Revision der Norm SIA 118

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WETTBEWERBE: EINGANGSBEREICH INSELSPITAL, BERN MAGAZIN: DER ARCHITEKT MIT DEN HANDSCHUHEN

REVISION NORM SIA 118

2000 JAHRE WERKVERTRAG | INTERVIEWS MIT ROLAND HÜRLIMANN UND RENZO SIMONI

SIA: NORM 118 – GESCHICHTE UND REVISION | VAKANZEN KOMMISSION GEOTECHNIK

MIT SIA-FORM FORT- UND WEITERBILDUNG

NR. 5-6

25. JANUAR 2013


Editorial | inhalt | 3

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notwendige lackpflege: Ein werftarbeiter im hamburger hafen bessert den anstrich einer bordwand aus. (Foto: Caro Fotoagentur/ Andreas Muhs)

rEvision norm sia 118 Eins fiel auf bei der Vorbereitung dieses Hefts: Alle Beteiligten und Anwender, mit de­ nen wir sprachen, waren mit der Norm SIA 118 zufrieden. Das rund 70 Seiten lange Dokument präzisiert die allgemeinen Vertragsbedingungen des Obligationenrechts für die Baupraxis und bildet die Grundlage für Bauwerkverträge. Die Anwendung der Norm ist freiwillig, und sie hat keine Verbindlichkeit im Sinne eines Gesetzes – jede Klausel kann individuell angepasst werden. Dennoch oder gerade deshalb kommt sie bei den meisten Bauvorhaben in der Schweiz zur Anwendung. Trotz dieser beachtlichen Erfolgsbilanz war nach rund 30 Jahren inhaltlich unverän­ derten Bestehens eine Auffrischung der Norm SIA 118 notwendig: Es galt, zumindest neue Gesetze und veränderte politische Rahmenbedingungen – etwa das Inkrafttre­ ten der Gatt­WTO­Verträge – zu berücksichtigen. Um das Vorhaben rasch realisieren zu können, wünschte der SIA eine sanfte, breit abgestützte Revision. Die Zusammen­ setzung der Revisionskommission widerspiegelt das Bestreben, das Gleichgewicht zwischen den Interessen von Bauherrschaften, Unternehmen und Planenden zu er­ halten. Kritiker wie Peter Gauch, Rechtswissenschaftler und Gründer des Instituts für Schweizerisches und Internationales Baurecht der Universität Freiburg, hätten aller­ dings lieber mit einer umfassenden Überarbeitung einen grossen Wurf gelandet. Ob es sich bei dieser Revision nur um oberflächliche Lackpflege oder doch um eine Massnahme mit weiter reichenden Folgen handelt, wird die Zukunft weisen, wenn – wie der an der Revision beteiligte Anwalt Roland Hürlimann sagt – «die Rechtsprechung gezeigt hat, ob aus den angepassten Bestimmungen eine zusätzliche Verantwortung folgen könnte». Um vertragsrechtliche Fehler zu vermeiden, sollten sich Planerinnen und Planer mit den Neuerungen sorgfältig auseinandersetzen. Nebenbei verdeutlicht die Revision, wie wichtig eine kontinuierliche Weiterbildung ist – nicht nur für Baujuristen. Da noch einige Details zu klären sind, erscheint die revidierte Norm SIA 118 nicht wie vorgesehen Ende Januar, sondern im ersten Quartal 2013. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Punkte findet sich bereits auf den SIA­Seiten in diesem Heft. Das Institut für Baurecht der Universität Freiburg veranstaltet am 10. April 2013 im Kongresshaus Zürich eine Informationstagung mit dem Titel «Reformierte SIA­Norm 118 (2013) – Die neuen SIA­Regeln für Bauarbeiten und ihre Bedeutung».

5 wEttbEwErbE Eingangsbereich Inselspital, Bern

12 magazin Der Architekt mit den Handschuhen

16 2000 JahrE wErkvErtrag beat Flach Die aktuelle Revision der SIA 118 ist Anlass für einen Rückblick auf eine lange Tradition des Werkvertrags – seine Ursprün­ ge reichen zurück bis in die Römerzeit und sind noch heute aktuell.

18 «EinE sanFtE rEnovation» alexander Felix, Judit solt Der Bauanwalt und juristische Berater der Revisionskommission Roland Hürlimann erläutert die vorsichtige

Überarbeitung der Norm SIA 118.

23 «wir hättEn diE sia 118 ErFindEn müssEn» alexander Felix, andrea wiegelmann Renzo Simoni, Bauingenieur und Vorsitzender der Geschäftsleitung der AlpTransit Gotthard AG, schildert die Anwendung der Norm im grossen Massstab.

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Alexander Felix, felix@tec21.ch

Die Geschichte der Norm SIA 118 | Die Revision der Norm SIA 118 | Nachruf | Vakanzen Kommission Geotechnik

In eigener Sache Diese Ausgabe von TEC21 verschicken wir im Rahmen einer Kooperation an alle Mitglieder des Schweizerischen Verbands der Immobilienwirtschaft (SVIT), Sektion Bern. Wir freuen uns, bei dieser Gelegenheit neue Leserinnen und Leser zu begrüssen!

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REVISION NORM SIA 118 16

2000 JAHRE WERKVERTRAG

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«EINE SANFTE RENOVATION»

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«WIR HÄTTEN DIE SIA 118 ERFINDEN MÜSSEN»

Beat Flach Judit Solt und Alexander Felix

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Andrea Wiegelmann und Alexander Felix

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2000 JAhRe WeRkveRtRAg Die aktuelle Revision der siA 118 gibt Anlass zu einem Rückblick auf eine grosse tradition. Der Werkvertrag im schweizer Recht hat eine lange geschichte, seine Ursprünge reichen zurück bis in die Römerzeit. Und noch heute sind alte grundsätze aktuell. Titelbild eisenleger bei der Arbeit am erweiterungsbau der Rheinbrücke in konstanz, aufgenommen vom Fotografen heinz Finke in den 1950er-Jahren. (Foto: Keystone/Verlag Friedrich Stadler) 01 Romanisches Baumeisterrelief am Basler münster: Über dem türsturz am innenzugang zum georgsturm sitzen unter einer Doppelturmfassade zwei vornehm gekleidete männer in einer stilisierten vorhalle des münsters. Die rechte Figur scheint ein verwalter oder stifter zu sein; die linke trägt eine eng anliegende mütze, wie sie damals steinmetze trugen, und dürfte den Werkmeister darstellen. Die lateinische inschrift besagt: im himmelssaal werden diese beiden «lebendige steine» genannt, denn sie helfen beim Bau des gotteshauses mit. (Foto: Erik Schmidt)

