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UNO-AGENDA 2030
Keine Entwicklung ohne Kampf gegen die Ungleichheit
Das Magazin von
Swissaid Fastenopfer Brot für alle Helvetas Caritas Heks
AUFTAKT
Grosser Auftritt, kleine Schweiz... Am 17. Juli hat die Schweiz ihren grossen Auftritt: Am UNO-Hauptsitz in New York, wo vor drei Jahren die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet worden ist, berichtet sie über ihre Fortschritte bei der Umsetzung. Die internationale Staatengemeinschaft wartet gespannt auf den Bericht, denn die Schweiz hatte sich bei den Verhandlungen zur Agenda 2030 als starke Verfechterin einer globalen nachhaltigen Entwicklung hervorgetan. Seit dem Verhandlungsabschluss hat sie die anderen Staaten immer wieder mit Nachdruck aufgefordert, umfassende und selbstkritische Rechenschaft über die Umsetzung abzulegen.
steht fest, dass vor dem Redaktionsschluss dieses Editorials (am 15. Juni) damit nicht mehr zu rechnen ist.
Zuletzt ist die Schweiz bei den Vereinten Nationen aber in ein schiefes Licht geraten. Grund dafür ist Bundesrat Cassis’ im Alleingang geäusserte Kritik an der UNO-Nahostpolitik. Umso mehr interessiert in New York nun, wie sich die Schweiz unter ihrem neuen Aussenund Entwicklungsminister zur globalen nachhaltigen Entwicklung positioniert.
Erhofft und geplant war ein Bericht, in dem sich die Schweiz selbstkritisch mit ihrem Nachholbedarf in Sachen nachhaltige Entwicklung auseinandersetzt. Um Lücken bei der Umsetzung der Agenda 2030 zu identifizieren, führte die Bundesverwaltung eine breit angelegte Konsultation der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft durch. Die Analysen und Empfehlungen einer hochrangigen Begleitgruppe dürften beim Bundesrat inzwischen auf dem Altpapier gelandet sein.
Auf grosses Interesse wird sicher auch der Bericht der Schweizer NGOs stossen, der am 3. Juli unter dem Titel «Wie nachhaltig ist die Schweiz?» veröffentlicht wird. Die breit abgestützte zivilgesellschaftliche Plattform zur Agenda 2030 wird darin ihre eigene kritische Einschätzung abgeben, wo die Schweiz bei der Umsetzung dieses wichtigen Zukunftsprojekts steht. Den offiziellen Schweizer Fortschrittsbericht zur Agenda 2030 wollte der Bundesrat eigentlich schon Anfang Juni verabschieden. Die verzögerte Veröffentlichung lässt auf grundsätzliche Uneinigkeit zwischen den zuständigen Departementen schliessen, was die Schweiz denn überhaupt berichten soll. Inzwischen
Gemunkelt wird, der offizielle Schweizer Bericht werde nur wenige Seiten umfassen und im Stil einer Hochglanzbroschüre alle Lücken und Herausforderungen bei der Umsetzung der Agenda 2030 ausklammern. Das würde für einen peinlichen Auftritt vor der UNO sorgen und Staaten als schlechtes Beispiel dienen, die es mit dem Kampf gegen Armut, Ungleichheit, Ausgrenzung und Umweltschäden noch weniger ernst nehmen als die Schweiz.
Die Lektüre unseres neu gestalteten Magazins «global» wird also vermutlich deutlich spannender als der Bundesratsbericht zur globalen Nachhaltigkeit. Wie bisher setzen wir uns darin für eine Schweiz ein, die sich für eine gerechte Welt stark macht. In diesem Sinne: Viel Anregung und Spass beim Lesen!
Mark Herkenrath Geschäftsleiter Alliance Sud
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INHALT
IMPRESSUM global – Politik für eine gerechte Welt erscheint viermal jährlich. Die nächste Ausgabe von «global» erscheint Anfang Oktober 2018. Herausgeberin: Alliance Sud Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas, Heks
RUEDI WIDMER
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INS BILD GESETZT
«Zeichen der Ungleichheit» von Rodrigo Abd 6 AGENDA 2030
«In der politischen Debatte über die Ungleichheit steckt viel Brisanz» 8 AGENDA 2030
Nachhaltigkeit im Zentrum der Macht? 13 UNTERNEHMEN UND MENSCHENRECHTE
Manchmal bewegt sie sich doch, die Schweiz! 14 STEUERN UND FINANZEN
Die Flüsse umleiten 18 HANDEL UND INVESTITIONEN
Geben und Nehmen in Kuba 21 KARUSSELL
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Monbijoustrasse 31, Postfach, 3001 Bern T +41 31 390 93 30 F +41 31 390 93 31 global@alliancesud.ch www.alliancesud.ch Social Media: facebook.com /alliancesud twitter.com /AllianceSud Redaktion: Daniel Hitzig (dh), Kathrin Spichiger (ks) T +41 31 390 93 34 /30 Bildredaktion: Nicole Aeby Grafik: Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik, Zürich Druck: s+z: gutzumdruck, Brig Auflage: 2 100 Einzelpreis: Fr. 7.50, Jahresabo: Fr. 30.—, Studierende: Fr. 20.— Förderabo: mind. Fr. 50.— Tarife Inserate /Beilagen: siehe Webseite Bild Titelseite: Benachteiligte Jugendliche, die in der IT-Branche in Nairobi (Kenia) Arbeit gefunden haben. Ausgebildet wurden sie von der in Kalifornien (USA) beheimateten NGO Samasource. Foto: Sven Torfinn/Panos.
SIE SIND ALLIANCE SUD Präsidium Bernard DuPasquier, Geschäftsleiter Brot für alle Geschäftsstelle Mark Herkenrath (Geschäftsleiter), Kathrin Spichiger (Mitglied der GL) Monbijoustr. 31, Postfach, 3001 Bern T +41 31 390 93 30 F +41 31 390 93 31 mail@alliancesud.ch Regionalstelle Lausanne Isolda Agazzi, Laurent Matile, Mireille Clavien T +41 21 612 00 95 F +41 21 612 00 99 lausanne@alliancesud.ch Regionalstelle Lugano Lavinia Sommaruga (Mitglied der GL), T +41 91 967 33 66 F +41 91 966 02 46 lugano@alliancesud.ch
INFODOC
Bibliotheken als Motoren des Wandels 26
POLITIK Agenda 2030 Sara Frey T +41 76 388 93 31 sara.frey@alliancesud.ch Entwicklungszusammenarbeit Eva Schmassmann T +41 31 390 93 40 eva.schmassmann@alliancesud.ch Steuer- und Finanzpolitik Dominik Gross T +41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch Klima und Umwelt Jürg Staudenmann T +41 31 390 93 32 juerg.staudenmann@alliancesud.ch Handel und Investitionen Isolda Agazzi (Mitglied der GL), T +41 21 612 00 95 isolda.agazzi@alliancesud.ch Unternehmen und Menschenrechte Laurent Matile T +41 21 612 00 98 laurent.matile@alliancesud.ch Medien und Kommunikation Daniel Hitzig T +41 31 390 93 34 daniel.hitzig@alliancesud.ch INFODOC Bern Dagmar Aközel, Simone Decorvet (Urlaub), Joëlle Valterio, Emanuel Zeiter T +41 31 390 93 37 doc@alliancesud.ch Lausanne Pierre Flatt (Mitglied der GL), Nicolas Bugnon, Amélie Vallotton Preisig T +41 21 612 00 86 doc@alliancesud.ch
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Über die Ziellinie gehumpelt Der Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens droht die Totalblockade. Im Dezember 2018 soll im polnischen Kattowitz bei der COP-24 das Regelwerk des historischen Vertrags verabschiedet werden. Doch die Zwischenverhandlungen in Bonn «humpelten weitgehend ergebnislos über die Ziellinie», tönte es aus der Zivilgesellschaft. Das konkreteste Ergebnis blieb die Einigung auf eine weitere Vorverhandlungsrunde in Bangkok. Grund für den Fast-Stillstand ist das zusehends erodierende gegenseitige Vertrauen zwischen armen und reichen Ländern: Die Schweiz und andere westliche Staaten beharren auf universal anwendbaren Regeln zur Emissionsminderung, die Entwicklungsländer wollen endlich konkrete Zusagen bei der Klimafinanzierung. Doch mit jeder Verhandlungsrunde versuchen sich die wohlhabenden Staaten «kreativer» aus ihrer 100-Milliarden-Dollar-Verpflichtung heraus zu argumentieren. Den ärmsten, von der galoppierenden Klimaveränderung zunehmend akuter
Marcel Hänggi in seinem neuen Buch mit dem prägnanten Titel «Null Öl. Null Gas. Null Kohle.»: Damit die globale Erhitzung gestoppt werden kann, müssen fossile Energieträger im Boden bleiben. Hänggi verlässt die Position des Distanz wahrenden Journalisten und bereitet mit einem Team eine (noch unbetitelte) Volks initiative zur Klimapolitik vor. Das Buch enthält einen Entwurf des Initiativtexts, der letztlich nichts anderes verlangt als die Umsetzung des Pariser Abkommens, zu dem sich die Schweiz völkerrechtlich verbindlich verpflichtet hat. Neben den unangenehmen Fakten listet das Buch die gangbaren Alternativen auf. Und es macht Mut, den für die Zukunft des Planeten Erde aussichtsreicheren Weg zu gehen. Auch mit historischen Beispielen: Was wäre herausgekommen, wenn die Sklaverei nicht abgeschafft, sondern mit den Mitteln der heutigen Klimapolitik behandelt worden wäre? CL
