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Al Jazeera: Zwischen Königshaus und Pressefreiheit
Zwischen Königshaus und
In der arabischen Welt gilt Al Jazeera als eine der wichtigsten unabhängigen Nachrichtenquellen. Wie es um die Objektivität bestellt ist, zeigt die Berichterstattung über die Fußball-WM 2022.
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Der katarische Sender Al Jazeera (AJ) gilt vielen arabischsprachigen Menschen als professionelle und zuverlässige Nachrichtenquelle. Von der US-Invasion in den Irak 2003 über den Arabischen Frühling bis hin zum Nahostkonflikt und den Menschenrechtsverletzungen autoritärer Regime in der Region – für ein breites Publikum ist die Berichterstattung von AJ eine Alternative zu staatlicher Propaganda und Zensur.
Doch der Sender wird vom katarischen Königshaus finanziert. 1996 unterstützte der damalige Emir Sheikh Hamad bin Khalifa al-Thani die Gründung von AJ mit 137 Millionen Dollar. Zwar deklarierte er das Geld als Kredit, der bis 2001 zurückgezahlt werden sollte. Da sich das Unternehmen aber nicht selbst finanzieren konnte, wurde der Kredit auf unbestimmte Zeit verlängert.
Die katarische Regierung hat wiederholt betont, der Sender berichte unabhängig. Kritiker*innen vermuten jedoch, dass das Königshaus AJ nutzt, um seinen politischen Einfluss in der Region auszuweiten. Damit hat sich der Sender bei den Regierungen der Nachbarländer Katars unbeliebt gemacht.
AJ-Journalist*innen waren in der Vergangenheit wegen kritischer Berichterstattung immer wieder Repressionen ausgesetzt. Im Mai wurde die langjährige AJReporterin Shireen Abu Akleh im Westjordanland offenbar von israelischen Soldaten getötet. 2014 setzte sich Amnesty für drei Mitarbeiter des Senders ein, die in Ägypten inhaftiert wurden.
Wie aber steht es um die Objektivität bei der Berichterstattung über den eigenen Heimatstaat und Geldgeber? Das war bisher schwer zu überprüfen, denn häufig schaffte Katar es nicht in die internationalen Schlagzeilen. Vor zwölf Jahren dann erhielt das Emirat als erster arabischer Staat den Zuschlag für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022. In der Folge gab es zahlreiche Vorwürfe und Kontroversen, über die weltweit diskutiert wurde.
Zum einen stand der Vorwurf im Raum, Katar habe Bestechungsgeld an die FIFA bezahlt, um WM-Gastgeber zu werden. Zum anderen deckte ein AmnestyBericht 2013 auf, wie katarische Arbeitgeber*innen ostasiatische Arbeitsmigrant*innen ausbeuteten und unter sklavenähnlichen Bedingungen festhielten. Viele wurden unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht und zu langen Arbeitstagen gezwungen, auch bei großer Hitze. Statistiken der katarischen Behörden zufolge starben zwischen 2010 und 2019 mehr als 15.000 Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit. Weltweit folgte Kritik an der Ausbeutung der Migrant*innen bis hin zu Boykottforderungen von Fußballer*innen und Fans.
Wie der hauseigene Sender des Golfstaates auf die Kontroversen reagierte, hat eine israelische Forschungsgruppe 2011 bis 2013 untersucht. Sie kam zu dem
Gokul Timilsina, Vertragsarbeiter: »Meine Arbeit bestand darin, Wasserflaschen zu den Geschäften zu tragen. Eines Tages fühlte ich mich durstig und hungrig. Ich beschloss, in den Supermarkt zu gehen. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass dies für Lieferanten wie mich verboten ist.« Nepal, 2022.
wie auf einem Flughafen zu: Kameras und Handys sind nicht erlaubt. Meist verhindern die Eltern schon sehr früh, dass ihre Töchter regelmäßig trainieren.« In Katar prägt der Wahhabismus die Gesellschaft der Einheimischen, eine traditionalistische Auslegung des sunnitischen Islams.