Die heutigen Regeln zum Werkvertrag im Schweizer Obligationenrecht (OR) gehen zum überwiegenden Teil auf einen Vorläufer von 1883 zurück.1 Unter Mitwirkung von Konrad Willhelm Hellwag, von 1875 bis 1879 leitender Ingenieur beim Gotthardbahnbau, wurde 1879 in der Redaktionskommission der Abschnitt über den Werkvertrag für das erste OR des Bundes verfasst. Die Vorbilder für die Regelung stammten aus dem Zürcherischen Privaten Gesetzbuch (§ 1572), dem Dresdner Entwurf für ein Obligationenrecht für Deutschland (§ 634) sowie aus einem Entwurf des Schweizer Rechtsprofessors Walther Munzinger und den Vorschlägen der Kommission.2 Die Vorstellung, dass zwischen Kaufvertrag (Leistung durch Abtretung des Eigentums) und Auftrag oder Dienstvertrag (Leistung von Arbeit oder allgemeine Dienstleistung) noch ein weiterer, von diesen abzugrenzender Vertragstypus besteht, entstammt jedoch bereits dem römischen Privatrecht. Die «locatio conductio operis» zielte nicht auf die Leistung der Arbeit, sondern auf den durch Arbeit herbeigeführten Erfolg.3 Leider ist das römische Recht nicht als Gesetzeswerk überliefert. Es wurden aber einzelne Richtersprüche und Lehrsätze über die Jahrhunderte weitergegeben und von anderen Juristen interpretiert und besprochen. 533 n. Chr. liess Kaiser Justinian aus diesen Texten ein Gesamtwerk erstellen. Diese Digesten (von Lateinischen «digesta» für «Geordnetes») enthielten erstmals ausgewählte und nach Rechtsgebiet geordneten Rechtskodizes. In Digeste 19,2,62 ist erhalten geblieben, wie Marcus Antistius Labeo, ein römischer Jurist, bereits zu Zeiten von Kaiser Augustus (30 v. Chr. bis 14 n. Chr.), den Werkvertrag umschrieb: «Wenn ein Einsturz den Wassergraben vernichtet, dessen Herstellung du übernommen und den du ausgehoben hattest, noch bevor die Übergabe erfolgte, trägst du die Gefahr. Dies ist freilich nicht der Fall, wenn der Schaden auf einen Mangel des Bodens zurückgeht; dann nämlich wird der Besteller die Gefahr tragen […].» Diese Beschreibung des Konzepts einer Haftung für eine übernommene Werkleistung hat sich bis heute gehalten. Eine der zentralen Fragen des Werkvertragsrechts ist und war, wer das Risiko beim Untergang des Werks vor der Übergabe trägt, die sogenannte Lohngefahr. Die in der nachklassischen Zeit verschwundenen Regelungen wurden von Justinian wieder eingeführt und fanden schliesslich Eingang in das moderne Privatrecht des 19. Jahrhun­ derts.4, 5 Im Ansatz findet man Labeos Text heute noch im Artikel 376 OR wieder.6

geltUngsBeReich DeR WeRkveRtRAgsRegeln Des oR Die sehr knapp gehaltenen Artikel 363 bis 379 OR regeln den Werkvertrag als Schuldvertrag zum Teil abweichend vom allgemeinen Teil des Obligationenrechts. Typisches Merkmal des Werkvertrags ist die Leistung in Form eines herzustellenden und abzuliefernden Werks, wobei auch die Veränderung und die Erhaltung eines Werks unter den Begriff Werkvertrag fallen können.7,8 Die Abgrenzung zwischen Werkvertragsrecht und Auftragsrecht fällt mit­ unter nicht leicht – gerade im Baurecht, wo der Architektenvertrag häufig Auftragsmerkmale (Bauleitung, Bauherrenvertretung usw.) aufweist und deutliche Werkvertragsmerkmale (Er­ stellung eines Bauwerks für den Bauherrn, Planerstellung9 usw.) beinhaltet. Die Umschrei­ bung der Rechte und Pflichten der Beteiligten im Werkvertrag in Art. 363 OR ist von über­ ragender Bedeutung für den Fall, dass das Vertragsverhältnis unklar ist. Denn die weiteren Bestimmungen des Werkvertragsrechts sind zum überwiegenden Teil als dispositives Ge­


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setzesrecht zu betrachten, das von den Vertragsparteien im Rahmen von Artikel 19 und 20 OR geändert oder angepasst in den jeweiligen Vertrag übernommen werden kann.

PRivAtAUtonomie im WeRkveRtRAgsRecht Von den Möglichkeiten, die die Privatautonomie im Werkvertragsrecht bietet, wurde und wird in der Bauwirtschaft reger Gebrauch gemacht. Gerade weil sich das Werkvertrags­ recht des OR nicht im Speziellen den einzelnen Werkvertragstypen zuwendet, sondern alle Werkverträge demselben Recht unterstellt, haben sich in den verschiedenen Wirtschafts­ zweigen eigenständige Ergänzungen durchgesetzt. Trotzdem lehnen sich zahlreiche individuelle Bauwerkvertragsbestimmungen – zumindest in den Grundzügen – dem Werk­ vertragsrecht des OR an.10 Auch die in der Schweiz wichtigste privatrechtliche Ergänzung zum Bauwerkvertragsrecht, die SIA­Norm 118, leitet sich in der materiellen Regelung der Rechte und Pflichten der Parteien von der gesetzlichen Dogmatik ab.

WeRkveRtRAgsBestimmUngen UnD inteRnAtionAle einFlÜsse

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Anmerkungen 1 Peter Gauch: Der Werkvertrag, 5. Auflage, Zürich 2011, N 1. 2 Albert Schneider: Das schweizerische Obliga­ tionenrecht, Zürich 1896, S. 545. 3 Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, 9. Auflage, Wien 2001. 4 Max Kaser, Rolf Knütel: Römisches Privatrecht, 19. Auflage, München 2008. 5 Marcel Senn: Rechtsgeschichte – ein kultur­ historischer Grundriss. 3. Auflage, Zürich 2003, S. 310 ff. 6 Bruno Huwiler: Textbuch zum Römischen Privat­ recht, 2. Auflage, Lachen/St. Gallen 2000, N 747 7 BGE 130 III 458 unterstellt auch den Unterhalt (Service) von Feuerlöschern dem Werkvertrags­ recht, sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt (i. c. fehlendes Element der Dauer) sind. 8 Urs Bertschinger, Peter Breitschmid, Jolanta Kostkiewicz­Kren, Ivo Schwander: OR – Hand­ kommentar zum Schweizerischen Obligationen­ recht. Zürich 2002, S. 468. 9 Erst seit dem – nicht in der amtlichen Sammlung aufgenommenen – Bundesgerichtsentscheid 4C.347/2003 vom 1. April 2004 scheint klar, dass der Planervertrag unter das Werkvertragsrecht zu subsumieren ist. 10 In den rund 50 verschiedenen Fassungen von allgemeinen Vertragsbedingungen von Architek­ ten, Generalunternehmungen, Bauherrschaften usw., die dem Verfasser von den Unternehmungen zur Verfügung gestellt wurden, fanden sich keine gravierenden Abweichungen von der Dogmatik des Werkvertragsrechts. 11 Peter Gauch: Der Werkvertrag, 5. Auflage, Zürich 2011, N 2. 12 Rainer Schumacher: Bauhandwerkerpfand­ recht: Renovation oder Reformation oder …? In: Baurecht 1/2005. S. 4.

