Wilde Bilder - Graffiti und Wandbilder - Kunstforum International, Bd.50, 4/82

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y 6676 F Kunstforu m Vorgebirgsstr. 35 5000 Köln 1

INTERNATIONAL

Bd . 50, 4/82, Juni

Wilde Bilder

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Graffiti und Wandbilder Walter Grasskamp STICHWORTE ZU EINER ÄSTHETIK DER GRAFFITI . VANDALISMUS . EINFACHE MEDIEN . EINFACHE ZEICHEN . EINFACHE GESTEN . ZENSUR UND ZERSTÖRUNG . SPRÜCHE . SITUATIONSKOMIK . GRAFFITI/KUNST . DER SPRAYER VON ZÜRICH Drei Gutachten von Manfred Schneckenburger, Georg Jappe und Jean-Christophe Ammann· Joachim Schmid GRAFFITI-SZENE BERLIN . GRAFFITI-SZENE NEW YORK . POLITISCHE WANDBILDER IN MEXIKO, SPANIEN , SARDINIEN , ITALIEN· Alfred Kottek BILDER DES WANDELS - WANDMALEREI IN PORTUGAL· UNSER MUSEUM IST DIE STADT Ein Gespräch mit dem Zürcher Sprayer und den Aachener Mauermalern . PLAKATAKTIONEN . AUSSTELLUNGEN . MAGAZIN



Galerie am Promenadeplatz Heinz Herzer Promenadeplatz 13 8000 M체nchen 2 Tel. 089 / 297729 bis 7.5.1982 Hans Baschang, Zeichnungen 1981/82. ab 15.5.1982 Hans Baschang, Zeichnungen von 1979 bis 1982 im St채dt. Museum, Leverkusen, im 'Forum', Kleines Foyer.

Hans Baschang, ohne Titel, 1981/82. Bleistift/Kohle, 171 x 121 cm.


Inhalt Band 50

Bücher und Bilder. . . . . . . . . . . . . .. 140

Wilde Bilder Graffiti und Wandbilder

Ausstellungen .................. 142

herausgegeben und kommentiert von Walter Grasskamp

Magazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170

Handschrift ist verräterisch Stichworte zu einer Ästhetik der Graffiti

KUNSTFORUM International Die aktuelle Zeitschrift für alle Bereiche der Bildenden Kunst. Herausgeber und Verleger: Dieter Bechtloff Redaktion: Dr. Walter Grasskamp, Dr. Annelie Pohlen (Ausstellungen)

Vandalismus ................... .... ........ . Einfache Medien ........................... . Einfache Zeichen ........................... . Einfache Gesten ............................ . Zensur und Zerstörung ...... ............ .... . Sprüche ......................... . ......... . Situationskomik ........................... . Graffiti/Kunst ............................. . Der Sprayer von Zürich .............. ....... . 3 Gutachten

von Man/red Schneckenburger ............... . Georg Jappe . .............................. . Jean-Christophe Ammann . .................. .

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Graffiti-Szene Berlin

von Joachim Schmid . .... . . . ... .. ... .... .... . Graffiti-Szene New York

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Herstellung, Chef

vom Dienst: Claudia Schedlich

Verlag, Redaktion und Anzeigenverwaltung: KUNSTFORUM International, VorgebirgsstraBe 35, D-5000 Köln 1, Telefon: 0221 / 38 89 65 Verlagsleitung: Aina von Benda Für Meinungen und künstlerische Bewertungen in namentlich gekennzeichneten Arti.keln sind die Autoren verant~ortilch , sie geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion wieder. Druck: Typodruck Rossdorf Vertrieb: Verlag KUNSTFORUM, VorgebirgsstraBe 35, D-5000 Köln 1. Preis: DM 88,80 (6 Bände a DM 14,80), zuzüglich DM 9,60 Versandspesen (incl. 6,5% MWST.). Ausland: DM 100,80 (6 Bände a DM 16,80), zuzüglich Versandspesen je nach Empfängerland. Die Berechnung erfolgt für jeweils 6 Bände. Sie ist nicht bezogen auf das Kalenderjahr. Erscheinungsweise: 6 mal im Jahr. Jedes Abonnement verlängert sich automatisch um weitere 6 Bände, wenn es nicht spätestens 14 Tage nach Erhalt des 5. Bandes gekündigt wird. Die Abonnementsgebühr ist jeweils im voraus für den Bezugszeitraum zu entrichten und innerhalb von dreißig Tagen nach Erhalt der Rechnung fällig . Preis für einen Einzelband: DM 18,-

Wandbilder Wandschmuck ............................. . Kunst am Bau/ Kunst im öffentlichen Raum .. ............... . Haustheater ....................... ........ . Fassadenmalerei USA .. . . ......... .... . . .... . Fassadenmalerei Europa .................... . Politische Wandbilder: Mexiko ........... ... . . Bilder des Wandels. Wandmalerei in Portugal

von Alfred Koltek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Politische Wandbilder: Spanien ... .. . . . ....... Politische Wandbilder: Sardinien .............. Politische Wandbilder: Italien ... . ............. Politische Wandbilder: Aachen ................ Unser Museum ist die Stadt

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Ein Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 125

Plakataktionen Frauen werden benutzt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 Denkanschläge sind Kunstbeiträge von Inge Krupp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137

Studenten-Abonnements: Ab 1.11.1978 erhalten Studenten, Schüler und Lehrlinge eine ErmäBigung von 20%, unter der Bedingung der Vorlage einer entsprechenden Beschei nigung . Diese Vergünstigung entfällt mit einer notwendigen 1. Mahnung (nach 4 Wochen.) Anzeigen: Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 6 vom 1. Januar 1981 gültig. Anzeigenpreise: 1/1 S.: DM 1.000,-. 1/2 S.: DM 500,-,1/4 S.: DM 350,-, 1/8 S.: DM 220,- bei Lieferung fertiger Offsetfilme. 30% Ermäßigung bei Anzeigen im Abo (3 Schaltungen in Faktur). Zuschläge für Anschnitt, Placierungsvorschrift, Filmherstellung, Farbe auf Anfrage. Allgemeine Geschäftsbedingungen: Für redaktionelle Absprac hen , Vertrieb und Anzeigenverwaltung gelten stets unsere hier nur auszugsweise wiedergegebenen Geschäftsbedingungen. Abweichungen gelten nur bei schriftlicher Bestätigung durch den Verlag. In allen Fällen ist der Gerichtsstand wahlweise Köln oder Hamburg (Sitz der Verleger-Inkasso-Stelle).

Wasser Ist Leben Gutes, sauberes Trinkwasser ist für die Menschen in der Dritten Welt keine Selbstverständlichkeit. Viel muß getan werden, bis überall eine gesicherte, ausreichende Wasserversorgung erreicht werden kann. "Brot für die Welt« trägt dazu bei. Konto: Postscheck Köln 500500-500


u diesem He Wenn der Finger auf den Mond zeigt, schaut der Dumme auf den Finger, diese chinesische Weisheit befindet sich in der Sammlung von Wandinschriften des Pariser Mai, die Louis Peters 1968 vor Ort gesammelt hat (Rebellion in Frankreich, zusammen mit E.M. Claassen, München 1968). Wenn solche Weisheiten auf Mauern erscheinen, reinigt die zuständige Behörde die Mauer. Solche Kurzsichtigkeit mag dem Spott des chinesischen Sprichworts anheim fallen, juristisch betrachtet ist sie zu Recht mancher Weisheit letzter Schluß. Schließlich sind Wandbeschriftungen dann strafbar, wenn sie den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllen, und dieser Tatbestand ist aus naheliegenden Gründen jüngst juristisch präzisiert worden, er bemißt sich folgerichtig an dem Aufwand, der getrieben werden muß, um ein Graffiti zu entfernen, und nicht etwa an dessen artistischer Qualität. Für Juristen mag es unerheblich sein, daß die neue Spray-Poesie die vom Feuilleton scharf bewachte Grenze zu Kunst und Literatur bereits anstandslos passiert hat, Anerkennung und Sympathisanten findet diese Gattung der schnellen Künste allemal. Was solcherart zumeist bei Mondlicht entsteht, verdient, daß man nicht nur strafend mit dem Finger darauf zeigt. In diesem Heft werden Graffiti gezeigt, die den Erfolg dieser Volkskunst plausibel erscheinen lassen, einige Stichworte zur Ästhetik dieses einfachen Mediums sollten auch den Gebildeten unter seinen Verächtern einleuchten dürfen. Abgedruckt sind auch die Gutachten, die Georg Jappe, Jean-Christophe Amman und Manfred Schneckenburger für das Internationale Künstler-Gremium (lKG) angefertigt haben, nachdem ein Schweizer Gericht den Arbeiten des Zürcher Sprayers jeglichen künstlerischen Wert abgesprochen hatte. Wandbilder, wie sie seit den 60er Jahren in den USA und Europa populäre Bestandteile der urbanen Kultur geworden sind, nehmen eine Zwitterstellung ein: nicht durchweg subversiv wie die Graffiti sind die Wandgemälde teils aus der Werbung weiterentwickelte Kommerz-Scherze, teils auf dekorative Effekte abgestimmt, zu einem großen Teil allerdings auch wieder ein Medium politischer Kunst geworden, wie es den \IIalern der mexikanischen Revolution vorgeschwebt hatte . Im zweiten Teil dieses Heftes werden die verschiedenen Formen der legalen und illegalen Wandmalerei vorgestellt, eine ausführliche Monografie gilt den Wandbildern, die in Portugal in der Zeit von 1975 bis 1978 angefertigt worden sind, Alfred Kottek hat diese Bilder dokumentiert und erläutert ihre Entstehungsbedingungen. Eine zweite Monografie in diesem Teil

stellt Arbeiten der beiden Aachener Wandmaler Klaus x. und J osef Y. vor, die zum großen Teil auf Betreiben der Stadtverwaltung wieder entfernt worden sind . In ihren Arbeiten treffen sich die verschiedenen Einflüsse, die für die neue Popularität des politischen Wandbildes gesorgt haben, stellvertretend für die politische Wandmalerei in der Bundesrepublik und West-Berlin können diese Wandbilder nicht zuletzt auch deswegen gelten, weil ihre künstlerische Qualität herausragend ist. Der gemeinsame Nenner der Graffiti und Wandbilder besteht darin, daß sie außer halb der Kunstvermittlung und der etablierten Medien für die politische Kunst eine glaubwürdige Öffentlichkeit zu schaffen versuchen, die der Straße. Sie behandeln ihre Themen und Motive als öffentliche Angelegenheit, als res publica, und wer die Unbekümmertheit moniert, mit der dabei Gesetze unserer Republik umgangen werden, muß andererseits auch zugestehen, daß sie auch dann gern gegen die politische Kunst ausgespielt werden, wenn diese sich an die Gesetze hält. Manfred Spies, der legal angemietete Plakatwände zum Medium einer alternativen Öffentlichkeit umfunktioniert hat, wird im dritten Teil dieses Heftes vorgestellt. Sein Beispiel erlaubt ebenso wie das der Graffiti und Wandbilder die Frage, ob die republikanischen Tugenden sich in den Gesetzen unserer Republik erschöpfen.


MARGARETHA DUBACH BEAT ZODERER 29.4. -

5.6.1982

BAYAT KEERL RÜCKSCHAU 8.6. -

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"Ein Traum" 1981/82

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Stefan Szczesny bei Jamileh Weber

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Eröffnung: Mittwoch, 16. Juni 1982, 18 Uhr Galerie Jamileh Weber, Schanzengasse 10, eH-8001 Zürich Telefon 01/477989 Di - Fr14 -18 Uhr, Sa 10 -13 Uhr u. n. V.


Ina Barfuß Michael Bauch Werner Büttner Jürgen Drescher Georg Herold Mattin Kippenberger Reinhard Mucha Albert Oehlen Markus Oehlen Thomas Wachweger Isolde Wawrin Hinrich Weidemann

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Das Bilderbuch

INTERN. KUNSTAUSSTELLUNG KASSEL VOM 19. 6. - 28.9.1982 GEÖFFNET : TÄGL. 10 - 19 UHR GHK MORITZSTR. HALLE Kla

H. P. Adamski Siegfried Anzinger Ina Barfuß Peter Bömmels Michael Buthe Walter Dahn Michael Deistler Martin Disler Georg Dokoupil VL. Gerard Kever Daniel Nagel Gerhard N aschberger Markus Oehlen Peter Pick Sigmar Polke Claude Sandoz Klaudia Schifferle Hubert Schmalix Andreas Schulze Stefan Szczesny Volker Tannert Thomas Wachweger Troels Wörsel Bemd Zimmer Text: Wolfgang Max Faust

Das Bilderbuch 240 Seiten, 100 ganzseitige Originaloffsetlithografien Biografien, Bibliografien Fotos Auflage: 1000 numerierte Exemplare Preis : DM 254,-

Edition Pfefferle Gabriel v. Seidl Straße 46 8022 Grünwald


Friedemann Hahn

WALTER WEER Rollbilder

GALERIE HILDEBRAND Klagenfurt , Wiesbadnerstr.3 Te1.04222170083 9. - 25 . Juni 1982

WILMA TOLKSDORF EDITIONS

Friedemann Hahn

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Nachnahme

Wilma Tolksdorf Editions, Scheideweg 3, 2000 Hamburg 20,

040 / 491 8890


ULTIMO tfii!§M Städt. Kunstsammlung Gelsenkirchen

~ Horster Str. 5 - 7 4660 Gelsenkirchen-Buer

4. 6. - 30. 6. 82, Di. - So. 10- 13 u. 15 - 18 Uhr Eröffnung 4 6. 20 Uhr

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ßernd Finkeldei' Wal 1982 . Acryl/Leinwand· 280 x 195 c

Maler der Galerie: Peter Chevalier' Bernd Finkeldei' Hermanh-Josef Kuhna' Helmut Middendorf· Claude Sandoz' Stefan Szczesny . Norbert Tadeusz . Bernd Zimmer Galerie Gmyrek . D-4000 Düsseldorf 13· Benrather Schloßallee Tel. (0211) 713330· Mi-Fr 16-18.30 Uhr' So 10-13.00 Uhr' u. n. V.


dumont taschenbücher

Das Buch dokumentiert die wichtigsten Themen und formalen Merkmale öffentlicher \\·andmalereien, die in den letzten zehn Jahren in den USA, Europa und der Bundesrepublik für neue Akzente im Straßenbild der Städte gesorgt haben . Es informiert über die vielfältigen Entstehungsbedingungen der Wandbilder vor Ort: über die Künstler und Malergruppen, ihre Motive , wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen ebenso wie über die ästhetischen und politischen Wirkungen dieser populären Bildsprache. Ihr Repertoire reicht von kommerzieller Wandkosmetik über witzige oder :;upe r-realistische Straßenkunst bis zu Graffiti und Protestmalerei in städtischen Krisengebie ten. Prak tische Hinweise zur Herstellung von Wandbildern in unseren Schulen und die :\ rbeitsa nl eitung zu einer Wandmalerei schließen den Band ab. ,"on Horst Schmidt-Brümmer UO Seiten mit 200 Abbildungen, davon 48 in Farbe, DM 16,80 Gesallllprospekt aller lieferbaren Taschenbücher direkt beim Verlag oder in Ihrer BlIchhandlung

DuMontBuchverlag· Postfach 100468 · 5000 Köln 1


·Handschrift ist verräterisch Stichworte zu einer Ästhetik der Graffiti von Walter Grasskamp

Vandalismus In der Geschichte des Vandalismus, die Louis Reau Ende der 50er Jahre veröffentlicht hat, findet sich ein eigenes Kapitel über die Wandschriftstellerei, die dort dem Vandalismus zugerechnet wird und unter der Überschrift grajjitomanie ihre pseudo-medizinische Bezeichnung findet. Dabei muß selbst Reau eingestehen, daß diese unliebsame Handschrift eine beachtliche Tradition aufzuweisen hat, denn auch er stand noch unter dem Eindruck der Ausgrabungen in Pompeji und Herkulaneum, bei denen die konservatorische Lava nicht nur die kulturhistorisch angesehenen Wandgemälde in den Häusern reicher Bürger freigab, sondern auch geritzte Schmähschriften und Karikaturen auf den Mauern der Straßen. Der Zufall, daß hier eine ganze Stadt-Subkultur aus der Vergangenheit komplett überliefert worden war, ließ die Graffiti nicht nur als die älteste, sondern auch als die kontinuierlichste Kulruräußerung des Menschen erscheinen. Um 1927 unternahm Allen Herbert Read eine erste Sammlung von Graffiti für sein Buch Lexical Evidence jrom Folk Epigraphy in the English Vocabulary, das 1933 in Paris erschien, und sein später Schüler Robert Reisner bezog 1971 seine Publikation über Graffiti bereits auf 2000 Years oj Wall Writing. Wem diese Tradition für eine Anerkennung der Wandschriftstellerei noch nicht aus-

reicht, dem sei In Erinnerung gerufen, daß sie von höchster Hand ausgeübt worden ist, schließlich schrieb der Gott des Alten Testaments sein Mene Tekel Parsin direkt auf die Wand des Palasts von Belsazar. Trotz dieser ansehnlichen Ahnenreihe ist die freie Wandschriftstellerei nicht angesehen, selbst der Volksmund, der sich in ihr verewigt, hält einen strafenden Kommentar bereit: Narrenhände beschmieren Tisch und Wände, auch hier droht der Zeigefinger des Psychologen, der sich schon auf die Graffitomanie legte. Wer allerdings Graffiti für ein Medium unbekümmerter Freiheitsliebe hält, täuscht sich. Die Freiheit, die sich der Wandschriftsteller herausnimmt, steht nicht immer im Zeichen der Freiheit, was auch ausländerfeindliche Parolen in Erinnerung rufen, denn so lange ist es noch nicht her, daß jüdische Friedhöfe mit Hakenkreuzen und jüdische Geschäftslokale mit antisemitischen Parolen beschriftet worden sind. Auch in der ersten Einstellung von Wolfgang Staudtes Film Kirmes lernt man dazu: sie zeigt in Überblendung die selbe Wand, einmal im Wahljahr 1959 mit Adenauer-Plakaten, die keine Experimente ankündigen, und einmal im Kriegsjahr 1944 mit dem Graffito Psst, Feind hört mit. Ähnliches ließ sich noch in den 60er Jahren an Brücken und Wänden entziffern, weil es sich nicht hatte gründlich entfernen lassen: Alle Räder müssen rollen jür den Sieg und Ein Volk Ein Reich Ein Führer. 15


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Einfache Medien

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Die Geringschätzung der Graffiti hatte freilich nie einen nennenswerten Einfluß auf die Verbreitung der Graffiti-Kultur, deren Überleben schon allein dadurch gesichert blieb, daß ihr die einfachsten Techniken und naheliegende Schreib flächen ausreichen, Dienen staubige oder beschlagene Fensterscheiben der Fingerspitze für Zeichenübungen, die noch vergänglich sind, so ist mit Kratzen und Schaben schon jeder Wand, aber auch Schulbänken, Türen und Metallflächen Dauerhaftes abzugewinnen, Zudem haben sich die Hilfsmittel dem industriellen Fortschritt angepaßt, von der Kreide über die Lackfarben bis zur Sprühdose vollzieht sich ein Stück Graffiti-Geschichte, deren goldenes Zeitalter erreicht scheint , denn Dienstbareres als die Spraydose läßt sich für ihre Zwecke nicht vorstellen, selbst Kugelschreiber und Filzstift wirken neben der Spraydose so veraltet wie Pinsel und Farbtopf, zumal die Spraydose auch eine konventionelle Form der Wandmalerei revolutioniert hat, die Schablonentechnik,


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Fo:o Joochim Schmid)


Wendelgang in der Siegess채ule, Tiergarten Berlin (Foto Hans-J체rgen Raabe)

Vorlesungsplan der Philosophischen Fakult채t der FU Berlin 1968 (Foto Michael Ruetz) 19


Einfache .\fedien: Kreidezeichnung und Spraybild (Foto Joachim Schmid)

Graffi ti auf Lederjacke (Foto Hans-Jiirgen Raabe)

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Zürich 1980 (Foto Joachim Schmid)

Einfache Zeichen

Die Popularität der Graffiti hängt aber nicht allein mit der Einfachheit ihrer Hilfsmittel und Medien zusammen, auch ihre Symbole sind einfach. Das Repertoire umfaßt vor allem solche, die international verständlich sind, universale Hieroglyphen, die mehr noch als die abstrakte Kunst beanspruchen können, zur Weltsprache gerechnet zu werden. Zu den beliebtesten unter ihnen zählt das von Pfeilen durchbohrte Herz, das für die Liebe steht, populärer aber noch sind die Organe, mit denen die Liebe gemacht wird; in einer Statistik der häufigsten Graffiti-Zeichen übernähmen sie mühelos die Führung. Daneben bilden politische Symbole unterschiedlicher Provenienz den größten Anteil gekratzter, gemalter oder gesprayter Mitteilungen: Hakenkreuze, Hammer und Sichel sowie alte und neue Zeichen, mit denen politische Absichten oder Gruppierungen signalisiert werden können. Ist für solche Zeil-llen das Graffito nicht mehr als ein Transportmittel unter anderen, so hat ein Zeichen die Graffiti-Kultur quasi programmatisch erobert, das Anarchisten-A im Kreis, mit dessen Anbringung auf fremden Wänden das radikale Programm ein Stück weit verwirklicht ist, keinen Respekt vor Eigentum und anderen Ordnungsstrukturen des ungeliebten Staates zu dulden. Die Zeichensprache der Graffiti kennt daneben noch ein reich differenziertes Spektrum von Kürzeln, mit denen sich Ängste und Sehnsüchte auf die Wand projezieren lassen, und sie lebt von dem Gegensatz, den die fragilen Zeichnungen zu den stabilen Mauern bilden, wenn ihnen Schmetterlinge, Palmen, Sterne und andere ungenaue Sehnsuchtsformeln eingeschrieben \\erde n. 21



Einfache Zeichen: Durchbohrte Her~en in Gen. . l/ir. ::5 '."Ireal (unlen), Paris, SlraĂ&#x;burg, Marburg und Tel A ". :". :. -:~ ' , sIe Reihe von links), fotografiert von Burhan Dogal7 -':.'

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Einfache Zeichen in Paris (oben) und Rio de Janeiro (unten) (Fotos Burhan DogancaYJ 24

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Einfache Zeichen in London, Paris und Athen (Fotos Burhan Dogancay)


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Einjache Zeichen in Caracas und Athen (links) und Rio de Janeiro (rechts) (Fotos Burhan Dogancay)

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New York, Lower East Side (Foto Philip Pocock)


Einfache Gesten Über die Höhlengraffiti von Lascaux kursieren Theorien, welche die Tier- und Jagddarstellungen auf Rituale der Jagdvorbereitung, Beschwörungen der Fruchtbarkeit der Beutetiere oder sonstwie geartete magische Praktiken zurückführen. Ob diese Theorien zutreffen, ist schwer zu entscheiden, jedenfalls ließe sich auch eine viel einfachere Deutung denken, die auf keine andere Magie rekurrieren müßte als auf die, welche sich im Akt des Zeichnens selber manifestiert. Womöglich haben die Höhlenmaler nichts anderes getan und tun wollen, als was ein Zeitgenosse tut, wenn er seine Videokamera auf seinen Sprößling lenkt, nämlich der unausrottbaren Neigung nachgegeben, sich in der Abbildung dessen zu vergegenwärtigen, was man täglich sieht und [Ut. Als Genremalerei und geritzte Clan-Chronik, als Foto-Album und Videofilm sind alle Medien dieser Neigung dienstbar gemacht worden, in der Wiederholung des Bildes den Alltag aufzuwerten, Heldentaten und Routinefeste gleichermaßen zu rekonstruieren. Die Magie der Graffiti kennt aber noch andere Rituale als das der Bildwerdung. Ihr einfachstes ist zugleich das beliebteste: die Existenzbehauptung, wie sie sich in der oben sichtbaren Fotografie von Burhan Dogancay manifestiert und noch in der einfachsten Kinderkrakelei niederschlägt, die ein Stück Wand mit einem Namen in Beschlag nimmt. Der Sprayer von Moabit, der überhaupt ein pfiffiger Kommentator seiner eigenen illega-

len Tätigkeit im Hinblick auf ihr Gestenrepertoire ist, hat auch diese magische Geste auf den Begriff gebracht: Eine Wand für mich. Die Okkupationsgeste, mit der ein Stück Wand, aber auch ein Stück Baum oder Kaktus besetzt wird, mag den Spekulanten dazu verleiten, darin archaische Gesten wiederzuerkennen, mit denen sich ein Territorium beanspruchen und signalisieren ließ, unübersehbar spielt dabei aber auch das Verlangen eine Rolle, eine Spur der eigenen Existenz zu hinterlassen. Im Touristenritual ist diese Absicht längst zur lästigen Routine geworden, mit der Säulen und Bänke zum Träger der Mitteilung gemacht werden, daß Fritz und Frieda 1955 in Capri waren und sich mochten, was, außer diese beiden, niemand so recht bewegen dürfte. Robert Reisner berichtet von einem seriösen Archäologen, der dieser Praxis sozusagen die Urform lieferte, als er nach der Erkundung und Vermessung eines mexikanischen Tempels dessen Eingangstür signierte, als habe er ihn selbst gebaut. Reisner erklärt auch die Herkunft des uni ve rsalen Graffiti, das diese Spurenabsicherung standardisiert hat: Kilroy was here verdankt sich demnach einem Soldaten des 2. Weltkriegs, der in der US-Armee das Spiel initiierte, an jedem Platz der Welt di rekt bei der Landung der ersten Soldaten die Anwesenhei t \on Kilroy zu attestieren, das selbst vor den Hotelräumen Stalins bei der Potsdamer Konferenz nicht haltmachte . der seinen Dolmetscher entgeistert nach der Identität dieses Herren befragt haben soll, der mehr als jeder andere auf der Welt herumgekommen zu sein scheint .


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Einfache Gesten: Berlin-Moabit (Foto Joachim Schmid); Namenswand in Sardinien (unten)

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Von vietnamesischen Kindern gezeichnete Kriegsszenen (oben); Sex-Graffiti, fotografiert von Brassai (unten)

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Einjache Geslen: Freund- und Feindsymbolik in Lissabon (ganz oben) Brüssel, Slraßburg (links) und Zürich (oben) (Folos Burhan Dogancay)

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Beschimpfung und Verhöhnung (Fotos Joachim Schmid)

Der Anspruch, wahrgenommen zu werden, der die Existenzbehauptung wie auch die Spurenabsicherung gleichermaßen zu nähren scheint, ist aber nicht die einzige Motivation, welche die Graffiti-Produktion nicht abreißen läßt. Es steckt auch ein Bild- und Sprachzauber darin, daß unerträgliche oder spannungsgeladene Situationen und Befindlichkeiten auf die Wand gebannt werden. Dafür sind die Kriegsszenen vietnamesischer Kinder-Graffiti ebenso ein Beleg (die übrigens den Höhlenbildern von Lascaux verwandter sind als irgend ein anderes Graffito) wie die unzähligen nackten Frauen und Männer, mit denen ihre Produzenten sexuelle Spannungen ableiten. Seltsamerweise fehlt in der umfangreichen Graffiti-Literatur eine Darstellung dieses Zeichenrepertoires, das für den Bildzauber des Genres symptomatisch ist. Neben diesen Graffiti, die der Bewältigung der Alltagswelt dienen, sind noch Freundund Feindsymbole sowie Beschimpfungen und Karikaturen Indiz für eine archetypische Motivation der Graffiti-Kultur, die in der Aufwertung der eigenen Person durch Macht-Signale der Gruppenzugehörigkeit und der Abwertung anderer durch Schimpfnamen und Bannsprüche die Abwehr von Ängsten durch den Akt des Zeichnens und Schreibens sichert.


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Zensur und Zerstörung

Jnberüht von den poetischen Leistungen, welche die Jraffiti-Kultur hervorbringt, gelten ihre Elaborate als 3törung der Integrität ihrer Trägerflächen, seien es 3chulbänke, Hauswände oder Holzzäune. Einen An;pruch auf kulturellen Respekt können sie nicht erheJen, wer auch nur ihre sprachlichen Gags sammeln Nill, muß sich beeilen, denn der Störung des Wandfrieiens droht die Beseitigung. Selbst die Spraydose reicht licht mehr aus, um Dauerhaftes zu schaffen, ihre Spu:en brauchen nicht mehr übermalt zu werden , sie könlen neuerdings mit chemischen Mitteln beseitigt werien, den Graffiti-Schluckern, sofern sich nicht der Sandstrahler empfiehlt. Das alles kostet Geld , aber nierbei zu sparen fiele keiner Kommune ein, der negative Kultur-Etat der Graffiti-Beseitigung ist krisensicher; in New York sollen die Kosten für die Graffiti-Beseitigung sogar die Höhe des tatsächlichen Kulturetats für Oper , Museen und sonstige Schöngeistereien erreicht haben: 10 Millionen Dollar. Diese Zerstörung haben die Graffiteure natürlich stets als Herausforderung begreifen müssen, erneut zuzuschlagen; die Bildbeispiele si nd Belege für die Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen, Rache ist kreativ, es ist eben kein Kraut gewachsen gegen die Graffitomanie. Die Zerstörung von Graffiti hat auch magische Züge, vor allem dort , wo öffentliche Gebäude, die niemandes BesitzerslOlz aufstacheln können, penetrant von Graffiti gereingt werden, die manch unansehnliches Gebäude sogar ausgesprochen zieren. Die Graffiti sind die Anmaßung einer Meinungsfreiheit, die so nicht im Grundgesetz vorgesehen ist, und mit Anmaßung begegnen ihr ie Behörden, und zwar mit einer Zensur, die so im Grundgesetz auch nicht vorgesehen ist. Blind für kultu~ell e Spitzenleistungen, die nicht vom Kulturdezernen:en abgesegnet und bezahlt werden, barbarisch in der Beseitigung der vermeintlichen Barbarei machen sich .e Reinigungskräfte einen Sport daraus, gleich nach dem Frühstück die Lyrik der vorhergegangenen Nacht zu beseitigen. In den südlicheren Ländern ist die Tole=z gegen die Graffiti-Poesie größer als in den ausge:-egten Beton-Zentren der Bundesrepublik, aber wir len ja auch in einem Land, in dem vor noch gar nicht :anger Zeit selbst die in respektable Bücher gewandete Lit eratur verbrannt wurde, wen kann es also wundern, Caß die Literatur der Straße nicht auf liberale Toleranz 5:Ößt, schließlich weiß man ja, daß es auch einen Vandalismus gibt, der sich auf die Aufrechterhaltung der Ordn ung beruft.

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•• •+ •• Kunstwerk •+ • o'd er keinest + •• •• •• + •• + + + + • • •• Wemd ieBilderdes"SprayersvonZürich» • gefallen, möge sie mit Freude betrachten. Wem sie missfallen, be seitige sie mit •

• dem ersten

• und einzigen

+ Protest-Spray • • gegen Missbrauch +. + von Lacksprayl • • • •

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Eine Reaktion auf die Zerstörung von Graffiti: die übermalte Stelle wird erneut besprayt mit Bezug auf die Vbermalung (links, Foto Joachim Schmid). Die ständige Zerstörung seine! Graffiti (oben, Zürich, Fotos Schmid) inspirierte den Zürche! Sprayer zur Serie" Totentan z ", die das Schicksal seiner Arbeiten thematisiert (Fotos Hubert Maessen) 36



Ein mir Grajjiri bemalter Treppenaujgang in Los Angeles (oben, Glendale Boulevard) wurde 1973 mit einer Wandmalerei zivilisierr (linien; Fotos Environmental Communications)

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Allerdings. Kötner Graffiti (Foto Burhan Dogancay)

Sprüche Andererseits wundert es einen doch, daß in der Bundesrepublik die Graffiti-Literatur nicht auf Gegenliebe stößt, wo man sich doch gerade zum 150. Geburtstag von Wilhelm Busch allseits des eigenen Humors versichert hat, um die von Karnevalsplattituden genährten Zweifel auszuräumen. Wenn er auch nicht selber auf die Wand gepinselt hat und sich solches wohl auch verbeten hätte, kann der kinderlose Bild-Erzähler doch zu den Ahnen jener Literatur gezählt werden, die sich heute auf den Straßen breit macht, weil in dieser nämlich die Sprücheklopfer ihre Domäne gefunden haben. Die Ein- und Zweizeiler dieser Slogan-Literatur bilden eine eigentümliche Mischung aus verschiedenen Gattungen, sie gehören in die des Gelegenheitsgedichts ebenso wie sie die des Aphorismus parodieren, und zwar durchaus boshaft, nichts ist ihnen heilig, am allerwenigsten Büchmanns Geflügelte Worte. Reime und Versmaß kennen sie zwar auch, aber ebenso wie Busch dienen diese ihnen nur als Folie für Albernheiten und Verdrehtheiten, nach deren Konsum es schwerfällt, einen Rilke, ja selbst einen Heine noch mit dem nötigen Ernst zu lesen, es klingt wie Parodie. Für die Apologie der Graffiti wurde von New Yorkern (ausgerechnet!) bereits die romantische Theorie des Witzes bei Schlegel und die des Fragments bei Novalis bemüht, und das al-

les scheint zu passen, wenn nicht der Gegenstand der Betrachtung so unverfroren lustig wäre und anspruchslos bis zur Selbstverleugnung. Nicht mal Tantiemen werden abkassiert für Renner wie Lieber ein Bier in Trier als eine Bluna in Poona, und das ist immer noch das sicherste Indiz dafür, daß es sich um Volkskunst handeln muß.

