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Neue Weganlagen nicht gestattet

Neue Weganlagen nicht gestattet

Von den Anfängen zur Verdichtung des Wegenetzes in den Ostalpen.

von Martin Achrainer

Da ist neulich bei der größten Kälten so ein Narr mit’n Radl kommen, und der hat da überall so blöde Farbstriche gemacht, sagen’S amol, wer braucht das?“, wurde einst ein Wanderer von einem älteren Angler gefragt, dem er am Weinviertler Grenzlandweg begegnete. Der hatte den Richtigen erwischt und erhielt genaue Auskunft über Charakter, Ausgangs- und Endpunkt des Grenzlandwegs. „Retz, Hainburg“, sinnierte der Alte, „ja, aber da san ja überall Straßen.“ Neuerlich aufgeklärt, meinte er am Ende: „Ah, jetz versteh’ ich, ihr habt’s alle keine Autos!“

Diese von Wilfried Hausmann aufgezeichnete Geschichte stammt aus der ersten Ausgabe der Mitteilungen der Sektion Weitwanderer von 1979. Diese traf den Nerv der Zeit: „Wanderbares Österreich“. Als die Österreichische Fremdenverkehrswerbung im Jahr 1978 diesen Slogan erfand, ärgerten sich die Germanisten, aber der Alpenverein nahm ihn mit Befriedigung zur Kenntnis, gleichsam als öffentliche Anerkennung seiner über ein Jahrhundert lang erbrachten Leistung.

Erste und letzte Wege

Die Weitwanderwege waren sozusagen Schlusspunkt und Vollendung des Wegenetzes in den Ostalpen. Wenn der Alpenverein bei seiner Gründung die „Erleichterung der Bereisung“ der Alpen als Ziel formulierte, dachte er zunächst nicht an die Muße des Wanderns, sondern daran, den Weg zum Gipfel zu erleichtern. „Im Anfang war man zufrieden, überhaupt einen Weg auf den Gipfel gefunden zu haben, sodann suchte man den besten und bequemsten Weg zu erkunden und heute müht man sich, alle nur möglichen Wege herauszufinden und zu begehen“, resümierte Generalsekretär Johannes Emmer im Jahr 1894 nach einem Vierteljahrhundert intensivster Bautätigkeit.

Die ersten Wege dienten dem Zustieg zu den Hütten, weitere Wege und Stege führten auf Gipfel, und schließlich baute man Übergangswege „von Hütte zu Hütte“. Höhenwege florierten ab der Jahrhundertwende, und so begann man das Werk zu einem Netz zu verdichten. Das Werk war und ist eines der Sektionen: Der Oesterreichische Alpenverein, der nicht in Sektionen gegliedert war, gab vor seiner Vereinigung mit dem Deutschen Alpenverein zum DuOeAV (Deutscher und Oesterreichischer Alpenverein) im Jahr 1874 für Hütten und Wege nicht einmal drei Prozent seiner Finanzmittel aus, das schien ihm Sache von Privatinteressenten und der öffentlichen Hand zu sein.

Besucherlenkung: Wo ein Weg existiert, wird er auch benützt. Schafe auf einem Weg nahe der Kürsinger­Hütte, 1935.
Foto: ÖNB/Wien L 57.155-B

In seinen Statuten ist die „thunlichste Einflußnahme auf die Organisirung des Führerwesens, der Transport- und Unterkunftsmittel und Förderung aller übrigen dem Vereinszwecke dienender Unternehmungen“ verankert. Der Deutsche Alpenverein, 1869 gegründet, packte das hingegen tatkräftig an, dort wird nicht mehr von der „Einflußnahme“ gesprochen, sondern von der „Organisirung des Führerwesens“, der „Herstellung und Verbesserung der Communications- und Unterkunftsmittel“: Man nahm also die Sache selbst in die Hand, und zwar in Gestalt der „Sectionen, welche sich an jedem Orte mit beliebiger Anzahl von Mitgliedern constituiren können“.

Höhenwege florierten ab der Jahrhundertwende, und so begann man das Werk zu einem Netz zu verdichten.