erzählen sind, dass die Botschaft auch verstanden wird, fehlt es nicht. Zwei Websites aus dem angelsächsischen Raum zeigen, dass die Diskussion um das richtige Narrativ dort schon weiter gediehen ist als bei uns. Das Leap manifesto skizziert, was es braucht, damit Kanada ein nachhaltiges Land wird, es animiert die Menschen, aktiv zu werden, Gruppen und Arbeitskreise zu bilden, sich gemeinsam für die grosse Transformation zu engagieren. Websites wie Beautiful solutions (UK) – «wir sammeln die besten und ansteckendsten Strategien,
um eine gerechte, demokratische und unverwüstliche Welt zu schaffen» – sind Fundgruben und Inspirationsquellen weit über ihre Herkunftsländer hinaus. Die Funken sind da, wie lange brauchen sie, um zu springen? DH www.leapmanifesto.org www.solutions.thischangeseverything.org
Null Öl. Null Gas. Null Kohle. Wie Klimapolitik funktioniert. Ein Vorschlag. Rotpunktverlag, Zürich 2018. 223 Seiten. ca. 22 Franken
betroffenen Ländern des Südens droht der Geduldsfaden zu reissen. Wieso sollen sie sich zu einem aufwändigen und teuren EmissionsreduktionsKurs verpflichten lassen, wenn reiche Länder – wie die Schweiz bei der Revision ihres CO2-Gesetzes – ihre Schadstoffreduktion nicht entschlossen an die Hand nehmen? JS
Null Öl. Null Gas. Null Kohle. «Der Kern der Lösung des Klimaproblems ist einfach, aber nicht leicht», schreibt der Wissenschaftsjournalist
Die Agenda 2030 bekannt machen Bald drei Jahre nach ihrer Lancierung sind die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Weltbevölkerung noch kaum ein Begriff. Die schön gestalteten Icons der Global Goals (S.13) in allen erdenklichen Sprachen reichen dafür nicht aus. Die Agenda 2030 ist bis jetzt für breite Bevölkerungskreise – nicht nur in der Schweiz – noch eine abstrakt-technokratische Agenda für Fachleute geblieben. Allerdings brauchten auch die der Agenda 2030 voraus gegangenen UNO-Millenniumsziele etliche Jahre, bis sie im Bewusstsein der Menschen ankamen. Und: An vielversprechenden Beispielen, wie die Agenda 2030 und ihre Ziele so zu
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Fotos: ZVG
AUF DEN PUNKT
RUEDI WIDMER
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INS BILD GESETZT
Der Fotograf Rodrigo Abd (42) begann seine Karriere als Pressefotograf in seiner Heimatstadt Buenos Aires, Argentinien. Ab 2003 war er für die Agentur Associated Press (AP) in Guatemala stationiert, von wo aus er die politische Aktualität, aber auch Naturkatastrophen in Mittel- und Lateinamerika sowie in der Karibik begleitete. Er arbeitete aber auch in Afghanistan, Libyen und Syrien. Für seine Berichterstattung aus Syrien gewann er 2013 den Pulitzer-Preis für Breaking News Photography. Die hier vorgestellte Arbeit von 2017 trägt den Titel «Zeichen der Ungleichheit». Sie ist in Peru ent standen, wo Rodrigo Abd zurzeit lebt. Der Rechts professor Wilfredo Ardito, der an der Päpstlichen Katholischen Universität in Lima zu Rassismus forscht, schreibt dazu: «Werbung in Peru zeigt eine ideale Welt des Glücks, in der die Menschen meist weiss und die Nichtweissen verschwunden sind.»
Die Glacé-Werbung wird sich kaum an die 14,4 Prozent der Bevölkerung richten, die weniger als zwei Dollar pro Tag verdienen.
Unmittelbar neben einem Armenquartier wird für Sonnencrème geworben.
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An der Panamerika-Strasse südlich von Lima wird für ein Deodorant geworben. Alle Fotos: Rodrigo Abd/AP/Keystone
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AGENDA 2030
Die Agenda 2030 ist eine Art Weltverfassung: Sie denkt die Welt als einen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhang. Reiche und arme Länder tragen demnach gleichermassen und gemeinsam Verantwortung für die Zukunft der Welt. Interview mit Sabin Bieri von Sara Frey und Dominik Gross.
«In der politischen Debatte über die Ungleichheit steckt viel Brisanz.»
Sabin Bieri forscht am Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern zu den Themen Ungleichheit, Armut und Nachhaltigkeit. Foto: Daniel Rihs/13 Photo
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global: Inwiefern stehen die aktuellen sozialen Ungleichheitsverhältnisse einer nachhaltigen sozialen und ökologischen Entwicklung der Welt im Weg? Sabin Bieri: Die Analyse der Ungleichheit nimmt die globalen Machtverhältnisse in den Blick, während Armutsbekämpfung auch möglich ist, ohne an diesen zu rütteln. Mit Machtverhältnissen meine ich die ganz konkreten politischen Gewichte. Die zunehmende Ungleichheit ist beunruhigend, weil sie sowohl Ursache als auch Folge davon ist, dass die politischen Verhältnisse von jenen bestimmt werden, die am oberen Ende der Reichtumsleiter sitzen. Wenn wir die Agenda 2030 vorwärtsbringen wollen, braucht es echte Teilhabe. Unter den gegebenen politischen Verhältnissen wird uns die Umsetzung der Agenda 2030 nicht gelingen. Wie zeigt sich diese politische und wirtschaftliche Ungleichheit in den wichtigen multilateralen Institutionen? Das ist eine schwierige Frage. Aus meiner Sicht bekämpft man Ungleichheit am effektivsten auf der nationalen Ebene. Das ist auch ein Problem, das sich für die Umsetzung der Agenda 2030 stellt: Wir haben eine weltweite Agenda, die Messung ihrer Erfolge wird aber auf der Grundlage von Messwerten aus den Nationalstaaten basieren; in der Verantwortung stehen vor allem nationale Regierungen. Wenn man die nationalen Ungleichheitsverhältnisse genauer anschaut, wird deutlich, dass sich der Reichtum stark zu den Privaten verschoben hat. Und das gilt sowohl für die sogenannten Entwicklungsländer wie für die industrialisierten Staaten. Die Staaten haben immer weniger Geld, wodurch sie ihre Handlungsfähigkeit verlieren. Das steht in einem Widerspruch zum Konzept der Agenda 2030, die ja vor allem die Staaten und ihre Regierungen in die Pflicht nimmt. An dieser Entwicklung haben auch die multilateralen Institutionen wie die Weltbank, die Welthandelsorganisation (WTO) oder
Quinoa-Anbau im bolivianischen Altiplano. Foto: James Morgan/Robert Harding/Keystone
der Internationale Währungsfonds (IWF) in den letzten Jahrzehnten aktiv politisch mitgewirkt. Mittlerweile gibt es zwar bei der Weltbank und dem IWF ein rhetorisches Bekenntnis zur Bekämpfung der sozialen Ungleichheit. Wenn wir aber schauen, was etwa die Weltbank auf der praktischen Ebene macht, müssen wir feststellen, dass sie auf der rhetorischen Ebene hängen bleibt.
Konkreter, was macht die Weltbank falsch? Sie sagt zwar, sie lege ihren Fokus jetzt auf die ärmsten vierzig Prozent der Weltbevölkerung und die Bekämpfung der Armut. Dafür hat sie ihre Statistiken von relativer auf absolute Armut umgestellt. Es fehlt aber immer noch der systemische Blick. Man müsste also die gesamte globale Wohlstandsverteilung anschauen. Es reicht nicht, die ärmsten
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Kaffee aus Attapeu, einer entlegenen Provinz im Südosten von Laos, die an Vietnam und Kambodscha grenzt. Foto: G.M.B. Akash/Panos
zwanzig oder vierzig Prozent der Weltbevölkerung aus der Armut holen zu wollen, sondern man müsste sich fragen, wie man den Reichtum weltweit gerechter verteilen könnte. Es sind unbequeme Fragen wie etwa: Was ist für uns hier im Norden eigentlich an Reichtumskonzentration vertretbar? Wenn wir vom Reichtum des Nordens sprechen, müssen wir uns aber auch bewusst sein, dass die relative Gleichheit in der Wohlstandsverteilung im Europa der Nachkriegszeit, also zwischen 1950 und den 1970er Jahren, eine historische und geographische Ausnahmephase darstellt. Vorher und nachher waren und sind sowohl in Europa wie in der übrigen Welt die Ungleichheiten immer viel ausgeprägter.
