GLOBAL+ Nr. 67 | Herbst 2017

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NUMMER 67  |   Herbst 2017

Globalisierung und Nord / Süd-Politik

Arbeitsgemeinschaft Swissaid  |   Fastenopfer  |   Brot für alle  |   Helvetas  |   Caritas  |   Heks  |   www.alliancesud.ch

Wer bezahlt die Rechnung ? Investitionsschutz : Es braucht neue Regeln

OECD-Kontaktpunkt : Note ungenügend

AIIB : Erste Zwischenbilanz


Kurz notiert Erfolg für Alliance Sud und Public Eye ia. Anfang 2015 erhielt die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats den Auftrag, die Auswirkungen von Freihandelsabkommen ( FHA ) zu unter­suchen. In den resultierenden Bericht wurden zwei langjährige Forderungen von ­Alliance Sud und Public Eye aufgenommen : 1 ) Mit ex ­ante-Studien sollen die Auswirkungen der ­Abkommen auf die Nachhaltigkeit untersucht werden. 2 ) Die Transparenz gemischter Ausschüsse, welche die Umsetzung von FHA und deren Bestimmungen zur Nachhaltigkeit begleiten, muss verbessert werden, indem regelmässig dazu berichtet wird. In seiner Antwort vom 22. September hält der Bundesrat fest, dem stünden methodologische Schwierigkeiten entgegen, er ist aber bereit, « von Fall zu Fall gezielte Umweltverträglichkeitsprüfungen» vorzunehmen. Schweiz in der Schlussgruppe dh. Der Think Tank Center for Global De­ velopment ( « Independent research for global prosperity » ) hat seinen Commitment to Development Index 2017 in Form eines interaktiven Online-Auftritts publiziert. Der Index aus Washington D. C. führt die 27 reichsten Länder der Welt auf und untersucht, wie und ob deren politischer Ein-

Studie zur Zwangsarbeit dh. Das in London ansässige Business and Human Rights Resource Centre ( BHRRC ) hat im Auftrag des Internationalen Ge­ werkschaftsbundes ( IGB ) eine Studie über moderne Sklaverei in Firmen und ihren Lieferketten ( Modern Slavery in Company ­Operations and Supply Chains ) veröffentlicht. Ausgehend vom hehren Vorsatz der Staats- und Regierungschefs am jüngsten G-20-Gipfel, dass Kinderarbeit, Menschenhandel und alle Formen von moderner Sklaverei bis 2025 Geschichte sein sollen, gibt die Studie einen Überblick über die weltweiten Regulierungsbemühungen, darunter auch die in der Schweiz diskutierte

Impressum

Alliance Sud auf einen Blick

GLOBAL + erscheint viermal jährlich.

Präsidium Caroline Morel, Geschäftsleiterin Swissaid

Herausgeberin: Alliance Sud, Arbeitsgemeinschaft Swissaid | Fastenopfer | Brot für alle | Helvetas | Caritas | Heks E-Mail: globalplus@alliancesud.ch Website: www.alliancesud.ch Social Media Politik: www.facebook.com/alliancesud www.twitter.com/AllianceSud Social Media InfoDoc: www.facebook.com/AllianceSudDok www.twitter.com/dok_alliancesud Redaktion: Daniel Hitzig ( d h ) , Kathrin Spichiger ( k s ) Übersetzungen: Daniel Hitzig Bildredaktion: Nicole Aeby Grafik: Clerici Partner Design, Zürich Druck: s+z: gutzumdruck, Brig Auflage: 2400 Einzelpreis: Fr. 7.50, Jahresabo: Fr. 30.– Förderabo: mind. Fr. 50.– Inseratepreise/Beilagen: siehe Website Bildnachweis Titelseite: Zerstörung durch den Zyklon Evan im Dezember 2012 in Volivoli Beach auf Fidschi. © Atu ­R asea /  E PA /  Keystone Die nächste Ausgabe von GLOBAL + erscheint Anfang Dezember 2017.

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satz den Menschen in den armen Ländern zugute kommt. Als Bereiche werden neben der Höhe öffentlicher Entwicklungsgelder die Finanz-, Technologie-, Umwelt-, Handels-, Sicherheits- sowie Migrationspolitik untersucht. An der Spitze liegen Dänemark, Schweden und Finnland, die Schweiz hat einen Platz gut gemacht und liegt neu auf Platz 24, hinter ihr rangieren nur noch Griechenland, Japan und Südkorea. Eine Fundgrube für Datenfreaks, Fragen zur Zusammensetzung des Index sorgen indes in Fachkreisen immer wieder für Diskus­ sionen. www.cgdev.org

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Geschäftsstelle Mark Herkenrath ( G eschäftsleiter ) Kathrin Spichiger, Matthias Wüthrich Monbijoustrasse 31, Postfach, 3001 Bern Tel. + 4 1 31 390 93 30 Fax + 4 1 31 390 93 31 E-Mail : mail@alliancesud.ch Entwicklungspolitik – Agenda 2030 Sara Frey, Tel. + 4 1 76 388 93 31 sara.frey@alliancesud.ch – Entwicklungszusammenarbeit Eva Schmassmann, Tel. + 4 1 31 390 93 40 eva.schmassmann@alliancesud.ch – Steuer- und Finanzpolitik Dominik Gross, Tel. + 4 1 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch – Klima und Umwelt Jürg Staudenmann, Tel. + 4 1 31 390 93 32 juerg.staudenmann@alliancesud.ch – Handel und Investitionen Isolda Agazzi, Tel. + 4 1 21 612 00 97 isolda.agazzi@alliancesud.ch

Verpflichtung der Unternehmen zu einer Sorgfaltsprüfung. Laut Schätzungen der Weltarbeitsorganisation ( ILO ) beläuft sich der Wert von Zwangsarbeit weltweit auf mindestens 150 Milliarden US-Dollar. www.ituc-csi.org Schweizer NGOs spannen zusammen dh. Zwei Jahre nach der Lancierung der Uno-Agenda 2030 durch die Staats- und Regierungschefs in New York haben sich rund 40 NGOs die Strukturen gegeben, um echter Nachhaltigkeit in der Schweizer Politik auf allen Ebenen zum Durchbruch zu verhelfen. Die als Verein organisierte zivilgesellschaftliche Plattform Agenda 2030 will den Dialog und Austausch über die Sektorgrenzen von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hinaus fördern und einen kritischkonstruktiven Blick auf die Umsetzung werfen. Sie will auch den Einbezug von unterschiedlichen Perspektiven ermutigen. Ebenso wichtig wird es sein, die Öffentlichkeit über die Agenda 2030 zu informieren und breiteste Kreise für das Potenzial der Agenda 2030 zu echter Veränderung zu sensibilisieren. Lanciert wurde die Plattform vom KOFF, dem Kompetenzzentrum für Friedensförderung, der Umweltallianz, dem Schweize­rischen Gewerkschaftsbund und Alliance Sud.

– Unternehmen und Menschenrechte Laurent Matile, Tel. + 4 1 21 612 00 98 laurent.matile@alliancesud.ch – Medien und Kommunikation Daniel Hitzig, Tel. + 4 1 31 390 93 34 daniel.hitzig@alliancesud.ch Regionalstelle Lausanne Isolda Agazzi /  L aurent Matile /  M ireille Clavien Tel. + 4 1 21 612 00 95 /  Fax + 4 1 21 612 00 99 lausanne@alliancesud.ch Regionalstelle Lugano Lavinia Sommaruga Tel. + 4 1 91 967 33 66 /  Fax + 4 1 91 966 02 46 lugano@alliancesud.ch InfoDoc Bern Dagmar Aközel-Bussmann /  Simone Decorvet /  E manuel Zeiter Tel. + 4 1 31 390 93 37 dokumentation@alliancesud.ch Lausanne Pierre Flatt /  N icolas Bugnon /  C écile Mégard /  Amélie Vallotton Preisig ( U rlaub ) Tel. + 4 1 21 612 00 86 documentation@alliancesud.ch


