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Wasser: Seit zwölf Jahren ein Menschenrecht

»Repariere den Teil des Universums, den du berühren kannst«

Vor zwölf Jahren wurde Wasser zum Menschenrecht erklärt. Dazu hat auch Maude Barlow beigetragen, die ihr Leben einem gerechten und nachhaltigen Umgang mit Wasser widmet. Die Aktivistin erklärt, wer die größten Wasserverschwender sind und wie sie trotz der katastrophalen Lage hoffnungsvoll bleibt.

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Interview: Hannah El-Hitami

In Ihrem Buch »Blaue Zukunft« hatten Sie Wassermangel als größtes

Menschenrechtsproblem der Welt ausgemacht. 2010 hat die UNO Wasser zum Menschenrecht erklärt. Was hat sich seither getan?

Mehr als 50 Länder haben seit 2010 ihre Verfassung geändert oder Gesetze erlassen, die das Menschenrecht auf Wasser festschreiben. Zudem gibt es die kommunale Ebene, auf der die Blue Communities den Menschen die Möglichkeit geben, dieses Recht in die Tat umzusetzen.

Was leisten die Blue Communities?

2009 wollte unsere rechtskonservative Regierung in Kanada die Wasserversorgung privatisieren. Wir hatten damals die Idee, dass Kommunen sich verpflichten können, Wasser nicht zu privatisieren. Wasser muss Allgemeingut bleiben. Nach und nach begannen Menschen in anderen Ländern, die Bedrohung durch Privatisierung wahrzunehmen, und sie schlossen sich uns an. In Deutschland gibt es inzwischen elf Blue Communities, zum Beispiel in Berlin, Marburg oder Neu-Strelitz. Die Communities versprechen zudem, dass ihre Konzerne Ländern im Globalen Süden das Wasser nicht wegnehmen werden. Es ist ein schönes Gefühl, mit einem Plan und einer Vision voranzuschreiten.

Nehmen Länder wie Deutschland, wo sauberes Wasser jederzeit verfügbar ist, den drohenden Mangel ernst genug?

Wir glauben an den Mythos des Überflusses, dabei wird Wasser auch in reichen Ländern immer knapper. In Deutschland sinkt der Grundwasserspiegel rapide. Noch schlimmer ist es in den USA: Die Menschen verstehen nicht, dass es Kalifornien bald nicht mehr geben wird. Dort wird eine Wüste sein. Eine Million Menschen in der Region Los Angeles haben keinen Zugang zu sanitären Anlagen, Zehntausenden in Detroit wurde das Wasser abgestellt, weil sie es nicht mehr bezahlen konnten. Und das in einem der reichsten Länder der Welt!

Während in Dürreregionen, Flüchtlingslagern oder armen Wohngebieten Wasser fehlt, ist es in reichen Gesellschaften zum Accessoire geworden. Es gibt Sprudelwasser in Dosen, »Detox-Wasser«, »Mondwasser«. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?

Wir sehen Wasser als Ressource für unser Vergnügen, unseren Komfort und unseren Profit. Wir nehmen es dort weg, wo die Natur es platziert hat, und bringen es dorthin, wo wir es haben wollen. Die Reichen und Schönen tragen ihr cooles Wasser mit sich herum, während es in anderen Ländern kein sauberes Trinkwasser gibt. Das nutzen Firmen wie Coca-Cola und Nestlé aus, um ihr »sicheres und sauberes« Wasser in Plastikflaschen anzubieten. Sie profitieren von der Vulnerabilität der Menschen. Das ist der neoliberale Ansatz: Wasser auf den Markt werfen und den Markt entscheiden lassen. Dem entgegen steht die Überzeugung, dass Wasser ein Menschenrecht ist, das beschützt werden muss.

Wer sind die Top-Wasserverschwender und -verschmutzer?

Die industrielle Landwirtschaft ist einer der größten. Wie dabei Nahrung angebaut wird, ist eine furchtbare Wasserverschwendung. Auch Energieproduktion verschwendet jede Menge Wasser. Dazu kommen Pools, Golfplätze, Springbrunnen. Wasser in Plastikflaschen ist ein Riesenproblem – jede Minute werden eine Million Plastikflaschen Wasser gekauft. Auch für die Produktion von Kleidung, Computern und anderen Gebrauchsgegenständen wird sehr viel Wasser genutzt. Die großen Konzerne machen Geschäfte mit verzweifelten Ländern, die bereit sind, ihr Wasser zu verkaufen. Wasser ist ein Exportgut geworden. Es gibt Ländereien, auf denen Bäuerinnen und Bauern das Wasser verkaufen, statt etwas anzubauen.