Welche Rolle spielt das globale Steuersystem bei der Umverteilung von Kapital vom Staat zu den Privaten? Bei den Steuern ist der Fall klar: Man sieht in der jüngeren Geschichte eine klare Tendenz weg von progressiven Steuersystemen, die grosse Privatvermögen und Unternehmensgewinne stärker besteuerten, hin zu viel schwächer umverteilenden Modellen. Diese Entwicklung hat die Handlungsfähigkeit der Staaten stark eingeschränkt. Auch das sorgt für mehr Ungleichheit. Man unterscheidet in der Ungleichheitsdebatte zwischen Pre-Distri bution und Re-Distribution, also von Verteilung und Um-Verteilung. Die Steuerfrage gehört unschwer erkennbar zur letzteren Kategorie. Es ist zweifellos
eines der mächtigsten politischen In strumente, um in Gesellschaften mehr Gleichheit herzustellen. Umgekehrt ist es sehr verletzlich, weil alle Umverteilungsinstrumente stets Gefahr laufen, durch politische Entscheidungen rückgängig gemacht zu werden. Instrumente der Verteilung, sogenannte Pre-Distributional-Measures sind aus meiner Sicht stärker. Man schaut also schon von Anfang an, dass geschaffener Reichtum möglichst fair verteilt wird und materielle Ungleichheiten gar nicht erst entstehen. Woran denken Sie hier konkret? Zum Beispiel an Mindestlöhne oder die Deckelung von hohen Löhnen. Auch breiter Zugang zu qualitativ hoher Bil-
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dung und die politische Förderung von Arbeitnehmervertretungen gehören dazu. Man sieht, dass solche Massnahmen beständiger sind als eben zum Beispiel steuerliche Massnahmen. Ein Beispiel dazu aus den USA: Die US-amerikanische Stadt Seattle kennt keine Gewinnsteuer für Unternehmen, sondern nur eine Besteuerung von Grundbesitz. Weil Seattle ein massives Problem mit Obdachlosen hat, für deren Betreuung die öffentlichen Gelder fehlen, sollte eine Unternehmenssteuer eingeführt werden. Mitverantwortlich für die Zunahme an Obdachlosen ist ein Wirtschaftsboom, der die Immobilienpreise in die Höhe getrieben hat. Gleichzeitig hat Amazon in Seattle seinen Hauptsitz und beschäftigt dort 15 000 Leute, also das, was sich jeder Stadtpräsident wünscht. Aber viele Leute wurden aus den innerstädtischen Wohnvierteln vertrieben, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Amazon stellte sich quer und drohte mit Abwanderung. Jetzt ist das Gesetz zwar durchgekommen, aber nur weil die Firmen viel niedriger besteuert werden als vorgesehen. Das ist ein aktuelles Beispiel dieser «the winner takes it all»-Mentalität, die sich
seit den 1980er Jahren durchgesetzt hat. In der politischen Debatte zur Ungleichheit steckt sehr viel Brisanz. Das zeigte sich auch bei der Entwicklung der Agenda 2030, wo ja Ziel 10, also jenes zur Reduzierung der Ungleichheit, in den Verhandlungen bis ganz zum Schluss auf der Kippe stand. Währenddessen war Ziel 8 zum Wirtschaftswachstum, das Ziel 10 teilweise dia- metral gegenüber steht, eigentlich nie umstritten. In Ihrer Forschung befassen sie sich mit Kommerzialisierungsprozessen in der Landwirtschaft in Bolivien, Laos, Ruanda und Nepal. Inwiefern ist die Kleinbäuerin in Bolivien von den globalen Machtverhältnissen betroffen? Beim Begriff der «Kleinbäuerin» fängt es schon an: Es geht eben nicht nur um Kleinbäuerinnen, sondern stark auch um Landarbeiter. Erstere sind jene mit Bodenbesitz, letztere Menschen, die in der Landwirtschaft Lohnarbeit leisten. In Bolivien befassen wir uns mit dem Quinoa-Anbau. Quinoa ist seit einigen Jahren ein Trendprodukt, weil es in idealer Weise unseren gewandelten Ernäh-
Die Icons der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zieren den Eingangsbereich des sudanesischen Nationalmuseums in Khartum. Foto: Daniel Hitzig
rungsgewohnheiten entspricht. Bis vor etwa drei Jahren konnte man damit auf dem Weltmarkt phantastische Preise erzielen. Nun sind diese Preise zusammengefallen. Es wiederholt sich hier die alte Geschichte: In vielen Landwirtschaften von Entwicklungsländern konzentriert man sich auf ein Produkt für den Weltmarkt, wodurch die Abhängigkeit vom Handel mit einem bestimmten Produkt und den mit ihm erzielten Preisen stark zunimmt. Ist eine Landwirtschaft hingegen stärker auf Selbstversorgung ausgerichtet, ist die Ver sorgungslage für die einheimische Bevölkerung stabiler. Entsprechend sind Menschen mit Landbesitz in diesen Prozessen, die wir hier anschauen, die Privilegierten. Am verletzlichsten sind die Landarbeiter, die über keinen Boden verfügen. Wie ist hier der Zusammenhang zur Frage der Ungleichheit herzustellen? Die Frage der Ungleichheit konzentriert sich in all unseren Ländern ganz entschieden um jene des Landbesitzes. Wer Land besitzt, ist grundsätzlich überall in einer viel besseren Verhandlungsposition. Die Frage, welchen Zugang die Bevölkerung zu Land hat, wie Landbesitz verteilt wird, ist entscheidend. Wer ein bisschen Land hat, muss sich nicht zu einem Hungerlohn unter abscheu lichen Bedingungen in einer Kaffee plantage verdingen. Man hat die Wahl zwischen Selbstversorgung oder Lohnarbeit. In Laos auf dem Bolaven-Plateau, wo wir den Kaffeeanbau untersuchen, sehen wir, dass schon eine bis anderthalb Hektaren Land ausreichen, um ein Leben in Würde zu führen. Wer die Wahl hat, geht dann nicht in die Fabrik, sondern baut seinen eigenen Kaffee an und verkauft ihn zu besseren oder schlechteren Preisen an Zwischenhändler. Die Fabrikarbeiter hingegen arbeiten als Saisonniers in der Kaffeeverarbeitung, weil sie im Tiefland mit der Arbeit in den Reisfeldern nur knapp über die Runden kommen. Während der Erntezeit bilden sich dann jeweils temporäre
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logische oder auch soziale Gebiete, die dem alles verschlingenden Finanzkapitalismus geopfert werden.
Sabin Bieri im Gespräch mit Sara Frey und Dominik Gross. Foto: Daniel Rihs/13 Photo
Hüttensiedlungen um die Fabriken herum. Fabrikarbeiter handeln stets unter dem Druck der Not: Man geht in die Fabrik, weil gerade eine Beerdigung bezahlt werden muss, die Einschulung der Kinder bevorsteht oder weil man schlicht hungert. Eine echte Verbesserung der Lebensgrundlage gelingt in diesem Fall fast nur via Migration eines Familienmitglieds. Die Agenda 2030 scheint den Geist der sozialen Marktwirtschaft zu atmen. Würden Sie aufgrund Ihrer Forschung in den angesprochenen Ländern sagen, dass dieses Modell in absehbarer Zeit funktionieren kann? Das Modell der sozialen Marktwirtschaft ist extrem voraussetzungsreich. Es braucht vor allem funktionierende Institutionen und in ganz vielen Ländern gibt es diese nicht oder sie sind fragil. Meine ehrliche Antwort ist deshalb: Es wird schwierig. Die Phase der sozialen Marktwirtschaft, die eine relativ gute Verteilung des Reichtums gebracht hat, ist ja auch im Norden schon wieder vorbei. Gleichzeitig suggerieren wir in der Entwicklungszusammenarbeit immer noch, sie sei das aktuelle und anzustrebende Modell. Was es braucht, sind neue Modelle der Arbeit. Und diesbezüglich gibt es im Norden wie im Süden ein gravierendes Reflexionsmanko. Wel-
che Formen von Arbeit wollen wir mit der Digitalisierung und der abnehmenden Arbeitsplatzsicherheit entwickeln? Wir reden hier auch von ganz unterschiedlichen individuellen ökonomischen Risiken: Wenn bei uns jemand eine Firma gründet, gibt es starke systemische Pfeiler, Versicherungen, das Privatrecht etc., die dafür sorgen, dass jemand nicht sein Leben aufs Spiel setzt, wenn er mit einer Firma scheitert. Wer sich im Süden selbstständig macht und etwa in Laos entscheidet, jetzt baue ich nur noch diese oder jene Kaffeesorte an, oder in Ruanda diese oder jene Süsskartoffeln, der riskiert buchstäblich Leib und Leben. Auch das ist eine Form der Ungleichheit zwischen Nord und Süd. Die Soziologin Saskia Sassen spricht in diesen Zusammenhängen – und sie bezieht sich auf Entwicklungen in industrialisierten Gesellschaften – gar nicht mehr von Ungleichheit, sondern von Verdrängung. Wer aus dem System fällt, für den gibt es keine Strukturen mehr, die sie oder ihn auffangen oder stützen würden. Das ist dann das pure Gegenteil von einem der Slogans der Agenda 2030, nämlich «leave no one behind»… Genau. Naomi Klein spricht im ökologischen Zusammenhang von «sacrifice zones». Regionen – geographische, öko-
Was sollen wir tun? Arbeit ist sehr wertvoll und einer der zentralen Mechanismen, mit dem wir für mehr Gleichheit sorgen können. Der Anthropologe James Ferguson plädiert in seinem Buch «Give a man a fish» dafür, nicht mehr in den herkömmlichen Kategorien des Arbeitsmarktes, der Arbeitsverhältnisse reguliert, zu denken, da dieser vielerorts im klassischen Sinn gar nicht (mehr) existiert oder nie existiert hat. Dort geht es auch wieder um Modelle des Grundeinkommens. Es ginge auch darum aufzuhören, Einkommen aus Arbeit zu versteuern und sich stattdessen im Steuersystem auf Kapital, Daten und Energie zu konzentrieren. Bei der Kapitalsteuer kommen wieder die multilateralen Institutionen ins Spiel, auch wenn wir mittlerweile eine 45jährige Geschichte des Scheiterns der politischen Anstrengung, eine Finanztransaktionssteuer wie die Tobin Tax einzuführen, hinter uns haben. Wenn wir Ungleichheit wirklich bekämpfen wollen, dann kommen wir nicht umhin, ernsthaft die systemischen Fragen zu stellen. Dafür braucht es aber natürlich den entsprechenden politischen Willen.