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Situationskomik Die eigentlich komische Domäne der Graffiti-Kultur sind allerdings nicht die Sprüche, denn diese beziehen ihren Reiz nicht aus der Tatsache, daß sie auf einer Mauer stehen, man kann sie gen au so gut in Büchern edieren, was ja auch geschehen ist (Willi Hau: Ich geh kaputt, gehst du mit? siehe Bibliografie). Die artistische Herausforderung der neuen Graffiti-Kultur liegt in der Ausarbeitung einer Situationskomik, die als eine neue Gattung des politischen Witzes angesehen werden kann. Das Grundmuster dieser Situationskomik beherrschen schon die Kinder mit ihrem Wer das liest ist doof!, die nächst höhere Stufe erreichen die beliebten Paradoxa nach dem Muster Alle schreiben auf die Wand, nur ich nicht oder Ich habe keinen Kuli dabei, und wenn So eine Schweinerei auf eine strahlend weiße Mauer gesprüht ist, womöglich noch gleich gegenüber Was soll das? dann ist einer der Meister dieses Faches am Werk gewesen, der Sprayer von Moabit, der bei seiner praktischen Ästhetik auch auf diese Spielart seiner Kunst gestoßen ist, um mit Kampf den Hütten und anderen Kommentaren zu Spitzenleistungen zu gelangen, die man eben nicht mehr zitieren, sondern nur noch verstehen kann, wenn man den Kontext sieht, in dem sie zünden. Ein freundliches Na, wie geht's uns denn heute? entlarvt eben nur neben einem Arzt-Schild den Einleitungskalauer der 5-Minuten-Medizin, und die Frage, ob die Kinder ihr Gedichtlein schön auswendig gelernt haben, schockiert sie auch nur auf der Schulmauer. Die Fotos von Joachim Schmid, dem man zumindest nachsagen kann, daß er die Arbeit des Spray-

ers von Moabit gut dokumentiert hat, zeigen von Seite 40 bis 43 einige Spielarten dieser Graffiti-Kunst, deren Witz sich aus der Plazierung herleitet. Eine andere Spielart der Situationskomik liegt in der Ergänzung, zu der jede Form von Schrift den Passanten auffordert, vor allem aber die von Graffiti. Wenn auf Jesus lebt erst einmal die Angabe folgt, bei wem denn genau, bedarf es nur noch der Hellsichtigkeit eines Gewohnheitstäters, um mit einem einzigen Buchstaben den Herrn an seinen Gastgebern kleben zu lassen. In der gleichen Art versah ein somnambuler Aachener den penetranten Slogan Keine Hinweise an die Polizei, mit dem RAF-Sympathisanten nach der Schleyer-Entführung ganze Städte einzuschüchtern suchten, deren Bewohner die Polizei allenfalls auf diesen Slogan hätten hinweisen können, mit einem Buchstaben, der den grünen Jungs kollegiale Hinweise immerhin in kleiner Form gönnte, nicht ohne Hintersinn, denn gleich um die Ecke sprühte er einen Klassiker dieser Art von Situationskomik, nämlich die lapidare Feststellung Handschrift ist verräterisch. Sofern sich die Graffiti nicht derart mit sich selbst beschäftigen, sondern durch gekonnte Plazierung und zündende Kommentare auf Situationen bezogen sind, erreichen sie einen zusätzlichen Effekt darin, daß diese Situationen zu Bruchstücken eines epischen Theaters werden. Durch gesprayte und gut plazierte Kommentare läßt sich der Eindruck einer Bühnenbildhaftigkeit der Alltagswelt im Handumdrehen herbeiführen, und die spezifische Verfremdung durch den Kommentar übertrifft die Möglichkeiten, die sich Bert Brecht für das epische Theater auf der Bühne erarbeitet hat. Ob er 41


• OK,\I'!' '&''k[ Aber ~.r <b;kt ~

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DemonSTraTion gegen den AbriĂ&#x; des Dreisam-Ecks in Freiburg 1980 (Foto Ralf Haid)

E(felneubau (Foto Wilhelm SchĂźrmann) 44


selber gesprayt hätte, mag dahin gestellt bleiben, jedenfalls hätte ihn die Aktion der Freiburger Demonstraten, die einen Stacheldraht vor einem Polizeiaufgebot mit dem Kommentar Hier beginnt der Polizistaat versahen, mit Neid erfüllen müssen, denn so prägnant ist sein episches Theater selten gewesen. Und wer beschreibt die Katharsis des stolzen Bauherrn, der auf dem Rohbau seines Klinkerdöschens die Regieanweisung Häßlich -> Abreißen! findet, der ein aufgeschlossener Leser noch den Notruf Eilt! hinzugefügt hat! So wird die Alltagswelt zum epischen Theater, ohne daß ein Wort gesprochen worden wäre . Der elementare Zug der Situationskomik von Graffiti liegt aber jenseits ihrer jeweiligen Inhalte im Akt des Schreibens selbst, der stets den Triumph über bestimmte Reinlichkeitssitten und Sauberkeitstabus feiert und verkündet; ihren Charme macht nicht zuletzt der Umstand aus, daß sie den Charakter von Streichen haben, nämlich etwas außerhalb der Legalität und der guten Sitten zu liegen, aber noch nicht zu den Taten gerechnet zu werden, die der normale Betrachter für kriminell hält, es sei denn, das besprühte Haus sei sein eigenes. Zwischen Illegalität und Kriminalität bewegen sich die Graffitomanen in einem kulturellen Bereich, der in den Industriegesellschaften weitgehend eingedämmt worden ist und zu den verschwundenen Kulturformen zählt, was Foto Bernd Wendt

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Foto Hans-Jürgen Raabe 45


nicht zuletzt daran zu erkennen ist, daß die Sprache, mit der man ihn zu beschreiben hätte, antiquiert, ja, deplaziert wirkt: es sind Streiche, Nachfolger des Studentenulks, aber auch der Zinken, mit denen sich die Landstreicher verständigten, eine ergaunerte Literatur, die unter anderem von Halbwüchsigen bewerkstelligt wird, die sich noch eine Generation früher vielleicht damit begnügt hätten, den Nachbarn nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus zu klingeln und von weitem zu beobachten, wie er ratlos ins Leere blickt. Die Schadenfreude, die dem Streich die nötigen Motive verschafft, gehört auch zur Kultur des Sprayens: wenn der Hausbesitzer am nächsten Morgen der Bescherung ansichtig wird, ist es bereits zu spät, er ist der Gelackmeierte: angeschmiert! So ist es auch kein Zufall, daß die beiden anonymen Aachener Wandmaler sich in einem Interview mit der Zeitschrift Kunst + Unterricht als Max und Moritz vorstellen ließen, es tut ihren eindrucksvollen und durchaus pathetischen Gemälden keinen Abbruch, daß ihre Urheber als Schelme auftreten, 46

auch Max und Moritz lebten riskant, auch ihnen waren Biedermänner und Amtspersonen die liebsten Angriffsziele. Auf Grund ihrer Situationskomik sind Graffiti auch kaum der Reproduktion verfügbar; wenn die Zigarretten-Firma Bastos über die Plakat-Reproduktion einer Zeichnung des Zürcher Sprayers sich einem jugendlichen und nonkonformistischen Publikum anzubiedern versucht , unterschlägt sie die vielfältige Situationsbezogenheit gerade der Arbeiten des Zürcher Sprayers und tut ihm und sich selbst keinen Gefallen, da sie zum lächerlichen Konsumabzeichen degradiert, was auf die Wand gesprüht die ernsthafte Komik eines Chaplin-Films erreicht. Sprayarbeiten haben eine eigentümliche Qualität, wie sie Walter Benjamin für das Kunstwerk angesetzt hat, sie leben von der Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit, der Plaziertheit und Unverwechselbarkeit, kurz von der Aura. Noch der unscheinbarsten Betonecke, der seelenlosen Parkhaussäule können sie einen genius loei einhauchen (an dem sie andererseits partizipieren, wenn alte, verzierte und geschmückte Gebäude besprüht werden, die als historische Fassade noch die dümmste Bemerkung aufwerten). In der standardisierten Dingwelt der Industriegesellschaft und angesichts ihrer Bauten ohne regionale oder ästhetische Merkmale ist es gerade die Beschmutzung und Zerstörung, die den Dingen wie den Gebäuden das Minimum an Aura zurückgibt, daß der Mensch braucht, um sich über seine Umwelt einer Identität versichern zu können, darin liegt die konkrete Utopie der Graffiti.


Graffiti/Kunst Der Aura des gekratzten, geschabten oder gesprayten Wortes hat sich die Kunst erfolgreicher bemächtigen können als die Werbung. Die Kunst hat in dem von Benjamin konstatierten Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit versucht, über die Annektion der Graffiti deren Aura in ihre eigene umzumünzen . Diese Annektion wurde, Ironie der Kunstgeschichte, von einem Fotografen forciert, der Graffiti reproduzierte, Brassai, der überdies mit allen technischen Tricks der Dunkelkammer Fundstücke verfälschte und dadurch mit einem Pathos auflud, dessen es nicht bedurft hätte, um zu zeigen, daß sich auf der Wand wichtiges abspielt. Mehr als dreißig Jahre soll er für sein 1960 erschienenes Buch über Graffiti gesammelt haben, ein schwer erträgliches Gerede zwischen Brassai und Picasso, als Gespräch abgedruckt, sicherte dem Buch die nötige Resonanz und beiden Gesprächspartnern die Prioritätsrechte für diese Annektion. Die Beziehungen zwischen der Volkskunst der Graffiti und der ambitionierten Malerei sind seit der Ära der abstrakten Malerei nicht mehr abgerissen, die Nähe der Schreib geste zu der des Maiens stiftete um so größere Ähnlichkeiten, wie beide sich von figurativen Verpflichtungen loslösen und auf die Spontaneität reduzieren ließen; andererseits führten gemalte Schriftbilder wieder aus dem Tachismus und Informel heraus, insofern sie in den Buchstaben wiederzugewinnen suchten, was ihnen an Objekten verloren gegangen war. S. D. Sauerbier hat in Band 37 des Kunstjorum die vielfältigen Wechselbeziehungen von Schrift und moderner Malerei vorgestellt; was den Einfluß von Graffiti auf die Kunst angeht, so sind u. a. so unterschiedliche Künstler wie Burhan Dogancay, Nikolaus Lang, Antoni Tapies, Sigmar Polke, Ben Vautier, Gordon Matta-Clark und Adolf Frohner aufzuführen. Burhan Dogancay, der, aus der Türkei stammend, lange in Paris gelebt hat und nun in New York arbeitet, hat in den 60er Jahren Graffiti und Wandbemalungen ebenso wie Plakatverrisse zum Gegenstand seiner Malerei gemacht, von wo aus es dann nur noch ein kleiner Schritt war, auf seinen zahlreichen Reisen eine Dia-Sammlung mit Graffiti anzulegen, die nach der Eröffnung im Cent re Pompidou unter dem Titel Les murs murmurent im Juni noch im Provinciaal Museum von Limburg in HasseltiBelgien zu sehen ist und weitere Stationen in Europa haben wird. Nikolaus Lang hat Ende der 70er Jahre vorgefundene Graffiti abgelegener, in vorgeschichtlicher Zeit bewohnten Berggegenden sowie Wandzeichnungen in verlassenen italienischen Bauernhäusern mit Durchzeichnungen in Graphit und Bleistift sowie mit Fotografien dokumentiert, Gordon Matta-Clark sammelte Anfang der 70er Photografien der U-Bahn-Bemalungen, die damals in New York von sich reden machten und von MattaClark Wagen für Wagen durchdokumentiert wurden. Antoni Tapies hat das Spiel von Mauer und Ritzzeichen vollends auf die Leinwand übertragen und datiert den Beginn dieser Annektion auf 1945, Ben Vautier hat sich nicht nur mit Leinwänden aufgehalten, sondern

mit der Sprühdose seine Erkenntnisse überall dort au fgeschrieben, wo ihn niemand daran hinderte . Berlin , wo er einige Zeit als DAAD-Stipendiat lebte, trägt ebenfalls die Spuren seiner Anwesenheit, da sich der Sprayer von Nizza als Veteran umstandslos dem lokalen Graffiti-Ambiente anpaßte. Sigmar Polkes Großes Schimpftuch nimmt in Schreibgestus wie auch im Inhalt die Graffiti-Schrift in ihrer Ventil-Funktion wahr, Adolj Frohner hat in den 60ern auf Streifzügen durch die Wien er Graffiti-Szene Beispiele dieser Anonymkunst fotografiert und sich dabei einen Volkskunstbetrieb herbeigewünscht, in dem der Hinweis auf die Ecke einer bestimmten Unterführung oder die Wand einer Brücke denen auf Picasso-Eröffnungen und Miro-Ankäufe den Rang ablaufen könnte.

SIGMAR POLKE, Das große Schimpftuch (1968)

ANTONI TApIES, A ssemblage mit Graffiti (19 72)


MIRIAM CAHN, Mein Frausein ist mein รถffentlicher Teil,

Basel 1979 .. 8


BURHAN DOGANCA Y, Mixed Media auf Leinwand (1965)

Im Zusammenhang von Malerei und Graffiti ist aber vor allem der Name des französisch-türkischen Künstlers Sarkis zu nennen, den Kunstjorum in Band 34 ausführlicher vorgestellt hat. In seiner Arbeit ist die Nahtstelle von Wandbild und Graffito thematisiert, insofern er anonyme, zufällig erscheinende Wandbilder ritualisiert, die das Ergebnis der unterschiedlichsten und ungeklärten Absichten gewesen sein können, unter anderem auch der, unliebsame Inschriften zu überdecken. In der Beschäftigung mit diesem Krieg der Zeichen geht er über die bloße Annektion von Graffiti hinaus, wie sie etwa auch im Werk eines Dubujjet erfolgte, weil er das Graffito als abwesendes thematisiert und zum Gegenstand einer Arbeit macht, die artistische Probleme zeitgenössischer Malerei gleichermaßen verarbeitet wie den politischen Konflikt, der sich in der Produktion und Zerstörung der unerwünschten Zeichen außerhalb des Museumsraumes abzeichnet. Die hier abgebildeten Fotografien zeigen von oben nach unten eine Wandmalerei in einem Keller, vermutlich das anonyme Urbild für Sarkis rituelle Wiederholung in der Ausstellung Europe 80 (Lyon) unter dem Titel Entree de Vue (2. Bild von oben), in der Hammerausstellung (in einer ausgeräumten Fabrik) in Basel (1978) unter dem Titel Conversation avec un incident de travail und im Centre d'art contemporain in Genf (1978) unter dem Titel Trempe de Rouge et de Vert, le peintre en btitiments parte des grands epoques qui viennent. 49


Der Sprayer von Zürich Der Sprayer von Zürich hat einen charakteristischen Konflikt durchexerzieren müssen, wie er für die Anwendung von Graffiti in einer subkulturellen und zugleich künstlerischen Praxis kennzeichnend ist. Dieser Konflikt besteht darin, daß er, ebenso wie etwa der Sprayer von Moabit, eine Graffiti-Praxis entwickelt hat, mit der er als Autor bekannt wurde und auch bekannt werden wollte, ohne es sich leisten zu können, auch als solcher erkannt zu werden. Die Preisgabe der Anonymität, die in der Regel Kennzeichen wie Garantie der ungestörten subkulturellen Graffiti-Praxis ist, ließ sich als Autorenanspruch nicht auf den artistischen Ruhm begrenzen, da auch die juristisch folgenreiche Identifizierung gelang, die den namhaft gemachten HaraId Naegeli heute mit einer Hypothek von 9 Monaten Gefängnis und einer Schadenersatzforderung von über 200000 DM so sehr belastet, daß er sich ihr ins Ausland entzogen hat . Gipfel dieser juristischen Kampagne gegen den Sprayer war die Weigerung des Gerichts, die eminent künstlerische Qualität seiner Arbeiten und deren kulturelle Legitimität auch nur am Rande in die Betrachtung des Falles einzubeziehen, das Internationale Künstlergremium hat daher seine Mitglieder Jean-Christophe Ammann, Georg Jappe, Manfred Schneckenburger sowie Wulj Herzogenrath mit Gutachten beauftragt, die der artistischen Qualität der Arbeiten des Sprayers gelten sollten, von denen drei im folgenden abgedruckt sind. 50


Manfred Schneckenburger Der Sprayer mag kein Vorbild sein, ein Künstler ist er allemal. Er mag mit dem kategorischen Imperativ auf Kriegsfuß stehen, aber wann hätten Kunst und kategorischer Imperativ je Hochzeit gefeiert! Dabei kommt es weniger darauf an, wie gekonnt er dem Beton seine Schnörkel überzieht, wie virtuos er die gassenhauerische Kantilene seiner Arabesken pfeift - obwohl der ornamentale Witz dieser Liniengeister, ihr Sinn für Flächenfüllung und räumliche Situationen den Sprayer auch zum brillantesten Schnellzeichner machen , den ich kenne. Wie diese Männchen gerade noch um eine Ecke hetzen, breitbeinig eine Mauer abblocken oder sich zu bizarren Insekten zerdehnen - das hält spielend der Konkurrenz berühmterer, dafür weniger berüchtigter Künstlerkollegen stand. Ein wenig unernst gesagt: die Ästhetik der Geschwindigkeit, lange eine Domäne von Malakrobaten a la Mathieu, hat durch den Sprayer eine neue, quasi lebensnotwendige Dimension der Flüchtigkeit erhalten. Aber diese Kunst erschöpft sich nicht in formalen Qualitäten. Die laufenden, jagenden, tanzenden Linien legen ihre Schlangenfinger auf Wunden , die wir den Städten geschlagen haben. Sie diagnostizieren Betonagonie mangels Phantasie und blasen hier und da sogar noch eine Brise Sauerstoff ein. Sie formulieren Ua, formulieren) ebenso behutsam wie behende einen berechtigten Protest. Der Sprayer ist ein Partisanenkämpfer gegen die Zerstörung unserer Städte, ein Störenfried,

kein Zerstörer. Ein Moralist, der sich zur Wehr setzt , kein Schmierfink. Ein Berliner Gericht stellte kürzlich fest, daß jahrelang unbewohnte Häuser keinen Hausfrieden besitzen, also auch keiner zu brechen sei. Kann einer beschädigen, was selber so voller Schaden ist?

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Tech nische Hochschule Z端rich (Fotos S. 50-53 Joachim Schmid)

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Georg Jappe Was am Urteil gegen den Zürcher Sprayer befremdet, ist nicht allein die Härte des Strafmaßes; es ist nicht minder die Tatsache, daß die Richter keine Gutachten über den künstlerischen Aspekt der Aktionen zu Rate gezogen haben. Der Sprayer hat das Problem von Kunst im öffentlichen Raum neu aufgeworfen. Seine Methoden sind solche der gegenwärtigen Kunst: er setzt Signale; sie sind gesprüht, d. h. spontan, unkorrigierbar und unverkäuflich, sie "gehören" niemandem und allen (was ein Charakteristikum für "öffentlich" ist); die individuelle Protestaktion hinterläßt gewaltlose Spuren, die alle Passanten (und eben nicht nur kunstgewohntes Publikum) zum Nachdenken auffordern; die Anonymität und der Verzicht auf erklärende Parolen steigern die Neugier und Aufmerksamkeit, nicht ein Name oder ein Produkt, sondern eine Botschaft wird verbreitet; deutlich gegeben wird der gesellschaftspolitische Kontext: Betonwände, empfunden von der Mehrheit der Bevölkerung als das Symbol schlechthin für die "Unwirtlichkeit der Städte", werden gezeichnet mit dem archaischen Symbol für Mensch. Denn diese "Strichmännchen", wie die gesprühten Umrißfiguren im Volksmund fälschlicherweise genannt werden, sind durchaus der Kunstgeschichte verpflichtet. Die Klassiker der Moderne, unter ihnen die Kubisten und Surrealisten, haben sich aus der Kunst der Ur-und Naturvölker Ausdrucksformen angeeignet, die den Menschen nicht als Individuum, sondern als überpersönliche Figur zeigen, eben als allgemeines Symbol. Die SprayerFiguren hinwiederum greifen unverkennbar Erinnerungen und Bezüge zu den modernen Klassikern wie Miro, Klee , Picasso u. a. auf. Die "Strichmännchen" von Miro sind Wahrzeichen der Eingangsfassade des Hauptgebäudes der UNESCO in Paris. Die Sprayer-Figuren stehen im kunstgeschichtlichen Kontinuum, werden vorgetragen mit zeitgemäßen Mitteln in persönlicher Handschrift und machen in ihrer originalen Aktionsform eine kritische und komplexe Aussage augen- und sinnfällig - womit alle primären Kriterien zur Beurteilung heutiger Kunst voll erfüllt sind . Dies ist auch in der Bundesrepublik längst erkannt worden, eine Photodokumentation seiner Tätigkeit hat als Kunstbuch große Resonanz gefunden, und der Bürgermeister von Osnabrück hat den Sprayer aufgefordert , in seiner Stadt Betonwände zu markieren. Das Urteil, das zwischen Eigentumsbeschädigung und Freiheit der Kunst nicht abwägt, zwingt den Sprayer zu Exil oder Gefängnis plus Entschädigungskosten, deren hohe Sum men seine Existenz auf lange Sicht ruinieren; indes werden seine Bilder und Signale ausgelöscht. Eine westliche Parallele zum Schicksal der Dissidenten ist nicht \"on der Hand zu weisen. Jene werden wegen Kritik am Sozialismus verurteilt, der Sprayer wegen Kritik an der Lnantastbarkeit des Eigentums. Die künstlerische Ab sicht. die Inhumanität von bunkerhaften Zweck- und Groß bauten zu brandmarken, ist - instinktivoder bewußt - voll verstanden worden. Gebrandmarkt wurde n scheinbar die Fassaden, in Wahr54

heit die bürokratische und unternehmerische Gewalt, die sich - finanziell wie psychisch - auf Kosten der Allgemeinheit und des kleinen Mannes Festungen errichtet. Die Gefährlichkeit des individuellen, künstlerischen Angriffs (hier könnte man dem Sprayer gratulieren) ist sehr hoch veranschlagt worden. In der Urteilsbegründung der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich heißt es: "Haraid Nägeli hat es verstanden, über Jahre hinweg mit beispielloser Härte, Konsequenz und Rücksichtslosigkeit die Einwohner von Zürich zu verunsichern und ihren auf unserer Rechtsordnung beruhenden Glauben an die Unverletzlichkeit des Eigentums zu erschüttern. "Man ersetze "Zürich" durch "Prag" und "des Eigentums" durch "der sozialistischen Gesellschaftsordnung" - und der Satz wird einem geradezu abgedroschen vertraut vorkommen . Die westliche Variante ist, gewiß, etwas weicher: eine psychiatrische Untersuchung konnte der Sprayer verweigern. Nicht ohne leises Bedauern kommen die Richter zu dem Schluß: "Wenn einer, wie der Angeklagte, in der Lage sei, die inneren Ursachen seines Tuns so klar zu erkennen und sie auch zu umschreiben vermag, kommt eine leichte bis mittlere Verminderung der Zurechnungsfähigkeit nicht in Betracht." Der Sprayer läßt sich nicht als Verrückter abtun.


Jean-Christophe Ammann Der Kassationshof des Schweizerischen Bundesgerichts hat am 20. November 1981 die Nichtigkeitsbeschwerde des "Sprayers" gegen das Urteil der 11. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 19. Juni 1981 abgewiesen. Damit wird das Urteil der Vorinstanz, nämlich 9 Monate Gefängnis unbedingt und Fr. 206.000.- Entschädigungskosten, rechtskräftig. Das Zivilgericht Zürich hatte den "Sprayer" Ende Januar 1981 zu 6 Monaten bedingt verurteilt. Aber das Obergericht hatte in der Folge bedeutend härter geurteilt. In der Basler Zeitung vom 22. 9. 1981 (Nr. 221) hatte der "Sprayer" seinen Standpunkt klargelegt. Letztlich geht es um die Position des kämpfenden Künstlers, der nicht bereit ist, den ihm zur Verfügung gestellten Freiraum schlicht und einfach zu akzeptieren. Mit seinen "Grenzüberschreitungen" will er konkret und gezielt die Wirksamkeit einer schöpferischen, künstlerischen Aktion sichtbar und spürbar machen. So verteht er den Auftrag des Künstlers. Auf der gleichen Seite hatte Char/olle Gerber ihren Standpunkt dargelegt. Sie kritisiert die Urteils begründung des Zürcher Obergerichtes scharf, vor allem deshalb, weil sich Richter als Kunstrichter hervortun . Heißt es doch in der Urteilsbegründung: Der künstlerische Wert soll offenbleiben, aber sogleich wird beigefügt: ,,( ... ) wenn auch festzustellen ist, daß die weitaus meisten dieser Sprayfiguren nach der Meinung der erkennenden Richter wohl kaum als Kunstwerke bezeichnet werden können. Es erübrigt sich deshalb auch der Beizug von Gutachtern über den künstlerischen Wert der ,Werke' des Angeklagten." Dies ist umso bedauerlicher, als Willy Rotz/er bereits am 14. September 1979, zu Händen des Stadtpräsidenten von Zürich, ein hervorragendes und ausgewogenes Gutachten über die Werke des "Sprayers" verfaßt hat. Auch der Kassationshof des Bundesgerichts akzeptiert diskussionslos den vom Zürcher Obergericht begründeten Begriff der Sachbeschädigung. Wörtlich: "Wer indessen aus politischen oder ideologischen Gründen Sachbeschädigungen in dem Umfange vornimmt, wie der Beschwerdeführer es tat, um gegen die herrschende Ordnung vorzugehen, kann sich weder auf achtenswerte Beweggründe noch auf die anderen angerufenen Strafmilderungsgründe berufen. Daß der Beschwerdeführer seine Zeichnungen als Alarmbotschaft an die Gesellschaft, als Signal gegen die fortdauerde Selbstzerstörung, als Protest gegen die zerstörerische Urbanisierung und Vertechnisierung und als Ausdruck seines inneren Widerstandes gegen die fortschreitende Verbetonisierung der Stadt verstanden haben wollte, berücksichtigte die Vorinstanz im Zusammenhang mit der Frage der Zurechnungsfähigkeit. Den Besonderheiten des Falles war damit Genüge getan ." Dagegen Willy Rotzier in seinem Gutachten: "Wenn in erzürnten Pressestimmen (in Leserbriefen vor allem) von "Schmierereien" die Rede ist, so ermangelt dieses Urteil jeder genaueren Beobachtung. Um Schmierereien handelt es sich weder technisch noch formal, weder

motivisch noch von den Intentionen her. Die Sprayzeichnungen sind das genaue Gegenteil von Schmierereien oder" Wandbesudelungen". Auch wenn man sie als widerrechtliche Benutzung und Beschädigung von fremdem Eigentum, als Mißbrauch des öffentlichen Raumes, als beleidigenden Störfaktor ablehnt, so darf ihnen das Merkmal einer eigenständigen, persönlich geprägten künstlerischen Gestaltung kaum abgesprochen werden. Ebensowenig kann die Betroffenheit auslösende, in tiefen Schichten verankerte Symbolsprache übersehen werden . (Leute, denen aus koventioneller oder gar reaktionärer Einstellung heraus alle moderne Kunst ein Greuel ist, haben seit einem halben Jahrhundert immer wieder die Werke von Picasso, Paul Klee und anderer großer Künstler unseres zeitalters als Schmierereien bezeichnet.)" ( .. .) Grenzüberschreitungen sind erwünscht, Grenzverletzungen werden geahndet. Wer immer, von Prinzipien geleitet, Grenzen zieht, wird letztlich nur sich selbst oder einer Sache, die er selbstherrlich vertritt, genüge tun. Aber er versagt im Entscheidenden: dort, wo die Differenzierung unabdingbar ist, wo es genau gilt, zu unterscheiden, wie, wo , in welcher Form, in welchem Ausmaß und mit welchen Konsequenzen etwas "beschädigt" wurde. Sicherlich nicht mit der folgenden Begründung: "Art. 145 Abs . 1 StGB schützt nach seinem klaren Wortlaut eine Sache nicht nur vor Zerstörung und Unbrauchbarmachung, sondern auch vor Beschädigung. Das von einer Rechtsanwältin vorgetragene Argurrient, der Beschwerdeführer habe die fraglichen Mauern in ihrer Funktion, ihrem Sinn und Zweck, dem Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben und ihn vor Erdrutschen zu bewahren, nicht zerstört und dürfte deshalb nicht nach Art . 145 StGB schuldig erklärt werden, ist so absurd , daß es sich nicht lohnt, darauf näher einzutreten. Beulen und Kratzer in einer Autokarosserie wären demnach auch keine Sachbeschädigung, solange dem Auto noch seine Funktion als FortbewegungsmitteI erhalten bleibt. " Pauschale Argumentationen, wie sie hier der Kassationshof des Bundesgerichtes führt, im Sinne einer exemplarischen Ahndung, verschärft den Konflikt von Grenzüberschreitung und Grenzverletzung, dient der Verhärtung der Fronten. Von seiten des "Sprayers" kann man sagen, daß er sicherlich nicht den Konflikt sucht und gesucht hat, aber er ist sich klar bewußt, daß er einen Konflikt bewirkt und bewirkt hat. Sein Bestreben liegt mit Berechtigung darin, daß man sich mit dem von ihm eingegangenem Risiko in gebührender und differenzierter Weise auseinander setzt.