»Wir glauben an den Mythos des Überflusses, dabei wird Wasser immer knapper.«

Wasser als Statussymbol: Golfplatz in der Mojave-Wüste in Kalifornien, USA.

Foto: Jim West/imageBROKER/pa

Zum Menschenrecht auf Wasser gehören auch sanitäre Anlagen.

4,2 Milliarden Menschen auf der Welt haben keinen Zugang zu sanitären Anlagen. Als wir vor zweieinhalb Jahren das erste Mal von Covid hörten, sagten die Gesundheitsbehörden, dass man seine Hände mit Seife und warmem Wasser waschen solle. Die UNO erwiderte, dass dazu mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung die Möglichkeit fehle. Es gibt Gegenden, in denen selbst Kliniken kein fließendes Wasser haben – was schon ohne eine Pandemie schlimm genug ist.

Welche Gruppen sind vom Wassermangel am stärksten betroffen?

Vor allem Frauen sind die Leidtragenden. In vielen Regionen der Welt sind sie dafür zuständig, Essen anzubauen und zu kochen, sich um die Familie zu kümmern, sie mit Wasser zu versorgen. Oft laufen Frauen kilometerweit, um Wasser zu holen, und nehmen ihre Töchter mit, die dann nicht in die Schule gehen. Und Kinder sind besonders vulnerabel. Es sterben mehr Kinder an verschmutztem Wasser als an allen anderen Ursachen zusammen, inklusive Krieg. Auch indigene Menschen und Bauern sind besonders betroffen, wenn zum Beispiel Bergbaukonzerne in einer Region den Zugang zum Wasser an sich reißen. Generell sind häufig ethnische Minderheiten betroffen, zum Beispiel in ärmeren Gegenden von Großstädten. Es gibt also einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Rassismus, dem Patriarchat und dem ungerechten Zugang zu Wasser.

Ich kann eine Mehrwegflasche nutzen und beim Duschen oder Zähneputzen Wasser sparen. Bringt das was ohne politischen Wandel?

Wir brauchen dringend einen Systemwandel. Wir müssen aufhören an Wachstum zu glauben, an mehr Handel, Deregulierung und Privatisierung, bis Konzerne alles entscheiden. Wenn mich jemand fragt, was sie oder er tun kann, sage ich: Hör auf, Flaschenwasser zu kaufen, wenn sauberes Wasser aus dem Hahn kommt; achte darauf, welche Chemikalien du zum Putzen nimmst. Aber das ist nicht genug. Man muss Teil einer Bewegung werden und auf ein langfristiges Ziel hinarbeiten: Wasser ist ein Menschenrecht, das bedeutet sicheres, öffentlich zugängliches Wasser für alle, überall.

Ihr neues Buch heißt »Still hopeful«.

Wie schaffen Sie es, trotz aller schlechten Entwicklungen hoffnungsvoll zu bleiben?

Ich denke langfristig. Man muss sich als Aktivistin klarmachen, dass man das Ergebnis nicht direkt kontrollieren kann. Veränderung ist möglich: Repariere den Teil des Universums, den du berühren kannst. Gleichzeitig musst du Vertrauen haben, dass andere dasselbe tun. ◆

Maude Barlow, geboren 1947, ist eine kanadische Aktivistin und Autorin. Sie setzt sich für eine gerechte Verteilung von und einen nachhaltigen Umgang mit Wasser ein – unter anderem in ihrem weltweiten Netzwerk der Blue Communities. Sie hat die UNO zum Thema Wasser beraten und mit dafür gesorgt, dass der Zugang zu sauberem Wasser und sanitärer Grundversorgung im Jahr 2010 von der UN-Vollversammlung als Menschenrecht anerkannt wurde. Für ihr jahrzehntelanges Engagement erhielt sie 2005 den Alternativen Nobelpreis, den Right Livelihood Award.

Foto: Verlag Antje Kunstmann

Das Wasser gehört uns allen: Wie wir den Schutz des Wassers in die öffentliche Hand nehmen können. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Kunstmann, München 2020, 176 Seiten, 16 Euro Still hopeful: Lessons from a Lifetime of Activism. Englisch. ECW Press, Toronto 2022, 240 Seiten, 21,95 Kanadische Dollar

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