Widersprüchliche Pläne für und mit Afrika Foto : © D aniel Rihs

Aussenminister Ignazio Cassis kennt das Thema Migration aus eigener Anschauung, er ist der erste Secondo in der Schweizer Regierung und Vertreter eines Grenzkantons. Neu wird er sich jetzt mit dem wenig durchdachten Parlamentsauftrag herumschlagen müssen, dass die internationale Zusammenarbeit strategisch mit der Migrationspolitik zu verknüpfen sei. Auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten wird die Entwicklungszusammenarbeit zusehends zur Migrationsbekämpfungspolitik umfunktioniert. Mit seinem « Marshall-Plan mit Afrika » will Deutschland auf dem afrikanischen Kontinent für einen massiven Entwicklungsschub sorgen. So weit, so gut. Pikanterweise hiess der Plan aber ursprünglich « Marshall-Plan für Afrika » und war unter Ausschluss der afrikanischen Regierungen und Parlamente entworfen worden. Viele Massnahmen – etwa die Förderung von Kleinbauernfamilien, Programme für gute Regierungsführung oder das Hinwirken auf bessere Umwelt- und Sozialgesetze – gehören längst zum Repertoire der Entwicklungszusammenarbeit, auch der schweizerischen. Gleichzeitig will Deutschland aber auch mehr private Investitionen nach Afrika fliessen lassen. Der Investitionsförderung dienen letztlich auch die Freihandels­ verträge, die seit einiger Zeit unter dem Titel « Europäische Partnerschaftsabkommen » mit afrikanischen Staaten verhandelt werden. Neu sollen afrikanische Länder ihre Binnenmärkte aber eine Zeit lang durch Schutzzölle vor der übermächtigen globalen Konkurrenz schützen dürfen. Der « Marshall-Plan mit Afrika » geht bis zu einem gewissen Grad also auch gegen Fluchtursachen made in Europe vor, wie unfaire Handels­ beziehungen und ungleiche Investitionschancen. Sinnvoll ist auch, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zukünftig Länder bevor­ zugen soll, die von sich aus den Rechtsstaat stärken und die Korruption bekämpfen. Nur : Geht es um unmittelbare Migrationsverhinderung, sind die guten Ansätze gleich wieder Makulatur. So knüpfen im Rahmen des sogenannten Khartoum-Prozesses Deutschland und die EU ihre Zusammenarbeit an die Bereitschaft afrikanischer Regierungen, schärfere Grenzkontrollen einzuführen. Hier hofieren sie hochgradig autoritäre Regierungen und unterstützen diese beispielsweise beim Aufbau von Polizeitrainingszentren. Es werden also die Repressionsapparate just jener Diktaturen gestärkt, vor denen die Menschen fliehen. Umso bedenklicher ist, dass die Schweiz inzwischen Vollmitglied dieses Khartoum-Prozesses ist. Sie zahlt in den Europäischen NothilfeTreuhandfonds für Afrika ETF ein, der im Namen der gesamteuropäischen Migrationsaussenpolitik in Ländern wie dem Sudan oder Eritrea die Sicherheitskräfte und die dem Geheimdienst unterstellte Grenzkontrolle unterstützt. Sieht so also die vom Parlament geforderte Verknüpfung von internationaler Zusammenarbeit und migrationspolitischen Interessen in der Praxis aus ? Es bleibt zu hoffen, dass Bundesrat Cassis erkennt, wie inkohärent eine solche Afrikapolitik ist.

Aus dem Inhalt 4

Klimakonferenz COP 2 3 in Bonn Schäden und Verluste im Fokus

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Investitionsschutzabkommen Staaten verhandeln – Multis klagen

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Unternehmen und Menschenrechte Freiwilliger Dialog

Asian Infrastructure Investment Bank 10 China genau auf die Finger schauen

Foto : © FAIRMED

Öffentliches Beschaffungsrecht 13 Diese Chance nicht verpassen !

Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud

Herausforderung EDA 15 Was es aus Südsicht zu tun gilt

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Fidschi lädt zur « p azifischen Klimakonferenz » COP 23 – in Bonn

Vorgeschmack auf Klima-Migration Jürg Staudenmann

Kein Wunder, soll die « COP 23 » auf das Thema Schäden

und ­Verluste fokussieren. Dem pazifischen Inselstaat Fidschi, der ­dieses Jahr den Vorsitz hat, gehen die Klimaveränderungen längst ans ­Lebendige. ­Verluste und Umsiedlungen beziehungsweise Flucht sind ­bereits bittere Realität.

Im Vorfeld der 23. Conference of the Parties ( COP 23 ) vom 6. bis 17. November haben durch den Klimawandel verstärkte Wetterextremereignisse die medialen Schlagzeilen bestimmt. Während Tagen lieferten katastrophale Stürme in der Karibik und den USA dramatische Bilder in unsere Wohnzimmer, während der ebenso verheerende Extrem-Monsun im Golf von Bengalen, aber auch in Mumbai eine Randnotiz blieb. Die diesjährige ­verheerende Trockenheit in Italien wurde von zerstörerischen Regenfluten abgelöst, was hierzulande medial allerdings von Bergstürzen und Gletscherabbrüchen überlagert wurde.

Foto : © A bir Abdullah /  E PA /  Keystone

Dhaka, die zwei Meter über dem Meeres­ spiegel gelegene Hauptstadt von ­Bangladesch, im Monsunregen vom 26. Juli 2017.

Allen gemeinsam ist die Frage, wie mit den durch den Klimawandel verursachten oder verstärkten Schäden und Verlusten ( sog. loss and damage ) umgegangen werden soll : Woher die Mittel für den Wiederaufbau nehmen ? Wie unwiderruflich zerstörte Lebensgrundlagen von Menschen ersetzen, die bereits vorher am Rande der Armut lebten ? Oder, wie ein Artikel zu den verheerenden Überschwemmungen in Südasien, die Tausende von Menschen das Leben gekostet und Abermillionen in den Ruin getrieben haben, lakonisch titelte : Wohin mit all den Klima-MigrantInnen aus Bangladesch ? Denn : Der permanente Anstieg des Meeresspiegels um ­einen Meter wird innerhalb weniger Jahrzehnte 30 Millionen Bangladeschi wortwörtlich den Boden entziehen. Sie werden zu « Klimaflüchtlingen ». Wobei dieser Begriff offiziell gar

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( noch ) nicht existiert ; Menschen, die durch Desaster und ­Klimaveränderung vertrieben werden, gelten bisher nicht als « echte » Flüchtlinge. Auch wenn die Nansen-Initiative ( ­unter Beteiligung der Schweiz ) bereits seit 2010 diese Frage debattiert. Alle Augen auf Frank from Fidji Angesichts dieser sich zuspitzenden Fragestellungen richten sich die Augen auf den diesjährigen Klimagipfel, der von Fidschi präsidiert wird. Die COP 23 findet aber nicht im Pazifik statt, sondern wurde nach Bonn verlegt. Fast ist man versucht, in der Umsiedlung der Konferenz ins klimaresilientere Rheinland etwas präapokalyptische Symbolik zu erkennen. Fidschis Premierminister Josaia Voreqe Bainimarama hat angekündigt, als COP 23-Präsident das Thema loss and damage voranzutreiben. Er weiss, wovon er spricht. In Fidschi, bestehend aus 332, meist nur wenige Meter aus dem Meer ragenden Atollen, hinterliess der Sturm Winston 2016 Schäden von 1,4 Milliarden US-Dollar, was einem Drittel des BIPs entspricht. Bereits bei seinem ersten Auftritt als COP 23-Präsident am ­G-20-Gipfel dieses Jahres sicherte Frank from Fidji, wie er sich gerne vorstellt, allen Einwohnern von Kiribati und Tuvalu das permanente Aufenthaltsrecht auf Fidschi zu. Und forderte von den USA eine analoge, unbefristete Verlängerung des 2023 auslaufenden Aufenthaltsrechts für alle Einwohner der Marshall-Inseln, das ihnen vor Jahrzehnten als Abgeltung für die Zerstörung und Verstrahlung mehrerer ihrer Atolle zugestanden worden war. Als erstes Land der Welt, das das Pariser Klimaübereinkommen ratifiziert hat, machte sich Fidschi im Rahmen der Staatengruppe des Climate Vulnerable Forum bereits vor « Paris 2015 » für die Frage klimabedingter Schäden und Verluste stark. Mit Erfolg : Das Pariser Klimaübereinkommen widmet loss and damage ein eigenständiges Kapitel. Trotz dieses diplomatischen Durchbruchs vor zwei Jahren werden die damit zusammenhängenden Fragen nach der Verantwortung und den Ansprüchen auf Kompensation von den Industriestaaten, den Hauptverursachern des Klimawandels, noch immer tabuisiert. Dabei stehen mindestens zwei konkrete Traktanden ganz oben auf der globalen Klima-Agenda : Zum einen kam mit dem erwähnten loss and damage-Kapitel des Pariser Abkommens endlich die Frage offiziell auf den Tisch, wie mit migrierenden oder vertriebenen Menschen umgegangen werden soll, die ihre Lebensgrundlage durch Klimaveränderungen verloren haben. Zum andern wurde bereits vor vier Jahren das ExekutivKomitee des Warsaw Implementation Mechanism ( WIM ) mit der Evaluierung der Bedeutung und Tragweite von loss and da­ mage mandatiert. Nun müssen endlich auch Fragen der Schadensbehebung oder Kompensation bei Verlusten aufs Tapet. Dafür braucht es auch dringend einen Finanzierungsplan zugunsten der ärmsten und weitgehend unverschuldet zu Schaden gekommenen Bevölkerungen im globalen Süden. Denn – im Gegensatz zur Klimafinanzierung und den bereits beschlossenen 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Mitigation und Adaptation – wurde im Pariser Klimaübereinkommen keine finanzielle Unterstützung für erlittene Schäden und Verluste festgelegt. Diesem Manko vorgelagert ist die tabuisierte Frage nach den Verantwortlichkeiten. Vieles hängt mit den diametral auseinanderliegenden Interessen zusammen, angefangen bei der Abgrenzung von loss