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Graffiti -

Scene Berlin

von Joachim Schmid

Eigentlich wurde die Mauer zu einem anderen Zweck errichtet. Im Lauf der Zeit hat sie sich jedoch durch Gewohnheitsrecht zu einer Art Hyde-Park-Corner entwickelt. Allerdings werden hier nicht zur Hauptverkehrszeit Reden gehalten, sondern zur Hauptschlafzeit Parolen gesprüht und Bilder gemalt. " Nieder mit . . .", " Vorwärts zum .. . ", " Freiheit für . . . " und "Tod dem ... " bleiben nach einem Spaziergang entlang der Mauer im Gedächtnis haften, aber ob nun Brandt oder Breschnew der Beizebub sein sollte oder ob die Forderung nach baldigem Ableben an Chomeini oder an den Schah gerichtet war, verschwimmt in der Erinnerung. Neben und über den verblassenden älteren Parolen wuchern die bunten Pflänzchen aus dem Sympathisantensumpf. Die schablonisierten Polit-Formeln sind lockeren bis flapsigen Sprüchen und ironischen Kommentaren gewichen. "Fahr schwarz, fahr schwarz, spar Urlaubsgeld für'n Harz" steht neben der sicher ernst gemeinten Forderung "Freibier für alle". Und wer kein Bier mag, kann sich vielleicht mit der Forderung "Gö tterspeise zum Abendmahl" solidarisieren. Private Mitteilungen beanspruchen hier dieselbe Aufmerksamkeit wie die Pfeile, die den Weg zum Georg-von-RauchHaus weisen; die wenigen noch ernst gemeinten politischen Graffiti haben es schwer , sich neben den vielen verbalen Gags und den gemalten Blümchen, Sonnen und Phantasietieren zu behaupten. Die Mauer ist zum Spielplatz geworden; jeder findet noch ein Plätzchen, wo er sich austoben kann . Ernst genommen werden die Malereien an der Mauer schon nicht mehr. Wer also noch eine Botschaft unter die Leute bringen will und Graffiti nicht nur zum eigenen Lustgewinn produziert, hat die Mauer längst links liegen gelassen und sich den Mietshausfassaden und Brandmauern in den Stadtteilen zugewandt. So z. B. der Sendermann, der systematisch mehrere Berliner Stadtteile mit seinen wahnha ft anmutenden Sender-Botschaften überzog. " Der Verfassungschutz, das willkürlich kriminelle Nazi-Schwein arbeitet mit der Bevölkerung körperlich politisch mit Sendern. Bürger werden mit Sendern gefoltert , ermordet. Die Parteien sind übergangen. Sender in jedem dritten Haus . Hochverrat." oder auch nur " Abschirmdienst. Sender. Terror. Mord.". Die Botschafte n sind säuberlich mit weißer Farbe gemalt, nur selten greift der Sendermann zur Spraydose, um seine Gedanken zu veröffentlichen. Was er mit den ,,::sendern " letztendlich meint, wird nie ganz klar. Vielleicht hat der Begriff für ihn eine ganz konkrete Bedeutung, man könnte seine "Sender" aber auch als Schlüsselwort für den großen anonymen Überwachungsapparat verstehen . "Die Schweine greifen mit Sendern an " und "Bürger werden am Kopf mit Sendern angepeilt" waren Parolen einer individuellen Kampagne, deren Spuren lang56

sam verwischt werden. Der Sendermann war in Berlin das vorläufig letzte Individuum, das sich mit Wandbeschriftungen in großem Umfang ins öffentliche Bewußtsein drängte. Graffiti entstehen zwar weiterhin Nacht für Nacht, aber es gibt im Moment niemanden, dessen Graffiti so populär sind wie die des Sendermanns während dessen dreijähriger Aktivität. Nachfolger, die als Individuen erkennbar, aber bei weitem nicht so bekannt sind, gibt es mehrere. An Bushaltestellen, in Telefonzellen und öffentlichen Toiletten tauchen seit Ende 79 Papageien und Elefanten auf. Der Papagei besticht durch klare Linienführung und wirkt standardisiert, der Elefant hat einen gewellten Rüssel und droht ansonsten manchmal ins Amorphe abzudriften . Beide werden mit schwarzem Filzstift fabriziert und oft mit ihrem Entstehungsdatum versehen. Ihre Botschaft ist so banal wie wahr: Der Papageien- oder der Elefantenzeichner war hier. Und beide scheinen in der ganzen Stadt herum zu kommen. Nicht so vagabundenhaft ist der "Sprayer von Moabit" . Auf einen Stadtteil konzentriert er seine Parolen die sich mit sich selbst befassen. "Vorsicht Parole" steht an einer Hauswand, die sonst frei von Graffiti ist. Und dem Betrachter wj.:d klar, was er gerade tut, wenn er liest "Achtung! Sie lesen 1 Parole". Die sicher darauf folgende Frage "Was soll denn das?" hat der Sprayer vorweggenommen und gleich an die gegenüberliegende Fassade gesprüht. Wer das nicht lustig findet, trifft auf volles Versl<,nG.. ls und kann lesen: "Dies ist 1 Schweinerei" . Wenn die Parolen-Parolen übermalt werden, kommentiert der Sprayer "Hier war 1 Parole" oder einfach "Sauber, sauber" . Seinen Namen hat er sich übrigens selbst gegeben: An einer Brandmauer in Schöneberg steht: " Der Sprayer von Moabit macht heute einen Ausflug nach Schöneberg" .


Moabit 1979 (Foto Joachim Schmid)

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Sieht aus wie ein Gastspiel des DAAD-Stipendiaten Ben Vautier in Berlin (Foto Hans-J眉rgen Raabe)

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Graffiti-Szene New York Die Graffiti Szene in New York hat sich in eine Richtung entwickelt, die im größtmöglichen Gegensatz zu der in Europa steht. Die ursprünglich ebenfalls riskante Praxis von Halbwüchsigen, U-Bahn-Wagen im Depot und auf Bahnhöfen farbig und gekonnt zu besprayen, zeigte über die juristischen Risiken dieser Arbeit hinaus eine Risikobereitschaft auch darin, daß die Sprayaktionen lebensgefährlich waren. Wolfgang Becker wertete sie anläßlich der Ausstellung der Fotografien von Matta-Clark in der Neuen Galerie Aachen als Indizien "eines menschlichen Zwangs zum Schöpferischen", die Bemerkung eines der U-Bahn-Täter gab der Publikation der Fotos von Jon Naar den Titel Watehing my name go by, mit dem auf das stilistische Merkmal dieser Sprayarbeit verwiesen wurde, die größtenteils in der Anbringung von Namen, auch von Künstlernamen der Täter bestand, dabei allerdings ein artistisches Niveau erreichte, das in der europäischen Spray kultur in Farbigkeit und Formensprache kein Äquivalent kennt. Die Fotos von Jon Naar auf dieser Seite zeigen solch einen bemalten U-Bahn-Wagen sowie den Blick durch ein bespraytes Fenster auf eine Station und einen der für Uneingeweihte rätselhaften Namen, den die zahlreichen Sprayer allerdings auf Anhieb identifizieren konnten. Aus dieser Praxis, die um 1971 begann, hat sich mittlerweile eine völlig andere Graffiti-Kultur entwickelt, die von Künstlern, auch solchen, die auf der Akademie

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studieren, getragen wird, die wie Auftragskünstler für Sprayaktionen gegen Honorar zu gewinnen sind. Einer der Stars dieser Szene mit dem Künstlernamen Futura 2000 hat etwa bei dem letzten Konzert, das die PunkGruppe Clash vor dem Abriß im Pariser Theatre Mogador spielte, auf der Bühne gesprayt und der französische Staat hat seine Elaborate aufgekauft, ein anderer namens Fred sprayte im Kölnischen Kunstverein parallel zu einer Ausstellung von Fotografien der TotentanzSerie des Zürcher Sprayers, wobei der Gegensatz dieser beiden Graffiti-Kulturen augenfällig wurde, leider auch darin, daß der artistische Anspruch des New Yorker Sprayers durch seine Arbeiten nur unzureichend abgedeckt wurde. Freds Manager Diego Cortez, bei dem man aus einer Truppe von 15 bis 20 Sprayern auswählen kann, um sie für die unterschiedlichsten Anlässe zu mieten, bemühte sich in diesem Fall offenbar zu Unrecht, die Diskussion um Graffiti von soziologischen Impliktionen freizuhalten und nur noch artistische gelten zu lassen. Seine Darstellung der neuen GraffitiKultur in New York schilderte den Wandel durchaus offensiv, insofern er die neuen Arbeiten nur als Design betrachtet wissen wollte, als visuelle Beiträge zu einer urbanen Kultur, die dadurch bereichert, und nicht in Frage gestellt werden solle. Sein Hinweis, demzufolge die Kollegen von Fred auch Leinwände besprayen, entwaffnete sein eigenes Argument, demzufolge die neue


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lnstallationsjotos Kölnischer Kunstverein (Fotos Lothar SchnepjJ

Jraffiti-Kultur das Anliegen einer akademischen {ünstlerboheme sei, welche die etablierten Institutiolen des Kunstbetriebs links liegen lassen wolle, um in :iner anderen Öffentlichkeit zu arbeiten, ein Argunent, das ohnehin nur noch geeignet ist, Mißtrauen ;tatt Sympathie zu wecken, weil es zu oft als Schutzbelauptung für einen durchaus kalkulierten Ehrgeiz herlalten muß, gerade dadurch in den etablierten KunstJetrieb einzusteigen, der ansonsten nur viel umständli:her zu erobern ist.

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Wandbilder Wandschmuck Wie die Historiker der Graffiti ihre Betrachtungen gern bei den Höhlenbildern von Lascaux, spätestens aber mit den Kritzeleien von Pompeji einsetzen lassen, greifen jene des Wandbildes gern auf Fresken und Graffiti zurück, mit denen die Wand zum Bildträger gemacht wurde. Was im ersten Fall als Hinweis auf die Kontinuität einer einfachen Geste zutreffen mag, ist im Fall des Wandbildes fragwürdig, denn kaum etwas hat sich in der Baugeschichte so stetig verändert wie die Einschätzung der Wand als elementarem Bestandteil der Baukunst. Sorgte bereits die Gotik durch die Auflösung der Wand für eine erste Krise des Wandbildes, so hat die Skelettbauweise der modernen Architektur ebenfalls zum Verschwinden der Wand beigetragen, weil sie ihre Bauwerke auf die statisch nötigen Skelette reduzierte und die Zwischenräume mit Glas und standardisierten Füllseln versah, die den Eindruck einer zusammenhängenden, durch Aussparungen gegliederten aber nicht zergliederten Fläche, eben den einer Wand, gar nicht mehr aufkommen ließen . Wer allerdings daraus auf ein Verschwinden des Wandbildes schließt, übersieht, daß in der Wohnhaus-Architektur durchaus noch Versatzstücke der Wandbild-Kultur überlebt haben. Auf Einfamilien-Häusern aus eigener Initiative angebracht und im Siedlungs-Bau als Bildprogramme angelegt, haben Bambis und Reiher, Landschaften und verstümmelte Genre-Szenen ihren Platz auf der Wand behauptet. Wer die einschlägige Foto-Sammlung von Michael Weisser durchmustert, entdeckt ein Themenrepertoire, das die merkwürdigsten ikonografischen Perspektiven eröffnet. Da sind Stadthäuser mit idyllischen Nat urszenen geschmückt, mit Rehen und Reihern, und Sonne , Mond und Sterne strahlen auf Landschaften nieder, in denen nahezu alles vorkommt, nur keine Siedlungshäuser und Städte. Daneben galt ein Hauptaugenmerk dieses Bildprogramms der Familie, die als In karnation der 2 1/2 Zimmer-Küche-Diele-Bad-Architektur auf die Außenwand gesetzt wurde: Vater, Mutter und ein zur Sonne erhobenes Kind signalisierten , daß mit Oma und Opa nicht mehr viel anzufangen war in solchen Wohnungen, die Kleinfamilie im Bild umriß das Architekturprogramm. Daneben scheint eines der Hauptanliegen des Bildprogramms darin gelegen zu haben, Robert Lemkes unsägliches Beruferaten schon vorwegzunehmen: neben den Bauarbeitern, die mit stilisierten Gerüsten auf der Wand fest gehalten worden sind, haben Berufe ihre Abbildung gefunden, die in Stadthäusern des 20. Jahrhunderts auch nicht gerade heimisch waren, allen voran der Landwirt auf seiner Scholle, aber auch Schuster in Zunftkleidung und Förster. 62

Fotos Seite 62-69 Michael Weisser


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Kunst am Bau Kunst im öffentlichen Raum

Die Nachfahren des Funktionalismus hingegen, die statt in Skelettbauweise ihre Groß bauten im BetonBrutalismus der Nachkriegszeit anfertigten, verbündeten sich mit dem Kunst-am-Bau-Programm derart, daß markig kolorierte Großfarbflächen im Stile des Konstruktivismus ihre Betonschöpfungen verniedlichten, die eigentlich auch keine Wände hatten, sondern eher Panzer. Aus der Kunst-am-Bau und ambitionierten städtischen Kulturprogramm entwickelte sich dann die Konzeption der Kunst im öffentlichen Raum, die in Gaggenau und Bremen beispielhaft durchgeführt worden ist und bereits Elemente der in den USA populären Wandmalerei aufgriff. Weiße Flecken in der Stadtlandschaft, Brandmauern ebenso wie Betonmauern von Neu- und Bunkerbauten wurden zur Grundlage historischer oder humorvoller Bemalungen, aber auch dekorativer und künstlerischer Gestaltung.


Kunst am Bau

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Kunst im รถffentlichen Raum: Beispiele aus Gaggenau

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Kunst im öffentlichen Raum: Beispiele aus Bremen

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Haustheater

Die Wandbilder der Kunst im öffentlichen Raum haben verschiedene Motive verbreitet, unter denen die 11lusionsarchitektur eines der beliebtesten ist: auf Bun- . kerwänden sind Stadtlandschaften erfunden oder aus der näheren Umgebung abgemalt worden, deren Illusionsgrad den Autofahrer verwirrt, ebenso wurden plane Hausfassaden mit Illusionsstuckwerk und Trugbildern versehen, wofür USamerikanische Wandbilder ebenso Pate standen wie die Lüftlmalerei bayrischer Bauernhäuser. Ein verbreitetes Motiv dieser Illusionsarchitektur ist das Haustheater, worunter Bemalungen zu verstehen sind, die das bemalte Haus als ein geöffnetes vorspiegeln, in dessen Zimmern man das Leben der Bewohner beobachten kann (Beispiel oben: Krämer/ Noack, Bemalung eines Bunkers unter Mitarbeit von Jugendlichen eines gegenüberliegenden Freizeitzentrums in der Magdeburger Straße in Bremen, 1976). Dieses Haustheater stilisiert Interieurs und Gesten, wie sie in realen Wohnungen vermutet werden, und liefert ein Kulturpanorama des verbreiteten, aber unsichtbaren Wohnalltags. Literarische Vorbilder für dieses Haustheater sind in der Stadtliteratur bis ins Jahr 1707 zurückzuverfolfi 9


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Anony me Illustration zum Roman "Le Diable Boiteux" von Alain-Rene Lesage in der Ausgabe von Prault, Paris 1737 (oben); Illustration, als Puzzle dem Roman " Das Leben " von Georges Perec beigelegt (Zweitausendeins Verlag, rechts)

gen , als der Roman Le Diable Boiteux von Alain Rene Lesage erschienen ist, in welchem der hinkende Teufel seinem Adepten die Fähigkeit verleiht, die Häuser von Paris ohne Dächer und Mauern durchschauen zu können, der erste Versuch der europäischen Literatur, das neue und komplizierte Phänomen städtischen Wohnens zu bearbeiten. (Siehe hierzu ausführlich : Volker Klotz: Die erzählte Stadt München 1969). Noch der zeitgenössische Roman greift auf dieses Muster zurück, so ist dem Roman Das Leben von Georges Perec (Zweitausendeins, 1982) ein Puzzle beigelegt , auf dem eine ältere Illustration das Leben eines offen liegenden Mietshauses abbildet. Beispiele für dieses Haustheater in der Wandmalerei sind noch zu finden in dem Buch Wandbilder von Volker Barthelmeh (siehe Bibliografie), wo sich ein Liebespaar als Silhouette in einem erleuchteten Fenster nähert (S. 28) und ein Wuppertaler Haus dem Voyeur reichlich zu sehen gibt: ein Herr sitzt zeitungs lesend auf dem Klo, ein anderer erhebt sich aus 70

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Brandmauer aus dem Buch "Mauern" von Deidi von Schaewen, Schlußakt des Haustheaters

dem Bett und - natürlich - eine nackte Frau steht im Bad (S_ 102). Gerade in Wuppertal hätte man etwas intelligentere Lösungen erwartet, wo doch die Schwebebahn dem Benutzer genau die Erfahrung bieten kann , die diese Wandbilder nur vortäuschen, die der Teilnahme an sich unbeobachtet wähnendem häuslichem Leben im ersten und zweiten Stock, die etwa für Pina Bausch eine frühe Inspiration ihrer Arbeit gewesen ist. Wie Jens Beiderwieden die Oper als Museum der Leidenschaften bezeichnet hat, läßt sich Pina Bau schs Tanztheater als Museum der Gesten verstehen , das allerdings den Wandbildern des Haustheaters haushoch überlegen ist, denn auf diesen fehlt nahezu alles, was an Gesten den Alltag bestimmt, sie saufen im Dekor ab, der von der imaginierten Hauseinrichtung, nicht vom Leben seiner Bewohner geprägt wird . (Weitere Beispiele in Cooperl Sargent: Painting the town, S. 31, und Barthelmeh: Kunst an der Wand, S. 19) . 71


Wandbild eines Schallplatten verlags in Hollywood (Foto Horst Schmidt-Brümmer)

Fassadenmalerei USA

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Die Pop-Kultur der Vereinigten Staaten hat Wandbemalungen entstehen lassen, die eine langdauernde Trennung von Bildern und Wänden rückgängig machten. Die bill-boards nämlich waren Ausdruck dieser Trennung: in wandgroßen Formaten waren sie doch nicht auf Wänden angebracht, zum Teil aus Gründen, die sich aus der modernen Architektur herleiten lassen, in der Wände nicht mehr vorkamen. Die Werbepracht dieser bill-boards und der artistische Standard ihrer Maler hat dort, wo Wandbemalungen möglich waren, Fassadenbilder inspiriert, die dekorativ oder mit narrativem Einfallsreichtum für die Produkte und Dienstleistungen werben, die hinter der bemalten Wand angeboten oder hergestellt werden.


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"Brautpaar", Wandbild von Kent Twichell auf der Seitenfassade eines Gesch辰ftsf端r Brautkleidung (Foto Schmidt-Br端mmer)

Scheinarchitektur auf der Fassade eines Weinlokals Westwood, L .A. (Foto Schmidt-Br端mmer) 73


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"Venice in Snow", Wandbild der Los Angeles Fine Arts Sqad, Venice ca. 1971 (FOIO Schmidt-Brümmer)

Fassadenmalerei USA

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Die Pop-Kultur der USA hat einerseits Künstler dazu inspiriert, die Mythen und Gestaltungsmerkmale dieser Kultur auf Bilder und Objekte umzumünzen, die für den Kunstmarkt und die MuseumsausteIlungen gedacht waren. Neben dieser Pop-Art ist eine andere Kunstrichtung entstanden, die in der Bemalung von Außenwänden den technischen Standard und die Phantasie von Werbegemälden umsetzten, ohne Werbung treiben zu wollen. Vor allem der Los Angeles Fine Art Squad (Stoßtrupp der schönen Künste) und sein später auch unabhängig von dieser Gruppe arbeitendes Mitglied Terry Schoonhoven haben die Möglichkeiten genutzt, die sich in Absprache mit den Hausbesitzern boten, um Architekturphantasien und lokale Mythen auf die Wände zu bringen. So thematisieren einige der bekannten Bilder den Alptraum Kaliforniens, durch ein Erdbeben zerstört zu werden, andere spielen mit dem Klima und erfinden eine Stadt, in der es nie schneit, als winterlich verschneites Panorama. Als eigenständige Gattung der schönen Künste erfreut sich die freie Fassadenmalerei in den USA eines technischen und erzählerischen Standards, der sie zum Vorbild für bundesdeutsche Programme für Kunst im öffentlichen Raum werden ließ.


Die Insel Kalijornien, Los Angeles Fine A rts Sqad, 1971 (Foto Schmidt-Br端mmer)

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Straßenszene in Santa Monica, gemalt von ]ane Golden u.a. (Foto SchmidtBrümmer)

Ecke in Santa Monica, bemalt von ]ane Golden u.a. (Foto Schmidt-Brümmer, oben) unten: Montreal

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Winds 0/ Change. Wandbild von Osha Neumann, Daniel Galvez und Brian Thiele, /977 (Foto Marshall Gordon)

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Jogger, Manhattan Beach, L.A. (oben); Venice on a half shell, gemalt von R . Cronk in Venice, Ca. (Fotos Schmidt-Br端mmer)

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Washington D.C., 1980 (Foto Schmidl-Br端mmer)

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SI. Char/es Painting von Terry Schoonhoven, Venice 78

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Mr. War on Waste, Bolton, England

Fassadenmalerei Europa

Wandbild von Stephen Pusey, London (Foto Helmut Weihsmann)

" Seaside" von Brian Barnes, London (Foto Weihsm ann)


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"Murinal von Alan Warburton, Porth, England (oben), "Spitjire

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von Walter Kershaw, Eric Kean u.a. (unten)


Spielp latz in Amsterdam (Fotos Andreas Schutz)

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Wandbilder in Br端ssel (Fotos Burhan Dogancay)

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Kreidezeichnung auf Ziegelsteinen, Lower East Side, New York (Foto Philip Pocock)

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Stein weg am KuKuCK (Kunst und Kultur Centrum Kreuzberg, oben); links Fassadenmalereien auf Ziegelstein von Da vid Cash man und Roger Fagin nach Entw端rfen von Sch端lern der Laycock school. 85


DIEGO RIVERA, Regierungspalast Mexico City, /95/ (Foto Wolfgang Pietrzok)

Politische Wandbilder: Mexiko Die mexikanische Wandmalerei der 20er und 30er Jahre dieses Jahrhunderts gilt vielen politischen Wandmalern als Orientierungsmarke. Was Jose Clemente Orozco, David Alfaro Siqueiros, Juan O'Gorman und Diego Rivera im nachrevolutionären Mexiko versuchten, war nicht weniger als die Verschmelzung europäischer Maltraditionen mit vor kolonialen Bildauffassungen, und die enge Verbindung eines artistischen mit einem politischen Programm, das in der Entwicklung einer populären Kunst bestand, deren Produzenten sich der ethnischen, mythischen und revolutionären Tradition sowohl für die Inspiration wie für die Propaganda versicherten. Bis in die 60er Jahre hinein bestimmten diese Maler bzw. die von ihnen initiierten Gruppen und künstlerischen Richtungen die Wandkunst Mexikos, wobei allerdings eine Schwerpunktverlagerung von der ursprünglichen Innenbemalung kolonialer Gebäude zur Außengestaltung neuer Bauten stattfand. Man hat sich diese Malmannschaft keineswegs als homogene Gruppe vorzustellen, da sie sich über die Fragen revolutionärer Taktik ebenso temperamentvoll zerstritt wie über artistische Angelegenheiten; vor allem die Anwesenheit des Exilanten Trotzki in Riveras Haus gab Zündstoff für Auseinandersetzungen mit den Stalinisten unter den Muralisten, von denen einer, nämlich Alfaro Siqueiros, zum Attentat auf Trotzki beigetragen hat und dafür nach Chile in die Verbannung mußte. 86

Ausschnitt: Landung in Vera Cruz (Foto Helmut Weihsmann)


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OROSCO, Bibliothek Gabina Orticz (Foto Weihsmann)

DA VID ALFARO SIQUEIROS, SchloĂ&#x; Chalpultepec, 195 7 (Foto Weihsmann)

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Bilder des Wandels Wandmalerei in Portugal von Alfred Kottek

Am 25. April 1974 ließen die portugiesischen Hauptleute ihre Panzer durch die Straßen Lissabons rollen. Damit begann in der portugiesischen Gesichte ein neues Kapitel. Die Zäsur war so einschneidend wie wenige zuvor: das portugiesische Imperium hatte nach 500 Jahren aufgehört zu bestehen. Die Leute, die in den Straßen tanzten, dachten aber nicht daran. Sie pflanzten Nelken auf die Gewehrläufe der Soldaten, weil von ihnen die Last einer fünfzigjährigen Diktatur genommen war, die versucht hatte, das Volk in eine Zwangsjacke zu stecken. Jetzt waren die Maulkörbe gefallen. Auf allen Ebenen ein Neubeginn! Nur wenige waren auf demokratische Rechte und Spielregeln vorbereitet. Ungläubig und abwartend verharrten viele im Land und schauten auf die Bewegung der Streitkräfte MFA, die Portugal in die Demokratie zu führen versprach. Es war in diesem ersten Jahr der Herrschaft der MFA mit ihrem obersten Gremium, dem Revolutionsrat, daß die Militärs in Wirtschaft und Verwaltung eindrangen und mit dem Volk in Berührung kamen, die Barriere des Kasernentores überwanden . Sie erkannten, daß nach 50 Jahren Diktatur demokratisches Bewußtsein nicht vorhanden sein könne. So versuchten sie es zu aktivieren. Eine der überraschenden Initiativen waren die Wandmalereien, die an vielen Orten des Landes entstanden: meist in bunten, fröhlichen Farben die Verbundenheit der Streitkräfte mit dem Volk feiernd und natürlich den 25. April, den Tag der Revolution. Das Bewu ßtsein der Änderung sollte ins Volk und besonders in die Jugend getragen werden, und so wurden besonders häufig Kinder mit ihren naiven Zeichnungen die bunten Wimpe\schwenker der MFA. Am ersten Jahrestag der Revolution, am 25 . April 1975, wurden Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung abgehalten. Hieran durften politische Parteien teilnehmen, soweit sie nicht als rechte in das politische Spektrum einzuordnen waren, wobei unter dem Einfluß der linksgerichteten Militärs der Begriff "rechts" ziemlich weit ausgelegt wurde und z. B. das später als drittstärkste Partei in das erste Parlament einziehende "demokratisch-soziale Zentrum (CDS)", nicht zugelassen wurde. Während der Vorbereitungen 88

zu dieser Wahl tauchten an die Wände geschmierte Parolen, aber auch die ersten wahl bezogenen Wandmalereien auf. Es entstand das Bild des nach revolutionären Lissabons, das den fremden Besucher erschrecken ließ und so manchen einheimischen Begleiter zu melancholischen Bemerkungen über die Sauberkeit des faschistischen Lissabons veranlaßte. Die Wände als wirkungsvolles Kommunikationsmittel wurden jetzt so richtig entdeckt, nachdem einige graue Vorstadtflächen in Farbe getaucht und von der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen worden waren. In Lissabons politisch heißem Sommer 1975, zu Zeiten des hier sogenannten Goncalvismus, wurden Wandbilder zu den aktuellen Anlässen der großen Kundgebungen und Demonstrationen gemalt. Die Begeisterung für die neue Freiheit und für den Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft ließ unter dem Einfluß sozialistischer Ideen Bürgerinitiativen und Wohnviertelgemeinschaften entstehen, die ihre Umwelt, ihre Straße verbessern, verschönern wollten. Sie bemächtigten sich der neu entdeckten Ausdrucksform und bemalten leere Wände, im beflügelten Bewußtsein, zur Mitgestaltung aufgerufen zu sein. Ähnlich motiviert begannen sich Schulklassen auf dieses Neuland zu stürzen, das vor der Revolution als Teil der von der Staatsautorität verwalteten Welt begriffen wurde, die der obrigkeitsgewohnte Bürger des salazaristischen Portugals nicht zu berühren gewagt hätte. Auf den Tag zwei Jahre nach der Revolution, fand am 25. April 1976 die erste Wahl eines demokratischen Parlamentes statt. Es löste die ein Jahr zuvor gewählte verfassunggebende Versammlung ab, und Portugal trat damit in den Kreis parlamentarischer Demokratien westeuropäischen Typs. Etwa drei Monate später wurde der Staatspräsident in allgemeiner, geheimer Wahl gewählt. Mit diesen beiden Ereignissen erreichte die Wandmalerei ihren Höhepunkt. Doch war in der Zeit der Vorbereitung schon deutlich geworden, daß die Zeit der Spontangruppen vorbei war. Die partei- und wahlkampfbezogenen Malereien beherrschten klar das Feld. Hinter ihnen konnte der Betrachter leicht die Wahlkampfmaschinerie erkennen. Die Revolution mit


ihrer Begeisterung war einem politischen Alltag gewichen, der auf Bewältigung der schweren nachrevolutionären Wirtschaftskrise und dem Einspielen des neuen Staatsapparates ausgerichtet war. Für den ausländischen europäischen Betrachter waren das verständlir.here Kategorien. Die Wandmalerei hörte aber mit dem Ende des Wahlkampfes nicht völlig auf. Sie war den Portugiesen zu vertraut geworden und zudem ein ausgesprochen billiges Kommunikationsmittel. Zu großen politischen Festtagen oder auch zu Partei kampagnen oder Festivals erscheinen immer wieder neue Bilder, wenn diese auch viel vom Schwung der früheren verloren haben .

Fabriköde -

Leinwand der Vororte

Besucher des nachrevolutionären Lissabon stellten immer wieder kritisch fest, wie wenig doch unternommen wurde, um die Stadt von den Folgen der Schmierekstase nach dem 25. April 1974 wieder zu säubern. Tatsächlich finden sich im Zentrum Lissabons aber nur wenige der großen Wandmalereien. Zahlreich sind dagegen Parolenkritzeleien an den Hauswänden, und wie leicht dem Lissaboner Graffiti von der Hand gingen, mag man daran ermessen, daß bei der kürzlichen Eröffnung eines U-Bahneingangs schon tags darauf folgende Inschrift auf dem makellosen weißen Marmor prangte: " Independencia aos Berlingues". Die Berlingues sind zwei praktisch unbewohnte Felsen vor der mittelportugiesischen Küste in der Nähe von Nazare, und der unbekannte Witzbold, vermutlich linker Provenienz, wollte damit die "rechten" separatistischen oder autonomistischen Bestrebungen der beiden Inselgruppen der Azoren und Madeiras ironisieren. Wer fündig werden will auf der Suche nach Wandmalereien, der sollte sich vor Augen halten, daß große Wand flächen benötigt werden, die möglichst nicht unter der Kontrolle eines privaten Besitzers stehen, der durch raschen Einspruch leicht die Fertigstellung behindern könnte. Bei Fabriken, öffentlichen Gebäuden, fremdverwalteten Häusern geflüchteter Eigentümer, Einfassungsmauern größerer Areale ist das einfacher: da läßt die Reaktion auf sich warten und gibt so dem ~alteam genügend Zeit. - Natürlich sind die Malereien nicht immer ohne Wissen des Besitzers angebracht worden. Bei Parteilokalen und Versammlungszentren ist sicherlich der Dekorations- und Demonstrationswunsch des Besitzers sogar der Anstoß zur Malerei gewesen . Auch neue, teilweise spontan entstandene kulturelle Institutionen haben ihre Fassaden bemalt, wie z. B. das Pioniertheater im grauen Lissaboner Arbeitsvorort "Po<;:o do Bispo' " oder das Kulturzentrum von .-\lcantara, ebenfalls ein Arbeiterviertel am Rande der Hauptstadt. Viele der Kindermalereien, die den 25. April meist an den Außenwänden ihrer Schulen feiern, oder auch die von Kindern gemalte Serie zur Ausschmückung der Markthalle von Ribeira Grande (Madeira), sind im Einverständnis mit den Eigentümern erfolgt. Auch die Bank der nördlichen Distrikthauptstadt Viseu wird ihr Einverständnis gegeben haben, da es

sonst wohl kaum möglich gewesen wäre, die Fassade bis hinauf in den zweiten Stock zu bemalen. Wahrscheinlich hatte die Arbeiterkommission des Betriebs oder die örtliche Bankgewerkschaft (Syndicato) ihre Hand mit im Spiel. Daß auch Einzelhändler Sinn für nicht kommerzielle Dekoration haben können, zeigt eine Buchhandlung und ein Photogeschäft in einem Wohnviertel im Norden Lissabons. Besonders beachtenswert ist, daß es sich hierbei um eine mit hellem Naturstein verblendete Neubaufassade handelt. Es gehört schon sehr viel revolutionärer Eifer oder Frustration über die Sterilität von Neubaugebieten dazu, eine solche Fassade zu bemalen. Der typische Wandmaler malt aber unbekümmert um die Eigentumsverhältnisse seiner "Leinwand". Erfüllt von seiner gesellschaftlichen Funktion und verpflichtet den Zielen der Revolution, wird für ihn die Frage der Autorisation durch den Eigentümer belanglos. Er weiß sich dabei der Billigung und Solidarität der Menschen aus den "Barrios", aus den ärmlichen Vierteln am Rande Lissabons sicher. So verwundert es nicht allzusehr, wenn der Stadtrat von Lissabon im November 1977 darüber diskutieren mußte, ob das Bemalen von Wänden ein durch die Revolution erworbenes Recht zur freien Meinungsäußerung sei, das durch Einspruch des Eigentümers nicht eingeschränkt werden dürfe. Die Ratsmehrheit beschloß allerdings - man erinnere sich: die Revolution lag zu diesem Zeitpunkt schon dreieinhalb Jahre zurück - im Zuge der Reinigung der Stadt das nicht autorisierte Bemalen fremder Wände zu untersagen. Das war eine prinzipielle Entscheidung, wenngleich man den Einfluß auf die Praxis als nur gering veranschlagen konnte. Die große Mehrheit der Malereien will demonstrieren, informieren - oftmals zu einem ganz konkreten Anlaß. Es sollen die Massen erreicht werden mit der Botschaft, und deshalb genügte die bloße Verfügbarkeit einer geeignet großen Wand nicht für eine Standortwahl. Als günstig werden die großen Ausfallstraßen angesehen, auf denen sich täglich der Strom der Pendler von und zu den Arbeitsstätten bewegt. An den Stellen, wo Vorortbahn und Hauptstraße nebeneinander verlaufen, massieren sich die Malereien zu Serien. Als weiterer Faktor bei der Standortwahl erscheint ein klassenkämpferisches Element: Es werden die Ausfallstraßen bevorzugt, die in die bürgerlichen Villen- und Badevororte hinausführen. Wer der "Marginale", der Uferstraße, von Lissabon ausgehend immer der "Costa dei Sol" folgt, über den fashionablen Badeort Estoril bis nach Cascais, der kann einen guten Querschnitt durch die portugiesische Wandmalerei erhalten. Daß es sich zumindest teilweise um bewußte Provokation der besitzenden Klasse handelt, konnte ich an den Inhalten von Parolen kritzeleien an Umfassungsmauern Estoriler Villen feststellen. "A Cintura", der Gürtel, der rote Industriegürtel um Lissabon, strahlt auf diese Weise nach außen in die bürgerlichen Schlaf- und Badestädte mit der gleichen Intensität wie nach innen in das Stadtzentrum. 45070 der von mir registrierten Malereien stammen aus der "Cin89


tura " , hingegen jeweils um die 20070 aus dem Stadtzentrum und den Vororten außerhalb der Stadtgrenze. Wie man sieht bleibt nur wenig übrig für das restliche Portugal. Die Malereien verteilen sich etwa gleich auf den Süden und den Norden. Diese zahlenmäßige Verteilung täuscht aber ein Gleichgewicht vor, das einer Interpretation bedarf: Tatsächlich ist der Norden um ein vieles stärker bevölkert und schließt auch die Industrieregion von Porto mit ein, der zweitgrößten portugiesischen Stadt. Demnach zu schließen ist die malerische Aktivität der Provinz bevölkerung Südportugals wesentlich höher. Den Kenner der Verhältnisse wundert das nicht, denn das Kernland des Südens ist der ausgedehnte Alentejo mit seinen Großgrundbesitzern und einem Landproletariat, das sich als der Bannerträger einer sozialistischkommunistischen Revolution fühlt. In den Durchgangsstraßen der Alentejostädte und -flecken finden sich neben vielen Kritzeleien für die Landesform auch große Wandmalereien, die es durchaus mit denen des Lissaboner Großraums aufnehmen können.