Die aufkommenden Fremdenverkehrs- und Verschönerungsvereine übernahmen häufig die Pflege der Talwege und der Spazierwege rund um die Ortschaften bis ins Mittelgebirge, während sich der Alpenverein auf das Hochgebirge konzentrieren konnte. Dort war er nicht allein tätig – der Österreichische Touristenklub, der Österreichische Gebirgsverein und der Touristenverein Naturfreunde als Großvereine hatten und haben ebenso wie zahlreiche kleine Alpine Gesellschaften ihren Anteil daran – aber der Alpenverein war schon stets der Platzhirsch im Gebirge.

Rast auf dem Wilde­Bande­Steig gegen den Bettelwurf.
Foto: ÖAV-Museum/Archiv, unbek. Fotogr.

Kehrtwende

Ähnlich wie bei der Frage nach dem Komfort in den Hütten zeichnete sich etwa ab 1890 auch bei den Wegen eine sanft ansteigende Veränderung ab, die zu einer regelrechten Kehrtwende führte – jedenfalls auf dem Papier. Sie ist beispielsweise in den vier Auflagen der „Verfassung und Verwaltung des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins“ nachzulesen, die zwischen 1893 und 1928 als praktischer Behelf für die Sektionen herausgegeben wurden. In der ersten Ausgabe wird zunächst festgehalten, dass der Alpenverein für Wege im Tal, an besiedelten Hängen und zu Sehenswürdigkeiten nicht mehr zuständig sei. Neue Wege seien gerechtfertigt, wenn sie zu Schutzhütten, über Jochübergänge, zu vielbesuchten Gipfeln führten, als Verbindungswege zwischen Gipfeln oder Hütten, allenfalls noch Abkürzungswege und Zugänge zu Wasserfällen und Wege durch Klammen. In der dritten Auflage von 1910 wird besonders die Rücksicht auf die vielen „Ungeübten“, die nun in die Berge kämen, hervorgehoben. Auf jene, „die davon gehört haben, dass durch die alpinen Vereine die Bergfahrten bequem gemacht worden sind, und nun meinen, überallhin gehen zu können“ und sich dabei größten Gefahren aussetzten. Als Lösung empfahl Emmer, denn auch dieses Werk stammt von ihm, überall dort, wo das „große Publikum“ hinkäme, für viele, gefahrlose und leicht gangbare Wege zu sorgen. Es sei aber der Wunsch der Hochtouristen, nicht jedes schwierige Gelände dem großen Publikum zu eröffnen und daher neue Wegbauten dort, wo bergsteigerische Erfahrung notwendig war, besser zu unterlassen, wenn man das mindergeübte Publikum anders nicht fernhalten könne.

Tölzer Richtlinien

Die Rücksichtnahme auf das ungeübte Publikum fand nach dem Ersten Weltkrieg ein vorläufiges Ende. Die Diskussionen führten zu den 1923 beschlossenen „Tölzer Richtlinien“. In ihnen spiegelt sich die Sehnsucht der Bergsteiger wider, in den Bergen ihre Ruhe zu haben. Durch spartanische Einfachheit der Hütteneinrichtung ebenso wie durch einen Erschließungsstopp sollte das Massenpublikum zumindest von den weniger leicht erreichbaren Höhen ferngehalten werden.

In der 1928 erschienenen vierten Ausgabe der „Verfassung und Verwaltung“ erläuterte Generalsekretär Josef Moriggl, der Alpenverein stehe heute nicht mehr

auf dem früher vertretenen Standpunkt, und führte den neuen Grundsatz etwas grobschlächtig aus: „Entweder kommt dieses Publikum ohne ausgesprochenen Weg dorthin, dann genügt eine Markierung, oder es kommt ohne Weg nicht hin, dann soll es diesem Ziele ferne bleiben oder sich der sicheren Leitung durch Führer anvertrauen.“ Der Grundsatz der Tölzer Richtlinien war deutlich: „Neue Weganlagen im weglosen Hochgebirge und neue Markierungen von Gipfelwegen, insbesondere von Klettersteigen, sind nicht gestattet“, auch die Wegtafeln sollten drastisch reduziert werden.

