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DAS KUNSTMAGAZIN
Konrad Klapheck: Maschinen mit Seele Grafik Horst Janssen und das Grundgesetz
Archäologie Die Jqguarstadt der Oliileken
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Os'errelch
Künstler, die
in Schlössern hausen
Fünf Meister und ihre Skizzenbücher
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" Graffiti 1990" heißt die Arbeit, die von einem Mann mit dem Decknamen " Lee" auf einer Tenn iswand aufgetragen wurde
Der 19 Jahre alte Graffiti-Sch reiber Dondi zeigt zwei Entwürfe, die er nachts auf einen U-Bahn-Wagen sprühen will
" Lovin Z" nennt sich dieser Schwarze aus New Yorks Stadtteil Harlem. Seine Skizze trägt den Phantasienamen " Shamel "
In dem wilden und farbenreichen Gewirr seines Entwurfs hat , Mister Jay" seinen Namenszug vor dem Betrachter versteckt
Slave tarnt sich mit dem Pseudonym " Kenny " . Er ist Mitglied einer Graffiti -Gruppe die sich " Die glorreichen Fünf" nennt
Hinter der mysteriösen Bezeichnung " GLI 167." steht Greg, der sei n Signet in immer neuen Variationen auf die Züge sprüht
ort 5 · 1981
Ne,.York: Im Untergrund ist's bunt Auch wenn sie immer noch als Vandalen gelten und die Stadt inzwischen über sechs Millionen Dollar ausgibt, um ihre Werke auf den U-Bahnzügen zu entfernen: Die Bilder der New Yorker Graffiti-Künstler sind schöner und phantasievoller denn je och hat D ondi keine Lu t als U -B ahn-Sprüher in Pen. ion zu gehen. E in nächtlich er D epo t -Besuch im ti efsten Brook lyn macht deutlich warum. Der 19jährige und sein Freund Lovin führen uns auf verzweigten W egen Z ll . inem Loch im Za un. Wir z\ ängen uns durch stolpern über leere Sprühdosen, krabl ein ein en litschigen Ab hang hoch und st hen bald mit ten zw i. chen den endlosen R eih en von Z üge n 1111ge noch mit ratternd en Motoren. Flink ziehen di beid en ihre Nachchlü ssel aus d r Tasche. Sie wiss n genau " elche Klappen sie an den Wagen aufschließen mii '. en, um da Licht anzu machen oder die T üren zu öffnen.
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Ein Bericht von Gab riele von Arnim mit Fotos von Martha Cooper Mit ei nigen Männ rn der Reinigungskolonnen haben sie ein still schwei gendes Abkommen. Man läß t sich gegenseitig bei der Arbeit in Ruhe. A ber wenn ein Wachbeamter kommt. sind die Graffiti-Brothers dran. Dann rennen sie um ihr Leb n sagen sie - und ie wi ssen, wovon sie sp rech en. Oft genug sind sie ve rprüg ·1t und mißhandelt worden. Fast noch mehr fürcht n si allerdin gs, daß in r der Z üge un ve rmutet losfülut. Vor Jahren wurde ein 15jähriger dabei zu Tode geq uetscht. Graffiti-Schr ibcr haben A ngst. Doch dies Ge fühl oehört vo n A nfang an zu ihrer nd "roround-Kun t dazu. Denn angefeindet und verfo lnt wird die Nachtarbeit s ' it jeh r. Als die F ilzsti ftk alli grafie E nde d · l' 'echziger Jahre in ew Yorks Untergrundbahn en auftauchte wurde sie gleich als Vandalismus verschrien. Dabei war die farben frohe Wandmaler i zunächst eher die sportlich ver standen Identitäts:uche deklassierter Schwar-
zer und Puertoricaner - mit möglichst großer Breitenwirkung. , D a. ist chon toll" , verriet ein er , " du wartest in einer U-Bahn-Station, und plötzlich fä hrt ei n Zu g herein, auf dem dei n Name steht." ~ A nfang der siebzige r Jahr hatten einige der G raffiti-Künstl er die inzwischen zur Sprühtechnik übergegangen waren . b reit. ihre erste A u . teilung in SoHo und wurden vo n der Ava ntgarde-Choreographin Twy la Tharp eingeladen die Bü hn enbilder für ihr neues Ballett jeden Abend neu zu sprüh en. Aus der Schmiererei w urd Kun. t. So entstanden Gruppen wie die Fab F ive, deren schö nstem Z ug o