RAUSZEIT Preis: 2,00 €
FOTO Lars Schneider, outdoor-visions.com
RAUSZEIT
Ausgabe Sommer 2013
ERLEBT
BESSERWISSER NACHGEFRAGT
Felslandschaften, türkisblaues Wasser und mysteriöse Buchten – an der lykischen Küste bietet das Meer jeden Tag neue Ausblicke, die sich nur dem wahren »Seefahrer« im Kajak eröffnen. Mehr auf S. 6
Leisten, Leder, Laufen. Warum ist es schwierig, den perfekten Wanderschuh zu finden? Besserwisser erklärt, worauf es bei der Schuhwahl ankommt und warum es etwas wie einen Problemfuß nicht gibt. Mehr auf S. 20
24 Torjäger, zwölf Länder und ein VW-Bus. Auf einer Reise nach Indien kann viel passieren. Doch die universale Sprache »Tischfußball« macht den Weg für zwei Deutsche frei – ganz ohne Abseitspfiff. Mehr auf S. 22
FOTO arc‘teryx
RAUSZEIT Sommer 2013
STANDPUNKT
Wissen ist Kopfsache. Tatsächlich? In unserem ach so großartig vernetzten Online-Universum steht uns die Welt offen wie noch nie: Amazonien – Jurten – Portwein – Zypressen. Ein paar Klicks reichen, und schon landen wir digital am Ende der Welt. Beschreibungen, Dokumentationen, Bilder und Videos bringen uns Sitten und Gebräuche nahe. Selbst seitenlange Abhandlungen über den Speiseplan fleischfressender Pflanzen im brasilianischen Dschungel lassen sich in Sekundenschnelle nachschlagen. Trefflich lässt sich auf der nächsten Party mit solchem (Un-)Wissen auftrumpfen. »Wusstet ihr eigentlich, welcher Prozess hinter dem Glimmen eines Polarlichts steckt ...? Und aus wie vielen Rebsorten Portwein besteht?!« Klar, ein bisschen Online-Nachhilfe kann nicht schaden. Aber eines ersetzt sie unserer Meinung nach nicht: die RAUSbildung. Weder schweigsame Buchseiten noch animierte Internetseiten verraten, warum die Schlaglöcher auf rumänischen Straßen tiefer sind, als wir sie gewohnt sind, die Menschen dort aber weniger zu stören scheinen. Weshalb uns die Bewohner eines kleinen Pyrenäendorfes als »Fremde« herzlich zum Abendessen einladen, obwohl der Tisch bereits mit Gästen überfüllt ist. Und wieso ein dicker Kabeljau am Haken einem Norweger wahrscheinlich eher ein Lächeln ins Gesicht zaubert, als ein Drei-GängeMenü bei einem Sternekoch. Darauf gibt es keine klar definierte Antwort. Als Reisende beginnen wir nachzudenken, zu hinterfragen. Und wir lernen, mit dem Ungewohnten umzugehen. Unsere individuellen Erkenntnisse stecken wir in unser mentales Gepäck, nehmen es mit nach Hause und versuchen dort die neuen Erfahrungen mit einem »Es geht auch anders« in unserem eigenen Alltag umzusetzen. Die RAUSbildung des Reisenden ist besonders kostbar, denn diese Art der Bildung können wir uns nicht kaufen – dafür gibt es kein Standardwerk, kein Lexikon und auch keine digitale Datenbank. Wissen ist nicht nur Kopfsache. Wir können nachlesen, zu welcher Gattung die Zypresse gehört, aber nur mit der eigenen Nase riechen wir, welchen Duft sie im Sommer über mediterrane Länder zaubert. Wir wissen, dass die Menschen in der Mongolei in Jurten leben – das unvergessliche Gefühl nach einer erlebten »Nomadennacht« aber kann kein Literat für uns festhalten. Und auch wenn wir wissen, dass Portwein aus 21 Rebsorten besteht: Wie schmeckt er nach einer mehrtägigen Wanderung entlang der portugiesischen Küste? Ihr wisst es nicht? Dann RAUS mit Euch! Viel Spass bei Eurer RAUSBildung! Andreas Hille, Michael Bode und Teams
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NOCH GANZ DICHT? Die Membran einer Jacke, quasi ihre Haut, ist physikalisch so durchdacht aufgebaut, dass sie Wasserdampf nach außen lässt, aber von außen kein Wasser eindringen kann. Warum passiert es trotzdem von Zeit zu Zeit, dass sich eine Jacke nass und klamm auf der Haut anfühlt? Jacken bestehen an der Außenseite aus textilen Fasern. Diese Fasern lassen Wasser im Normalfall abperlen. Jedoch nur, wenn sie ausreichend imprägniert sind. Auch bei den hochwertigsten Funktionsjacken lässt die Imprägnierung nach einiger Zeit nach und man bekommt den Eindruck, die Jacke wäre undicht. Im physikalischen Sinne trifft das aber nicht zu. Fehlt die Imprägnierung, saugen sich die äußeren Fasern schnell mit Wasser voll. Das führt dazu, dass sich der Außenstoff beim Anfassen nass anfühlt und der am Körper entstehende Wasserdampf nicht austreten kann und an der Membran kondensiert. Daher stammt das klamme, feuchte Gefühl auf der Haut. Sobald das Wasser nicht mehr abperlt, ist es an der Zeit, die Imprägnierung der textilen Außenschicht aufzumöbeln. Fibertec Green Guard Spray-On ist ein umweltfreundliches Imprägniermittel mit einem biologisch abbaubaren Wirkstoff auf PU-Basis. Preis: 14,95 Euro
REISE-AUGEN Technische Geräte wie Handys, GPS-Geräte oder Digitalkameras werden immer kleiner. Nicht selten sind die Displays unübersichtlich und für schwache Augen oft kaum zu entziffern. Da kommt die Clip & Read Mini-Brille von Eschenbach zum Einsatz. Sie ist klein und wiegt inklusive Etui nur neun Gramm. Ganz schön praktisch, so eine Lesebrille für unterwegs. So lässt sich bequem auch das Kleingedruckte auf der topografischen Karte entziffern. Preis: 21,95 Euro
FEDERLEICHTER WINDBEUTEL Die Microlight Jacket von Bergans setzt dem Frösteln während windiger Verschnaufpausen ein Ende. Das ultraleichte Modell ist verpackt lediglich faustgroß. So passt es in jedes Gepäck. Die Jacke besteht aus winddichtem und wasserabweisendem 4-Wege-Stretch, das ausgezeichnete Bewegungsfreiheit gewährleistet und schnell trocknet. Ihr geringes Gewicht und das extrem niedrige Packvolumen machen die Jacke zum idealen Begleiter für schnelle und schweißtreibende Aktivitäten. Preis: 139,95 Euro
UNTERNEHMUNGS-BERATERIN
HEISSE SOCKE Schuhe, Jacke, Rucksack und … War da noch etwas? Ach ja, die Socke! Nach dem Motto »was ich nicht sehe, kann nicht so wichtig sein« ist sie oft wenig beachtet, verborgen und versteckt im Schuh. Zu Unrecht. Ein Schuh kann nur so gut sein wie die Socken innen drin. Sportsocken sind komplexe Konstruktionen und müssen vielseitige Aufgaben erfüllen: Sie sollen anliegend sitzen und nicht verrutschen, dürfen aber nicht drücken. Sie müssen polstern und Schläge dämpfen. Sie müssen belüftet sein. Und Wintersocken sollten auch noch gut isolieren. Damit in der Socke keine drückenden Nähte die Haut irritieren, werden die Spitzen gekettelt: Die Kanten der Maschenware werden so verbunden, dass eine elastische, nicht auftragende Naht entsteht. An qualitativ hochwertigen Socken spürt man also kaum einen »Wulst« zwischen den zusammengefügten Teilen, was enorm zum Komfort beiträgt und ein Scheuern auf der Haut verhindert. Wandersocken bestehen aus Wolle, Kunstfaser oder oft auch aus einer Mischung beider Materialien. Die Hauptaufgabe der Socke – egal ob Wolle oder Kunstfaser – muss es sein, den Fuß trocken zu halten, um eine schmerzhafte Blasenbildung zu unterbinden. Bei Wandersocken kommt hauptsächlich Schafwolle zum Einsatz. Die natürliche Krause der Merino-Schafwolle hat zusätzlich noch besondere Eigenschaften, die sie ideal für Sportsocken macht: die Wollfaser vermittelt ein Gefühl von Elastizität und Komfort und unterdrückt außerdem die Geruchsbildung am Fuß.
MERINO x 200 Wolle besitzt die Fähigkeit, Feuchtigkeit zu transportieren und den Körper zu wärmen. Damit ist Schafwolle bestens für Kleidungsstücke geeignet, die direkt auf der Haut getragen werden. »Woolpower200 g/m²« ist eine Serie von Kleidungsstücken, die direkt auf der Haut getragen werden. Die 200er-Socke von Woolpower ist dank eingearbeiteter Kunstfasern und der Zugabe von Elasthan besonders langlebig und passt sich perfekt dem Fuß an. Die einzige Socke, die man bedenkenlos bei 60 Grad waschen kann. Preis: 15,95 Euro
Seit wann bei Basislager? Seit über drei Jahren. Ich habe im Februar 2010 angefangen.
Lieblingsverkaufsbereich – und warum? Auf jeden Fall Schlafsäcke: Wenn man den richtigen Schlafsack gefunden hat, kann man damit sehr viel unternehmen. Oft beraten im Schlafsackbereich nur Männer. Da freut es mich umso mehr, wenn ich den Kundinnen Tipps aus meiner eigenen »Schlafsack-Erfahrung« weitergeben kann. Denn oft können Männer nicht ganz nachvollziehen, warum und wann Frauen im Schlafsack frieren. Das kann ich als Frau dagegen sehr gut.
Die Konstruktion einer Sportsocke trägt maßgeblich zum Funktionieren des Systems Fuß-Schuh bei. Das Modell Outdoor Light Micro von Smartwool ist dünn gepolstert und mit dem sogenannten 4-Degree Fit System ausgestattet: An stark beanspruchten Zonen wird mehr Wolle verarbeitet, um Abrieb zu vermeiden sowie die stoßdämpfende Wirkung zu erhöhen. Preis: 17,95 Euro
Alle Produkte aus dieser Zeitschrift gibt es bei CAMP4 Karl-Marx-Allee 32 10178 Berlin www.camp4.de
Ein Nordlicht will in die Alpen. Durch das Lehramtsstudium ist Gundula nach Baden-Württemberg gekommen. Als Lehrerin hat sie aber schnell gemerkt, dass es sie eher nach draußen zieht, als vor die Schultafel. »Weil die Leidenschaft für Naturerkundungen wuchs und wuchs, machte die Sache mit der Schule einfach keinen Sinn mehr. Ich habe gekündigt und im Basislager eine Festanstellung bekommen.« Am liebsten ist Gundula zu Fuß und mit dem Zelt unterwegs. »Die einsamen Schlafplätze auf grünen Wiesen, in Wäldern, an steilen Klippen, in der Wüste oder in großer Höhe in den Bergen werden so für mich zu den wundervollsten Flecken der Erde.«
Erlernter Beruf? Eigentlich habe ich Grund- und Hauptschullehramt studiert. Aber nach drei Jahren als Lehrerin habe ich den Beruf gewechselt und bei Basislager angefangen.
SCHLAUE WOLLE
Basislager Kaiserstraße 231 76133 Karlsruhe www.basislager.de
Gundula Sabrowski/Basislager
SFU Schmiedestraße 24 30159 Hannover www.sfu.de
SFU Neue Straße 20 38100 Braunschweig www.sfu.de
Allgemeine Anfragen und Anregungen bitte an redaktion@rauszeit.net
Lieblingsausrüstungsgegenstand? Seit letztem Jahr leiste ich mir den Luxus und habe ein Therm-A-Rest-Schlafkissen mit dabei. Lieber trage ich 300 Gramm mehr und schlafe gut, als dass ich auf diesen Mini-Luxus verzichte.
IMPRESSUM Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt: Michael Bode, Andreas Hille Redaktion & Konzept: outkomm GmbH, Fleubenstrasse 6, CH - 9450 Altstätten, www.outkomm.ch, redaktion@rauszeit.net Layout & Produktion: Marvin Lang Druck: Jungfer Druckerei und Verlag GmbH Copyright: Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung der Herausgeber unzulässig und strafbar.