Die Tölzer Richtlinien wurden recht unterschiedlich ausgelegt. An den Zahlen ist das schwer abzulesen, da in der Buchhaltung Bau und Instandhaltung nicht getrennt wurden. Das Wegenetz in seinem Umfang zu ermessen – wir schätzen heute 40.000 km allein an Alpenvereinswegen, von denen 26.000 von den Sektionen des Österreichischen Alpenvereins erhalten werden – ist schwierig, die Trennung von gebauten und nur markierten wurde selten vorgenommen. Wenn in den 1930erJahren jährlich rund 2.500 bis 3.000 Wegetafeln ausgegeben wurden, wissen wir nicht, ob sie als Ersatz gebraucht oder neu angebracht wurden.

Unscheinbar in der Landschaft: Weg bei der Kasseler Hütte.
Foto: ÖAV-Museum/Archiv, unbek. Fotogr.

Sektionsleben

Nicht ermessen kann man auch die volkswirtschaftliche Bedeutung. Für das erste Vierteljahrhundert gibt es genaue Zahlen: Für Wegbauten gaben die Sektionen und der Gesamtverein bis zum Jahr 1893 486.788,88 Mark aus – das wären heute knapp 4 Millionen Euro –, wobei die Eigenleistung der Mitglieder natürlich nicht eingerechnet ist. Später, in einem Vortrag im Jahr 1934, meinte Moriggl nur mehr, „die Kosten der tausenden Kilometer von Wegen sind gar nicht auszurechnen“, was der Alpenverein hier geleistet habe, „weiß heute schon jedes Kind“.

Die häufig geübte Tradition, die Jugend in die Wartungsarbeiten an den Wegen einzubinden und zu beteiligen, trägt nicht nur dazu bei, die pädagogischen Ziele der Alpenvereinsjugend zu unterstützen, wie sie auch heute bei den Umweltbaustellen und Bergwaldprojekten vertreten werden, sondern auch dazu, sie an die Sektion und den Verein zu binden.

Wer einmal Alpenvereinspräsident*in werden will, beherzige das Resümee, das der damalige Vorsitzende Raimund Klebelsberg 1936 anlässlich seines 50. Geburtstages über seine Tätigkeit im Alpenverein zog: „Schon in frühen Brixner Gymnasialjahren habe ich mich geradezu darum gerissen, markieren gehen zu dürfen, und nicht zur reinen Freude meiner Mutter bin ich mit den Färbtiegeln über die Berge gewandert. [...] Im Laufe der Jahre habe ich in den Bergen um Brixen eigenhändig über 1000 Wegweisertafeln angebracht [...]. Von der Pike rückte ich dann allmählich in den Sektionsausschuß auf, wurde Hüttenbauer, Vortragsmaier, Sektionshistoriker und tat auch sonst überall eifrig mit. Schließlich trat ich in die Hierarchie des Gesamtvereins ein und über: nahm 1928 den Vorsitz im Verwaltungsausschuß Innsbruck (1929–1933).“ Von da war der Weg ins höchste Amt nicht mehr weit, aber steinig.

Autor: Martin Achrainer ist Mitarbeiter im Historischen Archiv des Österreichischen Alpenvereins.

Beschilderung als „Alpenvereins­Weg“, ca. 1920er Jahre.
Foto: ÖAV-Museum/Archiv, Nachlass Theodor Pichler

Literaturtipp: Hoch hinaus

Unser Standardwerk „Hoch hinaus. Wege und Hütten in den Alpen“, 2016 erschienen, ist für Mitglieder weiterhin zum Preis von 34,80 Euro im Alpenvereinsshop erhältlich. Von kulturgeschichtlichen Voraussetzungen bis hin zu technischen Herausforderungen der Gegenwart bieten die zwölf Beiträge und Bildstrecken eine umfassende Geschichte der Wege und Hütten in den letzten 150 Jahren. Der zweite Band enthält einen zusammenfassenden Überblick und ein historisches Hüttenverzeichnis mit rund 1.800 Hütten, Biwakschachteln und Aussichtswarten.Im Alpenvereinsshop erhältlich: https://alpenverein.shop/publikationen/kultur-geschichte/buch-hoch-hinaus-998-13021

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