Global 62 / Sommer 2016

Page 1

NUMMER 62  |   Sommer 2016

Globalisierung und Nord / Süd-Politik

Arbeitsgemeinschaft Swissaid  |   Fastenopfer  |   Brot für alle  |   Helvetas  |   Caritas  |   Heks  |   www.alliancesud.ch

Weiter Weg zum Umbau der Welt Agenda 2030 : Nochmals über die Bücher !

SDG : Es braucht neue Geschäftsmodelle

Finanzplatz : Schweiz mit Zebrastrategie


Foto : © Alliance Sud / Martin Bichsel

dh. Eine breite Koalition von über 75 Organisa­ tionen warb in den ­Wochen vor der National­ ratsdebatte über die ­internationale Zusammenar­ beit 2017–2020 für eine offene und solidarische Schweiz. Un­terstützt wurde der von Alliance Sud koordinierte « Weckruf gegen Hunger und Armut » von pro­minenten Erstunterzeichnenden aus allen Landesteilen ( Bild ). Über 36 000 Personen sprachen sich dafür aus, dass die Schweiz 0,7 Pro­

fung der ­Entwicklungszusammenarbeit mit Migrati­ons­partnerschaften und Rückführungs­ abkommen. ­Fazit : Auch für die Debatte im ­Ständerat in der Herbstsession braucht es eine auf­merksame Zivilgesellschaft. Die Weckruf-Website wird alle, welche die Kampagne unterstützt haben, über die Ent­ scheide der vorberatenden Kommissionen auf dem ­Laufenden halten.

Impressum

Alliance Sud auf einen Blick

GLOBAL + erscheint viermal jährlich.

Präsidium Melchior Lengsfeld, Direktor Helvetas

Herausgeberin: Alliance Sud, Arbeitsgemeinschaft Swissaid | Fastenopfer | Brot für alle | Helvetas | Caritas | Heks E-Mail: globalplus@alliancesud.ch Website: www.alliancesud.ch Social Media Politik: www.facebook.com/alliancesud www.twitter.com/AllianceSud Social Media InfoDoc: www.facebook.com/AllianceSudDok www.twitter.com/dok_alliancesud Redaktion: Daniel Hitzig ( d h ) , Kathrin Spichiger ( k s ) , Tel. + 4 1 31 390 93 34/30 Bildredaktion: Nicole Aeby Grafik: Clerici Partner Design, Zürich Druck: s+z: gutzumdruck, Brig Auflage: 2400 Einzelpreis: Fr. 7.50, Jahresabo: Fr. 30.– Förderabo: mind. Fr. 50.– Inseratepreise/Beilagen: auf Anfrage Bildnachweis Titelseite: Kohlekraftwerk von Ratcliffe ( E ngland ) , der drittgrösste ­CO 2 -­E mittent Grossbritanniens. © A ndrew Testa/Panos Die nächste Ausgabe von GLOBAL + erscheint Anfang Oktober 2016.

2

zent ihres Bruttonationaleinkommens ( BNE ) für Entwicklungszusammenarbeit einsetzt. Nach einer emotional geführten Debatte scheiterte die Rückweisung des Vorschlags des Bundesrates, der eine Quote von 0,48 Prozent ­vorsieht. Nur knapp verzichtete der Nationalrat ­darauf, die Entwicklungsausgaben auf 0,4 oder 0,45 Prozent des BNE zu kürzen. Ebenfalls knapp abgelehnt wurde eine enge Verknüp­

GLOBAL + SOMMER 2016

Geschäftsstelle Mark Herkenrath ( G eschäftsleiter ) Kathrin Spichiger, Andrea Rotzetter Monbijoustrasse 31, Postfach, 3001 Bern Tel. + 4 1 31 390 93 30 Fax + 4 1 31 390 93 31 E-Mail: mail@alliancesud.ch Entwicklungspolitik

– E ntwicklungszusammenarbeit : Eva Schmassmann, Tel. + 4 1 31 390 93 40 eva.schmassmann@alliancesud.ch – Internationale Finanzen und Steuerpolitik Dominik Gross, Tel. + 4 1 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch – Klima und Umwelt Jürg Staudenmann, Tel. + 4 1 31 390 93 32 juerg.staudenmann@alliancesud.ch – Welthandel und Investitionen Isolda Agazzi, Tel. + 4 1 21 612 00 97 isolda.agazzi@alliancesud.ch

– Konzerne und Menschenrechte Michel Egger, Tel. + 4 1 21 612 00 98 michel.egger@alliancesud.ch – Medien und Kommunikation Daniel Hitzig, Tel. + 4 1 31 390 93 34 daniel.hitzig@alliancesud.ch InfoDoc Bern Dagmar Aközel  /  E manuela Tognola / Emanuel Zeiter Tel. + 4 1 31 390 93 37 dokumentation@alliancesud.ch Regionalstelle Lausanne Isolda Agazzi /  L aurent Matile ( a b 1. 8 . )  /  Katia Vivas Tel. + 4 1 21 612 00 95/Fax + 4 1 21 612 00 99 lausanne@alliancesud.ch InfoDoc Lausanne Pierre Flatt /  N icolas Bugnon / Amélie Vallotton Preisig Tel. + 4 1 21 612 00 86 documentation@alliancesud.ch Regionalstelle Lugano Lavinia Sommaruga Tel. + 4 1 91 967 33 66 / Fax + 4 1 91 966 02 46 lugano@alliancesud.ch


Foto : © D aniel Rihs

« Hilfe vor Ort » beginnt in Bern

Aus dem Inhalt Die Ziele nachhaltiger Entwicklung Am Anfang eines steinigen Wegs

6

Schweizer Klimapolitik Testfall für nachhaltige Entwicklung

8

Business und Agenda 2030 Ohne Privatsektor geht nichts Foto : © D ominique Rothen /  a sk

4

Investitionsschutz 10 Konzerne klagen gegen Staaten Weiss- und Schwarzgeld 12 Salamitaktik ums Bankgeheimnis

Anfang Juni ist der Nationalrat dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt, die Entwicklungsausgaben für 2017 – 2020 von aktuell 0,52 Prozent des Nationaleinkommens auf 0,48 Prozent zu senken. Nun geht das Geschäft an den Ständerat. Auch dort wird es intensive Diskussionen über den Sinn und Zweck der Entwicklungszusammenarbeit geben. In der Grossen Kammer sorgte « Weltwoche »-Chefredaktor Köppel für populistische Stimmungsmache. Er meinte behaupten zu müssen, Afrika habe sich in den letzten Jahrzehnten trotz milliardenschwerer Hilfe nicht vom Fleck bewegt. Bundesrat Burkhalter korrigierte : Afrika sei vielfältig, und in vielen Ländern habe es enorme Fortschritte gegeben. Trotzdem ist die Frage berechtigt : Warum herrschen in vielen Entwicklungsländern Afrikas und anderer Kontinente weiterhin so viel Armut und Not ? Die Entwicklungszusammenarbeit ist nicht Teil des Problems, sondern der Lösung. Sie hat massgeblich zu Fortschritten in der Gesundheitsversorgung und der Bildung, vor allem auch der Bildung von Mädchen und Frauen, beigetragen. Und sie hat dazu beigetragen, die lokalen Zivilgesellschaften zu stärken, die mehr denn je ihre Regierungen in die politische Verantwortung nehmen. Man möchte sich nicht vorstellen müssen, wo die Entwicklungsländer ohne ausländische Unterstützung stehen würden. Aber : Gegen das enorme Machtgefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, ungleiche Handelsbeziehungen, Menschenrechtsverletzungen und Gewinnverschiebungen durch transnationale Grosskonzerne oder die Folgen des Klimawandels kommt auch die beste Entwicklungszusammenarbeit nicht an. Auch nicht gegen die willkürlichen Grenzziehungen, die seit dem Ende der Kolonialzeit in vielen Entwicklungsländern für ethnische Konflikte und Machtkämpfe sorgen. Das sind die Ursachen der anhaltenden Probleme. Waffenexporte der Industrieländer versorgen diese Konflikte mit Munition. Steueroasen und intransparente Handelsplätze ermöglichen es den Kriegsherren, ihre Geschäfte zu finanzieren. Gleichzeitig helfen sie Steuerhinterziehern, gut funktionierenden Staaten die dringend nötigen öffentlichen Einnahmen vorzuenthalten. Unlautere Finanzflüsse sorgen dafür, dass jedes Jahr Milliardenbeträge spurlos aus den Entwicklungsländern verschwinden. Sie übersteigen die internationalen Entwicklungsgelder um mehr als das Zehnfache. Der fortschreitende Klimawandel verschärft darüber hinaus die Verteilungskämpfe und erhöht den Migrationsdruck. Auch die Schweiz steht hier in der Verantwortung. Die Ratsrechte fordert immer wieder « Hilfe vor Ort ». Einverstanden, aber nur wenn dieser Ort primär Bundesbern ist. Denn um mehr Entwicklungserfolge zu erzielen, braucht es eine Schweizer Politik, die den Entwicklungsländern keine Steine in den Weg legt. Dazu gehören Transparenzregeln für den Finanzplatz Schweiz und den Rohstoffhandel, aber auch ein konsequentes Vorgehen gegen die drohende globale Klimakatastrophe. Ge­ fordert sind auch verbindliche Regeln für Konzerne mit Sitz in der Schweiz, die weltweit die Menschenrechte und international anerkannte Umweltstandards einhalten sollen. Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud

Michel Egger verlässt Alliance Sud 15 Respekt von allen Seiten

GLOBAL + Sommer 2016

3


Agenda 2030: Herausforderung nachhaltige Zukunft

Die Schweiz muss noch k ­ räftig nachbessern Eva Schmassmann und Jürg Staudenmann

Im Juli trifft sich die Weltgemeinschaft

in New York, um den Stand der Umsetzung der Agenda 2030 zu ­überprüfen. Auch die Schweiz will ihre Pläne zur Erreichung der Ziele für nach­haltige ­Entwicklung vorstellen.

und 19 weiteren Ländern ihre Umsetzungspläne vorstellen. Denn die Staaten sind erst daran, auf nationaler Ebene die nächsten Schritte festzulegen, Lücken in ihren Politiken zu identifizieren, Massnahmen zu definieren und notwendige gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Fortschritte werden also noch nicht am Erreichten, sondern am Geplanten gemessen. Politische Kohärenz als grösste Herausforderung Ein explizites Ziel der Agenda 2030 ist die Verbesserung der politischen Kohärenz, das heisst, alle politischen Entscheide sollen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Um eine umfassende Umsetzung dieser Agenda zu erreichen, ist darum jedes Departement und jedes Bundesamt gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Als universeller Rahmen betrifft die Agenda die nationalen Sozial- und Umweltpolitiken der Schweiz genauso wie die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, aber

Foto : © Keystone /  P hotopress /  A lexandra Wey

Die Agenda 2030 wurde im September 2015 im Beisein von Bundespräsidentin Sommaruga in New York verabschiedet. Die darin enthaltenen Ziele für nachhaltige Entwicklung ( Sustainable Development Goals, SDG ) zeigen auf, welche Veränderungen es in Wirtschaft und Gesellschaft braucht, um eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen. Die Fortschritte beim Erreichen der Ziele sollen auf nationaler, regionaler und globaler Ebene überprüft werden. Auf globaler Ebene ist dafür das hochrangige politische Forum für nachhaltige Entwicklung ( High Level Political Forum on Sustainable Development, HLPF ) zuständig. Das HLPF wurde 2012 an der Rio+20-Konferenz geschaffen. Es soll Empfehlungen abgeben, die politische Kohärenz fördern und die Einhaltung eingegangener Verpflichtungen überprüfen. Dieses Jahr findet das HLPF vom 11. bis zum 20. Juli in New York statt. Die Schweiz wird neben Deutschland, China

Mit dem öffentlichen Beschaffungswesen ­haben Gemeinden, Kan­ tone und der Bund ­einen starken Hebel, um sich für nach­haltige ­Produktion einzusetzen. ( Bild : Hung Yen ­Province, Vietnam )

4

GLOBAL + SOMMER 2016


auch eine Anpassung der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Schweiz im Sinne einer global nachhaltigen Entwicklung. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern verfügt die Schweiz nicht über ein Präsidial-, Ministerpräsidenten- oder Kanzleramt ( siehe Kasten S.7 ), das die Umsetzung der Agenda 2030 top-down in politische Prozesse integrieren könnte. Hingegen gibt es bereits eine gesetzliche Grundlage für eine Art « SDG-Verträglichkeitsprüfung » : Das Parlamentsgesetz ­fordert vom Bundesrat, in jeder Botschaft zu neuen Gesetzen « die Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt und künftige Generationen » zu erläutern ( Art. 141.2.g ). Diese Folgeabschätzung kann und muss im Sinne einer Nachhaltigkeitsprüfung in Zukunft konsequent für jedes Gesetz eingefordert werden. Internationale Verantwortung ausgeblendet Der Bundesrat setzt für die Umsetzung der Agenda 2030 hauptsächlich auf die internationale Zusammenarbeit und die Strategie Nachhaltige Entwicklung ( SNE ). Die erste SNE wurde bereits 1997 erstellt, im Januar wurde die fünfte Auflage für die Periode 2016–2019 verabschiedet. Anhand von neun Handlungsfeldern1 entwickelt sie eine langfristige Vision, beschreibt die wichtigsten mittelfristigen Herausforderungen und gibt an, welche Massnahmen bis 2019 zu deren Erreichung beitragen sollen. Dabei fällt auf, dass die Massnahmen lückenhaft und ungenügend sind. Während die Visionen in der Regel eng mit der in der Agenda 2030 skizzierten nachhaltigen Zukunft korrelieren, bleiben die Massnahmen auf die nationale Ebene fokussiert. In der Einleitung definiert die SNE nachhaltige Entwicklung zwar als « Zukunftsverantwortung auf der Basis der Gerechtigkeit zwischen den Generationen und den Weltregionen » ( S. 9 ). Im Weiteren beschränkt sich die Solidarität allerdings auf diejenige zwischen den Generationen. Ein Ausgleich zwischen den Weltregionen wird auf der Ebene konkreter Massnahmen nicht thematisiert, geschweige denn angestrebt. Aus­ senpolitische Aktivitäten führt die SNE explizit nur auf, « sofern diese für die Zielerreichung in der Schweiz relevant sind » ( S. 11 ). Damit verkennt sie den Paradigmenwechsel der universellen Agenda. Die SNE müsste sich nicht nur um die Umsetzung in der Schweiz, sondern auch durch die Schweiz kümmern, das heisst explizit analysieren, wie Schweizer Aktivitäten auf nationaler Ebene die Zielerreichung anderer Länder beeinflussen oder diese gar dabei behindern. Der Bund ist kein Vorbild Aus Sicht von Alliance Sud bietet die laufende Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen eine einmalige Chance, in der Verwaltung die Weichen für nachhaltigen Konsum zu stellen. Mit jährlichen Beschaffungen im Wert von etwa 40 Milliarden Schweizer Franken tragen Gemeinden, Kantone und der Bund hier eine spezielle Verantwortung. SDG 12 fordert nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster, die SNE 2016 – 2019 nimmt dieses Ziel in ihrem Handlungsfeld « Konsum und Produktion » auf und betont die

1 Konsum und Produktion; Siedlungsentwicklung, Mobilität und Infrastruktur; Energie und Klima; Natürliche Ressourcen; Wirtschafts- und Finanzsystem; Bildung, Forschung, Innovation; Soziale Sicherheit; Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ; Gesundheit

Im Vorschlag des Bundesrates zur ­Revision des öffentlichen Beschaffungs­ wesens fehlen Kriterien bezüglich ­Umweltbelastung und Respekt der Menschenrechte. Vorbildrolle des Bundes in diesem Bereich. Die Massnahmen dazu fordern eine grössere Verantwortung vonseiten Konzernen und von privaten KonsumentInnen sowie eine bessere Transparenz. Massnahmen, die sich auf die öffentliche Hand als Konsumentin beziehen, fehlen jedoch gänzlich, die laufende Gesetzesrevision wird in der aktuellen SNE gar nicht erst erwähnt. Im Vorschlag des Bundesrates, wie er in die Vernehmlassung geschickt wurde, fehlen denn auch Kriterien bezüglich Umweltbelastung und Respekt der Menschenrechte in der gesamten Zulieferkette. Die starke Fokussierung auf den Preis als Hauptkriterium für öffentliche Beschaffungen benachteiligt tendenziell sozial und ökologisch nachhaltig produzierende Anbieter, da die Einhaltung grund­legender Arbeits- und Menschenrechte sowie der sorgfältige Umgang mit Ressourcen ­ihren Preis haben. Grosse Versprechen, kleineres Budget Die Hauptkritik an den Schweizer Umsetzungsplänen gilt jedoch den fehlenden Mitteln für eine konsequente Umsetzung. Zwar anerkennt der Bundesrat die Agenda als neuen universellen Referenzrahmen und will die Umsetzung « umgehend an die Hand nehmen »; doch ohne entsprechende Mittel bleibt das reine Rhetorik. Die Schweiz verfügt auch nach wie vor über keine Strategie, die den Abfluss von Steuermitteln aus Entwicklungsländern verhindern würde ( s. Artikel S. 12 ). Weiterhin entgehen diesen Milliarden von Franken infolge Steuerhinterziehung und Steueroptimierungen, nicht zuletzt durch Konzerne, die in der Schweiz ansässig sind. Herausforderungen für Zivilgesellschaft Die Agenda 2030 bietet mit ihrer Universalität und den Querbezügen zwischen den einzelnen Zielen eine grosse Chance, die aktuellen globalen Probleme systemisch und holistisch anzugehen. Allerdings liegt darin auch eine grosse Herausfor­ derung, denn die Akteure müssen sich vom Silo-Denken und jederzeit klar abgrenzbaren Zuständigkeiten verabschieden. Hier ist auch die Zivilgesellschaft gefordert. In Bereichen wie Menschenrechte, Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheit, Gleichstellung oder Umweltschutz leistet sie bereits heute ­einen Beitrag zu einzelnen oder mehreren SDG. Aber wie die verschiedenen Bundesämter müssen auch die Nichtregierungsorganisationen über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen und prüfen, ob ihr Beitrag zu einzelnen SDG auch dem Ansatz einer nachhaltigen Entwicklung im grösseren Zusammenhang entspricht. Hierfür braucht es verstärkte Koordination und Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Anstrengungen, um die offizielle Schweiz bei der Umsetzung der Agenda 2030 zu begleiten und von den Behörden konsequente und kohärente Ansätze zu fordern. Alliance Sud wird im September 2016 zu diesem Zweck einen ersten runden Tisch durchführen.

