1. Bilder als Form der Kritik – Rezeption Superstudios Die Collagen Superstudios sind seit jeher für ihren utopischen oder gar fiktionalen Charakter bekannt. Max Ernst nannte das Collagieren die „systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“1 Als die italienischen Architekturzeitschriften Casabella und Domus Arbeiten Superstudios veröffentlichten, rief dies in der Regel zwei mögliche Reaktionen hervor: entweder lobten Kritiker den besonderen und originellen Ansatz oder aber empfanden diesen als unbedeutend und weniger erwähnenswert. Schärfere Kritik zeigte sich nicht allzu oft, da den Beiträgen vorzugsweise mit Ignoranz begegnet wurde, um ihnen jene Präsenz und damit verbundene Relevanz zu entziehen. Nichtsdestotrotz sorgten die Publikationen diverser Stadtutopien, Designprojekte und Wettbewerbsbeiträge für eine Reichweite von internationalem Rang. Während sich die Resonanz auf nationaler Ebene eher negativ verhielt, zeigten sich Europa, Nordamerika und Japan interessierter und auch positiv gestimmt. Ebenfalls Lob gab es aus dem Bereich der bildenden Kunst, auch seitens italienischer Protagonisten. Diese betrachteten die Arbeiten nicht nur im Rahmen der Architettura Radicale2, sondern bezogen sich in Diskussionen auch auf die Architektur- und Kunstavantgarde.3 Trotzdem fehlte es an wichtigen Reaktionen renommierter Architekturkritiker. Den Höhepunkt medialer Aufmerksamkeit erreichte Superstudio Anfang der 1970er Jahre.4 Die von Max Ernst oben verwendeten Begriffe „Provokation“, „wesensfremde Realität“, „Ebene“ und „Poesie“ sind in Bezug auf Superstudio treffend formuliert. Obwohl es vielseitige Reaktionen gab, mangelte es jedoch an Berücksichtigung dieser eigentlich ironischen Intention. In dieser Arbeit soll es um eine vielschichtigere Betrachtung Superstudios Architekturcollagen gehen. Bevor im weiteren Verlauf eine beispielhafte Collage anschaulich beschrieben und interpretiert werden soll, bedarf es zuerst einer kurzen biographischen Einordnung. Daran anknüpfend werden die aus den Arbeiten resultierenden Theorien als in den Collagen sichtbare Elemente benannt und erklärt.
Uwe M. Schneede: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München, 2001, S. 90. 1
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Eine kurze Erläuterung zur Architettura Radicale folgt in Kapitel 2.2.
Vgl. Stauffer, Marie Theres: Figurationen des Utopischen: Theoretische Projekte von Archizoom und Superstudio, Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 6, Deutscher Kunstverlag, München, 2008, S. 26 zitiert nach Celant. Senza titolo, 1971, S. 76–81. 3
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Vgl. Stauffer, Figurationen des Utopischen, 2008, S. 32.
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