Engagierte Mauermaler Die portugiesische Wandmalerei ist ein Kind der Revolution. Die Bewohner trister Viertel, alt und sanierungsbedürftig oder beton-neu, griffen zum Farbtopf. Die neugebildeten Kommissionen der Vier tel bewohner spielten eine impulsgebende Rolle. Sie wollten die Demokratie an die Basis bringen und aus neugewonnener Selbstbestimmung ihre unmittelbare Umwelt bewohnbarer, freundlicher gestalten. Sie schufen Begegnungsund Kulturzentren, häufig in besetzten Wohnungen oder Häusern. Hausbesetzungen waren in den ersten Jahren nach der Revolution weitverbreitet. Auf gleiche Weise wurden auch Parteilokale, Jugendheime, Kindergärten beschafft. Die Gruppen, die diese Gemeinschaftseinrichtungen trugen, hatten auch das Bedürfnis, den Wandel nach außen zu dokumentieren. Viele wählten das Mittel der Wandmalerei. Beispiele sind hierfür das Kulturzentrum von Alctmtara (in der "Cintura"), wo ein chilenischer Flüchtling des Pinochetregimes die Außenwände mit einer Allegorie des gesellschaftlichen Wandels bemalt hat; oder die Jungen Pioniere, die die gesamte Stirnwand ihres Jugendheims in Cruz Quebrada (gleichfalls in der "Cintura") dekorierten; oder das ländliche Parteilokal des PCP in Porto Salvo, einem kleinen Ort im Lissaboner Nachbarkreis Oeiras. Als Ausdruck des Zeitwandels durften auch die Schulkinder die Bewegung der Streitkräfte und die Revolution in Wandmalereien feiern. Aber die Kinder bemalten nicht nur Schulen und Kindergärten. An hervorragender Stelle, im Lissaboner zentralen Eduard VII Park, bemalten Kinder die Einfassungsmauern; die Markthalle von Ribeiro Grande (Madeira) wurde von Kindermalereien völlig bedeckt; Wartehäuschen für öffentliche Verkehrsmittel und Neubaufassaden wurden bepinselt; Kinder bemalten die Wände einer Bank in 90

Viseu. Hierbei ist intetessant, daß dies in Kombination mit Erwachsenenmalereien geschah, also organisiert. Hier und da konnte ich aber auch spontane Kindermalereien an Wohnhäusern entdecken. Diese hatten dann allerdings keinen erkennbaren politischen Bezug mehr. - Bei den Gedenkfeiern zum Jahrestag der Revolution am 25 . April 1978 geriet in der Hauptstadt von Madeira, in Funchal, ein Kindermalwettbewerb in den Mittelpunkt einer politischen Auseinandersetzung, als diese angeblich nicht genehmigte Veranstaltung durch eine in Formation anrückende Polizeieinheit unterbrochen wurde. Im Hintergrund ging es dabei um Positionskämpfe zwischen linken, national gesinnten Kräften und der rechten autonomistischen Regionalregierung. Der eingesetzten Polizei wurden sogar Verbindungen zur separatistischen Untergrundbewegung FLAMA nachgesagt, die das Ziel eines unabhänigen, souveränen Staates Madeira verfolgt. Das Übermalen oder Zerstören von Wandmalereien des politischen Gegners ist untypisch für portugiesische Verhältnisse. Dies kann als ein weiterer Beweis für Toleranz gewertet werden, welche die politischen Auseinandersetzungen und Umwälzungen in Portugal auszeichnete. Das schließt nicht aus, daß auch Wandmalereien zerstört wurden. Eine der ganz wenigen Malereien der Sozialisten, in der Nähe der großen Brücke über den Tejo, wurde total übermalt. Auch eine Reihe kommunistischer Malereien wurden beschädigt oder mit Hakenkreuzen verunstaltet. Der Urheber dürfte wahrscheinlich unter jenen zu suchen sein, die die Kommunisten als Revisionisten und Sozialfaschisten beschimpfen. Sonst sind die Zerstörer von Wandmalereien wohl mehr auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu suchen, was damit zu erklären wäre, daß es zwar überWältigend viele linke, aber kaum rechte Malereien gibt. Im außenparlamentarischen Bereich gibt es rechts nur Symbole und Flaggen der illegalen Unabhängigkeitsbewegungen FLAMA auf Madeira und FLA auf den Azoren. Letztere hat in Schablonen malerei das Wappentier der Azoren, den Azoren-Bussard, farbig auf die Wände gespritzt, vor allem in der FLA-Hochburg Ponta Delgada, der Hauptstadt der Azoren. Im übrigen beschränkten sich die illegalen Organisationen auf Parolenkritzeleien. Erstaunlich ist auch, daß die gestürzte Diktatur in den Wandgemälden überhaupt nicht vertreten ist, ebensowenig wie die rechtsradikale Sammlungsbewegung MIRN. Die unbedeutende monarchistische PPM, die eine Politik der Dezentralisierung vertritt und 1976 nur einige Mandate bei den Gemeinderatswahlen im Norden erringen konnte, hat nur in ganz wenigen Einzelfällen gemalt. Damit ist bereits der Bereich rechts der im Parlament vertretenen Parteien abgedeckt. Von den fünf Parteien, die 1976 in das erste verfassungsmäßig geWählte Parlament einzogen, steht das CDS am weitesten auf der rechten Seite. Es kann mit den konservativen Parteien anderer europäischer Länder in eine Linie gebracht werden. Das CDS ist in meiner Sammlung mit keiner einzigen Malerei vertretet. Es hinterließ aus dem Wahlkampf nur ein relativ eintönig


" Vereinige dich mit uns Genosse! Die Sonne wird f端r uns alle scheinen!" Kommunistische Malerei an Fabrikhallen, A venida de Ceuta (Lissabon)

A usschnitt aus einer Malerei der Partido Communista Portugues (PCP), Avenida de Ceuta (Lissabon) 91


./

"Landrejorm mit der PCP". Gestaltung einer Fabrikwand, Avenida da India (Lissabon)

Vertreibung der Kapitalisten aus dem Paradies. L채ndliches Parteilokal der Kommunisten in Porto Salvo, Estremadura 92


gemaltes Symbol: zwei entgegengesetzte Pfeile die auf einen gemeinsamen Mittelpunkt weisen, als Illustration des Namens "Demokratisch-Soziales Zentrum" . Als zweitstärkste Fraktion zog 1976 die sozialdemokratische Partei PSD in das Parlament ein. Vor 1976 nannte sie sich PPD. Sie ist die einzige Partei rechts der Kommunisten, die eine nennenswerte Menge an Wandmalereien hervorgebracht hat. Aber ihnen geht die Frische und Spontaneität ab, die eigentlich erst die portugiesischen Wandmalereien bemerkenswert machen. Sie stammen ausschließlich aus der Zeit des Wahlkampfes 1976, und ihrer schematischen Darstellung, unter überreicher Verwendung des Parteisymbols des aufwärtswachsenden Pfeils, ist die Planung der Wahlkampfstrategen anzumerken. Sowohl aus den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung im April 1975, wie auch aus allen folgenden Wahlen, gingen die Sozialisten als stärkste Partei her\·or. Seit der Revolution waren sie, mit einer kurzen Ausnahme, in allen Regierungen vertreten. In scharfem Gegensatz zu dieser Machtfülle steht die Schwäche ihrer Wandmaler. Auf Portugals Wänden ist die Partei äußerst unterrepräsentiert. Daraufhin angesprochen, gab ein Funktionär der Führungsgruppe des PS zu, daß die Partei in der Auf- und Ausbauphase es nicht verstanden habe starke kulturelle Kräfte an sich zu ziehen. Interessant an dieser Bemerkung ist, wie hier indirekt und in einer Spontanreaktion deutlich wird, daß Wandmalerei zuvorderst als kulturelles Phänomen und nicht etwa als Propaganda gewertet wird. Meinem Gesprächspartner schien es auch unangenehm, daß seine Partei nicht genügend gemalt hätte, und ich wurde darauf hingewiesen, daß teilweise Malereien "gestohlen" worden seien, z. B. im Falle eines schönen Portraits von Marx und Lenin, das in eine vom MES gestaltete Szene integriert worden sei. Auch an die Zerstörung der bekanntesten PS-Malerei an der großen Brücke über den Tejo wurde ich erinnert. Mag vielleicht noch die eine oder andere Malerei den schon erwähnten Agressionen von links oder rechts ausgesetzt gewesen sein, so kann das doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die sozialistische Partei praktisch kaum gemalt hat. Die moskautreue kommunistische Partei dominiert wie keine andere Gruppe die portugiesischen Wandmalereien. Unter quantitativem Gesichtspunkt ist diese Dominanz unbestritten: Mehr als die Hälfte aller Wandmalereien sind von Kommunisten geschaffen worden. Für die Lissaboner Außenbezirke und für die AlentejoProvinzen im Süden steigt der kommunistische Anteil bis auf ungefähr drei Viertel. Die Kommunisten begannen schon relativ früh, nämlich 1975 und haben seither das Malen ununterbrochen fortgeführt. In jüngster Zeit sind die Kommunisten fast die einzigen, die immer noc h neue Malereien schaffen. Nur 1976 dem Hauptwahljahr mit Parlaments-, Präsidenten- und Gemeindewahlen, fiel der Anteil des PCP zurück. Viele der Wahlkampfkonkurrenten hatten zu diesem Zeitpunkt die Wandmalerei als geeignetes Propagandamittel entdeckt, und so erlebte das Jahr 1976 einen Boom an \\' andmalereien verschiedenster Urheberschaft.

Aber auch ungeachtet der quantitativen Betrachtungsweise, gehört der kommunistischen Wandmalerei der Führungsanspruch. Keine andere Gruppe hat eine vergleichbare Kreativität, Originalität und Bandbreite an Themen und Stilen hervorgebracht. Die Kommunisten hatten es verstanden, nach der Revolution kulturelle Impulse zu geben und engagierte Künstler für sich zu gewinnen, unter denen auch einige waren, die sich an Wandmalereien beteiligten. Außerdem hatte der PCP den großen Vorteil, zum Zeitpunkt der Revolution über eine Parteiorganisation aus der Zeit des Untergrunds zu verfügen, die sich zu einem Netz von Ortsgruppen mit örtlichen Parteilokalen umformierte. Diese Basisgruppen schmückten nicht nur die Wände ihrer Lokale, sondern dokumentierten kommunistische Präsenz auch in ihrem Viertel durch Wandmalereien, die nicht direkt Wahlpropaganda, vielmehr allgemeine Sympathiewerbung betreiben sollten. Von Mitgliedern solcher örtlicher Gruppen stammen viele spontane naive Malereien. - Auch die Betriebsgruppen der Kommunisten produzierten Wandmalereien. An einem Sonntagvormittag konnte ich ein Drei-Mann-Team hoch auf einem Gerüst in der Lissaboner Groß werft Lisnave bei Arbeit sehen. - Sehr weit verbreitet sind die Malereien der kommunistischen Jugendorganisation UJC, mit Aufrufen zu Festivals, Treffen und Zeltlager. Links der Kommunisten ist die Parteienlandschaft stark aufgesplittert. An den wohl wichtigsten Wahlen im April 1976 nahmen ein halbes Dutzend Parteien teil, die extrem links einzuordnen sind. Freilich haben nicht alle Wandmalereien hervorgebracht. Zumeist beschränkten sie sich auf Parolenkritzeleien oder das Aufspritzen der jeweiligen Parteiembleme, so z. B. die LCI (Internationale kommunistische Liga), die AOC (Arbeiter-Bauern-Allianz), der PCPm-1 (Marxistischleninistische kommunistische Partei). Von allen diesen Klein- und Kleinstparteien brachte nur die UDP (Volksdemokratische Union) einen einzigen Kandidaten in das Parlament. Typisch für die UDP sind eine Reihe schalblonengemalter, silhouettenartig leblos wirkender Wandmalereien, meist in den unmittelbaren Nachbarorten Lissabons, wo die Wohnblocks der Industriearbeiter stehen. In Lissabon selbst fiel die UDP durch einige kolorierte politische Karikaturen auf. Die MES (Linke sozialistische Bewegung) hat im Raum Lissabon und in den roten Alentejo-Provinzen eine Reihe monumentaler Szenen gemalt, die zu den besten Malereien gerechnet werden müssen. Der Erfolg bei den Parlamentswahlen stand aber hierzu im umgekehrten Verhältnis. Die stärksten Maler nach den Kommunisten, sowohl in Quantität wie in Qualität, kommen aus der maoistisch ausgerichteten MRPP, die heute PCTP (Kommunistische Partei portugiesischer Arbeiter) heißt. Ihre lebensgroß und dynamisch gezeichneten und nuanciert ausgemalten Massenszenen sind für den Besucher Lissabons unübersehbar. Allerdings ist bei den Malereien der PCTP, ebenso wie bei den anderen kleinen Linksparteien, die Regie im Hintergrund, in der Parteizentrale, 93


"Agrar-Reform. Bewegung A lpha gegen den Analphabetismus" Wandmalerei in Montemor-O-Novo im Alentejo

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besonders offenkundig spürbar. Thema und Gestaltung sind auf Programm und Wahlkampftaktik abgestimmt. Eine individuelle Gestaltung verschiedenerMalerpersönlichkeiten, in der Art wie etwa bei den Kommunisten (PCP), gibt es nicht. Nach den letzten Wahlen des Jahres 1976, den Gemeindewahlen vom Dezember, verlagerte sich die politische Aktivität von der Straße weg. Die Zahl der neuen Wandmalereien ging 1977 stark, nämlich auf die Hälfte , zurück . Vor allem wurden diese neugeschaffenen nur von ganz wenigen Gruppen hervorgebracht: dem PCP, dem PCTP und dem neu auf der Szene erscheinenden PCP(R) (Wiederaufgebaute kommunistische Partei Portugals) . Diese maoistisch-albanisch ausgerichtete kleine Partei nahm Prozesse gegen einige verhaftete Genossen zum Anlaß, um eine Reihe zumeist schematischer Wandmalereien hervorzubringen . Allerdings gehört zu dieser Gruppe auch die schöne Szene, in der sich der verhaftete Student Rui Gomes auf der Anklagebank in den Ankläger verwandelt.

Revolution und Landreform Was sind nun die konkreten Inhalte der portugiesischen Wandmalereien? Der ausländische Betrachter kö nnte, nur zu verständlich, geneigt sein, die Malereien als eine Art Wahlkampfplakatersatz anzusehen. Entsprechend würden dann auch die Inhalte durch Persönlichkeiten des Wahlkampfs oder durch Parteiprogramme geprägt sein. Tatsächlich aber erweist sich diese Hypothese als falsch . Es gibt lediglich einige, ganz wenige Beispiele, so vor allem bei den Kommunisten, in denen Plakate als Malerei kopiert oder vergrößert wurden. Auf Wahlen nimmt nur eine Minderheit der Bilder, weniger als ein Drittel, direkten Bezug. Das ist umso überraschender, als in weniger als 2 Jahren vier allgemeine Wahlgänge durchgeführt wurden, wenn man zu den Wahlen des Jahres 1976 noch die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung im April 1975 hinzunimmt. Die Erklärung für diesen relativ geringen Wahlbezug ist bei den nicht direkt parteigebundenen Malern wie \1FA, Schulklassen, Hausbesetzern, Kulturgruppen zu suchen, aber auch entscheidend bei den Kommunisten, die ganz deutlich weniger wahlbezogene Wandmalereien geschaffen haben als andere Parteien. Was aber konnte sonst noch die Auslöserfunktion übernehmen, damit die Wandmaler zum Pinsel griffen? Die Wandmalereien sind aus der Begeisterung für das neue Portugal geboren und von ihren Urhebern als eine der Errungenschaften der Revolution begriffen wo rden. Was Wunder, wenn die jährliche Wiederkehr des Revolutionsdatums, des 25. April, neben festlichen Großkundgebungen auch Wandmalereien zeugte. Sympathisanten mit der Bewegung der Streitkräfte, Kindergruppen, aber auch Parteien, zumeist die Kommunisten, schufen zu diesen Anlässen Bilder im ganzen Land. Eine der ganz großen Errungenschaften der Revolution W;J r die Landreform. Sie war ein lange erträumtes Ziel

des besitzlosen Landproletariats in dem vom Großgrundbesitz geprägten Alentejo, wo aufgrund der extremen Eigentumsverhältnisse die kommunistische Partei ihre Hochburgen errichten konnte. Unter ihrem Einfluß wurden riesige landwirschaftliche Produktionsgenossenschaften geschaffen. Diese zogen die Kritik vor allem auch der regierenden Sozialistischen Partei auf sich, die mehr zu einer Verteilung des ehemaligen privaten Großgrundbesitzes tendierte und ein Gesetz zur Reform der Landreform durchsetzte. Die Kommunisten wehrten sich heftig gegen das Abänderungsgesetz, und viele ihrer Aktionsgruppen brachten Wandmalereien zu diesem Thema hervor. Vereinzelt nahmen auch Maler anderer oppositioneller Linksparteien den Zündstoff auf. Auch Aufrufe zu Demonstrationen, Parteiversammlungen, Kundgebungen, Kongressen, Festivals, gaben häufig Anlaß zu Wandmalereien. Selbst die Aufforderung, mit ins sommerliche Zeltlager zu kommen, erschien an verschiedenen Stellen groß gemalt im Raum Lissabon. Ein jährlich wiederkehrender Anlaß zu großen Wandmalereien ist der Spendenaufruf, die Klingelbeutelaktion der kommunistischen Partei. Überraschend ist nun, wie wenig bei all diesen Anlässen (Wahlen, Revolutionstagen, Landreform, Versammlungen) konkrete Persönlichkeiten darstellt werden. und von den wenigen Abbildungen gehört wiederum eine Reihe in das Standardrepertoir marxistischer Geschichtsverehrung, wie z. B. Portraits von Marx, Engels und Lenin. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine naive Darstellung der legendären Alentejo-Bäuerin Catarina Eufemia, die als Märtyrerin in der linken portugiesischen Bewegung verehrt wird, weil sie bei einem Zusammenstoß mit der salazaristischen Polizei in ihrem Dorf erschossen wurde. Von Persönlichkeiten des aktuellen politischen Lebens finden sich nur Darstellungen des ersten gewählten Präsidenten General Eanes und des Parteichefs der MRPP / PCTP Arnold Matos, wie er das Volk aus den berstenden Mauern des politischen Gefängnis Caxias führt. Außer diesen bei den findet sich nur noch der verhaftete Student Rui Gomes abgebildet, der in seinem politischen Prozess vor allem vom albanistischen PCP(R) unterstützt wurde . Eine weitere Anzahl Politiker wurden von konkurrierenden politischen Gruppen in negativ karikierter Weise an den Hauswänden portraitiert. Hierzu gehören: der PCP-Chef Cunhal, teilweise in Gesellschaft von Breschnew, der Führer des CDS Freitas do Amaral, aber auch General Spinola, für kurze Zeit der 1. Präsident des nachrevolutionären Portugals im Gefolge seiner Rolle als Galionsfigur und Geburtshelfer der Revolution der Hauptleute. Der Vorwurf eines Persönlichkeitskultes ist jedenfalls den portugiesischen Mauermalern nicht zu machen. Personen, Figuren, Arbeiter, Bauern, allein oder in Gruppen, sehr häufig in symbolhaften Bewegungen, z. B. mit erhobenen Fäusten, dominieren ihre Vorstellungswelt. Zu Gruppenversammlungen massiert und mit dramatischen Effekten gestaltet, entwickeln sich daraus die großartigen Szenen, die mit ihrer Lebendigkeit zu den 95


Ausschnitte aus einem Wahlkampjgem채lde der maoistischen MRPP, Avenida da India (Lissabon)

DAS

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Glanzstücken der portugiesischen Wandmalerei gehören; etwa die Verdammung der linken Verräter (PCP , UDP) durch das Volk an der technischen Hochschule; oder die Erschiessung von Guerillas, nachempfunden einem Goyabild, an der Mauer des Gefängnishospitals von Caxias; oder die Parteiversammlungen der bewaffneten Frauen, der Fischer und des Volks aus den Armenvierteln, an der Ausfallstraße von Lissabon nach Estoril; oder die comic-artig gestaltete Vertreibung des Caetano-Regimes in Porto; oder die Alphabetisierungskampagne, in der Alentejo-Stadt Montemor-onovo. Diese Szenen sind für die portugiesische Wandmalerei charakteristisch und fast noch häufiger als die Darstellung von Symbolen von Parteien und Ideologien, deren Auftreten ja eigentlich erwartet werden kann. Die roten Nelken als Sinnbild der portugiesischen Revolution haben hier natürlich ihren bevorrechtigten Platz. Auch Fahnen sind häufig vertreten. Und obwohl das an sich ein recht simples Motiv ist, fand ich doch auch Darstellungen in denen die Fahnen wie zu einer Farbsymphonie (in Rot) komponiert waren. Diese nur noch wenig realistische Auffassung eines Themas leitet zu einer Gruppe von Bildern über, die bewußt einen abstrakt stilisierenden Weg einschlagen, und in denen das Spiel mit Farben und Formen Vorrang vor einer naiven Abbildung besitzt. Die Darstellung anderer Motive spielt nur eine untergeordnetet Rolle. So findet sich z. B. eine Wiedergabe der Parlamentsfassade, die die Verfassungstreue der Kommunisten dokumentieren soll, oder ein fliegender Drache aus Zeitungspapier, der zum Festival der PCP-Zeitung Avante einlädt. - Auffallend ist, wie wenig Tierdarstellungen, mit Ausnahme der Friedenstaube, auftauchen. Mit ganz wenigen symbolhaft zu deutenden Abbildungen ist das Thema erschöpft: etwa die Karikatur des trojanischen NATO-Esels in Porto, oder die nagende Faschismus-Ratte des PRP. Im Mittelpunkt der portugiesischen Wandmalereien steht der Mensch in Bezug zur Gesellschaft oder in Aktion. Er wird als Arbeiter dargestellt oder als Bauer. Eine privilegierte Stellung nehmen auch Soldaten und \ttatrosen ein . Hier schlägt sich die Rolle nieder, die das \ttilitär in der Revolution gespielt hat. Soldaten erscheinen nicht nur in den Bildern der MFA, sondern auch bei MRPP / PCTP, MES, fast immer sind sie in den Kindermalereien vertreten, bei PCP, bei FEPU. Die meisten der im Parlament repräsentierten Parteien (alle außer den Kommunisten), einige Linksparteien außerhalb der Nationalversammlung und alle konservativen Parteien haben die Streitkräfte aus ihren Malereien ausgeklammert. In den Wandmalereien wollen Kollektive die Öffentlichkeit ansprechen. Sie wollen als solche als Urheber der Bilder leicht erkannt werden. Das hat zur Ausbildung unverwechselbarer Stile und zur Wiederholung charakteristischer Bildelemente geführt. Besonders dort, wo die Wandmalerei bewußt zur Imagepflege politischer Gruppen oder im Wahlkampf eingesetzt wurde, haben die Organisatoren zeit- oder themagebunde-

ne Kampagnen durchgeführt. Die dabei entstandenen Wandmalereien zeichnen sich durch Gemeinsamkeiten in den Motiven, in der stilistischen Auffassung und in der Farbgebung aus. So kennzeichnet z. B. die Aufrufe zur Teilnahme am Festival der kommunistischen Jugendorganisation UJC die gleich markante Abstraktion in Lissabon oder in der nördlichen Provinzhauptstadt Viseu. In einer Reihe von Fällen, wie in der Wahlkampagne der MRPP vom Frühjahr 1976, führte diese Entwicklung bis zur getreuen Wiederholung einzelner Bilder in verschiedenen Stadtteilen: stellvertretend für andere sei das Motiv "Ausbruch des Volkes aus dem Gefängnis Caxias" erwähnt. Die Wiederholung dieses Bildes wird durch den Einsatz von Schablonen rationalisiert, die eine rasche Zeichnung erlauben und gleichzeitig eine verschiedene Farbgebung zulassen. So gibt es von dem erwähnten Beispiel eine polychrome und eine vereinfachte zweifarbige Version. Die radikale Anwendung der Schablonentechnik ist zwar nur von einer Minderheit, nämlich von weniger als einem Fünftel der eigentlichen Wandmaler verwendet worden; erheblich größer aber ist ihre Bedeutung, wenn man die Darstellung von Parteisymbolen in die Betrachtung mit einbezieht. Bei einer weiteren Gruppe Wandmalereien wurden nur teilweise Schablonen verwendet. Die Gesamtkomposition behielt ihren durch die Örtlichkeiten vorgegebenen Individualcharakter. Ein schönes Beispiel hierfür ist eine Malerei der Jugendorganisation der PCP(R), die in ihr Bild das Firmenzeichen der kapitalistischen British Petroleum (BP) integriert. Die Schablonentechnik ist vor allem von solchen am Wahlkampf beteiligten Parteien verwendet worden, die mit einem begrenzten Mitarbeiterstab und ohne große aktive Basis durch Wandmalereien Publizitätswirkung erzielen wollten. Die große Faszination der portugiesichen Wandmalereien geht aber von dem Reichtum an individuell gestalteten Bildern aus, mit ihrer Vielfalt an Ideen und Farben. Besonders der Farbaufwand ist auffallend. Einfarbige Darstellungen, also Zeichnungen, sind ausgesprochen rare Ausnahmen. Selbst da, wo von der Idee her das zeichnerische Element dominiert, wie etwa wenn das Stilmittel der Karikatur benutzt wird, drängt es die Maler zum reichen Einsatz von Farbe. Auf diese Weise entstanden in Lissabon die kolorierten Karikaturen der UDP. Zwei der wenigen Beispiele, in denen sich die zeichnerische Komponente über die Farbe durchsetzt, ist das Bild eines Faschisten und Revisionisten tötenden Arbeiters in der Pose des hl. St. Georg, oder die rückblendeartig aufgefaßte Zeichnung von Chikagoer Arbeitern des 19. Jahrhunderts, beide vom MRPP produziert. - In den PCP-Malereien läßt sich ein Stilwandel bemerken von spontaner zeichnerischer Lebendigkeit im ersten Jahr der malerischen Aktivitäten , hin zu abstrahierenden Form-Farbe-Spielen und später weiter zu geometrischer Geradlinigkeit der jüngsten Generation.

Fortsetzung der Bilddokumentation bis Seite 116

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Malerei einer kommunistischen Aktionsgruppe an der Avenida da Torre de Betem (Vorort von Lissabon)

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li

"ah lkampfmalerei der Partido Popular Democrdtico (PPD) mit dem Parteisymbol, A venida da Torre de Betem

PCP, die Arbeiterpartei, A venida Infante D. Henrique (Lissabon)

99


"F체r dich und f체r uns, w채hle PCP, vereine deine mit unserer Stimme", Avenida de Ceuta

100


_- "__. _,",",mer, Katharina! " Die Landarbeiterin Catarina Eufemia galt als M채rtyrerin der Landreform im Aleniejo, sie wurde ==rislischen Polizisten erschossen. Darstellung der PCP auf einer Haust체r in der A venida de Ceuca 101


Leninportrait der PCP, Rua Dona Maria Pia (Lissabon) 102


~...s:senm auer

des kommunistischen Parteilokals in Alacer do Sal im Alentejo

~ c:J.'eindliche

kommunistische Partei PCP(ML) karikiert Breschnew und Cunhal. den Chef der moskautreuen PCP 103


I

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r~Âť/

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Tabacos Revistas Livros

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WÄO AD A,UMENTO 00 CUSTO OE VIDA

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PCP-Malerei (Ausschnitt), A venida de Ceuta 108


::- """".:Jlerei der monarchistischen PPM mit dem Parteisymbol (Dreizack/ Lebensrune), A ussenmauer des Stadtgej채ngnisses - on 109


Erschießung von Guerilleros, Goya- Variation an der Außenmauer des Gefängnishospitals von Caxias, das symbolhafte Bedeutung für das Salazar-Regime hat, da hier zahlreiche der politischen Gefangenen dieses Regimes einsaßen. 110


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VOl

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.erdamml die Revisionislen der parlamentarischen Linksparteien PCP und UPD, Wah lkampj llwb!lng .··:,r C~~ ~':: . . -: E:J es, der späler zum Präsidenlen der Republik gewähll wurde. MRPP-Malerei, Technisch e HochscI:A' :" ', ;:~ - ,


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-_ :darilät mit den Völkern Lateinamerikas "

'~ : os _ Vorsilzender der MRPP, führt das Volk aus den berstenden Mauern des POlilischen Gefängnisses Caxias, __ ~: '21a (Lissabon)

113


Allegorie der Transformation der kapitalistischen Gesellschaft, Wandmalerei am Kulturzentrum des Arbeitervororfs Alciimcra (Lissabon)

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Abgemaltes Wahlplakat der PCP in Cruz Quebrada

I

K端nstler und Kinder feiern die Revolution des 25, April auf der Fassade einer Bank in I 'iseu


"Bewegung der Streitkräfte- Volk", Kinderzeichnung im Lissaboner Stadtpark Eduardo VII.