and damage gegenüber Adaptation. Die Vorschläge der Hauptverursacher, allen voran Industrieländer wie die Schweiz, liegen meilenweit entfernt von den Bedürfnissen der Betroffenen, allen voran der kleinen Entwicklungsinselstaaten wie Fidschi. Die COP 23 muss diesem unwürdigen Eiertanz auf Kosten der Schwächsten endlich ein Ende setzen. Angesichts der Katastrophen der vergangenen Wochen und Monate müssen in Bonn konkrete Pflöcke eingeschlagen werden. Denn in der Öffentlichkeit ist die Dringlichkeit, dass mit den durch die Klimakrise angerichteten Schäden und Verlusten gerecht umgegangen werden soll, längst angekommen.

Was die COP 23 im Bereich Schäden und Verluste ­erreichen muss js. Trotz Trump’scher Obstruktion aus den USA arbeitet die Welt-Klimagemeinschaft mit fast demonstrativer Geschlossenheit in rund einem Dutzend workstreams am Regelwerk zur Um­ setzung des Pariser Klimaübereinkommens. Die COP 23 soll davon einen ersten umfassenden Entwurf hervorbringen. – Aus Sicht von Alliance Sud kann die COP 23 aber nur dann als Erfolg gewertet werden, wenn auch im Bereich loss and damage konkrete Fortschritte erzielt werden : • Loss and damage, als ebenbürtiger Pfeiler des Pariser Abkommens, muss mit derselben ­Priorität behandelt werden wie die anderen Bereiche. Dazu gehören die Erarbeitung von Kriterien ( « Positiv­liste » ) für zu vergütende Schäden und Verluste und eine wissenschaftlich fundier­ te ­Abschätzung der zu erwartenden Kosten und Op­tionen verursachergerechter Finanzierung. • Ein « Fidschi-Finanzierungsmechanismus für Schäden und Verluste » sollte vorbereitet und ­verursachergerecht ab 2020 mit jährlich 50 Milliarden und bis 2030 mit 200 – 300 Mil­ liarden US-Dollar dotiert werden. Dieser Mechanismus soll auch eine Versicherung zu­ gunsten der vom Klimawandel bedrohten pazifischen Inseln ermöglichen. • Das Exekutivkomitee des Warsaw Implemen­ tation Mechanism ( WIM ) muss mit mehr Mitteln ausgestattet werden, Bedingungen für Klima­ versicherungen zugunsten der Ärmsten ver­ ankern und den verwundbarsten Bevölkerungen direkt zur Seite stehen können. • Das Thema klimabedingter Migration, ­Vertreibung und Umsiedlung muss ab 2018 in den Verhandlungen intensiviert werden. ­Dabei müssen nebst Versicherungslösungen auch weitere Optionen des ( lokalen ) Risiko­ managements vorangetrieben werden.

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Investitionsschutz: Streitschlichtung wird immer häufiger angerufen

Ein System kollabiert Isolda Agazzi

Staaten schliessen untereinander Investitionsschutzabkommen,

multinationale Konzerne können deren Verletzung einklagen. Das ­geschieht immer häufiger. Doch immer mehr Staaten reagieren darauf mit der ­Kündigung der Abkommen.

Im rechtlichen Gefüge um Investitionen und deren Absicherung bleibt kaum ein Stein auf dem anderen : So haben vier Entwicklungsländer ihre Investitionsschutzabkommen ( ISA ) mit der Schweiz in den letzten drei Jahren gekündigt. Und ­letztes Jahr hat erstmals ein Schiedsgericht die Gegenklage ­eines Staates ( Argentinien ) gegen einen ( spanischen ) Investor gutgeheissen. In der internationalen Handelsdiplomatie wird aktuell die Ablösung der bisherigen Schiedsgerichte durch die Schaffung eines Internationalen Schiedsgerichtshofs diskutiert. Das Streitschlichtungsverfahren zwischen Investoren und Staaten, das Investor State Dispute Settlement ( ISDS ), ächzt und steht vor dem Kollaps. Laut der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung ( UNCTAD ) sind zwischen Januar 2016 und Juli 2017 nicht weniger als 104 neue Klagen ausländischer Investoren gegen Empfängerstaaten eingereicht worden, womit die Gesamtzahl seit 1987 steil auf 817 stieg. In 60 Prozent der Streitfälle haben die multinational tätigen Investoren recht ­erhalten. Die Schadenersatzsummen bewegten sich zwischen 10 Millionen und den 16,5 Milliarden US-Dollar, welche der amerikanische Multi Cosigo Resources ( Gold-Abbau ) von Kolumbien beansprucht. Auch Schweizer Unternehmen hielten sich mit Klagen nicht zurück, die letzte bekannt gewordene hat Glencore gegen Kolumbien angestrengt ; ausserdem gab es zuletzt die Klageandrohung von Novartis gegen denselben Staat.1 Schweizer Unternehmen belegen Platz 11 der klagefreudigsten Multis, die Eidgenossenschaft selbst wurde hingegen noch nie eingeklagt.

Multis mit Sitz in ­welchen ­Ländern haben ­geklagt ?

Welche Länder wurden eingeklagt ?

1. USA

152 Klagen

3. Grossbritannien

69 Klagen

2. Niederlande 11. Schweiz

96 Klagen 26 Klagen

Die ersten Länder aus der südlichen Hemisphäre sind die Arabischen Emirate ( Platz 27 mit 8 Klagen ) bzw. Chile ( Platz 28 mit 7 Klagen ).

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1. Argentinien

2. Venezuela

3. Spanien

9. Ecuador 11. Indien

19. Indonesien

24. Südafrika

Unter diesen Umständen erstaunt es wenig, dass immer mehr Entwicklungsländer ihre ISA kündigen und neue zu ­besseren Konditionen aushandeln möchten. So haben Indien, Südafrika, Indonesien und Ecuador ihre Abkommen mit der Schweiz gekündigt. Indien hat allen Grund, sich Sorgen zu machen : Bis 2010 wurde der Subkontinent nie von einem Schiedsgericht verurteilt, seither wurden aber immer mehr Klagen eingereicht ( 22 insgesamt ), die meisten davon sind noch hängig. Noch vorsichtiger war Südafrika : Kaum war die erste – mittlerweile zurückgezogene – Klage eingetroffen, wurden alle ISA gekündigt. Gleich ist Indonesien vorgegangen, das siebenmal beklagt wurde, zwei dieser Klagen sind noch hängig.