Studien zeigen, dass Sportlerinnen in Katar als starke Frauen interpretiert werden, aber im negativen Sinne: Sie haben mitunter Angst, wegen des Sports als maskulin oder lesbisch wahrgenommen zu werden. Die katarische Regierung will dieser Wahrnehmung etwas entgegensetzen, denn sie möchte ihre ökonomischen Netzwerke mit dem Westen nicht gefährden. Im internationalen Austausch betont die Regierung das Narrativ der »starken Frau« und verweist auf weibliche Führungskräfte in Verwaltung und Kultur. Und auch auf »inspirierende Sportlerinnen«. Aber das sei nur Fassade, sagt Fatma: »Von einer ernsthaften Unterstützung der Fußballerinnen kann keine Rede sein.«
Für den Zuschlag einer Männer-WM müssen Bewerber gegenüber der FIFA auch die Förderung von Mädchen und Frauen nachweisen. In Katar wurde jedoch erst 2009 eine nationale Fußball auswahl der Frauen gegründet. Im Ok tober 2010 bestritt sie ihr erstes Länderspiel. Anderthalb Monate später wurde die Männer-WM 2022 nach Katar vergeben. Danach war das Nationalteam der Frauen kaum aktiv und wurde auch nicht in der Weltrangliste geführt.
Der Sport macht das Spannungsfeld zwischen dem offiziellen politischen Anspruch auf »Modernität« und den konservativen Normen in der Gesellschaft besonders deutlich. Auf dem internationalen Universitätscampus Education City am Rande von Doha sind mehr als 70 Prozent der Studierenden weiblich. Doch außerhalb der Hochschule ist die Lage anders.
Während 70 Prozent der katarischen Männer erwerbstätig sind, beträgt der Anteil unter den Frauen nur 37 Prozent. Im Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums liegt Katar bezüglich Frauenbildung auf Platz 83 und damit immerhin im Mittelfeld der 153 bewerteten Staaten. Im Bereich der weiblichen Gesundheit rangiert das Land hingegen auf Platz 142, was politisches Engagement angeht, sogar auf Platz 143.
Bloß nicht über Homosexualität sprechen
Der Emir und seine Umgebung beanspruchen die alleinige Deutungshoheit, das gilt auch für gesellschaftliche Normen und Geschlechterbilder. Nicht heterosexuelle Menschen müssen mit Einschüchterung, Verfolgung und Anklage rechnen. Immer wieder wurden schwule Männer in Online-Netzwerken geoutet und anschließend inhaftiert. Peitschenhiebe, wie sie das Gesetz vorschreibt, sollen in
Pressefreiheit
Jedoch wird der Sender vom katarischen Königshaus finanziert. Von Hannah El-Hitami
Newsroom der arabischsprachigen Welt: Al Jazeeras Hauptstudio in Katar.
Schluss, dass die englischsprachige Abteilung von AJ ähnlich über Katar berichtete wie andere Medien aus Europa und den USA. Der arabische Zweig des Senders neigte jedoch zu einer überdurchschnittlich positiven Darstellung des Emirats. Der Studie zufolge benannten alle Redaktionen seltener den katarischen Staat als Schuldigen für die Missstände.