Die «Plattform Agenda 2030», der Schweizer Zusammenschluss von rund 40 zivilgesellschaftlichen Akteuren aus den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Umweltschutz, Gender, Frieden, nachhaltiges Wirtschaften sowie den Gewerkschaften, hat zehn Empfehlungen zur Umsetzung der Agenda 2030 zuhanden der Schweizer Politik zusammengestellt. Sie sind auf der Website der Plattform zu finden. www.plattformagenda2030.ch
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AGENDA 2030
Die Umsetzung der Agenda 2030 – dieser Verfassung für eine globale Weltinnenpolitik – ist organisatorisch eine Knacknuss. Entsprechend schwer tut sich damit (auch) die Schweiz. Wer in der Verwaltung soll diese Aufgabe übernehmen? Und wieviel Kompetenzen braucht es dafür? Sara Frey und Daniel Hitzig
Nachhaltigkeit im Zentrum der Macht? Auf 17 Ziele und 169 Unterziele zur globalen nachhaltigen Entwicklung konnte sich die Staatengemeinschaft einigen. Der Katalog listet so unterschiedliche Bereiche auf wie den Schutz der Biodiversität, die Regulierung der Finanzmärkte oder das Erreichen von Geschlechtergerechtigkeit. Wer die Ziele ernst nimmt, weiss, dass sich die Umsetzung einzelner Ziele gegenseitig beeinflussen, sich verstärken, sich aber auch widersprechen kann. Entscheidend ist darum, dass die Umsetzung an möglichst kompetenter und einflussreicher Stelle koordiniert wird. Die OECD empfiehlt, die Umsetzung der Agenda 2030 im «Zentrum der Regierung» (Centre of Government) anzusiedeln. Und in der Schweiz? Der Bundesrat plant offenbar, dass sich eine Konferenz von Amtsdirektoren der Umsetzung der Agenda 2030 annehmen soll. Ein Gremium also, das darauf ausgelegt ist, einen Minimalkonsens zu erreichen; nicht mehr. Absehbar ist, dass dieser Konferenz die nötige starke Führung fehlt, die über «power, people and pennies» verfügt, wie es ein niederländischer Minister treffend umschrieben hat. Viele Länder sind laut OECD-Quellen der Schweiz hier mindestens einen Schritt voraus: —— Mexiko hat ein technisches Komitee eingesetzt, das unter der Leitung des Staatspräsidenten steht. Es schliesst verschiedene involvierte Ministerien ein und hat unter anderem die Kompetenz festzulegen, wie Fortschritte gemessen werden und wie darüber berichtet wird. —— Tschechien hat einen Nachhaltigkeitsrat und thematische Komitees ins Leben gerufen, die Hunderte von ExpertInnen versammeln. Der Rat wird vom Ministerpräsidenten geleitet und hat auch die Aufgabe, die Umsetzung
KEINE ARMUT
MENSCHENWÜRDIGE ARBEIT UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM
INDUSTRIE, INNOVATION UND INFRASTRUKTUR
NACHHALTIGE STÄDTE UND GEMEINDEN
KEIN HUNGER
NACHHALTIGE/R KONSUM UND PRODUKTION
der Agenda in und durch Tschechien zu überprüfen (review and follow up). —— Deutschland hat die Federführung zur Umsetzung der Agenda im Stab des Bundeskanzleramts, dem Zentrum der Macht, angesiedelt. Allerdings greift das Kanzleramt nur in Ausnahmefällen direkt in die politischen Prozesse ein. Jedes politische System hat seine Eigenheiten und für ausnahmslos alle Staaten stellt die konsequente ernsthafte Umsetzung der Agenda 2030 eine grosse Herausforderung dar. Klar ist: Der Schutz des Planeten, das Erreichen sozialer Gerechtigkeit und die nachhaltige Finanzierbarkeit der Agenda 2030 verlangen Kreativität. Im Schweizer Politsystem gäbe es durchaus entsprechenden Spielraum: Die Bundeskanzlei als Schnittstelle der Macht oder einE unabhängige BundesdelegierteR mit weitreichenden Befugnissen wären nur zwei Wege, die vielversprechender gewesen wären als die vom Bundesrat gewählte Variante.
Die Alliance-Sud-Position: Wer die Umsetzung der Agenda 2030 steuert, muss: —— die Federführung haben bei der Umsetzung sowie der Überprüfung von deren Fortschritten, und befugt sein, darüber zu informieren. —— Zielkonflikte – nicht zuletzt zwischen den Departementen – erkennen und angemessen darüber informieren können. —— die Kompetenz haben, bei Zielkonflikten im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit zu entscheiden bzw. die gesellschaftliche Aushandlung des Konflikts in die Wege leiten können.
GESUNDHEIT UND WOHLERGEHEN
MASSNAHMEN ZUM KLIMASCHUTZ
HOCHWERTIGE BILDUNG
LEBEN UNTER WASSER
GESCHLECHTERGLEICHHEIT
SAUBERES WASSER UND SANITÄREINRICHTUNGEN
BEZAHLBARE UND SAUBERE ENERGIE
LEBEN AN LAND
FRIEDEN, GERECHTIGKEIT UND STARKE INSTITUTIONEN
PARTNERSCHAFTEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE
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UNTERNEHMEN UND MENSCHENRECHTE
Die Diskussion um die Menschenrechts- und Umweltverantwortung von Schweizer Multis ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Parlement setzt sich ernsthaft mit der Konzernverantwortungsinitiative auseinander. Gastbeitrag von Peter Niggli
Manchmal bewegt sie sich doch, die Schweiz!
Immer mehr UnternehmerInnen sind bereit, regelmässig zu überprüfen, ob sie mit ihrem Auslandgeschäft Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen. Foto: Klaunzer/Keystone
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Euphorie wäre verfrüht. Aber es war doch eine schöne Überraschung, als die nationalrätliche Rechtskommission die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) geistig unabhängig und flexibel beraten hat. Überraschend auch, dass ausgerechnet SVP-Nationalrat Hansueli Vogt – ein Spezialist für Corporate Governance und Aktienrecht – wesentliche Anliegen der Initiative in die laufende Revision des Aktienrechts übernommen und damit einen veritablen Gegenvorschlag zur Kovi formuliert hat. Wir haben uns noch vor Monaten mit Vogt an Streitgesprächen zur Kovi duelliert. Nun siegte offensichtlich seine professionelle Seite über die politische Persona, was in der demokratisch-zentralistisch verfassten SVP-Fraktion grossen Mut verlangt. Die NZZ stichelte schon, der Gegenvorschlag würde den Initiantinnen ohne Volksabstimmung den Sieg schenken. So weit ist es allerdings noch nicht. Ob der Gegenvorschlag eine Differenzbereinigung durch beide Kammern ohne substantielle Abstriche überstehen wird und damit für die Initiantinnen bedenkenswert bleibt, ist offen. Auf alle Fälle bereiten sich die rund hundert zivilgesellschaftlichen Organisationen, die hinter der Kovi stehen, mit aller Kraft und bei wachsender Zustimmung auf den Abstimmungskampf vor: für die Initiative oder für einen guten Gegenvorschlag, denn möglicherweise wollen die eingefleischten Gegner der Kovi auch diesen per Referendum zu Fall bringen. Alle Organisationen, die hinter der Kovi stehen, haben ihre eigenen Erfahrungen mit unrechtmässigem Verhalten von Schweizer Konzernen. Die Gewerkschaften mit der Missachtung von Arbeitsrechten in Lateinamerika und Asien, die Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen mit
Meilensteine Juni 2011: Der UNO-Menschenrechtsrat verabschiedet die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Juni 2012: Das Postulat 12.3503 verlangt, dass der Bundesrat einen Nationalen Aktionsplan (NAP) – eine sogenannte Ruggie-Strategie – zur Umsetzung der UNO-Leitprinzipien vorlegt. Juni 2012: Einreichung der von 135 000 Personen unterzeichneten Petition «Recht
Verstössen gegen die Menschenrechte durch Bergbau- und Rohstoffunternehmen in allen rohstoffreichen Ländern, die Umweltorganisationen mit Umweltvergehen von Konzernen überall, wo demokratische Kontrolle versagt und die Rechte der Bevölkerung schwach sind. Economiesuisse und SwissHoldings, der Verband der Multis, wehren sich seit Jahren gegen jede gesetzliche Regulierung der menschenrechtlichen Pflichten von Konzernen, eine Haltung, die der Bundesrat gehorsam übernahm. Die Lancierung der Initiative ist deshalb bei einigen Entwicklungsorganisationen anfänglich auf einige Skepsis gestossen. Wie soll man gegen den Widerstand aller Wirtschaftsorganisationen und ihre Finanzmacht eine Volksinitiative durchbringen? Kein Unternehmen schien seinerzeit bereit, sich für die Initiative auszusprechen. Der Wind hat gedreht Das hat sich geändert. Natürlich fragten die Führungen von Economiesuisse und SwissHoldings ihre angeschlossenen Unternehmen und Verbände seinerzeit nicht an, ob sie die Anliegen der Kovi rundum ablehnen. Mittlerweile sind einzelne Unternehmen und das Groupement des Entreprises Multinationales (GEM) explizit für die Initiative bzw. für einen substantiellen Gegenvorschlag. Sie wollen keinen Abstimmungskampf, in dem sie sich, wie Schafe hinter ihre Verbandsführung geschart, gegen die Respektierung von Menschenrechten und gegen den Schutz der Umwelt aussprechen müssten. Die harten Gegner betonen, es gäbe gar keinen Handlungsbedarf, da global tätige Unternehmen die Menschenrechte freiwillig und ohne Zwang
ohne Grenzen». Sie verlangt ein Gesetz, das multinationale Unternehmen mit Schweizer Sitz weltweit zur Einhaltung der Menschenrechte und von Umweltstandards verpflichtet. Zudem sollen Opfer in der Schweiz auf Wiedergutmachung klagen können. November 2014: Der Ständerat verlangt als Antwort auf die Petition einen Bericht über den Zugang zur Wiedergutmachung (14.3663). Dieser Bericht steht immer noch aus.
März 2015: Eine Motion (14.3671) der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N), die eine Sorgfaltsprüfungspflicht für multinationale Unternehmen im Bereich Menschen rechte und Umwelt verlangt, wird zunächst mit 91 zu 90 Stimmen ange nommen. Auf Druck der Wirtschaftslobby wird die Abstimmung wiederholt, die Motion schliesslich mit 86 zu 95 Stimmen abgelehnt.
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Einreichung der Konzernverantwortungsinitiative am 10. Oktober 2016. Foto: Martin Bichsel
April 2015: 66 Organisationen der Zivilgesellschaft lancieren die Konzern verantwortungsinitiative. Beginn der Unterschriftensammlung. Juli 2016: In einer repräsentativen Umfrage sprechen sich 89% der Bevölkerung dafür aus, dass Schweizer Multis die Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland einhalten. 10. 0ktober 2016: Einreichung der Konzernverantwortungsinitiative mit 120 418 gültigen Unterschriften.
