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Zeigt her eure Füße, zeigt her eure Schuh …
from Bergauf #3.2024
Zeigt her eure Füße, zeigt her eure Schuh …
Die Hochtourensaison steht vor der Tür. Höchste Zeit, sich einmal fernab von seiltechnischen Manövern mit den zwei elementarsten Ausrüstungsgegenständen auseinanderzusetzen: den Schuhen und den Steigeisen.
von Gerhard Mössmer
Mal ehrlich: Die Gefahr, in eine Gletscherspalte zu fallen, hält sich bei den meisten Hochtouren im Ostalpenraum in Grenzen. Dagegen ist das Risiko, wegen eines nicht passenden Schuhs in Kombination mit einem unpassenden Steigeisen abzustürzen oder eine Tour abbrechen zu müssen, ungleich höher …
Hatte man vor 30 Jahren noch die bescheidene Qual der Wahl zwischen einem La Sportiva Nepal Top (1) und einem Koflach Schalenbergschuh (2), ist das Angebot heute an unterschiedlichsten Modellen beinahe unüberschaubar: Für jeden Einsatzbereich gibt es den passenden Schuh und schon sind wir beim ersten und wichtigsten Schlagwort angekommen: „passend!“. Der beste, teuerste und leichteste Bergstiefel, wie ihn unsere nördlichen Nachbarn gern bezeichnen, leistet keine guten Dienste, wenn er nicht sitzt, denn dann hat man im wahrsten Sinn des Wortes „den Stiefel“ an. Zum einen muss der Schuh zum Fuß passen und zum anderen zur Aktivität.
Ersteres kann man nur durch Anprobieren und professionelle Beratung im Bergsport-Fachgeschäft herausfinden. Dafür muss man sich Zeit nehmen: am besten abends, da sind die Füße etwas „angeschwollen“ und man läuft nicht Gefahr, den Schuh zu klein zu kaufen. Die meisten Fachgeschäfte bieten heute eine digitale Vermessung (Scanner) des Fußes an. Dieses Service macht Sinn, denn je nach Herkunftsland haben die Schuhe oft unterschiedliche Leisten (schmal, breit, niedrig, hoch) bei gleicher Größe. Mit Hilfe des Scans lässt sich schneller und besser herausfinden, welcher Leisten ideal zum Fuß passt. Vorbei sind auch die Zeiten, wo wir mit Omas selbstgestrickten dicken Wollsocken unterwegs waren. Heute verwenden wir dünne, enganliegende Funktionssocken – oder sogar Kompressionssocken, die Blasenbildung vermeiden.
Abgesehen von der individuellen Passform achten wir bei einem Hochtourenschuh, der ein möglichst breites Einsatzspektrum abdecken soll, ganz allgemein auf ein geringes Gewicht und auf Wasserundurchlässigkeit sowie auf die Steigeisentauglichkeit. Diese letzte Eigenschaft ist elementar wichtig für unsere Sicherheit, denn das Bindungssystem des Steigeisens muss zwingend zur Konstruktion des Schuhs passen.
Kategorisierung
In den 1970er-Jahren erstmals vom Schuhhersteller A. Meindl (3) initiiert, hat sich eine Wander- und Bergschuhschuhkategorisierung von A bis D als Standard bei Herstellern, im Handel und bei den Endverbrauchern durchgesetzt. Diese Unterteilung gliedert die unterschiedlichen Typen von Wander- und Bergschuhen je nach Konstruktion und Verwendungszweck. Da die Kategorisierung allerdings nicht genormt ist, gibt es herstellerspezifische Abweichungen und auch Sonderformen. Für Hochtouren kommen Schuhe ab Kategorie B/C in Frage:
Fester Wanderschuh (B/C): Diese bedingt steigeisenfesten Schuhe haben eine leicht aufgebogene Sohle, die noch relativ weich, aber deutlich härter und torsionssteifer als bei einem herkömmlichen Wanderschuh ist und somit noch gute Abroll- und Reibungseigenschaften beim Gehen und Klettern bietet. Deshalb eignen sie sich in erster Linie für leichte Hochtouren mit einfachen Firn- und Eispassagen. Zu dieser Schuh bzw. Sohlenkonstruktion passen leichte Steigeisen mit Körbchen vorne und hinten. Für technisch anspruchsvolleres, kombiniertes Gelände sind diese Schuhe auf Grund der fehlenden Torsionssteifigkeit der Sohle allerdings wenig bis gar nicht geeignet.