In Anbetracht des Alters der Werkvertragsregeln, an denen seit ihrem Inkrafttreten 1912 kei­ ne Änderungen mehr erfolgt waren, führte das Bundesamt für Justiz in den Jahren 1979/80 eine Umfrage bei den Betroffenen durch. Die Frage war unter anderem, ob das Werkver­ tragsrecht eingehender zu regeln sei und ob etwa der Bauwerkvertrag gesondert behan­ delt werden sollte. Die Umfrage ergab damals eine deutliche Ablehnung der Totalrevision.11 Die Furcht, bei einer Totalrevision des Werkvertragsrechts das Rechtsinstitut des Bauhand­ werkerpfandrechts (Artikel 837 ff. ZGB) zu verlieren, mag bei der Ablehnung eine Rolle ge­ spielt haben.12 Wo sich somit die gesetzlichen Regeln seit 1912 einerseits kaum geändert haben, entwickelte sich andererseits eine weit verbreitete Kultur der privaten Vertragsbe­ stimmungen, die als Normtexte oder allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet werden (vgl. «Die Geschichte der Norm SIA 118», S. 27). Die zunehmende Globalisierung macht auch vor der Baubranche nicht Halt. Im internatio­ nalen Umfeld sind hier die Vertragsmuster der FIDIC (Fédération Internationale des Ingé­ nieurs Conseils) zu erwähnen. Diese beruhen auf angelsächsischem Recht und unterschei­ den sich daher in ihrem Aufbau und Umfang wesentlich von unser Werkvertragsordnung. Insbesondere für grosse Bauvorhaben mit grenzüberschreitenden Beziehungen legen die FIDIC­Vertragsmuster ausführliche Regelungen über das anwendbare Recht und über die Streitschlichtung fest und werden in internationalen Bauwesen mehr und mehr zum Standard (vgl. «‹Eine sanfte Revolution›», hier: S. 22). Durch internationale Übereinkommen wie WTO (GATT), EFTA und die bilateralen Abkommen mit der EU von 1999 hat sich die Schweiz verpflichtet, die Vereinheitlichung des Normenwesens auf nationaler Ebene den internationalen Standards anzupassen. Als Koordinationsorgan fungiert die Schweizerische Normen­Vereinigung (SNV). Obwohl es bei der Internationalisierung des Normenwesens vorrangig um die Angleichung von technischen Normen geht, hat die Anbindung des Schweizer Normenwesens an die Richtlinien des Europäischen Komitees für Normung (Comité Européen de Normalisation, CEN) auch Folgen für die Vertragsgestaltung. So for­ dern die Prinzipien des CEN eine Trennung der technischen und vertraglichen Bedingun­ gen in gesonderten Dokumenten. Der innerhalb der Schweizer Normenorganisation für den Fachbereich Bauwesen zuständige SIA lancierte aus diesem Grund die Projekte Swiss­ codes und Swissconditions, aus denen schlussendlich die Allgemeinen Bedingungen Bau des SIA (ABB) hervorgingen. Diese als SIA 118/XXX bezeichneten Normen ergänzen die SIA­Norm 118 bei ausgewählten Werkvertragssparten, für die die SIA­Norm 118 zu wenig detaillierte Bestimmungen enthält. Zusammen mit den technischen Normen des SIA und den Normenpositionskatalogen (NPK) des CRB ist so ein klar strukturiertes Dokumen­ ten­ und Informationsgerüst entstanden, um die immer komplexeren Aufgaben bei der Realisierung eines Bauwerks in der Schweiz einheitlich vertraglich zu regeln. Beat Flach, Jurist MLaw, SIA Recht, beat.flach@sia.ch


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«eine sAnFte RenovAtion» Die norm siA 118 hatte seit mehr als 30 Jahren fast unverändert Bestand, bis sie nun überarbeitet wurde. Roland hürlimann, Bauanwalt und juristischer Berater der Revisionskommission, erläutert deren vorgehen und Absichten. Um die bestehende Ausgewogenheit der norm zu erhalten, führte das gremium nur notwendige und zweckmässige Anpassungen aus. entscheidende Änderungen zum nachteil der Planer sieht der Jurist nicht. TEC21: Warum war die Revision der Norm SIA 118 nötig? Roland Hürlimann: Bei der Norm SIA 118 handelt es sich um «Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten», die von den Baubeteiligten seit 1977 praktisch unverändert auf Bauwerk­ verträge angewendet werden. Die Kommission wollte die Norm heutigen Gegebenheiten anpassen, und zwar unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen von Gesetzen und Normen und der neuen Gerichtspraxis. Dies bedingte einige inhaltliche und terminlogische Änderungen. Der SIA hat nicht eine umfassende Revision der Norm, sondern eine sanfte Renovation als Ziel vorgegeben. Dabei sollte die Ausgewogenheit der geltenden Norm – also das Gleichgewicht zwischen Bauherren­ und Unternehmerinteres­ sen – beibehalten bleiben. Die über 20­köpfige Revisionskommission bestand daher aus Vertretern aller Interessengruppen und drei juristischen Beratern.

«es gibt Punkte, die von der kommission neu aufgenommen wurden. Zum Beispiel haben wir uns dem Qualitätsmanagement gewidmet.»

ZUR PeRson Roland Hürlimann, Rechtsanwalt LL.M. (Ber­ keley); nationale und internationale Prozess­ und Schiedsverfahren als Anwalt oder als Schiedsrichter im Wirtschafts­, Industrie­ und Baubereich; juristische Projektbegleitung; Konsortialvertragsrecht; Haftpflicht­ und Versicherungsrecht 1981–1984 Wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Peter Gauch, Zivil­ und Handelsrecht, Universität Freiburg 1984 Dr. iur., Dissertationsthema: Teilnichtigkeit von Schuldverträgen Seit 1986 Rechtsanwalt 1987 Master of Laws (LL.M.), Berkeley Law School, University of California 1987 Mitarbeiter in der Anwaltskanzlei Lempres & Wulfsberg, San Francisco Redaktionsmitglied der Zeitschrift Baurecht/Droit de la Construction Bis 2010 Juristischer Berater der Kommission zur Revision der SIA­Norm 118