9. Dezember 2016: Der Bundesrat verabschiedet den Nationalen Aktionsplan (NAP) für die Umsetzung der UNO-Leitprin zipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Der NAP schliesst eine gesetzliche Verankerung der Sorgfaltsprüfungspflicht aus und setzt auf freiwillige Massnahmen der Wirtschaft. 11. Januar 2017: Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» ohne Gegenvorschlag ab.
15. September 2017: In seiner Botschaft zur Volksinitiative anerkennt der Bundesrat zwar das Anliegen, hält das Volksbegehren aber namentlich im Bereich der Haftung als für «zu weitgehend». Er empfiehlt dem Parlament, die Initiative ohne Gegenvorschlag vors Volk zu bringen. 13. November 2017: Die Rechtskommission des Ständerats (RK-S) überweist die parlamentarische Initiative 17.498, welche die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags zur Initiative verlangt.
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r espektierten, die Umwelt hegten und pflegten und sich überall an die nationalen Gesetze hielten. Wegen «vereinzelten schwarzen Schafen» dürfe man nicht alle in «Sippenhaft» nehmen, so die NZZ, Unternehmen seien «keine Banditen». Nun sind aber genau die ‹schwarzen Schafe› oder ‹Banditen› dafür verantwortlich, dass die vernünftigen Unternehmen unruhig werden und die Initiative in der Öffentlichkeit auf wachsende Sympathien stösst. Nicht ‹vereinzelt›, sondern regelmässig tauchen neue Fälle auf, in denen Schweizer Konzerne in armen Ländern die Menschenrechte der Angestellten oder lokalen Bevölkerung verletzen. Die ‹schwarzen› sind für die ‹weissen Schafe› ein grosses Reputationsproblem. Ihre Taten nehmen «vorbildlich handelnde Unternehmen… durch Rufschädigung in ‹Sippenhaft›», wie es Klaus Leisinger, der ehemalige Präsident der Novartis-Stiftung, auf den Punkt gebracht hat. Und sie schärfen die Zweifel an der «Vorbildlichkeit» von Konzernen, welche sich – ohne öffentliche Kontrolle – ‹freiwillig› auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet haben wollen. Nicht ohne Grund. Die Verhaltensrichtlinien und Abkommen, mit denen sich Konzerne auf Menschenrechte und Umwelt verpflichten, sind alle entstanden, um eine – internationale und nationale –gesetzliche Regelung ihrer Pflichten zu verhindern. Die grösste ‹freiwillige› Vereinbarung ist der Global Compact der Uno aus dem Jahr 2000. Er umfasst nur einen Fünftel aller 45 000 transund multinationalen Konzerne der Welt. Aus der Schweiz sind ihm ganze 118 Unternehmen beigetreten – eine magere Beteiligung, wenn man bedenkt, dass der Bundesrat seit einigen Jahren die Unternehmen intensiv zu freiwilligem Handeln zu
11. Dezember 2017: Die Rechtskommission des Nationalrats (RK-N) lehnt einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative ab. Das intensive Lobbying von Economiesuisse hat Früchte getragen. 20. April – 4. Mai 2017: Im Rahmen der Revision des Aktienrechts erarbeitet die RK-N doch einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative. Dabei sind auch juristische Schritte gegen Menschenrechtsverletz ungen und die Verletzung von Umweltstandards im Ausland durch mulitnationale
bewegen versucht. Von den zehn umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz sind nur vier Mitglied des Global Compact, darunter zwei Rohstofffirmen mit Reputationsproblemen: Glencore und Trafigura. Dass einzelne Konzerne sich freiwillig anstrengen, eine Menschenrechtspolitik weltweit durchzusetzen, ist anzuerkennen. Anzuerkennen ist aber auch, dass nach mindestens zwanzig Jahren Corporate Social Responsibility wenig erreicht worden ist. Das Business & Human Rights Resource Center erstellt zusammen mit Investorengruppen seit kurzem den Corporate Human Rights Benchmark. Der erste Bericht vom April 2018 über Konzerne, die so etwas wie eine Menschenrechtspolitik haben, stellt fest: «The average performer is a poor performer». In weniger als der Hälfte der Unternehmen nehme die Spitze des Konzerns eine Führungsrolle in der Menschenrechtspolitik ein. Und der Zugang zu Schadenersatz oder -behebung sei bei allen untersuchten Unternehmen der schwächste Punkt ihrer Anstrengungen. Das würden die Kovi und zu einem guten Teil auch der Gegenvorschlag beheben.
Peter Niggli ist Mitglied des Initiativkomitees der Konzernverantwortungsinitiative. Bis Mitte 2015 war er Geschäftsleiter von Alliance Sud. Foto: Daniel Rihs/13 Photo
Unternehmen mit Sitz in der Schweiz vorgesehen. Der von Karl Vogler (CVP/OW) eingebrachte und von Hans-Ulrich Vogt (SVP/ZH) redigierte Vorschlag geniesst die Unterstützung des Groupement des Entreprises Multinationales (GEM), einer Vereinigung von 90 transnationalen Unternehmen aus dem Raum Genfersee. In den Kommissionsberatungen wird der Vorschlag Vogler abgeschwächt. 14. Juni 2018: Diskussion des indirekten Gegenvorschlags der RK-N im Nationalrat.
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STEUERN UND FINANZEN
Unlautere Finanzflüsse fördern soziale Ungleichheit und torpedieren nachhaltige Entwicklung. Diese Tatsache hat die bürgerliche Politik in der Schweiz lange ignoriert. Nun zeigen zwei neue rechtswissenschaftliche Studien umfassenden Handlungsbedarf auf. Dominik Gross und Daniel Hitzig
Die Flüsse umleiten
Unlautere Finanzflüsse sind ein Zankapfel in der Bundesverwaltung. Die aussenpolitische Kommission des Nationalrats war mit der ersten Fassung eines Berichts nicht zufrieden und forderte einen Zusatzbericht. Foto: Daniel Hitzig
Der Washingtoner Think-Tank Global Financial Integrity (GFI) schätzt, dass Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich eine Billion Dollar durch unlautere Finanzflüsse verloren geht. Dazu gehören gemäss einer umfassenden Definition, der auch der Schweizer Bundesrat mittlerweile folgt, nicht nur Gelder aus Geldwäscherei und Korruption, also illegale Geldflüsse, sondern auch legale aus der Steuerhinterziehung von natürlichen und der Steuervermeidung von juristischen Personen. Es geht hier also vor allem auch um Geld, das den Staaten entzogen wird, von diesen aber dringend benötigt würde, um eine ausreichende Finanzierung von Bildung, Gesundheit, sozialer Sicherung und Infrastruktur zu
gewährleisten. Für die Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der UNO, die sich u.a. die Überwindung der Armut bis 2030 zum Ziel gesetzt hat, bräuchte es weltweit 5 000 bis 7 000 Milliarden Dollar jährlich. Zum Vergleich: Die gesamte weltweite Entwicklungszusammenarbeit hat aktuell ein Volumen von etwa 160 Milliarden Dollar pro Jahr. Schweiz in der Verantwortung Als eines der grössten Finanzzentren der Welt mit der höchsten Pro-Kopf-Dichte an Konzernsitzen spielt die Schweiz in der Bekämpfung der entwicklungsschädigenden unlauteren Finanzflüsse eine sehr wichtige Rolle. 2017 wurden hierzu-
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lande gemäss der Schweizerischen Bankiervereinigung ausländische Vermögen in der Höhe von rund 3 000 Milliarden Franken verwaltet. Das entspricht einem Viertel aller weltweit im Ausland angelegten («Offshore»-)Vermögen. 25 Prozent des weltweiten Rohstoffhandels werden über die Schweiz abgewickelt, 2016 waren Schweizer Firmen gemäss den Zahlungsbilanzstatistiken der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit 1 008 Milliarden Franken an ausländischen Firmen beteiligt und hielten konzerninterne Kredite in der Höhe von 547 Milliarden Franken. Diese Zahlen zeigen: Das Risiko, dass Konzerne ihre Schweizer Firmensitze für Gewinnverschiebungen von Süd nach Nord und entsprechende Steuervermeidung auf Kosten des Fiskus in Entwicklungsländern nützen, ist gross. Gemäss Schätzungen des Internationalen Währungsfonds gehen den Ländern des Südens dadurch jährlich bis zu 200 Milliarden Dollar an potentiellem Steuersubstrat verloren. Will die Welt die Ziele der Agenda 2030 in den nächsten zwölf Jahren erreichen, zu denen sich auch die Schweiz verpflichtet hat, ist sie auf die konstruktive und proaktive Mitarbeit der Schweizer Finanz- und Steuerpolitik angewiesen. Die Schweiz hat sich in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich zwar zahlreichen internationalen Regulierungsregimen geöffnet und setzt die internationalen Mindeststandards in diesen Bereichen nach langem und zähem Widerstand mittlerweile auch um. Der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments blieben aber bisher auf die Frage, wie die Schweiz ihre spezifische Verantwortung als globales Finanzzentrum und wichtiger Konzernstandort für die Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele und der entsprechenden Bekämpfung von unlauteren Finanzflüssen wahrnehmen will, fast alle Antworten schuldig. Postulate, Berichte, Studien Im Parlament haben seit 2013 mehrere PostulantInnen verlangt, dass das Thema unlautere Finanzflüsse bzw. Steuerhinterziehung zulasten von Entwicklungsländern untersucht werden soll. Schliesslich verfasste das Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) im Oktober 2016 einen entsprechenden Bericht. Er betonte zwar die Wichtigkeit der Bekämpfung von unlauteren Finanzflüssen zu Gunsten einer nachhaltigen Entwicklung im globalen Süden und wie die entsprechenden bestehenden Engagements der Schweiz im Rahmen der OECD und der gesamten internationalen Zusammenarbeit der Schweiz zu
Prof. Dr. iur. René Matteotti, Rechtswissenschaftliches Institut der Universität Zürich. Foto: ZVG