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UNTERNEHMUNGS-BERATER
TRAGE-CHAMÄLEON Der »Adjust« von Bach besitzt ein integriertes Tragsystem, das auf einem Schlitten fixiert ist, der auf zwei Führungsschienen bewegt werden kann. Resultat: Nicht nur die Rückenlänge lässt sich stufenlos von 48 bis 66 Zentimeter anpassen, auch der Lastkontrollriemen läuft mit. So kann der Rucksack problemlos auf verschiedene Personen abgestimmt werden oder wächst mit dem Besitzer mit. Variabel ist auch das Volumen – es beträgt dank Rolltopverschluss zwischen 35 und 50 Liter. Gesamtgewicht: 1880 Gramm. Ab Juni im Handel erhältlich. Preis: 199,95 Euro
Holger Gode/SFU Der gebürtige Braunschweiger ist standorttreu: Braunschweig ist bisher immer sein »Basecamp« geblieben. Neben dem Laufsport interessiert er sich vor allem für eine Sache: Palmengewächse. »Ich versuche auch zu Hause möglichst viele Palmen um mich herum zu kultivieren, bestaune sie aber noch lieber in ihrer natürlichen, deutlich wärmeren Umgebung.« Grundsätzlich spricht nichts gegen Unternehmungen in Gruppen, »aber ich bin auch ganz gerne alleine unterwegs.« Ruhe, sich auf sich selbst zu reduzieren, sein eigenes Tempo wählen zu können, das alles fasziniert Holger auf Touren in der Natur.
DREI IN EINEM STREICH Die Ultra Distance Trekkingstöcke von Black Diamond verfügen über eine einzigartige Technologie: Dank der Z-Pole-Konstruktion lassen sie sich in drei Teile zusammenlegen. Damit passen sie in jeden Rucksack und können schon bei der Anreise – zum Beispiel im Handgepäck im Flugzeug – gut verstaut werden. Durch eine Schnur im Inneren sind die einzelnen Teile verbunden. Konische Verbindungsstücke sorgen dafür, dass die Stöcke fest fixiert sind, wenn die Tour beginnt. Der Stock in Carbon-Leichtbauweise bringt nur 270 Gramm auf die Waage und misst zusammengeklappt lediglich 40 Zentimeter. Preis: 129,95 Euro
Seit wann bei SFU? Zu SFU bin ich vor etwas mehr als zwei Jahren gestoßen, Ende 2010. Erlernter Beruf? Studiert habe ich Informatik, bin also eher technisch veranlagt. Bei SFU kann ich den technischen Bereich und den Outdoor-Bereich miteinander verknüpfen, und das in einem sehr angenehmen Umfeld. Lieblingsverkaufsbereich – und warum? Sicherlich die »elektronischen« Produktgruppen wie z.B. GPS-Navigation oder LED-Lampen, schon rein aus persönlichem Interesse. Ansonsten finde ich den Schlafsackbereich spannend. Klein gepackte Daunenschlafsäcke sind immer ein Hingucker. Lieblingsausrüstungsgegenstand? Ohne meinen Schlauch-Schal gehe ich gar nicht los, egal zu welcher Jahreszeit. Und von meinem uralten Bach-Kofferrucksack kann ich mich eh nie wieder trennen.
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STEIGHILFE Unwegsames und felsiges Terrain bringen den Ascent Pro GTX von Scarpa nicht aus der Spur. Der knöchelhohe Schuh eignet sich ideal für anspruchsvolle Alpenwanderungen und Klettersteige. Trotz seines »Könnens« und seines breiten Einsatzbereiches – von der Wanderung bis zur Hochtour – ist der Asent Pro GTX einer der kompaktesten und leichtesten Schuhe seiner Art auf dem Markt. Der direkt mit dem Sohlenprofil verbundene Gummischutzrand bietet Präzision bei Kletterstellen. Sein atmungsaktives Futter sorgt bei jedem Wetter dafür, dass die Feuchtigkeit draußen bleibt. RAUSZEIT durfte vorab testen. Ab Mitte Mai im Handel erhältlich. Preis: 239,95 Euro
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SITZENBLEIBER Bequemes Sitzen am Gipfel, am Strand und vor der Hütte. Wer glaubt, ein Lounge-Stuhl passe nicht in den Tagesrucksack, der liegt falsch! Der Chair One von Helinox ist ein kleines Leichtgewicht, das sich ruckzuck im Rucksack verstauen lässt. Das ganze Päckchen ist gerade mal so groß wie ein Kastenbrot. Nach dem Entfalten des Alugestänges wird einfach der Sitzstoff aufgezogen, und fertig ist der bequeme Ruheplatz. Für die Funktion und das »gute Aussehen« hat sich der Chair One den renommierten Designpreis »red dot« ersessen. Preis: 89,95 Euro
Nick Nolde/Camp4
IM HIMMELSZELT Basierend auf dem Vaude Zeltklassiker »Space«, einem vielseitigen Zelt, das bereits seit vielen Jahren erfolgreich im Programm ist, gibt es nun einen überarbeiteten Nachfolger. Er bietet viel Raum bei wenig Gewicht. Das Space L3P 3-Seasons Kuppelzelt beherbergt bis zu drei Personen. Zwei Eingänge und Apsiden erleichtern das Raus und Rein. Die Apsiden lassen sich auch praktisch als Gepäckstauraum nutzen. Das Zelt ist schnell und einfach aufgebaut und steht auch ohne Extra-Abspannung solide. Durch das höher geschnittene Außenzelt und die wettergeschützte Lüftung in der Apsis ist eine hervorragende Rundumbelüftung gewährleistet. Preis: 299,95 Euro
EINZELZIMMER ZUM MITNEHMEN Das Komplettset zum Abhängen. Die Travel-Hängematte von Exped bietet einen weichen Schlaf- und Nickerchenplatz für Büropausen, Grillgelage und auf Reisen. Vor allem in Gegenden, wo der Boden nass und uneben ist, sind Hängematten oft die beste Schlaflösung. Mit ein paar leichten Handgriffen und Knoten ist das praktische »Himmelbett« mit dem robusten »Ripstop Nylon« an beiden Enden installiert. Die Exped Hängematte verfügt zusätzlich über eine integrierte Packsack-Einstecktasche für die Wasserflasche, Brille oder Taschenlampe. Verpackt passt die Hängematte in jede Hosentasche. So kann der Sommer kommen. Preis: 26,95 Euro
Nick ist ein wahrer Camp4-Zögling: Seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn macht der 23-Jährige die Kletterabteilung im Camp4 (un-)sicher. Obwohl fernab der Berge geboren, zieht es den Berliner immer wieder in die Höhen. »Am liebsten gehe ich klettern. Dabei ist es mir eigentlich egal, ob es Sportklettern, Bouldern, Alpinklettern oder – leider sehr selten – Eisklettern ist.« Viel Zeit verbringt Nick auch in den zahlreichen Berliner Kletteranlagen, um sich für Wettkämpfe fit zu machen. Ab und zu hängt er nicht am Fels, sondern in der Kurve.» Wenn ich nicht klettern gehe, fahre ich gerne Motorrad.« Dann aber auch oft zu nahe gelegenen Kletterrevieren. Seit wann bei Camp4? Ich bin seit 2006 im Team. Erlernter Beruf? Gelernter Kaufmann im Einzelhandel, ausgebildet im Camp4. Lieblingsverkaufsbereich – und warum? Das ist die Kletterabteilung! Dort treffen Hobby und Beruf zusammen. Für mich gibt es nichts Schöneres. Lieblingsausrüstungsgegenstand? Das ist schwer. Abgesehen von meinem SterlingSeil, den DMM Exen und den Boreal Kletterschuhen finde ich meinen Osprey Variant 37 Rucksack toll. Er trägt sich super, und wenn ich den Hüftgurt sowie das Deckelfach abnehme, ist er schön leicht. Was auch nicht fehlen darf, das ist meine leichte Daunenjacke. Klein, leicht und schön warm ...
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Erlebt: Seekajak-Mehrtagestour an der lykischen Südwestküste
TÜCKISCH TÜRKISCHER SEEGANG Unter Weitwanderern ist die lykische Küste schon lange kein Geheimtipp mehr. Doch auf dem Wasserweg im Seekajak darf man sich noch zu den Entdeckern zählen. Bilderbuch-Buchten, kristallklares, türkisfarbenes Wasser und würziger Pinienduft sind die ständigen Begleiter auf einer paradiesischen Reise vorbei am Massentourismus.
»Wenn wir nur einen anderen Paddler sehen, gehe ich nach diesem Trip sofort in den Ruhestand«. Eine ausgesprochen herrliche Drohung. Nicht etwa, weil ich den Mann mit den stechend dunklen Augen als pensionierungsreif einschätzen würde. Im Gegenteil: In dem braunen, wettergegerbten Gesicht von Vedat, unserem Guide, strahlt die Passion für seinen Job aus jeder Pore. Wir können uns also sicher sein, dass wir ein Paddlerparadies ganz für uns alleine haben werden. Unter Seglern ist die türkische Küste zwischen Bodrum und Fethiye schon lange als Traumrevier mit türkisfarbenen Warmwasserbuchten bekannt. Wie eine
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gespannte Frischhaltefolie liegt der See Köyce˘giz am Rande der gleichnamigen Stadt nahe der Mittelmeerküste vor uns. Die Rümpfe der Boote schneiden durch das warme Wasser wie Steakmesser durch Perlhuhnbrüstchen. Zu fünft paddeln wir in drei Seekajaks. Es ist Nachsaison, also beste Reisezeit. Keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Wasser- und Lufttemperatur perfekt. Anfang November, sagt der Kalender. Im Kopf ist Spätsommer, in der Natur auch. »Badezeit!« beschließt Vedat bei Sonnenhöchststand. Fragende Blicke. Wir sind mitten auf dem See, der fünfzehn auf sieben Kilometer misst. Aber unser Guide steht
bereits aufrecht in seinem Kajak. »Wie ihr wieder reinkommt, erkläre ich euch später«. Ein Mann, ein Wort, ein Sprung. Und wir hinterher. Der Wiedereinstieg gelingt dank Vedats Hilfe ohne zu kentern. Zum Glück gibt es aber keine Haltungsnoten. Lautlos gleiten die Boote durch den Schilfgürtel am Rande der Halbinsel. Vedat kantet auf und ist mit zwei schnellen Schlägen plötzlich verschwunden. Ein kaum sichtbarer Kanal führt durch den dichten Wasserpflanzendschungel direkt in eine kleine Bucht. Als wir knirschend auf feinem Kies anlanden, hat Vedat bereits eine Decke ausgebreitet und beginnt vor einer gigantischen Kulisse regionale Köst-
Wild, abgeschieden und ...
… ein bisschen mystisch – Kajaktour an der lykischen Küste.
lichkeiten aufzutischen. Hinter dem Ostufer des Köyce˘giz ragt das Gölgeli-Gebirge über 2000 Meter von Meereshöhe aus in den azurblauen, wolkenlosen Himmel. Im Westen versperren die Balan-Berge den Blick auf die Ägäis. Nichts deutet hier darauf hin, dass wir nur drei Paddelstunden von der Küste entfernt sind. Gestärkt mit würzigem Ziegenkäse, Oliven und Trockenfrüchten queren wir in der Nachmittagssonne den östlichen Teil des Sees.
end. Kurz abkühlen und abwaschen im See, danach ins glasklare, nicht minder geruchsintensive Schwefelbecken. Vertraut man der Wissenschaft, so hat das dortige Wasser eine heilende Wirkung. Im letzten Tageslicht gleiten wir lautlos ins dichte Schilf. Als sich der Vorhang lüftet, blicken wir in eine Art natürliche Manege. Eine knorrige alte Steineiche breitet ihre Äste wie eine Glucke schützend über uns aus. »Dieser Baum ist ein guter, alter Freund von mir«, erzählt Vedat – nach einem frisch zubereiteten, formidablen Lammragout – im Schein des Lagerfeuers. Wir lachen viel, philosophieren und diskutieren mit diesem charismatischen Mann. Er ist als Höhenbergsteiger und Wildwasser-Guide viel herumgekommen, ist weltoffen, beeindruckend gebildet und trotzdem traditionell eingestellt. Es tut einfach irgendwie gut, ihm zuzuhören.