TEC21: Welches sind die wichtigsten inhaltlichen Änderungen? R. H.: Es gibt Punkte, die von der Kommission neu aufgenommen wurden. Zum Beispiel haben wir uns dem Qualitätsmanagement gewidmet. Das Thema war in der Norm bisher ansatzweise geregelt mit den Bestimmungen über die Zwischenprüfungen und die Gewähr­ leistung. Allerdings lag ein Defizit darin, dass das Qualitätsmanagement im Wesentlichen erst nach der Bauvollendung und der anschliessenden Abnahme einsetzte – also erst, nachdem man sah, ob das fertige Bauwerk mangelfrei oder mangelhaft ist. Bei der steigen­ den Zahl von komplexen Bauvorhaben und wegen des mittlerweile recht engen Geflechts aus Gesetzen und Normen haben Bauherrschaften und Unternehmer jedoch ein Interesse daran, dass das Qualitätsmanagement schon während der Bauausführung – und damit vor der Abnahme – greifen kann. Um durch eine periodische Kontrolle möglichst effizient ein mangelfreies Ergebnis zu erzielen, gibt die Norm nun vor, dass bereits die Ausschreibung Bestimmungen zu den speziellen Anforderungen an die Qualität, an die Organisation und an die Arbeitsabläufe im Sinn eines projektbegleitenden Qualitätsmanagements enthal­ ten soll. Eine neu eingefügte Bestimmung stellt zugleich klar, dass Prüfungen, Belastungs­ proben oder irgendwelche sonstigen Massnahmen, die während der Ausführung ergriffen werden, nur als Zwischenprüfungen gelten und keine Abnahmewirkungen auslösen. Das wird jetzt explizit erwähnt, damit die Anwender – die im Allgemeinen keine Juristen sind, sondern Bauunternehmer, Planer oder Bauherrschaften – nach Art eines Kochbuchs wissen, was zu tun ist und was die Bedeutung und die Tragweite der einzelnen Vorgänge sind. Das ist nur ein Beispiel, das illustrieren soll, dass sehr viele Bestimmungen äusserst praxis­ nah sind, auch wenn es selbstverständlich juristische Regeln braucht. Darüber hinaus haben wir versucht, einzelne Bestimmungen leicht zu modifizieren oder zu ergänzen, deren Formulierungen nicht ganz klar waren, die aber in der Baupraxis seit Längerem in einem gewissen Sinn verstanden wurden. Beispielsweise umfasst der Begriff Baugrund auch die bestehende Bausubstanz (Artikel 5, 25, 58 Abs. 2). Eine solche Interpre­ tation liess sich zwar aus den bisherigen Bestimmungen ableiten; dennoch war sich die Kommission einig, dass eine Klarstellung eingefügt werden soll. Ein weiteres Beispiel sind


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01 Die norm siA 118 regelt in der schweiz fast alle Bauwerkverträge vom kleinen einfamilienhaus bis hin zu grossen infrastrukturmassnahmen. Durch ihre praxisnahe Formulierung soll sie auch für die Bauherrschaft, der nur einmal in seinem leben baut, beherrschbar sein. (Foto: Keystone/Gaetan Bally)

die Kosten für Schutz­ und Fürsorgemassnahmen für Personen, die der Unternehmer nach dem bisherigen Artikel 103 in die Position «Baustelleneinrichtung» einrechnen musste, was nicht immer geschah. Die ergänzten Bestimmungen von Artikel 103 und Artikel 9 halten neu fest, dass das Leistungsverzeichnis der Ausschreibung eine separate Position für «baustellenspezifische Schutzmassnahmen» aufzuführen hat. Das soll sicherstellen, dass der Unternehmer diese Massnahmen kalkulatorisch erfasst und in seinem Angebotspreis berücksichtigt. Die Kommission hat auch Bestimmungen angepasst, die im wirtschaftlichen Umfeld des Jahres 1977 vernünftig waren, heute aber – nicht zuletzt wegen der Inflation – nicht mehr in jedem Fall adäquat sind. Zum Beispiel räumt die Norm der Bauherrschaft in Artikel 150 das Recht ein, bei jeder Abschlagszahlung einen bestimmten Prozentsatz (10 % bei Leistungs­ werten bis 300 000 Franken, 5 % bei höheren Leistungswerten) als Sicherheit für die Ver­ tragserfüllung zurückzubehalten. Dieser Rückbehalt wird erst mit der Abnahme bzw. noch später fällig. Die Prozentsätze wurden nun nach oben angepasst (z. B. neu 10 % bis 500 000 Franken, 5 % bei höheren Leistungswerten). Zudem wird der Maximalbetrag des Rückbehalts von 1 auf 2 Mio. Franken angehoben, sofern nichts anderes vereinbart wird. TEC21: Die Revision ist einerseits eine Anpassung an die Realität und greift andererseits neue Themen und Bedürfnisse auf. Aber das Prinzip und die Form – die Mischung aus juristischen Vorgaben und Handlungsanleitungen – wurde beibehalten. R. H.: Wir haben die Artikel beibehalten, aber einzelne Termini angepasst. So verwendet die Norm neu das Wort Rückbau; vor dreissig Jahren hat man Abbruch gesagt. Während man früher von Vertragspartner gesprochen hat, spricht die neue Norm von Vertragsparteien und so weiter. Zum Teil sind das kleine Änderungen, sie führen aber zu einer gewissen Ver­ einheitlichung, auch mit den übrigen SIA­Normen. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Teuerungsabrechnung. Bislang war in der SIA­ Norm 118 geregelt, dass es bei überjährigen Verträgen, wenn also die Realisierung eines


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Projekts länger als ein Jahr dauert, einen Ausgleich für die Teuerung bei Personal­ und Materialkosten sowie allenfalls auch auf die gesamte Bauinstallation gibt. Auf dieser Basis werden in der Schweizer Bauwirtschaft für die Teuerung jährlich bis zu 500 Mio. Franken ausgezahlt. Diese Summe wird in den bisherigen Bestimmungen nach einem relativ komple­ xen Mengennachweisverfahren berechnet. Allerdings hat sich die Baupraxis, zumindest bei einzelnen Gewerken, etwas anders entwickelt. Dort wird heute nach einem Indexverfahren oder einer Gleitpreisklausel abgerechnet. Eine Arbeitsgruppe der Kommission hat daher die Teuerungsbestimmungen an die heutige Praxis angepasst. Die Bestimmungen wurden aus der Norm herausgenommen und die verschiedenen möglichen Berechnungsverfahren in vier SIA­Normen1 separat geregelt. Falls die Vertragsparteien keine vertragliche Regelung getroffen haben, regelt Artikel 65 in einem Auffangtatbestand, wie die Teuerung im Bau­ hauptgewerbe und wie sie im Bereich der Zulieferung abgerechnet werden soll.

«Der Begriff garantiefrist wurde nicht immer als Rügefrist richtig ausgelegt. Zuweilen wurde er als verjährungsfrist missverstanden.»

