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IBM Watson at work Ein lernendes System in der Praxis von Haig A. Peter, Executive Briefing Consultant, IBM Research – Zürich Das Computersystem Watson wurde natürlich nicht primär für die Teilnahme an der US-amerikanischen Quizshow Jeopardy! entwickelt. Es markiert den Beginn einer neuen Entwicklungslinie so genannter lernender oder kognitiver Computersysteme. Mit Watson wurde eine Technologie-Plattform für eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten geschaffen – ein praktisches Werkzeug, das die menschlichen Fähigkeiten im Zeitalter von Big Data ideal ergänzen und erweitern kann. Drei Jahre nach dem Auftritt des Watson-Computers in der Quizshow wird die Technologie nun im Rahmen zahlreicher Pilotprojekte etwa im Gesundheitswesen, im Finanzbereich oder im Kundendienst erprobt und erbringt somit den Beweis, dass Cognitive Computing Realität wird. Mehr noch: Watson ist kein reines Forschungsfeld mehr. Im Januar 2014, erst das vierte Mal in der mehr als 100 jährigen Geschichte von IBM, wurde mit der Watson Group eine neue Geschäftssparte gegründet. Sie macht Watson-basierte Produkte und Lösungen für Kunden verfügbar. Eine Architektur für evidenzbasierte Entdeckung Als die Watson-Technologie bei IBM Research konzipiert und entwickelt wurde, entschieden sich die Forscher bewusst gegen ein starres, streng definiertes System von Regeln zur Analyse von Daten, sondern implementierten viele einfache Algorithmen, die sich je nach Aufgabenstellung zusammenstellen und kombinieren liessen. So entstand eine leistungsfähige Analytik-Plattform, die es ermöglicht, unabhängig vom Fachgebiet die vorhandene Evidenz bezüglich konkreter Fragestellungen auszuwerten und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Dr. Eric Brown, Leiter des Watson-Teams bei IBM Research, sieht darin eine «Architektur der Entdeckung». Im Dialog zu einer besseren Antwort Um Watson alltagstauglich zu machen, wurde gleich zu Beginn der Anwendungsentwicklung auf eine Eigenschaft besonderer Fokus gelegt: die Dialogfähigkeit. Bei Jeopardy! erhielt Watson einen Hinweis, auf den es die richtige Frage formulieren musste. 8
Heute können Benutzer in einen Dialog mit dem System treten. Der Watson Engagement Advisor ist die erste bereits verfügbare praktische Lösung mit dieser Funktion. Sie ermöglicht es, Personalisierung und Qualität in der Kundenberatung zu steigern. Abrufbar als Dienstleistung aus der Cloud in Form eines Online-Chat-Dialogs können Kunden mit Watson kommunizieren, um personalisierte Antworten auf ihre Fragen zu erhalten – direkt oder über einen Mitarbeiter des Kundendienstes, der auch Zugriff auf den Watson Advisor hat. Das Verstehen von natürlicher Sprache und Kontext sind essentiell für die Analytikfähigkeiten von Watson. Dabei entsteht ein wichtiger Effekt: Daten schaffen selbstständig neue Daten. Man nennt dies den Multiplikatoreffekt des Kontextes. Er ergibt sich durch die Anzahl der Verknüpfungen innerhalb von Datenmengen und daraus wie schnell diese zunimmt. Kontext verstehen bedeutet auf Ebene der Daten nichts anderes, als Beziehungen zwischen ihnen zu erstellen. Anwendungen in der medizinischen Diagnostik stellen das System in dieser Hinsicht vor besonders hohe Anforderungen. Kein Expertensystem, sondern ein System für Experten In einem gemeinsamen Projekt mit dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center (MSKCC), einem der weltweit führenden Krebsforschungszentren, und der US-amerikanischen Krankenversicherung WellPoint wird die Watson-Technologie zu einer Anwendung weiterentwickelt, die Onkologen bei der Diagnosestellung und der Auswahl der geeignetsten Krebsbehandlungen unterstützt, indem sie immense Mengen an medizinischem Wissen in Sekundenschnelle verarbeiten kann, um evidenzbasierte Vorschläge zu erstellen. Für Ärzte ist es unmöglich, die Flut an neuen Erkenntnissen zu bewältigen, denn das medizinische Wissen verdoppelt sich alle fünf Jahre. Hier soll die «Interactive Care Insights for Oncology»-Anwendung Abhilfe schaffen. Aktuell hat Watson bereits mehr als 600 000 Seiten mit medizinischen Daten, 2 Millionen