GLOBAL + Sommer 2016

5


Wie eine verantwortungsvolle Schweizer Klimapolitik aussähe

Das Silodenken überwinden Eva Schmassmann und Jürg Staudenmann

Zentraler

Am 22. April unterzeichnete Bundesrätin Leuthard in New York feierlich das Pariser Klima-Abkommen. Damit verpflichtet sich die Schweiz, gemäss ihrer Verantwortung zur Reduktion des globalen Treibhausgas-Ausstosses bis 2050 auf « Netto-Null » beizutragen. Und sie steuert ihren Anteil bei an die jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in den exponiertesten Ländern. Damit konkretisiert das Pariser Abkommen das SDG 13 zur « Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ». Die Pariser Klima-Zielsetzung ist nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Massnahmen in fast allen SDG-Bereichen zu erreichen : Es gilt, sich vom Silodenken zu verabschieden, wo jeder nur seinem eigenen Erfolg verpflichtet ist. Zu einer kohärenten Klimapolitik ­gehören darum zwingend Schritte hin zu einem « Nachhaltigen Wirtschaftswachstum » ( SDG 8 ) und zu « Nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern » ( SDG 12 ). Hier stehen den wohlhabenden, viel konsumierenden Ländern wie der Schweiz bedeutende Hebel zur Verfügung : Eine fleischärmere Ernährungsweise etwa trägt nicht nur direkt zur Reduktion von Lachgas- und Methanemissionen – beides potente Treibhausgase  – bei. Indirekt reduziert eine geringere Nachfrage nach Fut­ termitteln den Druck auf intensiv bewirtschaftete Agrarflächen, was wiederum zur Erreichung von SDG 14/15 ( Schutz von Land-, Wald- und Meeresökosystemen ) beiträgt. Die Vermeidung zusätzlicher Emissionen muss offensichtlich auch ein zentrales Anliegen bei Massnahmen zu SDG 7 ( « Energie für alle » ) oder der Förderung widerstandsfähiger Infrastruktur- und Stadtentwicklung ( SDG 9/11 ) darstellen. Umgekehrt müssen Vorkehrungen gegen den fortschreitenden

­Para­digmenwechsel der Agenda 2030 ist die Vernetzung der 17 SDG. Anhand der Um­ setzung einer zukunftsfähigen, verantwor­ tungs- und wirkungsvollen Klimapolitik der Schweiz lässt sich aufzeigen, dass einzelne Ziele nicht isoliert voneinander betrachtet oder erreicht werden können.

js/es. Wie beurteilen Schweizer NGOs die Agenda 2030 für ihre Arbeit ? Auf eine Umfrage von Alliance Sud antworteten rund 30 Organisationen mit substanziellen Beiträgen. Das Fazit : Die Agenda 2030 wird als relevanter Referenzrahmen für eine kohärente Neuausrichtung der Schweizer Innen- und Aussenpolitik bewertet. Be­mängelt wird jedoch deren unverbindlicher Cha­rakter, gepaart mit der Befürchtung, dass im gegebenen politischen Umfeld die notwen­dige Trans­ formation in Wirtschaft, Politik und Verwaltung starken Widerständen ausgesetzt sein werde. Im Entwicklungsbereich setzen sich die meisten NGOs intensiv mit der Agenda auseinander. Einige « übernahmen » bereits relevante SDGs, andere überprüfen bestehende Projekte auf deren SDG-Kompatibilität. Drei wichtige Rollen sehen die meisten NGOs für sich : Es gilt, die Zivilgesellschaft zu sensibi­ lisieren, eine « Watch-Dog-Funktion » gegenüber staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren wahrzunehmen und Letztere bei der Umsetzung der SDG auch zur Verantwortung zu ziehen. Generell unterstrich diese erste Befragung das Bedürfnis, sich gegenseitig noch mehr zu vernetzen und grosse Bereitschaft, aufgrund des universellen und vielschichtigen Charakters der Agenda 2030 aktiv an gemeinsamen Analysen mitzuwirken.

6

GLOBAL + SOMMER 2016

Foto : © S igi Tischler / Keystone

Alliance-Sud-Umfrage bei NGOs


Klimawandel geschickt mit Massnahmen der Armutsbekämpfung ( SDG 1 ), insbesondere zur Sicherstellung der Ernährungssicherheit ( SDG 2 ) und des Zugangs zu Wasser- und Sanitärversorgung ( SDG 6 ) kombiniert werden. Trotz der blumigen Rhetorik des Bundesrates zur Agenda 2030 fokussiert die Schweizer Klimapolitik nach wie vor auf einseitige und unzureichende CO2-Reduktionsabsichten im Inland. Eine zielführende und verantwortungsvolle Klimapolitik im Sinn der SDG muss diese Eindimensionalität überwinden. Die Klimaallianz stellte den Medien deshalb am 2. Juni einen « Klima-Masterplan Schweiz »1 vor. Darin schlagen die 66 Organisationen der Allianz neben politischen Instrumenten zur vollständigen Reduktion der inländischen CO2-Emissionen bis 2050 auch flankierende Massnahmen in den Bereichen Handel, Konsum, Landwirtschaft oder internationale Flugreisen vor. Denn der Klima-Fussabdruck der Schweiz entspricht einem Vielfachen der pro Kopf allein im Inland emittierten 5 bis 6 Tonnen CO2 pro Jahr : Durch unseren Konsum von importierten ­Waren und Dienstleistungen, durch Flugreisen, die nicht in die nationalen Treibhausgasinventare einbezogen werden, indirekt aber auch über den Finanz- und Investitionsplatz Schweiz sind wir für ein Vielfaches an Treibhausgas-Emissionen ausserhalb unserer territorialen Grenzen mitverantwortlich. Deshalb geht der Klima-Masterplan auf die dringende Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau ihrer Energieversorgung und der Bewältigung der zunehmenden Herausforderungen durch den weitgehend nicht selbst verursachten Klimawandel ein. Er zeigt auf, dass die Schweiz ihren erwarteten Beitrag von jährlich einer Milliarde Franken verursachergerecht und vor allem ausserhalb des Entwicklungsbudgets über eine ( erweiterte ) CO2-, eine Flugticketabgabe, Erlöse aus dem Emissionshandel oder auch via die Einführung einer Finanztransaktionssteuer mobilisieren kann. 1 Der Klima-Masterplan ist auf der Website der Klimaallianz Schweiz verfügbar : www.klima-allianz.ch/klima-masterplan/

Blick über die Grenze js. Alliance Sud nahm Mitte Mai in Berlin an einem Treffen teil, an dem VertreterInnen aus rund zwei Dutzend verschiedenen Organisationen  – ­überwiegend aus dem sozialen Bereich, der Entwicklungszusammenarbeit und kirchlichen Kreisen – über Ansätze zur Umsetzung der Agenda 2030, ihre Erwartungen an die Regierung sowie die Rolle der Zivilgesellschaft im Be­ gleitprozess debattierten. Etliche deutsche NGOs sind bereits in Monitoring-Projekten, Diskus­ sionsforen in unterschiedlichsten Konstellationen und in der Erarbeitung gemeinsamer Positionen engagiert. Zum Teil werden sie dabei vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zu­ sammenarbeit ( BMZ ) finanziell unterstützt. Während sich Deutschland und die Schweiz im institutionellen Aufbau und bei der Um­ setzung der Agenda 2030 unterscheiden, so lassen sich doch auch Parallelen erkennen : Das Kanz­ leramt – federführend in der gerade neu aufgelegten deutschen Nachhaltigkeitsstrategie ( NHS ) 1  – plant zusammen mit dem BMZ, das die SDG miterarbeitet hat, und anderen Ressorts eine institutionelle und inhaltliche Neuausrichtung. Ein Fortschrittsbericht soll im Spätherbst 2016 dem Kabinett vorgelegt werden. Die « vollständige Verzahnung » der NHS mit der Agenda 2030 soll aber laut BMZ – mit Hinweis auf limitierte Zeit und Kapazitäten in den verschiedenen Ressorts – erst in der nächsten NHS-Revision 2020 erfolgen. Wie in der Schweiz wurden auch « 2030-Dialoge » organisiert. Die deutsche Zivilgesellschaft fordert jedoch eine wirkungsvollere und auch sichtbarere Partizipation. Trotz der zentralen Rolle des Kanzleramtes – im Gegensatz zur lediglich interdepartemental konzipierten schweizerischen Arbeitsgruppe für nachhaltige Entwicklung IDANE – scheint die deutsche Regierung bei der Verankerung der Agenda 2030 in ihrer Administration mit ­vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert. Im gouvernementalen Anspruch an die Zivil­gesellschaft, in sogenannten «Umsetzungspartnerschaften » aktiv an der Um­setzung der Agenda 2030 mitzuwirken, sehen auch deutsche NGO-VertreterInnen ein Dilemma : Die zentrale Verantwortung der Regierung bei der Erreichung der SDG kann nicht auf die Zivilgesellschaft abgeschoben werden, weil dadurch Konflikte mit deren unabhängiger MonitoringRolle entstünden. 1 Siehe https://t.co/zB7rUh5An2