Steigeisenfester Bergschuh (C): Schuhe dieser Kategorie weisen bereits eine deutlich härtere und verwindungssteifere Sohle auf, die sich fürs Gehen im weglosen Gelände, beim Ansteigen von kleineren Tritten, aber auch für steilere Eispassagen gut eignet. Die zu diesem Schuh passenden Steigeisen haben zumindest hinten einen Kipphebel und vorne – je nach Sohlenkonstruktion mit oder ohne Nut – wahlweise Körbchen oder Bügel.
Steigeisenfester Bergschuh (D): Dieser Typ ist für technisch anspruchsvolle Eistouren und kombinierte Touren gemacht. Hier kommen die Vorzüge von steifen, voll steigeisenfesten Bergschuhen mit ausgeprägtem Sohlenrand vorne und hinten voll zum Tragen. Ihre harte biege- und verwindungssteife Sohle bietet besonders in Eis- und Mixed-Passagen guten Halt. Das ist insofern ein Muss, da sich die Sohle beim Einsatz der Frontalzacken keinesfalls durchbiegen darf, um jederzeit eine perfekte Kraftübertragung und den festen Sitz des Steigeisens zu gewährleisten.
Zudem sind Schuhe dieser Kategorie für tiefe Temperaturen im Winter oder in den Westalpen gut gefüttert und weisen oftmals eine integrierte Gamasche auf, die zuverlässig vor Schnee- und Feuchtigkeitseintritt schützt. Nachteile? Die steife Sohlenkonstruktion geht selbstverständlich auf Kosten des Tragekomforts und des Abrollverhaltens des Schuhs. Entsprechend zum Einsatzbereich dieses Schuhs passen technische Steigeisen. Diese haben wahlweise vertikale oder horizontale Frontalzacken oder sogar einen Monopoint für Mixed Routen mit Stahlbügel vorne und Kipphebel hinten.
Fazit
Es gibt keinen guten oder schlechten Hochtourenschuh.
Das Allerwichtigste ist, dass der Schuh auf den jeweiligen Fuß UND zum jeweiligen Einsatzbereich passt.
Für eine leichte Hochtour mit Wandercharakter wird man mit einem technischen High-End-Hochtourenschuh mit steifer Sohle wenig Freude haben und genauso umgekehrt macht das Eisklettern mit einem bedingt steigeisenfesten Schuh der Kategorie B/C auch nicht wirklich Spaß.
Für die Steigeisen gilt das Gleiche wie für die Schuhe: Leichte Steigeisen mit Körbchen – und womöglich noch aus Alu – können im anspruchsvollen Gelände nie so performen wie ihre Artgenossen mit Kipphebelbindung und vertikalen Frontalzacken. Was alle Steigeisen gemeinsam haben müssen, sind Antistollplatten (4) Diese sind – besonders bei pappigem Sommerschnee – „überlebenswichtig“: Stollen die Eisen aufgrund der fehlenden Platte auf, kann dies schnell zum Ausrutschen und infolgedessen zum Absturz führen.
Autor: Gerhard Mössmer ist Mitarbeiter der Abteilung Bergsport im Österreichischen Alpenverein, Bergführer und gerichtlich beeidigter Sachverständiger.
(1) Diesen Klassiker von La Sportiva gibt es heute noch in beinahe unveränderter Form und er erfreut sich immer noch großer Beliebtheit.
(2) Im Gegensatz zum Lederbergschuh sind Schuhe mit Schalenkonstruktion aus Plastik komplett von der Bildfläche verschwunden.
(3) https://meindl.de/service/ anwendungsgebiete/
(4) Steigeisen ohne Antistollplatte gibt es ohnehin nur noch bei alten Modellen, da inzwischen die Norm zwingend Antistollplatten vorschreibt.