Textseiten aus 42 medizinischen Fachzeitschriften und klinischen Studien sowie Tausende von Krankengeschichten erfasst. Im Alltag verwenden Ärzte die Anwendung zum Beispiel über einen Tablet-PC. Nachdem der Arzt das elektronische Patientendossier aufgerufen und grundlegende Symptome und andere Faktoren eingegeben hat, kann er in den Dialog mit Watson treten und die Analyse präzisieren. Watson analysiert die Eingaben, hebt besonders wichtige Informationen hervor und nutzt das ganze verfügbare digitale medizinische Wissen, um adäquate evidenzbasierte Diagnoseresultate und individuell optimierte Behandlungsoptionen vorzuschlagen. Dr. Mark Kris vom MSKCC sieht in der Anwendung eine fundierte zweite Meinung. Noch befindet sich die Anwendung im Pilotbetrieb und wird weiter verbessert, aber in Zukunft könnten Patienten auf der ganzen Welt über die Watson-Anwendung als Cloud-basierte Dienstleistung von der Spitzenforschung und Expertise der Onkologen am MSKCC profitieren. Eine Welt von Cog-Apps Drei Jahre nach Watsons Auftritt in der Quizshow Jeopardy! ist das dereinst raumfüllende Computersystem heute eine kommerzielle Cloud-basierte Analytik-Plattform. Sie ist 24-mal schneller, 2400 Prozent leistungsfähiger und 90 Prozent kleiner. Um die Entwicklung und Vermarktung von Watson-basierten Lösungen und Dienstleistungen voranzutreiben, wurde im Januar 2014 eine eigene IBM-Geschäftssparte gegründet. Über 1 Milliarde US-Dollar investiert IBM in den Geschäftsbereich, wovon 100 Millionen US-Dollar als Beteiligungskapital für die Entwicklung von neuen Watson-basierten Anwendungen durch Dritte – so genannte «Cog-Apps» oder Cognitive Apps – vergeben werden. Die Umgebung hierfür ist die Watson Developer Cloud, die Zugriff auf die Watson-Technologie und Watson APIs gibt. Mehr als 1500 Ideen für neue Apps wurden bereits eingebracht und drei IBM Business Partner in den USA, MDBuyline, Welltok und Fluid, planen noch in diesem Jahr erste Anwendungen anzubieten.
Haig A. Peter stellt im Client Center bei IBM Research – Zürich verschiedene Watson-basierte Lösungen und Prototypen vor.
Der Watson Engagement Advisor hilft als digitaler Assistent im Kundenservice und ist etwa über das Smartphone nutzbar. Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Haus kaufen und ein Watson-System kann Ihnen helfen, die Eigenschaften des Hauses zu beurteilen. Es kann Ihnen auch sagen, ob Sie sich das Haus leisten können und welche Kreditoptionen Sie haben. Und all das in kürzester Zeit und auf Basis aller verfügbaren Informationen.
WatsonPaths, ein Projekt mit dem Lerners College of Medicine der Cleveland Universität, dient der Ausbildung von Ärzten. Die Anwendung visualisiert in Echtzeit Entscheidstrukturen, mithilfe derer Ärzte in komplexen Fällen zu einer Diagnose gelangen. Mit WatsonPaths können die Studenten per Fingerzeig auf die für die jeweiligen Visualisierungen relevanten medizinischen Quellen zurückgreifen, um den Verlauf nachzuvollziehen und die Ergebnisse der Analyse auszuwerten.
Der Expert Personal Shopper der Firma Fluid ist eine App, die in der Watson Developer Cloud entwickelt wird. Sie nutzt Watsons Fähigkeiten, Nuancen der menschlichen Sprache im Kontext zu verstehen, um als persönlicher, kognitiver Shopping-Assistent Kunden bei der Auswahl der am besten ihren Wünschen und Vorstellungen entsprechenden Produkte zu helfen.
Videos zum Thema https://ibm.biz/cognitivebyhaig Haig A. Peter, Experte am Client Center bei IBM Research – Zürich, über Cognitive Computing und den Watson Oncology Advisor https://ibm.biz/watsonpaths Eine kurze Demonstration von WatsonPaths https://ibm.biz/watson4mskcc Über die Zusammenarbeit mit dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center https://ibm.biz/watson4genomicmedicine Gemeinsam mit dem New York Genome Center wird Watson für DNA-basierte personalisierte Krebstherapien weiterentwickelt. Mitte März angekündigt, ist es das neueste Anwendungsprojekt für das lernende System.
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