Wie wirksam der Einsatz der Zivilgesellschaft für die Ziele nachhaltiger ­Entwicklung ist, hängt stark von einem koordinierten gemeinsamen Vorgehen ab ( Zug, Schweiz ).

GLOBAL + Sommer 2016

7


Agenda 2030 und Privatsektor

Gefragt : ein anderes ­Geschäftsmodell Michel Egger

Die Agenda 2030 will die Welt

ver­ändern. Der Privatsektor kann zu dieser ­Transformation nur beitragen, wenn er sich neu ausrichtet. Die ­Re­gierungen ihrerseits müssen neue Rahmenbedingungen zu einer ­Neuorientierung des heute gängigen ­Geschäftsmodells schaffen. Die im September 2015 von der Uno-Generalversammlung verabschiedete Agenda 2030 versteht sich als « universell » und « ambitioniert ». Sie will nicht weniger als die « Welt transformieren », indem sie « die Menschheit von der Tyrannei der Armut und Bedürftigkeit befreit » und « sich um den Planeten und dessen Erhalt kümmert ». Um dorthin zu gelangen, hat die Staatengemeinschaft sich einen Aktionsplan mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung ( Sustainable Development Goals,

8

GLOBAL + SOMMER 2016

SDG ) gegeben, ausformuliert in 169 Unterzielen. Dessen Umsetzung beruht auf einer « Erneuerung der weltweiten Partnerschaft », in der « alle Länder und sämtliche Interessengruppen konzertiert handeln ». Das Risiko, instrumentalisiert zu werden Speziell viel wird von der Privatwirtschaft erwartet. Als Kapitalbringer und Steuerzahler, als Arbeitgeber und Motor für technologischen Fortschritt sehen zahlreiche Regierungen den Privatsektor als den zentralen Akteur der Agenda 2030. Gleichzeitig werden die transnational operierenden Konzerne in den 17 SDG nur ein einziges Mal erwähnt, im SDG 12.6 zu nachhal­ tigen Konsum- und Produktionsmustern. Gleichzeitig ist klar, dass zahlreiche Ziele ohne Anstrengungen der Wirtschaft nicht erreicht werden können. Das Problem besteht darin, Bedingungen für einen wirksamen Beitrag der Unternehmen zur Agenda 2030 zu definieren. Weder die Uno noch die Staaten haben diese Übersetzungsarbeit bis jetzt geleistet, und Vorschläge aus der Zivilgesellschaft gibt es noch kaum. Weil es bis jetzt kein gemeinsames Verständnis für die Rolle des Privatsektors gibt, ist die Gefahr gross, dass dieser die Agenda nach eigenem Gusto interpretiert.


Nestlé ermöglicht nigerianischen Polymecha­ nikern einen Stage in ihrem ­Product Technology ­Center in Orbe ( VD ).

Foto : © L aurent Gillieron /  Keystone

Einige Multis – in der Schweiz namentlich Nestlé und Credit Suisse – haben die SDG bereits in ihre Kommunikation eingebaut. Ausserdem hat der Global Compact der Uno – mit der Global Reporting Initiative ( GRI ) und dem World Business Council on Sustainable Development – einen Leitfaden zur Umsetzung der SDG durch Unternehmen entwickelt.1 Andere Initiativen, unter anderem aus dem Bergbau-Sektor und von den Versicherungen, sind unterwegs. Neues ökonomisches Modell Es stellen sich verschiedene Fragen. Die Agenda 2030 bezeichnet « das Privatunternehmen » als « wichtigen Produktivitätsmotor für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von ­Arbeitsplätzen ». Doch wovon sprechen wir eigentlich genau ? Wirtschaftswachstum, wie wir es kennen, ist auch für wachsende Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Ausbeutung der Ressourcen und die dramatische Klimaerwärmung verantwortlich. Unzählige Arbeitsplätze sind schlecht bezahlt, die ­Arbeitsbedingungen oft unterirdisch. Direktinvestitionen, das zeigen zahlreiche Untersuchungen, werden oft nicht in jenen Ländern getätigt, wo sie am dringendsten benötigt würden, und ihr Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung ist höchst umstritten. Anders gesagt : Unternehmen sind nicht per se Akteure einer nachhaltigen Entwicklung. Sie werden es erst dann, wenn ihre Aktivitäten und Ziele mit jenen der Agenda 2030 im Einklang sind. Und diese heissen « inklusives » Wachstum, Reduktion der Ungleichheit, würdige Arbeit für alle, Respekt der Menschenrechte, verantwortlicher Umgang mit Rohstoffen und so weiter. Gemäss einer – vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten ( EDA ) co-finanzierten – Studie des Londoner Institute for Human Rights and Business ( IHRB )2 würde es sich um ein Wirtschaftsmodell handeln, wie es die Welt noch nie gesehen hat. Dazu kommen wird es allerdings nicht, ohne dass der Staat klare – auch rechtlich verbindliche – Regeln aufstellt, damit die Unternehmen verantwortungsbewusster und nachhaltiger handeln. Ein fragmentierter und inkohärenter Zugang Bei so vielen Zielen und Unterzielen der Agenda 2030 ist die Versuchung für Firmen gross, jene auszuwählen, die ihnen gelegen kommen, die vergleichsweise leicht erreicht werden können oder die bereits Teile ihrer Projekte sind. Ein Beispiel dafür ist Nestlé, das die SDG mit den 39 Punkten seines Programms zur Schaffung gemeinsamer Werte3 verknüpft. Aber auch die Crédit Suisse titelt auf Hochglanzpapier « Wirkung erzielen : die Credit Suisse und die nachhaltigen Entwicklungsziele ».4 So betrachtet wird die Agenda 2030 zu einem wunderbaren Katalog von Möglichkeiten oder zu einem trefflichen und willkommenen Kommunikationsinstrument. 1 http://sdgcompass.org 2 http://www.ihrb.org/pdf/state-of-play/Business-and-the-SDGs.pdf 3 http://www.nestle.com/csv/what-is-csv/commitments 4 https://www.credit-suisse.com/media/assets/corporate/docs/about-us/ responsibility/banking/cs-broschuere-aiming-for-impact-de.pdf

Dabei ist ja gerade der entscheidende Punkt, dass die 169 Unterziele der 17 SDG eine « untrennbare Einheit » darstellen. Sie ernst zu nehmen, bedeutet nicht, bloss etwas mehr zu tun oder Bestehendes etwas besser zu machen. Es heisst : es anders zu machen. « Die SDG sind auf das Business angewiesen, aber nicht auf jenes Business, wie es heute ( zu oft ) ist », unterstreicht das IHRB. So hinterfragen die SDG denn auch das Wesen von wirtschaftlicher Aktivität, bei der alles dem Profit untergeordnet wird. Richtig wäre es, wenn Gewinne als Mittel zur Entwicklung eingesetzt würden, wenn Geschäftspraktiken zu « radikalen Veränderungen, wie Güter und Dienstleistungen produziert und konsumiert werden », beitragen würden. In der Theorie steht genau das auch im Aktionsprogramm von Addis Abeba, das an der dritten internationalen Entwicklungsfinanzierungskonferenz im letzten Juli verabschiedet wurde : « Wir werden Politiken entwickeln und nach Bedarf die Reglementierung verstärken, um die Anreize für den Privatsektor und öffentliche Interessen besser in Übereinstimmung zu bringen. Dabei geht es vor allem um Massnahmen, die den Privatsektor ermuntern, langfristig existenzsichernde Praktiken einzuführen. » Die Agenda 2030 bezieht sich dabei explizit auf die Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Gemäss dem Geist der SDG ist es also nicht kohärent, wenn sich Unternehmen gegen staatliche Bestrebungen wenden, in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz mehr zu regulieren, so wie es die Konzernverantwortungsinitiative verlangt. Fazit : Wenn das Business ein Mittel zur Umsetzung der SDG ist, dann sind Letztere erst recht der Anlass, Unternehmen in Richtung echter Nachhaltigkeit umzubauen. Dazu gehören namentlich auch die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards.