TEC21: Welche Misverständnisse wurden ausgeräumt? R. H.: Wie schon erwähnt, hat man an den Bestimmungen der SIA­Norm 118 seit 1977 eigent­ lich nichts geändert. Interessant sind jedoch zwei sogenannte Sternbemerkungen, die 1991 zur Erläuterung des Textes eingefügt wurden. Zum einen wurde der Begriff Garantiefrist nicht immer als Rügefrist richtig ausgelegt. Zuweilen wurde er als Verjährungsfrist missver­ standen. Neu bezeichnet die Norm den Zeitraum, in dem der Besteller das Werk prüfen und allfällige Mängel rügen muss, durchwegs als «Rügefrist». Damit soll eine allfällige Ver­ wechslung mit der Verjährungsfrist vermieden werden, die den Zeitraum meint, in dem der Besteller seine Rechtsbehelfe (Nachbesserung, Minderung oder den Folgeschaden) aus dem gerügten Mangel durch Klage beim Gericht geltend machen muss. Die zweite Sternbemerkung betraf die Bürgschaft, also die vom Unternehmer beizubringende Sicherheitsleistung nach der Abnahme zur Sicherstellung für seine Haftung wegen Mängeln. Diese Sicherheit wird häufig mit einem Garantieschein einer Bank oder einer Versicherungs­ gesellschaft bestellt. Auch diese Sternbemerkung wurde eliminiert und der bisherige Text von Artikel 181 neu formuliert. Nicht zu vergessen sind auch Gesetzesänderungen, die in der Norm aktualisiert werden mussten – etwa, dass sich seit 1977 das öffentliche Vergaberecht oder die Zivilprozess­ ordnung geändert haben. Zum Beispiel haben wir die bisherige Bestimmung mit ihrer stan­ dardisierten Gerichtsstandsklausel leicht angepasst (Artikel 37). Ausserdem kannte man vor 30 Jahren kein eigentliches Beschaffungsrecht; man behalf sich mit der SIA­Norm 117. In den revidierten Bestimmungen gibt es jetzt einen klaren Verweis darauf, dass beim Bauen mit der öffentlichen Hand das öffentliche Vergaberecht vorbehalten bleibt. Zu präzisieren waren auch die Bestimmungen über die gesetzlichen Abgaben – 1977 hatten wir ja noch die Warenumsatzsteuer (WUSt). Um Missverständnisse zu vermeiden, wird in der Norm neu festgehalten, dass bei den offerierten Preisen, wenn vertraglich nichts anderes festgelegt ist, die Mehrwertsteuer als nicht eingerechnet gilt. Allerdings muss jetzt der ein­ fache Anwender, der einmal im Leben baut, daran erinnert werden, dass zum Festpreis, der im Regelfall als Pauschal­ oder Globalpreis oder als Einheitspreis pro Menge ausgestaltet ist, die Mehrwertsteuer hinzukommt. Dieselbe Präzisierung wurde beim Aufwandpreis – also den Regieansätzen – eingefügt.

«es gibt aber durchaus auch kritiker, die einzelne Punkte des geänderten normtextes bemängeln.»

TEC21: Es sind also eher Übersetzungshilfen, das zu sagen, was ursprünglich gemeint war. R. H.: So könnte man es sehen. Es gibt aber durchaus Kritiker, die einzelne Punkte des geänderten Normtextes bemängeln, und zwar speziell diese in den Normtext integrierten Sternbemerkungen. Sie monierten etwa, dass die gewünschte Klarstellung nicht erreicht sei. Kritisiert wird namentlich die Regelung der Solidarbürgschaft, weil nach wie vor nicht klar sei, ob die Bürgschaft für zwei oder für fünf Jahre nach Abnahme gestellt werden müsse. Ein wesentlicher Kritikpunkt besteht ferner darin, dass die Norm, die ja eine Branchenbe­ dingung sei, die Mehrwertsteuer nicht inkludiere. Das sei eine überraschende und konsu­ mentenfeindliche Klausel. Mit einer solchen Bestimmung müsse eine Bauherrschaft, die nur


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einmal im Leben baue, nicht rechnen, zumal im täglichen Leben die Preise inklusive Mehr­ wertsteuer angegeben werden müssen. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass Artikel 83, der auf Regeln des Bauhandwerkerpfandrechts im Zivilgesetzbuch verweist, nicht mehr aktuell sei, weil seit Anfang 2012 eine Gesetzesanpassung in Kraft ist (TEC21 45/2011, S. 42). Da die Arbeit der Revisionskommission bereits 2010 abgeschlossen war, konnte sie diese Anpassung nicht vorwegnehmen. Allerdings ist die Formulierung von Artikel 83 mittlerweile noch angepasst worden. Manche Kritiker fordern auch eine Gesamtrevision, die Juristen in einer wissenschaftlichen Herangehensweise hätten machen sollen – einen grossen Wurf.

«es galt zu vermeiden, dass entweder die Bauherren- oder die Unternehmerseite ihre interessen durchsetzt oder die Revision insgesamt scheitert.»

TEC21: Hätte man damit nicht den Praxisbezug verlassen? R. H.: Das möchte ich nicht unterstellen. Auch eine umfassende Revision hätte Rücksicht auf die Praxis nehmen müssen. Aber bis in der Schweiz ein grosser Wurf gelandet werden kann, geht in der Regel viel Zeit ins Land. Es stellt sich auch die Frage, ob man ein solches Revisionsvorhaben in einem vernünftigen Zeitraum bewältigen kann. Die Aufgabe der Redaktionskommission war durch den SIA klar vorgegeben: Man hat uns Zeit und Kompetenz für eine sanfte Renovation eingeräumt, unter Beibehaltung der Gleichgewichte, und genau das haben wir auch gemacht. Die entscheidende Maxime für die Kommissionsarbeit war, jene Anpassungen in Angriff zu nehmen, bei denen Aussicht bestand, in vernünftiger Frist zu einer Einigung zu kommen, die das bestehende Gleichgewicht wahrt. Ohne diese Vorgaben hätte durchaus ein Dammbruch passieren können. Es galt zu vermeiden, dass entweder die Bauherren­ oder die Unternehmerseite ihre Interessen durchsetzt oder die Revision insgesamt scheitert. Unsere Messlatte war, das Notwendige und Zweckmässige zu machen, aber nicht mehr. TEC21: Auf welche Punkte müssen die Planer jetzt genau schauen? R. H.: Es gibt keine entscheidenden Änderungen zu ihrem Nachteil. Aber es gibt natürlich Punkte, die für sie schon immer wichtig waren und es auch weiterhin sind: Zum Beispiel kor­ respondieren die Regelungen über das Vertretungsverhältnis des Planers zur Bauherrschaft in der SIA­Norm 118 nicht mit den Vertretungsregeln der SIA­Ordnungen 102, 103, 108 und 112.2 Das ist – wie bisher auch schon – ein Knackpunkt, der häufig zu Diskussionen und Streitigkeiten Anlass gibt. Des Weiteren ist der Planer der Vertreter der Bauherrschaft, er ist also verpflichtet, alles zu tun, um die Interessen seiner Bauherrschaft zu wahren. Wenn als Folge der neuen Bestimmungen nun noch vermehrt auf Qualitätsmanagement geachtet wird, hat er jetzt mehr Werkzeuge in der Hand, um das Bauwerk von seiner Entstehung bis zur Abnahme zu überwachen und zu kontrollieren. Insofern ist jeder Planer gut beraten, wenn er sorgfältig studiert, was die Anpassungen für ihn bedeuten und welche Konsequen­ zen damit verbunden sein könnten. TEC21: Übernehmen die Planer damit auch zusätzliche Verantwortung? R. H.: Die Rechtsprechung wird zeigen, ob aus den angepassten Bestimmungen zum QM eine zusätzliche Verantwortung folgen könnte. Letztlich kommt es darauf an, welche Aufgaben der Planer in seinem Vertrag mit dem Auftraggeber übernimmt und ob er sich an dieses Pflichtenheft hält. Abgesehen davon war es bisher schon so, dass der Planer periodische Kontrollen vor Ort durchführen musste und immer dann besonders gefordert war, wenn kritische Bauvorgänge ausgeführt wurden. Ich glaube daher nicht, dass die Bestimmungen zum Qualitätsmanagement eine Ausdehnung der Haftung zur Folge haben werden. Diese Regelung wird durch die Revision höchstens allen Beteiligten ein wenig bewusster.