Aktuelle Artikel des Senders im Internet zeigen: AJ thematisiert zwar regelmäßig die Vorwürfe gegen Katar, vor allem in Bezug auf die Ausbeutung von Arbeiter*innen. Allerdings wird staatlichen Stellungnahmen viel Platz eingeräumt und die Schuld für unmenschliche Arbeitsbedingungen eher bei den Arbeitgeber*innen als beim Staat gesucht. Hervorgehoben werden dagegen politische Reformen wie die Abschaffung des KafalaSystems – deren Wirksamkeit Kritiker*innen allerdings bezweifeln. ◆
jüngerer Vergangenheit nicht angewandt worden sein. Mehrere Männer, die für die Zeit vor und während der WM ein gemeinsames Hotelzimmer buchen wollten, wurden ohne Angaben von Gründen abgelehnt. »Leider wurde viel zu spät begonnen, über die Rechte von queeren Menschen bei der WM zu sprechen«, sagt Piara Powar, Leiter des internationalen FußballAntidiskriminierungsnetzwerks FARE. Es sei fast unmöglich, mit den Gastgebern über Homosexualität ins Gespräch zu kommen: »Die Katarer vermitteln allgemeine Willkommensbotschaften, aber eine tatsächliche Sicherheitsgarantie für queere Fans gibt es nicht.«
Es wird wohl noch Jahre dauern, bis sich seriös beurteilen lässt, wie sich die Fußball-WM auf Staat und Gesellschaft in Katar ausgewirkt hat. In jedem Fall hat die Debatte die Sportindustrie zum Nachin die Vereinigten Arabischen Emirate, die in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hinter Katar platziert sind.
In der Region am Persischen Golf wird Katar von seinen größeren Nachbarn kritisch beäugt. Die Herrscherhäuser in Saudi-Arabien oder den Emiraten fürchten, dass sie wegen der katarischen Reformen international in Zugzwang geraten. In den verbleibenden Wochen bis zur WM werden weitere Bücher und Dokumentationen zur Menschenrechtslage am Golf erscheinen. Doch die Geopolitik hat sich geändert.
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bemühen sich westliche Demokratien wie Deutschland um Gaslieferungen aus Doha. »Es gibt konservative Kräfte in Katar, die Reformen gern zurücknehmen würden«, sagt der Gewerkschafter Dietmar Schäfers, der nun nicht mehr von einem Boykott sprechen will. Wenn diese Kräfte ihr Ziel erreichen, dann wohl erst nach der WM, wenn die Aufmerksamkeit woanders liegt. ◆
Nirmala Tamang: »Mein Mann Rup Chandra Rumba war Bauarbeiter in den Stadien. Als er im Jahr 2019 starb, war er 24 Jahre alt. Uns wurde gesagt, er sei nicht versichert gewesen, also bekamen wir nur 2.000 US-Dollar – und das auch erst, nachdem über seinen Tod berichtet wurde. Diese schmutzige WM sollte nicht beginnen, solange wir nicht unsere Rechte bekommen.« Nepal, 2020. denken gebracht: Anfang Juni nahm das deutsche Fußballnationalteam an einer Informationsveranstaltung mit kritischen Aktivist*innen und NGOs teil. Auch der FC Bayern München, der seit gut einem Jahrzehnt ins Wintertrainingslager nach Doha reist, lud nach langem Zögern kritische Fans zu einem Austausch mit katarischen Vertretern ein. Vor einigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.
Doch bei Runden Tischen sollte es nicht bleiben. Im Sommer 2024 findet die nächste Fußball-Europameisterschaft in Deutschland statt. Etliche Gastgeber städte wie Berlin arbeiten seit der Bewerbungsphase mit Menschenrechtsorganisationen zusammen, um ein Nachhaltigkeitskonzept zu erarbeiten. Auch einige Austragungsorte der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko gehen in diese Richtung. »Die Diskussion um Katar wird hoffentlich dazu führen, dass Sportverbände die Vergabe von Großereignissen frühzeitig an Bedingungen knüpfen«, sagt Jonas Burgheim, Mitgründer des Zentrums für Menschenrechte und Sport. »Profiklubs sollten auf die Produktionsbedingungen ihrer Sponsoren und Trikothersteller schauen.« Selbst die FIFA hat ein Menschenrechtskonzept erarbeitet. Dennoch verlegte sie ihre Klub-WM 2021 aus dem von Corona geplagten Japan kurzerhand
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Aktuelle Informationen und Forderungen von Amnesty zur WM in Katar: