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MENSCH UND MASCHINE IN DER ÄRA KOGNITIVER SYSTEME Wir stehen am Beginn einer tief greifenden Transformation, die enormes Potenzial beinhaltet. Entscheidend ist, dass es gelingt, die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine in optimaler Weise zu gestalten. Von Dr. Karin Vey, Executive Briefing Manager, IBM Research – Zurich
Sind auch Sie ein Fan von Star Trek IV? In diesem Science-FictionEpos reist die Crew des Raumschiffs Enterprise aus der Zukunft zurück ins ausgehende 20. Jahrhundert. Dort werden sie mit jener Computertechnologie konfrontiert, die wir bislang kennen. In einer grossartigen Szene versucht der Chefingenieur Scotty, mit dem Computer zu sprechen, indem er die Maus als Mikrofon benutzt. Doch sein «Hello Computer» bleibt ohne Resonanz. Scotty ist ratlos. Aus der Zukunft kommend erwartet er, sich mit dem Computer in natürlicher Weise verständigen zu können und perfekt unterstützt zu werden. Bislang war dies nur ein Zukunftstraum. Eine Änderung ist jedoch in Sicht. Sogenannte kognitive Systeme werden uns künftig als Denkwerkzeuge unterstützen und unsere Lebens- und Arbeitswelt tief greifend verändern. Von Recherche bis Kreation Erste Schritte auf dem Weg zu solch hochinnovativen Assistenzsystemen sind getan. Als das System Watson in der US-Quizshow Jeopardy! 2011 gegen die weltbesten Champions gewann, markierte dies einen Meilenstein. Watson liefert auf eine komplexe Frage eine präzise Antwort und nicht nur eine Auflistung von Suchergebnissen. Ein hoch entwickeltes Sprachverständnis, die hyperschnelle Analyse immenser Textdaten und ausgeklügelte Lernalgorithmen machen es möglich. Watson hilft etwa Ärzten bei der Recherche. Diagnosen können so zuverlässiger und schneller gestellt und die bestmögliche Therapie identifiziert werden. Zentral ist, dass das System transparent macht, wie eine Einschätzung zustande gekommen ist. Die Entscheidung trifft immer der Mensch. Kognitive Systeme sind keine Expertensysteme, sondern Systeme für Experten.
molekulare Strukturen und chemische Reaktionsfähigkeit sowie Geschmackspräferenzen. Durch Rekombination entstehen neue Kreationen – etwa ein innovativer Champagnerpunch, der von Gästen auf einem Empfang als «interessantes, neuartiges Geschmackserlebnis» beurteilt wurde. «Hallo, Computer?» – Umgang leicht gemacht Kognitive Systeme bestmöglich zu nutzen erfordert eine möglichst einfache Interaktion – so wie bei Raumschiff Enterprise. Unabhängig vom Standort konnte man einfach in den Raum sprechen und der Computer antwortete. Auch wir werden zunehmend mit den IT-Systemen sprechen wie mit unseren Kollegen. In Zeiten von Big Data gibt der Computer jedoch häufig keine einfache Antwort. Oft sind Visualisierungen nötig, die Big Data begreifbar machen – auf Bildschirmen oder mittels holografischer Projektionen im Raum. Die Interaktion erfolgt durch Berührung, Bewegung, Sprache, Blick – auf jeden Fall intuitiv. Insbesondere bei hochkomplexen Fragestellungen, etwa nach lohnenden Akquisitionen, kommen «Cognitive Environments» ins Spiel. Wie im Film «Minority Report» werden wir uns in virtuellen Räumen bewegen, in die wir vollends eintauchen. Dort können wir auf vielfältige Weise mit Daten interagieren. Im Hintergrund wirken in der Cloud kognitive Systeme, die eine ausgeklügelte Datenanalyse
Recherchen und Analysen im digitalen Datenmeer sind ein wichtiger Aspekt. Prognosen sind ein weiterer. Kognitive Systeme können entscheidend dazu beitragen, unser Denkvermögen auf verschiedenen Ebenen zu erweitern /bereichern. Die Funktion gleicht einem Blick in die Kristallkugel – nur dass hier komplexe Algorithmen am Werk sind. Kognitive Systeme können uns auch in schwierigen Entscheidungssituationen dabei unterstützen, Argumente untereinander abzuwägen. Sind etwa Videos wie «Ein Zombie hing am Glockenseil» für die Entwicklung von Jugendlichen schädlich? Der «Watson Debator» sammelt und selektiert relevante Informationen zu einer Problemstellung und präsentiert das Für und Wider. Im gewissen Masse werden kognitive Systeme auch kreative Prozesse unterstützen können. «Chef Watson» zum Beispiel schlüpft in die Rolle des Küchenchefs, um neue Rezepte zu kreieren. Das System kombiniert Zutaten auf Basis bekannter Rezepte, Wissen über
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Zukunft, die schon heute existiert. Mit sogenannten Cognitive Environments ist es möglich, mithilfe von Gesten und natürlicher Sprache effizienter und direkter mit lernenden Systemen in Kontakt zu treten.
ermöglichen. In komplexen Entscheidungssituationen können Cognitive Environments die kollektive Intelligenz einer Gruppe auf hohem Niveau aktivieren und unterstützen, sodass Entscheidungen stärker evidenzbasiert getroffen werden können. Cognitive Environments bieten eine Infrastruktur, die ein nahezu symbiotisches Zusammenwirken von Mensch und lernendem System als integrierter Einheit möglich macht. Beispiel: Katastrophenschutz. Ein Hurrikan ist angekündigt. Ein Mitarbeiter eines Energieversorgers muss einen Notfallplan erstellen. Als Assistent steht ihm ein System von Cogs – kognitive Agenten – zur Seite, etwa für Notfallpläne oder lokale Wettermodelle. Je nach Anforderung können Cogs zusammenwirken und über Schnittstellen Sensorinformationen oder andere Echtzeitdatenströme integrieren. Innerhalb weniger Minuten können so die Vor- und Nachteile verschiedener Pläne im Dialog diskutiert werden. Mensch und Maschine kollaborieren auf einer Zeitskala, die durch die Geschwindigkeit des Denkens getaktet ist. Im Zeitalter der kognitiven Systeme wird eine Partnerschaft zwischen Mensch und lernenden Systemen möglich, die unsere individuellen und kollektiven kognitiven Fähigkeiten verstärkt und erweitert, speziell jene, die mit Einsicht und Entdeckung assoziiert sind. Die Daseinsberechtigung der kognitiven Systeme hängt von uns und unseren Fragen oder Gedanken ab, ohne die ihnen jeder Anhaltspunkt einer Recherche oder Entscheidungsabwägung fehlen würde. Im Idealfall helfen sie, unsere ureigensten Fähigkeiten zu kultivieren: Emotionen, Empathie und Imaginationen. Kognitive Systeme markieren eine neue Ära des Computings. Wir werden in einer Welt leben, in der Computersysteme allgegenwärtig, aber nicht vorherrschend sind.
Dr. Karin Vey Dr. Karin Vey ist Trend- und Innovationsexpertin und diskutiert am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon die Zukunft von Informationstechnologien unter anderem im Bereich Government und dem Bildungssektor.
Kognitive Systeme werden nicht nur die Art und Weise wie wir lernen und arbeiten grundlegend verändern, sondern auch unser direktes Arbeitsumfeld.
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