DIGITALE RECHTE ONLINE-MONOPOLE
Und jetzt: Werbung! Und zwar für Regulierung Die Gesetzgebung der EU hat die großen Internetplattformen so lange unreguliert wachsen lassen, bis sie zu mächtig werden konnten. Schluss damit! Ein Kommentar von Lena Rohrbach
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enschenfressende Pferde zähmen, eine neunköpfige Hydra ausschalten und einen riesigen Rinderstall ausmisten – das waren die »Herkulesaufgaben«, die der gleichnamige griechische Held bewältigen musste, um in den Olymp aufgenommen zu werden. An einer solchen Aufgabe versucht sich derzeit auch die EU: Facebook und Google sollen gezähmt, manipulierende Algorithmen ausgeschaltet und übergriffige Geschäftspraktiken der Internetplattformen »ausgemistet« werden. Im Vergleich zur Zähmung der TechGiganten erscheinen die Aufgaben des mythologischen Herkules fast leicht. Denn die EU-Gesetzgebung hat die großen Plattformen so lange unreguliert wachsen lassen, bis sie zu monopolistischen Torhütern des Internets werden konnten. Sie diktieren uns nun, unter welchen Online-Bedingungen wir unsere Meinung ausdrücken und uns informieren können. Dass die technologische Entwicklung die gesetzliche Regulierung überholt, ist im Zeitalter der Digitalisierung leider zum Normalzustand geworden. Ob bei staatlicher Überwachung, Künstlicher Intelligenz in Waffensystemen oder eben
Europa kann und muss im vielzitierten »Systemwettbewerb« einen neuen Weg gehen.
bei Facebook und Co.: Erst wenn die Bedrohungen der Menschenrechte unübersehbar werden, wird mit einer Regulierung begonnen. Höchste Zeit also, den Plattformen mit den derzeit verhandelten Gesetzen Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) klare Grenzen zu setzen. Der Digital Services Act soll beispielsweise den Umgang mit illegalen Inhalten, personalisierter Werbung, Datenschutz und algorithmischen Empfehlungssystemen regeln. Für die meisten dieser Herausforderungen gibt es leider kaum gute Vorbilder. So fehlt es in den USA weitgehend an landesweiten Regeln für Plattformen. Staaten wie China oder Vietnam hingegen haben solche Dienste zwar gut im Griff – aber eben zu gut: Zensur und die Verfolgung regierungskritischer Nutzer_innen sind an der Tagesordnung. Die Aufgabe der EU ist deshalb zugleich eine historische Chance. Europa kann und muss im vielzitierten »Systemwettbewerb« einen neuen Weg gehen. DSA und DMA könnten dann auch international zum Vorbild werden und eine Alternative zu Laissez-Faire-Kapitalismus oder autoritärer Kontrolle aufzeigen. Dafür muss sich die EU an den Menschenrechten orientieren, denn diese gelten online ebenso wie offline. Besonders die Rechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit, Privatsphäre und der Schutz vor Diskriminierung bedürfen gesetzlicher Durchsetzung. Dafür braucht die EU eine Portion Optimismus und Mut. So fordern etwa Amnesty Internatio-
nal und andere NGOs sowie einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments ein konsequentes Verbot personalisierter Werbung, die auf der umfassenden Überwachung unseres Surfverhaltens beruht. 98 Prozent des Facebook-Umsatzes speist sich aus Werbung, bei Google sind es immerhin noch mehr als 80 Prozent. Um diese Werbung gezielt anzuzeigen, überwachen die Plattformen das Verhalten der Nutzer_innen bei jedem Klick. Facebook müsste sich nach einer Änderung neue Einnahmemodelle suchen – etwa kontextbasierte Werbung, also eine Anzeige für Katzenfutter neben einem Artikel über Katzen. Ob die EU sich zu einem Verbot von Überwachungswerbung durchringen kann, scheint derzeit leider fraglich. Doch der Schutz der Menschenrechte im digitalen Zeitalter ist nicht die Aufgabe der betroffenen Internetnutzer_innen, die sich durch unverständliche und lange AGBs und Datenschutzeinstellungen klicken müssen, sondern der Politik. Nachhaltige Änderungen wird nur ein klares Verbot des Geschäftsmodells »Überwachungswerbung« bringen. Es kann den Zuckerbergs dieser Welt zugemutet werden, ihr Geld zukünftig auf eine Weise zu verdienen, die die Menschenrechte nicht verletzt. ◆ Lena Rohrbach ist Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International in Deutschland.
AMNESTY JOURNAL | 01/2022 21