Arbeiter in der Pose des drachentötenden Sankt Georg über Faschisten und Revisionisten. Wandmalerei, vermutlich der MRPP, in der Avenida da India 116

Aus Anlaß des 1. Mai: Rückblende der MRPP in die Geschichte der Arbeiterbewegung, A venida da India


Politische Wandbilder: Spanien Picassos Guernica - selbst eine Art Wandbild für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 - gehört zu den häufigeren Motiven der spanischen Wandmalerei, wie sie nach dem Ende der Franco-Herrschaft einsetzte, aber auch ein so harmlos und heiter scheinendes Bild wie Manets Frühstück im Freien ist dieser zitierfreudigen Bildkultur amalgamiert worden und zwar durchaus politisch: es verkörpert im Zitat die idyllische Sicht der Welt, eine immer noch möglich scheinende Synthese von Zivilisation und Natur, die dem Zerstörungspotential moderner Atomtechnologie entgegengesetzt wird. Das Manet-Zitat ist nur ein Ausschnitt aus einer ganzen Bildergalerie in einer der großen Ausfallstraßen Barcelonas, Spaniens politische Mauermalerei trifft auf günstigere Umstände als etwa die bundesdeutsche, denn trotz kontroverser Gehalte kann sie sich des Interesses der Bevölkerung auch und gerade dann erfreuen, wenn Übermalungen abzuwehren sind, und sie muß nicht ständig den Schutz der Nacht suchen, der für die politische Wandmalerei ohnehin ein schlechter Kompromiß ist. Respekt vor der artistischen Anstrengung zollen oft auch die Gegner: statt unerwünschte Meinungsäußerungen zu zerstören oder zu übermalen, malen sie die ihre daneben.

,.. ~::~ und Wandma lerei in Barcelona gegen Kernkraftwerke und Umweltverschmutzung (Foto Bernd Wendt) 117


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Separatistisches Wandbild in Pamplona gegen die Anwesenheit nicht-baskischer Soldaten im Baskenland (Foto Bemd Wendt)

Wandbild in Santiaga (Spanien) für größere Unabhängigkeit der Galizier von Madrid (Foto Wendt) 118


Politische Wandbilder: Sardinien

Zeirung mit den Wahlergebnissen , San Sperate (Cagliari) 1976 (Foto Hellmuth C. H aasis)


Sardinien war der wichtigste Wallfahrtsort für die politische Wandbild-Kultur der 70er Jahre. Das Hirtendorf Orgosolo und seine Wandbilder erfüllte alle Voraussetzungen für eine linke Idylle: die Wandmalerei begann nach 1969, als sich die Einwohner gegen die Umwandlung nahen Weidelandes in einen Nato-Übungsplatz zu wehren begannen, und die Thematik entwickelte des typische Problempanorama der Insel: die koloniale Abhängigkeit von Italien (eine von vielen, in die diese Insel im Verlauf ihrer Geschichte geraten ist), die Arbeitslosigkeit und Armut der Insel und die Probleme der Arbeitsemigranten verbanden sich mit einer Kritik an Kapitalismus, Großgrundbesitzertum und Militarismus, die mit Karikaturen, Sprach-Bild-Kombinationen und expressiven Historienbildern im Stile Guernicas auf die Mauern der Wohnhäuser gemalt wurde, deren Bewohner damit einverstanden waren, wenn sie nicht sogar mitmalten. Auf die Initiative eines Lehrers, der nicht in Orgosolo geboren war, aber dort unterrichtet, begannen Hirten und Landarbeiter neben ihrer Arbeit sich zu Muralisten zu entwickeln, die eine merkwürdige Synthese von moderner und naiver Kunst zu Stande brachten, eine halbprofessionelle Volkskunst, die auch an anderen Orten Sardiniens bemerkenswerte Bilder hervorbrachte.

Wand mit antikapitalistischen Parolen in Org6solo (Foto Ben Granzer / Bemd Schütze) 120


GroĂ&#x;grundbesirzer und Regierung (Foto Granzer I SchĂźrze) 121


"Im Gef채ngnis" Wandbild in Org6solo (Foto Hellmuth G. Haasis)

Wandbild in Serramana (Cagliari) (Foto Haasis) 122


Po litische Wandbilder: Italien

-..-5 der Wandbild kultur Italiens, die Paolo Ramundo .::.:' mentiert hat (siehe Bibliografie) sind insbesondere _ ~: Schauplätze bekannt geworden, das von Studen~ ~e ma lte und besprayte Bologna während der Beset:: - g der Universität und der fliegende Esel am Via di - ~ - i .Vo na in Rom, einem Sanierungsgebiet, das mal :.-.S::.ahmsweise eine Sanierung verdient hatte, aber - ~ .:-hl schon 30 Jahre im Besitz der Stadt - verfiel -.: ~illi g vermietet wurde . Der fliegende Esel ist ein - ': -h nitt aus der Wandbemalung, die im Sommer -- 7 :nil dem Ziel initiiert wurde, die Resignation der --=. 0h ner zu beenden und zu gemeinsamen Aktionen ,'::-.:.-ufen .

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Politische Wandbilder: Aachen 1978 tauchten in der konservativ regierten Grenzstadt die ersten Wandbilder auf, als deren Hersteller zwei Wandmaler bekannt geworden sind, die es vorziehen, halb anonym zu bleiben, Klaus X. und losef Y. In einer Kombination von Sprache und Bild, die fast emblematisch wirkt, behandelten sie Themen von unorthodoxer Vielfalt. Sie illustrierten den Protest der lokalen Hausbesetzer-Szene mit Angriffen auf die Sanierungspolitik der Stadt, aber auch ökologische Themen und Forderungen gehörten zu ihrem Repertoire, ebenso wie Motive des Antifaschismus und der Kritik an der Konsumgesellschaft. In bewußter Plazierung der Bilder haben sie gegenüber dem lokalen Renommiergymnasium eine Serie von Bildern gemalt, die sich mit der Situation von Kindern auseinandersetzten, u. a. mit Leistungsdruck ("Zeugniszeit") und Kindesmißhandlung ("Schrei leise"). Ihre Wandbilder galten homosexuellen Szenen ebenso wie dem Schicksal von anderen Außenseitern in der Gesellschaft ("Irrenhaus"). Berühmt geworden sind ihre durchweg zerstörten Wandgemälde "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland", "Es herrscht immer Krieg in den Fabriken", aber auch andere Bilder wie "Angst" und" Wehrt euch" erreichen in der Gestaltung wie im Ausdruck eine Eindringlichkeit, die ihnen überregionale Aufmerksamkeit sichert. Beeinflußt von der Formensprache des Guernica-Bildes, haben sie eine Bildsprache entwickelt, die in ihrer Differenziertheit und künstlerischen Qualität in der politischen Wandmalerei der Bundesrepublik einzigartig dasteht. Die meisten dieser Bilder sind von Klaus X. ge124

malt worden, dessen expressionistisch-eckige Malere: sich abhebt von losef Y.'s, der mit einfach gezeichne· ten, aber pointiert gestalteten Strich figuren arbeit ~ : ("Zerreißt Werbung", "Lauft schneller, die alte Zei: ist hinter uns her"). Eine Gemeinschaftsarbeit, d ~ Wandbild " David und Goliath", zierte die StirnwanC: der ehemaligen Kapelle des lohannes-Höver-Hause, . dessen Abriß durch eine langfristige und spektakuläre Hausbesetzung hinausgezögert wurde, bis der Hausbc· sitzer ein Zerstörungskommando aus Arbeitslosen re· krutierte, die über Nacht das Gebäude demolierten . Klaus und losef arbeiten durchweg nachts, oft mit ausgearbeiteten Skizzen in der Hand, und obwohl sie siel". der Provokation ihrer Bilder bewußt sind, schmerzt e, sie doch, daß der Stadt nichts besseres einfällt, als diese wieder so schnell wie möglich zu zerstören, und nich nur sie. Ein Antrag der lokalen FDP-Stadtratsfraktion. die Bilder zu bewahren, wurde von der Verwaltung eher albern behandelt. Bereits 1971/72 war Aachen ein Schauplatz mittlerweile bekannt geworden er Wandgemälde: die Besetzung von Häusern einer ganzen Straßenseite in der Vinzenzstraße brachte binnen kurzem eine Wandbildkultur zur Blüte, in der sowohl dekorative Elemente vorweggenommen wurden, die später als Motive der Kunst im öffentlichen Raum wieder auftauchten, so das Motiv von scheinbar aus dem Fenster blickenden Personen, als auch skurrile Hausnumerierungen auftauchten ("Dieses Loch hier ist Nummer vier"). Die neue Wandmalerei in Aachen hat mit dieser kurzen und mit dem Abriß beseitigten Tradition nichts zu tun, ihre Motivationen sind ebenso sehr künstlerische wie politische, sie stellt den Versuch dar, eine radi-


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ernst zu nehmende politische Kunst zu maJ: e Schwierigkeiten und Widersprüche einer sol:-- ;:- -'li rischen Kunst waren das Thema eines Ge-~~ -_; :nit den bei den Wandmalern und dem Zürcher --:. : ~ . das hier gekürzt abgedruckt ist. ~-

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~useum

ist die Stadt

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mit dem Zürcher Sprayer und den \!auermalern

_ - .. . ~ n:p : Was mich interessieren würde ist eure : ~.

fo lgendem Widerspruch: Jede künstlerische die als anti künstlerische angetreten ist, von :-' - =:s:en bis hin zu Fluxus, wird früher oder spä- :::: t-:uns tbetrieb aufgenommen, nach einer hi- : : :::: Schrec ksekunde, die Jahrzehnte dauern -- .:.~:: ~ schließlich doch . Deswegen sehe ich eigent=-= = \! öglic hkeit, heute noch zu behaupten, daß - . --=:.. - ~uns t macht. .~ JUU muß ich zunächst sagen, wie ich über- .:..:..::-.: ge ·ommen bin, zum Sprühen, wie es zu so :::- : ~ :~;en en Leidenschaft geworden ist. Ich habe - : -:.:-= ei ne inte nsive künstlerische Auseinander_- ; ~:~.c. .:h t. mit Collagen und Zeichnungen, aber :ö-e ~ fü r das Sprühen, das war ein ungeheurer -- '::~ .:-h er Widerwille, der motiviert war durch . :~;:_ ~ e. ·sche Arc hitektur. Und in dem Moment, - =- _:•.-\ggressionen gegen die Mauern antragen -.: --=-_ ich nie gedacht , das könnte auch Kunst :.-;- :e: später hat mich auch das eigentliche Ge=-= e~. ehr interessiert , war mit also auch sehr - _ '::-:':. sehr gute Figuren zu mac hen . Es war

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vielleicht so, daß die Angst vorm Erwischtwerden und der Haß gegen diese Bauten Motive waren, die eine sehr hohe Erregung gebracht haben, mir war dann wichtig, daß diese psychischen Momente irgend wie noch durch einen Gestaltungsfaktor gebändigt werden . Das war der artistische Anspruch. Heute ist es ja so , daß diese Bilder zwar noch umstritten sind, teilweise aber von sehr vielen Museumsleuten irgendwie als Kunst oder Aspekt der Kunst vereinnahmt werden, wie man sagt. Grasskamp: Wovon du aber auch wieder profitierst, denn wenn du jetzt vor den Europäischen Gerichtshof gehst, werden auch Gutachten von Kunstleuten vorliegen, die belegen, daß deine Äußerungen künstlerisch wertvoll sind . Naegeli: Sicher, das ist klar, daß dies einen politischen Machtfaktor ausmacht, den ich ausnutze, ganz bewußt, ganz pragmatisch ... Grasskamp: Mit dem du dich aber nicht identi fiz ierst? Naegeli: Nicht , eigentlich; ich spiele eher mi t diesen Autoritäten , darum bin ich auch zu Beuys gegangen , und habe ihn gebeten , bitte, unterzeichne mir das, hilf mir, und er war auch gleich bereit; er wird natü rlich meine Aktion ganz bestimmt wieder zu einem Teil \·on seinem erweiterten Kunstbegriff machen , das ist mi r aber gleichgültig. Denn meine Strategie ist jetzt. über die Öffentlichkeitsmedien nochmals die Disku ssion au f diese Ausdrucksform zu lenken . Das hat aber wenig mit den Aktionen selber zu tun , wie ich mich dazu \·erhalte, in der Verwertbarkeit dieser P rodukte. Da wä r auch die Grundsatzfrage zu disku tieren , ob ein ~ ünst ­ ler seine Produkte nun vermarktet oder nicht. Ich habe 125


die Meinung - und das ist auch Teil meiner Aktion daß ich für eine wertfreie Kunst arbeite, also eine Kunst, die man nicht kaufen und vermarkten kann. Ich habe die Aufträge ausgeschlagen, gegen Bezahlung zu sprühen, oder den Auftrag vom Bürgermeister von Osnabrück, weil ich meine, ich muß einfach dieses Konzept durchhalten, außerhalb dieser Vermarktungstepdenz zu bleiben, denn sonst wird sie doch irgend wie belastet. GELD Grasskamp: Aber wenn man diese Argumentation mal umdreht, ist das nicht ein Mißtrauen gegen viele Künstler, die auch sehr ernsthaft arbeiten und sehr ernst zu nehmen sind, aber ihre Arbeiten verkaufen, kann man die deshalb schon ablehnen? Naegeli: Das kann ich nicht beurteilen, das müssen diese Künstler selber argumentieren. Ich meine aber, daß insbesondere, wenn Künstler sich sehr gesellschaftskritisch betätigen und ihre Produkte als gegen die Gesellschaft gerichtet sehen, daß es dann doch eine absolute Kompromittierung ist, von demjenigen, den man kritisiert, Geld haben zu wollen. Grasskamp: Das ist natürlich auch eine Frage der Voraussetzungen, so zu arbeiten, du hast einen finanziellen back-ground, der es dir erlaubt, so zu arbeiten. Naegeli: Ja, ich habe einen finanziellen back-ground, der es mir erlaubt, eben nicht in den Handel einzusteigen. Wenn ich den nicht hätte, könnte ich mir vorstellen, ich würde arbeiten gehen, ein Geld machen mit außerkünstlerischen Tätigkeiten. 126

Klaus: Bei mir sieht das anders aus, also wenn mir :ömand sagt, hier haste 'ne Wand, mal da was, da ~-=­ würde ich sagen: ich will die Wand haben , ich wü r.:= daran arbeiten, da wär ein Stundenlohn, den hätt i.: : auch gerne, aber ich will entscheiden, was ich male . I.:: find das schon vernünftig, wenn ich dafür Geld krie g~ weil ich ja auch davon leben möchte, es käme mir dar-=: mehr auf die Inhalte an. Ich kann ja nicht 8 Stunde arbeiten und dann nachts malen. Naegeli: Das ist natürlich klar, daß da bei euch beide gewisse Sachzwänge sind, aber es bleibt diese Gruncsatz frage von der Käuflichkeit der Kunst oder von d e~ Verweigerung; indem man etwas kritisiert, kann ma:. nicht von dem Kritisierten dafür noch einen Lohn empfangen. Grasskamp: Ist das nicht ein sehr dualistisches Modell. in dem es nur den Staat gibt oder die Vertreter dessen. was kritisiert wird, und auf der anderen Seite euch . Aber es ist doch so, daß eine liberale Öffentlichkeit exi· stiert, in den Medien und der Kunst, die weder der: Staat oder das ausmachen, was kritisiert wird, noch mi t subversiven Mitteln dagegen angehen. Ist es nicht möglich, in diesem differenzierten Modell auch so zu arbeiten , daß man damit sein Geld verdient? Beispiel Klaus Staeck. Ist die Angst berechtigt, zu sagen, sobald ich dafür einen Pfennig Geld kriege, wird die Arbeit wertlos? Naegeli: Also bei mir ist dieses Gefühl einfach übermächtig. Wenn das andere nicht haben, so werden sie ihre Gründe haben. Ich würde etwas von meinem Konzept kaputtmachen .



Auf einer Wand gegen端ber dem Kaiser-Karls-Gymnasium sind insgesamt 4 Wandbilder entstanden, nachdem die vorhergehenden von der Stadt 端bermalt worden waren. 128


Grasskamp: Wenn du jetzt aber sagst, daß die Leute, die sich dafür einsetzen, daß deine Arbeiten im Gegensatz zur schweizerischen Rechtsprechung als künstlerisch anerkannt werden, daß diese Leute sozusagen Figuren in deiner Strategie sind, dann ließe sich doch eine Strategie denken, bei der du Geldquellen ebenso auszunutzen versuchst, ohne dabei deine Konzepte zu ändern? .Vaegeli: Richtig, also sicher arbeitet der Beuys so, der ja sehr hohe Summen einzieht, daß er das gedanklich ~'erarbeitet hat. Aber bei ihm muß man sagen, genau v,ie bei Klaus und Josef, das ist eben Teil eines Konzeptes, daß sie Geld nehmen oder nehmen wollen. Klaus: Das ist aber ein Über lebens konzept .. . Saegeli: Nicht nur das, es ist auch eine Grundsatzhalrung; bei mir ist eben gerade das wichtige, daß ich kein Geld nehme und daraus bestimmte Konsequenzen entstehen, und wenn ich Geld annehmen würde, würde der Weg wieder anders laufen, und gerade diesen Weg muß ich vermeiden. Klaus: Ich hätte zum Beispiel nicht die Angst, daß ich dann nicht mehr nachts losziehe und Wände bemale, denn davon bin ich zu sehr überzeugt.

ÖFFENTLICHKEIT Grasskamp: Ihr habt ein Bild gemalt Unsere Kunst mag 'eine Museen, beim Harald Naegeli ist es nun so, daß unabhängig von der Bereitschaft, ihn als Künstler zu betrachten, auch Angebote da sind, in Museen auszustellen, also in Mönchengladbach, oder daß Beuys ihn ermutigt, auf der documenta zu arbeiten; das wäre also der zweite Grenzkonflikt; ihr sagt, ihr würdet in Aachen nicht im Museum austellen, aber Öffentlichkeitsformen wie Postkarte, Buch oder Zeitschrift, die ja auch bestimmte Voraussetzungen haben, die geht ihr ein. l ose!' Also mit Aachen ist das so, weil wir auf diese Stadt einen ziemlichen Haß haben, weil die einfach unsere Bilder kaputt macht. Da seh ich nicht ein, daß die dann hinterher die Sachen in ihr Mausoleum stellen kö nnen. Ich glaub nicht, daß wir grundsätzlich dagegen sind, in 'ner anderen Stadt im Museum Sachen auszustellen. Grasskamp: Man könnte aber das Museum auch als eine Art Verstärkeranlage ansehen, die eine Öffentlichkeit schafft, die eure Arbeit im öffentlichen Raum unterstützt. Es könnte ja eine Situation auftreten wie in Bremen, wo man Künstlern bestimmte Aufträge für Wände gegeben hat, wie ja auch in Aachen ein Wettbewerb stattgefunden hat, um die Bunkerwände zu bemalen. Klaus: Das halte ich für völlig ausgeschlossen, daran glaub ich nicht in Aachen, dafür ist mir die Regierung \iel zu reaktionär. Und die Bunkermaler, die die Preise gewonnen haben, das sind doch gen au die, die halt mit dieser Regierung voll übereinstimmen. Grasskamp: Aber bei euch wär die Kompromißbereitschaft, was Geld und Museen angeht, größer als beim Harald . . .

lose!, Nicht so grundsätzlich, ich finde einfach, ins Museum geht!n nicht soviele Leute wie auf der Straße ... Klaus: Also ich wär auch dagegen, im Museum auszustellen, weil ich meine, daß unser Museum die Stadt ist, und daß die Bilder da hängen sollen, wo die Menschen leben. Ich bilde mir ein, daß wir vielleicht schon so ein kleines Problem gelöst haben, weil wir eben die Kunst auf die Straße bringen . .. Naegeli: Ja, das ist interessant, es gibt Künstler, die überhaupt nie auf die Straße gehen und immer davon reden, sie wollen das Museum in die Luft setzen. Letzthin hab ich gelesen, also von Spoerri, der macht ja so diese Fallenbilder, gar nicht schlecht, aber er läßt dann wieder darunter betonen "Bitte betrachten sie diese Objekte nicht als Kunst", aber stellt ein Leben lang nur in Museen aus. Ich finde , da ergibt sich eine außerordentlich absurde Lage, daß ausgerechnet immer Museumskünstler von Anti-Kunst sprechen. Das sind diese Leute, die wirklich nicht auf die Straße gehen und den Ehrgeiz haben, innerhalb des Museums etwas zu machen, was gar nicht Kunst sein soll. Grasskamp: Ihr habt also den Mythos Anti-Kunst, an den keiner wirklich glaubt, im Übergang zur subversiven, illegalen Arbeit hinter euch gelassen . .. Klaus: Das find ich unheimlich wichtig, das ist der Raum, in dem sowas nur existieren kann, und ich kann nur wünschen, daß Leute das auch machen, so auf ihre Art, ohne große Maler zu sein, weil einfach dieses Gefühl, in so 'ner Stadt mal 'nen Bereich zu haben, der einem gehört, den man sich genommen hat, das würd' ich jedem wünschen. Grasskamp: Wenn jetzt aber die plötzliche Libertinage ausbräche und ihr etwa auch nach Osnabrück eingeladen würdet, um dort zu malen, was macht ihr dann? Klaus: Man müßte dem Bürgermeister sagen, mal es doch selber! Naegeli: Es ist eben so, daß der Auftrag in einem gewissen Sinn ein Alibi ist, für den Auftraggeber, daß eine bestimmte Freiheit ist. Gerade da wird der Denkende nicht eben einspuren, weil er merkt, daß ist nur eine Finte, diese Permissivität, ne Falle . .. Grasskamp: ... es kriegt so eine Karnevalsfunktion, daß man mal alles rauslassen darf .. . Naegeli: Es ist aber wirklich etwas anderes, wenn der Künstler selber Auftraggeber ist, er sagt sich eben, hier bestimm ich, das mach ich, da frag ich nicht um Autorität und Erlaubnis.

ÄSTHETIK Grasskamp: Du sagst, für dich war der Ansatzpunkt deiner Arbeit diese menschenverachtende Architektur und der Städtebau, andrerseits ist deine Arbeit nur auf Beton denkbar. Man könnte sagen, daß du einen Malgrund erobert hast, der völlig unästhetisch ist, und daß deine Arbeit, geradezu in Umkehrung deiner Moti~a­ tion, sowohl Beton als Malgrund ausnutzt und braucht als auch ästhetisiert. Der Beton wird einfach durch deine Sprayarbeit schön, es kriegt so 'ne Punk-Ästhetik. 129


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·;1:as Punk ja ausmacht, ist, daß die häßlichsten Sachen .::egriert werden, und dadurch selbst Neon, eine Ka. -, ~l w and oder so ein ästhetisches Raffinesse bekom-. ~n ,

::legeli: Es entsteht tatsächlich eine Wechselwirkung. .::' würde so sagen: die Figuren wirken aus den Trä;~ ~n heraus aber umgekehrt ebenfalls. Die außeror':~:1l liche Rohheit oder Unpersönlichkeit der Betonträ;=~ steigert noch die menschliche Gebärde der Figuren, : e aber auch die menschliche Geste wiederum die Nu.:.:äl des Beton demaskiert. Früher war bei mir sicher_:h der Auslöser die Aggression gegen den Beton, in.:-., ischen find ich oft diese kahlen Flächen einfach , ·:'ön und zwar deshalb, weil sie eine Herausforderung :.. d, etwas zu tun. Das ist aber vielleicht eine sehr sub~:';l ive Ästhetik. ::rasskamp: Aber etwa das Gebäude der Technischen :-iochschule in Zürich, das ja ein sehr schönes Gebäude ~ :, wo du die ganzen Figuren gemalt hast, die wie Ka:-:;aliden die Fensterbretter halten oder die Treppe run: = ~p urzeln, da stimmt die ganze Beton-Ästhetik nicht =ehr. :aegeli: Ich finde, diese Figuren sind eben immer gut. ::h mach da gar keine so großen Unterschiede. Das ist ; die Gestaltungslust, ich integriere eben diese Figuren ':"Jeh in historische Elemente und gebe diesen histori: ' hen Elementen einen ganz aktuellen Zeitaspekt, denn .::e Figur stellt nicht immer nur in Frage, sondern sie \o ntrastiert einerseits, andererseits aber schwingt sie l 'Jch mit dem Vorliegenden mit. Da ich ein Gefühl ha:e für klassizistische Architektur, ist es mit sehr viel ~us tgefühl verbunden, da eine Gestaltung hineinzuma-

ehen. Ich mache schon längst nicht mehr die ideologische Unterscheidung, also ich greif die Technische Hochschule jetzt an, weil sie reaktionär ist. Grasskamp: Ich dachte schon, das wäre die Motivation gewesen, denn ansonsten wäre mit die Arbeit eben nur so vorgekommen, wie sie ist, dekorativ will ich nicht sagen, es ist mit dem Gebäude eine Einheit geworden, und das Ganze sieht lustig, leichtfüßig und heiter aus . Naegeli: Die Lust am Gestalten kann sich an jedem Material, an jedem Gegenstand entzünden, es kommt so ein anarchistischer Lusttaumel auf, ein konstruktiver Anarchismus, perspektivisch. Man kann ja bei meinen Figuren nur sehr schwer davon reden, daß das nun einfach Schmiererei sei oder Verschandelung, es ist nicht einfach nur Kritik, es ist sicherlich auch noch sehr viel Zeugungslust dabei. Klaus: Mir fiel eben ein, daß ich vor Jahren schon mal gedacht habe, wenn der Sprayer mal nach Aachen kommt, das wär gar nicht schlecht, der nimmt dann den Beton und läßt uns die alten Wände ... Grasskamp: Eure Arbeit ist ja ganz anders in der Hinsicht, ihr habt 'ne gewissen Ruinenästhetik. Klaus: Meistens schon, ich hab aber auch mal Schwarzweiß-Sachen gemacht, so optische Schreie, die so reinbellen, die hab ich mit Vorliebe auf Beton gemacht .. . Jose!' Stimmt schon, daß wir mehr die alten Wände lieben, wo man, wenn man mit dem Pinsel drüber geht, dann 'ne ganze Kellerassel-Familie aufweckt, aber wir haben auch auf Beton bezogen gearbeitet mit Bildern "Bemalt den Beton mit zerfressender Farbe" .. . aber im Klaus: . .. oder "Beton macht Angst" wesentlich~n stimmt das schon. 131


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Plakataktionen

Seit es Plakate gibt, sind sie Gegenstand künstlerischer Gestaltungsbemühungen gewesen, aber keineswegs immer konstruktiv : die Decollage-Technik hat gerade im Plakat ihr liebstes Opfer gefordert. Die Aktionsbilder Wolf Vostells, die übereinander geklebte Plakate als Palimpseste (als übereinander liegende Schriften, die sich gegenseitig unlesbar machen) behandelten, sind ebenso bereits Klassiker der modernen Kunst geworden wie die der ähnlich arbeitenden Neuen Realisten Villegte und Hains. Lange Zeit war das Ausstellungsplakat das einzige, das von Künstlern im Zusammenhang mit ihren Ausstellungen gestaltet wurde, mittlerweile sind Plakataktionen als außermuseale Ergänzungen von Museumsausstellungen häufiger. Sarkis arbeitet bei manchen Ausstellungen gezielt mit über die Stadt verteilten Plakaten, Bernhard Sand/ort hat sein Museum der Fragen auch auf Plakatwänden auszugsweise vorgestellt, Klaus Staeck Plakatwände regulär gemietet und darauf seine Plakate ausgestellt. Auch für Sprayer und andere Volks künstler sind Plakatwände beliebte Ansatzpunkte ihrer Arbeit; kleine Korrekturen mit großer Wirkung und die Veralberung der Werbemythen kennzeichnen Höhepunkte eines verbreiteten Volkssports, Graffiti auf Plakatwände anzubringen, was nach gen au geregelten Gesetzen bestraft werden kann, sofern die Überarbeiter sich dabei erwischen lassen, wenn sie auf Helmut Kohls Wahlwerbungs-Foto ein paar Vampirzähne anbringen oder Helmut Schmidt die Wangen rot anmalen . Verboten ist auch, ein denkwürdiger Ausdruck, das wilde Plakatieren, worunter das Anbringen von Plakaten an beliebigen Flächen ohne Erlaubnis des zuständigen Amtes zu verstehen ist, gestattet ist es dagegen, in Wahlkampfzeiten ganze Städte mit mobilen Plakatwänden zu überschwemmen, aus denen maskierte Politiker hervorlächeln, die man so häufig auch nicht unbedingt sehen müssen möchte, dann schon lieber die meterhohen Plakate mit den Physiognomien zufälliger Passanten, die Braco Dimitrijevic fotografiert und ausstellt.

Anonyme Korrekturen in Frankfurt 134


eben verboten ! Markthallpn ..

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::':::el ankleben verboten (Foto Joachim Schmid)

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Frauen werden benutzt, Düsseldorj 1976

Maria Fisahn, Engel, Hamburg 1980

Plakatwandaktionen 1976-1977/78

Die Plakatwände sind aus der Zusammenarbeit entstanden. Durch Gespräche, die unseren unmittelbaren Lebenszusammenhang betrafen (Schwangerschaft, Konflikt zwischen eigener Arbeit und Abhängigkeitsstrukturen in einer Beziehung, unterschwellige und offensichtliche Gewalt auf verschiedenen Ebenen von männlicher und institutioneller Seite) entwickelten sich die verschiedenen Skizzen. Nach näherer Einkreisung der Idee entwarfen wir die Figurenschablonen. Meist arbeiteten wir drei Tage auf der Straße an einer gemieteten Werbewand, ständig von Passanten über unser Tun befragt, manchmal bedroht oder beschimpft. Oft entzündeten sich heftige Diskussionen zum Thema zwischen den Zuschauern. Teilweise haben wir ihre Äußerungen in die Wand mit aufgenommen (Düsseldorf, Köln) oder durch Tonaufzeichnungen dokumentiert. Als wir 1977 die Plakatwand über Gewalt in Köln machten, wußten wir, daß es vorläufig die letzte sein wird, aus dem Gefühl heraus, daß eine bestimmte Phase in unserer Zusammenarbeit zu Ende ist, daß wir keine Wiederholungen wollen. Gleichzeitig schrieben wir an einem Drehbuch über drei afrikanische Frauen und uns. Und wir filmten. Inzwischen leben wir in verschiedenen Städten (Hamburg, Xania, Berlin). 1978 gingen Erinna und ich auf die Einladung von Frauen aus Groningen ein, die ein Frauenkulturzentrum in Groningen gründen wollten. Wir haben versucht die Idee der Plakatwand an sie weiterzugeben. Zehn Frauen stellten eine Wand für ihre eigenen Bedürnisse her.

