Badenerstrasse 380

Page 1

Wettbewerbe: Kapelle samstagern | den raum ver-x-facht | erdbebensicher bauen Magazin: das erste passivhaus in japan | bücher | kühlende dächer

Badenerstrasse 380

Ökologisch Bauen 2: Zähne Zeigen | Vorteile Ausspielen | Low Ex-Zero (E)Mission

SIA: merkblätter sia-effizienzpfad energie / mobilität | DV 1/2010

Nr. 23

4. juni 2010


Editorial | 3

TEC21 23 / 2010

Profilglasfassade des Sockelgeschosses an der Badenerstrasse. Da die Montage der vorgehängten Fassadenelemente aus Glasfaserbeton im Ober­ geschoss noch nicht abge­ schlossen ist, haben wir auf dem Titelfoto ein paar fehlende Platten eingefügt (Foto: af / Red.)

5 wettbewerbe Neubau Kapelle Samstagern | Den Raum ver-x-facht | Erdbebensicheres Bauen

12 magazin Das erste Passivhaus in Japan | Bücher | Zug: Gartenanlagen dokumentiert | Kühlende Dächer

17 persönlich Ämter und Ehren

22 Zähne Zeigen

Badenerstrasse 380 Pool Architekten aus Zürich haben mit dem Wohn- und Geschäftshaus Badenerstrasse 380 den ersten Zürcher Bau fertig gestellt, der dem SIA-Energieeffizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft folgt (vgl. TEC21-Dossier vom März 2010, «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft», S. 44 ff.). Mutig ist die städtebauliche Figur im Blockrandkontext, die die bauliche Dichte zur Strasse verringert und die Wohnungen gezielt verdichtet. Davon profitieren sowohl der Stadt- als auch der Innenraum. Dabei nimmt das Gebäude durchaus Bezug auf ältere Bauten an der Badenerstrasse: Die Hausnummern 330–334 etwa kombinieren eine der zahlreichen, für die Badenerstrasse typischen Garagen im Erdgeschoss mit Wohnetagen, die bis auf zwei Eckrisalite von der Strasse zurückgesetzt sind – dazwischen liegt eine grosse Dachterrasse. Auch das Haus Nummer 75 zeigt diesen Typus, allerdings noch etwas früher und mit einer ornamental geschmückten Fassade. Überzeugend ist ausserdem die Organisation der lang gestreckten Wohnungsgrundrisse, die trotz – oder gerade durch – ihre einfache Struktur grosse innenräumliche Qualitäten erzeugen. Die Kritik fokussiert auf die Fassadengestaltung. Die bewegte Abwicklung und die grauen Fassadenelemente strömen einen industriellen Chic aus, der sich hart an der Grenze zum Trashigen bewegt und bei mittleren Jahrgängen ungute Erinnerungen an die 1970er-Jahre wecken dürfte. Dabei ist der Bauablauf geradezu ein Gegenentwurf zu Industrialisierungs- und Automatisierungsbestrebungen in der Bauindustrie. Da die Bauherrschaft aus zahlreichen kleineren Baufirmen besteht, wurde der Bauablauf auf deren Kapazität abgestimmt. Zu diesem Zweck wurde auch der Holzbau ganz pragmatisch eingesetzt. Das kleinteilige System ist einfach, mit geringem Maschineneinsatz zu errichten und dient der Grauenergiereduzierung sowie der CO2-Speicherung. Im fertigen Gebäude ist von der Holzstruktur nichts mehr zu sehen. Sichtbares Holz ist kein zwingendes Attribut für einen ökologischen Vorzeigebau. Innen sorgen Gipsvorsatzschalen für ein weisses Ambiente, und aussen prägt eine Hülle aus Glasfaserbetonelementen das Bild. Der gewisse «Seventies-Retro-Look» zieht viele junge Interessenten an: Für die 54 Wohnungen gab es zu viele ernsthafte Mietinteressenten, sodass schnell alle Einheiten vermietet waren. Die Frage, wieweit energetische Vorgaben den Entwurf und die Gestaltung eines Gebäudes beeinflussen (dürfen), stellt sich den Planenden vehement, und Antworten können wie beim Prototyp an der Badenerstrasse nur interdisziplinär gefunden werden. Sicher steht das Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft noch am Anfang, und wir werden in Zukunft Lösungen sehen, die sich heute noch kaum jemand vorstellt. Alexander Felix, felix@tec21.ch

Alexander Felix Architektur: Pool Architekten und die Baugenossenschaft Zurlinden realisierten an der Badenerstrasse in Zürich den Prototyp eines Gebäudes nach dem SIA-­ Effizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.

28 vorteile ausspielen Bauingenieurwesen: Die Planungs- und Bauprozesse liessen viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen. Ein «unsichtbares» Arbeitsfeld, das konsequent bewirtschaftet wurde. Markus Schmid

33 low ex-zero (e)mission Adrian Altenburger Haustechnik: Nebst der Realisierung eines 2000-Watt-kompatiblen Neubaus wurde zusätzlich der hochwertige Anteil der Energie, die Exergie zur Deckung des Bedarfs, reduziert und mit einem CO2freien Betrieb sichergestellt.

39 sia Delegiertenversammlung 1/2010 | Offenes Diskussionsforum | Merkblatt SIA-Effizienzpfad Energie | Merkblatt Mobilität | Exkursion: Neue Wohnmodelle Zürich

44 firmen 45 messe Vom 15. bis 17. Juni 2010 findet erstmals die «Blue&Green» statt, eine lösungsorientierte Fachmesse für die Bereiche Energie und Umwelt.