Wellness für geplagte Schultern Ein kräftiger Zug durch die Nase erklärt beim nächsten Landgang, was Vedat als »Natur-Wellness« angekündigt hat. Die heißen Quellen von Sultaniye sind eine in der Hauptsaison hoffnungslos überlaufene Attraktion. Nun genießen außer uns nur einige Einheimische den Luxus, den Mutter Natur spendiert. Auch wenn der Geruch – faule Eier vom Feinsten – einen etwas zögern lässt, in das knietiefe Schlammbecken zu steigen, so ist die Wirkung nach vier Stunden Paddeln absolut wohltu-
Meeresschildkröten und fliegende Fische Fliegende Fische begleiten uns am nächsten Tag durch den Dalyan-Kanal, der den Köyce˘giz-See mit dem Mit-
telmeer verbindet. Durch zwei bis drei Meter hohes Schilf schlängelt sich die See-Meer-Verbindung – mit Myriaden kleiner Abzweigungen. Ein schüchterner, aber freundlich winkender Wärter öffnet uns eine manuell betriebene Schleuse. Die Barriere hindert die Fische an der Wanderung ins Meer, eine überdimensionale Fischzucht im Delta also. Vor uns liegt der Iztuzu-Strand, eine langgezogene schmale Landzunge aus Sand, an deren Ende der Dalyan-Kanal in die Ägäis mündet. »Hier kommst du ins Gefängnis, wenn du eine Sandburg baust«, lässt Vedat ironisch drohend wissen. Der Strand dient den großen Karett-Meeresschildkröten, die unter strengem Naturschutz stehen, als Nistplatz. Die leichte Dünung fühlt sich fantastisch an. Das Spannende auf dem Meer ist die tägliche Abwechslung. Im Moment ist es ein gemächliches, fast meditatives Schaukeln, einige Stunden später schon kann es spiegelglatt sein oder aufgewühlt mit wilder Gischt. Nach sechs Stunden Rotation werden die Schultern langsam müde. Vedat deutet auf eine weißlich schimmernde Stelle in einiger Entfernung. »Unser Camp – ihr
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Traumbuchten: An paradiesischen Stränden die Seele baumeln lassen.
werdet es lieben.« Das tun wir. Wie ein kleines »U« liegt das Nachtlager verborgen im letzten Winkel der großen Bucht. Das Wasser ist so klar, dass wir bereits 200 Meter vor dem Strand den Grund klar erkennen können – locker zwölf bis vierzehn Meter tief unten. Am zweiten Abend sind wir schon ganz gut eingespielt. Fast klassisch bauen die Männer die »Höhlen« auf und sammeln Brennholz. Die Frauen kümmern sich mit Vedat um das leibliche Wohl. Highlight des Abends: Rinderfilets, auf heißen Steinen gebraten. »Das Leben ist schön!«, flüstert Janne später leise in der Dunkelheit unseres Zelts. Plötzlich ist es taghell. Hey, mach’ das Licht aus! Dann, fast gleichzeitig, ein lautes Krachen! – Senkrecht und völlig verdattert sitze ich im Schlafsack. Schon wieder eine Serie zuckender Blitze, unmittelbar gefolgt von einem ohrenbetäubenden dumpfen Rumpeln. Das Gewitter ist direkt über uns. Gefühlte Stunden vergehen im Discolicht mit Techno-Beat. Vedat schläft im Freien, er hat nur eine Baumarktplane über sich gespannt. Aber er ist ein großer Junge. Stunden später stecken wir unsere Köpfe mit verquollenen Augen aus dem Zelt in den Nieselregen. Für das Frühstück hat Vedat einen Unterstand aus seiner Plane, zwei Paddeln und Abspannungen errichtet. »Wir müssen uns ein bisschen beeilen, der Wind legt stündlich zu«, ist die höfliche Ansage, bitte endlich aus dem Quark zu kommen. Weiße Schaumkronen draußen auf dem Wasser sind eindeutige Indikatoren: Starkwind – auch wenn sich die Sonne langsam durch die Wolken drängt. Bereits in der Bucht geht es ganz gut zur Sache. Kreuzseen lassen unsere Bötchen schlingernd tanzen. Die Wellen prallen von der Steilküste ab, treffen im 90-Grad-Winkel auf die
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anderen Wellen und sorgen für ungemütlichen Seegang. Letzte Sicherheitsanweisungen. Nach der nächsten Felsnase wird die Dünung gleichmäßiger – aber auch deutlich höher. Viereinhalb Meter, schätzt Vedat. Wie ein Longboard hebt uns die mächtige Dünung ein ums andere Mal hinten an, wir geben mit zwei, drei schnellen Schlägen Gas, und dann geht die Post ab. Surfing in Turkey!
Futter für die Fische Plötzlich ein schriller Pfiff. Wir blicken uns um, nehmen Fahrt raus. Einige Wellenkämme entfernt ist Vedat direkt bei Jürg und Susanne. Alle sitzen noch im Boot: Erleichterung! Doch entweder studieren die beiden gleichzeitig akribisch Seekarten oder sie beten (was mich bei dem Wellengang nicht wundern würde). Als wir näherkommen, erübrigt die Gesichtsfarbe der beiden jede Erklärung. Wer einmal richtig seekrank war, weiß, das ist ein desaströser Zustand, in dem gar nichts mehr geht. Wie bei einem liegengebliebenen Auto hakt Vedat ein Seil ein und schleppt die beiden geschlagene drei Stunden durch die Wellenberge ab. Chapeau! Für Janne und mich bleibt es ein herrlicher Tag, für die Fische in unserem Dunstkreis vermutlich auch ... Die Bucht von Sarigerme zähmt das Meer etwas. Kurz vor der Mündung des Dalaman-Flusses landen wir an. Tagwerk erledigt. Für eine Nacht bleiben wir in einem Hotel, duschen uns das Salzwasser ab und hoffen auf gnädigeres Wetter für Jürg und Susanne. Bei Kaiserwetter und mäßigem Wind passieren wir tags darauf nach dem ersten Kap verlockende Badebuchten. Vedat ignoriert unsere flehenden Blicke mit dem
Dalyan: Ein Stück Kultur. Paddeln, wo der Muezzin ruft.
Hinweis, dass wir in seiner Lieblingsbucht Mittag machen werden. Was wir vorfinden, ist an maritimer Idylle kaum zu überbieten. Another day in paradise! »Kap der letzten Hoffnung« heißt der markante, schroffe Felsarm, an dem wir in die Bucht von Fethiye und Göcek einbiegen. Im warmen Spätnachmittagslicht türmen sich hinter dem dunkelblauen Wasser der Ägäis im Südosten die Baba-Berge und dahinter das mächtige Akdaglar-Gebirge mit seinen zum Teil schneebedeckten 3000er-Gipfeln wie uneinnehmbare Festungen auf. Zwischen den unwirtlichen Felszacken laden zahllose Ministrände wie türkisfarbene Zahnlücken zum Spontanbaden ein. Eine tief eingeschnittene Bucht mit Blick auf das noch weit entfernt liegende Fethiye wird unsere letzte Lagerstätte auf diesem Trip sein. Die Zeltplätze sind ebenmäßig wie Putting-Greens auf Golfplätzen. Ein kleiner Pfad führt in Serpentinen die Steilhänge hinauf. Der Duft, den diese uralten Pinien- und Olivenwälder verströmen, atmet sich wie Weihrauch. Auf dem Bergrücken wehren sich einige antike Ruinen gegen die Übernahme durch die Flora und den Zahn der Zeit. Stellt man sich vor, wie diese gigantischen, akkurat gemetzten Steinblöcke einst zu prächtigen Bauwerken errichtet wurden, kann man die Strapazen der Arbeiter nur erahnen.
Im Windkanal Bevor wir am nächsten Morgen die Steilwände als Windblocker verlassen, können wir Jungs unserem Spieltrieb nicht widerstehen. Die Gesteinsschichten sind wie Pfannkuchen so übereinandergelegt, dass man die senkrechten Wände einfach hochklettern und von oben wie vom Zehn-
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Passion – made in Sweden
Entspannung: In den heißen Quellen von Sultanjye werden die Schultern wieder locker.
Meter-Brett einbomben kann. Mit den Spritzdecken sehen wir dabei aus wie unförmige Primaballerinen, nur dass die »Schwäne« hier wirklich eintauchen.Wir umschiffen das letzte schützende Kap. Reichlich Schaumkronen schmücken die gepeitschte Wasseroberfläche und kündigen an, was ich Janne nach vorne rufe: »Jetzt gibt’s was auf die Fresse!« Das ist zwar eine ziemlich saloppe, aber sehr präzise Beschreibung dessen, was uns in den kommenden Stunden widerfährt. Der Nordostwind bläst volle Kanne aus der Richtung, in die wir heute müssen: Göcek. Paddeln bei Gegenwind macht ungefähr genauso viel Spaß wie mit dem Rad auf einem Deich gegen die Ausläufer eines Sturmtiefs anzukurbeln. Nach einer halben Stunde dürfen wir Kraft tanken: Am Südufer der Insel Tersane Adasi schlüpfen wir mit den Booten durch einen schmalen Spalt in eine Höhle. Als meine Augen sich an das fahle Licht gewöhnt haben, gibt die Grotte ihr wahres Ausmaß zu erkennen. Ein riesiges Gewölbe mit Tausenden von Fledermäusen schlummert hier, von außen kaum sichtbar. Weiter! Durch den starken Gegenwind ist unsere Zeitplanung ein wenig aus den Fugen geraten. Die Paddel drehen wie Windmühlenflügel im Sturm – und doch kommen wir nur sehr langsam vom Fleck. Manchmal müssen wir unweigerlich lachen, wenn Janne einen Salzwasservollwaschgang abbekommt, aber jede Sekunde des Innehaltens wird sofort mit Rückwärtsfahrt bestraft. In der Dunkelheit erreichen wir schließlich den hell erleuchteten Hafen von Göcek. In Rekordzeit entladen wir die Boote, schlüpfen in warme Kleidung und sitzen mit noch nassen Haaren am Tisch eines gemütlichen Hafenrestaurants. Als ich gerade die letzten Salzwasserreste mit einem überproportionalen Schluck Bier
INFORMATION www.alternatifoutdoor.com: Anbieter von Outdoor-Aktivitäten in der gesamten Türkei www.goturkey.com: offizielles Tourismus-Portal der Türkei
going When indoors is not
on an opti
REGION LYKIEN Als Einstieg für Seekajaktouren empfehlen sich Marmaris, Dalyan oder Köyce˘giz. Die Küstenlinie ist zerklüftet und bergig, aber durchsetzt von zahlreichen Sand- und Kiesbuchten. Zelten ist erlaubt. ANFORDERUNGEN/AUSRÜSTUNG Eher für erfahrene Seekajak-Fahrer oder mit Guide geeignet. Je nach Jahreszeit leichte Wassersport-Bekleidung mit UV-Schutz oder Trockenanzug, Sonnenschutz, Drybags, Zelt, Schlafsack, Matte, Kocher, feste Schuhe, Bekleidung für „Landzeiten“, GPS, Kompass. Anmietung von Booten und Zubehör vor Ort.
• Bis zu 80 % feine Merinowolle • Sehr hohe Isolationsfähigkeit • 60° Wäsche und trocknergeeignet • „Öko-Tex 100“-zertifiziert
KARTEN Imray Seekartenblatt G36, Marmaris to Geyikova Adasi, Maßstab 1:200.000, EUR 24,50 www.openseamap.org, kostenlose digitale Karten für GPS, PC & Smartphone
herunterspüle, tippt mich Vedat grinsend an. »Und das Beste ist, wir haben keinen einzigen anderen Paddler gesehen, ich muss also nicht in den Ruhestand gehen.« Text: Moritz Becher Fotos: Moritz Becher, Jurg Büschor
www.WOOLPOWER.de
Scandic Outdoor GmbH · Zum Sportplatz 4 D-21220 Seevetal · Tel.: 04105 / 6813-0 www.SCANDIC.de
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Erlebt: Hunde-Hütten-Trekking im Karwendel
AM RANDE DER EINSAMKEIT Die Seitentäler des Karwendelgebirges zählen zu den wildesten Flecken in den Nordalpen – und das nur ein paar Kilometer Luftlinie vom Trubel Innsbrucks entfernt. Ein Naturerlebnis auf abenteuerlichen Pfaden. Und ein tierisches Vergnügen mit einem vierbeinigen Begleiter. Lina hat schon viel erlebt, trotz ihres jungen Alters. Sie kommt zwar aus der Stadt, aber draußen in der freien Natur gefällt es ihr am besten. Die Luft, die Gerüche, Bäume und Wiesen. Auch in den Bergen ist sie schon oft unterwegs gewesen, zusammen mit ihren beiden Mitbewohnern. Vor ein paar Jahren haben Wolfram und Katharina sie schon einmal mit ins Karwendel genommen, bei ihrer »Durchreise« auf dem Weg von München ans Mittelmeer. Jeden Meter sind sie zu Fuß gelaufen, bis nach Venedig. Das Karwendel haben sie damals von Norden nach Süden durchwandert. Es hat ihnen offenbar gefallen, denn die drei sind wieder hierhergekommen und haben Regine und mich eingeladen, sie ein paar Tage zu begleiten. Obwohl das Karwendel von den zwei dominierenden Großstädten Innsbruck und
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München aus hervorragend mit Auto, Bus und Bahn erreichbar ist, schottet sich das Massiv gut gegen urbane Eroberer ab. Der Gebirgsstock ist trotz seiner zentralen Lage wild, archaisch und einsam – zumindest, wenn man die Touristenparkplätze und Seilbahnstationen hinter sich gelassen hat. Abseits der Hauptwege und außerhalb der Hochsaison herrscht eine wunderbare Ruhe. Fußgänger können sich trotzdem immer einer ausreichenden Versorgung mit Kaiserschmarrn sicher sein. Denn das wilde Gebirge ist zwar bereits seit 1928 geschützt, seit über 150 Jahren wird es aber auch alpintouristisch erschlossen. Die Jagdinteressen des Adels trugen schon früh ihren Teil zur Hüttenausstattung bei. Richtig still wird es, sobald der erste Schnee gefallen ist und die ab- und hochgelegenen Hütten geschlossen
sind. Nur kurz ist die Sommersaison, etwa vier Monate, von Juni bis Anfang Oktober. Die restliche Zeit des Jahres bestimmt die Natur, wo‘s langgeht.