ft applaudiert wurde , wenn er in die tationen ratterte . Die Passagiere wa ren überze ugt , daß die bizarre Zier ein von der Stadt genehmigtes A uft rag 'werk war. Die Transportgesellschaft antwortete mit wütender R ache. D.ie schönsten Züge \' urden al er te ger inigr, und zwar in ein er inzwisch en eigen eingerichteten Waschanl age. Aber d amit", behauptet einer der Graffiti-Veteranen, " hat di e Stadt ich keinen Gefa llen getan.' Danach sahen die kaum vö lli g~z u sä ubernd en Z üge nicht nur schäbi g aus, sondern Tausende vo n achahm em - im r affiti-Jar gon ,.toy. " genannt - gingen dar an die ehemali gen Meisterwerk e zu überspriih en. D as war vor her undenkbar, denn unter den echten G raffiti-Schrei bern oa lten die Bilder vo n Kollege n als tabu. D och nun geriet die Sz ne aus den F ugen . Neben echten Graffiti-KünstIcrn schmieren heute za hll ose t:ulinge. U nd cw York steht naeh einem Jahrzehnt Z ug- Ma lerei vor ein m größeren Dil emm a als zu Beginn. B ürgermeister Ed ward Koch \ ürd am li eb sten Wölfe statt Hunde au f di e losgelassenen Wilden hetzen und di Stadt, die verzweifelt Geld braucht, um ihre
6424 U-Bahnwagen und 458 Stationen aufzumöbeln, gibt unterdes über sechs Millionen DolI<1r im Jahr aus um Graffiti zu entfern en. Weitere f ün f Millionen gehen angeblich verloren, weil durch Graffiti verschreckte Passagiere wegbleiben. , Wenn die in einem beschmierten W agen itze n, haben sie Angst , demnächst vergewaltigt oder ermordet zu werden' komm entiert ein Polizist. Angesichts solcher Sorgen sind viele N ew Yorker nicht bereit, die primitive n K rakeleien der ,toys" von j enen gesprühten Phantasien zu unterscheiden. mit denen die Schreiber ihre Züge in rollende Kunst" verwandeln und , Fa uvi mus auf Räd ern" produzieren. Statt dessen nimmt man der KUll stwelt ihre Sympathi e für die Graffiti-Schreiber übel. Gerade wurde die zweite Generatio n der Schreiber in ei ner umfassenden A usstellung vo rgestellt. Waren die Veteranen schon zufri eden wenn sie ihren amen, das AntiAtom-Symbol oder Parolen wie ,Peace Now • schwungvoll an die Wände b kamen , so ve rsprüh en ihre Nachfolger anspruchsvoll ere M otive und ve rwandeln gelegentlich ganze Z üge nach einem einheitlichen Konzept. Zwe it er U nterschied zur Gründergenerati on : Im Gefolg von " Punk and F unk Art", der zo n~i gen R evolte jüngerer Künstler gege n etabli erte Formen und veraltete Definitionen, greife n auch immer mehr Jugendliche der weiße n Mittelklasse zur Dose. Über die Integration in die Kunstszene si nd freilich nicht alle glücklich . Dondi hat jahrela ng nur Z üge bearbeitet. J tzt itzt er - in D esigner-J ea ns und teurem Batisthemd - in ei nem G raffiti-Studi o auf Manhattans U pper W est. ide und besprüht Plastikquadrate. lie spät r zu einem Buch gebunden werden soll en. "Wir haben so lange umsonst oesprüht, warum so llen wir es nicht mal für Geld tun ?", fr agt einer, und Dondi würde auch ei n Reklameschild für Coca -Co la aus seinen Dosen za ubern . Aber zugleich fürchtet er sein en Ruf als GraffitiSchreiber zu verli eren. E r muß U -Bahnen besprüh en, wenn er glaubwürdig bleiben w ill . Denn er fühlt sich , der Bewegung gegenüber veranwortlich" . So llte di e Stadt sich j emals auf raffen , Graffiti zu Icgali 'ieren wäre ie die Plage, die sie jetzt bekämpft, wohl ziemli ch schnell los. " Dann wäre es j a langwei lig" . gibt Dondi zu. A ußerdem kämcn .. ich die Graffiti-Schreiber wi e Verräter vor: Die Stadt ist ihr Gegner, und dabei soll es bleiben. Die Rechtfertigung für ihr Tun ho len sie sich o hnehin vo n höher r In ·tan z: ,Wenn Kun st ein Verbrechen ist .. sprühte einer, "wird Gott mir ve rgeben."