53 impressum 54 veranstaltungen


BAdenerstrasse 380 22 Z채hne zeigen

Alexander Felix

28 Vorteile ausspielen

Markus Schmid

33 Low Ex-Zero (E)Mission

Adrian Altenburger

Nr. 23

4. juni 2010


22 | BadenerStrasse 380

TEC21 23 / 2010

Zähne zeigen Der Energieverschwendung, dem Strassenlärm und dem langweiligen Wohnungsbau die Zähne zeigen – zu diesem Zweck haben sich die innova­ tionsfreudige Baugenossenschaft Zurlinden und Pool Architekten zusam­ mengetan. In einem anspruchsvollen städtischen Umfeld erbaute dieses Team das erste Zürcher Gebäude nach dem SIA-Effizienzpfad zur 2000-Watt-Gesellschaft.1 Entstanden ist ein überzeugender Prototyp. Titelbild Fassadenausschnitt (Foto: af / Red.)

Am Bau Beteiligte Bauherrschaft: Baugenossenschaft Zurlinden (BGZ), Zürich Architektur: pool Architekten, Zürich Baumanagement: Caretta + Weidmann, Zürich Beratung Nachhaltigkeit: Architekturbüro H.R. Preisig, Zürich Bauingenieur: Henauer Gugler AG, Zürich Holzbauingenieur: SJB Kempter Fitze, Herisau Brandschutzexperte: Makiol + Wiederkehr, Beinwil am See Akustik, Bauphysik: Wichser Akustik Bauphysik, Zürich HLS-Planer: Amstein + Walthert AG, Zürich Elektroplaner: Kälin + Müller AG, Zürich Unternehmer / Genossenschafter der Baugenossenschaft Zurlinden: Henauer Gugler AG, Jäggi Hafter AG, HG Commerciale, Zimmerei­ genossenschaft Zürich ZGZ, Fensterfabrik Al­ bisrieden AG FFA, Griesser AG, Lift AG, Kälin + Müller AG, SADA AG, Sanitas Troesch AG, Pfiffner AG, Knabenhans AG, Gipser- und Maler­ genossenschaft Zürich GMGZ, Schaub Maler AG, Hammer Wolfermann AG, Hobel Genossen­ schaft, freetime hometec AG, Hänni AG, Bernhard Boden AG, Bartolamai Fugendichtungen, Garten­ bau-Genossenschaft Zürich GGZ

Zahlen und Fakten Nutzung: 24 2.5-Zimmer-Wohnungen (65–74 m2) 21 3.5-Zimmer-Wohnungen (84–88 m2)   6 4-Zimmer-Maisonettewohnungen (98 m2)   3 5.5-Zimmer-Wohnungen (132 m2)   1 Ladengeschoss (1115 m2)   1 Tiefgarage mit 100 Stellplätzen Investitionsvolumen: 34 Mio. Franken

In der Computerwelt spricht man von «Open Source» – im übertragenen und besten Sinne handelt es sich auch bei dem Projekt «Wohn- und Geschäftshaus Badenerstrasse 380, Zürich» um einen offenen Prototyp. An dessen Entwicklung sind neben den Architekten zahlreiche Handwerksunternehmen der Baugenossenschaft Zurlinden (BGZ) beteiligt. Ausgangspunkt der Entwicklung ist eine janusköpfige, rund 2700 m2 grosse Parzelle in Zürich. Im Süden wird sie von der stark befahrenen Badenerstrasse begrenzt, während im Norden der neue Stadtpark Hardau entstehen soll. Seit den 1970er-Jahren wird die Fläche zwischen der kommunalen Wohnsiedlung Hardau II und der Badenerstrasse als informeller Park- und Spielplatz genutzt. Etwa ebenso lang steht auf dem Areal ein Migros-Provisorium. Im Zuge der Erneuerung der Siedlung Hardau und der Aufwertung des gesamten Quartiers sollte der eingeschossige Pavillon einem Neubau weichen.

Basis Wettbewerb Wie in Zürich üblich, lobte das Hochbauamt der Stadt im Auftrag der BGZ zusammen mit der Genossenschaft Migros Zürich einen Studienauftrag für das Bauvorhaben aus (vgl. «Zürich – Paris», TEC21 3-4/2007). Das Erdgeschoss sollte künftig die Migros-Filiale beherbergen, darüber sollten 50 Wohnungen für Singles, Zwei-Personen-Haushalte und Kleinfamilien entstehen. Die Parzelle selbst hat eine Tiefe, die den fünf eingeladenen Architektenteams die Aufgabe nicht einfach machte. In einer ersten Runde konnte kein Projekt allen Anforderungen – besonders der Einhaltung der Kosten – restlos gerecht werden. Der Austausch in der Zwischenbesprechung zeigte die Komplexität der Aufgabe, Kosten, Lärm, Nutzungsdurchmischung, Dichte und Gebrauchswert der Wohnungen unter einen Hut zu bringen. In der Überarbeitungsrunde, in der es vor allem um die Wirtschaftlichkeit ging, konnten sich pool Architekten gegen das Projekt von Harder Haas Partner durchsetzen. Das laut Jurybericht «eigenwillige Projekt» ist dicht und in der Vertikalen stark gegliedert. Lange Raumfolgen spannen von der Strassen- bis zur Parkseite, was sowohl eine optimale Besonnung von Süden wie auch einen direkten Blick zum geplanten Stadtpark Hardau ermöglicht. Der Bezug sämtlicher Wohnungen zum Park stellt einen entscheidenden Vermietungsfaktor dar. Überraschend für die Jury war, dass mit der Optimierung der Kosten grosszügigere Wohnungen entstanden seien.2

Forscherfirmen Ein weiterer Baustein des Projekts ist in der Struktur der Baugenossenschaft Zurlinden selbst zu finden, mit der die Architekten bereits bei der Wohnüberbauung Leimbachstrasse in Zürich zusammengearbeitet haben. Sie wurde 1923 gegründet, und ihre rund 50 Genossenschaftsmitglieder sind vorwiegend KMU aus der Baubranche. Die BGZ besitzt heute 1255 Wohnungen in Zürich und Umgebung. Sie ist der Gemeinnützigkeit verpflichtet und daher in der Lage, Wohnungen zu langfristig günstigen Mietzinsen anzubieten. Die BGZ versteht sich als Schrittmacherin im zukunftsorientierten Wohnungsbau. Mit prägnanter Architektur und mit mutigen Pionierprojekten setzt sie Zeichen für eine nachhaltige Entwicklung. Da verwundert es wenig, dass die Bauherrschaft künftige Projekte konsequent nach dem Legislaturziel


BadenerStrasse 380 | 23

TEC21 23 / 2010

01

der Stadt Zürich «2000-Watt-Gesellschaft» gemäss dem SIA-Effizienzpfad Energie plant.3 Nicht ganz uneigennützig setzt die BGZ bei ihren Neubauten auf eine innovative, nachhaltige Bauweise und arbeitet dabei eng mit qualifizierten Fachleuten zusammen, sind doch gelungene Projekte die beste Werbung für die Innovations- und Leis­tungsfähigkeit der Genossenschafter. Beim Projekt an der Badenerstrasse kommt daher die neu entwickelte Bauweise «Top Wall» zum ersten Einsatz. Die Wände bestehen aus senkrechten Massivholz-Ständern (vgl. «Vorteile ausspielen», S. 28 ff.), um den Grauenergiegehalt der Konstruktion zu reduzieren und so dem 2000-Watt-Ziel näherzukommen.

Dem Stadtlärm Trotzen

01 Nordfassade zum künftigen Hardau-Park (Foto: af / Red.)

Die Architekten entschieden sich bei ihrem Entwurf, die gesamte Parzellentiefe mit dem Baukörper zu besetzen. Auf ein überhohes Sockelgeschoss mit der Migros-Filiale sind die Wohngeschosse wie auf einen Tisch gestellt. Dabei definiert das Gebäude mit seinen zwei Längsfassaden sowohl den Strassen- als auch den Parkraum. Von der lauten Strassenseite zieht sich der Baukörper in den Obergeschossen etwas zurück. Die starke vertikale Fassadengliederung nimmt hier den Duktus der Nachbargebäude mit ihren Erkern auf und verstärkt ihn durch markante Attikarücksprünge. Auf die ruhige Parkseite ausgerichtet sind die Balkone, die das Volumen auflösen und zum Grün hin öffnen. Um den Parkplatz im Hinterhof zugunsten des Stadtparks auflösen zu können, wurde in den Untergeschossen neben den Migros-Kundenparkplätzen eine grosse öffentliche Einstellhalle geschaffen. Allerdings ist die Organisation noch nicht geklärt: Statt der ursprünglich vorgesehenen Übernahme durch die Stadt betreibt zurzeit die Genossenschaft die Tiefgarage. Die Wohngeschosse sind eine Holzkonstruktion, die auf der weitgespannten Stahlbetondecke des ebenerdigen Ladengeschäfts steht. Lediglich die Fluchttreppenhäuser mussten aus Brandschutzgründen betoniert werden. Entgegen der ursprünglichen Planung, auch die Geschossdecken aus Stahlbeton herzustellen, wurden vorgefertigte grossformatige Hohl­ kastenelemente aus Holz eingebaut.


24 | BadenerStrasse 380

TEC21 23 / 2010

d

c

b

a e 02

03

02 Wettbewerbsmodell (Foto: Mike Frei) 03 Situation, Mst. 1:2000: Im Süden die stark befahrene Badenerstrasse (a) und im Norden der künftige Stadtpark (b); Oberstufenschulhaus (c); Siedlung Hardau II (d), Albisriederplatz (e). Farbig markiert sind die zwei Häuser (Pläne: Pool Architekten) 04 Eingang zur Migros. Die angrenzende Fuge im Blockrand ist der Zugang zum künftigen Park (Foto: af / Red.) 05 Querschnitte, Mst. 1:500

Haus 3

Haus 4 04

05


WM

WM

WM

WM

WM

WM

2./3. OG

1. OG

WM

WM

5. OG 06 Grundrisse Haus 3 und 4, Mst. 1:300

DG

WM

WM

BadenerStrasse 380 | 25

TEC21 23 / 2010


07


BadenerStrasse 380 | 27

TEC21 23 / 2010

Der Aufbau selbst besteht aus sechs Häusern, die sägezahnartig gegeneinander verschoben angeordnet sind. Die einzelnen Volumen mit Breiten von 10.40 m bzw. 13.90 m sind längs in zwei Hälften geteilt, sodass durchgesteckte, schmale, knapp 20 m tiefe Wohnungsgrundrisse entstehen. Alle Wohnungen partizipieren so an den Vor- und Nachteilen beider Seiten. Durch den Versatz der Häuser sind fast alle Wohnungen von drei Seiten belichtet, was den Grundriss licht und grosszügig wirken lässt. Dank den starken Rücksprüngen in der Strassenfassade ist an diesem lärmbelasteten Ort Wohnen überhaupt möglich. Um die Lärmschutz­vorschriften einhalten zu können, darf der Grenzwert bei geöffneten Fenstern nicht überschritten werden – auch wenn eine mechanische Lüftung vorhanden ist. In den Einzügen ist der Schall geringer, sodass hier die Fenster geöffnet werden können. Gleichzeitig erzeugen sie aber auch – bei aller gewünschten Dichte – schwierige Ecksitua­ tionen mit teilweise guter Sicht in die Nachbarwohnungen. Die im Wettbewerbsentwurf gelobten energetisch begründeten, tiefen Fensterlaibungen erweisen sich leider nicht als ausreichende Schutzmassnahme gegen schräge Blicke. Man betritt die sechs Wohnhäuser über separate lichte Treppenhäuser, die längs der Sockel­ fassade an der Badenerstrasse bzw. zum Park angelegt sind. Nach zwei Treppenläufen gelangt man in ein innen liegendes Treppenhaus. Diese Engführung bildet einen Kontrast zur Raumwirkung der Wohnungen – verstärkt durch die braun gestrichenen Wände, die auf die benachbarten Hardau-Türme anzuspielen scheinen. Die einzelnen Häuser sind Zweispänner. Nur im 1. Obergeschoss, in dem drei 5.5-Zimmer-Wohnungen die strenge Struktur überspringen und zwei Zimmer in das benachbarte Volumen hinüberstrecken, ist nebenan eine 3.5-Zimmer-Wohnung erschlossen. In den drei Stockwerken darüber liegen pro Haus jeweils sechs 2.5-Zimmer-Wohnungen. Die obersten beiden Stockwerke in den strassen­ seitigen Volumen nehmen neben drei kleinen 2.5-Zimmer-Appartements sechs Maisonette­ wohnungen mit 4.5 Zimmern auf.

Effizienz und Freiheit

08

07 Blick von einem rückwärtigen Balkon nach Westen auf das Oberstufenschulhaus (Foto: Henzi & Micciché photography, Zürich) 08 Sequenz des Holzbaus (Grafik: SJB Kemper Fitze, Herisau) Anmerkungen  1 TEC21-Dossier «Bauen für die 2000-Watt-Ge­ sellschaft», S. 44 ff. 2 TEC21 3-4/2007, S. 13 3 www.bgzurlinden.ch

Das Gebäude folgt dem SIA-Effizienzpfad zur Erreichnung der 2000-Watt-Gesellschaft. Die Vorteile dabei liegen auf der Hand: Anders als bei dem vergleichsweise sturen Minergie-Standard lässt der Effizienzpfad grössere Gestaltungsfreiheiten. Laut den Energie­ ingenieuren wäre die komplexe Baustruktur für eine Minergie-Zertifizierung kaum fassbar. Die gewählte Holzbauweise wirkt sich direkt auch auf die Raumgestaltung aus: Um die Wände nicht zu schlitzen, werden alle Kabel in umlaufenden Bodenkanälen entlang der Wände geführt. Anders als bei Minergie-Bauten üblich, wird die Lüftung nicht über ein zent­ rales Klimagerät gesteuert, sondern über Lüftungselemente seitlich neben den Fenstern. Nach innen zeigen sie sich durch schmale, hohe Holzlamellenpaneele neben den Fensterrahmen. Der Verzicht auf eine aufwendige horizontale Kanalführung kommt direkt der Raumhöhe zugute. Der Supermarkt und die Wohnungen stehen in einer weiteren engen symbiotischen Beziehung: Die Wohnungen profitieren von der grossen Abwärme des Supermarkts (vgl. «Low ExZero (E)Mission», S. 33 ff.), die zusammen mit einer grundwassergespeisten Wärmepumpe den Warm- und Heizwasserbedarf deckt. Auf den ersten Blick wirken die Fassaden etwas fremd in ihrem Umfeld – schliesslich sind sie aus einer eigenen technischen Logik entwickelt: Um die Unterkonstruktion aus energie­ intensiven Aluminiumprofilen zu minimieren, wurden Fertigteile in Form eines Strang­press­ profils aus streichelglattem Faserbeton entwickelt. Die Kantungen und Fugen erzeugen ein lebhaftes Licht- und Schattenspiel auf den Fassaden und funktionieren wie eine zeitgenössische Weiterentwicklung eines klassischen Bossenwerks. Nicht zuletzt soll die robuste Konstruk­tion im fordernden urbanen Umfeld eine deutlich längere Lebensdauer aufweisen als herkömmliche Wärmedämmverbundsysteme, sodass die Nachhaltigkeits­ rechnung aufgehen dürfte. Alexander Felix, felix@tec21.ch


28 | BadenerStrasse 380

TEC21 23 / 2010

vorteile ausspielen Auf den ersten Blick verrät der kürzlich fertiggestellte Neubau an der Bade­ nerstrasse 380 in Zürich nichts Besonderes: Perimeter, Bauvorschriften, ökologische und ökonomische Interessen haben das Bauwerk in sein Korsett gezwängt. Der zweite Blick auf die Planungs- und Bauprozesse zeigt jedoch, dass trotzdem viel Raum für innovative Konzepte und Problemlösungen zur Verfügung stand und dieses «unsichtbare» Arbeitsfeld konsequent bewirt­ schaftet wurde. Zu Beginn war die komplette Tragstruktur als reiner Stahlbeton-/Mauerwerksbau konzipiert. Doch mit dem Wachsen des Anforderungskataloges wurden Reaktionen nötig, um den Belangen Energieeffizienz, ökologische Nachhaltigkeit und kurze Bauzeit Rechnung zu tragen. Deshalb wurde ein grosser Teil des oberen Bauvolumens neu in Holzbauweise geplant. Die zwei Untergeschosse, das Erdgeschoss und die sechs Treppen- und Lifttürme beliess man in der Stahlbeton-Variante: Die Vorteile hinsichtlich Tragfähigkeit, Vorspannung und Brandschutz konnten hier durch andere Baumaterialien nicht wettgemacht werden. Platten, Stützen und Wände der Untergeschosse und des Erdgeschosses sind aus handelsüblichem Beton der Klasse C25/30 XC1 rsp. C30/37 XC4 XF1 bei erdberührten Bauteilen fabriziert. Um die graue Energie zu minimieren, wurden die Treppen- und Lifttürme aus Recyclingbeton des Typs C25/30 XC1 XC2 ausgeführt, weil dies hier wegen der geringeren Beanspruchung gut möglich war. Der Wechsel zur Holztragstruktur in den Obergeschossen hatte nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe, denn günstiger Wohnraum wird auch dadurch möglich, wenn dieser nach kurzer Bauzeit zur Verfügung steht. Die Genossenschaft kann ihn so früher vermieten und durch diesen wirtschaftlichen Vorteil tiefere Mietzinse ermöglichen. Um möglichst viel Bauzeit zu sparen, wurde der längliche Grundriss quer zur Badenerstrasse in vier Bauetappen unterteilt. Die Stahlbetonarbeiten konzentrierten sich zu Beginn an den zwei Endpartien. Die zwei dazwischenliegenden Etappen wurden sukzessive nachfolgend eingebaut. Dies hatte den Vorteil, dass auf den fertigen Randetappen bereits mit dem Aufrichten des Holzbaus begonnen werden konnte, während die mittleren zwei Etappen noch im Bauprozess standen. Diese zeitliche Überlappung der Arbeitsgattungen brachte denn auch eine beträchtliche Reduktion der Baudauer.

schnittstelle erdgeschossdecke Die Tragstruktur im Erdgeschoss ist mit ihrer grosszügigen Einteilung in keiner Weise kongruent mit den lastableitenden Wänden der Obergeschosse. Dadurch wurde das kreuzweise Anordnen von vorgespannten Unterzügen in der Erdgeschossdecke notwendig, wobei die sekundären Unterzüge (h=67 cm) in Querrichtung ihre Lasten an die primären Unterzüge (h=77 cm), die parallel zur Badenerstrasse angeordnet sind, abgeben. Solche Abfangträger reduzieren die Menge an Stahlbeton im Vergleich zu durchgehend gleich starken Deckenplatten zwar beträchtlich, beanspruchen aber auch mehr statische Höhe. Um mit den Medienkanälen nicht unter den Unterzügen durchfahren zu müssen und noch mehr an Raumhöhe zu verlieren, sind deshalb zahlreiche Aussparungen vorgesehen. Deren Anordnung richtet sich zwingend auf die Bereiche, wo die Spannkabel unten liegen. Die lichten Querschnitte wiederum sind ein Produkt aus statischer Verträglichkeit und den Anforderungen der Gebäudetechnik. Dass mehr Aussparungen als nötig platziert wurden, geschah in weiser Voraussicht, denn nachträgliches Bohren ist teuer und die Verletzung von relevanter, schlaffer Bewehrung dabei unumgänglich.


BadenerStrasse 380 | 29

TEC21 23 / 2010

Etappe 2 (Arbeitsetappe 4)

Etappe 1 (Arbeitsetappe 2) Typ 1400 31 ø 7mm 2 Stück

Etappe 3 (Arbeitsetappe 3) Typ 1400 31 ø 7mm 2 Stück

11

Etappe 4 (Arbeitsetappe 1)

21

Kabelbestellung in Etappe 1!

12

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

31

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

29

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

26

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

27

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

28

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

22

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

23

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

24

1

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

2350 52 ø 7mm 13 2TypStück

32

2 2350 52 ø 7mm 18 2TypStück 2350 52 ø 7mm 17.1Typ 1 Stück 2350 52 ø 7mm 17.21TypStück

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

2350 52 ø 7mm 14.1Typ 1 Stück Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

2350 52 ø 7mm 14.21TypStück

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

3

Typ 1400 31 ø 7mm 2 Stück

4

33

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

2350 52 ø 7mm 15.11TypStück

29

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

32

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

2350 52 ø 7mm 15.21TypStück

27

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

1

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

2

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

1

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

23

A

A

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

34

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

24

28

25

Kabelbestellung in Etappe 3!

Etappe 2 (Arbeitsetappe 4) Typ 1400 31 ø 7mm 2 Stück

Etappe 2 (Arbeitsetappe 4)

2350 52 ø 7mm 16 Typ 2 Stück

Etappe 3 (Arbeitsetappe 3)

21

Etappe 3 (Arbeitsetappe 3)

15.1 2350 52 ø 7mm 15.2Typ 1 Stück Typ 2350 52 ø 7mm 1 Stück

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück 2350 52 ø 7mm 17.1Typ 1 Stück 2350 52 ø 7mm 17.2Typ 1 Stück

2350 52 ø 7mm 18 Typ 2 Stück

Etappe 1 (Arbeitsetappe 2)

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

29

32

Etappe 2 (Arbeitsetappe 4)

01

01 Grundriss und Schnitt EG-Abfangdecke mit Etappierung und Darstellung der Spannkabel in den Unterzügen. Das blaue Stück in Arbeits­ etappe 3 kennzeichnet das Hüllrohr für den Einbau der Spannkabel der Arbeitsetappe 4 (Plan + Foto: Henauer Gugler AG) 02 Kreuzpunkt der Unterzüge in der Decke über EG, die Schnittfläche zwischen Einkaufszentrum darunter und Wohnkuben darüber verlangt brückenbauähnliche Bauweise 02

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

30

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

27

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

23

Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück Typ 2350 52 ø 7mm 2 Stück

Etappe 3 (Arbeitsetappe 3)

3

2 Typ 1400 31 ø 7mm 2 Stück

Etappe 4 (Arbeitsetappe 1)

4


30 | BadenerStrasse 380

03

03 Axonometrie Holztragstruktur (Grafiken: SJB.Kempter.Fitze AG) 04 Axonometrie Stahlbauteile

TEC21 23 / 2010

04

Als «Schlussstein» im übertragenen Sinn kann man die letzte Deckenetappe 4 bezeichnen. Da diese aus den genannten Gründen nicht an der Peripherie des Bauvolumens liegt, stellte sich das Problem der durchgängigen Vorspannung: Nach dem Betonieren dieser Schluss­ etappe musste man die Spannköpfe erreichen und der Spannpresse genug Platz einräumen. Zudem haben sich die Spannkabelenden der Etappen 3 und 4 weit zu überlappen, um eine durchgehende Wirkung zu erzielen. Dazu wurden in der Etappe 3 Hüllrohre mit dem gewünschten Kabelverlauf der Etappe 4 eingelegt und im Bereich der Spannköpfe grosszügige Aussparungen hergestellt. So wurden die Spannkabel der primären Unterzüge in der Etappe 3 per Kupplung an die entsprechenden Kabel der Etappe 1 angeschlossen und nach dem Betonieren und Nachbehandeln an der Kontaktstelle zu Etappe 4 vorgespannt. Nun konnten die Spannkabel der vierten Etappe mit Kupplungen an die Kabel der zweiten Etappe angeschlossen werden und durch die Hüllrohre in die fertige Etappe 3 eingestossen werden. Anschliessend betonierte man die letzte Etappe 4 und spannte die Kabel via die genannten Aussparungen in Etappe 3. Den Abschluss bildete das Auffüllen dieser Spannkopfaussparungen. Diese Abhandlung hört sich isoliert relativ einfach an. Durch das bereits erfolgte Aufrichten der Holzbauelemente auf den Etappen 1 und 2 war jedoch ein grosser logistischer Aufwand nötig, zumal auch die Flächen für Arbeit und Materialumschlag knapp bemessen waren.