erfüllen seien. Die Empfehlung konkreter Schritte blieb aber aus. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) verlangte daraufhin einen Zusatzbericht, der gemeinsam von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im März 2018 vorgelegt wurde. Dieser fokussierte auf Schweizer Engagements «vor Ort», also in den Entwicklungsländern, die im Rahmen der technischen Entwicklungszusammenarbeit des Seco stattfinden sollen und vor allem auf Korruptionsund Geldwäschereibekämpfung sowie die Transparenz von Kapitalflüssen in der Rohstoffbranche in den Zielländern abzielen. Eine Evaluation der Schweizer Steuer- und Finanzpolitik im Hinblick auf die politische Kohärenz für nachhaltige Entwicklung und ihre negativen Auswirkungen auf die Länder des Südens blieben beide Berichte schuldig. Zwei rechtswissenschaftliche Studien, die René Matteotti, der Zürcher Professor für Schweizerisches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Rechtsanwalt bei der Zürcher Kanzlei Baker und McKenzie, und die Spezialistin für internationales Steuerrecht, Sathi Meyer- Nandi, im Auftrag der Deza kürzlich publizierten, liefern nun wichtige Grundlagen für eine
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Sathi Meyer-Nandi, Gastforscherin am Global Tax Policy Center der Wirtschaftsuniversität Wien. Foto: ZVG
weitere Diskussion zur globalen Verantwortung des Schweizer Finanzplatzes. Matteotti widmet sich in seiner Studie der «Integration der Entwicklungsländer in die schweizerische Politik zur Umsetzung des AIA [automatischer Informationsaustausch, Red.] und der BEPS-Massnahmen [Base Erosion and Profit Shifting, Red]» und lotet dabei «Herausforderungen und Handlungsfelder» aus.1 Matteotti macht gleich zu Beginn klar, dass die SDGs nach Überzeugung aller internationalen Organisationen, welche sich mit entwicklungspolitischen Fragen auseinandersetzen, nur erreicht werden können, wenn die Entwicklungsländer ihr Steuersubstrat besser ausschöpfen. Der Fiskalpolitik kommt bei der Verwirklichung der SDGs daher eine Schlüsselrolle zu.» Im Vergleich zum Status quo der Schweizer Steuerpolitik sind vor allem Matteottis Empfehlungen zur Umsetzung des automatischen Informationsaustausches (AIA) mit Entwicklungsländern bemerkenswert. Er empfiehlt der Schweiz sogenannte AIA-Pilotprojekte mit einzelnen Entwicklungsländern, die bisher nicht in den Genuss des AIA-Systems mit der Schweiz kommen: «Bilaterale Pilotprojekte mit ausgewählten Staaten stellen für die Schweiz einen interessanten Weg dar, um ihr entwicklungspolitisches Engagement mit
einzelnen Staaten zu vertiefen.» Bisher hat weder die Deza noch das Seco oder das Staatsekretariat für Internationale Finanzfragen (SIF) konkrete Schritte in diese Richtung angekündigt, obwohl andere OECD-Länder solche Projekte mit entsprechenden Partnerstaaten bereits seit mehreren Jahren unterhalten. Es ist also zu hoffen, dass die Empfehlungen des Zürcher Professors in Bundesbern auf offene Ohren stossen. Einen Schritt weiter in Sachen Transparenz von Kapitalflüssen als Matteotti geht Sathi Meyer- Nandi in ihrer Studie mit dem Titel «Swiss Policy Coherence in International Taxation: Global Trends in AEOI [=AIA] and BEPS in Development Assistance and a Swiss Way Forward».2 Sie fordert die Schweiz auf, eine öffentliche Berichterstattung für multinationale Konzerne ins Auge zu fassen – ein sogenannntes «Public Country-by- Country-Reporting» (pCbCR). Sie schreibt mit Blick auf die Stärkung lokaler Zivilgesellschaften und dem Aufbau demokratischer checks and balances im Bereich der Steuerpolitik: «Looking at the progressive development with regard to public CbCR in the EU, which will likely also effect Swiss headquartered companies with an EU presence, Switzerland should consider contemplating similar requirements. This would elevate Switzerland to being a progressive first adopter. From a development policy perspective, such move would be highly appreciated.» Eine langjährige politische Forderung der globalen Steuergerechtigkeits bewegung hat nun also ihren Weg in den wissenschaftlichen Vorstellungsrahmen des internationalen Steuerrechts gefunden. Auch hier darf man gespannt sein, wie Bundesbern auf diese Horizonterweiterung in einer der politisch einflussreichsten Forschungsgemeinschaften reagiert. 1 Integration der Entwicklungsländer in die schweizerische Politik zur Umsetzung des AIA und der BEPS-Massnahmen: Herausforderungen und Handlungsfelder, René Matteotti, Archiv für Schweizerisches Abgaberecht, ASA 86, 2017–2018. 2 Die Studie ist nach Anmeldung im Shareweb des EDA greifbar.
KEINE ARMUT
FRIEDEN, GERECHTIGKEIT UND STARKE INSTITUTIONEN
PARTNERSCHAFTEN ZUR ERREICHUNG DER ZIELE
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HANDEL UND INVESTITIONEN
Hyperglobalisierung, autoritärer Nationalismus und rücksichtslose Interessenpolitik halten die Welt in Atem. Nur Kuba, das einstige Sehnsuchtsland der Linken, scheint still zu stehen. Auch nach dem Ende der Castro-Dynastie zeichnet sich kein Ende der Mangelwirtschaft ab. Isolda Agazzi
Geben und Nehmen in Kuba
In den Strassen Havannas wartet ein Oldtimer auf seine erneute Instandstellung. Fotos: Desmond Boylan/Reuters
Die Panne des Taxis von Havanna nach Trinidad mag niemanden wundern, das Fahrzeug hat Jahrgang 1954. Die Anschaffung eines neuen Taxis kommt für den Besitzer des Oldtimers angesichts eines Importzolls von 800 Prozent auf Autos nicht in Frage. Nach zwei Stunden Warten bringt uns ein anderes Kollektivtaxi für die astronomische Summe von 120 CUC (das entspricht 120 CHF) wohlbehalten nach Trinidad. Auf der vierspurigen Autobahn hat es so
wenig Verkehr, dass die rechte Spur Fahrrädern und Pferdefuhrwerken vorbehalten bleibt. Unter jeder Brücke warten Menschen geduldig auf eine Mitfahrgelegenheit – welcher Art auch immer. «Trinidad? Da war ich noch nie, zu teuer!», erklärt uns eine Frau aus Havanna. 120 CUC entsprechen dem Vierfachen des offiziellen Mindestlohns. Und die Eisenbahn ist in einem dermassen lausigen Zustand, dass selbst die KubanerInnen sie verschmähen. Man
versteht: Der öffentliche Verkehr, Transport überhaupt ist eines der Hauptprobleme in Kuba. Mit einigem Stolz hat die französische Staatsbahn SNCF darum anfangs April verkündet, dass sie im Auftrag der französischen Entwicklungsagentur das kubanische Eisenbahnnetz mo dernisieren soll. Das Auftragsvolumen: 5,5 Mio. EUR. Interessant ist die Herkunft des Geldes, es stammt aus der fast vollständigen Streichung von Kubas
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Leere Gestelle im staatlichen Laden, wo die Bevölkerung u.a. ihre Rationen Reis, Mehl, Öl sowie Zucker bezieht. Foto: Jeroen Oerlemans/Panos
Kuba braucht dringend Investitionen, um seine marode Infrastruktur zu modernisieren und die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern. Doch das US-Embargo verhindert den Zugang zu Krediten. Und die Schweiz? Die beharrt auf der Rückzahlung einer Schuld von 47 Millionen CHF.
Im zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Valle de Viñales (Provinz Pinar de Rio, Kuba) pflügt ein Bauer sein Feld, gleichzeitig füttert er seine Hühner. Foto: Mark Henley/Panos
Schulden bei Frankreich. Im Dezember 2015 hat der Pariser Club, in dem die wichtigsten Gläubiger Kubas – darunter auch die Schweiz – versammelt sind, dem Inselstaat 80 Prozent seiner Schulden erlassen. 2016 wandelte François Hollande einen Teil der Schuld in einen mit 212 Mio. EUR dotierten Gegenwertsfonds um, um damit Entwicklungsprojekte zu finanzieren. Viele andere Länder erliessen Kuba damals ihre Schulden ganz oder teilweise.
Nicht so die Schweiz, ihr schuldet Kuba immer noch 47,3 Mio. CHF, rückzahlbar in den nächsten 18 Jahren. Und dies obwohl Bern schon 1997 allen lateinamerikanischen Schuldnern einen Schuldenerlass gewährt und ebenfalls Gegenwertsfonds eingerichtet hatte. Die Kleinbauern als Rettung 47 Millionen mag man für einen nicht exorbitanten Betrag halten. Aber wir haben es mit dem Armenhaus Kuba zu
tun und die Summe entspricht dem, was die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit dort in vier Jahren einsetzt. Die DEZA unterstützt damit namentlich den Marktzugang für Kleinbauern, denn die Ernährung ist eine weitere Grossbaustelle in Kuba. «Schauen Sie, wie authentisch diese Landschaft ist», begeistert sich unser lokaler Guide beim Anblick der Ebene rund um Viñales, wo die Bauern ihre Felder noch mit Hilfe von Ochsen pflü-
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gen. Was den TouristInnen gefallen mag, ist Ausdruck einer rückständigen Landwirtschaft, selbst hier wo der weltbeste Tabak wächst, im Westen des Landes. Trotz hervorragender Bodenqualität importiert Kuba heute 80 Prozent seiner Lebensmittel – für teure Devisen. Im Jahr 2000 öffnete Olivier Berthoud das DEZA-Büro in Kuba. Die Schweiz konzentrierte sich schon damals auf die Unterstützung der Kleinbauern, die nach der Revolution von 1959 nicht enteignet worden waren, anders als in der Sowjetunion. Parallel dazu setzte Kuba jedoch auf eine hochmechanisierte industrielle Landwirtschaft, welche primär für den Ostblock produzierte. «Mit dem Untergang der UdSSR kollabierte auch die kubanische Grosslandwirtschaft und die 150 000 Kleinbauern-Familien sprangen bei der Ernährung des Landes in die Lücke», berichtet der pensionierte DEZA-Mitarbeiter Berthoud. Aber die Vermarktung der Produktion, aber auch der Zugang zu Dünger blieben unter der Kontrolle des Staates. «Bis heute ist die kubanische Landwirtschaft weit davon entfernt, ihr Potential auszuschöpfen. Die Gründe dafür sind primär ideologische Bedenken, dass sich Bauern oder Zwischenhändler bereichern könnten.» Das bestätigt uns ein Tabakproduzent in Viñales, der gezwungen ist, 90 Prozent seiner Produktion dem Staat zu verkaufen. Stark gelenkte Investitionen Heute versucht auch Kuba, ausländische Investoren anzulocken. Rund fünfzig Mitglieder umfasst die Handelskammer Schweiz-Kuba, wobei der bilaterale Austausch sehr bescheiden ist. 2017 importierte die Schweiz Waren im Umfang von 38 Mio. und exportierte für 21 Mio. CHF. Während einige Unternehmen Investitionen in die Landwirtschaft bzw. den Tourismus prüfen, gibt es im Verhältnis Schweiz-Kuba eine grosse Konstante: Der mit Abstand wichtigste Schweizer Investor ist Nestlé, der sich mit dem sozialistisch regierten Staat immer arrangiert hat.