Susanne Ebert, Maria Fisahn, Erinna König

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Denkanschläge sind Kunstbeiträge Über Plakataktionen von Manfred Spies voo loge Krupp

D Manfred Spies im Oktober 1976 seine erste Plakat:2.che am Düsseldorfer Hauptbahnhof mietete, galten .Sprayer" , die ihre zumeist radikalen Parolen illegal -"~ . Hauswände sprühten, noch als Chaoten und Anar~..:i s te n. 1982 nun, nachdem die Sprühbilder und -texte = Kölner Kunstverein domestiziert wurden, hat sich ':: eses Medium auch hierzulande seinen Platz als ..Graffiti-Kunst " erobert. ~. ies , der ehemalige Folkwangschüler und Creativ-Di~;:: lO r , arbeitet auf seinen angemieteten Werbewänden =ur teilweise mit der Sprüdose, differenziert auf Aussa~=n wie "Anarchie gegen Bürokratie" . Im Gegensatz :- anonymen Sprayern signiert er jede seiner Straßen? akatierungen. - ;:rade in Düsseldorf, einer Hochburg der Werbeagen.:.rren, legt er Wert darauf, daß seine Plakatflächen in j er Gestaltung ästhetisch denen der Produktwerbung ~ ~i c hen, womit er einen zusätzlichen Irritationseffekt ::-reicht; die Ironisierung der Werbung. Sehr zum Är~= r der ortsansässigen Agenturen, spielen Spies-An: 'h läge mit ihrer Signalwirkung manch ideenarme Wer_ botschaft aus. :"ange bevor Spies seine Denkanschläge öffentlich rea~i ert e, legte er ihnen die Frage nach der Betroffenheit ':;:r Passanten zugrunde. Das Straßenplakat als Objekt, ::as ohne seinen Bezug zur Umgebung seine Funktion ·. ~rl iert. "Eine bewußte Aufforderung muß", so Spies, ..auf der Werbewand gegeben sein. Wer ein statisches 3 i1d mit der Werbewand ve rtau scht, der hat die Wir~' u ng verfehlt und wird vergeblich auf die Reaktion des Pu blikums warten." So sprühte er auf eine weiß abge;;Jebte Fläche die Frage:

" Wann warst du das letzte Mal richtig glücklich?" Er ließ darunter ausreichend Freiraum, benutzte auch hier gezielt die Sprühdose, um durch die direkte persönliche Frage zu einer Antwort zu animieren. Die dann lautet:

Wer mit seinen Bildideen und Denkanstößen auf die Straße geht, muß konfrontieren, provozieren, um Diskussionen auszulösen . Mit seinen Kampfansagen gegen Intoleranz und Aggression, seinem verbal sichtbar gemachten Verständnis für die (von der Werbung oft 137


mißbrauchten) Sorgen und Wünsche seiner Mitmenschen, hat sich Spies weit über Düsseldorf hinaus einen Sympathisanten-Kreis erobert. Verfolgte die überregionale Presse seine Aktionen mit Interesse, quittierte die Bevölkerung sie sogar mit Dankesschreiben, so hüllte sich die regionale Presse zunächst in Schweigen. Bis zu jenem 26. Oktober 1976, als Spies, angeregt durch erschütternde Folgen von Leistungs-Terror, in ironisierender Typografie Terror-Begriffe untereinandersetzte: POLIZEI- TERROR RAF- Terror JUSTIZ- TERROR KONSUM-TERROR EHE-Terror BILD-TERROR Was Spies als" Versuch zu relativieren" verstand, wurde allgemein deutlich mißverstanden. So war das Plakat nach einem Polizei-Aufgebot während des Klebens, noch in der Nacht abgerissen worden. Auf die zerstörte Wand klebte Spies seine Stellungnahme: HIER VERHINDERTE "DAS GESUNDE VOLKSEMPFINDEN" DIE FREIE MEINUNGSA USSERUNG GEWALTSAM! Grundgesetz Art. 5 138

Am nächsten Morgen hatte der Anschlagunternehmer die Fläche mit einer Spülmittel-Werbung überklebt: DER URSPRÜNGLICHE GLANZ ERSTRAHLT. Nach einem Jahr mit selbst gemieteten Plakat flächen , stellte Spies an den Kulturausschuß der "Kunst-Stadt" Düsseldorf den Antrag, für ein Jahr 10 Plakatflächen an stark frequentierten Stellen der Stadt zu mieten und ansässigen Künstlern zur freien Gestaltung zu überlassen. 30 Kollegen, u. a. Beuys, Hüppi und Uecker befürworteten den Vorschlag. Nicht jedoch uneingeschränkt Kulturdezernent Dieckmann (CDU), der nach 9 Monaten den Vorschlag von 5 Wänden unter Vorbesichtigung der Entwürfe machte. Dieser Form von Zensur konnten und wollten sich die Künstler verständlicherweise nicht unterwerfen . Nachdem Manfred Spies zum Vorsitzenden im Berufsverband Bildender Künstler, Düsseldorf gewählt worden war und eine Einladung aus Stuttgart vorlag, mit anderen Kollegen dort zum internationalen Künstlerkongreß "Kunst und Öffentlichkeit" 20 Groß flächen zu gestalten, wagte er den zweiten Antrag, nach den Kommunalwahlen im September 79 die Plakatständer für einen Monat den Künstlern zu überlassen. Er wurde


abgelehnt, stattdessen überließ die Stadt die Flächen karitativen und gemeinnützigen Organisationen. Diese Reaktion veranlaßte Spies zusammen mit Hagen Drasdo zu einem Blitzstart mit 150 GroßfIächengestallUngen. In der CDU wurde der Ruf nach Bestrafung laut, die Bevölkerung reagierte erfreut, anonyme Sprayer beteiligten sich. Die Künstler arbeiteten tagsüber, unterzeichneten mit vollem Namen. Verfolgt wurden sie von städtischen Klebern, die eifrig bemüht waren, die Aussagen weiß zu verpappen. Vor der Fernsehkammera der Tagesschau bekannten sich Manfred Spies und Hagen Drasdo couragiert als: "Ich bin ein wilder Plakatierer" und: "Ich bin ein anonymer Schmierer" - und - triumphierten damit über Bürokratie. Denn fortan wurden ihnen und anderen Künstlern offiziell die Werbeflächen überlassen. Als Denkanstoß hatte das Medium Plakatwand viele Reaktionen ausgelöst. Ebenso diente es Spies als Kunst-Experiment auf der Straße mit der Idee eines Linienbildes, dessen Mittelteil täglich verändert wurde. Gestaltung im Straßenbild - sie wurde vom Publikum mit Spannung verfolgt. Trotzdem wurden die KunstWände abgebaut, weitere Anträge abgelehnt. Gegenüber Briefmarken ähnlich "gestalteten" Plakatflächen karitativer Organisationen, hatten Sprühtexte wie:

... so viele Menschen hier, und ich bin ganz allein. die Passanten, die Autofahrer einer Großstadt berührt, die Kultur-Schaffenden offenbar kalt gelassen. Im März 1982 ist das Düsseldorfer Straßenbild wieder um eine Spies-Wand reicher - er finanziert sie selbst. Angeregt durch den abschreckenden Graffiti: "Nieder mit dem Bullen-Terror", lautet seine Version:

Tote den Bu {fen/ In Dir!

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Bilder und Bücher Außer zahlreichen Büchern über Graffiti, Wandbilder und Plakataktionen, die in der Bibliografie angeführt sind, stehen Dia-Serien und Postkarten-Editionen zur Verfügung. Im Vista Point Verlag sind allein 7 Dia-Serien der Wandmalerei gewidmet. Mit je 24 Dia-Positiven und einer Broschüre, die Sachinformationen, didaktische Hinweise und Literaturangaben enthält, werden Wandmalereien in Europa, Mexiko und den USA vorgestellt. Insgesamt drei Serien sind den USA gewidmet: Fassadenmalerei USA, Politische Wandbilder USA und Reklamekunst USA . In der Serie über Reklamekunst werden neben den bill-boards, den Reklametafeln, die wand hoch ausgemalt und auf die Wahrnehmung aus dem Auto hin konzipiert sind, Wandbemalungen vorgestellt, die zu Werbezwecken und zur Dekoration von Restaurants oder Läden angefertigt wurden . Die Serie über Fassadenmalerei stellt Wandgemälde vor, die sich den verschiedensten Initiativen verdanken, während sich die über Politische Wandbilder auf die Malerei studentischer und ethnischer Subkulturen konzentriert. Die Serie Wandmalerei: Europa stellt Beispiele in England, Frankreich, Holland, Belgien, Portugal und Italien vor, in der über die Bundesrepublik Deutschland werden sowohl offizielle Gemälde aus städtischen Kulturprogrammen wie auch politisch motivierte und illegale Wandmalereien gezeigt. Jede Serie kostet 56 DM (38 DM im Abonnement) und ist hauptsächlich für Lehrer und Schulen gedacht. (Vista Point Verlag, Gereonshof 30, 5000 Köln 1, 0221/133402) In Zusammenarbeit mit dem Verlag Gebr. König bietet Vista Point auch eine Postkarten-Serie über Wandmalerei USA an (12 Postkarten in Farbe, 9,80 DM) Horst Schmidt-Brümmer, der einen großen Teil dieser Dias beigetragen hat, gehört zu den besten Kennern der neuen Wandmalerei. Bereits 1973 publizierte er zusammen mit Feelie Lee Die bemalte Stadt im DuMontVerlag, im Juni erscheint sein Buch Wandmalerei zwischen Reklamekunst, Phantasie und Protest (235 Seiten, 200 Abb., davon 48 in Farbe,16,80 DM, dumont taschenbuch 122). Verglichen mit einer anderen Neuerscheinung, der von Volk er Barthelmeh, der zum Thema Kunst an der Wand 1980 bei Dieter Fricke ein Buch publiziert und gerade im Verlag Kiepenheuer und Witsch den Bildband Wandbilder USA/Westeuropa (120 Seiten, 112 Farbabbildungen, 32 DM) vorgelegt hat, bietet das neue Buch von Schmidt-Brümmer eine historisch fundierte, übergreifende und detaillierte Information, die politische wie kommerzielle Wandbilder einbezieht und auch Graffiti berücksichtigt, während Barthelmeh ein Bilderbuch vorlegt, dessen vorzüglich und großzügig gedruckte Farbabbildungen nicht das Manko wettmachen können, daß in seinem knappen Text die kulturspezifischen Hintergründe einzelner Bilder und Bildtraditionen zu kurz kommen. Während einerseits das verlegerische Wagnis verwun140

dert, das der Verlag Kiepenheuer und Witsch mit einem opulenten Farbbilder-Buch eingeht, das eher einem Portfolio gleicht, wundert andererseits der verlegerische Kleinmut des DuMont-Verlages, der angesichts der reichen Bildquellen und Kenntnisse seines Autors versäumt hat, das Standardwerk auf den Markt zu bringen, bei dem auch die Lust am Sehen befriedigt worden wäre, die bei. den kleinen und meist schwarzweiß gehaltenen Abbildungen nicht so recht aufkommen will. Postkarten bietet auch der Discordia Verlag (Roonstraße 38,5 Köln 1, 0221/237749) an. Jeweils 8 Karten umfassen die Serien über Sardische und über Spanische Wandbilder Ge 5 DM), von denen einige Motive in diesem Band zu sehen sind (S. 117-119, S. 122). Die Serie über die beiden Aachener Nachtmaler ist leider vergriffen, nur als Einzelstücke sind noch "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland", "Es herrscht immer Krieg in den Fabriken" und "Fahrräder stinken nicht und sind leise" vorrätig, neben anderen Postkarten, die anonyme Weisheiten ("Der Staat spinnt"), radikale Forderungen ("Freiheit für Donald Duck") und eindeutige Aufforderungen enthalten ("Hallo Ihr, schreibt auch mal 'was", s.S.45) Stückpreis zwischen 50 und 80 Pfennigen. Neben seiner Buchveröffentlichung (siehe Bibliografie) hat Manfred Spies seine Arbeit auch in einer DiaShow dokumentiert, die den Titel "Die Angst des Bürokraten vor der Phantasie" trägt und für Vorträge und Ausstellungen gedacht ist (0211/481365). Von Hans-Jürgen Raabe, der einige der Fotos in der Graffiti-Abteilung gemacht hat, ist gerade ein Buch erschienen: Berlin Graffiti (Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin, 68 Seiten, 60 Abb., ca. 29 DM). Joachim Schmid hat sich um die Graffiti-Kultur nicht zuletzt dadurch verdient gemacht, daß er die kommentierte Dokumentation mit Arbeiten des Zürcher Sprayers besorgte: Immer an der Wand lang - Also sowas! (Bild/Plakatmappe im Format DIN-A3, 20 Blätter, 2. erweiterte Auflage 1981, Rotation Verlag, Pfalzburger Straße 72, 1 Berlin 15, 030/8615891). Michael Weisser hat an verschiedenen Publikationen mitgearbeitet, die über das Programm Kunst im öffentlichen Raum vom Senat der Stadt Bremen bzw. zusammen mit Sunke Herlyn publiziert worden sind.


Bibliographie Barthelmeh, Volker: Kunst an der Wand, Wandmalerei in der Bu ndesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main (Verlag Dieter Fricke GmbH) 1981 ders.: Wandbilder USA/Westeuropa, Köln (Kiepen heuer & Witsch) 1982 Brassai : Graffiti, Zwei Gespräche mit Picasso, Stuttgart (Ch r. Belser Verlag) 1960 British Council (Hrsg.): Painting The Town, Bemalte Häuser fassaden in Großbritannien 1970-1980, Ausstellung des Bri tish Council, 1982 de Bure, Gilles: Morales. Cultura delle strade. Mailand (Sil,oan a) 1981 Bühler-Oppenheim, Kristin: Zeichen, Marken, Zinken, Niederteufen (Verlag Arthur Niggli) 1971 Charoux, Jac: London Graffiti, London (W.H. Allen) 1980 Clark, Yoko, Hama, Chizu: California Murals, Berkeley tLancaster-Miller Inc.) 1979 Conrad, Mike; Zimmer, Dirk: Wandbilder vom Sprayer, Fra nkfurt/ Main (Verlag Dieter Fricke GmbH) 1981 Cooper, Graham; Sargent, Doug: Painting The Town, Ox'ord (Phaidon Press Limited) 1979 Etter, Margrit: Spraybilder in Zürich, Eine psychologische Studie, Küsnacht 1979 (Diese Arbeit kann bezogen werden bei: Galerie Gaby Arrigo, Hirschengraben 3, CH-8001 Züric h) Frohner, Adolf: Zeichen an der Wand, in: Wiener Secession (Hrsg.): Zeichnen Heute, Eine didaktische Ausstellung der Wiener Secession, Ausstellungskatalog, Wien 1971 Granzer, Ben; Schütze, Bernd: Corazzu, Bilder des Widerstandes an den Mauern Orgosolos, Köln (Prometh Verlag GmbH & Co KG) 1979 Grasskamp, Walter: Sarkis, in: Kunstforum Bd . 34, Seite 188-192 Greenberg, David; Smith Kathryn; Teacher, Stuart: Megamurals & Supergraphics: Big Art, Philadelphia (Running Press) 1977 Grünberg, B.lMaessen, H. (Hrsg.): Der Sprayer von Zürich. Kölner Totentanz. Köln (Verlag Buchhandlung Walther König) 1982 Hau, Willi (Hrsg.): Ich geh kaputt - gehst du mit?: SpontiSprüche, Frankfurt/Main (Eichborn Verlag) 1981 Henderson, Sally; Landau, Robert: Billboard Art, London (Angus & Robertson Ltd.) 1981 Herlyn; Manske; Weisser (Hrsg.): Kunst im Stadtbild, Von .,Kunst am Bau" zu "Kunst im öffentlichen Raum", Ausstellungskatalog, Bremen 1976 Hesse, Günter: Und sie reden doch!, Die Wände im Knast, Graffitis aus deutschen Gefängnissen, Solnhofen (Leo's Druckerei & Verlag) 1979 Krebs, Diethart: Die Aktualität des Guernica-Bildes, in: Kunst + Unterricht, Heft 62, August 1980 Junior Galerie (Hrsg.): Architekturbezogene Kunst in Deutschland, Probleme - Beispiele - Möglichkeiten, Ausstellungskatalog, Braunschweig (Weisenhaus-Buchdruckerei und Verlag) Krolow, Wolfgang (Fotos); Zahl, Peter-Paul (Vorwort): Instandbesetzer Bilderbuch, Berlin (LitPol Verlags gesellschaft mbH) 1981 Kunst und Unterricht, Sonderheft 1981: Ästhetische Praxis, Politische Praxis Kunstverein Hamburg (Hrsg.): Eremit? Forscher? Sozialarbeiter? Das veränderte Selbstverständnis von Künstlern, Ausstellungskatalog, Hamburg 1979

Lang, Nikolaus: Farben Zeiche n Stein e. o-\us;c: =-::' -- .:,b- o' -, =", Münster (Westfälischer KUßSl\oerein) 19- 8 Neue Gesellschaft für bildende Kunst: Arbe its.gnrp~ ~ der mexikanischen Revolution (Hrsg.): I' uns: ce;; ==1:,--';;'" sehen Revolution, Legende und Wirkli ch kei . .-\ · ;.s : eL~ katalog, Berlin (Verlag + Druck , In forma tiomdi ens: G ==H Westberlin) 1974 Osterwold, Tilman (Hrsg.): Szenen der Volksk unst. S: :1gar1 (Württembergischer Kunstverein) 1981 Pocock, Philip (Fotos); Battcock, Gregory (Text) : T he Obvious Illusion: Murals from The Lower East Side, ~ew York (George Braziller, Inc.) 1980 Ramundo, Paolo (Hrsg.): L'Asino Che Vola, Album Di 'Iurali, Bari (Dedalo libri) 1977 Reisner, Robert: Graffiti, Two Thousand Years of Wall Writing, Chicago (Henry Regnery Company) 1971 Sarkis, Ausstellungskatalog, Aachen 1979 (Neue GaJerieSammlung Ludwig, Aachen) Sauerbier, S.D.: Zwischen Kunst und Literatur, in : Kunstforum, Band 37, S. 31-95, Mainz 1980 Sattler, Karl-Otto u.a.: Sanierung contra Wohnen, Freiburg (Dreisam-Verlag) 1980 Schaewen, Deidi von: Mauern, Köln (DuMont-Buchverlag) 1977 Schmidt-Brümmer, Horst; Lee, Feelie: Die bemalte Stadt, Initiativen zur Veränderung der Straßen in USA, Beispiele in Europa, Köln (Verlag M. DuMont Schauberg) 1973 Seltzer, Andreas; Hacker, Dieter (Hrsg.): Bürger werden am Kopf mit Sendern angepeilt belauscht angeredet verfolgt gefoltert, Beispiel eines Widerstandes, Berlin (7. Produzentengalerie) Senator für Wissenschaft und Kunst der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.): Kunst im öffentlichen Raum in Bremen, Die Entwicklung eines Programms, Dokumentation 1977-1980, Bremen (Verlag l.H. Schmalfeldt + Co.) 1980 Senator für Wissenschaft und Kunst der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.): Kunst im öffentlichen Raum, Bremen 19741976, Bremen (Verlag l.H. Schmalfeldt + Co.) 1977 Spies, Manfred: Denkanschläge, Bensheim (päd. extra buchverlag) 1980 Stadtteilgruppen, Bürgerinitiativen, Frauengruppen, Individuen, Horden, Banden, Gespenster, Gruppen, Schmierfinken, Subversive & dergleichen (Hrsg.): Wandmalereien & Texte, Berlin (Karin Kramer Verlag) 1979 Täpies, Antoni: Die Mauer als Ausdrucksmittel, in: ders.: Die Praxis der Kunst, Seite 129-136, SI. Gallen (Erker Verlag) 1976 Verlag Haus am Checkpoint Charlie (Hrsg.): Wo Weltgeschichte sich manifestiert, Ein Wettbewerb: 71 Entwürfe zur Bemalung einer Hauswand am Checkpoint Charlie in Berlin, Berlin 1980 Wandrey, Uwe (Hrsg.): Eiffe for President, Frühling für Europa, Surrealismen zum Mai 68, Hamburg (Quer Verlag) 1968 Wendland, Sigurd: Mauerstadtleben, oder da müssen Menschen gelebt haben, Berlin 1980

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0


Szenenberichte,

B~' Re!~ UDgen

Careerism ... die NEW WAVE

BUM von Bomben, Verbrechen der Straße, Unsicherheit.

In Tribeca sitzen die "EINGEBORENEN" auf der Straße, wo es dreckig ist, an Bridge Tischen und spielen Karten. Es ist sehr kleinstädtisch in New York, wo Punk isten und Underground Künstler sich im "Odeon" Gute Nacht sagen, aber nie zu Bett, sprich zur Matraze am Boden gehn. Sie ziehen von Party zu Party, leicht belebt von verdünntem Cocain, New York Frühling 1982, im Jahr des Unheils. Immer mehr vermehren sich die Schilder "For Rent" ... , aber das bedeutet keinesfalls, daß man sich diese Apartements und Lofts leisten kann. Sie kosten viel. 1200 Dollar monatlich für ein Loft ist normaler günstiger Preis. Was reden Künstler in ihren Bars: Im Odeon, bei Mickey, im University Place? Sie reden über die Preise der Lofts, der Häuser, die sie kaufen und verkaufen, über das, was es kostet, Altes zu erneuern; die tolle Party von Venet, wo man discoen geht, was es in den Hamptons Neues gibt. Dort gibt's aber nur "Altes". Nämlich die Witwen der großen roten "ALTEN" gehn zu Parties und auf dem Green Haeven Kirchof, wo Pollocks Grab "Pilger" anzieht, blühen die Rosen und das letzte berühmte Grab ist das von Harald Rosenberg, dem Kritiker der Abstrakt Expressionistischen Aera, die jetzt eine Art Wiedergeburt erfährt. Alles wiederholt sich hier, das ganze Jahrhundert wird aufgearbeitet, etwas verdünnt und mit PlastikFarbe überschmiert. Kommerzielle Agentinnen der neuesten Richtung machen und versuchen Geschäfte zu machen mit den Corporationen, deren Vertreter nach New York" kommen und billig 'was kaufen wollen für ihre Hallen, Riesenräume und Super-Hochhäuser der Reagan-Aera, in der wir alle sitzen und warten, daß der Boom kommt. Was jedoch täglich kommt, ist nicht der Boom, sondern das BUM-

Die neuen Helden des Careerism: Dynamit

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Nummer Eins: JULIAN SCHNABEL. Ein netter junger Mann. Zur neuen Welle und neuen aktiven Generation gehörend. Energie geladen. Er sieht aus, als habe er ein gut gehendes großes Geschäft in der siebten Avenue. Er könnte auch Pelzmantel oder seidene Kimonos fabrizieren. Er ist ein ganz liebenswürdiger, amüsanter, kraftstrotzender, sportlicher Kunst-Hersteller. Seine Kollektion ist First Class. Immer das Neueste! Heute Kokoschka, morgen Heckel. Die Deutschen haben es ihm angetan. Er hat sich dem Neo-Expressionismus verschrieben. Sein Umsatz ist fantastisch. Keine Rezession für ihn. Er malt auf Samt, Seide, Leinwand, Nessel, auf alles, was sich spannen läßt. Die Formate sind groß, größer, am größten. Ich bin der Größte, sagt Schnabel, mit großmäuligem Schnabel. Er residiert gleichzeitig in New York und East Hampton. Er hat eine reizende, blonde Frau. Letzten Sommer war sie schwanger. Demnach muß er jetzt Vater sein. Seine Galleristen heißen Leo Castelli und Mary Boone. Er könnte es nicht besser tun. Nur so macht er Carriere! Mit wild 'runter ge schmierten Bildern und viel Epoxy und gesammeltem Allerlei, Tellern, Hirschgeweihen, Töpfen, Krimskrams, Bric-a-Brac stellt er ein ästhetisches Chaos her, das soviel Macht, Energie und Verve ausstrahlt, daß auch Gegner des Schnabelism nicht über die Bilder hinwegsehen können. Denn, so wie die Vulgär-Filme, (Polyester, Shoot the Moon, I am Dancing as Fast as I can, etc.) geben die Bilder des Künstlers Schnabel den Trend und die Atmosphäre unserer Zeit wieder. Sie entblößen die "Schwäche der überaggressiven Gewalttätigkeit". Schnabel haut uns in die Fresse. That's it! Er ist ein autoritärer, totaler Egomaniak und er be-

herrsclÜaen Schmiss und dlt?fncKs eines wagnerianischen Punkstils. Nummer ·2. DAVID SALLE Er ist der aalglatte, brisante Fabrikant der Gegensätze. Er schneidert seine Leinwände je nach Bedarf, nach allen vorhandenen Richtungen. Vertreter des "New Wave Carreerism" der beginnenden 80er Jahre, - ist David Salle von Leo Castelli und Mary Boone zum Stardom katapultiert und wie das SpaceRocket in den Westbroadway geschossen worden. Zwischen Boutiquen und Gourmetmoden, inmitten sich auflösender Trottoirs und Schlaglöchern im Asphalt, zermanschten PackpapierHaufen, zerfallenden Hausfassaden und wehenden ReklameBannern, Ballonverkäufern, Mimen und Straßenhändlern gibt es die Werke der Lieblings-CarriereBoys bei den wichtigsten GalerieMagnaten. Alle drei Wochen muß neue Zufuhr da sein. Neueste Kunstfabrikation immer mit teueren Plakaten und Einladungen auf Satin-Papier in vielfarbigem Druck. Das wird an Presse, Museen, Sammler und die wichtigsten Personen der Kunstwelt ausgesandt. New Yorks Kunst-Überfluß ist rastlos. Unerschüttert durch Rea gonomics, Wirtschaftsmisere, Arbeitslosigkeit entstand - fast wie über Nacht - das Kunst-Wunder; Ein neuer "ISM"

CAREERISM -

Dynamit!

Das Wort, geprägt von Robert Pinkus Witte, im letzen Heft von ART'S, April 82 in einer Kritik über das Werk von David Salle. Dieser neu este Stern und Hersteller von Zwillings-Bildern, "Twins" ist mit allen Wassern gewaschen. Er tanzt auf allen Hochzeiten, und balanciert mit seinem Seiltänzer-Akt technisch perfekt zwischen den Polen: Abstrakt in Farbe, figürlich in Grau ... verwischt ... fotoecht, schwarzweiss. Salle kann Alles! Und Alles wird er wohl an den Mann bringen. Der Carieerist der 80er ist ein gewiegter Könner.


JULIAN SCHNABEL, The End ofthe Alphabet, the Beginning of Infinity, 1981, 108 x 156 inch ., oil, pots, an tiers, pIasters, 1V00d

In der heißen politischen Glut der FRANKLIN FURNACE Gallerie haben die Russen das Wort. Von Wänden, Decken, Regalen und \'om Fußboden attakiert russische Schrift, .. . zeigt man, wie Lucy Lippard in der Village Voice sagt, ßRAD DA VIS I NAD SMYTH, The Bather, 1981-82, Terracotta & Undergla~ed " Verbotene Früchte" . In Rußland \.Sloneware, Links: KIM MACKONNEL, Peachy, 1981, Acr./BW, 105 112 x 114 wohl unerwünscht und nur im Un- inch. de rground weitergereicht, sind diese Pamphlete, Bücher, Zettel, Pho- ten und lesen mit Unruhe und resig- Im gleichen Haus liegt die Gallerie ros, Flugblätter hier Erlaubtes und niertem Unbehagen im New Yorker Robert Miller, wo man Al Held's wichtig genug, um als "SAMIZ- Magazine die Artikel von Jonathan expressionistische früh e Bilder DAT Art" propagiert zu werden . Schell, (in drei Fortsetzungen) im zeigt. Ein Katalog in Farbe wird bei Wohl werden Worte wie ästheti- Februar 82, über" The Fate of the Rizzoli verkauft. In der scher Tourismus und Underground Earth" . Diese Serie wird Ende Zeitschriften-Abteilung dieser. ,erSensationlust Mode-Schlagworte, April als Buch erscheinen und soll zieherischen, großart igen Buchin den " Kritischen Zeiten" ... das aufsehenerregendste Buch diese handlung finder ma n alle e ischen (., Trying Times"). Wir stehen auf Jahres werden. So sagt man bei Zeitschriften, (Stern , Spiegel etc.), dem Glatteis der Weltereignisse, Rizzoli , dem Buchtempel der Uedoch keine Zeitschri ft über deut :-ü rchten für die Existenz des Plane- Kunstbücher an der Fifth Avenue . sche Kunst) . 143


WAR GAMES ... Dynami t: Fernseh-Süchtige sind an das L. :-. lingswort der Situation-Co=-(Sit-Coms) gewöhnt. Alles was ~ _ her mit "Super" bezeichnet wu: . . ist neuerdings "Dynamite" ... namische Zeiten, dynamische P ~ . tik, dynamische Kunst?? ?? \. steckt sie? Sie ist nicht leicht zu t : decken. Viele behaupten: K ·heute ist "a bore" . .. einfach k - :: langweilig. Bei Holly Solomon gibt 's B. . menvasen mit viel Firlefa.:..:. Majolika-Boom, riesige Vasen ~_ riesige Häuser, für riesiges Ge.: Gigantism, Dynamite. Herste:"'::der Ware: Brad Davis und :",,: Smyth. Sie vereinen ihre Ku m :. bungen als Collaboration. . Hauptraum der Galerie zeigt rr_"-= lose hängend die Textil-Fetzen .:: bunt-dynamischen Kim McDon nt. der ja mit Hilfe der nicht minder :.: ternational dynamisch gefärb r~ Holly in Deutschland schon ar.viert ist. lohn Russel in der Tirr.= spricht von "Hoch-fliegender Lyr a la Matisse .. . und daß McDo nr.:: weder groß noch original ist u ~. : seine Rezepte zuckersüß seien." War Games bei Ronald Feldmc-Gallerie, (die up-town-Gallerie isgeschlossen und Feldman ist kOIL' fortab el in der Mercerstreet gar.: nahe dem Kunst-Knotenpu n: : SoHo-Canalstreet etabliert). - J diese Kriegsspiele bei Feldman sin.: ganz harmlose Ereignisse, me t-.: Kinderspiel denn Krieg, - - un.: alles spielt auf einer gemütliche:: middle-c1ass-bürgerlichen Szene Im Schaufenster ein Herr, in tadel· losem grauen Flanellanzug, eiw Puppe mit einem roten eiserne:: Kreuz am Hals, und einerr. KKK-(Ku Klux Klan)Hut auf de rr. Kopf. Künstler der witzigen Skulp· tur: John Alexander. Die Russe r. Komar und Melamid waren explizi: mit einem Salon-Gemälde des "Führers", Adolf Hitler, mit Blu menarrangements zu seinen (de> Ölportraits) Füssen. Und weiter spielte kindlich Eleanor Antin ei Video-Stück des Civil Wars, mi t Pappe und Holzpuppen der Solda· ten, teils gefallen am Boden, teils stehend als Figurinen . Der Destruction-Künstler Chris Burden hat ein Miniatur-Schlachtfeld mi t Spielzeug aufgebaut; die feindli· chen Armeen stehen sich gegenüber - ein Schlachtfeld aus dem Spiel. zeugladen mit Fernstechern kann man die Einzelheiten beob·

=.

DA VID SALLE, The Warst and the Most General, 1981, 86 x 112 inch.

CHRIS BURDEN, The Tale

01 Two

Cities, 1981, InstalI.

ED PASCHKE, Transactionale, 1981, Öl/ Lw., 34 x 70 inch . 144


achten . Es fehlten surrende Helikopter und Flugzeuge in der Gallerie-Luft ... Es scheint, Burden wurde mitten im War Game müde . ... Die Franzosen waren hier, sie kamen, sie siegten nicht und verschwanden. Otto Hahn, Kunstkritiker des L'Express, bekam sein Portrait 10 zu 6 inches groß in die Village Voice und Peter Schjeldahl, z. KOMAR & MELAMID, InstalI. mit zt. der Kritiker mit kaustischstem " Hit/er Portrait" (Öl/ Lw), 1981 Witz und frechster Schnauze in Sachen Kunst, schrieb gegen die Franzosen unter dem Titel: " Warum Neue Französische Kunst saumäßig ist. (Why New French Art is Lousy. )" Bei der Gallerie Phillis Kind in SoHo ist es der NONE PLUSSEDSome Künstler ED PASCHKE, der originelle, sociologisch kritische, blendend gemalte, eigenartige Bilder zeigt. J ohn Russel, TimesKritiker, nennt Paschke's Work lOHN ALEXANDER, The Korporate Klansman, InstalI. 1981 " formidable" ungeheuerlich, und tatsächlich haben die images gerte Luft sehen. Es sind unbarmund Farben etwas von einer post herzige, nervöse Darstellungen soatomal, zerstörten Welt. Die Ge- ziologischer Phänomene, " exercistalten und Köpfe sind monströs ses in psychological violence" . Im Whitney Museum gibt es eine verzerrt ins Wesenlose, und die Farben strahen Radioaktivität aus, als phantastisch schöne Gedächtnis könnte man radioaktiv geschwän- Ausstellung für Robert Smithson,

. ----:

ELEANOR AST/S. The A ngel 01 Mercy, 19 77-81, Insra I.