Holzbauweise Ermöglicht 2000 Watt Die sechs Wohnkuben auf der Massivbaudecke über dem EG in Holzbauweise statt in der zu Beginn konzipierten Massivbauweise auszuführen, machte das ehrgeizige Ziel «2000-WattGesellschaft» erst erreichbar. Das gewählte Wandprinzip «Top-Wall» wird normalerweise mit Stahlbetondecken kombiniert. Um aber auch hier der ökologischen Nachhaltigkeit und einer Minimierung der grauen Energie zu entsprechen, wurden die Geschossdecken aus Hohl­ kastenelementen ausgeführt. Damit hatte der Holzbauingenieur einige zusätzliche Aufgaben zu lösen, weil Hohlkasten naturgemäss nur in einer Richtung tragen. Auch die Gebäude­ technik musste sich dieser Bauweise und ihren Konsequenzen unterordnen (vgl. «Low ExZero (E)Mission», S. 33).

pragmatisch, praktisch, gut Der Tragwerksplan der mehrgeschossigen Holzbauten ist denkbar einfach: Massive massgehobelte Kanthölzer 100 /195 mm der Festigkeitsklasse C24 bilden im Achsraster von 200 mm aneinandergereiht die 100 mm starken Aussen- und Trennwände. Auf diesen Wänden und an Auflagerschwellen aus Holz, die an den stabilisierenden Betonkernen verankerten wurden, sind die Hohlkastenelemente aufgelegt. Diese Deckenelemente bilden steife, an den Kernen


BadenerStrasse 380 | 31

TEC21 23 / 2010

05

05 Detailschnitt Geschossdecke-Aussenwand (Pläne: SJB.Kempter.Fitze AG) 06 Detailschnitt Geschossdecke-Trennwand

06

fest verankerte horizontale Scheiben, vergleichbar mit einer einseitig wandverschraubten Tischplatte. Jede Deckenebene ist an ihrer Peripherie mit Einbindern aus 55 mm starken 3-Schicht-Platten umschlossen. Die stumpfen Stösse dieser Einbinder sind mit Nagelblechen kraftschlüssig verbunden. Um Gesamtstabilität und Erdbebensicherheit zu gewährleisten, sind die Geschossdecken der sechs Wohnkuben mit partiellen Schubverbindungen aus Stahl gekoppelt. So kann sich ein einzelner Kubus nicht um seinen Betonkern drehen. Damit sind weder an den Wänden noch an den Decken Verbände notwendig. Auf den ers­ ten Blick eine einfache und unproblematische Bauweise – doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und deren sind nicht wenige vorhanden. Die Planer verstanden es, mit pragmatischen Lösungen zu reagieren: – Verbindungen: Die Wände wurden nicht als Elemente im Werk vorfabriziert, sondern jedes einzelne Kantholz wurde am Bau gesetzt und mit Buchendübeln Ø 20 mm fixiert. Auf der Decke über EG bilden aufgedübelte Holzschwellen das Fundament für die Holzwände und gleichzeitig die Voraussetzung, durchgängig mit demselben Verbindungsprinzip arbeiten zu können. Je ein Buchendübel an Fuss und Kopf und einer auf halber Wandhöhe zwischen den Kanthölzern genügen, um die notwenigen Freiheitsgrade einzuschränken. Ingesamt wurden rund 4 km dieser Hartholzdübel eingebaut. Die Einbinder am Deckenrand bilden den Umfassungsring und sind Kontaktstelle für diverse Aufgaben wie Durchleiten der Vertikallasten, Aufnahme der Buchendübel und Anschrauben der Hohlkastenelementstirnen. – Auskragungen: Die Wohnkuben weisen an den Schmalseiten diverse Terrassen und Balkone auf. Teilweise stützenfrei verlangen diese nach Kragträgern, weil die Tragrichtung der Hohlkastenelemente nur eindimensional verläuft. Das Umlegen der Rippen scheint naheliegend, bringt aber meist mehr Komplikationen als Nutzen mit sich. So wurde hier bewusst die Tragrichtung beibehalten und mit aussen angesetzten Brettschichthölzern die Auskragung realisiert. – Stahlbauteile: Wohl als Obulus an den Konzeptwechsel von Massivbau- zu Holzbauweise in fortgeschrittener Planungsphase mussten einige Deckenauflager und diverse stark beanspruchte Tragelemente aus Baustahl implantiert werden. Ein Konstrukteur versucht immer, den Einsatz solcher «Fremdkörper» zu verhindern, denn das Einflechten von Stahlprofilen in einen Holzbau bringt immer einige technische Probleme mit sich wie Wärmebrücken und Anpassungen an Walzprofilformen. Dennoch kann dies selten gänzlich vermieden werden. – Brandschutz: Die Auflage der Gebäudeversicherung verlangte durchwegs nichtbrennbare Oberflächen im Rohbauzustand. Damit war klar, dass alle Holzbauteile komplett zu verkleiden sind. Innen und in den Steigzonen wurde diese Forderung mit Gipsfaserplatten, aussen mit der sowieso vorhandenen Mineralwolldämmung der hinterlüfteten Fassade erfüllt.