«im europäischen vergleich sind wir mit der siA-norm 118 verwöhnt. sie ist eine gute, ausgewogene und praxisnahe norm.»

TEC21: Wie ist die SIA­Norm 118 im europäischen Vergleich einzuordnen? R. H.: Im europäischen Vergleich sind wir mit der SIA­Norm 118 verwöhnt. Sie ist eine gute, ausgewogene und praxisnahe Norm – das war selbstverständlich schon vor der Revision so – und hat eine breite Akzeptanz in der Schweiz. Bei grösseren Bauvorhaben wird sie zu


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«schwächer an der schweizer lösung ist, dass es keine wirksame gesetzliche inhaltskontrolle für Branchenbedingungen gibt.»

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mehr als 90 % angewendet, obwohl es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen ohne jeglichen gesetzesähnlichen Charakter handelt. Sie ergänzt die recht rudimentären Regelungen des gesetzlichen Werkvertragsrechts, also die Artikel 363 bis 379 des Obliga­ tionenrechts, in den meisten Fällen passend und praxisbezogen. Und das nicht nur für den Baumeister, sondern auch für viele weitere Gewerke und – mit gewissen Anpassungen – auch für General­ oder Totalunternehmer. Die deutsche Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) hat im Teil B ein sehr ähnliches Gerippe wie die SIA­Norm 118. Auch die entsprechende ÖNorm B2110 in Österreich ist ähnlich aufgebaut, und beide haben auf viele Fragen vergleichbare Lösungen gefunden. Im internationalen Vergleich zu erwähnen sind noch die Bestimmungen der International Federation of Consulting Engineers (FIDIC), die eher auf dem angelsächsichen Common Law basieren und besonders bei Werkverträgen für grössere Bauvorhaben Berücksichti­ gung finden (vgl. «‹Wir hätten die SIA 118 erfinden müssen›», S. 23). Schwächer an der Schweizer Lösung ist, dass es keine wirksame gesetzliche Inhaltskon­ trolle für Branchenbedingungen gibt, wonach ein Gericht zu einseitige, für eine Partei nach­ teilige Vertragsklauseln als unwirksam erklären könnte. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Schweiz mit der SIA­Norm 118 faire und ausgewogene Baubedingungen haben. Leider wird die Norm nicht immer im Sinn der reinen Lehre verwendet. Sowohl die private Bau­ herrschaft als auch die öffentliche Hand nehmen sie häufig als Grundlage, erklären aber zusätzliche Bedingungen für anwendbar, in denen sie mit einseitigen Klauseln versuchen, die Risikoverteilung nach Gesetz und der Norm zum Nachteil der Unternehmer zu verändern. Es gibt aber auch Generalunternehmer, die ihre Subunternehmer, also eigentlich ihre Berufs­ kollegen, durch unvorteilhafte Vertragsklauseln «drücken». Die SIA­Norm 118 ist zuweilen dem Spiel der Kräfte ausgeliefert: Die wirtschaftlich oder politisch mächtigere Vertragspartei obsiegt und schafft es, die Norm mit ihren einseitigen Bestimmungen zu überlagern. In Deutschland hingegen schreibt das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgewogene standardisierte Vertragsbestimmungen vor; Vertrags­ verfasser riskieren, dass ein Gericht zu einseitige Bestimmungen für unwirksam erklärt.

«Wir haben zwar eine gute norm, aber heute ist leider eine tendenz zu erkennen, die ausgewogenen Bestimmungen der norm einseitig abzuändern und durch vertragsklauseln zu überlagern, die eine Partei übermässig benachteiligen.»

Anmerkungen 1 Norm SIA 121, Objekt­Index­Verfahren; Norm SIA 122, Gleitpreisformel; Norm SIA 123, Pro­ duktionskostenindex; Norm SIA 124, Teuerungs­ verfahren nach Mengennachweis. 2 SIA­Ordnung 102, Ordnung für Leistungen und Honorare der Architektinnen und Architekten; SIA­Ordnung 103, Ordnung für Leistungen und Honorare der Bauingenieure und Bauingenieurin­ nen; SIA­Ordnung 108, Ordnung für Leistungen und Honorare der Maschinen­ und der Elektro­ ingenieure sowie der Fachingenieure für Gebäudeinstallationen; SIA­Ordnung 112, Leistungsmodell.

TEC21: Nimmt die Tendenz zur Abweichung von der Norm SIA 118 zu? R. H.: Ja. Wir haben zwar eine gute Norm, aber heute ist leider eine Tendenz zu erkennen, die ausgewogenen Bestimmungen der Norm einseitig abzuändern und durch Vertrags­ klauseln zu überlagern, die eine Partei übermässig benachteiligen. Es gibt aber auch ge­ genläufige Bemühungen und Entwicklungen. Beispielsweise hat der Bund mit der Koordina­ tionskonferenz der Bau­ und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherrschaft (KBOB) zusammen mit Bauen Schweiz und weiteren Verbänden die KBOB­Musterverträge aufge­ stellt. Diese basieren ebenfalls auf dem System der SIA­Normen und ­Ordnungen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Baubeteiligten zumindest an die dort verhandelten Vorgaben halten, um den heutigen Wildwuchs der unzähligen Branchenbedingungen wieder etwas einzu­ dämmen. Allerdings ist die öffentliche Hand heute relativ stark und baut nach den Vergabe­ gesetzen – die Unternehmer haben nur die Möglichkeit, die Bestimmungen der Ausschrei­ bung (inklusive den Werkvertragsbedingungen) in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren, falls sie nicht riskieren wollen, mit ihrem Angebot von der Submission ausgeschlossen zu werden. Dieses Thema wird übrigens bei der 20. Schweizerischen Baurechtstagung Ende Januar 2013 an der Universität Freiburg angesprochen. TEC21: Gehen die Planer aus Ihrer Sicht professionell mit der Norm SIA 118 um? R. H.: Ich finde ihren Umgang mit den Normen generell sehr professionell. Die SIA­Norm 118 regelt zwar das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Unternehmer, aber häufig übernimmt ja der Planer für die Bauherrschaft die Vertragsgestaltung. Und auch die Planer empfehlen regelmässig die Übernahme der SIA­Norm 118. Alexander Felix, felix@tec21.ch; Judit Solt, solt@tec21.ch