Trekking mit Hund und System Trekking, das findet gemeinhin im Sarek, in Patagonien oder in Neuseeland statt. Aber im Karwendel? Doch wie soll man es sonst nennen, wenn man alles dabei hat, das zur Basisausrüstung für autarke Mehrtageswanderungen gehört – Zelt, Schlafsack, Kocher, Trockennahrung? Offiziell ist das Campieren im Alpenpark Karwendel verboten. Auch wir wollen uns daher an den Hütten orientieren. Doch wir müssen uns nach Lina richten. Wenn eine Diva mit im Team ist, bleibt der freie Wille im Rucksack.
ICH LIEBE NATUR
Ich liebe Performance
So weit die Füße tragen: Gut verpackt und mit stabilen Bergschuhen geht sich´s besser durch scharfkantigen Schotter.
In selbigem befinden sich deshalb auch das gesamte Biwakzeug und ein paar Notbiere, um die Zeit abseits der Nachschubkette entlang des Karwendel Höhenwegs bei mentaler Gesundheit durchzustehen. Nicht, dass Lina Hütten nicht mag. Nur ist es schon vorgekommen, dass Wirte nicht ganz klargekommen sind mit ihrer pechschwarzen, gefellten, dreißig Kilogramm schweren Erscheinung, und ihr deshalb einen Schlafplatz im Haus verweigerten. Lina ist nicht Mitglied eines Alpenvereins und hat auf den 14 AV-Hütten im Karwendel daher auch kein Übernachtungsrecht, auf das sie kläffen könnte. Da wir Lina nachts nicht ganz alleine nach draußen verbannen wollen, tragen wir ihr Schicksal mit. Also auch: schweres Gepäck. Der Karwendel Höhenweg führt entlang des südlichsten Höhenzugs, der Nordkette. Die Bezeichnung ist dann logisch, wenn man das Karwendel von Innsbruck aus betrachtet. Die Stadt mit dem Goldenen Dachl ist der Nabel der Tiroler Welt, und so nimmt es nicht wunder, dass von diesem geografischen Selbstverständnis auch Ortsbezeichnungen beeinflusst werden. Wir steigen von Gießenbach, kurz hinter der deutsch-österreichischen Grenze bei Scharnitz, auf zur Nördlinger Hüt-
te auf 2238 Metern Höhe. Sie ist das höchst gelegene Schutzhaus im Karwendel und ein guter Einstand, um sich demütig auf etwas Verzicht vom gewohnten Luxus einzustellen. Wasser ist das Lebenselixier auf jeder Berghütte und chronisch knapp im Karwendel. Der zerklüftete, karstige Kalk absorbiert Regenwasser sofort und entlässt es erst wieder weit unten im Tal. Auf Höhe der Nördlinger Hütte gibt es gar keines. Es gibt auch keinen Strom, dafür eine grandiose Aussicht und das Gefühl, schon ziemlich weit weg zu sein. »Wo wollt ihr hin?« Zum Solsteinhaus. »Mit dem Hund da?« Gäste, die wir auf der Nördlinger Hütte treffen, sind beeindruckt und gleichzeitig skeptisch. Denn der Weiterweg über die Freiungtürme wird als Klettersteig der Schwierigkeit A/B eingestuft und ist laut Hinweistafel nur von »trittsicheren, schwindelfreien und alpin erfahrenen Bergsteigern« zu begehen. Leider kann Lina nicht lesen und prescht ganz unbedarft vorwärts. Wolfi und Katha haben für nicht ganz artgerechtes Gelände vorgesorgt und verpassen ihr ein stabiles Geschirr, mit dem man sie gegen Absturz sichern und nötigenfalls auch komplett hochheben kann. Wobei Linas 30 Kilo selbst Wolfis kräftige Arme in steilerem
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Gegen einen knurrenden Magen: Pause für ´ne Jause am Lafatscher Joch.
Rundumblick auf der Birkkarspitze (2749 m), dem höchsten Gipfel des Karwendels.
Gelände schnell an die Grenzen bringen. Dafür entlastet das Tragegeschirr Herrchen und Frauchen auf allen anderen Etappen: Im daran befestigten Hunderucksack transportiert Lina ihr Essen in Form von mehreren Kilo Trockenfutter samt Fressnapf und Kauknochen selber. Der Freiunger Höhenweg führt in ständigem Auf und Ab vorbei an bizarren Felstürmchen, steilen Schuttwiesen und schroffen Erosionsformen, oft hart am Abgrund entlang und auf grandiose Aussichtsbalkone. Etliche exponierte, steile Stellen sind mit Drahtseilen gesichert. An solchen Passagen gilt die Hauptaufmerksamkeit dann nicht der Landschaft, sondern dem Hund, was den Wander-Flow etwas aus dem Rhythmus bringt.
Kar zum Frau-Hitt-Sattel macht der »Gipfelstürmerweg« seinem Namen nochmals alle Ehre – mit kurzen drahtseilgesicherten Steilstufen. Ein kleiner Gipfelstürmer-Höhepunkt ist direkt am Sattel die Besteigung der Frau Hitt selbst (mit einer kurzen Kletterstelle im dritten Schwierigkeitsgrad). Der Sage nach handelt es sich bei dieser kleinen Felsnadel um eine Riesin, die wegen ihrer gotteslästerlichen Verschwendung von Milch und Brot zu Stein verwandelt wurde. Wer es sportlich mag, kann oben am Grat den Innsbrucker Klettersteig anschließen und bis zur Hafelekarspitze gehen. Lina hat bis dahin schon ihre Geländegängigkeit unter Beweis gestellt, aber dies wäre ihr definitiv eine Nummer zu hart. Deshalb queren wir südseitig drei Kilometer weit hinüber zur Seegrube unterhalb der Hafelekarspitze. Der Kontrast könnte größer kaum sein: Vor Frau Hitt noch Bergeinsamkeit und hier, während der Seilbahnbetriebszeiten, tagestouristischer Massenbetrieb. Erst als die letzte Gondel entschwebt und das gesamte Personal im Tal ist, erkennen wir, wie schön es auch in der Umgebung einer betonierten Skigebietsretorte sein kann. Ein allerletztes Bier finden wir noch im Rucksack und genießen es im betörend roten Licht der Abendsonne, während aus dem dunklen Inntal 1400 Meter tiefer bereits die Lichter der Stadt heraufleuchten. Das einzige Mal während dieser Trekkingtour rollen wir die Schlafsäcke aus und kompensieren damit das dürftige Wildnis-Ambiente hier am Südrand des Karwendels.
Vom Freiunger Höhenweg zum Gipfelstürmer Bis zum Solsteinhaus bewegt man sich trotz aller Wildheit immer noch am Rande der Zivilisation. Rechts bleibt das dicht besiedelte Inntal in Sicht, und es tönen Industrie und die Autobahn herauf. Ab dem Solsteinhaus ändert sich dies. Hinter der Unterkunft – in der Lina übrigens wie auch auf der letzten Hütte mit uns im Zimmer übernachten darf – verschwindet der Weg hinter den Flanken der Nordkette (die sich, wie beschrieben, im Süden befindet). Durch Latschenfelder und an weiten Schuttreißn* vorbei taucht man ein in eine stille Welt, beschattet und seltsam behütet vom Großen und Kleinen Solstein (der Kleine ist der deutlich höhere, wie man sich denken kann). Durch lichte, alte Lärchen- und Fichtenwälder steigt man aus dem Großkristental wieder auf und erreicht nach abwechslungsreichem Gelände mit brüchigen Rinnen, erodierten Pfaden, steilem Schotter und einer kurzen Kletterstelle das weitläufige Frau-Hitt-Kar. Die vielen Gämsen sind ein Grund mehr, Linas lange Leine fester in die Hand zu nehmen. Im extrem scharfen Schotter des Kars hätte sie gegen das »behufte Fastfood« kaum eine Chance. Den Gämsen ist dies offenbar klar, sie äsen unbeeindruckt weiter. Da wir weder Lust auf verstörte Gämsen und Ärger im Revier noch auf blutige Hundefüße haben, muss Lina auf ihr schönstes Spiel verzichten. Beim Ausstieg aus dem
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Von Hitt zu Hütt´, vom Weg zum Steig Viele Wegabschnitte im Karwendel haben eigene Bezeichnungen. Der folgende Tag hält gleich eine ganze Anzahl von Wegnamen parat: Durchgängig wandern wir über den »Adlerweg«, vom Gleirschjöchl bis zur Pfeishütte gleichzeitig auf dem »Goetheweg«, dem wohl bekanntesten und auch bevölkertsten Wandersteig des südlichen Karwendels. Kurz hinter der Mannlscharte teilen sich die Wandergruppen wieder: Während die einen zurück ins Inntal wandern, steht uns wieder die typische Einsamkeit der Karwendelkare bevor, dies-
mal auf dem Hermann-Buhl-Weg (und nach wie vor gleichzeitig Adlerweg). Die Pfeishütte ist ein zentraler Anlaufpunkt für alle hungrigen und durstigen Wandersleut‘ und mit den neuen, jungen Pächtern hat hier ein eigener Stil Einzug gehalten: mit modernen Angeboten, einem stilvollen Ambiente und einem rustikalen Hüttenerlebnis. Wir fühlen uns sofort wohl, was sicher auch am Schatten spendenden Sonnenschirm liegt. Zwischen der Pfeis und dem Hallerangerhaus, unserer letzten Station, bevor wir durch das Vomper Loch hindurchschlüpfen und dem Karwendel »Pfiadi«** sagen wollen, liegen noch einmal drei Sonnenstunden und 300 Höhenmeter hinauf zum Stempeljoch. Hinter dem Joch schließt sich der Wilde-Bande-Steig an. Der Pfad bricht jäh 200 Meter tief in die »Stempelreißn« ab, nur notdürftig gesichert mit Brettern und verbogenen, rostigen Verankerungen, die in dem losen Bruch kaum ihren Zweck erfüllen. Ein Härtetest für die Reibungshaftung der Schuhsohlen und unseren Gleichgewichtssinn, während Lina in diesem Terrain dank «Vierradantrieb» keine Probleme hat. Ihr macht der Schotter auf andere Art zu schaffen. Nach mehreren Tagen Dauerbelastung in durchweg steinigem Gelände sind ihre Pfoten wund, obwohl die fürsorgliche Katha ihr immer wieder Vibram-besohlte Hundebergschuhe aufzwingt. Damit geht natürlich die Sensibilität für den Untergrund verloren, was Lina gar nicht gefällt. Bei jeder Pause versucht sie, die Dinger wieder loszuwerden. Die steile, vogelwilde Schuttflanke und das gigantische Kar am Ende des Halltals wird im Norden vom Lafatscher und der Speckkarspitze begrenzt, die ebenso wie der benachbarte Bettelwurf zu den höchsten Karwendelgipfeln gehören. Hangparallel entlang der Riesenreißn leitet der schmale Steig, unterbrochen von Wasserrunsen und der ein oder anderen Felsstufe, zum Lafatscher Joch. Der »Durchschlag« führt schließlich hinüber ins Hinterautal und in den Halleranger. Ein neues Tal, ein neues Glück: Was folgt, ist ein weiterer Höhepunkt unserer Wanderung. Die Nordwände von Lafatscher und Speckkarspitze (vor allem deren westliche Ausläufer) sind – neben den berühmten Lalidererwänden – das Zentrum der alpinen Kletterei im
INFORMATION www.karwendel.org: reichhaltige Informationen über den Alpenpark Karwendel ?????? www.hoehenweg-karwendelwest.at: Etappenbeschreibungen auf einer variierenden Route
Karwendel. Die Wände sind zwar nicht einmal halb so hoch wie die Paradeseite über dem Großen Ahornboden, aber sehr steil und kompakt. Und vor allem sind sie arm an legendärem Karwendler Bruch, welcher in Bergsteigerkreisen regelmäßig Bestandteil wilder Heldengeschichten ist. Die Nordwand des Kleinen Lafatscher wirkt wie mit dem Messer aus einem Streuselkuchen herausgeschnitten, und die Schnittelwände sehen genauso aus, wie sie heißen. An dieser Kulisse vorbei führt der Weg zum Hallerangerhaus.