Schöpfer der Spiral Je y, Erfi nder und Entdecker von " one-Sites, ein Poet, der naturalistischen Stru ktu r; mit Spiegeln, Gestein und Erde ... viel zu früh gestorben , abgest ürtzt im Flugzeug, ein Opfer sei ner Entdeckungslust und seiner Courage. Ein wirklicher Künstler . WILLEM DE KOON IN G Die Gallerie Xavier Fourcade bringt zum Frühling Werke des Meisters der Abstrakten Expressionisten. Kay Larson schreibt im New York Magazin "Wenn es irgendwie einmal eine abstrakt expressionistische Hall of Fame geben wird , dann wird fraglos De Kooning ein Marmor-Denkmal darin enthalten. " Lil Picard

l A CQUES MONORY, Himmel nr. 34, Mitternachtssonne, 1981

Die "Ateliers" der jungen Kunst Frankreichs Anschluß an die europäische Szene In zwei aufeinanderfolgenden Ausstellungen diesen Winters, Atelier I nd II genannt, sind die Arbeiten '.-on etwa 40 jungen und bisher 'aum bekannten Künstlern im ARC Paris vorgestellt worden, das damit einen Überblick über die neuere französische Szene schaffen wollte. Unterschiedlichkeit der AnLiegen und Fragestellungen, eine enorme Vielfalt der Mythen und Bildwelten, Diversität des Umgangs mit Raum und Material, vor allem die Opposition zwischen den eher rn tellektuellen und den naiven, teils bru talen Ansätzen, spiegelten die ITIoße Unsicherheit oder aber die Z'erzweifelte Offenheit unserer, wenn man es so nennen will, post-

modernen Situation. Ins Kreuzfeuer der Kritik war daraufhin auch weniger die letztlich immer gemiedene Frage nach der Qualität der Werke geraten, als die unvermeidbare Heterogenität der Stile.' Hier die Arbeiten, die sich mit einer Realität auseinanderzusetzen suchen, welche sich unserem logischen und begrifflichen Zugriff zu entziehen scheint. Bilder komplex ineinander verschachtelter Strukturen, fragmentierter Räume, widersprüchlicher Gleichzeitigkeiten, zerrissener Architekturen, überlagerter Vergangenheitsschichten, an denen deutlich wird, daß der Umgang mit jedweglichen Formen der Kunst weder absichtslos noch unschuldig vor sich gehen kann. Auf der anderen Seite der mutwillige, spielerische Ausverkauf der Klischees. Blaue Palmen und Pyramiden in gelben Wüsten mit rotem Himmel, Heerscharen raffaelischer

Engelsköpfe, Kolonnen hölzerner Greifen, die farbig über die Wände fuhren, pastellfarbene Flugzeuge als Hymnen an die weiche und runde Form, riesige Spinnen, die über die Berge ins wohnliche Land kriechen, lange Bänder überdimensionaler Comic-Strips mit abenteuerlichen Kriegern, bunten Unterseeboten und Kinderbuchängsten - das waren die spektakuläreren Ausstellungsstücke dieser Ateliers. Wie tobende Farbungeheuer schienen sie den Betrachter zu bedrohen, griffen ihm über Meter hinweg hinterhältig in den Nacken, verfolgten ihn noch bis auf die Treppen des Ausgangs. Wenn das Publikum zehn Jahre lang geglaubt hat, die Kunst nicht mehr einholen zu können, weil sie ihm zu esoterisch und unzugänglich geworden war, dann wurde es jetzt ganz umgekehrt von der Kunst geholt. Die Unternehmungslust ist groß , an Provokatio145


nen wird nicht gespart, und die in Deutschland, der Schweiz und Amerika längst erfolgreiche neue Malerei - das sollten diese Ausstellungen zeigen - ist auch in Frankreich nicht ohne Echo geblieben. Viele treten zum "Festival" der jungen Kunst an, mit Lampions, Sternenhimmel, Mondschein und Poesie, aber auch mit hartem Bilderschock, Kriegsspiel, einem Schuss Porno, Bad-Painting und Zerstörungslüsten. Ja, die infantilen Militarismen traten leider großspuriger auf, als die bescheideneren Kinderhandpoeten. "Joyeuse derive", fröhliche Verirrung, oder zynische? Die Sprüche der NichtReflektiven tönen aggressiver und lauter als die Lyrik der Naiven. Die Leadership-Ansprüche der Supermen, so machte es den Eindruck, schlugen mühelos die Walt-DisneyHeroen aus dem Feld. Aber selbst funny-rock-Raketen scheinen uns alles andere als banal. Dennoch verfehlten die "Ateliers" ihre Wirkung nicht. Zahlreiche Pariser Galerien haben die Gelegenheit genutzt, einige der Neuentdeckten gleich für sich zu verpflichten. So konnte man Robert Combas in der Galerie Yvon Lambert wiedersehen, Thierry Cheverney bei Breteau, di Rosa in der Galerie Beaubourg, Pierre Nivollet bei NRA, Francois Bouillon bei Adrien Maeght, die Gruppe "En Avant comme Avant" bei Eric Fabre, während Jean-Michel Alberola im Mai bei Templon zu sehen sein soll. Inzwischen interessierte man sich auch verstärkt für Vorbilder und Kollegen aus dem deutschsprachigen Raum. Penck, Zimmer, Roth, Polke, Markus, Raetz, Lüpertz und Castelli fanden erheblich mehr Anklang als etwa der "Letzte Raum", die erste Einzelausstellung von Beuys in Paris. Die Zeitschrift Art Press widmete schließlich ihre März- und Aprilnummern einer eigenen Auswahl 30 junger französischer Künstler und einem Dossier über die "Quellen der 80er Jahre", zu denen unter anderem Picabia, Calder, Copley, Arp und Artschwager, Chia und Cucchi, sowie Baselitz und Kiefer, - die Mitglieder einer "neuen künstlerischen Elite" -, wie Siegfried Gohr sie nennt -, gezählt wurden . Dies alles stellte keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder analytische Präzision; es waren eher Vorschläge und Hinweise, und gerade im gleichen ARe folgte im Früh146

jahr auf die "Ateliers" eine dieses Mal thematisch definierte Ausstellung, die einen noch ganz anderen Aspekt der gegenwärtigen Kunst aufzeigte. Den Aspekt des "Mondänen". Der Philosoph JeanFrancois Lyotard nennt es auch ihren "sublimen Dandysmus" . Das Thema der Manifestation, die nach dem Titel einer Zeitschrift, deren drittes Heft zugleich als Katalog diente, "Alea(s)" benannt wurde, war die Kunst in ihrem Verhältnis zur Wissenschaft. Vergessen wir sogleich die Ansätze der Konstruktivisten und des Bauhauses oder die Bemühungen der 60er Jahre, die daran anschlossen. Vergessen seien die sozial engagierten Versuche einer Versöhnung zwischen Kunst und Technik, die Unsinnsmaschinen von Tinguely, die populäre, verspielte Kinetik Le Parcs, die Lichttürme von Schöffer oder die Computer-Kunst. Weder die Faszination für geometrische Ordnungen, noch für die Einbeziehung des Betrachters in den künstlerischen oder wissenschaftlichen Abstraktionsvorgang stehen heute noch zur Debatte. Die hier gezeigten Objekte sind ohne jede Anziehungskraft und extrem unterkühlt. Thematisiert wurden Lichtwirkungen, Himmel, Fernen, Zeitabläufe, elektromagnetische Kräfte. Alles unberührbar, gedanklich, abgehoben, umschweifig und zugleich anspruchsvoll. Während Pommereulle einen messergespickten Himmel zu schwarzem und grünem Moor erstarren ließ und ihn wie eine drohende Wand vor uns aufrichtete, wirkt Jaques Monorys immense Mitternachtssonne geschwätzig und geschmacklos. Hinter seiner Phrasenhaftigkeit verbirgt sich eine entdramatisierte, enträtselte Natur. Ihre Verdoppelung im Spiegel ist nur die Reproduktion der Reproduktion, die ihre eigentliche Leere unterstreicht. In den Wissenschaften ist eine Kategorie des Unfassbaren aufgetaucht, seitdem man Begriffe wie die der Quanten oder die der Wahrscheinlichkeit benutzt. Je exakter sie vorgehen, desto mehr entzieht sich ihnen das Objekt ihrer Untersuchung, desto "bildloser" wurden sie. Die Wissenschaften des 20. Jahrhunderts brachten die Wissen ins Gleiten, der Strukturalismus die Stellung des Subjekts. Die hier versammelten Künstler manifestierten das Bewußtsein davon. Sarah Holts photographierte Lichtspuren verän-

dern sich je nach ihrem Standpunkt. Pjotr Kowalski stellt die Logik unserer Wahrnehmung und die Regeln der Perspektive in Frage, indem er zeigt, in welchem Maße der Beobachter beim Beobachten die Dinge modifiziert. Thomas Shannon erdachte sich eine sieben Meter lange Kompassnadel aus Magnesium, die, einzig von magnetischer Kraft in Ruhestellung gehalten, über einer metallenen Kuppel schwebt. Er scheint die Schwerkraft aufheben zu wollen, die Klaus Rinke in seinen Arbeiten umgekehrt immer wieder ins Spiel bringt. Rinke durchmißt und streckt den Raum mit seinen Kordeln und Gewichten, umfaßt und umringt den Betrachter mit seiner Geometrie, macht ihn nicht länger zum Maß und Ausgangspunkt, sondern zum Objekt seines Gravitationsfeldes. Unsere Erkenntnisfähigkeit der Natur ist weitgehend begrenzt. Wenn wir die Metaphorik von Michel Serres zu Hilfe nehmen, auf die sich auch die Veranstalter dieser Ausstellung berufen, dann stellt unser Wissen im großen Ozean des Ungewissen nur einige Inseln dar, der Weg der Wissenschaften dorthin eine Odyssee, auf einer Karte, die sich nicht zeichnen läßt, unterbrochen von Ungenauigkeiten und leeren Stellen. Unser Wissen besteht aus versprengten Fragmenten und Intervallen, und die Realität entgleitet ihm wie das Atom dem Blick hinter dem Elektronenmikroskop. Das Universum besteht aus energetischen Interaktionen und darin steht der Mensch nicht als Geist im Gegensatz zur Materie; er ist ein Teil dieser Interaktionen. Die Dinge sprechen von sich selbst, und die Mittel oder Instrumente, mit denen wir die Welt erforschen, sind letztlich nicht unsere, sondern ihre Instrumente. Der Künstler aber, verhält sich heute ananlog zum Verfahren des Wissenschaftlers. Er wiederholt die Geste der Natur. Er übernimmt ihre Bilder, so wie sie sich bieten. Was gäbe es Lakonischeres als die vibrierenden metallischen "Linien" von Takis, die den Raum durchschneiden, von einem Magneten in schwebendem Zustand gehalten werden und die Hauptsache einer extrem schmucklosen und sachlichen Konstruktio n darstellen. Aber Takis betont, daß er in seinen Werken nicht etwas erfinden, sondern bloß finden wollte. Er veranschaulicht, nicht anders als


G YORG Y KEPES, Flüssige Formen, Foto, 1943 (Atea(s))

THOMAS SHANNON, Compass 0/ Love, 1981, (Atea(s))

JEAN-MICHEL ALBEROLA, Das Zimmer der Aziyade, 1980, 265 x 195 m (Ateliers I), (J.-M. A . 6.5.-3.6. Gal. Templonl Paris)

Shannon oder Monory, eine Leidenschaftslosigkeit und Indifferenz \"as die Präsenz und die Repräsen:ation seines Gegenstandes angeht, ie Lyotard eben den "sublimen Dandysmus" genannt hat. Die eigentliche Spannung, die in iesem Zusammenstoß von Kunst und Wissenschaft auftauchen : ann, fand einzig auf intellektueller Ebene statt und nicht etwa im Beeich der "Bilder" , gegen die das Objekt selbst seinen Widerstand erhob. Die Kunst gibt ihre Erscheinung für die Reflexion hin. Wir entkommen den Hindernissen, die die Materie unserem Erkennen entgegenstellt nur, wenn wir sie umgehen und das systematische Forschen nach ihren Formen und Konzepten unterlassen . So versteht auch Dennis Oppenheim seine Fördertürme, seine komplizierten Abschussbasen oder seine Lebensun:erhaltssysteme nicht etwa als eine Übersetzung von Vorstellungen, die ns die Wissenschaft über die Na:ur vermittelt, sondern als Gedankenfabriken, Missile, Vektoren des Denkens. Seine Motoren sind Meaphern für den Vorgang des Erfindens . Seine Maschinen der lebende, at mende Körper sich objektivierender Ideen. Die Welt wurde sozusagen unmitteilbar und unsichtbar, dafür werden die Zeit, die Lichtgeschwindigkeit, die Assoziationsströ me, die Anziehungskräfte sichtbar gemacht. "Alea(s)" demon-

TH1ERR Y CHEVERNEY, L 'Agros, 1981 (Ateliers I)

ROBERT COMBAS, o. T., 1982 (Ateliers I)

striert eine Kritik am klassischen Wissenschaftsbegriff und denkt eine Beziehung zwischen Kunst und Wissen, in der der Mensch nicht der Sezierende, Klassifizierende ist, der

die Naturit""absttakte Idealitäten übersetzt und vewaltet , sondern analog und auf gleicher Ebene mit ihr agiert. Marie Luise Syring 147


Jackson Pollock Retrospektive Centre Georges Pompidou Zustande kommen konnte diese aufwendige Schau im Pompidoueum (das drei Wochen lang von seinen Putzfrauen bestreikt wurde), auch wohl als Dank, weil die Pariser zuvor den New Yorkern mit französichen Leihgaben beim Bestücken einer Picasso-Schau geholfen hatten. Er kam zeitlebens nie nach Europa. Befragt, ob er es je wolle, antwortete 1944 der Farmerssohn der Zeitschrift "Art & Architecture": " Die Probleme der modernen Malerei können genauso gut in de!1 USA gelöst werden, wie anderswo." Jackson Pollock wurde 1912 in Cody (der Heimat Buffalo Bills) im Staate Wyoming, im Westen der USA geboren. Mit seiner Familie zog er wenig spä~er nach Arizona, dann nach Californien. Bevor er im Alter von 17 Jahren ein Kunststudium begann, war er als Jugendlicher in Ruinen von Indianerbauten herumgestreift. Dort hatte er Anregungen für seine später weltberühmte "action painting" bezogen. Sein erster Lehrer war der amerikanische Realist und Regionalist Thomas Hart Benton. Der hatte es verstanden, ihn für Fresken der Renaissance und Lateinamerikas zu begeistern. Jackson Pollock bewunderte die Spanier Pablo Picasso und Juan Mir6. Picassos 'Guernica' hat ihn wegen der Größe der Malerei inspiriert. Die Happenings der frühen 60er Jahre verdanken Pollok, so ein Wort des Pop-Künstlers Claes Oldenburg, viel. Sie stehen im Direkt-Bezug zu der Unmittelbarkeit seiner spontan geträufelten Gemälde ("drip pings"). Pollock, der ungewöhnlich tiefsinnige Spontan-Maler wußte, mit seinen im rasanten Tempo gemalten Bildern die Kunstgeschichte auf den Kopf zu stellen. Er hatte Probleme mit dem Alkohol und begann zwei Mal eine Psychoanalyse; 1956 kam er erst 44-jährig bei einem Autounfall ums Leben. Die Bilder aus der ersten und für Jahre wohl auch einzigen Retrospektive in Paris kommen zum größten Teil aus öffentlichem Besitz in den USA oder aus der Sammlung der Witwe des Künstlers, der abstrakten Malerin Lee Krasner. 148

Jackson Pollock hatte eine Vorliebe für Großformate. "Autumn Rythm" ist 270 cm x 538 cm groß. Er war in den Jahren 1930-36 entweder persönlich oder mit den Fresken der mexikanischen politischen Wand maler Diego Rivera, Jose Clemente Orozco und David Alfaros Siqueiros in Berührung gekommen. Auch er selbst malte Wandbilder im Auftrag der W.P.A. (Works Progress Administration), die als Folge der wirtschaftlichen Depression Mittel an Künstler vergab. Vieles in den frühen Gemälden Jackson Pollocks erinnert an die Formen und den kubistischen Duktus von Pablo Picasso, wenig an den Lehrer T.H. Benton, so zum Beispiel ein frühes Selbstportrait und ein Emigrantenzug im Pferdewagen. Später lassen sich phantastische Figuren erkennen. Einmal stenografierte Jackson Pollock sogar eine menschliche Gestalt mit dem Pinsel. Pollocks "all overs" sind bekannt für ihre Labyrinthe. Bei seinem automatischen Farbauftrag entstand ein Gewirr von Spuren, die sich verschlingen und verknoten, vertiefen und wieder auflösen. Da lebt vieles aus der Seelenautonomie eines späten Surrealismus und von der wilden Aktion einer viel späteren Sprühmalerei. Denn bei Pollock malten nicht nur die Hand, die Arme. Er malte aus und mit der Bewegung des ganzen Körpers. Wie andere Große des 20. Jahrhunderts von Cezanne bis Malewitsch gelang es auch ihm, die Zentralperspektive als Regel zur malerischen Komposition außer Kraft zu setzen. Er wollte die Malerei vom Illusionismus des Erzählens befrei-

en. Es sollte beim Malen um das Jetzt, das physische und psychische Hier, um den Moment solcher Bedingungen des Künstlers gehen. Es ist denkbar, daß J. Pollocks unruhige Malweise, ihr häufig aufgewühlter Schwebezustand zwischen Abstraktion und Figuration, eng mit seiner Kindheit verknüpfr sind. In seiner Biographie wird betont, der Farmerssohn habe schon im Alter von erst 10 Jahren an 6 verschiedenen Orten gelebt. Da bilden sich keine festen und sicheren Erlebnisse heraus. Da wird alles vom steten Wechsel und vom Eindruck des schnellen Tempos geprägt. Unter japanischen Künstlern wird gerne an eine Legende geglaubt: Pollock habe bei seinem Unfall im Auto Ausgaben der Zeit· schrift "Gutai" bei sich gehabt. Tatsächlich wurden mehrere Num· mern des Magazins in der Biblio thek im Nachlaß gefunden. Die da· malige Gruppe "Gutai" um Hideo Yoshira machte seit 1955 in Osaka Happenings mit Farbe und Papier. Dabei entstanden auch KollektivGemälde, die den Spontan-Bildern Pollocks eng verwandt sind. Der Experimentator Pollock wurde von Künstlern geliebt: im dicken Katalog zur Pariser Schau äußern sich Kollegen wie Roben Motherwell, Barnett Newman, Sam Francis, Antonio Saura, Claes 01denburg und Allan Kaprow. Der französische Katalog ist ergiebig und ausführlich. Sein Preis von FF 140 ist gerechtfertigt. Auf 420 S. wird die vita Pollock entfaltet, diskutiert und dokumentiert. Gislind Nabakowski

JACKSON POLLaCK, Installation CP 1981/82, (J.P. im Städel/Frankjun . Juni/Juli)


"Mülheimer Freiheit", Installation KH Basel 82

Basel -

Luzern

Junge DeutscheIJunge cher/ Claude Sandoz

Österrei-

Nachdem im letzten Herbst die Berliner vom "Moritzplatz" unter dem Titel "Im Westen nichts Neues Wir malen weiter" in Luzern und Genf zu besichtigen waren, bot sich nun die Gelegenheit, die Bilder der neuen deutschen Malergeneration in der Kunsthalle Basel etwas ausführlicher kennenzulernen. Die Ausstellung ,,12 Künstler aus Deutschland" präsentierte aus Berlin: Luciano Castelli, Rainer Fetting und Salome; von der "Mülheimer Freiheit" ("MF", KVWolfsburg, 2.5.-30.5., Anm.d. Red.): Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Georg Jiri Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger, dazu die Hamburger Werner Büttner und Albert Oehlen und den Kölner Volk er Tannert (8.5.-21.6. im Museum B. v. Beuningen, Rotterdam). Nun ist zum Thema der "neuen" oder " wilden" Malerei, insbesondere über die deutsche Variante, so alles \1ögliche und Unmögliche gesagt und geschrieben worden, daß der Redefluß schon fast die Bilder wegschwemmt. Und auf die Bilder wird man schließlich zurückgreifen müssen. Jean-Christophe Ammann, der auch die Basler Ausstellung organisiert und eingerichtet hat, meinte kürzlich in einer Kolumne, daß sich jene notorische Frage "Ist das noch Kunst?", wie sie sich Ende der 60er Jahre stellte, heute, da "es sich neckischerweise um Bilder han

delt," zur Frage "Ist das nun ein gutes oder schlechtes Bild?" verkehre. Jedenfalls macht die Ausstellung deutlich, daß das Phänomen "neue Malerei" ein Produkt verschiedener Einzelpersönlichkeiten ist, die mit Witz und "Malkultur" höchst unterschiedlich gesegnet sind. Und wenn hier das "schlechte" oder "Iangweilige" Bild im Sinne einer "Gleich-Gültigunverbindlichen keit" neben dem "guten" steht, so ist das für mich insofern verwirrIich, als ich nicht genau weiß, ob es sich dabei um eine Frage der "künstlerischen Qualität" handelt oder um eine Strategie, die über die Malerei hinaus weist. Mit anderen Worten, die Rezeption der "neuen deutschen Malerei" ist gerade darum so schwierig, weil sie den Betrachter mit einem Welt-Bild konfrontiert, das ein verbindliches "Weltbild" gänzlich negiert. So sind wir schließlich vor das Bild gesteilt und müssen die Behauptung neben andere Behauptungen setzen, um schließlich mit Kopf und Sinnen herauszufinden, welche uns mehr Lust verschafft - und das hieße dann wohl, die Frage nach dem "guten" oder "schlechten" Bild zu stellen. Die Frage drängt sich auch darum auf, weil nun im Soge des "Malerei-Trends", neben den vielen "Mit- oder Nichtschwimmern", immer mehr auch Maler und Malerinnen in Erscheinung treten, deren Arbeit erst durch den "Trend" von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Im Kunstmuseum

Luzern etwa war eine Ausstellung "Junge Künstler aus Österreich" zu Gast, die von einer starken Präsenz "wilder" Malerei geprägt ist. Wilfried Skreiner, Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Johanneum Graz, der die Schau konzipierte, spricht denn im Katalog auch ganz unbefangen von "Stillen" und "Wilden", wenn er, die letzteren voran, seine Künstlerauswahl vorstellt. Es sind: Alfred Klinkan, Hubert Schmalix, Siegfried Anzinger, Alois Mosbacher, Erwin Bohatsch, Franz Graf und Brigitte Kowanz, Turi Werkner, Karl Hikade, Ferdinand Penker und Ernst Caramelle. Wenn oberflächlich gesehen, auch ganz augenfällige Verwandtschaften zu den deutschen "Wilden" feststellbar sind, so vor allem bei Anzinger und Schmalix, scheint die österreich ische Variante der "wilden" Malerei doch einen ganz anderen Ausgangspunkt zu haben. Die Malerei der Österreicher basiert eher auf einer Tradition; Zitate oder Anlehnungen an Vorbilder werden hier weniger annek tiert oder zur Selbstbespiegelung ei ngesetzt, sondern vielmehr als Hommagen oder Reaktionen. :\ uch im thematischen Bereich fin den sich verbindliche, wenn auch \·erzweifelte Stellungnahmen zu r Sit uation des Menschen (und ic h erlau emi r dieses "Menschen " . angesic: :5 dessen, daß auch "jung " und .. 5:ark" wieder mögliche Ad jek !i\ e 5in d) oder klar deklariert e Ruc: .. z~ ge auf die Malerei und ih re T h e;-:-. ~::. die mitunter voll Wi tz un I ~ ~ :: : .: ;ein können. So bek om : :3 .• - :: ; -,,;5


SIEGFRIED ANZINGER, Kapfwerfer, 1982 VOLKER TANNERT, a. T., 1981, u. Organ wechsel 1981

ALOIS MOSBACHER, Die Mauer 1, 1982

CLAUDE SANDOZ, InstalI. Gal. Baviera /982

Auswahl, die die "stille" Malerei eines Karl Hikade mit den "Wilden" mischt, über die Funktion eines Querschnitts hinaus einen Sinn, indem sie die gelassenere Situation der Österreicher sichtbar macht. Als "wild" könnte möglicherweise auch Claude Sandoz mißverstanden werden, der in der Zürcher Galerie Baviera, Schulze & Baltensperger neuere Arbeiten vorstellt (C.S.: April/Mai in der Galerie Gmyrek/Düsseldorf; Anm.d. Red.). Doch Sandoz' wildbewegte, stark farbigen Tücher sind weniger Malerei als eine Fortsetzung seines kontinuierlichen Zeichnens mit anderen Mitteln. "Le chat bleu" ist 150

ein Zyklus von Überlagerungen und Metamorphosen, in denen sich Frau und Katz und Maus und Hund und Mond und Berg und Fisch und und und zu einem phantastischen Ornament der Lebenslust verbinden. Max Wechsler

Regine von Chossy Galerie LiUmann/Basel 1) Regine von Chossy, Jahrgang 52, ist Meisterschülerin von Jakobsen und damit gelernte Bildhauerin. Trotzdem bezeichnet sie ihr Tun gerne als Malen mit anderen Materialien. Diese sind Stahlwolle, Roß-

haar, Fäden, Kunstfasern und vor allem menschliche und tierische Haare. Aus ihnen gestaltet sie ihre "Schichtungen" genannten Arbeiten: Gebilde einfachster Form, die sich aus schier undurchdringlicher Dichte wie von selbst in luftiges Gespinst aufzulösen scheinen. Es entsteht der Eindruck von sich ver~ flüchtigender Materie. Bei dem Anblick des atmosphärischen Geflimmers kommt nicht von ungefähr die Erinnerung an William Turner. Sie selbst gesteht diesen als vielbewundertes "Vorbild" ein. Wie stark sie dem Malen verpflichtet ist, zeigen besonders die großen "Bildteppiche". In der Fläche treten die verschiedenen Materialien in ihrer unterschiedlichen Struktur und Farbe noch eigenständiger hervor als in den Kuben und Würfeln. Es entstehen Landschaftsbilder , die allerdings auch manchmal die derzeitigen Grenzen der Künstlerin offenbaren, wenn man von der bewußten Gestaltung nicht mehr viel spürt. Man sieht sich dann einer eher zufälligen Indifferenz ausgeliefert. Andere Beispiele dagegen zeigen die großen Möglichkeiten, die in der


Arbeit stecken, wenn sie einen Kulminationspunkt schafft, der wie eine tiefe Wunde als Einschnitt in die Oberfläche wirkt. Eine Spannung überträgt sich und der Betrachter tastet neugierig die Wege in der "Landschaft" ab. Man merkt, Regine von Chossy steht noch am Anfang. Sie selbst nennt das Formproblem ihr derzeit größtes künstlerisches Problem. Dieses soll so unbelastet und bedeutungslos wie nur möglich sein, damit die Eigenaussage des Materials nicht gestört wird. So erinnern die großen Bilder zu sehr an Wandteppiche oder eine runde Schichtung wurde sofort als "Nest" bezeichnet. Der Kubus scheint ihr derzeit am freiesten von solchen Assoziationen. Diese freimütig geäußerten Überlegungen zeigen, daß sie noch sehr offen ist auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten für ihre Materialien. Wichtig ist auch, daß sie die Eigenart und Eigenständigkeit dieser Materialien auch im fertigen Werk bewahrt. So wirken die Kuben filigran und in ihren atmosphärischen Rändern äußerst empfindlich. Sie sind es aber nicht. Elastisch und robust wollen sie angefaßt werden, denn dann erst erschließt sich ihre Qualität vollständig. Haare sind ja lebende Materie und das wird auch durch die Bearbeitung nicht zerstört. So gesehen stecken in dem Material noch viele unentdeckte Möglichkeiten und ebenso in der Künstlerin. Anmerkungen:

l)geschr. an!. der Ausstellung in der AutorenGalerie lIMünchen Hanne Weskott

REGINE VON CHOISSY, Schichtung IV, Faden beschichtet, 1981, 21 x 22 x 22 cm

MARKUS RAETZ, o. T., 1981, 33 pieces de bruyere, 48 x 221 cm

Markus Raetz Neue Arbeiten DAAD-Galerie Berlin

Ein Beobachter des Beobachtens Erbsenpaule und Bierhimmel; Leben (ganz groß) und Arbeiten (etwas kleiner); die Werte und ihre Bedeutungen; ein Zugfenster mit der Anweisung 'Hinauslehnen, Gegenstände hinauswerfen'; ein trauriges Gesicht, das sich mehr und mehr verzerrt, es nennt sich 'Askanische Platzwunden'; Tageszettel mit allen möglichen Berliner Alltagsbeschäftigungen; Wortspiele wie dies: "Ekstase, Askese, Azteke, exakte, Exzesse, Abszesse ... "; und Zeichnungen wie jene vom Maler, der vor einem verkorksten Staffeleibild sitzt, den geqUälten Kopf in den Händen, darüber steht einfach: "Schisdräck". Ein Buch voller Skizzen und Daten (es reicht vom 24.5.81 bis zum 9.2.82), voller spontaner Zeichnungen, Notizen und Merkzettel gab der Berner Zeichner Markus Raetz am Ende seines Berlinaufenthaltes im Rainer Verlag heraus. Dieses Zeichnertagebuch "Notizen 1981-1982" ergänzt vielleicht besser als jeder Katalog die neuen Arbeiten von Markus Raetz in der Daad-Galerie; denn was hier zu sehen ist, ist ebensosehr der gen aue Griff nach dem Unscheinbaren, der Blick für die Dinge, die ihm täglich in die Hand geraten. Aus Eukalyptusblättern formt Raetz Gesichter; aus Zweigen und kleinen Astgabeln werden Linien eines Profils oder Hände, die Wellen ziehen; aus einem beleuchteten Spiegel wird eine Fratze, die sich an der Wand weiterzieht; und aus einfachen Holzstücken wird "Mimi", eine unendlich verdrehbare Figur.