Im Budget von Ecuador für 2017 ­machen Schadenersatz­ zahlungen und Zinsen 52 Prozent der Staats­ausgaben aus. BürgerInnen-Kommission in Ecuador Ein symbolträchtiger Fall ist jener von Ecuador. Der Andenstaat wurde 23 bekannte Male vor das Schiedsgericht gezogen, die meisten der Klagen – es ist keine aus der Schweiz darunter – sind noch hängig. Mehrheitlich stehen sie im Zusammenhang mit Enteignungen im Energiesektor, die der frühere Präsident Ra­fael Correa angeordnet hatte. Letztes Jahr musste Quito der US-Ölfirma Occidental 980 Millionen US-Dollar für den Ausstieg aus einem Vertrag entrichten. Ein anderes Schiedsgericht entschied auf eine Zahlung von 380 Millionen US-Dollar zugunsten des USEnergieriesen ConocoPhillips. 60 Klagen In Ecuador drängte die Bürger­In­ 42 Klagen nen-Kommission CAITISA in einem 36 Klagen 2 auf die Kündi668-seitigen Bericht  23 Klagen gung der ISA ; sie legte dar, dass die Ab22 Klagen kommen für Ecuador mehr Schaden 7 Klagen anrichten als nützen : Obwohl Ecuador 1 Klage zu den Ländern zählt, die in der Region am fleissigsten ISA unterzeichnete, erhielt es zwischen 2001 und 2011 von


Foto : © L uca Zanetti

Das kolumbianische Gesundheitswesen kennt viele Probleme. Teure, patentgeschützte Medikamente sind eines, die notorische Korruption ein anderes. Bild : In der Klinik von Santa Cruz del Islote, wo der Arzt aus Cartagena nur alle paar Monate vorbeischaut.

den Direktinvestitionen nur gerade 0,79 Prozent. Die bedeutendsten Investitionen kamen erst noch aus Ländern, mit denen es kein Abkommen gab : Brasilien, Mexiko und Panama. Im ecuadorianischen Budget des Jahres 2017 machen Schaden­ ersatzzahlungen und aufgelaufene Zinsen 52 Prozent ( ! ) der Staatsausgaben aus. Die Kommission befürwortet, dass auf das Investor State Dispute Settlement, die indirekte Enteignung, die « faire und gerechte Behandlung » sowie die Schirmklausel in Zukunft ganz zu verzichten sei. Das sind Forderungen, die Alliance Sud auch in Bezug auf die Schweizer ISA erhebt. Bis jetzt ohne Erfolg ; das für die Abkommen zuständige Seco hat sich darauf beschränkt, am neuen Modellabkommen vom März 2016 ein paar kosmetische Änderungen vorzunehmen. Menschenrechte und Gegenklage Cecilia Olivet vom Transnational Institute, welches die CAITISAArbeiten präsidiert hat, meint : « Unser alternatives Modell für Investitionsschutzabkommen sieht vor, dass Investoren auch rechtliche Verpflichtungen eingehen müssen und nicht nur Rechte erhalten. » Bis jetzt schützen ISAs nur die Rechte der Investoren, nicht aber die Menschenrechte von Bevölkerungen. Eine erste Bresche in diese Richtung hatte im Juli 2016 die Verurteilung von Philip Morris gegen Uruguay geschlagen, der Zigarettenhersteller mit Hauptsitz in der Schweiz verlor auf der ganzen Linie. Einen zweiten Hoffnungsschimmer gab es Ende 2016, als ein Schiedsgericht die Klage des spanischen Konzerns Urbaser zurückwies. Urbaser war in der Wasser- und Abwasserversorgung von Buenos Aires tätig und hatte nach der Argentinien-Krise 2001/2002 dort Konkurs angemeldet. Erstmals war dabei das Prinzip der Gegenklage akzeptiert worden. Argentinien gewann die Klage nur im Prinzip, also nicht etwa weil das Recht auf Wasser verletzt wurde, sondern weil das ISA zwischen Spanien und Argentinien ausdrücklich « beiden Parteien » ein Klagerecht in Streitfällen einräumt.

Genau dies ist nicht vorgesehen in den Schweizer ISAs, wo nur der Investor Kläger sein kann, nicht aber die vertragschlies­ senden Staaten.3 Die laufende Überarbeitung von Schweizer ISAs bietet Gelegenheit, dies zu ändern. Es bliebe allerdings eine bescheidene Neuerung, denn das Recht, als Erster zu klagen, bliebe dem Investor vorbehalten. Opfer, deren Rechte auf Wasser, Gesundheit oder Gewerkschaftsfreiheit verletzt werden, könnten dann aus eigenem Antrieb immer noch keine ­Klage gegen multinationale Unternehmen führen. Internationaler Schiedsgerichtshof : Eine falsche richtige Idee ? Nachdem die Kritik am ISDS beinahe das Freihandelsabkommen EU-Kanada ( CETA ) zum Absturz gebracht hatte, schlug die EU-Kommission vor, einen permanenten Schiedsgerichtshof einzurichten. Ein solches Gericht mit ständigen Richtern und der Möglichkeit, Rekurs gegen Urteile einzulegen, wäre gegenüber heute zwar ein Fortschritt. Alliance Sud und andere NGOs verfolgen diese Entwicklung aber skeptisch, weil das Prinzip einer privaten Justiz im Dienst ausländischer Multis damit nicht angetastet würde. Ähnlich sieht es Cecilia Olivet : « Die jetzige Streitschlichtung ( ISDS ) lehnen wir strikt ab. Mit einem internationalen Schiedsgerichtshof, so wie ihn Professor Gus Van Harten 4 vorschlägt, könnten wir uns aber nur dann ­anfreunden, wenn es genug Garantien in Sachen Unabhän­ gigkeit und Unparteilichkeit gäbe. Der Vorschlag der Europäischen Kommission tut das aber nicht. »

1 Diese Klageandrohung ist unbestätigt, sie wurde von « I AReporter » gemeldet. 2 http://caitisa.org/index.php/home/enlaces-de-interes 3 Vgl. Art. 10.2 im jüngsten ISA zwischen der Schweiz und Georgien. 4 https://www.cigionline.org/articles/it-time-redesign-or-terminateinvestor-state-arbitration

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Analyse: Der Nationale Kontaktpunkt zur Umsetzung der OECD-Leitsätze

Wenn Dialog an Grenzen stösst Laurent Matile

Die Wirtschaftsverbände wehren sich gegen eine zivil­

rechtliche Haftung für Unternehmen, wie sie die Konzernverantwor­ tungsinitiative zum Schutz von Mensch und Umwelt vorsieht. Umso ­lieber betonen sie die Vorzüge des Nationalen Kontaktpunkts.

Wo Menschen neben Maschinen ganz klein sind. Bild : In der zum Glencore-Kon­ zern gehörenden ­Mopani-Kupfermine in Sambia werden ­täglich rund 4000 Ton­ nen Kupfererz an die Erdoberfläche ­gefördert.

Auch die Schweiz gehört zu den Staaten, welche sich den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen verpflichtet und dafür einen Nationalen Kontaktpunkt ( NKP ) als aussergerichtlichen Beschwerdemechanismus eingerichtet haben. Die Ausgestaltung der nationalen Kontaktpunkte variiert von Land zu Land. Erste Aufgabe eines NKP ist es, für die Verbreitung der OECD-Leitsätze zu sorgen und bei deren Verletzung durch Unternehmen als Anlaufstelle für Beschwerden zu dienen. In der Schweiz werden die Aufgaben und Pflichten des NKP durch eine Verordnung des Bundesrats geregelt, die festhält, dass der NKP  »Eingaben über mögliche Verstösse von Unternehmen gegen die OECD-Leitsätze entgegennimmt und

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Foto : © M einrad Schade

zwischen den Beteiligten vermittelt ». Die « Eingaben » können von Einzelpersonen oder einer Gruppe beim NKP eingereicht werden. Zuständig ist der NKP auch für Beschwerden, die die Aktivitäten einer Schweizer Firma ausserhalb der OECD-Staaten betrifft, namentlich in Entwicklungsländern. Institutionell ist der Schweizer Kontaktpunkt beim Staatssekretariat für Wirtschaft ( Seco ) angegliedert. Unterstützt wird er seit 2013 von einem Beirat aus 14 Mitgliedern, in dem sich VertreterInnen aus der Verwaltung, der Arbeitgeber und Wirtschafts­ verbände, der Gewerkschaften und NGOs – darunter Alliance Sud – sowie der Wissenschaft treffen. Die Verfahrensanleitung präzisiert, dass der NKP eine « Plattform für Dialog/Vermitt-


lung zwischen den beteiligten Parteien anbietet, um sie so bei der Lösung des Konflikts zu unterstützen ». Springender Punkt ist, dass « die Teilnahme an diesem Dialog auf Freiwilligkeit ­beruht ». Mängel und Schwächen des NKP 1 Der NKP kann keine Verletzung der OECD-Leitsätze durch ein multinationales Unternehmen festhalten ; seine ( einzige ) Aufgabe ist es, « den Dialog zwischen den Parteien zu erleichtern und ein Diskussionsforum anzubieten ». In seiner aktuellen Form beschränkt sich der NKP also ­darauf, eine Dialogplattform zu sein für Parteien, die sich in ­einem Konflikt befinden. Die Teilnahme an diesem Dialog ist allerdings weder obligatorisch, noch hat der NKP die rechtlichen Mittel, um Streitparteien zum Dialog aufzufordern oder dazu zu verpflichten. Es handelt sich also um eine Form der freiwilligen Mediation, die ganz vom guten Willen der Unternehmen abhängig ist, sich diesem Prozess zu stellen. Es liegt in der Natur der Mediation, dass sie auf einem beiderseitigen Konsens der Streitparteien basiert, sich aussergerichtlich im Dialog zu einigen. Die wichtigsten Schwächen in Sachen Effektivität und Wirksamkeit des NKP sind : • Der Schweizer NKP wird vom Seco administriert, es fehlt ihm darum an institutioneller Unabhängigkeit. Andernorts – etwa in Norwegen – ist der NKP ver­ waltungsunabhängig und mit vier unabhängigen ­ExpertInnen besetzt. • Die hohen Anforderungen an die Vertraulichkeit ­verhindern, dass die Öffentlichkeit transparent über die Arbeit des NKP informiert wird.2 • Fehlende Mittel verhindern, dass Betroffene vor allem aus Entwicklungsländern – etwa durch Übernahme von Reisespesen und Übersetzungskosten – am Media­ tionsprozess teilnehmen können. • Der NKP kann in den « abschliessenden Erklärungen » ­keine Verletzung der OECD-Leitsätze feststellen. ­Entsprechend können keine klaren Massnahmen an­ geordnet werden, die ein Unternehmen treffen ­müsste, um den Leitsätzen in Zukunft gerecht zu werden. • Das Fehlen eines Organs, das den NKP mit Weisungs­ befugnis überwacht. Der Beirat hat dafür ein zu vages Mandat. • Das Fehlen jeglicher Sanktion für Unternehmen, die sich dem NKP verweigern oder dessen Arbeit behindern. Der NKP in Kanada kann seine Unterstützung für betroffene Firmen aussetzen oder bei der Vergabe von Exportkrediten mitreden.3 Wo sich NKP und Zugang zur zivilen Justiz ergänzen Eine Plattform für Dialog und Austausch kann das Recht auf Wiedergutmachung im Falle erlittener Menschenrechtsverletzungen nicht garantieren, so wie es der dritte Pfeiler der UnoLeitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vorsieht.

Dort heisst es, die « Staaten sollten als Teil eines umfassenden, staatlich getragenen Systems der Abhilfe bei mit Unternehmen zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen neben gerichtlichen Mechanismen wirksame und geeignete ­aussergerichtliche Beschwerdemechanismen bereitstellen » ( UNGP, 27 ). Diese Komplementarität streicht auch die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats [ CM/Rec ( 2016 ) 3 ] heraus, die in ihrem Kapitel über die zivile Verantwortung bei Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verlangt, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Mittel ergreifen müssen, um sicherzustellen, dass Verletzungen von Menschenrechten durch Unternehmen zivilrechtlich verfolgt werden können ( § 32 ). Es schlägt vor, Zivilklagen gegen Tochterfirmen von Unternehmen zuzulassen, die ihren Sitz innerhalb der Gerichtsbarkeit des Mitgliedstaates haben, auch wenn diese Töchter ihr Geschäft in Drittstaaten betreiben ( § 35 ). In diesem Bereich unterstreicht selbst der Bundesrat in seinem Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der UnoLeitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vom Dezember 2016 die Bedeutung effizienter nationaler Jurisdiktion, um Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu sanktionieren bzw. für Wiedergutmachung zu sorgen.

Der Kontaktpunkt bietet eine ­Plattform zur Vermittlung an, um bei der ­Lösung von Konflikten zu ­unterstützen. Springender Punkt ist, dass die ­Teilnahme am Dialog freiwillig ist. Der Mechanismus bei « möglichen Verstössen », wie ihn der Schweizer NKP vorsieht, beschränkt sich auf einen freiwilligen Mediationsprozess. Für den Fall, dass die OECD-Leitsätze verletzt werden, sieht er keine Sanktionsmöglichkeit vor, die eine wirksame Einklagbarkeit von Vergehen vor Gericht ersetzen würde. Nur dies böte die Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen festzustellen und diese zu einer echten Wiedergutmachung zu verpflichten, wie es die Konzernverantwortungsinitiative zum Schutz von Mensch und Umwelt vorsieht. 1 2015 hat OECD-Watch eine detaillierte vergleichende Analyse zum Funktionieren, zu den Mängeln und Schwächen der verschiedenen NKP vorgelegt. Die Untersuchung von 250 zwischen 2001 und 2015 eingebrachten Klagen hat gezeigt, das nur in einem ( !  ) Prozent der Fälle die Bedingungen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen direkt verbessert wurden und keine einzige Klage zu einer Wiedergutmachung für die erlittenen Schäden geführt hat. Siehe Remedy Remains Rare : An analysis of 15 years of NCP cases and their contribution to improve access to remedy for victims of corporate misconduct. OECD Watch, 2015. 2 Während des Mediationsprozesses bleiben die Aktivitäten des NKP ­v ertraulich. Die involvierten Parteien dürfen keine Information ­ö ffentlich machen ( N KP-Verfahrensanleitung, Punkt 3.5. ) . In Norwegen dagegen sind alle Informationen zu laufenden Prozessen zugänglich, so wie es der Norwegian Freedom of Information Act vorsieht. 3 www.international.gc.ca/trade-agreements-accords-commerciaux/ncppcn/index.aspx?lang=eng&menu_id=1&menu=R

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Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank ( A IIB )

Die neue globale Playerin u ­ nter der Lupe Korinna Horta1

« Die AIIB kann einen wesent­

lichen Beitrag zur ( … ) Förderung ­einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung in Asien leisten », be­ gründete der Bundesrat im Herbst 2015 das Engagement der Schweiz bei

1. Was ist die Rolle der nicht regionalen Mitgliedstaaten ? Die europäischen Staaten begründen ihren Beitritt damit, die Institution von Anfang an positiv beeinflussen und sich für die besten Umwelt- und Sozialstandards einsetzen zu wollen. ­Inwieweit ihnen das mittel- und langfristig gelingen wird, bleibt abzuwarten. Kurzfristig lässt sich eine Dialogbereitschaft der AIIB mit der internationalen Zivilgesellschaft feststellen, so wie es westliche Regierungen erwarteten. Die mit der AIIB-Imagepflege beauftragte internationale Public-Relations-Firma Saatchi & Saatchi wird zufrieden sein. Europäische Mitgliedschaft hat sicher dazu beigetragen, dass die drei grossen internationalen Rating-Agenturen der AIIB im Sommer 2017 das begehrte Triple-A-Kredit-Rating zugeteilt haben. Damit steht die AIIB auf der höchsten Ebene der Kreditwürdigkeit, was ihr ermöglicht, zu günstigen Konditionen Gelder auf internationalen Kapitalmärkten aufzunehmen und ihr zukünftiges Kreditvolumen zu erweitern. Das ist insofern bemerkenswert, als die Staatsfinanzen der drei grössten Mitgliedstaaten ( China, Indien und Russland ) alle kein TripleA-Rating haben. Aber wie steht es mit anderen Arten von Risiken, wie Governance und Umwelt- und Sozialauswirkungen, die die Rating-Agenturen auch mit in Betracht ziehen müssen ? Da bewegen sie sich auf dünnem Eis, denn die AIIB ist noch nicht lange genug im Geschäft, um darüber ein Bild zu liefern. Bisher hat die AIIB hauptsächlich an Ko-Finanzierungen von Projekten teilgenommen, bei denen die Standards der führenden Finanzinstitution gelten. Die AIIB-Risiken werden erst mit dem anstehenden Wachstum eines eigenständigen Portfolios zutage treten. 2. Was bedeutet das AIIB-Motto « Lean, Green & Clean » ? Die AIIB stellt sich als eine neue Art Bank für das 21. Jahrhundert dar, die mit geringem Personalaufwand ( lean ) umweltfreundliche Projekte ( green ) finanziert und keine Korruption toleriert ( clean ). Teil des Schlankseins ( lean ) besteht darin, keinen Aufsichtsrat mit ständigem Sitz zu haben. Das soll Bürokratie eindämmen, sorgt aber auch dafür, Aufsicht auf Distanz

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Foto : © E d Wray /  A P /  Keystone

der AIIB. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Die konsequente Einhaltung von Umwelt-, ­Sozial- und Menschenrechtsstandards sollte bei jedem Investitionsprojekt garantiert sein. Bild: Baustelle in Jakarta, Indonesien.


zu halten. In dem 12-köpfigen Board sitzen zwei europäische Vertreter, doch sind die Befugnisse des Boards bis heute nicht klar definiert. So ist unklar, inwieweit der AIIB-Präsident in ­Zukunft eigenständig Kredite und Politikrichtlinien bewilligen kann. Die AIIB will ihren Mitarbeiterstab klein halten und die Projektbewilligung schneller vorantreiben als andere Entwicklungsbanken. Aber gerade Investitionen in Infrastruktur führen oft zu Zwangsumsiedlungen und bergen vielfältige Umwelt- und Sozialrisiken. Wie wenige und unter « Effizienzdruck » stehende Mitarbeiter die Qualität der Projekte einschätzen und überwachen sollen, steht offen.

nicht ausbuchstabiert. Hinzu kommt, dass das ESF durch die Standards der Kunden ersetzt werden kann – also durch die oft sehr schwachen Umwelt- und Sozialstandards der Länder, die einen Kredit haben möchten.