Kriterien für öffentlich-­ private Partnerschaften me. Die Umsetzung der Agenda 2030 wird sehr teuer. Neben einem Anstieg der öffentlichen Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens ( BNE ) und der Einführung in­novativer Finanzierungsinstrumente werden zwei Wege vorgeschlagen, die direkt den Pri­ vatsektor betreffen : Zum Ersten eine Erhöhung der Steuereinnahmen der Staaten. Dazu gehört, dass die als « Steueroptimierung » getarnte Steuerflucht der transnationalen Firmen ein Ende nehmen muss. Zweitens braucht es eine Mobilisierung privaten Kapitals als Hebel für die Entwicklungshilfe. SDG 17 ermuntert solche dort positiv konnotierten öffentlich-privaten Partnerschaften ( PPP ), obwohl diese seit Jahren Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen sind. In diesem Zusammenhang verlangen zahlreiche Organisationen, dass klare Kriterien formuliert werden, unter welchen Um­ständen PPPs wirklich nachhaltig wirken.

GLOBAL + Sommer 2016

9


Umstrittene Streitschlichtung durch Schiedsgericht

Schweizer Multis ­klagen gegen Staaten Isolda Agazzi

Schweizer Multis nutzen Investitionsschutzabkommen, um

mit Klagen ihre Interessen durchzusetzen. Parallel dazu arbeitet das Staats­ sekretariat für Wirtschaft ( Seco ) an einer Revision dieser Abkommen. Anfang März hat das Seco den Bericht einer interdepartementalen Arbeitsgruppe publiziert. Thema : die Überarbeitung der Schweizer Investitionsschutzabkommen ( ISA ). Alliance Sud und andere NGOs sind ernüchtert. Der Bericht verspricht zwar, dass umstrittene Bestimmungen besser definiert werden, doch es steht zu befürchten, dass die heikelsten Bestimmungen im – nicht veröffentlichten – Modellabkommen nicht ausgemerzt wurden. Zum Beispiel die Schirmklausel, die es einer Firma erlaubt, mit Verweis auf ein Investitionsschutzabkommen auf Verletzung ihres Vertrags mit einem Staat zu klagen. Oder die Tatsache, dass Gesundheits- und Umweltschutz immer noch nicht als Ausnahmen für eine indirekte Enteignung akzeptiert werden. Dieses neue Modell für Investitionsschutzabkommen soll nicht rückwirkend auf die bestehenden 131 Abkommen mit Entwicklungsländern angewendet werden. Es ist jenen Entwicklungsländern vorbehalten, die ihre Abkommen mit der Schweiz auf eine neue Grundlage stellen wollen und vielleicht auch Industriestaaten ( Kanada, den USA, der EU ) angeboten werden sollen, mit denen die Schweiz keine solchen Abkommen hat. Und die Schweiz könnte anlässlich der Verhandlungen um einen Freihandelsvertrag mit Kanada versucht sein, dort den Streitschlichtungsmechanismus ( Investor State Dispute Settlement, ISDS ) einzubauen, so wie das Ottawa mit der EU im CETA-Abkommen getan hat. Sollte die Schweiz der TTIP ( Transatlantic Trade and Investment Partnership ) beitreten, müsste sie diesen umstrittenen Mechanismus auch mit den USA und der EU übernehmen.

Worum es in der Klage geht, ist un­ bekannt, weder Glencore noch das Seco haben dazu informiert. Das Seco bekräftigt, es wolle mehr Transparenz in Streitfällen. Wie nötig das ist, zeigt die unlängst bekannt gewordene Klage von Glencore gegen Kolumbien. Eingereicht wurde sie am 16. März beim Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ( ICSID ) auf der Basis des Investi­ tionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und Kolumbien. Worum es genau geht, ist völlig unbekannt, weder Glencore noch das Seco haben dazu informiert.

10

GLOBAL + SOMMER 2016

Neuland für Kolumbien Bei der Klage handelt es sich um eine der ersten eines multinationalen Konzerns gegen Kolumbien. Gemäss der kolumbianischen Presse geht es um eine Anpassung im Vertrag um die Ausbeutung der Kohlemine von Calenturitas, die 2010 von Glencore und den kolumbianischen Behörden ausgehandelt wurde. Es ging dabei darum, dass Glencore Kolumbien weniger Abgaben entrichten sollte, seine Produktion erhöhen würde und davon letztlich auch Kolumbien finanziell profitieren sollte. Doch es kam anders. 2010 gingen die Abgaben von 129 auf 77 Milliarden kolumbianische Pesos zurück. Der kolumbianische Rechnungshof hat darauf die von Korruptionsgerüchten begleitete Neuverhandlung des Vertrags angefochten und Glencore zu einer Busse von 62 Milliarden Pesos ( 18 Millionen Dollar ) verurteilt. Kolumbien ist von der Baisse der Rohstoffpreise stark betroffen, zudem ist die Öffentlichkeit schockiert über eine Korruptionsaffäre rund um die Modernisierung der Raffinerie von Cartagena, die Glencore 2006 hätte in Angriff nehmen sollen. Kommt dazu, dass auch andere multinationale Rohstofffirmen gegen Bogotá geklagt und Umweltschutzmassnahmen wie die Schaffung eines Naturparks angefochten haben. Für Alliance Sud ist es inakzeptabel, dass Gerichtsentscheide eines souveränen Staates durch ein Handelsschiedsgericht, das privatwirtschaftliche Interessen beurteilt, in Frage gestellt werden können. Eine weitere Klage am Horizont Es könnte sein, dass noch weiteres Ungemach auf Kolumbien zu kommt. In einer « Erklärung von öffentlichem Interesse » hat das Land bekannt gegeben, dass es für die Ausgabe einer « obligatorischen Lizenz » für das Novartis-Leukämie-Medikament Glivec einsteht, das in Kolumbien unter dem Namen Imatinib verkauft wird. Dies würde der lokalen Pharmaindustrie erlauben, das Arzneimittel als Generikum zu 77 Prozent tieferen ­Kosten als Glivec zu produzieren. Aktuell kostet die Glivec-Behandlung pro Patient und Jahr 20 000 Dollar. Zwischen 2008 und 2014 haben KolumbianerInnen gegen 134 Millionen Dollar für ­Glivec ausgegeben. Der Glivec-Entscheid ist präzedenzlos in Kolumbien. Kein Wunder, wehrt sich Novartis dagegen. Schon er­ staunlicher und umstritten ist dagegen, dass auch die Schweiz Bogotá unter Druck setzt, den Entscheid zurückzuziehen. Vergangenes Jahr schrieb das Seco den kolumbianischen Behör-


Kleine Menschen, mächtige Konzerne. AktivistInnen aus dem Zürcher Säuliamt besuchen Glencore in Kolumbien.

den einen Brief und mahnte, die Glivec-Affäre könnte die guten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die auf Freihandels-, Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen fussen, gefährden.

Zwischen 2008 und 2014 haben ­KolumbianerInnen gegen 134 Millionen Dollar für das Novartis-Medikament Glivec ausgegeben. Eigentlich ist die Ausgabe solcher obligatorischer Lizenzen gedeckt durch das WTO-Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums ( TRIPS ). Aber das Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und Kolumbien verstärkt die Rechte an geistigem Eigentum und erschwert die Produktion von Generika. Es ist einer der Gründe, weshalb sich Alliance Sud gegen solche Abkommen ausspricht. Ein Land wie Kolumbien, das sich im Wiederaufbau nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs befindet, benötigt zusätzliche Mittel, um das Recht auf Gesundheit seiner Bevölkerung zu sichern. Kommt dazu, dass auch in diesem Fall zu befürchten ist, dass der Streit letztlich wie der Glencore-Fall von einem zweifelhaft legitimierten Schiedsgericht verhandelt wird. Klage von Alpiq gegen Rumänien Mit Alpiq lässt es sich noch ein Schweizer Unternehmen nicht nehmen, im Ausland etwas einzuklagen, wofür es in der Schweiz keine Rechtsgrundlage gibt. Während der Stromkonzern einen Teil seiner unrentablen Schweizer Staudämme ver-