32 | BadenerStrasse 380

TEC21 23 / 2010

07

08

09

10

07 Einbinder mit Buchenholzdübeln (Fotos: Pool Architekten) 08 Montage der stehenden Kanthölzer 09 Einheben der Hohlkastenelemente 10 Rohbauzustand mit Vorwandkonstruktion (vgl. S. 34, Abb. 1) (Foto: Henzi & Micciché photography, Zürich)

gelebte interdisziplinarität Diverse weitere Details im Massivbau, dem Holzbau, der Gebäudehülle etc. wären der Erwähnung noch wert. Doch bereits jetzt ist offensichtlich, dass ein solches Gebäude nicht ohne das geordnete und zielgerichtete Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen plan- und ausführbar ist. Der Peak «2000-Watt-Gesellschaft» und der damit verbundene Konzeptwechsel in der Bauweise der Obergeschosse hat dem Begriff Interdisziplinarität wahre Bedeutung zugespielt. Investoren und Baufachleute haben hier ein wichtiges Zeichen auf dem Weg zur energiebewussten Gesellschaft gesetzt. Markus Schmid, schmid@tec21.ch


BadenerStrasse 380 | 33

TEC21 23 / 2010

low ex-zero (e)mission 2. Hauptsatz Thermodynamik

1

Der 2.Hauptsatz der Thermodynamik befasst sich vor allem mit den Gleichgewichtzuständen von Systemen und den Prozessen, die Zustands­ änderungen zwischen Systemen ergeben. Das Wort Gleichgewicht bedeutet, dass der Zustand eines Systems unverändert bleibt, während es von anderen Systemen isoliert ist. 1. Zustandsprinzip Wie bekannt ist, bezieht sich der Gleichgewichts­ zustand eines Systems auf die Werte von Ener­ gie, Zwang und Partikelzahlen in ebendiesem System. Das Zustandsprinzip besagt, dass die Werte jeder Eigenschaft eines Systems in einem Gleichgewichtszustand nur durch eine Funktion der Werte von Energie, Zwang und Partikelzahl beschrieben werden können. 2. Reversible und irreversible Prozesse Wenn ein System und seine Umwelt Zustandsän­ derungen erfahren können und das System fähig ist, seinen ursprünglichen Zustand wieder zu erreichen, wird dies ein reversibler Prozess ge­ nannt. Wenn ein System von seinem ursprüng­ lichen Zustand zu einem festen Gleichgewichts­ zustand übergeht, ohne Beeinflussung der Umwelt, so wird dies ein irreversibler Prozess genannt. 3. Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile 2. Art Ein System in einem festen Gleichgewichtszu­ stand kann keine Arbeit verrichten, sondern nur aufnehmen. Wenn ein System in einem festen Gleichgewichtszustand Arbeit verrichten könnte, würde es in einen Nicht-Gleichgewichtszustand wechseln, ohne Beeinflussung der Umwelt. Die­ se unmögliche Annahme ist der Grundsatz des Perpetuum mobile 2. Art. Es ist eine Maschine, die Arbeit aus einem Gleichgewichtszustand verrichtet. 4. Gemeinsamer Gleichgewichtszustand Wenn sich 2 Systeme A und B in einem gemein­ samen Gleichgewicht befinden, befinden sich beide auch in einem festen Gleichgewichtszu­ stand. Weiter, wenn der Zustand eines der Sys­ teme geändert wird, wenn A und B verbunden sind, ändert der Zustand des zweiten Systems ebenfalls. 5. Definition der Entropie Die Entropie liefert den Wert, wie viel thermische Energie zur Verrichtung von Arbeit vorhanden ist. Dies bedeutet: je weniger Entropie, desto weniger Energie steht zur Verfügung. Der 2.Hauptsatz besagt, dass die Entropie nicht von alleine abnehmen kann. Als Folgerung dieses Satzes gilt, dass eine Maschine nur Arbeit ver­ richten kann, wenn Wärme abgeführt wird. Mit anderen Worten: Eine Maschine funktioniert nur, wenn sie gekühlt wird.

Nebst dem Anspruch, einen 2000-Watt-kompatiblen Neubau mit Zielwert A gemäss SIA-Effizienzpfad zu realisieren, wurde zusätzlich zur klassischen Energiebetrachtung, bei der die Reduktion der benötigten «kWh/m2 a» im Fokus steht, auch der hochwertige Anteil der Energie, die Exergie zur De­ ckung des Bedarfs, so weit als möglich reduziert und mit einem CO2-freien Betrieb sichergestellt. Diese «Mission LowEx-ZeroEmission» verlief beim Gebäude an der Badenerstrasse 380 erfolgreich. Diese erweiterte Betrachtung bedingte ein durchgängiges «LowEx-ZeroEmission-Konzept». Für die Amstein+Walthert AG als Gesamtplaner der Energie- und Gebäudetechnik und der Kälin & Müller AG als Fachplaner Elektro/Gebäudeautomation war klar, dass die exergetische Optimierung im Sinne der konsequenten Anwendung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik nur durch den Einsatz einer anergetisch hochwertigen und erneuerbaren Wärmequelle in Kombination mit einer effizienten Wärmepumpe generiert werden kann. Es ging also nicht primär darum, die Wärmedämmung der Gebäudehülle über eine über das ökonomisch nachhaltige Mass hinausgehende Lösung zu maximieren, sondern eine bauphysikalisch ­genügend gute Konstruktion zu realisieren, die ein Heizsystem zur Wärmeabgabe mit raumtemperaturnahen Heizwassertemperaturen zulässt und gleichzeitig den Komfortanforderungen genügt.