3. Wie kam es zur Gründung der AIIB ? Mit einem Eingangskapital von 100 Milliarden US-Dollar ist die im Januar 2016 auf chinesische Initiative hin gestartete Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank AIIB finanziell eindeutig schwächer als Chinas eigene Finanzinstitutionen. Die ExportImport Bank China etwa vergibt jährlich ein Vielfaches davon an Krediten. Wichtiger ist denn auch der symbolische und geostrategische Wert der AIIB, denn Peking steht damit zum ersten Mal an der Spitze einer multilateralen Finanzinstitution. China kann nun einen Multilateralismus vorantreiben, bei dem Peking die Spielregeln definiert. Die unzureichende Repräsentation Chinas in den von den westlichen Staaten dominierten Bretton-Woods-Institutionen ( Internationaler Währungsfonds und Weltbank ) sowie von Japan in der Asiatischen Entwicklungsbank mögen Peking zur Gründung der AIIB veranlasst haben. Ebenso wahrscheinlich ist, dass Peking eine eigene Entwicklungsbank als zielführender für seine Einflussnahme erachtet als einen unilateralen Ansatz, der auf rein wirtschaftlicher Macht beruht. Die Gründung der AIIB war ein diplomatischer Sieg Pekings. Die USA unter Präsident Obama hatten die europäischen Staaten und Japan gedrängt, der AIIB nicht beizutreten. Aber gerade der engste US-Partner, das Vereinigte Königreich, war der erste europäische Staat, der im März 2015 der AIIB beitrat. Kurz darauf folgten Deutschland, die Schweiz und andere europäische Staaten. Eine einheitliche Position der G-7-Staaten war damit zerschlagen. Mittlerweile hat die AIIB 56 Mitgliedstaaten, und weitere Staaten haben ihre Mitgliedschaft be­ antragt.

Zwei zentrale Pfeiler, die zu Klimastrategie und Umweltpolitik gehören müssen, fehlen bisher : Richtlinien für den öffentlichen Zugang zu Projektinformation und für einen Beschwerdemechanismus. Beides sei in Vorbereitung, heisst es. Gerade öffentlicher Zugang zu Information, Rede- und Versammlungsfreiheit sind politisch empfindliche Bereiche in China und vielen Kreditnehmerländern, wo die Aktivitäten von NGOs oft unterdrückt und kriminalisiert werden. Die AIIB kann nicht als separat von Chinas wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen verstanden werden. Eine enge Begleitung ihrer Aktivitäten seitens der Mitgliedstaaten und der Zivilgesellschaft ist notwendig.

4. Wie sind Klima- und allgemeine Umweltschutzstandards der AIIB zu bewerten ? Im Juni 2017 veröffentlichte die AIIB ihre Klimastrategie. Sie bezieht sich auf das Pariser Abkommen, die Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und die Uno-Initiative Sustainable Engery for All. So begrüssenswert dies und der zumindest vorläufige Ausschluss von Atomenergie ist, so problematisch ist, dass die Finanzierung von Öl- und Kohleprojekten sowie von grossen Staudämmen nicht ausgeschlossen wird. Die AIIB betont dabei, dass sie sich nach den Bedürfnissen ihrer Kreditnehmer richten werde. Die AIIB-Umwelt- und Sozialstandards sind im Rahmenwerk Environmental & Social Framework ( ESF ) festgehalten. Das ESF ist flexibel und enthält bedeutende Schlupflöcher. So sollen Kreditnehmer die Auflagen der Bank « auf eine Art und in einem Zeitrahmen, der von der Bank als akzeptabel angesehen wird » erfüllen. Was für die Bank akzeptabel ist, wird dabei

Richtlinien für den öffentlichen Zugang zu Projektinformation und einen ­Beschwerdemechanismus fehlen bisher bei der AIIB.

1 Autorin Korinna Horta betreut das Dossier Internationale ­F inanzinstitutionen bei der deutschen NGO urgewald e.V.

Die Schweiz und die AIIB mh. Die Schweiz bildet in der Asiatischen Infra­ struktur-Investitionsbank AIIB zusammen mit dem Vereinigten Königreich, Polen, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island eine Stimmrechtsgruppe und stellt deren Vize-Direktorin. Ihre bisherigen Beiträge an die Bank finanzierte sie aus dem Budget für die Entwicklungszusammenarbeit. Dieser fragwürdige Einsatz von Entwicklungsgeldern sorgte im Schweizer Parlament für heisse Köpfe. Verschiedene Parlamentsmitglieder monierten, der Beitritt zur AIIB nütze nur den aussenwirtschaftlichen Beziehungen mit China. Der Bundesrat konterte, die AIIB werde zur nachhaltigen Entwicklung in Asien beitragen, « wo die grösste Zahl der Armen und sehr Armen der Welt leben ». Ausserdem sei sie eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden multilateralen Entwicklungsbanken. Bisher sieht es nicht so aus, als würden sich diese Behauptungen bewahrheiten. Der Grossteil der bislang genehmigten Unterstützungsleistungen der AIIB ging an Projekte in Ägypten oder im Oman. Asiatische Länder mit hoher Armut spielen im Portfolio der Bank eine marginale Rolle. Ausserdem arbeitet die AIIB hier Hand in Hand mit der ­Weltbank-Gruppe, also gerade nicht in Ergänzung zu anderen Banken.

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Weiterbildungsangebot in Entwicklung und Zusammenarbeit Herbstsemester 2017

Planung und Monitoring von Projekten

18.09. - 22.09.

Urbanization Challenges in the 21st Century - The Role 03.10. - 06.10. of Development & Cooperation Evaluation von Projekten

10.10. - 13.10.

Tools and Techniques for Community Participation

30.10. - 03.11.

Policy Making: Institutions and Processes

06.11. - 10.11.

Wirkungsanalysen: Methoden und Anwendungen

21.11. - 24.11.

Oil, Gas, Minerals: Fueling Development or Undermining the Future?

27.11. - 01.12.

Auskunft Ăźber Zulassung und Anmeldung: www.nadel.ethz.ch


Öffentliches Beschaffungswesen

Öffentliche Hand soll nachhaltig e ­ inkaufen ! Sara Frey  Jährlich

kaufen Bund, Kantone und

Gemeinden Güter und Dienstleistungen

für ­geschätzte 40 Milliarden Franken ein. Das Beschaffungsrecht regelt, nach welchen

­Kriterien dies geschieht. Dessen Totalrevision bietet die grosse Chance, dieses Geld in ­Zukunft nachhaltiger einzusetzen.

Diese rund 40 Milliarden Franken entsprechen laut Bundesamt für Umwelt ( BAFU ) 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts ( BIP )1, ein für die Schweizer Volkswirtschaft bedeutendes Volumen. Es versteht sich von selbst, dass die öffentliche Hand als Einkäuferin eine Vorbildfunktion in Sachen Nachhaltigkeit übernehmen sollte. Als wichtige Grosskonsumentin nimmt sie Einfluss auf die Produktionsbedingungen von Unternehmen und somit auf die Umwelt und die Arbeitsbedingungen vieler Menschen. Nach welchen Kriterien die öffentliche Hand konsumiert, regelt das Beschaffungsrecht. Die von der Schweiz unterschriebene Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Uno enthält unter dem Ziel zu nachhaltiger Produktion und nachhaltigem Konsum ein explizites Unterziel ( 12.7 ) zur Beschaffung. Dieses besagt : « In der öffentlichen Beschaffung nachhaltige Verfahren fördern, im Einklang mit den nationalen Politiken und Prioritäten. » Und in der « Strategie nachhaltige Entwicklung » der Schweiz ist verankert : « Der Bund berücksichtigt bei seinen öffentlichen Beschaffungen Güter ( Produkte, Dienstleistungen, Bauwerke ), die über ihren gesamten Lebensweg hohen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Anforderungen genügen. Er nimmt bei seinem Konsumverhalten eine Vorbildfunktion ein. »