Foto : © D ominique Rothen /  a sk

kaufen will und Subventionen verlangt, zögert er nicht, einen souveränen Staat einzuklagen, mit dem er sich nicht über vertraglich geregelte Abmachungen einigen kann. 2014 klagte Alpiq gegen Rumänien, nachdem der öffentliche Energiedienstleister Hidroelectrica Konkurs gegangen war und den Vertrag über Stromlieferungen kündigen musste. Die Klage bezieht sich auf das Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Rumänien und den Vertrag über die Energiecharta, ein multilaterales Abkommen, dem die Schweiz angehört. Alpiq verlangt von Rumänien eine Entschädigung von 100 Millionen Euro ; die Klage ist hängig. Für Alliance Sud ist es unhaltbar, dass ein Unternehmen gegen einen Staat klagt, der seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Denn gegen die Schweiz könnte Alpiq nicht klagen. Wenn hingegen die Schweiz ihre Staudämme an ausländische Unternehmen verkaufte, könnte sie von diesen verklagt werden. Im Falle etwa, dass sie Umweltschutzmassnahmen erliesse, welche den Profit der neuen Besitzer schmälern könnten. Und dies, selbst wenn es sich um Minderheitsbeteiligungen handeln würde. Die heutigen Investitionsschutzabkommen bevorteilen einseitig die ausländischen Unternehmen, denn sie erlauben Klagen nur in eine Richtung. Seit einigen Jahren schon verlangt Alliance Sud von der Schweiz, ihre Abkommen ausgewogener zu gestalten und auf die Streitschlichtungsmechanismen zu verzichten. Bis heute wurde die Schweiz selbst noch nie an­ geklagt. Angesichts zunehmender Auslandsinvestitionen in der Schweiz liegt es jedoch auch im Interesse unseres Landes, ­dieser Möglichkeit mit gerechteren Investitionsschutzabkommen vorzubeugen.

GLOBAL + Sommer 2016

11


Der Süden weiterhin aussen vor

Das untote Bankgeheimnis Dominik Gross

Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten ist

einem Klub von reichen Ländern vorbehalten. Steuerhinterzieher aus ärmeren Ländern werden auch in Zukunft ihr Geld auf Schweizer Konten verstecken können. Fällt die Schweiz nun bei der OECD durch ?

Salamitaktik ist nichts für Hungrige. Seit 2009 versucht die Schweiz vom Bankgeheimnis zu retten, was noch zu retten ist. Pro Gang werden einem dabei jeweils nur einzelne Scheibchen Verschwiegenheit zum Verzehr vorgesetzt. Im vergangenen Dezember wurde eine weitere Scheibe Bankgeheimnis abserviert : Damals stimmte nach dem Nationalrat auch der Ständerat dem MCAA1 zu. 82 Staaten gehören dieser « multilateralen Vereinbarung der zuständigen Behörden über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten » der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mittlerweile an. Auch das entsprechende Gesetz über den automatischen Informationsaustausch (AIA) nahm die Kleine Kammer im Dezember an. In Zukunft könnte die Eidgenössische Steuerverwaltung also mit den Steuerbehörden von 82 Staaten Kontoinformationen über ausländische Bankkunden automatisch austauschen, die ihr die hiesigen Banken ab 2017 regelmässig übermitteln müssen. Seit jenem Entscheid des Ständerats herrscht Konsens im Land, dass das Geschäft mit unversteuerten Geldern aus dem Ausland tot ist. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt jedoch : Das Bankgeheimnis ist eher untot. Denn damit der AIA zwischen zwei Ländern wirklich vollzogen werden kann, müssen die MCAA-Mitglieder diesen auch noch bilateral aktivieren. Die Schweiz hat das bisher nur mit den 28 EU-Staaten und Australien, Kanada, Island, Japan, Norwegen und Südkorea getan. In die USA liefert die Schweiz im Rahmen des FATCA-Abkommens2 bereits seit 2015 einseitig Daten. Den AIA-Standard der OECD will die Schweiz bis auf Weiteres aber nur auf Staaten ausweiten, mit denen sie enge politische und wirtschaftliche Beziehungen pflegt. In der Praxis kommen dabei nur Länder infrage, die ihren Steuerflüchtlingen aus Schweizer Sicht sinnvolle Regularisierungsmöglichkeiten für ihr unversteuertes Geld anbieten. Eine weltweite Zweiklasseninformationsgesellschaft Für die allermeisten Länder ausserhalb von OECD und EU bleibt ein automatischer Informationsaustausch mit der Schweiz deshalb vorerst unerreichbar. So läuft die offizielle Schweizer Politik im Kampf gegen Steuerhinterziehung seit Längerem auf eine Zebrastrategie des Finanzplatzes hinaus : Weissgeld aus

12

GLOBAL + SOMMER 2016

den reichen Ländern des Nordens, Schwarzgeld aus den armen Ländern des Südens. Unter den OECD-Ländern entsteht eine Art Transparenzklub für den internationalen Datenaustausch zwischen Steuerbehörden, von dem die meisten ärmeren Länder bis auf Weiteres ausgeschlossen bleiben. In Sachen Steuertransparenz teilen die neuen OECD-Regeln die Welt faktisch in zwei Klassen : hier die Wissenden, dort die Nicht-Wissenden. Schweizer Vermögensverwalter haben sich damit bereits arrangiert. Sie versuchen schon seit Jahren, vor allem in Asien und Afrika vermögende Neukunden zu gewinnen. So sagte die französische Ex-UBS-Mitarbeiterin und Whistleblowerin Stéphanie Gibaud im April 2015 in einem Interview mit der ­argentinischen Zeitung « Buenos Aires Herald » : « Als die UBS 2009 in den USA aufflog, rechnete die Schweiz damit, dass die europäischen und US-amerikanischen Regulatoren gegen ­diese Schweizer Banken vorgehen werden. Also begann die UBS ab 2009, 2010, ihr Geschäft auf die Schwellenländer zu ­fokussieren und versuchte in Netzwerke potenzieller Kunden in den ‹ emerging markets › vorzudringen, [...] andere Banken machten wahrscheinlich dasselbe. » Dabei sind es gerade die ärmeren Länder in Asien oder Afrika, deren Fiskusse überdurchschnittlich stark unter Steuerflucht leiden. Denn einzelne Vermögen machen in ärmeren Ländern einen viel höheren Anteil am Steuerertrag aus als in reichen. Umso grösser ist der Schaden, den ein einzelner Steuerhinterzieher dort anrichtet. Dem Nigerianer Aliko Dangote, mit 15,4 Milliarden Dollar Vermögen der reichste Afrikaner überhaupt, steht in Nigeria ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von 1692 US-Dollar gegenüber. Zum Vergleich : Die reichste ­Familie der Schweiz, jene von Ikea-Gründer Ingwar Kamprad, verfügt über ein Vermögen von 44,5 Milliarden Dollar. Das ist zweieinhalb Mal so viel wie jenes von Dangote. Das Schweizer Pro-Kopf-Einkommen beträgt derweil 81 324 Dollar, was dem 48-fachen von jenem Nigerias entspricht. Steueramtshilfe zugunsten der Armen bleibt Theorie Der Name des Unternehmers Aliko Dangote taucht auch prominent in den Datensätzen der « Swiss Leaks » und der « Panama Papers » auf. In den « Swiss Leaks » aus dem letzten Jahr ­befindet er sich in Gesellschaft von über 5000 weiteren afrika-


So werden Schweizer Bankkundendaten mit der Welt ausgetauscht

USA: USA: seule Suisse Nurladie Schweiz fournit données liefertdes Daten

LÉGENDES LEGENDE

Accord d'EAR avec la Suisse AIA mit der Schweiz vereinbart Pays riches et pays émergents riches Reiche Länder und reichere Schwellenländer MCAA et Convention sur l'assistance administrative MCAA und Amtshilfekonvention unterzeichnet Pays riches et pays émergents riches Reiche Länder und reichere Schwellenländer Pays émergents et pays pauvres Schwellenländer und arme Länder Seulement Convention sur Nur Amtshilfekonvention l'assistance administrativeunterzeichnet Reiche Pays riches Länder et und pays émergents reichere Schwellenländer riches Pays émergents et Schwellenländer und pays arme pauvres Länder

Bis auf Weiteres Jusqu'ici pas d'assistance keine Steueramtshilfe administrative selonden nach les nouvelles neuen OECD-Regeln règles de l'OCDE möglich Reiche Pays riches Länder et und pays émergents reichere Schwellenländer riches Pays émergents et Schwellenländer und pays arme pauvres Länder

nischen Kunden der Schweizer Niederlassung der britischen Bank HSBC. Es handelt sich um Einzelpersonen und um Firmen aus über fünfzig afrikanischen Staaten, die über die Genfer ­HSBC-Filiale unversteuertes Kapital zirkulieren liessen. Die Heimatstaaten dieser Steuerhinterzieher werden in absehbarer Zeit keine Chance auf einen automatischen Informationsaustausch mit den Schweizer Steuerbehörden haben. Wenn sie aber wie Nigeria oder die Schweiz Mitglied der multilateralen Amtshilfekonvention von OECD und Europarat sind, können sie ein Steueramtshilfegesuch bei der Schweizer Steuerverwaltung stellen und auf diesem Weg an unversteuerte Gelder ihrer Bürgerinnen und Bürger gelangen.

