruchung. Die Hocker mit ihren trapezförmigen Sitzflächen sind stapelbar, sie können sowohl einzeln benutzt als auch zu Bänken zusammengestellt werden. Bei Bedarf lassen sie sich unter den Tischen verstauen, die selbst klappbar sind. Den thermischen Raumabschluss zum Pausenhof bildet eine grossformatige Verglasung, die gleichzeitig innen und aussen miteinander verbindet. Sie leitet in eine Freitreppe über, die den Niveauunterschied zwischen Halle und Hof ausgleicht und den SchülerInnen Raum bietet für zwangloses Zusammentreffen, auch dann, wenn sie nicht zum Essen kommen. Um den Brunnen im Pausenhof haben die Architekten die alten Bänke aus der Wandelhalle gruppiert. Mit diesen simplen Massnahmen ist es ihnen gelungen, den Hof nicht nur zu fassen, sondern ihm darüber hinaus Aufenthaltsqualitäten zu geben.

GUTER GESCHMACK Bereits bei dem Projekt «Choco Loco», einer Schokoladenconfiserie am Spalenberg in Basel, haben die Architekten das Thema Genuss in Architektur übersetzt. Die Materialität des Ausbaus, die Farbigkeit, vor allem aber die Form bilden dort gleich einer exquisiten Pralinenverpackung den Rahmen für die Präsentation der süssen Köstlichkeiten. Auch die Mensa des Kirschgartengymnasiums entwickelt ein ganz eigenes Gesicht: Ebenso schlicht und unaufdringlich, wie sich die Architektur präsentiert, ist auch das Speisekonzept der Betreiber. Die Mensa ist während der Schulzeit von 9 bis 14 Uhr geöffnet. Ein Koch sorgt nun eigens für die immer frische Verköstigung der Schüler, die zwischen 11 und 14 Uhr mittagessen können. Um die 120 bis 150 Essen werden täglich zubereitet, warme Gerichte ebenso wie Salate. In der restlichen Zeit sind Snacks und Sandwiches sowie Getränke erhältlich. Ausserdem dürfen die Schüler auch ihre von zu Hause mitgebrachte Verpflegung in der Mensa konsumieren, nicht jedoch Produkte aus anderen Läden. Die Betreiber, Gastronomie Parterre, führen in Basel bereits zwei Restaurants, die für ihre gute Küche bekannt sind. Sie haben auch für die Mensa des Kirschgartengymnasiums entsprechende Ambitionen und setzen auf eine gesunde, frische Küche. Andrea Wiegelmann, Architektin und Architekturjournalistin, Basel, awiegelmann@gmx.de


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