einzubeziehen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, der in der Beratung des Parlaments ( frühestens in der Wintersession 2017 ) nicht verwässert werden darf und mit verbindlicheren ­Anforderungen ausgebaut werden sollte. Fair produziert einkaufen! Im Vorschlag des Bundesrats sind die acht Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ( International Labour Orga­ nization ILO ) verankert, die schon in der bisherigen Vergabepraxis integriert waren. Sie verbieten unter anderem die Kinderarbeit, die Zwangsarbeit und die Diskriminierung in ­Beschäftigung und Beruf und verlangen die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen. Um menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu garantieren, reichen diese aber nicht aus. Die « NGO-Koalition öffent­ liche Beschaffung » ( ein Zusammenschluss von Brot für alle, Fastenopfer, Helvetas, der Max-Havelaar-Stiftung Schweiz, ­Public Eye, Solidar Suisse und Swiss Fair Trade ) verlangt die Berücksichtigung des Rechts auf menschenwürdige und sichere Arbeitsbedingungen, des Rechts auf geregelte, nicht exzessive Arbeitszeit, des Rechts auf eine formelle Arbeitsbeziehung und des Rechts auf einen existenzsichernden Lohn. Vielen Beschaffungsstellen auf Ebene Bund, Kantone und Gemeinden setzt das geltende Gesetz zum sozial nachhaltig Einkaufen heute noch sehr enge Grenzen, obwohl sie gerne nachhaltiger einkaufen würden. Nun da die Totalrevision des Beschaffungsrechts ansteht, sollten die Nachhaltigkeitsverpflichtungen entschlossen auf eine gesetzlich solide Grund­ lage gestellt werden. Was Soldaten der Schweizer Armee als Unterwäsche unter dem Kampfanzug tragen, kommt aus Indien, Bulgarien und Ungarn. Bild : Kaserne Isone TI

Foto : © C hristian Beutler /  Keystone

Ökologisch einkaufen! Die oft geäusserte Annahme, dass nachhaltiges Einkaufen per se teurer sei, trifft längst nicht immer zu. Eine von der Organisation Pusch ( Praktischer Umweltschutz ) in Auftrag gegebene Studie2 zeigt, dass sich in verschiedenen Bereichen eine klimaschonen­ dere Beschaffung auch ökonomisch lohnen würde, zum Beispiel in den Bereichen Nahrungsmittel, Beleuchtung oder Fahrzeuge. Wie die EU-Regulierung von 2014 ermöglicht auch die vom Bundesrat im Februar 2017 vorgelegte Totalrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen ( BöB ) das Denken in Lebens­ zyklen oder die Möglichkeit, externe Umweltkosten

1 Im OECD-Durchschnitt liegt dieser Wert mit 12,1 % (2013) sogar noch markant höher. 2 Myriam Steinemann et al., «Potenzial einer ökologischen öffentlichen Beschaffung in der Schweiz», Bern 2016.

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Lesezeichen

Iran : Schritt ins Licht sd. Der moderne Iran als Schlüsselakteur im Mittleren Osten ist nicht bloss geografische Mitte, sondern auch kultureller Vermittler zwischen Ost und West. In « Der neue Iran : Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten » porträtiert die reisende Journalistin Charlotte Wiedemann ­einen Iran abseits der Politik mit seiner Religion, seinem Alltag und seiner Gesellschaft. Sie setzt dabei unterschiedliche Schwerpunkte, die sich um den roten Faden von Säkularisierung und Modernisierung spinnen. Der historische Blick zurück beginnt mit den Entwicklungen seit der Revolution 1979, politische Irrungen und Wirrungen werden dabei auf ein Minimum reduziert. Die Kunst und Kultur als Motor zur Öffnung der Gesellschaft, die Religion als Teil des Geschichtsverständnisses, der Kampf um die Freiheit und die eigenen Bürgerrechte und die herrschende Kluft zwischen Arm und Reich gliedern die Lektüre in Themengebiete. Der iranische Volksislam, ein pragmatischer, weiblicher und wenig fundamentalistischer Islam, fördert die Öffnung der Gesellschaft. Besonders betont wird dabei die Rolle der Frau ( en ). Durch den hohen Bildungsgrad und die wachsenden Ansprüche der Frauen bei der Mitgestaltung des öffentlichen Raumes nimmt ihr Einfluss auf die Gesellschaft stetig zu. Ebenso prägend für die iranische Mentalität sind der ausgeprägte ­Nationalstolz und das innere Streben nach Anerkennung, so die Autorin ; aber auch die historisch gewachsenen imperialistischen Tendenzen, gepaart mit Angst und Misstrauen vor dem Westen – ein Erbe der Erfahrungen während der Kolonialzeit. Mit ihrem Verständnis für die unge­ brochene Sehnsucht nach Teilhabe an der Welt lässt Wiedemann ihre LeserInnen an eine nicht aufzuhaltende Säkularisierung des Iran glauben. Das Buch ist mit Farbfotografien illustriert. Der neue Iran : Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten / Charlotte Wiedemann. München : dtv, 2017. 287 S. Ausleihbar bei Alliance Sud InfoDoc unter der Signatur : AS/ir/11

Zeitschriften-Lese ( n ) Tourismus und Migration

Was geschieht, wenn sich touristische Reisewege mit Migra­ tionsrouten kreuzen ? Die Sommer-Ausgabe der Zeitschrift « iz3w – Informationszentrum 3. Welt » geht zwei Themen nach, die selten zusammen genannt werden, doch in der Realität zahlreiche Berührungspunkte aufweisen. Die Beiträge befassen sich unter anderem mit der Gastfreundschaft, der Bedeutung der Bewegungsfreiheit und dem Freiwilligentourismus in Camps für ­Geflüchtete.

www.iz3w.org

Minderheiten – aktiv, kreativ, provokativ

Die 300. Ausgabe von « bedrohte Völker – pogrom » widmet sich der Frage, wie sich Minderheiten Gehör verschaffen. Vom Radiosender Arta FM, der in der autonomen Kurdenregion Rojava in Nordsyrien die Bevölkerung mit unabhängigen Nachrichten versorgt, über die Protestmärsche von Native Americans, die gegen die Umweltverschmutzung und die Verletzung ihrer indigenen Rechte in den USA kämpfen, bis zum langen Weg zur Anerkennung der Amazigh ( Berber ) in Marokko. www.gfbv.de

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Karussell — Neuer Direktor des HEKS wird Peter Merz, bisher Bereichsleiter Ausland. Neu in der Humanitären Hilfe arbeiten als Delegierte Mark Muland und Ahmed Hussein sowie Sebastian Zug als Programmbeauftragter. — Die bisherige Geschäftsleiterin von Solidar Suisse, Esther Maurer, wechselt als Vizedirektorin im Asylbereich ins Staatssekretariat für Migration ( SEM ). Zu zweien übernehmen Barbara Burri ( bisher verantwortlich für strategische Projekte und Qualitätsmanagement ) und Felix Gnehm ( bisher Leiter der Abteilung Internationale Programme ) ab 1. Dezember die Geschäftsleitung. — Urs Walter, verantwortlich für die Medienarbeit Deutschschweiz bei Brot für alle, ist pensioniert worden. Sein Nachfolger ist Lorenz Kummer, zuvor bei Swissaid für Medienarbeit und das Dossier Rohstoffe zuständig. Bfa verlassen hat Sylvia Garatti, sie war zuständig für das Fundraising Major Donors. — Neu bei Caritas sind Shinan Kassam, Programme Manager Tadschikistan, sowie Joan Mamique, Delegierter Haiti. Paul Rüegg, der Leiter der Abteilung Katastrophenhilfe, Romea Brügger, Delegierte Jordanien, Patrick Koop, Verantwortlicher Israel/Palästina und Kim Müller, Projektleiter Wasser, haben Caritas verlassen. — Jürg Merz, bisher für Helvetas als Programmberater in Nepal tätig, ist neuer Landesdirektor in Mosambik. Von der Uno stösst Craig Hatcher als Berater zum Gouvernanz-Team. Madeleine ­Colbert, zuletzt Beraterin für Wissensmanagement, wird ersetzt durch Franz Thiel, der zuletzt beim UNITAR gearbeitet hat. Elsbeth Horbaty, Beraterin in Pakistan, hat sich selbstständig gemacht. — Fastenopfer verlassen haben Caterina Castelli, Geschäftsleitungsmitglied und Leiterin Bereich Dienste, sowie Thomas Schubiger, Fachverantwortlicher Stakeholdermanagement. — Beim SRK hat Sabine Zeilinger die Leitung der Kommunikation von Beat Wagner übernommen. — François Meienberg ( Fachbereich Landwirtschaft, Biodiver­ sität, Patente ) und Andrea Hüsser ( Fachbereich Konsum ) haben ­ ublic Eye verlassen. Neu dabei ist Roman Bolliger im Fundraising P und Marketing, er ersetzt Susanne Rudolf. — Bei Biovision ist neu Simon Gottwalt für die Entwicklungsprojekte im Bereich Gesundheit der Menschen und Tiere zuständig. Er ersetzt Mirjam Moser. Im Projektbereich ist für Samuel ­Ledermann neu Stefan Diener an Bord. — Bei Alliance Sud folgen im Sekretariat Bern Matthias Wüthrich auf Andrea Rotzetter, in Lausanne Mireille Clavien auf Katia Vivas sowie bei InfoDoc Bern Simone Decorvet auf Emanuela ­Tognola. — Ruth Huber, Missionschefin in Harare, wurde zur neuen Deza-Vizedirektorin und Chefin des Bereichs Ostzusammenarbeit ernannt, sie ersetzt dort Elisabeth von Capeller, die Botschafterin in Nepal wird. Thomas Gass wechselt von der Uno in New York als D ­ eza-Vizedirektor nach Bern und leitet neu den Bereich Südzusammenarbeit. Neue stv. Leiterin der Abteilung Globalprogramme ist Tatjana von Steiger, auch sie arbeitete zuvor bei der Uno-Mission in New York. Hans-Peter Wüthrich wechselt als Finanzbeauftragter von der Süd- in die Globale Zusammenarbeit und löst dort D ­ aniel Bongard ab, der zur Direktion für Ressourcen geht.