Komfortable Geheimzahl Statt im Zelt beziehen wir erneut in der Hütte Quartier, die Wirtsleute des Hallerangerhauses haben selbst ein paar Hunde und zeigen entsprechend Verständnis für Lina. Platz gibt‘s genug. Außer zwei Kletterern und einem Venedig-Wanderer sind wir die einzigen Gäste, was sicherlich an der Wettervorhersage liegt, die wir zwar seit zwei Tagen kennen, aber bis jetzt geflissentlich ignoriert haben. Doch spätestens jetzt, am Vorabend des angekündigten Infernos mit heftigen Niederschlägen, Überschwemmungsgefahr und Schneefall ab 1200 Meter, müssen wir uns wohl damit auseinandersetzen. Der fast 20 Kilometer lange Weg durch das Vomper Loch, ein enges und wildes Tal hinaus bis ins Inntal, ist keine so gute Idee. Die Hüttenwirte raten uns nachdrücklich ab. Es fällt nicht schwer, uns mit der Alternative für den nächsten Tag anzufreunden: Vom Haus zieht sich das Hinterautal direkt nach Westen. Nach einer knappen Stunde bergab erreicht man die Kastenalm. Von dieser wiederum führt ein geschotterter Forstweg 14 Kilometer weit nach Scharnitz, immer entlang der Isar, die unweit des Hallerangerhauses entspringt. Über die Geheimzahl 004352135363 lässt sich dieser landschaftlich zwar eindrückliche, aber ermüdend flache, stundenlange Fußmarsch in eine halbstündige Taxifahrt verwandeln. Schafkopfend*** sitzen wir bei bester Laune in der guten Stube, bis uns der Wirt auf unsere Zimmer komplimentiert. Text und Fotos: Joachim Stark
REGION KARWENDEL Fast das gesamte Karwendel ist als sogenannter Alpenpark ausgewiesen, der sich über eine Fläche von 920 Quadratkilometern erstreckt. Den Kern bildet ein 543 Quadratkilometer großes, bayerisch-tirolerisches Naturschutzgebiet. Es gibt nur sehr wenige öffentlich befahrbare Straßen. Am weitesten ins Karwendel hinein führt die Mautstraße von Norden durchs Rißtal in die Eng. Tiefer hinein kommt man nur zu Fuß oder mit dem Mountainbike. Wanderwege gibt es viele, auch einige bekannte Weitwanderwege wie der Tiroler Adlerweg, der »Traumpfad München-Venedig« und die Via Alpina führen durch das Karwendel hindurch. ANFORDERUNGEN/AUSRÜSTUNG Je nach Routenwahl, Trittsicherheit und Ausdauer reicht normale Bergwanderausrüstung: gut profilierte Schuhe, Rucksack, Regenjacke, Mütze, Handschuhe, Sonnencreme, Sonnenbrille, Wasserflasche (es gibt sehr wenig Wasser unterwegs!), Hüttenschlafsack, Stöcke. Für Unerfahrene empfiehlt sich für den Freiunger Höhenweg ein Klettersteigset. Auf dem Innsbrucker Klettersteig ist ein Klettersteigset auf jeden Fall erforderlich (mit Hund nicht ratsam). UNTERKÜNFTE (von West nach Ost; mit Hund nur nach Voranmeldung, die ohnehin zu empfehlen ist) Nördlinger Hütte: ab Gießenbach durch die Gießenbachklamm, vor der Eppzirler Alm zum Ursprungpass abbiegen; ca. 5 Std., Tel. +43 (0) 664 1633861, www.noerdlingerhuette.at Solsteinhaus: über Freiunger Höhenweg; ca. 5 Std. (Achtung, leichter Klettersteig, mit Hund mehr Zeit einplanen), Tel. +43 (0) 664 3336531, www.solsteinhaus.com Höttinger Alm: auf der Seegrube keine Übernachtung möglich, statt dessen auf der Höttinger Alm (ca. 1 Std. von der Seegrube, ca. 5 Std. vom Solsteinhaus), Tel. +43 (0) 676 3056228, www.hoettingeralm.at Hallerangerhaus: ca. 6 Std. von der Seegrube, Tel. +41 (0) 664 8937583, www.hallerangerhaus.at
* »Reißn« nennt man die steilen Schuttkegel unterhalb der Felswände. Je brüchiger der Fels einer Wand ist, desto größer ist die Reißn darunter. Und das Karwendel ist nicht gerade wegen seines festen Gesteins bekannt. **»Pfiadi« ist ein Abschiedsgruß im bayrisch-österreichischen Sprachraum ***»Schafkopf« ist das bayerische Nationalkartenspiel, ähnlich dem Skat, aber mit vier Spielern.
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RAUSZEIT Sommer 2013
Erlebt: Lofoten per Fahrrad
DIE MAGIE DES LICHTES Bunte Fischerhütten, schroffe Felsmassive wie in den Alpen und traumhafte Sandstrände wie in der Karibik. So richtig intensiv lässt sich der landschaftliche Zauber der Inselgruppe im hohen Norden Norwegens am besten per Fahrrad erleben – gutes Wetter vorausgesetzt. »Noch nie habe ich so klare Farben gesehen! Die weißen Schneefelder an den blauen Bergen und das Grün so saftig. In leuchtenden Flecken und Strahlen erscheint das Spiegelbild im stillen Fjord. Es ist ein Bild einer Märchen-Phantasie; hier muss der Ort sein, wo die Prinzessin verzaubert wurde.« So beschrieb der Künstler Theodor Kittelsen, im 19. Jahrhundert die »Luchsfüße«, wie die Lofoten auf Deutsch übersetzt heißen. Auch heute haben die Inseln nichts von ihrer Faszination verloren und ziehen Berg- und OutdoorEnthusiasten in ihren Bann. Zusammen mit einem Freund hat Reinhard Pantke die Inseln mit dem Fahrrad erkundet. Radfahren in Norwegen – da kommen einem erst einmal die nicht enden wollenden Gebirgspässe des
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Fjordlandes in den Sinn. Doch auf den Lofoten im hohen Norden ist das anders. Hier hat man zwar viele schroffe und unzugängliche Berge stets im Blick, aber die Straßen führen zahm auf schmalen Terrassen zwischen Bergen und Meer hindurch.
Der südliche Zeh der Luchsfüße Mit einer wundervollen Aussicht auf die zackigen Felsmassive führt die Fähre vom Festland hinüber nach Moskenes nahe der Südspitze der Lofoten. Direkt neben dem Ort ragen von den Eiszeiten vergessene, dunkle, bizarre Berggipfel fast senkrecht teils über 1000 Meter aus dem Meer. Dramatischer und wilder geht es kaum. Auf den ersten Kilometern kommen wir nur langsam voran, da
wir immer wieder anhalten und die Speicherkarten im Fotoapparat glühen lassen. Das Å markiert nicht nur den letzten Buchstaben im norwegischen Alphabet, sondern auch den letzten, auf einer Straße erreichbaren südlichsten Ort der Lofoten. Vögel nisten in den Fensterbänken der Rorbuer, der typischen bunten Fischerhütten, oder in Winkeln der teils leerstehenden Fischfabriken. Ein Muss ist hier der Besuch des einzigen norwegischen Trockenfisch-Museums. Das kleine Museum stellt in lebendiger Form die Lebensgrundlage der Einwohner vor und wird von einem ehemaligen Trockenfisch-Händler gemanagt, der die Besucher in mindestens sechs verschiedenen Sprachen freundlich begrüßt. Langsam radeln wir nach Reine, einem Ort, der sogar schon in Legoland nachgebaut worden ist. Rote
THE ORIGINAL MOJITO
Karibische Sandstrände mit arktischen Wassertemperaturen.
Holzbauten klammern sich an das nackte Gestein. Die hölzernen Gestelle, die sie gegen das Meer abstützen, wirken wie Spinnenbeine – eine perfekte Symbiose vom Leben an Land und im Meer. Daneben reihen sich auf den wenigen freien Plätzen hohe Holzgestelle aneinander, an denen zwischen Februar und Mai seit Generationen Fische zum Trocknen hängen. Fast ein Jahrtausend lang bestimmten der Zug der Dorsche und der Lofotfischfang hier das Leben. Von der Barentssee schwimmen die ausgewachsenen Kabeljaue in Richtung Lofoten, wo Jahrhunderte lang Scharen von Fischern auf sie warteten. Ende des 19. Jahrhunderts fischten über 30.000 Fischer mit von Hand ausgelegten Leinen und Netzen über 100.000 Tonnen Kabeljau. In den 80er-Jahren war das Meer in dieser Region stark überfischt. Mittlerweile haben sich die Fischbestände wieder erholt. Viele Fischer haben jedoch auf vollautomatisierte Aquafarmen umgestellt, die man immer wieder in geschützten Buchten sehen kann.
Wohnen in der Fischerhütte Die alten, rustikalen, meist roten Rorbuerhütten, in denen früher während der Fangzeit die Fischer wohnten, dienen heute vielfach als Unterkünfte für Touristen und sind ein perfekter Platz, um die Seele baumeln zu lassen. Glatt geschliffene Berge, für jeden Bergsteiger eine Herausforderung, bieten ein einzigartiges Panorama. Auf einem schmalen Sims, den man in den Fels gesprengt hat, radeln wir etwa 30 Kilometer nach Ramberg und kommen kaum voran, da die Aussichten atemberaubend sind. Direkt neben uns fallen aus schwindelerregenden Höhen Wasserfälle steil hinunter.
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RAUSZEIT Sommer 2013
Tradition: der beschauliche Fischereiort Henningsvaer.
Ramberg liegt an der zum Meer hin offenen Westseite der Inselgruppe – nicht nur für die 300 Einwohner ein kleines Paradies. Ein zwei Kilometer langer Traumstrand zieht sich an der Küste entlang. Im Sommer funkelt gen Westen das Meer in der Mitternachtssonne. Wenn das Wetter passt, herrscht hier trotz des kalten Wassers Beachlife. Schon mehrmals fanden in Ramberg die norwegischen Surfmeisterschaften statt. Der Ort ist eines der wenigen Dörfer an der Westseite der Lofoten, die noch bewohnt sind. Landesweit bekannt wurde er vor Jahren auch, als 99 Prozent der Bewohner aus Sorge um die Fischereigründe gegen einen Beitritt Norwegens in die EU stimmten. Heute würde das Ergebnis wohl anders aussehen. Die Fischerei hat längst nicht mehr die dominierende Bedeutung. Stattdessen setzt das Örtchen immer mehr auf Tourismus. Kein Wunder, Ramberg ist Ausgangspunkt für viele Wanderungen, und an warmen Tagen lässt es sich am Strand prima aushalten. Am nächsten Tag radeln wir am glasklaren Wasser des Flakstadpollen entlang nordwärts. Am Wegesrand steht die kleine, nach russischen Vorbildern erbaute Kirche von Flakstad. Der Legende nach stammt das Holz, das zum Bau der ersten Kirche auf den Lofoten verwendet worden war, von einem russischen Schiff. Auf dem kleinen Friedhof daneben finden sich an den Gräbern mehrheitlich Inschriften von Frauennamen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Viele Männer blieben damals draußen auf dem Meer – verschollen in den dunklen Fluten des Atlantiks. Ein spektakulärer Weg führt von der Hauptstraße zwischen hohen Bergen hinunter nach Nusfjord. Das Fischerdorf ist einer der wenigen Plätze in Norwegen, die auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes stehen. Der kleine Ort war zeitweilig Wohnsitz Tausender Fischer und ist fast unverändert erhalten. Heute leben nur noch wenige Menschen in Nusfjord.
1,5 Kilometer unter Wasser Wir radeln zurück zur Hauptstraße E 10, die bald zu einer kleinen Mutprobe führt: Vor uns »taucht« der ca. 1,5 Kilometer lange Nappstraum-Tunnel unter dem
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Radfahren ohne große Steigungen vor atemberaubender Kulisse.