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Revision noRm siA 118 | 23

«WiR hÄtten Die siA 118 eRFinDen mÜssen»

Für die Ausschreibung der Arbeiten für den gotthardbasistunnel verwendete die Alptransit gotthard Ag – nach einer Prüfung der Alternativen – die siA-norm 118. Renzo simoni, Bauingenieur und vorsitzender der geschäftsleitung, erklärt im gespräch, welche erfahrungen der grossanwender bei dem mammutprojekt mit der norm siA 118 gesammelt hat. Die Revision der norm sieht er ganz entspannt. TEC21: Welche Bedeutung hat die SIA Norm 118 für Sie als Auftraggeber in der Praxis? Renzo Simoni: Die 118 ist der Massstab für das Bauwesen in der Schweiz. Sie ist unbestrit­ tener Standard für jede Bauherrschaft, also auch für die AlpTransit Gotthard AG. Wir arbeiten mit der SIA­Norm 118, im Untertagebau zudem mit der SIA­Norm 198 und dem Normposi­ tionenkatalog 102 (NPK) der Schweizerischen Zentralstelle für Baurationalisierung (CRB). TEC21: Welche vertragliche Besonderheiten gibt es beim Untertagebau? R. S.: Grundsätzlich liegt das Baugrundrisiko bei der Bauherrschaft. Das Besondere im Tunnelbau ist die sehr schwierige Einschätzung des bautechnischen Verhaltens des Baugrunds. Ereignisse wie beispielsweise ein Niederbruch können immer wieder vorkom­ men. Die Folgen hat in der Regel die Bauherrschaft zu tragen. Nur wenn Nachlässigkeit oder eine Fehleinschätzung durch den Unternehmer vorliegt, kann auf ihn zurückgegriffen werden – beispielsweise dann, wenn ein Maschinist anhand der Über wachungsdaten an seiner Maschine hätte merken können, dass veränderte Druckverhältnisse vorliegen. Dann hätte er reagieren müssen.

ZUR PeRson Renzo Simoni, Vorsitzender der Geschäfts­ leitung, Dr. sc. techn., Bauingenieur ETH 1985–1987 Gruner AG Ingenieurberatung, Basel: Sachbearbeiter Tiefbau 1987–1989 Tausky, Leu, Müller (Tochterge­ sellschaft Gruner AG, Basel): Sachbearbeiter im Tief­ und Hochbau (Teilzeit) 1989–1995 ETH Zürich, Institut für Orts­, Regional­ und Landesplanung: Wissenschaft­ licher Mitarbeiter 1992–1998 ETH Zürich, Abt. VIII: Lehrbeauft ragter (Nebenamt) 1995–2002 Ernst Basler und Partner, Zürich: Leiter Bauherrenberatung Tiefbau 2002–2005 Helbling Beratung + Bauplanung, Zürich: Mitglied der Geschäftsleitung 2006–2007 Helbling Beratung + Bauplanung, Zürich: Co­Geschäftsleiter Seit 2007 VGL AlpTransit Gotthard AG, Luzern

TEC21: Warum hat die AlpTransit Gotthard AG zur Vorbereitung der Ausschreibungen für die Neue Eisenbahn­Alpentransversale (NEAT) Alternativen zur SIA­Norm 118 geprüft? R. S.: Im Vorfeld der grossen Ausschreibungen für den Bau der NEAT gab es verschiedene Arbeitsgruppen mit Vertretern der Bauindustrie und von Planungsbüros, die verschiedene Fragestellungen definiert, bearbeitet, Schlussfolgerungen gezogen und schliesslich Empfehlungen ausgesprochen haben. Die SIA­Norm 118 war dabei ein wichtiger Bestand­ teil. Ergänzend wurden auch internationale Erfahrungen ausgewertet, um Erkenntnisse daraus zu ziehen und zu beurteilen, wie die Schweizer Normen im Vergleich dazu ein­ zuordnen sind. Eine wichtige Vergleichsgrundlage waren beispielsweise die Bedingungen der Fédération Internationale des Ingenieurs Conseils (FIDIC), Conditions of Contract for Works of Civil Engineering Construction. Wir analysierten damals die Erfahrungen aus dem Ausland, wo man zum Teil viel konsequenter mit Totalunternehmern arbeitet. Dort über­ gibt die Bauherrschaft nach einer funktionalen Ausschreibung die ganze Planung und Ausführung einem Bauunternehmer (contractor). So weit wollten wir letztlich nicht gehen, da der Unter tagebau besondere Eigenheiten hat und nicht mit einem Industriebau vergleichbar ist. Wir sind aber eindeutig zum Ergebnis gekommen, dass wir auf den bestehenden Schweizerischen Normen aufbauen wollten und konnten.


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TEC21: Der Vergleich war also mit Blick ins Ausland angelegt, statt verschiedene Schweizer Möglichkeiten auszuloten? Und wie war die Arbeitsgruppe damals zusammengestellt? R. S.: Da es sich um ein Schweizer Projekt mit einer einmaligen internationalen Dimension handelt, sind wir davon ausgegangen, dass es internationale Anbieter geben würde. Vor diesem Hintergrund haben wir uns überlegt, was wir anpassen müssen. Aber das Ergebnis war dann, wie bereits angedeutet, dass wir die SIA­Norm 118 gut anwenden können. Zudem gibt es keine schweizerische Alternative dazu. Der Prozess wurde vor etwa 20 Jahren gestartet, und der Schlussbericht stammt von 1995, ist also 18 Jahre alt. Er ist das Resultat einer Auslegeordnung mit allen wichtigen Partnern im Bauwesen, von Baugewerbe, Planern und Bauherrschaft, und findet sich im Dokument «Grosse Infrastrukturbauten GIB» (1996, Baumeisterverband). In der Arbeitsgruppe waren ASIC, SIA, USSI, SBI, SBV, SGV und VST vertreten.1 Das Resultat lautete jedenfalls, «es sollte so weit wie möglich an den bewährten und in der Schweiz bekannten Grundsätzen festgehalten werden, das heisst auch an der bekannten SIA­Norm 118». TEC21: Die SIA­Norm 118 bildet die Werkvertragsgrundlage für alle Gewerke des Bau­ wesens, für öffentliche und private, professionelle und private Bauherrschaften, für grosse und kleine Bauwerke. Ist dieser grosse Spagat aus Ihrer Sicht ein Problem? R. S.: Ich denke, der Spagat gelingt recht gut. Die SIA­Norm 118 wird wirklich in allen Bereichen angewendet. Basis ist das Werkvertragsrecht im OR. Allerdings braucht es eine gewisse Bauerfahrung, um mit der SIA­Norm 118 umgehen zu können. Man muss wissen, wie die Abläufe auf einer Baustelle funktionieren. Ich erinnere mich, dass ich als Student die Norm zwar gelesen habe, mich aber an manch einer Stelle gefragt habe, was das konkret bedeutet. So gesehen ist die Norm adressatengerecht formuliert und für den erfah­ renen Fachmann verständlich und konzis.