Monbijoustrasse 29/31, 3011 Bern Öffnungszeiten : 13.30 – 17.30 h ( Mo – Fr ) dokumentation@alliancesud.ch, www.alliancesud.ch/dokumentation


Das EDA unter neuer Leitung

Herausforderung Weltinnenpolitik Mark Herkenrath  Schweizer

Aussenpolitik sei primär Europapolitik,

suggerieren viele Medien. Dabei ist der neue Aussenminister

Ignazio Cassis auch zuständig für die Entwicklungspolitik. Es warten grosse Herausforderungen.

Entwicklung ist nicht gratis Der neue Aussenminister wird kaum Zeit haben, eigene Vorstellungen über die Rolle der Schweiz in einer instabilen Welt zu entwickeln. Er wird sich sogleich vehement für das Budget seines Ministeriums einsetzen müssen. Jene Kräfte im Parlament und der Regierung, die sich als finanzpolitische Hardliner gefallen, wollen zwar mehr für die Landesverteidigung oder die Landwirtschaft ausgeben, bei der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz aber soll weiterhin anhaltend und drastisch gespart werden. Nimmt Cassis den verfassungsmässigen Auftrag der in­ ternationalen Zusammenarbeit – die Linderung von Armut und Not ( Art. 54 BV ) – ernst, so wird er sich vom ersten Tag an gegen den politischen Anspruch wehren müssen, dass die ­Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz auch gleich den ­internationalen Klimaschutz finanzieren, die wirtschaftsdip­ lomatischen Beziehungen mit China fördern und die globale Flüchtlingskrise stoppen soll. Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung Genauso wichtig ist, dass sich der neue Aussenminister für eine kohärente Schweizer Politik im Sinne der nachhaltigen Entwicklung stark macht. Das hat sein Vorgänger Didier Burkhalter nur bedingt begriffen. Tatsache ist, dass die Entwicklung ärmerer Länder massiv erschwert wird, wenn international ­tätige Unternehmen dort Menschenrechte verletzen, die Umwelt schädigen und ihre Gewinne schliesslich in Tiefsteuer­ paradiese wie die Schweiz verlagern. Auch ungerechte Handels- und Investitionsschutzabkommen, die wirtschaftliche Interessen höher gewichten als die Menschenrechte, den Umwelt- und den Klimaschutz, schaden der nachhaltigen Entwicklung – sowohl im globalen Süden als auch im Norden. Eigentlich müsste Cassis dafür kämpfen, dass im Gesamtbundesrat zukünftig jedes Politikfeld der Schweiz – gerade auch die Finanzplatz- und die Aussenwirtschaftspolitik, die ihm wohl näherliegen – auf ihre Auswirkungen auf die globale nachhaltige Entwicklung geprüft wird. Das verlangt die vor zwei Jahren verabschiedete Uno-Agenda 2030 mit ihren 17 Zie-

Foto : © FAIRMED

Im Vorfeld der Ersatzwahl wurde in den Medien über ( fast ) alles gesprochen und geschrieben, nur nicht über die zukünftige Ausrichtung der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Wenig ist bekannt darüber, wie Ignazio Cassis zur Entwicklungszusammenarbeit steht. Einen offenen Brief mit Fragen von Alliance Sud liess der FDP-Politiker aus dem Tessin unbeantwortet. Dabei steht die Verankerung der Schweiz in der Welt vor entscheidenden Weichenstellungen.

Augenschein vor Ort : Vor drei Jahren begleitete Ignazio Cassis die Entwicklungsorganisation FAIRMED nach Kamerun. Bis zu seiner Wahl in den Bundesrat wirkte Cassis als FAIRMED-Stiftungsrat.

len für die nachhaltige Entwicklung ( Sustainable Development Goals SDG ), welche die Schweizer Diplomatie in der Vorbe­ reitung stark mitgeprägt hat. Mitte nächstes Jahr wird die Schweiz vor der Uno über ihre Fortschritte bei der Umsetzung dieser Agenda berichten müssen. Bisher sind die eidgenössischen Fortschritte sehr überblickbar geblieben. Das kann und muss Cassis ändern. Privatsektoreinbindung mit Vorsicht Vorsicht ist indes dort geboten, wo die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung öffentlich-private Partnerschaften bewirbt. Joint Ventures zwischen staatlichen Stellen und privatwirtschaftlichen Grossunternehmen können dort, wo keine Privatisierung von öffentlichen Gütern wie Bildung, Gesundheit oder Wasserversorgung droht, Sinn machen. Sie sind aber kein Ersatz für eine Entwicklungszusammenarbeit, die keinen Profit abwerfen muss und oft auf die politische Stärkung unterprivilegierter Bevölkerungsteile abzielt. Ob die auch international zu beobachtende Tendenz, staatliche Entwicklungsgelder zu missbrauchen, um die Risiken privater Investoren abzusichern, für bessere Entwicklung sorgt, sollte bezweifelt werden. Denn sie birgt Gefahren, die noch zu wenig erforscht sind und darum nach klaren Richtlinien verlangt. Al lavoro, ­Signor Cassis !

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Foto : © G oran Basic

Von Alliance Sud ins Bild gesetzt. Das Bild zeigt junge protestierende Burkinabè am Rond point des Nations Unies im Zentrum von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Im Januar 2014 gingen Zehntausende Jugendliche und Studenten auf die Strasse, an der ersten grossen Demonstration überhaupt gegen den Präsidenten Blaise Compaoré. Dieser war 1987 durch einen Militärputsch gegen den Revolutionsführer Thomas Sankara an die Macht gekommen und unternahm alles, um nach 27 Jahren im Amt weiterhin an der Macht zu bleiben. Weitere grosse Demonstrationen führten später zur sogenannten « zweiten burkinabesischen Revolution », die den lang­ jährigen Machthaber ins Exil zwang.

Zahlen und Fakten zu Schäden und Verlusten durch Naturkatastrophen Quellen : Weltbank, MunichRe

Goran Basic, geboren 1983, arbeitet seit 2014 als Presse­ fotograf bei der « NZZ ». Nach seiner Ausbildung zum Polygrafen hat er in Zürich und Marseille Fotografie und Kunst studiert und als freischaffender Fotograf ge­ arbeitet. Er interessiert sich unter anderem für gesell­ schaftspolitische und kulturelle Entwicklungen – insbesondere auf dem Balkan und in Afrika. www.goranbasic.ch

26 Millionen

520 Mrd. US-$

3 Prozent

Menschen werden jährlich durch Natur­ ereignisse in extreme Armut gestossen.

betragen die geschätzten jährlichen Schäden und Verluste durch Naturereignisse.

der Katastrophenschäden in armen Ländern waren in den letzten 36 Jahren durch Versicherungen gedeckt.

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