Anergie in Form von Grundwasser und Abwärme Als Wärmequelle kann am Standort des Neubaus das Grundwasser in rund 25 m Tiefe mit einer Temperatur von ca. 10–12 °C genutzt werden. Die «Veredelung» des Grundwassers auf die erforderliche Heizwassertemperatur von max. 40 °C (Vorlauf auf Lufterhitzer bei –10 °C Aussentemperatur) erfolgt über eine Elektromotorwärmepumpe (max. 160 kW), die mit einer Jahresarbeitszahl (JAZ) von > 5.5 betrieben werden kann. Die Auslegung der monovalenten Wärmepumpe erfolgte so, dass der gesamte Wärmeenergiebedarf (Raum­ heizung und Warmwasser) abgedeckt werden kann. Solange die prozessbedingt anfallende Abwärme aus der gewerblichen Kühlung der Migros im Erdgeschoss anfällt, wird sie im Sinne der Substitution der Grundwasserwärmepumpe zur direkten Deckung des Migros-­ eigenen Wärmebedarfs eingesetzt und, falls darüber hinaus vorhanden, auch zusätzlich für den Wärmeenergiebedarf der Wohnungen in den Obergeschossen verwendet. Bei der Wärmeversorgung ging es also primär darum, die «netto gelieferte Energie» in Form von Strom (CO2-freier Labelstrom und gebäudeeigene Fotovoltaik auf dem Flachdach) zu ­reduzieren, um eine hohe energetische Effizienz zu erreichen. Ein für die Zukunft sicherlich nicht unerheblicher Mehrwert bildet die Tatsache, dass beispielsweise bei einer Verdoppelung der Energiepreise die Energiekosten mit diesem Konzept gegenüber z. B. einer Pelletsheizung um einen Faktor 5.5 gedämpft verteuert werden. Nebst der hohen energetischen ­Effizienz ist somit also auch die ökonomische Sensitivität gegenüber konventionellen Wärmeerzeugungssystemen erheblich reduziert.

Dezentrale Lufterneuerung – individuell und integriert Die kontrollierte Lufterneuerung erfolgt nur für die Untergeschosse (Lager, Parking) und das Erdgeschoss (Migros) mittels zentraler Zu- und Abluftanlagen. Die Wohnungen in den Ober-


34 | BadenerStrasse 380

TEC21 23 / 2010

03

01

02

01 Modularer Medienschacht in den Treppen­ häusern (Plan, Schema und Diagramme: Amstein+Walthert AG) 02 Raummodul Lufterneuerung Wohnung mit ­dezentralen Fenstergeräten 03 Monatlicher Wärmeenergiebedarf pro ­Nutzung 04 Monatliche Wärmeenergiedeckung pro ­System 05 Energieflussdiagramm mit Zielwert A gemäss SIA-Effizienzpfad (Schema: SIA D 0216, Anhang A, Abb. A/1)

04

05

geschossen verfügen über dezentrale, fensterintegrierte Zu-/Abluftgeräte (Swiss Air Window), welche die Zimmer individuell und bedarfsabhängig (Stufenschaltung) mit der notwendigen Frischluft versorgen, ohne den schlanken Holzbau mit räumlich aufwendigen Massnahmen zur Zu- und Abluftkanalführung unnötig zu belasten. Die Nasszellen verfügen über Einzelventilatoren mit einer bedarfsabhängigen Steuerung (Lichtschalter mit Nachlaufzeit), und die Küchen, die bei konventionellen Abluftanlagen prozessbedingt einen unnötig hohen Frischluftbedarf generieren würden, werden konsequent über Umluftgeräte mit integrierten regenerierbaren Filtern betrieben. Die Luftverteilsysteme und Komponenten der Lufterneuerung wurden zur Reduktion des Förderstrombedarf gemäss SIA 382/1 auf die Kategorie SFP 1 nach EN 13779 mit entsprechend tiefen Druckverlusten und hohen Wirkungsgraden ausgelegt.

effizientes Facility Management Die Gebäudetechnikplanung wurde nebst der nachhaltigen Ausrichtung der Systeme in Bezug auf die Aspekte der Ökologie auch hinsichtlich eines kostengünstigen Betriebs,


BadenerStrasse 380 | 35

TEC21 23 / 2010

5 1

28

12 5

1 5

7

Eckelement Glasfaserbeton Fensterbank Aluminium goldfarben anodisiert

35

3

hcelbzrutS

5

01

05

9

61

Glashalterung Z-Winkel

Fensterlüfter mit Blechverkleidung

8

Fermacell 15 mm Fensteranschlag ausstopfen

Fuge 3 mm

5 5 0 2

3

Abschlusspro fil

Glasfaserbetonelemente 70 mm Unterkonstruktion 30mm / Hinterlüftung Flumroc Dämmplatte 3 / 1-lagig 160mm Windpapier Holzbohle mit Feder 100mm Flumroc Dämmplatte 1 / 80mm Unterkonstruktion 30mm Filz Fermacell 2x 12.5mm Scandatex

24 6

5

15

20

25 4

Abdeckung Bodenkanal RAL 7040 4 25

4 5 1

1 5

5 1

06

9 15

Wandaufbau:

07

06 Horizontalschnitt Fenster mit integrierter Lüftungsanlage, Mst. 1:10 (Plan: Pool Archi­ tekten) 07 Ausbauzustand: Gipsschalen bilden die Wand­ flächen, im Boden davor verlaufen Medienkanäle. Neben der Fenstertür ist das Holzpaneel des Lüftungsgeräts sichtbar (vgl. S. 32, Abb. 10) (Foto: Henzi & Micciché photography, Zürich)

d. h. eines effizienten Facility Managements, konsequent in der interdisziplinären Planung implementiert. Um eine einfache Zugänglichkeit der Anlagen und Komponenten auch ausserhalb der Technikzentralen zu gewährleisten, ist die Medienversorgung der Wohnungen möglichst Kompakt und modular angeordnet. Die Lösung wurde durch einfache, aber in der Planungsphase bewusst akribische Koordinationsarbeit in den Medienschächten der Treppenhäuser und mit konsequent peripher verlaufenden Elektrokabel- und -steckdosenkanälen in den Unterlagsböden gefunden, die auch die Flächenheizung aufnehmen. In den Medienschächten sind alle beweglichen und somit wartungsbedingten Anlageteile pro Wohnung in modularer Bauweise integriert. Nebst der einfachen Zugänglichkeit ausserhalb des Wohnungsperimeters ist mit der Modularität auch eine effiziente, weil reduzierte Ersatzteilhaltung möglich – auch das ein oft unterschätzter Aspekt, der sich im Gegensatz zur energetischen Effizienz noch nicht sehr stark in der Baukultur niedergeschlagen hat.

Anmerkung 1 http://library.thinkquest.org

Adrian Altenburger, dipl. HLK-Ing. HTL / MAS Arch. ETH, adrian.altenburger@amstein-walthert.ch


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.