Fjord ab. Er bringt uns auf die andere Seite nach Leknes. Auch wenn die unterirdische Röhre gut beleuchtet und belüftet ist und es einen Seitenstreifen für Fahrradfahrer und Fußgänger gibt, werden geräuschempfindliche Naturen es vorziehen, per Linienbus hindurchzufahren. Vor ein paar Jahren noch bekam man im Tunnel neben den Autos auch das Wasserrauschen zu hören. Jede Stunde wurden vom tiefsten Punkt einige Tausend Liter Wasser »abgepumpt«. Alternativ fährt im Sommer ein Fischerboot von Nusfjord hinüber nach Leknes. Doch Vorsicht, bei viel Wind ist die Fahrt nichts für schwache Mägen und das »Fischefüttern« oft inklusive! Zwei meiner persönlichen Lieblingsplätze erreichen wir mit einem kurzen Abstecher zu den Stränden und Buchten von Haukaland und Utakleiv. Zunächst radeln wir zwischen den schroffen Bergen über eine kleine Anhöhe, von der aus der Blick auf den weit geschwungenen, feinsandigen Traumstrand von Haukaland fällt. Hier wurden sogar schon Werbespots für Duschprodukte gedreht! Die weißen Strände lassen an warmen Sommertagen »Karibik-Feeling« aufkommen. In südlichen Gefilden würden an einem solchen Platz vermutlich Hotelburgen und Restaurants stehen: Hier jedoch gibt es nur an guten Sommertagen einen geöffneten Imbisswagen. Am offenen Meer entlang pedalieren wir auf einem alten Fahrweg, der heute Fahrradfahrern und Wanderern vorbehalten ist, nach Utakleiv. Der schmale Schotterweg wird gesäumt von haushohen Gesteinsblöcken, die der Frost in der kalten Jahreszeit immer wieder von den umliegenden steilen Felswänden heruntersprengt. Es ist noch immer wolkenlos. Ein Stück weiter erreichen wir einen Strand mit haushohen Findlingen. Dort ist auch ein kleiner, einfacher Campingplatz mit WC und Wasserhahn. Fasziniert beobachte ich am Strand, wie sich die Wellen an den Steinen brechen. Für Augenblicke formen sie Fantasie-Gebilde im Schein der Mitternachtssonne. Nur ein paar Schafe blöken in der Ferne. Als ich nach Stunden zum Zelt zurückkehre, stelle ich verwundert fest, dass es schon zwei Uhr morgens ist. Längst ist die Zeit auf dieser Tour zur Nebensache geworden. Wie sagte mir einmal ein Maler: »Hier kannst Du im Sommer richtig frei sein ...«
Baden nördlich des Polarkreises Am nächsten Tag zeigt das Thermometer über 20 Grad an. Ich muss mir immer wieder klarmachen, wie weit nördlich wir unterwegs sind. An der Abzweigung nach Henningsvær liegt ein traumhafter, weißer Sandstrand: glasklares Wasser und die wohl beste Chance, nördlich des Polarkreises ins Wasser zu steigen. Bei Windstille kommen fast mediterrane Gefühle auf. Aber jeder, der mal einen Zeh in das Wasser gehalten hat, wird schnell wieder in die nordische Realität zurückgeholt – die Wassertemperatur übersteigt wohl selbst hier an der geschützten, seichten Innenseite der Inselgruppe kaum die 15 Grad. Während die Norweger sich ohne Zögern in die Fluten stürzen, stehen wir wärmeverwöhnten Deutschen erst nur bis zu den Knien im Wasser, um es dann mit großem Gebrüll den Norwegern gleichzutun. Auch die folgenden acht Kilometer nach Henningsvær sind spektakulär: Die schmale Straße windet sich zwischen Felsblöcken hindurch, vorbei an stillen Buchten mit beinahe durchsichtig klarem Wasser, das mal verlockend blau, mal grün in der Sonne blitzt. Paddler ziehen durch das Wasser, und direkt neben der Straße erproben Kletterer ihr Geschick an den senkrechten Granitwänden. In Henningsvær hat die nordnorwegische Kletterschule ihren Sitz. Der sich über mehrere Felsinseln erstreckende Fischerort wird auch als das »Venedig des Nordens« bezeichnet. Vor dem Hintergrund der hohen Berge breitet sich ein bunter Ort mit familiären Fischereibetrieben, Booten, Cafés und vielfältigen Kunstgalerien aus. Im kleinen Hafen liegen Fischerboote Seite an Seite mit großen Segelyachten und Ausflugsbooten. Und wer an einem sonnigen Sommerabend in einem der Cafés in die Mitternachtssonne blinzelt, wird kaum das Vorurteil vom kalten und düsteren Norwegen bestätigen können.
Imposante Naturgewalten Im Ort gibt es einige Galerien, wie zum Beispiel die des Malers Erik Harr, der imposante Einblicke in die Naturgewalten der Lofoten gibt. Bevor wir wieder zur Hauptstraße zurückradeln, statten wir dem »Fiskekro-
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BEWEGUNGSFREIHEIT
REISEZEIT Die Lofoten sind zu allen Jahreszeiten interessant: im Winter, wenn die Nordlichter am Himmel spuken und die Fische zum Trocknen auf den Holzgestellen hängen, sowie im Sommer, wenn die Sonne für Wochen nicht versinkt. Wer auf feste Unterkünfte angewiesen ist, sollte in der Zeit von Ende Juni bis Mitte August Übernachtungsplätze in Hotels, Campinghütten oder Rorbuer rechtzeitig reservieren. Die zweite Augusthälfte bietet für Radfahrer meist stabileres Wetter und etwas mehr Ruhe als während der Hauptreisezeit. ETAPPEN UND AUSRÜSTUNG Moskenes – Å – Ramberg – Å: 43 Kilometer. Ramberg – Nusfjord – Utakleiv: 53 Kilometer. Utakleiv – Leknes – Stamsund: 45 Kilometer. Stamsund – Henningsvær: 62 Kilometer. Henningsvær – Svolvær: 30 Kilometer. Die insgesamt 233 Kilometer sind vollständig asphaltiert (bis auf wenige Kilometer um Utakleiv). Der längste Anstieg führt auf 120 Meter über Null. Wind kann auch im Sommer zum Problem werden. Gute Regenbekleidung und ein stabiles Zelt sind ein Muss. Durchschnittliche Kondition und ein Tourenrad mit sieben Gängen reichen aus. ANREISE Mit der Fähre von Kiel nach Oslo. Per Zug von Oslo nach Bodø. Weiter mit der Autofähre nach Moskenes im Süden oder mit dem Schnellboot nach Svolvær. Fahrräder werden in den meisten norwegischen Zügen mitgenommen. Die Anreise über Schweden ist mit dem Fahrrad sehr schwierig, da in schwedischen Zügen meistens keine Fahrräder befördert werden. UNTERKÜNFTE Der Standard auf Campingplätzen ist allgemein sehr hoch. Wildes Zelten ist zwar nicht grundsätzlich verboten, wird aber nicht gerne gesehen. Tipp: nur in der Nebensaison, wenn die Touristenströme weg sind. BÜCHER UND KARTEN »Lofoten selbst entdecken« Reiseführer von Michael Möbius und Annette Ster; Lofoten Touristische topografische Wanderkarte, 1:100.000, auch zum Radfahren geeignet, ISBN-10: 3931099237.
gen« einen Besuch ab, dem bekanntesten Fisch-Restaurant auf den Lofoten. Um das Vergnügen nicht zu schmälern, verzichten wir darauf, den Preis in Euro umzurechnen. Nach dem Mahl gönnen wir uns ein Bier am Hafen. Jetzt zur Happy Hour kostet es »nur« acht Euro. Zwölf Stunden später. Der letzte Radtag auf den Lofoten bricht an. Gemächlich kurbeln wir zunächst 30 Kilometer nach Svolvær. Schöner ist das ein paar Kilometer weiter westlich gelegene, beschauliche und etwas verschlafen wirkende alte Inselhauptstädtchen Kabelvåg. Am Nachmittag bringt uns das Schnellboot nach Bodø am Festland. Langsam wird die spektakuläre Bergkulisse der Luchsfüße kleiner. Nochmals radeln wir in Gedanken zwischen glasklaren Buchten und riesigen, steilen Felszähnen hindurch. Gleichzeitig freuen wir uns auf die nächsten Kilometer und Tage, die auf der Küstenstraße 17 nach Süden führen. Doch das ist eine andere Geschichte. Text und Fotos: Reinhard Pantke
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EinBlick: SCARPA
LA FAMIGLIA Die norditalienische Region Montebelluna ist das Mekka der Berg- und Skischuh-Produzenten: Weil nichts über das technische Know-how und die Handwerkskunst der alteingesessenen Sportschuster geht, haben die Firmen bisher den Verlockungen widerstanden, billig im Ausland zu produzieren. Bei der Traditionsmarke Scarpa verlässt man sich zudem auf eine weitere große Stärke: die Familienbande. Der »Presidente« ist eher ein nachdenklicher Typ. Kein lauter Marktschreier, kein Hansdampf. Dazu lastet die Verantwortung zu schwer auf seinen Schultern. Sandro Parisotto, Jeans und Kaschmirpulli, die Brille etwas schief im Gesicht, hat viel erreicht in seinem Leben. Er hat das Erbe der Familie weitergeführt, den Erfolg der alten Herren sogar noch übertroffen. Wobei, was heißt übertroffen? Multipliziert hat er ihn, auch wenn er das nie so reißerisch formulieren würde. Unter seiner Leitung wandelte sich eine kleine Firma, die wegen ihrer Qualität bekannt war, in eine, die geliebt wird und für manche gar ein Lebensgefühl repräsentiert. Weil ihre Produkte viel aushalten, weil sie bequem sind, weil sie auch noch schön anzuschauen sind. Dass das so bleibt, ist der Presidente seinem Vater schuldig, der ihm Anfang der Achtziger einen Job in der Firma gab, als Parisotto gerade Abitur und Wehrdienst hinter sich hatte. Und nicht nur dem Vater. Auch den Onkeln, den Cousins und Cousinen. Und auch den Familien aus der Stadt, die teilweise schon in der dritten Generation für die Firma der Parisottos arbeiten: Scarpa, Spezialist für alle erdenklichen Arten von Schuhen, mit denen sich Berge besteigen lassen, seit 1938 ansässig in Asolo, Norditalien, Provinz Treviso. Das Städtchen ruht ziemlich genau auf dem ersten Hügel, der sich aus dem Schwemmland der großen Flüsse erhebt. Hier beginnen die Alpen, sie schwingen sich sanft hinter Asolo auf, fast wie eine Dünenland-
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schaft. Aus den Bergen kamen früher die Bewohner der Dörfer in die Stadt, um ihre Waren zu verkaufen. Im Gegenzug nahmen sie das mit, was es in den Bergen nicht gab: Werkzeug, Kleider, Schuhe. Dann kamen die ersten Touristen. Einige blieben länger, Adelige zumeist. Auch Rupert Edward Cecil Lee Guinness, der zweite Earl von Iveagh, hatte in Asolo Besitz. Ein umtriebiger Mann: Daheim in Irland war er Politiker und Wissenschaftler. Er brachte das berühmte Buch der Rekorde auf den Weg, um die nicht minder berühmte familieneigene Brauerei zu bewerben. Bei einem Aufenthalt in Asolo kam er nicht darüber hinweg, dass die Schuhmacher des Städtchens so großartige handwerkliche Fähigkeiten besaßen, aber nur begrenzten wirtschaftlichen Nutzen aus ihnen zogen. Guinness sprach mit dem Pfarrer, sprach mit dem Bürgermeister. Zu dritt gründeten sie eine Firma, um den Schustern Arbeit zu geben. Der Earl dachte sich ein Akronym für den Betrieb aus: SCARPA, das stand für »Società Calzaturieri Asolani Riuniti Pedemontana Anonima«, in etwa »Gesellschaft der Schuhmacher der Bergregion Asolo«. Oder eben für »scarpa«, das italienische Wort für Schuh.