Andreas Winkler, der Direktor der Handelskammer: «Vor drei vier Jahren unter Barack Obama gab es viel Enthusiasmus, doch die Regierung hat ihre eigenen Vorstellungen. Kuba ist weltweit vielleicht das einzige Land, das so klare Richtlinien für ausländische Investitionen hat. Erfüllt man diese nicht, lässt sich auch kaum investieren.» In der Tat, in ihrer im April 2018 publizierten Broschüre zu den Investitionsmöglichkeiten sind klare Vorgaben festgehalten: Auslandinvestitionen sollen helfen, die Abhängigkeit von Importen zu reduzieren, Arbeitsplätze schaffen sowie Wissens- und Technologietransfer unterstützen. Die Regierung behält sich vor, einen Mindestlohn festzulegen. Ein Streikrecht gibt es nicht, das allerdings gilt auch sonst im Land, wenn auch nicht de jure. Aus entwicklungspolitischer Sicht mögen die Vorgaben zwar sinnvoll sein, ein Blick auf die Sektoren, in denen das Ausland investieren darf, zeigt jedoch ein einseitiges Resultat (s. Grafik). Schwierige Auslandsfinanzierung Kein Zweifel, das US-Embargo behindert die wirtschaftliche Entwicklung der Insel massiv. Die meisten Importe
und Exporte zwischen den USA und Kuba sind verboten, ebenso Reisen. Ein Frachtschiff, das in Kuba war, darf für die kommenden sechs Monate keinen US-Hafen mehr anlaufen. Kuba schätzt den Schaden, den das Embargo seit 1962 angerichtet hat, auf 753,69 Milliarden US-Dollar. Jedes Jahr verurteilt die UNO das Embargo fast einstimmig. «Wir müssen unsere Handelsbeziehungen zu Kuba normalisieren. Tun wir es, dann gibt es auch keinen Grund mehr, das Embargo aufrecht zu erhalten», sagt uns Michael Parmly, der die US-Interessen zwischen 2005 und 2008 in Havanna vertreten hat. «Die Infrastruktur zerfällt. Aber wer soll die Häfen und die Strassen modernisieren, wer für sauberes Trinkwasser sorgen? Weder die Weltbank noch die Interamerikanische Entwicklungsbank kommen dafür in Frage, weil sie von den USA kontrolliert werden und die ihre Bedingungen stellen. Es ist sehr bedauerlich.» Welche Investitionszukunft könnte Kuba haben? «Innerhalb des Regimes gibt es verschiedene Kräfte», analysiert Olivier Berthoud, «zwar werden die Kader der alten Garde immer weniger, aber es gelingt ihnen immer noch, wirtschaftliche Reformen zu bremsen. Das
Wenig ausländische Investitionen in Kuba Total ausländische Unternehmen:
456 100%
Tourismus (Hotels, Golfplätze)
152 33,3%
Landwirtschaft/ Nahrungsmittelsektor
104 22,8%
Fossile Energie, Erdöl
78
Übrige
47 10,3%
Maschinenindustrie
33 7,2%
Pharmazie/ Biotechnologie
17,1%
15 3,3%
Bauwirtschaft
14 3,1%
Erneuerbare Energie
13
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2,9%
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Hugo Chavez – neben dem omnipräsenten Che Guavara – lieferte Kuba einst Erdöl. Seit dem Niedergang Venezuelas hat Kuba die Suche nach eigenen Erdöl-Vorkommen intensiviert. Foto: Isolda Agazzi
gilt aber auch für die kleinen Bürokraten, die sich durch Änderungen bedroht sehen. Die Armee ist sehr mächtig, weil sie sowohl den Tourismus als auch die Importe kontrolliert. Dass sie – sollte es ihren Interessen dienen – eine Wende vollzieht, ist jedoch nicht auszuschliessen. Die kleinen Unternehmer, die seit einigen Jahren mit kleinstem Spielraum zugelassen sind, haben mit dem System gebrochen. Und die Jungen, für die die Revolution längst Geschichte ist, hauen ab, sobald sie können. Die Intellektuellen dagegen, die träumen von einer Lösung, welche die sozialen Errungenschaften und die nationale Souveränität bewahrt, gleichzeitig aber die Wirtschaft ankurbelt und die Institutionen demokratisiert.» Der Beitrag, den die Schweiz zum 60. Jahrestag der Revolution am 1. Januar 2019 leisten könnte, ist jedenfalls schon klar: Sie könnte Kuba seine Schulden erlassen.
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KARUSSELL Der Bundesrat will keinen «Monsieur Agenda 2030» bzw. keinen «SDGÜberwacher» (s. S. 13). Michael Gerber (Foto), der seit Herbst 2012 im Botschafterrang für die Schweizer Agenda 2030-Belange auf der internationalen Bühne zuständig war, hat seine Schuldigkeit getan und kann gehen. Die Agenda 2030/SDG-Arbeit nennt Gerber die spannendste und inspirierendste Zeit seines bisherigen Berufslebens, nicht zuletzt weil die Schweiz in den zwischenstaatlichen Verhand lungen die SDGs massgeblich mitprägen konnte. Illusionen gibt er sich aber keinen hin: «Die Herausforderungen bleiben gross, diese ambitiösen Ziele bis 2030 tatsächlich welt-weit erreichen zu können.» Gerber wechselt vom EDA ins EJPD und wird beim Staatssekretariat für Migration (SEM) die Abteilung «Dublin, Auf enthalt und Resettlement» leiten, die im Rahmen der aktuellen Asylreform als Policy-Einheit entsteht. Beim Heks ist nach der operativen auch die strategische Führungsebene wieder bestellt. Auf Claude Ruey als Stiftungsratspräsident folgte Walter Schmid (Foto). Er gehörte dem HeksStiftungsrat schon zwischen 2006 und 2013 an. In der Öffentlichkeit ist der Jurist vor allem als Präsident (1999–2014) der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) bekannt geworden. Die neue Heks-Auslandstrategie will neben Existenzsicherung, Armutsbekämpfung und Selbstbestimmung verstärkt auch auf Landrechtsfragen fokussieren. Daneben bleibt die rasche, bedürfnisorientierte Humanitäre Hilfe ein Schwerpunkt – sowohl bei Naturkatastrophen wie bei bewaffneten Konflikten. Einen unrühmlichen Abgang aus der Novartis-Geschäftsleitung verzeichnete der Präsident von SwissHoldings,
Felix Ehrat (Foto). Der Chefjurist des Basler Pharmariesen ist über einen umstrittenen 1,2 Mio. US-Dollar-Lobbying-Vertrag mit Trumps früherem Anwalt Michael Cohen gestolpert. «Juristisch einwandfrei, aber ein Irrtum», liess sich Ehrat in der NZZ zitieren. Seine Nachfolgerin Shannon Thyme Klinger dient der NovartisGeschäftsleitung bereits seit März 2018 als Chief Ethics, Risk and Compliance Officer. EinE SchelmIn, wer dabei Böses denkt. Rochaden im Kader der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA): Manuel Bessler, Delegierter des Bundesrates für Humanitäre Hilfe und das Katastrophenhil fekorps (SKH) im Rang eines DEZA-Vizedirek tors, ist neu auch Stellvertreter von DEZA-Chef Manuel Sager. Simone Giger (Foto), zuletzt Länderverant wortliche in Moldawien, ist die neue Leiterin der DEZA-Abteilung Globalprogramm Migration und Entwicklung. Ihr Vorgänger Markus Reisle verabschiedet sich Richtung Schweizer UNO-Mission in New York. Dort trifft er u.a. auf Dominique Favre als neuen stellvertretenden Missionschef. Favre leitete dort bisher die Schweizer Delegation beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). Corinne Cicéron Bühler (Foto) ist zur neuen Chefin der Direktion für Völkerrecht (DV) – laut Bundesrat Ignazio Cassis dem «juristischen Gewissen der Schweiz» – und zur Rechtsberaterin des Aussendeparte ments ernannt worden. Sie übernimmt das Amt von Staatssekretar Roberto Balzaretti, der seit Januar die Verhandlungen mit der EU leitet.