Bei der Steuerverwaltung in Bern liegen Hunderte unbeantworteter Anfragen auf Steueramtshilfe aus Indien. Allerdings gibt es auch hier hohe Hürden, wie das Beispiel Indien zeigt : Von dort liegen der Steuerverwaltung in Bern seit den « Swiss Leaks » Hunderte Anfragen auf Steueramtshilfe im Zusammenhang mit HSBC-Kundendaten indischer Staatsbür-

Grafik: Weber; Quellen:Alliance Recherche Alliance Sud,Banque OECD, SIF, Weltbank Infographie: Weber; sources: recherche Sud, OCDE, SFI, mondiale

ger vor. Sie darf diese allerdings bis auf Weiteres nicht beantworten, da sich der Bundesrat seit dem letzten Herbst weigert, den Entwurf für eine entsprechende Gesetzesänderung zur Ausweitung der Steueramtshilfe auf sogenannt gestohlene Daten dem Parlament vorzulegen. Erst diese Gesetzesausweitung würde diese Form der Amtshilfe zu einem probaten Mittel für Staaten machen, die nicht zum erlauchten AIA-Klub gehören. Die Ausweitung der Amtshilfe auf gestohlene Daten ist denn auch verbindlicher Teil des neuen OECD-Standards in der internationalen Steueramtshilfe. Wer dieses Kriterium nicht erfüllt, läuft Gefahr, im zweiten Teil des Länderexamens des Global Forums für Steuertransparenz der OECD, wo die Fortschritte der einzelnen Teilnehmerländer bei der Umsetzung der neuen Standards evaluiert werden, hängen zu bleiben. ­Zurzeit erstellt das Forum seinen Bericht über die Schweiz. ­Beispielsweise Indien und Nigeria könnten als Mitglieder des Forums den Aufstieg der Schweiz in die dritte Phase des Examens verhindern. Dann könnte die Schweiz erneut auf schwarzen Listen von OECD-Ländern landen. Auf das Ergebnis des ­Examens darf man also gespannt sein.

1 Multilateral Competent Authority Agreement 2 Foreign Account Tax Compliance Act

GLOBAL + Sommer 2016

13


Lesezeichen

Karussell

Handeln, ehe es zu spät ist ! « Der Klimawandel hat die einzigartige Kombination, dass er global, langfristig, irreversibel und sehr ­ungewiss ist und dass es einen gesicherten historischen Präzedenzfall gibt. » ( S. 96 )

Der Klimawandel ist hausgemacht und wird durch unser Handeln beschleunigt. Davon gehen die beiden Ökonomen Gernot Wagner und Mar­ tin L. Weitzmann zu Beginn ihres Buches « Klima­ schock » aus. Die beiden Autoren führen ihr Lese­ publikum auf unterhaltsame Weise und anhand von vielen Beispielen an das Thema Klimawandel heran und analysieren mögliche Folgen der globalen Erwärmung. Wie stark die Temperaturen ansteigen werden, ist ungewiss. Gewiss ist hingegen, dass jetzt gehandelt werden muss. Das Buch zeigt Ansätze auf, wie das Klimaproblem in den Griff zu bekom­ men wäre und diskutiert deren Vor- und Nachteile. Der wichtigste Ziel­ konflikt bestehe allerdings zwischen Klima und Wirtschaftswachstum, meinen die Autoren. Eine Wahl zwischen beiden gebe es nicht, unser tägliches Handeln müsse in Einklang mit dem Klimawandel gebracht werden. Das englische Original wurde von der « Financial Times » zu einem der ­besten 15 Wirtschaftsbücher des Jahres 2015 gekürt. Klimaschock : Die extremen wirtschaftlichen Konsequenzen des Klimawandels / ­ ernot Wagner, Martin L. Weitzman, Wien : Carl Ueberreuter Verlag, 2016. 256 S. G Ausleihbar bei Alliance Sud InfoDoc unter der Signatur : Ob/21

Zeitschriften-Lese ( n ) « Es stinkt zum Himmel »

Die Redaktion von « iz3w » ( Mai/Juni 2016 ) findet in ihrem Dossier über die politische Ökonomie und Ökologie des Abfalls deutliche Worte. Es verdeutlicht, dass das Thema Müll ökologische und soziale Fragen gleichermassen betrifft, und es weist auf den Zusammenhang von Wohlstand und globalem Müllaufkommen hin. Stichworte zu ­einigen der erörterten Fragen : die Vernetzung der MüllsammlerInnen ( Waste Pickers ) für bessere Arbeitsbedingungen, die Meeresverschmutzung durch Plastik oder Industrieabfälle, der lukrative Handel mit Abfall und die mangelhaften Kontrollen im Umgang mit Elektroschrott. www.iz3w.de

Menschenrechte : Fremdwort für Sportverbände ?

Das « Südwind-Magazin » ( Mai 2016 ) wirft ein Schlaglicht auf die internationale Sportindustrie. Dabei geht es zum einen um menschenrechtliche Aspekte von Grossereignissen, etwa die Vertreibung der SlumbewohnerInnen in Brasilien im Vorfeld der Fussball-WM 2014 und die kommenden Olympischen Sommerspiele sowie die Ausbeutung der Arbeiter auf Katars Baustellen ( Fussball-WM 2022 ). Zum anderen greift der Beitrag die Korruption auf. Er bezeichnet dabei die Gesetzgebung der Schweiz als lax – ein Grund, weshalb sich die grossen Sportverbände hier niederliessen. www.suedwind-magazin.at

Monbijoustrasse 29/31, 3011 Bern Öffnungszeiten : 13.30 – 17.30 h ( Mo – Fr ) dokumentation@alliancesud.ch, www.alliancesud.ch/dokumentation

14

GLOBAL + SOMMER 2016

— Bei Caritas ist Fred Lauener der neue Leiter Asien/Eu­ ropa. Anja Ebnöther übernimmt den Bereich IZA, Patrik Berlinger die Fachstelle Entwicklungspolitik, Bernd Schäfer wird Chefdelegierter Nepal, Jan Gruss und Sandino Rothenbücher sind neu Programmverantwortliche für Indien bzw. die Philippinen, Hubert ­Eisele neu Delegierter in Brasilien. — Neu bei Helvetas ist Geert van Dok, er kommt von Ca­ ritas, für die politische Kommunikation zuständig. Barbara Vogt kommt vom HAFL als Beraterin für Berufsbildungs­ projekte, Chris Morger, Berater für Wasserprojekte, geht in Pension. — Bei Brot für alle wird Michel Egger der neue Verant­ wortliche für Transition ( s. S. 15 ). — Etienne Basset ist neu im Swissaid-Team als Projekt­ manager Monitoring und Evaluation. Laurent Matile, Dos­ sier Rohstoffpolitik, wechselt zu Alliance Sud, wo er sich um das Dossier Unternehmen und Menschenrechte kümmert. — Neu beim Heks sind Fredy Rytz als Bereichsleiter ­Services, Alexis Palomeque als Sachbearbeiter Ausland und Constance Marschan in der Kommunikation Schwer­ punktthemen. — Stefan Studer, Bereichsleiter Inland und Co-Geschäfts­ leiter, wird nach 28 Jahren bei terre des hommes schweiz pensioniert. Auslandleiterin Franziska Lauper wird neu al­ leinige Geschäftsleiterin, Gabriela Wichser wird Bereichs­ leiterin Programme und Mitglied der Geschäftsleitung. Dort nimmt auch Richard Geer ( zuvor Mission 21 ) Einsitz, er über­ nimmt Kommunikation und Mittelbeschaffung. — Bei Solidar Suisse besetzt Nancy Van Dijk die neu ge­ schaffene Stelle als Finanz-Controllerin. Marco Eichenberger, vormals WWF, leitet als neues Geschäftsleitungsmit­ glied das Fundraising. — Der neue Generalsekretär der Fédévaco heisst Alexandre ­Cavin, er folgt auf Emmanuelle Robert. — In der Deza wird Markus Bürli neuer Programmverant­ wortlicher in Myanmar. Carole Eggenberger wechselt in die Qualitätssicherung der Ostzusammenarbeit. Sie löst Bernhard Soland ab, neuer stv. Koordinator im Kosovo. Michel Evequoz, bisher stv. Leiter in der Abt. Westafrika, wird Pro­ grammbeauftragter ( PB ) im Globalprogramm Ernährungs­ sicherheit. Rahel Fischer wird PB in der Abt. Latein­amerika. Sie löst Thomas Jenatsch ab, der als stv. Koordinator ins Kobü Managua wechselt. Der bisherige PB in der Ostzusammen­ arbeit, Ralph Friedländer, wird PB in der Abt. Westafrika. Jean-François Golay wird PB im Kobü in Haiti. Katharina Jenny Waber stösst als PB zur Abt. Multilaterales der Hu­ manitären Hilfe. Maud Macho wird neu PB in der Abt. West- afrika. Ersetzt wird sie bei den Globalen Institutionen durch Dominique Rychen, bisher Analyse und Politik. Chloe Milner wird Regionalberaterin im Kobü Belgrad, sie ersetzt dort Katharina Häberli, die Chefin der Abt. Bundespolitische Ge­ schäfte im Direktionsstab der Deza wird. Neue Leiterin des Kobüs Belgrad wird Ursula Läubli, sie ersetzt Isabel Perich. Michal Harari, bisher in der HH-Abt. Naher Osten und Nord­ afrika, wird neu Programmverantwortliche im Kobü in Yan­ goon. Andrea Inglin, bisher JPO im Kobü Managua, wird neu PB in der Abt. Lateinamerika und Karibik. Mattia Poretti, bis­ her Chef des Erweiterungsbüros im Kobü Sofia, wird neu stv. Chef IZA im Kobü Jerusalem.


Transformation als Lebensaufgabe

Ein Dankeschön an Michel Egger Mark Herkenrath  Michel

Egger, Mitglied

der Geschäftsleitung von A ­ lliance Sud

und Leiter unseres Westschweizer

Büros, geht z­ urück zu Brot für alle. In den letzten vierzehn Jahren hat er

die Geschicke von Alliance Sud mass­

geblich mitgeprägt. Eine Würdi­

gung seiner Arbeit und ein grosses

Fotos : © D aniel Rihs

Dankeschön an einen Freund.

Man kennt und schätzt Michel Egger in der Schweizer Zivilgesellschaft als engagierten Kämpfer für einen gerechten Welthandel und verantwortungsvolles Konzernhandeln. Er vertritt seine Anliegen nur selten mit lauter Stimme, sondern überzeugt mit fundierten Argumenten, diplomatischem Geschick und Charisma. Wer ihn sprechen hört, kann gar nicht anders, als seine Integrität zu bewundern und ihm Vertrauen zu schenken. 2009 wurde Michel Egger Leiter unseres Westschweizer Büros und Mitglied der Geschäftsleitung. Zu Alliance Sud stiess er aber bereits vor fast vierzehn Jahren, im September 2002. Zuvor war der ausgebildete Soziologe als Journalist ­tätig und danach mehrere Jahre lang bei Brot für alle. Nun zieht es ihn wieder zu Pain pour le prochain zurück. Ab dem 1. August wird er in Lausanne für unsere ­Trägerorganisation einen neuen Fachbereich aufbauen. Dafür wünsche ich ihm – auch im Namen des Teams und der Trägerschaft von Alliance Sud – viel Erfolg und Inspiration ! Bei Alliance Sud war Michel Egger zunächst für den Fachbereich Welthandel zuständig. Danach war er verantwortlich für den Aufbau des Bereichs Unternehmen und Menschenrechte, wo er sich auch für einen kritischen Dialog mit Nestlé zu Menschenrechtsfragen in Kolumbien einsetzte. Diese kritische, aber konstruktive Auseinandersetzung mit einem multinationalen Konzern verschaffte ihm in der Schweizer Zivilgesellschaft nicht nur Freunde. Umgekehrt ärgerten ( und ärgern ) sich manche Schweizer Konzerne über die Kampagne « Recht ohne Grenzen » und die daraus hervorgegangene Konzernverantwortungsinitiative. Auch hier hat Michel ­Egger eine zentrale Rolle gespielt. Er hat mass­geblich dazu beigetragen, dass Vorstösse zur Einhaltung der Menschen- und Umweltrechte durch Schweizer ­Unternehmen im Parlament partei­übergreifende Unterstützung fanden. In Gesprächen ist er ein geduldiger und genauer Zuhörer, argumentiert sprachgewandt, aber nie, ohne auch wirklich etwas zu sagen zu haben. Kein Wunder, werden Michel Eggers Auftreten und politisches Gespür auch im Parlament und der Bundesverwaltung sehr geschätzt. Sie haben es ihm nicht zuletzt ermöglicht, die entwicklungspolitischen Anliegen von Alliance Sud in die Kontaktgruppe Investitionen sowie in die Verbindungsgruppe WTO des Staatssekretariats für Wirtschaft ( Seco ) und in den Beirat des nationalen Kontaktpunkts für die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen einzubringen. Neben seiner Tätigkeit für Alliance Sud hat sich Michel Egger als Herausgeber einer Schriftenreihe, Koordinator des Netzwerks Trilogies und verschiedener Pub­ likationen zur Ökospiritualität einen Namen gemacht. Sein schriftstellerisches Werk wurzelt in der christlichen Tradition; gleichzeitig ist es offen für die Einsichten anderer spiritueller Richtungen und die Erkenntnisse der Wissenschaft. Bemerkenswert sind seine beiden Bücher « La Terre comme soi-même. Repères pour une écospiritualité » ( 2012 ) und « Soigner l’esprit, guérir la Terre. Introduction à l’écopsychologie » ( 2015; beide im Verlag Labor et Fides ). Die beiden Bücher zeigen auf, wie sich der moderne Mensch zunehmend von der Natur entfremdet und wie der kulturelle Wille, die Natur zu beherrschen, zahlreiche Probleme – von individuellen und kollektiven Ängsten bis hin zur globalen Klimakrise – verursacht. Vor allem aber zeichnen die beiden Bücher im Sinne einer neuen Ökospiritualität einen Weg auf, diese Entfremdung zu überwinden. Die dafür notwendige innere Transformation des Menschen wird auch ein Kernthema von Michel Eggers zukünftiger Arbeit bei Brot für alle sein. Bei Alliance Sud werden wir unseren langjährigen Kollegen sehr vermissen – auch wenn er uns als Freund sicher erhalten bleiben wird. In den letzten vierzehn Jahren ist Michel Egger eine tragende Stütze unseres Teams gewesen. Mit seiner enormen entwicklungspolitischen Fachkompetenz, menschlichen Wärme und strategischen Intelligenz hat er uns nachhaltig bereichert und immer wieder zu kritischem Nachdenken inspiriert. Dafür möchten wir ihm von ganzem Herzen danken.

GLOBAL + Sommer 2016

15


Foto : © A ram Karim/Keystone

Von Alliance Sud ins Bild gesetzt. dh. Ein Bild, zwei Geschichten. Die Aufnahme zeigt einen unbekannten jugendlichen Asylbewerber in der Asylunterkunft von Crissier ( VD ) bei den Französischaufgaben. Das Erlernen einer Schweizer Landessprache hilft, die Zeit beim Warten auf einen Asylentscheid fernab von Familie und Freunden sinnvoll zu nutzen. Die zweite Geschichte ist die des Fotografen, des irakischen Kurden Aram Karim. Aram Karim arbeitete in seiner nordirakischen Heimat als Pressefotograf, wo die Agentur Metrography, die « erste unabhängige Bildagentur Iraks » seine Arbeit verbreitete. Im Herbst 2015 reiste Aram Karim ans Pressefotografie-­ Festival nach Perpignan, um seine Bilder zu zeigen. Bei seiner Rückkehr holte ihn der Krieg ein, er wurde bedroht, beschloss zu fliehen und in der Schweiz

Zahlen und Fakten zur Klimapolitik Quellen : Klima-Masterplan der Schweizer Klimaallianz ( J uni 2016 ) bit.ly/1t1S3wN

Asyl zu beantragen. Um seine Flucht in die Schweiz zu bezahlen, musste er ­seine Ausrüstung verkaufen. Ein Artikel in « Le Temps » machte den stv. Cheffotografen der Schweizer Fotoagentur Keystone auf das Schicksal Karims in der Asylunterkunft von Gland ( VD ) aufmerksam. Berufskollegen verschafften ihm eine neue Aus­ rüstung, die Möglichkeit, seine Bilder zu zeigen und zu arbeiten. Allein, ­Asyl­bewerber dürfen in den ersten drei Monaten nicht arbeiten. Weil Aram ­Karim über Frankreich eingereist ist, ist er gemäss Dublin-Abkommen in der Schweiz nicht ­asylberechtigt. Am 20. Mai hat Aram Karim die Schweiz Rich­ tung Mar­seille verlassen. Dies, obwohl vieles für ihn sprach : Er hatte Arbeit und Kontakte, war ­unabhängig und willens, sich rasch zu integrieren, um sich ein neues ­Leben aufzubauen.

Null

2040

22

Tonnen CO2 ist die ­ or­gabe des Pariser Klima­ V abkommens für den ­glo­balen CO2-Ausstoss bis 2050.

Bis dann muss die Schweiz ihren inländischen CO2-­Ausstoss auf null absenken.

Mal mehr CO2-Äquivalente verursacht der Finanzplatz Schweiz im Vergleich zum inländischen Treib­ hausgas-Ausstoss.

GLOBAL +   Postfach  |   3001 Bern  |   Telefon + 41 31 390 93 30 E-Mail : globalplus@alliancesud.ch  |   www.facebook.com/alliancesud

www.alliancesud.ch


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.