Beste italienische Schuhmacherkunst Wenn der Presidente heute durch die moderne Fertigungsstätte führt, die seit 1996 in einem Neubau zu
Füßen der Stadt residiert, erinnert auf den ersten Blick nichts mehr an die alten Zeiten, in denen die Mitarbeiter unter der Leitung von Guinness 20 Paar Schuhe am Tag herstellten. In drei Reihen wird heute produziert, »rechts Berg- und Trekking-Schuhe, in der Mitte Kletterschuhe, links Stiefel für Skitourengeher und Telemarkfahrer«, erklärt Parisotto. Computer- und lasergestützte Systeme stechen Einzelteile so aus den großen Lederhäuten aus, dass möglichst wenig von dem wertvollen Rohstoff übrig bleibt. Schwere Maschinen pressen Kletterschuhe auf mit Kissen gepolsterte Ambosse, um aus der Verbindung zwischen Gummi, Kleber und Sohle eine langfristige zu machen. Und drüben, ein paar Hausnummern weiter, schießt im alten Firmensitz heißer Pebax-Kunststoff aus Spritzdüsen, um in Metallformen zu Schalen für Skischuhe zu härten. Beeindruckt von all diesen Apparaten übersieht man jedoch schnell das, was Scarpa zu Guinness-Zeiten ausgemacht hat und auch heute noch ausmacht: die Mitarbeiter, die in Handarbeit Lederteile vernähen, die millimetergenau Gummilappen kleben, die bis zu 120 Einzelteile zu einem Schuh zusammenfügen. Präzisionsarbeit, wenn auch tausendfach jeden Tag ausgeführt, denn mittlerweile verlassen eine halbe Million Paar jedes Jahr das Werk. Trotzdem wird jeder Handgriff mit Liebe ausgeführt. Berg-, Kletter- und Skischuhe müssen besonderen Belastungen widerstehen,
FOTO Till Gottbrath
»diese Qualität kann man nicht in Fernost produzieren lassen«, sagt Sandro Parisotto. »Wir sind auf die Expertise unserer 180 Leute hier angewiesen.« Fast die gesamte Bekleidungsbranche ist mittlerweile in Billiglohnländer wie China, Pakistan oder Bangladesch abgewandert. Selbst Scarpa lässt einige Schuhe aus dem Straßen- und Lifestyle-Segment in Osteuropa fertigen, seit Beginn dieses Jahres auch in Asien. Wenn es aber um das Kerngeschäft geht, also um Ski- und Bergschuhe, bleiben die Hersteller ihrer angestammten Region treu: Im Raum zwischen Asolo und der nahen Stadt Montebelluna konzentriert sich fast die gesamte Branche. Und selbst hier sticht Scarpa noch einmal heraus. Extrem strapazierfähige Schuhe bauen, das können vielleicht noch ein paar andere. Bei Scarpa kommt jedoch noch etwas dazu: die Passform. Das Erfolgsgeheimnis einer jeden Schuhfirma liegt in den Leisten, also den Fußmodellen, um die herum ein Schuh gebaut wird. Heute lagern bei Scarpa Tausende Plastikleisten in bunten Farben – sie sind jedoch immer noch so genial geformt wie die alten Holzmodelle, die auch noch vorrätig sind. Parisotto kramt etwas in einer Kiste, dann zieht er ein besonderes Modell heraus. »Spezialanfertigung für Walter Bonatti«, sagt Parisotto und lächelt. Die Leisten stammen aus der Zeit nach Bonattis aktiver Bergsteigerkarriere. »Da hatte er große Fußschmerzen« sagt Parisotto, »er hätte besser schon früher zu Scarpa greifen sollen.«
Schuhe aus Passion Blauer Kittel, Glatze – einen Arbeiter will der Presidente dann noch persönlich vorstellen. Ein alter Mann, 86 Jahre. Um genau zu sein: Parisottos Vater. »Wenn ich daheim sitze, macht mich meine Frau verrückt«, sagt Francesco. »Jetzt kommt er hierher und macht uns verrückt«, spielt der Sohn den Ball zurück, eingeübte Frotzeleien. Francesco Parisotto erwarb die Firma Scarpa 1956 mit seinen Brüdern Luigi und Antonio von Rupert Guinness, anschließend war er der wirtschaftliche Kopf, so wie sein Sohn Sandro heute. Die ersten Schuhe fuhr Francesco noch mit dem Fahrrad aus, irgendwann, als das Geld reichte, mit einem Auto. Schließlich orderten Firmen aus dem Ausland, »2.000 Paar hatte ein Münchner Schuhhändler bestellt – ich dachte, wir hätten im Lotto gewonnen.« Dann orderten sogar welche aus Übersee. Der Umsatz, die Mitarbeiterzahl und die Produktpalette wuchsen. Das lag vor allem auch an Francescos Bruder Luigi, Sandros Onkel. Der sitzt ein paar Meter weiter und schwätzt ein wenig mit einem Arbeiter aus der Kletterschuh-Abteilung. Luigi ist heute 83, er hatte schon als Elfjähriger eine Lehre bei Scarpa angefangen, später bei Munari weiteres Wissen erworben, dem Hersteller der ersten Plastik-Skischuhe. Luigi war ein handwerkliches Genie und ein Tüftler, auf ihn gehen die legendären Plastikbergschuhe »Vega« zurück und auch die weltweit ersten Telemark-Schuhe mit Hartschalen.
Wie es sich mit so viel Familie im Job aushalten lässt? Der Presidente verdreht ein wenig die Augen. »Es sind ja noch viel mehr«, sagt er und seufzt gespielt. »Das funktioniert nur, wenn jeder seinen eigenen Bereich hat«. Und so ist es auch: Cousin Davide hat seinen Vater Luigi beerbt und leitet jetzt die Produktion. Cousin Piero kümmert sich um die Buchhaltung, Andrea um die US-Vertretung von Scarpa, die 2005 in Boulder, Colorado eröffnet wurde. Cousine Christina verantwortet das Lifestyle-Segment, in dem sich der »Mojito« zu einem Renner entwickelt hat, ein Straßentreter in Kletterschuh-Optik. Denn das ist noch so ein Geheimnis von Scarpa: Die Schuhe sind gefertigt, als müssten sie ein Leben lang halten. Dazu sind sie bequem und sehen auch auf dem Großstadt-Parkett ausnehmend gut aus. Das ist für Christina Ehrensache, im Schuhland Italien. Als Sportspezialist auch noch Bekleidung, Ski oder Kletterausrüstung zu fertigen, kommt für Scarpa hingegen nicht in Frage. »Man muss sich auf das konzentrieren, was man kann«, sagt Sandro Parisotto, »sonst klappt es nicht«. Schuster, will er damit sagen, bleib’ bei deinen Leisten! Und dann fügt der Presidente noch etwas an, was für seine Verhältnisse richtig unbescheiden klingt: »Wir können Schuhe wie kaum eine andere Firma. Weil wir die Passion dazu haben.« Text: Moritz Baumstieger Fotos: Moritz Baumstieger, Scarpa
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Besserwisser: Schuhe
DER TRAUM-TRETER Ein Schuh besteht im Durchschnitt aus mehreren hundert Einzelteilen. Jedes noch so kleine Detail ist entscheidend für den Komfort und die Qualität. Leder, Stoff, hoch, breit? Welcher ist der beste? Immer der, der dem Fuß passt! Skandinavische Tundra, alpines Geröllfeld, spitzer Kalkfelsen – bei einer Wander- oder Trekkingtour begegnen uns unterschiedlichste Naturszenarien und -böden. Mensch und Material sind gefordert. Das gilt besonders für das Schuhwerk, das gleichzeitig Tragekomfort, Trittsicherheit und Witterungsschutz bieten muss. Bei der Schuhwahl geht es längst nicht nur um das modisch »gute Aussehen«. Denn wer unaufhörlich Druck und Schmerz am Fuß verspürt, wird den Blick auf Fjordlandschaften, Gipfelwelten und Felsküsten keineswegs genießen können, sondern seine Tour womöglich frustriert und mit schmerzenden Blasen und Blessuren abbrechen. Wie lässt sich eine derartige Situation verhindern? Relativ einfach: Schuh-Probieren geht über Studieren.
Die Seele eines Schuhs Ein Scarpa Triolet-Pro GTX besteht aus 160 Einzelteilen, 140 Meter Nähfaden und 190 Gramm Klebstoff. Der Schuh ist jedoch nicht nur die Summe seiner Einzelteile. Mindestens so wichtig wie die Qualität der Komponenten ist die Handwerkskunst, mit der sie zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Die Passform eines jeden Schuhs wird hauptsächlich durch einen Faktor
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bestimmt: den Leisten. Es ist dieses unscheinbare, einem Fuß nachempfundene Kunststoffteil (ursprünglich Holz), das dem Schuh seine spätere Form gibt und darüber entscheidet, ob der Schuh stabil und angenehm sitzt, oder aber schmerzhafte Scheuerstellen und Blasen verursacht. Die verschiedenen Schuhmodelle fallen in ihrer Breite und Länge sehr unterschiedlich aus. Spezielle Damen- und Herrenmodelle berücksichtigen die anatomischen Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern. So ist es mittlerweile bei Qualitätsschuhen die Regel, dass die Frauenmodelle über einem speziellen Damenleisten gefertigt werden. Die sind meist etwas schmaler im Ballenbereich, höher im Ristbereich und schlanker an der Ferse. Weil die Menschen und ihre Füße im Durchschnitt immer größer werden, müssen auch die Formen ständig weiterentwickelt werden. Das heißt, die Schuster bleiben nicht bei nur einem Leisten. Auch das Lebensalter spielt eine Rolle. Selbst wer sein ganzes bisheriges Leben Modelle eines bestimmten Herstellers getragen hat, tut gut daran, beim Neukauf die »Weiterentwicklung« der eigenen Füße zu bedenken. Ob Trekking-, Multifunktions- oder Klettersteig-Schuh – für jeden Schuhtyp gibt es spezielle Leisten, die nach langjährigen Erfahrungswerten modelliert werden. Je ana-
tomisch einzigartiger der eigene Fuß ist, desto eher ist es nötig, eine ganze Palette an Schuhen durchzuprobieren, bis der passende gefunden ist. Aschenputtel lässt grüßen. Ein guter Kaufberater im Laden kann sich da nicht auf die Rolle des Märchenprinzen zurückziehen, der auf den passenden Fuß zum gefundenen Schuh wartet. Es stehen unterschiedlichste Modelle zur Auswahl: Anhand der Fußform des Kunden kann ein guter Berater auf einen Blick Modelle ausschließen oder bestimmte Schuhhersteller empfehlen – egal, ob Plattfuß, Schmalfuß oder Überbein.
Nur Äußerlichkeiten? Für einen besonders stabilen und bequemen Schaft werden zahlreiche verschiedene Materialien miteinander kombiniert: das Innenfutter, eventuell eine Membran für erhöhten Wetterschutz, Polstermaterial, stabilisierende Elemente und das Außenmaterial. Bei der Wahl des Modells, und auch bei der Zusammenstellung des Innen- und Außenmaterials, spielt das Einsatzgebiet des Schuhs eine große Rolle. Bei einer sommerlichen Wanderung an der Mittelmeerküste sollte der Schuh keine Schweißausbrüche verursachen. Je leichter und wasserdampfdurchlässiger der Schuh sein muss, desto öfter greifen die Hersteller zu
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Studieren, dann probieren Sohle, Außen- und Innenmaterial, Schnürsenkel – fertig ist der Schuh! Nach der Beratung folgt die Anprobe.
Damit die auch wirklich aussagekräftig ist, gehört das ausgiebige Testen des Modells dazu: Treppensteigen, bergauf und bergab laufen oder in den Zehenstand gehen – so zeigt sich, ob die Ferse fest genug sitzt und der Schaft sicheren Halt bietet. Die Fersenbox sollte gut stabilisieren, ohne zu drücken, und die Zehen dürfen vorne beim Schuh nicht anstoßen. Der Schuh muss bereits im Laden »sitzen« und bequem sein. Darauf zu hoffen, der Schuh werde sich später schon noch anpassen, ist in der Regel eine Illusion, die früher oder später schmerzvoll platzt. Anprobieren sollte man den Schuh nachmittags, weil der Fuß dann bereits etwas geschwollen ist und dasselbe Volumen hat wie später beim Wandern. Für eine Schuhanprobe sollte man mindestens eine halbe Stunde einkalkulieren, um dem Fuß ausreichend Zeit zu geben, sich an seine neue Umgebung zu gewöhnen. Währenddessen kann man sich beim Verkaufsberater wertvolle Tipps holen, wie sich der passende Schuh noch bequemer gestalten lässt. Feinkniffe, wie zum Beispiel spezielle Einlagen und Socken, sind nur ein Beispiel für die perfekte »Inneneinrichtung« des neuen Wanderschuhs. Letztendlich wollen wir es »Aschenputtel« nicht gleichtun: Nicht der Schuh sollte einen Fuß finden, sondern unsere Füße ihren perfekten Schuh. Dann wandern sie glücklich bis an ihr Lebensende. Text: Andi Ziegler, Basislager
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»Mischformen« und integrierten Textileinsätzen. Zum Beispiel zu »Mesh«, einem elastischen Gewebe mit Löchern. Auch »Cordura«, eine Nylonart, die durch eine spezielle Bearbeitung robuster, abriebfester und wasserabweisend ist, taucht oft als Außenmaterial auf. Das bevorzugte Obermaterial ist in den meisten Fällen jedoch immer noch Leder. Ausschlaggebend für die Wasserdampfdurchlässigkeit von Leder ist dessen Qualität: Das Glattleder und das Nubukleder werden aus den oberen Hautschichten gewonnen. In diesem Bereich sind die Lederfasern eng strukturiert, was das Leder sehr robust werden lässt. Die Wasserdampfdurchlässigkeit wird durch die enge Struktur erschwert. Das Veloursleder dagegen wird aus den mittleren Hautschichten gewonnen, indem die sechs bis acht Millimeter dicke Tierhaut gespalten wird. Die Lederfaserstruktur ist lockerer und damit wasserdampfdurchlässiger. Die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit der Wege oder Pfade stellt auch an das Schuhwerk hohe Ansprüche. Damit die Sohle sicheren Halt bieten kann, ist ein grobstolliges, gut verteiltes Profil nötig. Die Abriebfestigkeit hängt wiederum von der Härte des verwendeten Gummis ab: Ist der Gummi hart, bringt er in der Regel hohe Abriebfestigkeit mit. Im Gegensatz dazu ist die zu weiche Sohlenvariante zwar sehr griffig, sie nutzt sich aber schnell ab und verliert dann rasch an Grip. Um Fehltritte zu vermeiden, sollte die Sohle über markante und griffige Ränder verfügen. Eine solche Konstruktion stabilisiert die seitlichen Bewegungen des Fußes und verhindert das Umknicken.