Dominique Biedermann, der letzte Vertreter der Gründungsgeneration, als Präsident der Ethos-Stiftung zurückgetreten. Sein Nachfolger, Alt-Nationalrat Rudolf Rechsteiner, meint: «Die Leistungen von Dominique Biedermann sind herausragend. Er hat mit Ethos, mit den nachhaltigen Ethos-Fonds, mit dem Aktionärsdialog und den Anträgen an den Aktionärsversammlungen ein Stück Schweizer Wirtschaftsgeschichte geschrieben.» Zu seinen eigenen Zielen meint Rechsteiner, der auch Präsident des Swissaid-Stiftungsrats ist: «Es liegt mir daran, die Werte von Ethos zu pflegen und die Kontinuität der Institution sicher zustellen. Die Frage nach der richtigen Corporate Governance und best practice einer Branche stellt sich jeden Tag neu. Einerseits stehen Unternehmen untereinander im Wettbewerb. Anderseits sind sie die wichtigsten Akteure der Wirtschaft. Indem sie ihre Produkte verbessern, bei Beschaffungsent scheiden auf der ganzen Wertschöpfungskette genau hinschauen, eine langfristige Optik pflegen und Innovationen hervorbringen, gestalten sie die Welt von morgen mit. Die wichtigste Herausforderung – für Unternehmen und Anleger gleichermassen – ist heute die Erhitzung der Atmosphäre. Unternehmen können sehr viel tun, um die CO2-Emissionen und die damit verbundenen Risiken zu senken. Die Leistungsfähigkeit der erneuerbaren Energien ist noch immer viel zu wenig bekannt, sonst würde es schneller gehen.»
Nach 21-jährigem Engagement für nachhaltige Unternehmensführung ist
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INFO DOC
Bibliotheken als Motoren des Wandels Die Agenda 2030 betrifft alle. Und weil ohne Wissen kein Wandel möglich ist, hat sich die internationale Bibliotheksvereinigung (IFLA) intensiv an der Erarbeitung der Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) der UNO beteiligt. Basis dafür war die Erklärung von Lyon, die auch Alliance Sud InfoDoc mit unterzeichnet hat. Die IFLA setzt sich nicht nur für freien Zugang zu Information und zu Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ein, sondern auch für das lebenslange Lernen in allen Bereichen der Entwicklung. Der Zugang zu Information hat schliesslich Eingang in einem eigenen Agenda 2030-Entwicklungsziel (16.10) gefunden: Den öffentlichen Zugang zu Informationen gewährleisten und die Grundfreiheiten schützen, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und völkerrechtlichen Übereinkünften. Diese Formulierung schliesst ein, dass der freie Informationszugang auch ein unabdingbares Mittel zum Erreichen mehrerer anderer Ziele ist. Gestärkt durch diesen Erfolg hat die IFLA die nationalen Bibliotheksverbände eingeladen, sich auf Regierungsebene mit ihren Institutionen als Partner anzubieten und bei der Umsetzung der Agenda 2030 aktiv mitzuwirken. Damit soll der Einsatz der Bibliotheken für nachhaltige Entwicklung, den sie bereits jetzt leisten, noch mehr Gewicht erhalten: Einbindung aller in der Informationsgesellschaft; lebenslanges Lernen; Verfügbarkeit von IKT-Infrastruk-
tur; Zugang zu Wissen und Recherche; Unterstützung bei der Ausübung von BürgerInnen-Rechten etc. Die IFLA will mit ihrer aktiven Rolle bei der Umsetzung der Agenda 2030 auch das fälschlicherweise etwas verstaubte Image von Bibliotheken korrigieren und in der Gesellschaft das Bewusstsein für deren wichtige Aufgaben und Rolle stärken. Frankreich ist diesbezüglich schon weiter, bei uns wird eine Arbeitsgruppe von Bibliothek Information Schweiz (BIS) an ihrer Jahresversammlung im August 2018 eigene diesbezügliche Ideen vorstellen. Schliesslich nimmt die IFLA auch am weltweiten Prozess teil, den Fortschritt der nachhaltigen Entwicklung zu beobachten. Der Bericht Development and Access to Information wird regelmässig veröffentlichen, wie es um den globalen Zugang zur Information steht. Die interaktive «Library map of the world» listet und bewertet ihrerseits die Bibliotheken der ganzen Welt vor dem Hintergrund von deren Agenda 2030-Auftrag. Ziel all dieser Anstrengungen ist, dass möglichst vielen Menschen klar wird, dass sie sich weltweit auf ein dichtes Netz von Bibliotheken abstützen können und dass diese zentrale Instrumente zur Realisierung der nachhaltigen Entwicklungsziele sind. An den nationalen BiblioFRIEDEN, theksvereinigungen liegt GERECHTIGKEIT UND STARKE es jetzt, sich in diesem INSTITUTIONEN Sinn zu engagieren. Zum Wohle aller! AV
Der Medienspiegel von InfoDoc Sorgfältige Kopf- und Handarbeit, die sechs DokumentalistInnen täglich für Sie erledigen. Nie war es einfacher, entwicklungspolitische Themen auf dem Radar zu haben, die im Mainstream der Medien zu kurz kommen. Und das gratis und franko. IPG Internationale Politik und Gesellschaft, E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit, Bundeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Böll-Stiftung, fluter sind nur einige Beispiele für Online-Portale, die qualitativ hochwertige Informationen kostenlos anbieten. InfoDoc beobachtet diese Portale täglich, wählt relevante Artikel aus und macht sie auf dem InfoDoc-Portal von Alliance Sud nach 250 Unter themen geordnet greifbar. Diese 250 Themen decken die wichtigen entwicklungsrelevanten Fragen ab: von der Landwirtschaft und Industrie über Bildung bis zu Umwelt und Klima. Im vergangenen Jahr hat InfoDoc 2225 Artikel selektioniert. Ob Sie gezielt nur einige Themen oder das ganze Angebot verfolgen wollen, ent scheiden Sie mit der Einstellung Ihres Suchfilters. Mehr Infos: www.alliancesud.ch/de/infodoc
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Die SDGs – (k)ein Spiel Die UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (engl. Sustainable Development Goals SDGs) sind zwar alles andere als ein (Kinder)Spiel, sein Wissen unter Freunden oder im Familienkreis zu testen, macht aber Spass und führt zu spannenden Diskussionen. Sustainable Development Geek ist ein in Anlehnung an die 17 Ziele der UNO-Agenda 2030 gestaltetes Kartenspiel, das vorgefasste Meinungen in Frage stellt und neue Perspektiven aufzeigt. Sustainable Development Geek kann ab zwei Personen in verschiedenen Varianten gespielt werden und ist auch für Schulklassen oder zur Moderation von grösseren Events geeignet. Drei Kostproben gefällig aus den total 106 Fragen?
Rückseite der Spielkarten aufgeführt. Wer die Lösungen der obigen Fragen kennen will oder das Spiel Sustainable Development Geek sowieso gratis bestellen möchte, wendet sich an sdgeek@eda.admin.ch. Erhältlich ist das Spiel auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.
Bestellen Sie das kostenlose Spiel unter dem bereitgestellten Link und profitieren Sie von weiteren verfügbaren Materialien.
Wie lange leben Flüchtlinge durchschnittlich in einem Flüchtlingsstatus? A – 9 Jahre B – 17 Jahre
Das Spiel soll dazu anregen, sich auf spielerische Art mit Themen der nachhaltigen Entwicklung auseinanderzusetzen. Es gründet auf der Überzeugung, dass eine erfolgreiche und nachhaltige Entwicklung nur dann möglich ist, wenn wir unsere Ideen hinterfragen, diskutieren und weiterentwickeln. Sustainable Development Geek entstand in Anlehnung an die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) – den Zielen der UNO-Agenda 2030. Die SDGs sind am 1. Januar 2016 offiziell in Kraft getreten, gelten für alle Länder und sollen zur Armuts bekämpfung, zum Abbau von Ungleichheiten und zur Bewältigung des Klimawandels bis 2030 beitragen.
VERANSTALTUNGEN InfoDoc-Veranstaltungen
Welches Land hat die höhere Mordrate? A – Brasilien B – USA
Mehr Infos: www.alliancesud.ch Bern Monbijoustrasse 29
Lausanne Av. De Cour 1
Welcher Anteil der Schweizer Bevölkerung zwischen 16 und 65 Jahren sind llletristen, also Personen, die zwar Lesen und Schreiben gelernt haben, einen einfachen Text aber nicht verstehen? A – 2 Prozent B – 16 Prozent
Film und Diskussion: «Wir Mitbürgerinnen» 20.9.2018, 18:15 Uhr Ausstellung: «Grenzen überschreiten: Migration und Verschiedenheit» 18.10 – 21.12.2018 Spoken Word-Performance: «mittendrin und ausgeschlossen» 25.10.2018, 18:15 Uhr
Midi-film: «Au diapason de la diaspora» 13.9.2018, 12:15 Uhr Conférence: Migration et développement, des révélateurs du monde actuel? 18.10.2018, 18:30 Uhr Exposition: «Au-delà des frontières: migrations et différences» 18.10 – 21.12.2018 Midi-film: «Qui veut gagner des migrants ?» 15.11.2018, 12:15 Uhr
Die Antworten mit ausführlichen Erklärungen sind jeweils auf der
#70 Sommer 2018
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ZAHLEN UND FAKTEN Globale Vermögensverteilung
1,0% der Bevölkerung besitzt
50,1%
des gesamten Vermögens privater Haushalte weltweit.
Individuelles Vermögen Anzahl Personen der erwachsenen Weltbevölkerung
Vermögen in US-$
4 955 000 000 Menschen
Anzahl Personen
Mehr als 1 Million
0,7%
36 Millionen
Zwischen 100 000 und 1 Million
7,9%
391 Millionen
Zwischen 10 000 und 100 000
21,3%
1 054 Millionen
unter 10 000
70,1%
3 474 Millionen
Vermögen in US-$
Anteil am Weltvermögen
Mehr als 1 Million
45,9%
128,7 Billionen
Zwischen 100 000 und 1 Million
39,7%
111,4 Billionen
Zwischen 10 000 und 100 000
11,6%
32,5 Billionen
2,7%
7,6 Billionen
Anteil am Weltvermögen
US-$ 280 200 000 000 000
unter 10 000
Quellen: Oxfam, Credit Suisse Global Wealth Databook
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