«in einzelnen Bereichen haben wir schon versucht, aus dem Blickwinkel und der interessenlage der Bauherrschaft gewisse Details abzuändern.»

TEC21: Bemerken Sie in der Anwendung, dass die SIA­Norm 118 zu wenig spezifisch ist, dass Sie Dinge durch Zusatzklauseln in Ihren Verträgen regeln müssen? R. S.: Gäbe es die SIA 118 nicht, wir hätten sie erfinden müssen. Und wir wären zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gekommen. Ziel ist, Verträge so eindeutig und klar zu formulieren, dass möglichst wenige Diskussionen aufkommen. In diesem Sinn kann keine Norm die Erfahrung im Vertragsmanagement und im ganzen Ausschreibungswesen ablösen oder den gesunden Menschenverstand ignorieren. Aber sie sollte eine Leitlinie sein, um danach eine klare Ausschreibung, gute Abläufe, eindeutige Verträge und eine rebungslose Abwicklung aufbauen zu können. So gesehen befindet sich die Norm auf einem sehr hohen Niveau. In einzelnen Bereichen haben wir schon versucht, aus dem Blickwinkel und der Interessenlage der Bauherrschaft gewisse Details abzuändern. Speziell fallen mir dazu die Garantieleistungen von 8 % ein, was in unserem Projekt grosse Summen sind, die die Unternehmer natürlich in ihr Angebot mit einrechnen. Auf der anderen Seite haben wir gesagt, das Interesse überwiegt, diese Risikogarantie – falls nötig – ziehen zu können, um eine möglichst verzugslose Weiter­ führung zu ermöglichen. TEC21: Genügen die Regelungen der Norm auch für langfristige Bauvorhaben? R. S.: Diese Frage wir bei uns zurzeit heftig diskutiert. Wir haben grosse Verträge, die eine lange Laufzeit haben und die teilweise massiv länger dauern als ursprünglich geplant. Bei dem Konsortium für das Hauptlos Bodio/Faido haben wir eine Bauzeit von neun bis zehn Jahren, und nun gibt es eine Verlängerung um mehr als zwei Jahre. Da kommt natür­ lich auch die Frage der Abgeltung auf. Gemäss dem entsprechenden Werkvertrag und der SIA­Norm 198 gibt es eine zweimonatige Karenzfrist plus sechs Monate, in denen die Baustelleneinrichtungen des Unternehmers länger vorgehalten werden können. Aber was passiert, wenn es darüber hinausgeht? Ist dann automatisch jegliche Vertragsgrundlage hinfällig? Muss neu verhandelt werden?


01

01 Das Baugrundrisiko liegt grundsätzlich bei der Bauherrschaft. im Untertagebau kommt ihm spezielle Bedeutung zu. niederbrüche beispielsweise sind vielfach nicht vorhersehbar. im Bild der niederbruch vom 9. oktober 2009 in der oströhre des gotthard-Basistunnels bei sedrun. (Foto: AlpTransit Gotthard AG)

Anmerkung 1 Association Suisse des Ingénieurs­Conseils ASIC (heute: USIC), Schweizerischer Ingenieur­ und Architektenverein SIA, Union de Sociétés Suisses d’Ingénieurs, d’Architecture et de Conseils USSI, Gruppe der Schweizerischen Bauindustrie SBI, Schweizerische Baumeister­ verband SBV, Schweizerische Gewerbeverband SGV, Vereinigung Schweizerischer Tiefbauunter­ nehmer VST.

Wir profitieren aber auch vom Know­how­Transfer. So haben wir aus den grossen Werk­ verträgen am Gotthard Erfahrungen gesammelt, die wir bei der Formulierung der Ausschrei­ bung zum Ceneri­Basistunnel einbringen konnten, zum Beispiel bei der Definition der Vorhaltefristen und der damit verbundenen Pflichten oder bei der Umschreibung der Aus­ bruchsklassen und der Abgrenzung der geologischen Risiken. Es wäre nicht richtig und sinnvoll, wenn man eine Norm auf solch einen Spezialfall ausrichten würde. Dann bräuchte es spezielle Normen für kleine Bauvorhaben und andere für grosse ab drei­ oder fünf­ hundert Millionen Franken. Zudem wird es in nächster Zeit voraussichtlich nicht viele Werk­ verträge in dieser Grössenordnung geben. Vielleicht noch eine dritte Strassenröhre durch den Gotthard – je nachdem, was der Souverän beschliesst. TEC21: Wie stehen Sie zu der Forderung nach einer Komplettrevision? R. S.: Vom ganzen Konzept, von der thematischen Gliederung, der Struktur, vom Aufbau und vom Inhalt wurde bei der aktuellen Revision recht wenig geändert. Das zeigt mir, dass die Norm gut funktioniert und sehr breit akzeptiert ist. Man muss sich auch bewusst sein, dass Interessenvertreter immer spezielle Wünsche anmelden, um die Gewichtung zugunsten der eigenen Interessen zu verschieben – etwa die Risikoverteilung im eigenen Sinn zu optimieren. Die Gegenseite versucht natürlich das Gleiche, sodass am Ende ein Interessenausgleich steht und man wieder nahe beim Status quo landet. Die Norm SIA 118 ist gut austariert, mit einem gewissen Unschärfebereich, den man verhandeln kann und muss. Bei rückblickender Betrachtung sind durchaus Zeiterscheinungen erkennbar. Wenn eine Revision leicht in eine Richtung ausschlägt, wird das aufgrund der gesammelten Erfahrungen bei der nächsten Revision 10 bis 15 Jahre später wieder rückgängig gemacht. Das ist allerdings ein allgemeines Phänomen, das man auch beim Gesetzgebungsprozess beobachten kann. Alexander Felix, felix@tec21.ch; Andrea Wiegelmann, wiegelmann@tec21.ch


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