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SCHUHPFLEGE • Grober Schmutz lässt sich am einfachsten mit einer Bürste und fließendem Wasser entfernen. • Alle Lederteile sollten regelmäßig mit wachsbasierten Pflege- und Imprägniermitteln behandelt werden. Je öfter der Schuh mit Wasser in Kontakt kommt, desto öfter sollte er gepflegt werden. • Nach dem Eincremen benötigen die Schuhe ausreichend Zeit zum Austrocknen. • Feuchte oder nasse Schuhe sollte man, wenn immer möglich, trocknen und auslüften. Dazu nimmt man am besten die Einlegesohle heraus und stellt die Schuhe an einen trockenen, schattigen Platz. Auf keinen Fall sollte man die Schuhe auf die Heizung legen oder zu lange an der prallen Sonne trocknen lassen. • Nach dem Einsatz von Reinigungsmitteln sollten die Schuhe gründlich imprägniert werden.
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Nachgefragt: Simon Striegel und Stefan Perlebach
INTERNATIONAL-MANNSCHAFT Auf unserer Erde gibt es mehr als 3.000 Sprachen. Die Wahrscheinlichkeit, eine Sprache zu finden, die jeder Bewohner dieser Erde versteht, ist gering. Eigentlich nicht existent. Und doch haben zwei deutsche Reisende diese Sprache gefunden. Sie ist rechteckig, aus Holz und wiegt 40 Kilogramm.
Zwischen Wismar und Mumbai liegen zwölf Länder, 17.500 Kilometer und eine Menge Tore. Doch beginnen wir am Anfang. Einem Bachelorstudiengang folgt im »Normalfall« ein Masterabschluss und später ein geregeltes Arbeitsverhältnis. Doch Stefan Perlebach und Simon Striegel sehen das anders. Sie möchten reisen. »Egal wohin, einfach raus.« Der hagere Stefan schaut ein wenig müde drein. Kein Wunder, Berliner Nächte sind lang. Und genau so eine Nacht hat er gerade hinter sich. Die Frage, was genau das Außergewöhnliche an ihrer Reise war, hängt wie eine Wolke zwischen ihm, der Kaffeetasse und einer Blumenvase im Raum. Er lehnt sich zurück, denkt nach und beginnt zu erzählen ... Anstoß: Am 17. Februar 2011 kommt Bernd, der Bus, ins Rollen. Er hat eine komplette Mannschaft an Bord: Simon, Stefan und 22 Holzspieler, letztere auf einem zusammenklappbaren Kicker-Tisch fixiert. »Wir wollten etwas dabeihaben, das kommunikative Grenzen überwindet und uns hilft, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen«, so der einfache Plan. »Und jeder Mensch kennt oder versteht das Konzept Tischfußball.« Doch bereits 900 Kilometer weiter südlich scheint das »Reisekommunikationskonzept« nicht aufzugehen. Der Versuch, die Menschen in einem bekannten Münchner Biergarten zu einer gemeinsamen Runde Kicker zu
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animieren, scheitert. Vielleicht war in diesem Fall die sprachliche Barriere doch zu groß? Oder einfach das Wetter zu kalt. Erst in mediterranen Regionen – außerhalb europäischer Grenzen – erwachen die kleinen Männer aus Holz richtig zum Leben und navigieren Bernd, den Bus, Simon und Stefan durch schwieriges Terrain und in spannende Situationen. Zweite Halbzeit: Vorbei an iranischen Polizisten, die das deutsche Duo der Spionage verdächtigen und es festnehmen wollen. Hinein in ein Kicker-Spiel im olympischen Park Teheran gegen die iranische Tischfußball-Nationalmannschaft. Vorbei an pakistanischen Grenzposten, deren Skepsis gegenüber ausländischen Reisenden sich schnell in ein wildes Drehen, Passen und Toreschießen am Kicker-Tisch wandelt. Und hinein in ein buddhistisches Kloster, wo die anwesenden Mönche den Weg ins Nirwana rasch über den Außenspieler aus Holz zu suchen scheinen. »Nur den Dalai Lama haben wir nicht dazu gebracht, mit uns zu spielen«, ärgert sich Stefan. Stundenlang harren sie vor dem Tempel des weltbekannten Mannes aus, um ihn zu einem friedlichen Spiel am Tisch zu bitten. »Das einzige unlösbare Problem gab es mit den Wachmännern vor dem Taj Mahal. Sie dachten, wir wären Terroristen, die versuchen, mithilfe des Tisches Sprengstoff in das Weltkulturerbe zu schleusen.« Daraufhin schleichen sie »einfach« (mit 40 Kilo) ans hintere
Ende des Taj Mahal und machen dort das obligatorische »Kicker vor Sehenswürdigkeit«-Foto. Nach fünf Monaten kommen Stefan und Simon in Mumbai an. Nicht nur reicher an Toren: »Wir haben gelernt, wenn man etwas will, dann muss man mutig sein und es umsetzen.« Selbst wenn die Umsetzung 40 Kilo Holz und 22+2 friedliche Männer beinhaltet. Die nächste Reise ist bereits in Planung – nach dem Spiel ist ja bekanntlich vor dem Spiel. Text: Barbara Meixner Fotos: Striegel, Perlebach
GUTER ZWECK Am Ende der Reise stand der gute Zweck: Stefan und Simon versteigerten den mit Unterschriften (außer der des Dalai Lamas) aus alle Ländern versehenen Kicker nach ihrer Rückkehr auf eBay. Der Erlös ging an das »Project Muni«, für das Stefan und Simon auf betterplace.org weiterhin Spenden sammeln (muni.betterplace.org), um Familien in Dhaka bei der Existenzgründung zu unterstützen. Mit dem Erlös aus der Versteigerung konnte die Mutter von Muni, einem Mädchen aus Bangladesch, einen kleinen Teeladen eröffnen und ihre Kinder zur Schule schicken.
Eine Runde Kicker gegen die Einsamkeit in der Wüste.
10 Fragen an Simon Striegel und Stefan Perlebach 1. Glaubst du an das Schicksal? Stefan: Ich habe auf unserer Reise die Erfahrung gemacht, dass sich viele Probleme von selbst lösen, solange man selbst nach vorne schaut und positiv denkt. Manchmal fügten sich dann Ereignisse so drehbuchartig zusammen, dass es mir schwerfiel, alles Zufällen zuzuschreiben. Mittlerweile glaube ich ein bisschen an Karma, also dass sein eigenes Handeln früher oder später auf einen selbst zurückfallen wird. 2. Bitte vervollständige folgenden Satz: Ein Abenteuer ist .... Simon: … nicht zu wissen, was morgen, übermorgen oder in einer Woche ist, und sich darüber keine Sorgen zu machen. 3. Was hat dir im Leben schon mal richtig Angst gemacht? Stefan: Indische Busfahrer, die ihre rostigen Untersetzer in den Bergen so fahren, als wären es Sportwagen – was sie aber definitiv nicht sind. 4. Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdest du unterwegs nicht verzichten? Simon: Die Antwort könnte ganz einfach lauten: Ein Kickertisch muss immer mit dabei sein! Geht man aber etwas realistischer an die Sache ran, würde ich ohne eine Stirnlampe ungern auf die Reise gehen – für die Mückenjagd nachts im Auto oder für die Feuerholzsuche in der Dunkelheit ist sie unersetzlich und von unschätzbarem Wert.
5. Wer war der beeindruckendste Mensch, den du je kennengelernt hast, und warum? Stefan: Muhammad Yunus – der Gründer der Grameen Bank, einer Mikrokreditbank, die Millionen Menschen aus der Armut in die Selbstständigkeit geführt hat. Yunus durfte ich persönlich kennenlernen. Es war wirklich unglaublich, wie viel Energie dieser Mensch besitzt und wie viele gute Ideen aus ihm sprudeln. 6. Was ist Glück für dich? Simon: Glück ist, die Dinge im Leben realisieren zu können, die man sich erträumt, und diese Dinge mit den Menschen zu teilen, die man liebt. 7. Was hast du im Leben wirklich Relevantes gelernt? Stefan: Den Mut zu haben, seinen Ideen nachzueifern und sich nicht davon abbringen zu lassen. Einmal meinen Träumen nachgeeifert, habe ich gemerkt, dass viel mehr möglich ist, als man es sich vorher hätte vorstellen können. Meine jetzige Devise: Hast du eine gute Idee, und du grübelst, du könntest es in 40 Jahren vielleicht bereuen, ihr nicht nachgegangen zu sein, probiere es doch einfach! Was kann schon passieren? 9. Welche Dinge werden heutzutage oft überschätzt? Simon: Karriere und Beruf, Hedgefonds, Smartphones, Staatsgrenzen, Religion. 8. Welchen Kindheitstraum hast du dir erfüllt? Stefan: Flips und Schokolade – soviel ich will – zu kaufen und zu essen – wann immer ich will! 10. Wie würde der Titel deiner Autobiografie lauten? Simon: »It takes a life to know how to live!«
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LIEBESERKLÄRUNG »DIE GRÖSSTEN EREIGNISSE – DAS SIND NICHT UNSRE LAUTESTEN, SONDERN UNSRE STILLSTEN STUNDEN.« (FRIEDRICH NIETZSCHE) Es war 1990, kurz nach der Wende, als es sie plötzlich im Überfluss gab. Kochgenuss für unterwegs – Gas, Benzin, Holz ... egal, Hauptsache es brannte. Ich wollte sie alle. Und ich hatte sie alle. Das Kochen auf Tour war leicht, schnell und effizient. Mir war es, als hätte ich mit meiner Ausstattung alles erreicht, was ein Trekker, Bergsteiger und Reisender besitzen kann. Der vermeintliche Kocher-Olymp war bestiegen. Bis zu dem Tag, als der Neue mein Leben betrat. Und mit ihm kam die Ruhe.
PRODUKTINFORMATION Seit einem halben Jahrhundert beweist sich der »Trangia« als die Kocher-Lösung für alle Wetterlagen. Als einziger Kocher liebt der Trangia Wind und kommt bei stürmischem Wetter sogar richtig in Fahrt. Das Kochsystem verfügt über Halterungen für verschiedene Topfgrößen und bietet eine sichere und standfeste Kochauflage – selbst im Kanu oder auf wackligen Böden steht der Essenstopf so gut wie kippsicher. Mit Spiritus betrieben, kocht der Trangia still und geruchlos. Das Trangia Ultralight Set beinhaltet Kocher samt Aluminium-Windschutz, zwei Töpfe und eine Bratpfanne. Gewicht: 865 Gramm (Kocher inkl. Topf-Set, Griffzange und Windschutz) Set-Preis: ab 75,95Euro. RAUSZEIT empfiehlt die Version mit hartanodisiertem Aluminium Trangia 25-7 UL/HA. Preis: 109,95 Euro www.trangia.se
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Wenn im Camp abends die Zelte aufgeschlagen sind, das Lagerfeuer glüht und die Chefköche sich motiviert die Hände reiben, beginnt es zu zischen, fauchen und knistern. Leidenschaftliche Kocher, aufgereiht nebeneinander und startklar. Sie wollen beweisen, dass sie die Besten, die Wahren sind. Bei wem wirft das Wasser im Kochtopf als erstes Bläschen? Wer hat die Pasta schneller »al dente« und essbereit? Der Kampf der Kocher-Giganten beginnt. Abseits der Schnell-KocherGeräuschkulisse ziehe ich mich hinter die Bühne zurück und genieße den meditativen Moment mit meinem Spiritus-Sturmkocher. Ohne Hektik. Er ist vielleicht nicht der Schnellste und er ist nicht der Leichteste. Und trotzdem hat er mein Herz getroffen. Oder vielleicht genau deshalb? Denn er weiß, wie er das Innerste eines Menschen berührt, der draußen schon viel erlebt hat: Er schenkt mir die stille Zeit, die mir andere Kocher nicht geben können. Geräuschlose Drei-Gänge-Menüs und morgendlicher Kaffeegeruch im Schlafsack ohne Benzinnote – unaufgeregt, rührend und zuverlässig. Eine Kocher-Liebe. Andreas Hille