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Eine Skizze (oben) des Graffiti-Schreibers Dondi rollt wenige Tage sp채ter als vollendetes Werk (unten) durch den Stadtteil Bronx
Vom Entwurf zum fahrenden Kunstwerk
Vor der Arbeit schüttelt Dond l die Dosen
Das Skizzenbuch wird ständig konsultiert
Wegen der Enge gibt es kaum überblick
Vom Trittbrett sprüht Dondi den Oberteil
211 /-1(/11 'e {JI/I Z eichentisch hat Dondi Seill ' 11 1lf1V1II! mit Farb- lind Fil- tifU!II sorgfiiltig ,'orbereitet, Um seine orlage -/I realisieren , schleicht er sich eil Yorker in ein ZII -Depot der -Balln , Bi zu_ O Farb priilldosen benö tigt r fiir einen Wagen . ~ eil tändig . pm ,- Bellii/ter gestohlen wurden. steilen die /-liindl ' I' lIeuerdillgs A((rappen ill di Re ale. I ährelld sie die vollen Do.'ell lIimer d ' l1l Ladel1fisch hCllten. Der Rn/lm - wi 'ch en den Zügell i t eng. Dondi lVird erst nll1 Iliichsten Tag. wenn der 21/ 1\ ieder dllr h die i\llillion en stl/dt rol/t. f esfSlellen könnell ob die I ropu,.,i nell 'till7l17en , Aber Hal/pt,WIeh hHbl, daß die f ertige Arbeit m ögliehst, ie! Plal -. einnil/lmt. Dell/1 je röß ' I' da,\' Werk. de,~10 höher steigt das Anseh en d ' r rh eb er in der GraffiliZI/nji. IViihr 'lid eillige Künsller alleill arbeilell, I,ringen (lndere olei h I/I ehrere ssi 'Ielltell lIIil, rli ihllell die Far/)dosen reichen IIl/d nelle! Diisen al/f schroll/) ' 11 . IlJn deli trah! breiter o der schl/laler -11 machen . \I er spriilll. ml/ß "o r alIeIl Din en schnell arbeiten . denn di ' Poli::.ei iSI ständig mit Wachhl/lldell III/1el'll' '8-. UIII die Grnffiti- cl/reiber allf Ji'iscll 'J' Tat -11 erwisch en
Riesen-Summen für saubere Züge
Die finanziell angeschlagene Metropole New York gibt zur Zeit jährlich 6,5 Millionen Dollar für die Entfärbung der Graffiti-Waggons aus. Inzwischen hat die Industrie einen neuen, auf einem Poly urethan-Gemisch basierenden An strich entwickelt. Er soll ein problemloses Abwaschen der
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Farbwerke ermöglichen. Bis zum Auft ragen dieser Schutzschicht werden aber zur Reinigung weite rhin starke chemische Lösungen (oben und rechts) verwendet, die zum Entsetzen der Umweltschützer in die Erde versikkern und das Grundwasser gefä hrden. Graffiti-
Liebhaber behaupten überdies, die Chemikalien verminderten die Bremskraft der Züge und seien zudem schuld daran, daß sich die Türen der U-Bahn oft nur noch halb öffneten und das Licht fast stän dig ausfalle