Markus Raetz spielt mit den einfachsten Mitteln und mit der ~eu­ gier, was sich hinter de n zu fälli gen Formen verbergen könnte . end er spielt mit den Standpu nk ten. die die Wahrnehmung mitbestimmen - je nach Blickwinkel entsteht oft aus harmlosen, an die Wand genagelten Hölzern ein Bild , eine täuschende Wirklichkeit, die , kaum geht man einen Schritt weiter , wieder zerfällt. Eine Arbeit zeigt deutlich, wie groß Raetz' Liebe zum Flüchtigen ist. Es sind Zeichnunge n auf Wildleder, der Stift ist ein Finger, und die Linien für die Gesichter dort entstehen durch Streicheln gegen den Strich. Etwas fremd wirken in dieser Spielerei mit dem Augenblick nur die 33 Zeichnungen "L' Amour", eine fast gar (man verzeih') gelackte Illustrierung der von Breton und Eluard beschriebenen Möglichkeiten, sich zu lieben. Aber Markus Raetz ist wahrscheinlich wie Andre Thomkins ein Könner, der die Perfektion nicht nur auf's Spiel setzt, sondern auch ausspielt. Barbara Schnierle

Tomas Schmit Zeichnungen Galerie Jes Petersen Berlin

" das leben ist die lehre von den lehren" (t.s.) Tomas Schmit zeichnet Stücke, die, ähnlich den "events" aus der Fluxuszeit, dafür gemacht sind, daß sie im Kopf des Betrachters (weiter-)zünden. Sie sind nicht taktisch, wie so manche artistisch kalkulierte Geste der Zweckfreiheit (Tomas Schmit verweigert sich schon seit 20 Jahren dem gängigen Zirkus um unbedeutende Großspu151


rigkeiten in der etablierten Kunst) - und sie haben nichts von der gemeinen Moralität, die keine Paradoxe kennt. Die Blei-und Buntstiftzeichnungen von Tomas Schmit aus den letzten Jahren - in der Galerie Petersen sind 52 davon ausgestellt, sind kleinformatige, aber um so ideenreichere Bilderfindungen zu den Gedanken und den Verzwicktheiten der Welt, die ihn beschäftigen, zu einer Ästhetik, die mit dem Leben zu tun hat. Um nur einiges davon zu nennen: die Kunst sollte nicht über dem Leben und aufgesockelt ein zweifelhaftes Dasein führen, sondern sich in und mit ihm bewegen; das Denken und Sehen, warum steht es nicht gleichwertig neben dem Schmecken, Riechen, Hören und Betasten; und in einer Zeichnung aus den "notturnos", dem Blatt "weder grünfink, fuchs noch rhino brauchen hilfsvorstellungen": die Tiere leben nicht unter unserer Menschenwürde, sondern oftmals sogar über ihr, regeln sie doch ihr Zusammenleben weit besser als alle Uhren der Welt unsere Zeit oder alle prüde Erziehung unser Wohlbefinden. "die ruckglucke" ist ein weiteres Blatt aus dieser Serie. Hier wird in vielen kleinen Zeichnungen überlegt: "angenommen, alles was, von den körperbefriedigungen abgesehen, uns glück macht sei unbewußtes nachund miterleben von körperbefriedigungen unserer vor-und mitfahren". Ein bestimmter Fisch schwimmt da in eine gefährliche Nesselanemone, aber gerade er fühlt sich doch ganz heimisch dort, parallel dazu steht der Kneipenbesuch; ein Maulwurf gräbt kunstvolle Erdgänge, daneben sieht man den Bildhauer eine ähnlich geformte Plastik behämmern; unten rechts im Blatt zeichnet er einen Flipper, ein "ruck-gluck", denn das Flippern hat ja doch einiges mit Votzen und Pimmeln und Vögeln zu tun. Die "notturnos" , von denen in der Galerie Petersen vier Stück zu sehen sind, kommen mir vor wie Bücher, übrigens wie jene, bei denen das Lesen mit einer Lust am Verstehen verbunden ist. Weiter sind die "Bratkartoffeln" ausgestellt, ein Versuch jedes Wort und den sich verändernden Hauptbegriff des Satzes: "Und so zeichnet man ein(e) .. . oder etwa nicht" zu zeichnen. Ein Effekt dieser wirklich komischen Serie ist der: die Zeichnungen zu den "Großen", zur Liegewiese, zum Telefonhörer , 152

zur Zigarettenkippe oder zur heißen Brühe stehen den Zeichnungen zu den "Kleinen", den 'sos', den 'mans' und den 'oders' oft in gar nichts nach ... Es finden sich dann noch einige Zeichnungen, die der Absicht und dem Zufall nachspüren und ein Satz, der eine düstere Ahnung einmal benennt und bebildert: "Die Dinge, die aus der Kunst verschwinden müßten, sind wohl gerade die, die die Kunst ausmachen" . Barbara Schnierle

• •

Er, der vom Klischee des Helden abweicht, der fast so etwas wie ein Antiheld geworden ist, weil er sei· ten siegte. Wer konnte Niederlagen und Verluste mit solch gekonnter Lässigkeit hinnehmen wie er? In jüngster Zeit hat sich Härtling mit diesem Identifikationsobjekt Bogart auseinandergesetzt (in seinem Roman 'Hubert oder die Rückkehr nach Casablanca') . Ich sage " Objekt", weil das Subjekt 'Bogart' in diesem Zusammenhang völlig uninteressant ist. Der Mythos hängt an einer Kunstfigur, die sich im Gedächtnis des Kinobesuchers aus vielen Filmszenen zusammensetzt. So zeigt ihn auch Hahn mit hochgeschlagenem Mantelkragen, Hut und Zigarette. Selbst wenn Hahn einen Menschen aus dem Leben selbst zur Darstellung auswählt, malt er ihn , wie z.B. den Mafioso Salvatore Giu liano, in Heldenpose, in der sich jener selbst gesehen und damit in Szene gesetzt hat. In den Grafitzeichnungen auf Leinwand sorgt Hahn durch nachträgliche Verwischungen für das Abbröckeln des Glanzes. Plötzlich wird hinter dem Mythos der Kunstfigur ein lebendiger Mensch spür-

TOMAS SCHMIT

Friedemann Hahn: Realismus 'der Unwirklichkeit Galerie v. Loeper, Hamburg l ) 10.3.-10.5.82 Alle Versuche Hahn einzuordnen, mündeten irgendwo im "Realismus" . Aber ihm fehlt die Anklage der übersteigerten Wirklichkeitsdarstellung der jüngeren Realisten, zu denen man ihn mit seinen 31 Jahren wohl rechnen müßte. Gleichermaßen fremd ist ihm die sichtbare Präzision der Fotorealisten. Auch wenn er seine Vorlagen in Standfotos sucht und diese mit Hilfe des Episkops auf die Leinwand bannt, überläßt er sich danach doch mehr dem freien Malen. Mit dem Pinsel und der Farbe baut er aus dem Grundlagengerüst das Bild einer Szene. Nicht Menschen im wirklichen Leben sind sein Thema, sondern Filmschauspieler in einer Filmszene. Hier bietet ihm der alte Hollywoodfilm ein unerschöpfliches Reservoir: Jane Mansfield, Marlene Dietrich, Clark Gable und immer wieder Humphrey Bogart.

F. HAHN, Oben: Humphrey Bogart u. Laureen Bacall, 1979, JOO x 120 cm Unten: Salvatore Giuliano, 1975/76, 120 x 100 cm


bar. Eine sanfte Melancholie liegt in ihnen, die uns dann die glanzvollen Ölbilder mit kritischerem Abstand betrachten lassen . Alles ist da keineswegs hundertprozentig gelungen. Wenn Jane Mansfield mit grünen Farbtupfern überzogen wird, dann wirkt das eben wie nachträglich hineingesetzt, auch wenn Jürgen Schilling (in seinem Katalogbeitrag, Freiburg 1980) schreibt, daß Hahn das Bild "zu schön war", und diese "Zerstörung" akzeptiert. Überzeugend dagegen ist "Mary McDonald". Ganz in Goldbraun und Violett gemalt, ist es nicht das Abbild einer Traumfabrik, sondern die Neuschaffung derselben, selbst so ein Glitzerding. Das stark geschminkte Gesicht, das wallende Goldhaar, zeigen die Frau in der -Rolle,wie sie die Männerwelt der Traumfabrik geschaffen hat: als Ti-

gerin in Goldfolie verpackt. Nur der Blick schwankt etwas zwischen verführerisch und melancholisch, aber ein wenig Seele war ja auch der Frau erlaubt. Kritiklose HeIdenverehrung in schöne Bilder verpackt? Kritik üben will Hahn wohl wirklich nicht; und doch macht man mit seinen Bildern, besonders, wenn sie in sich so stimmig sind, wie das letztgenannte (vgl. auch Abb.), eine zwiespältige Erfahrung: Erst läßt man sich völlig einsaugen, geht selbst in diesem Traumgebilde auf, um dann Abstand zu gewinnen . Vor allem die Frage "wie muß die Wirklichkeit ausgesehen haben und aussehen, daß der Mensch sich Bilder nach seinen Träumen zum träumen schaffen mußte und muß?" Hanne Weskott I) geschrieben anläßIi"ch F.H. in der Galerie Hermeyer, München

fast, aber nicht völlig real zu machen, ist es, die Boyd Webb an diesen Arbeiten fasziniert. Die ständige Suche nach dem Grad von Realttät auf den Photos paart sich beim Betrachter mit der gleichermaßen ständigen Suche nach einer Bedeutung der abgebildeten Arrangements. Man will diesen Darstellungen, die einen starken theatralischen Reiz haben, eine Geschichte abringen, die den Sinn aufschlüsselt. Mit der offensichtlichen Absurdität gibt man sich nicht zufrieden. Doch die Bilder gebärden sich wie ein Rebus ohne Lösung. Heinz Thiel

JUD Suzuki in 'Vier Düsseldorfer Bildhauer' in Mari (bis 31.5.)

BOYD WEBB, One Bird, 1981, 77 X 108 cm

Boyd WebbPhotoskulptureD Westfälischer Kunstverein Münster 'Amalgame der Täuschung' nennt Boyd Webb (1947 in Neuseeland geboren, in London lebend, als Bildhauer ausgebildet) seine neuen Photo-Arbeiten. Aber mit Photographie oder Photokunst haben sie nur dem äußeren Schein nach etwas zu tun; sie wirken eher wie Installations-Dokumente. Aber auch das entlarvt sich als Schein. Auf den gleichmäßig großen Abzügen verstecken sich sehr unterschiedliche Größenverhältnisse. Was Boyd Webb als Szenarium abbildet, ist irreal und synthetisch, gleichermaßen aber wieder sehr handgreiflich. Beim genaueren Betrachten lassen sich die einzelnen Bauteile gut auseinanderhalten:

Körper oder Körperteile (Fische, Arme), die einen Anschein von Lebendigkeit erwecken, reale Gegenstände (Spielzeugmöbel, Reiß verschluß, Buch, Kette), silhouettenhaft geformte oder ausgeschnittene Stoffe oder Bleche (als Berge, Tiere, Wände) und Malerei (Wolken, Vögel, Figuren, Hintergründe). Thematisch herrschen Landschaften und Interieurs vor. Die Landschaften erschaffen Natur neu, doch als Ansammlung von künstlichen Werten; die Interieurs erschaffen Raum durch die Verquickung scheinbar beliebiger flächiger und räumlicher Elemente. Boyd Webb baut diese Szenarien auf (erstellt sie also wirklich) und photographiert sie. Aber nur das Ab-Bild wird dem Betrachter vorgeführt. Die Szenarien werden zerstört - als Kunst existiert nur ihr Schein. Die Möglichkeit, etwas

Bodenskulpturen aus Granit, bzw. Marmor, und Leuchtstoffröhren akzentuieren die bildhauerischen Arbeiten der letzten bei den Jahre des in Düsseldorf ansässigen Japaners Jun Suzuki. Das natürliche und das künstliche Material werden auf eine Weise miteinander verbunden, die auf den ersten Blick willkürlich erscheint. Alle Steine sind gesprengt oder zerschnitten, ohne daß die Lichtspuren der Leuchtstoffröhren damit in einem (erkennbaren) ursächlichen Zusammenhang stehen. Sie sind vielmehr ein zusätzliches Element, daß sich erst in der Entwicklung dieser Werk reihe stückweise in den Stein integriert. Die Neon-Farblinie wird auf zweifache Weise 'gefangen' gehalten: durch den Glasmantel der Röhren und durch den Stein, den sie durchdringen. Und dennoch scheinen sie der lebendigere Teil der Skulptur zu sein, obwohl doch der Stein durch seine Herkunft und seine Struktur Lebendigkeit und Natürlichkeit symbolisiert. Durch Kombinationen und Kompositio-

JUN SUZUKI 153


nen, die Suzuki vornimmt, wechseln die Materialien ihren Charakter: der Stein wirkt weicher als das fast entmaterialisierte Licht, das von schneidender Schärfe zu schmeichelnder Wärme wechselt. In zwei Aluminium-Filz-Wandobjekten erscheint das widerstandsfähige Metall wie eine dünne, leicht reiß bare Haut; in einigen GranitGlas Skulpturen wirkt das durchsichtige Material schwerer und behäbiger als der robuste Stein. Mit den Begriffen Zerstören und Durchdringen läßt sich der formale Aspekt der Arbeiten Suzukis charakterisieren. Dieser aktive Prozess mündet aber gleichwohl in einem Gleichgewicht, das durch den Eindruck von Umkehrung der MaterieEigenschaften eine dauerhafte Ruhe einkehren läßt. Heinz Thiel

Shigeko Kubota: Videoskulpturen Daad-Galerie Berlin, Museum Folkwang Essen, Kunsthaus Zürich (28 .8.-3.10.) "Übrigens sind es immer die anderen, die sterben" - aus dieser Grabinschrift Marcel Duchamps hat die lapanerin Shigeko Kubota ein künstlerisches Programm gemacht. Sie hat den schon zu Lebzeiten durch die kunstgeschichtliche Verewigung unsterblichen Duchamps in fünf 'Duchampiana'Video-Skulpturen nochmals in der zeitgenössischen Kunst verankert. "Einmal auf Videoband aufgenommen, steht es einem nicht mehr frei zu sterben", hatte Nam lune Paik, bezogen auf die Speicherkapazität 154

des elektronischen Mediums, gefolgert. Für Shikego Kubota ist diese technische Form, Unsterblichkeit herzustellen, zum Auslöser geworden, mit Fragmenten westlicher Kultur und Zivilisation zur Zeitlosigkeit asiatischer Meditation vorzudringen. Die Videotapes von Kubota lassen vergangene Zeit für den Betrachte~ jederzeit wieder lebendig werden (und sie ebenfalls durch den vorgegebenen Sequenzrhythmus wieder abstrakt erscheinen), doch durch die Fassung in ein 'skulpturales Gehäuse' wird die technische Zeitlichkeit gleichzeitig wieder aufgehoben. Die TV-Boxen/ Monitore, als Matrix für die Tapes, sind eingebettet in Skulpturen, die als reale Formen (Fenster, Doppelraum mit Tür, Treppe) ein Stück Kunstgeschichte nachbilden (vorgeprägt in den Werken von Duchamp) oder durch ihre abstrahierten Formen allgemeine Gültigkeit haben (Grabstelen, kubische Bergformen). Der skulpturale Mantel ist ein statisches Element und damit ein Element der Ruhe. Die Video-Sequenzen nähern sich dieser Ruhe ebenfalls an, weil sie dem Betrachter nur Bilder, nicht aber Hintergründe und Ursachen für diese Bilder vermitteln. Unser Ursache-Wirkung geschultes Denken wird durch die Folgenlosigkeit des Bildmaterials ad absurdum geführt. Die durch Syntheziser verfremdeten Sequenzen nähern sich der reinen Malerei. Technik wird in der Handhabung von Shigeko Kubota zum 'art material', Bewegung zum Auslöser mediativer Ruhe . Elektronisch gebannte Wirklichkeit (Realität) fesselt nur noch das Auge des Betrachters, so daß der Geist frei von der Gegenwart zur Vergangenheit schweben kann. Heinz Thiel

Bömmels, Dahn, Dokoupil, Kever, Naschberger. Wem mehr Aufmerk· samkeit zukommt und wem mehr zu Recht, sei dahingestellt. Interes· santer schon, was sie unterscheide! und wie sie Berlin, das sich ja kom· munalerseits schon immer um den interessierten Blick auf die Insel· stadt bemühte, nun aus der desolaten Provinzlage herauszubringen halfen. Berlin ist nun nicht mehr allein der Ort in züchtiger kritischer Realisten. Berlin holt Luft - aus dem flirrenden Licht einer Stadt, die nichts weiter ist als Stadt. In der Schweiz, dem Land der vielen grünen und gepflegten Wiesen ausgerechnet, startete die Ausstellungstournee mit dem signifikanten Titel "Im Westen nichts Neues. Wir malen weiter". Nach Luzern und Genf - gegenwärtig zwei Hoch-

Berliner in der Kunsthalle Wilhelmshaven 1981

Berliner auf Reisen Überlegungen an läßlich einer vorläufigen Endstation in der Neuen Galerie-Sammlung-Ludwig/ Aachen Zwei Städte, besser einige wenige Maler zweier Städte konkurrieren gegenwärtig um die Gunst der kunstinteressierten Öffentlichkeit im In- und Ausland: Der aus der Künstler-'Riege' um die Galerie am Moritzplatz hervorgegangene engere Kern wie Fetting, Middendorf, Salome, Zimmer, dazu Castelli; und die Künstler der "Mülheimer Freiheit" aus Köln, Adamski,

RAINER FETT/NO, Seine Blumen IV, 1981, Öl/Lw., 230 x 160 cm


burgen für aktuelle Kunst in der Schweiz - enqet diese Reise vorläufig in Afichen. Im vergangenen Jahr suchten breitere Kreise der jungen Berliner Kunstszene auch in Frankreichs einstiger Provinz die Aufmerksamkeit: Nizza, ebenfalls zum Experimentierfeld für junge Maler avanciert - und in Deutschland Wilhelmshaven. Derweil führt man in New York wahre Kriege gegen die 'heftig' einbrechenden Berliner. Das Haus muß sauber, will meinen amerikanisch bleiben. Und sie kommen doch. Warum? Wenn sich vielerlei Ähnlichkeiten in der jungen Kunst Mitteleuropas ausmachen lassen, so zeigen die Berliner - jedenfalls ihre prominentesten Vertreter Castelli, Fetting, Middendorf und Salome - eine Eigenart, die sie auf bemerkenswerte Weise unterscheidbar macht: Ihr Ambiente ist auf radikale Weise das städtische Klima der Industriekultur, in der das Neonlicht das Sonnenlicht, der Nikotinqualm den Sauerstoff, die gewollte Perversion der Schwulenwelt die erlaubte Harmonie des braven Eros des Platzes verwiesen haben. Die Anfänge liegen in der Affinität zum Punk. Verglichen mit den wahren Punks sind die Kulturpunks natürlich eher zivilisiert - und das schon durch die Entscheidung zur Malerei - die behandeln sie äußerst diszipliniert - wenngleich heftig. Es ist wie einst in den 20er Jahren eine Malerei der Halbwelt, flächiger, schablonenhafter, vor allem natürlich ohne gesellschaftliche Zielsetzungen, es sei denn jene des Seiltanzes, den 'geile Tiere' zur Selbstbefreiung im Dschungel der Disco- und Neonstädte aufführen können. Die Gleichzeitigkeit von vehementer Leuchtkraft und völliger Oberflächenwirkung der Farben, die erotische Körperlichkeit als Schablone, die Bewegung als künstliches Produkt städtischer Massenreizung und ihrer noch künstlicheren Übersetzung in Malerei, das wird von den 'vier Heftigen aus Berlin exemplarisch vorgeführt - radikalisiert als schemenhafter Tanz auf dem erloschenen, nurmehr künstlich erhellten Vulkan der westlichen Industriekultur. (Was Bernd Zimmer in diesem Reigen tut, bleibt allerdings fraglich. Die Sehnsucht nach einer anständigen Kuh mag man ja in Berlin verstehen. Gemalt wird er vielleicht die eine oder andere im Museum finden. April/Mai 82) Annelie Pohlen

SALOME, Seiltänzer, 1979, Disp.lNes., 240 x 400 cm

LUCIANO CASTELLI, Porno, 1981, Disp.lLw., 280 x 320 cm

HELMUT MIDDENDORF, Electric Night III, 1981, Kh .lLw. 230 x 380 cm 155


"Kommen Sie 'mal einem Punker mit einem Buch!" Jörg Immendorff "Cafe Deutschland - Adlerhälfte' , - Kunsthalle Düsseldorf Am Kragen seiner schwarzen Leder-Jacke prunkt ein roter chinesischer Buchstabe und ein Pinsel in Form eines Fragezeichens. Um den rechten Arm trägt er einen breiten Silberreif. Den schmückt, weil er es allen Bürgern spenden kann, eine Gravur seiner Blutgruppe und als Wulst aufgesetzt das Zeichen der Gesellschaft der deutsch-chinesischen Freundschaft. Einmal, vor Jahren - und in Euphorie - ließ er es sich auch auf einen Arm tätowieren und ist nun bis auf alle Zeiten damit geschmückt. Vor allem Engagement ist der Cafe-Deutschland-Zyklus immer auch atmosphärisch. Sein vorherrschender Eindruck: Eisschollen, Dunkelheit, gleißende Lichtkegel. Doch die Ausstellung zeigt auch schöne expressive Skulpturen aus Linden-Holz. Das Kernstück der 70 Gemälde der Ausstellung sind etwa 19 sehr großformatige Leinwände vom Format 3 x 4 Metern. Mit der dunklen aber gesättigten moralischen Palette eines neo-expressiven Künstlers trug der 37-jährige Düsseldorfer Künstler Jörg Immendorff all jene malerischen Kommentare dessen zusammen, was ihm schlagzeilen artig zum Thema "Geteiltes Deutschlaqd" einfiel. Farben und Groß formate erinnern an den amerikanischen Regionalisten und Realisten Thomas Hart Benton, der in den USA in der Zeit der großen Depression malte. Das Kernstück - das Cafe - ist das Stammlokal und die Diskothek des Künstlers in der Düsseldorfer Altstadt in der Bolkerstraße mit dem flotten Namen "Revolution". Hierhin verlegt Immendorff die deutsch-deutsche Wirklichkeit. Das Cafe wird zum Spiegelkabinett von Erlebtem, Phantasiertem und Erdachtem. Personen erscheinen als Chiffren und Schemen. Gegenstände werden dagegen zu phantasievollen und spritzigen Emblemen. Erkennt man Personen und Figuren, wie etwa den aus der DDR ausgebürgerten Wolf Biermann, Robert Havemann in Isolierhaft, Rudi Dutschke beim Schachspiel, wobei ihm Hans Martin Schleyer als Gefangener der terroristischen Bewegung zuschaut - oder auch Mao, 156

Marx, Engels, Lenin - oder den mit einer Geburtstagskerze werfenden Bertold Brecht, so verhindert doch die verallgemeinerte Physiognomie dieser Personen weitere Einsichten in das, was sich der Künstler denn dabei dachte. Das zu Entziffernde müßte nochmals entziffert werden, um sich seinem Sinn nur erst anzunähern. Das ist das Dilemma dieser politischen Malerei. Immendorff malt keine deutschdeutschen Geschichten. Er malt im marxistischen Bilderbuchstil deren Legenden. Dabei bleiben häufig die Gesichter der Toten und Lebendigen, die sich im "Cafe Deutschland" zum eisig-chaotischen Stelldichein treffen, merkwürdig abstrakt und auch blutleer. Die expressiv-zerklüfteten ein wenig zugemalten Leinwände müssen buchstäblich mit den Augen, Zentimeter für Zentimeter abgetastet werden, um im schwierig bleibenden Verfahren politische Metaphern von Realien zu trennen. Realien finden sich meist sehr klein und in den Hintergrund von Bildszenerien gedrängt in ansonsten quirligübervollen Gemälden. Da gibt es kleine Verweise auf die Einfuhr von PKWs in die DDR, über die Atompolitik der Bundesrepublik, kaum über die Friedensbewegung. Daß, obwohl Jörg Immendorff, noch bis zum letzten Jahr als Hauptschullehrer arbeitend, immerhin auch mit Erfolg für die 'Bunte Liste' kandidierte. Ein größeres Bild erinnert entfernt daran. Darauf befinden sich ein riesiger roter und ein riesiger grüner Stuhl miteinander im Wettstreit. Beide Stühle gleichen unbesetzten Monstren. Manchmal malt der Künstler sich selbst im Gewimmel seiner Protagonisten. Einmal steckt er zum Gruß die Hand durch ein Stück der 'Berliner Mauer' in Richtung Osten. Dort lebte seinerzeit noch der Maler-Kollege A.R. Penck, den Immendorff 1979 in Dresden besuchte. Ein anderes Mal bekennt ein Portrait ein sehr konventionelles künstlerisches Selbstverständnis. Es spaltet den Maler in einen Narzißten im dunklen Leder-Dress und in den Macher im obligatorischen Overall. Vielleicht sind solche psychologischen Eitelkeiten am Ende ein gravierender Grund dafür, warum man beim langen Hingucken den Eindruck nicht los wird, der begabte Maler Jörg Immendorff habe hier ein schönes Thema total-gemalt? Der Bilderzy-

klus besiegelt - und greift doch niemanden an. Und auch vom Künstler erzählt er uns mehr Legenden als Biographie, das phantasievoll verpackt. Immendorff will nicht mehr raus mit der Sache, so scheint es. Er malt im Tempo, das jedermann schon an rasche Vermarktung denken läßt. Dagegen sind die Skulpturen noch sorgfältiger gemacht. Die Merkmale des Ehrgeizes, den allzuschnellen Willen, als bare Münze an den Mann zu kommen, zeigen sie nie oder nicht. 1973 bis 1976, da waren Immendorffs Bilder noch wacher, direkter, ja auch aggressiver. Das machte den Reiz und die Deutlichkeit seiner Themen damals noch aus. Damals ('76) ging er als Vertreter der Bundesrepublik mit Bildern, die Supermächte und Berufsverbote anklagen, zur Biennale nach Venedig. Damals, so erzählt er, habe ihm ein Gemälde "Caffe Greco" des Kommunisten und italienischen Realisten Renato Guttuso zum Widerspruch und zum Beginn seines »Cafe-DeutschlandZyklus« animiert. Das Gemälde des Italieners erschien ihm zu historisierend und distanziert, bekennt er. Aber, auch der »Cafe-Zyklus« von Immendorff ist in seiner Masse eine sehr distanzierte Ansammlung von Bildern. Jörg Immendorff hatte, bevor er jetzt erstmalig eine große Schau in der Bundesrepublik erhielt, bereits erheblichen Erfolg in Städten des Auslands wie Utrecht, Basel, Bern und Eindhoven. Zur »documenta 7« nach Kassel wird er im Juni ein »Brandenburger Tor« aus Bronze tragen. Fünf phantastische Säulen tragen einen Torkopf, der eine Eisscholle darstellt. Drei dieser Säulen in der Düsseldorfer Ausstellung haben bereits als Holzskulpturen auf das Tor hingewiesen. Warum ein Brandenburger Tor? Dazu der Maler: "Das Kernstück der Identifikation mit der deutschen Frage ist uns verlorengegangen. Doch, niemand hat es gewonnen. Es steht im Niemandsland" . Eine Ausstellung mit 50 Zeichnungen zum »Brandenburger Tor« organisiert für den Sommer Riva Castleman vom New Yorker 'Museum of Modern Art'. Sie wird auch in Buchform erscheinen und im Spätsommer in Museen in San Francisco und Chikago zu sehen sein. Jörg Immendorff, geboren in Bleckede am westlichen Elbufer,


J. IMMENDORFF, Modell für D7

lebt und arbeitet seit 1963 in ' Düsseldorf. 1964 wurde er Student bei Joseph Beuys, der ihm 'das kleinesatirische Beuys-Portrait "Mona Schwana" abkaufte, eine wortschöpferische Synthese aus der von Beuys verehrten "Mona Lisa" und der "Schwanenburg" in Kleve. In den 60er Jahren wurde er durch die von ihm ernannte "Lidl"Akademie bekannt, mit der er satirische Polit-Aktionen durchführte. In seinen heutigen Bilderbögen will er die ganze Spanne der Zeit zeigen: von den politisch aktiven Jahren um 1968 bis zu den passiven der Punkgeneration. "Denn kommen Sie 'mal einem Punker mit einem Buch über politische Theorie. Der zeigt Ihnen doch bloß einen Vogel." (J.1. gleichzeitig bei H . Strelow) Gislirid 'Nabakowski

"Dimension '81 Neue Tendenzen der Zeichnung" Kunstmuseum Düsseldorf Wieder hatte die Philip Morris GmbH zu einem Kunstwettbewerb aufgerufen. Mehr als 1.300 Künstler schickten Diapositive von insgesamt 3.900 Arbeiten ein. Daraus wählte die Jury - Dorothea Baumer, Eduard Beaucamp, Dieter Honisch, Hans Albert Peters, Eberhard Roters, Peter Spielmann und Wolfgang Jan Stock - 154 Künstler aus, von denen schließlich auch die drei Preisträger ermittelt wurden. Eine Wertstaffelung der Preise wurde diesmal durch die Auszeichnung 'dreier unterschiedlicher künstlerischer Haltungen' umgangen. An den Anfang des Kataloges stellten die Juroren ein Streitge-

JÖRG IMMENDORFF, Rede an meine Bilder, 1982, Öl/Lw. 350 x 250 cm

spräch, in dem von Herrn Peters 'essanter. 'Softzeichnung 11' nennt auf die Gefahren einer solch demo- sie diese Zeichnung ohne Stift. Alkratischen Jurierung in der Kunst lerdings wirkt eine davor gespannte hingewiesen wurde. Extreme Hal- Museumskordel (in München, tungen, seien sie auch noch so zu- Anm.d.Red.)in jeder Beziehung als ' kunftsträchtig, werden allemal überdimensionale Sperre. schneller ausjuriert als das durchHier wäre auch Kurt Bennings schnittliche und allgemein Aner- auf die Wand gezeichnetes 'Raumkannte. Wie berechtigt diese Be- dreieck 2' zu nennen, das den Zufürchtung war, beweist das Ergeb- sammenstoß der Raumbegrenzunnis: das Mittelfeld hat sich durchge- gen - Decke und Wände - opsetzt. tisch in einen Schwebezustand verGrenzüberschreitende Versuche setzt. sind äußerst selten, wenn auch der Timm Ulrichs' Installation 'das eine Preisträger - Udo Idelberger blaue vom Himmel' verliert, bis es - für seine 'Felszeichnungen' aus- die Erde erreicht, sein hauptsächligezeichnet worden ist. Fotos zeu- ches Merkmal- die blaue Farbe gen von seinem Tun in Gran Cana- und erscheint mir deshalb wie ein ria, das ich nur als reichlich über- Symbol für die hier vorgeführte flüssig bezeichnen kann. Irgendwel- Zeichenkunst und die allgemeine che bereits vorhandenen Felsein- Ausstellungssituation: das blau einschnitte etc. durch weiße Disper- gebundene Buch hat nur weiße Seisionsfarbe hervorzuheben, kann ja ten; die Farbe hat sich in der Verganz reizvoll sein, aber mehr ist es packung verausgabt. nicht; vielleicht ein Kraftakt in Der zweite Preisträger - Werner Richtung Modernität? Knaupp - setzt sich selb st GrenzsiDa ist der Papierblock der Ritzi tuationen aus: seine Gouachen entJakobi vom Grundansatz her inter- standen nach einem langen Aufent15 7


halt im Krematorium. In ihrer samtenen Schwärze wirken sie fast zu schön, als daß sie noch ihr eigentliches Thema, die Vergegenwärtigung der Verletzlichkeit menschlichen Lebens, entwickeln könnten. Der dritte Preisträger - Bernd Kirner - ist der bodenständigste; weder entschwebt er in ungewisse Fernen, noch muß er sich Extremsituationen aussetzen, um zu arbeiten. Er 'setzt das Motiv, einen Akt und die Muster eines Kleides in zeichnerische und malerische Werte um', heißt es da lapidar. Was an den Blättern beeindruckt, sind die Ambivalenz von Motiv und zeichnerischer Struktur, der freie, fast monumentale und zugleich differenzierte Einsatz und die Akzentuierung der Fläche' (aus der Begründung der Jury). Ziemlich allgemein gehalten ist diese Beurteilung. Doch ist Kirner immerhin noch etwas Eigenes eingefallen. Sonst spuken Beuys und Christo, Pichler u.a. allenthalben herum. Da fällt ein Jiri Hilmar direkt auf, obwohl das so ruhigen, ganz der seriellen Reihung verschriebenen Arbeiten wirklich schwer fällt. Im Ganzen gesehen deprimiert diese Ausstellung ob ihrer Bravheit und Durchschnittlichkeit. Man wird das Gefühl nicht los, daß die einzige Dimension, an der die Jury die Arbeiten gemessen hat, die Dimension der bekannten Räumlichkeit des Kunstvereins (München, Anm. d. Red.) war. Eine Versammlung \'on Profis läßt sich nicht herausfordern! Hätte man nicht einem Christoph Gais oder einer Susanne Mahlmeister z.B . die Möglichkeit zur Verwirklichung eines neuen Konzepts geben können, statt mit den billigeren aber sicher auch wirkungsloseren Fotos zu fungieren? (In Düsseldorf ist eine Raumzeichnung ausgeführt, Anm.d.Red.) Am Geld wird's wohl nicht gelegen haben , den n wo gibt es einen großzügigeren Sponsor als Philip Morris? Vielleicht liegt das Dilemma in den Köp fen unserer arg verwalteten und verwaltenden Kunstfunktionäre, die einen großen Teil der Jury bildeten. So ist eine Art grafisches Kabinett entstanden, aber keine Ausstellung \'on ' euen Tendenzen'. Eine \'erpaßte Chance, von der nur ein gut gemachter Katalog bleibt, der manchmal mehr verspricht, als die Vorlagen halten. (vorher Kunstverein München und Berlinische Galerie) Hanne Weskott 158

UDO IDELBERGER, " Gran Canaria landmarks, altitude zero" (Detail), 2 x 20 x 20 (Tiefe) m

PACO R. KNÖLLER, o. T., 1980, Rostschutif.lPap., 150 x 239 cm

REINER RUTHENBECK, Überkreuzung BlaJ./-Rot auf Schiebefenster, 1982, Farbband auf Glasscheibe, ca. 70 x 70 cm


Reiner Ruthenbeck Konrad Fischer IDüsseldorf Zentraler "Gegenstand" der neuesten Ausstellung bei Konrad Fischer ist die Diagonale, die sich zum Kreuz fügt. Dabei stehen einem labil an der Wand lehnenden Kreuz aus einem schwarzen und einem weißen Stab zwei Arbeiten gegenüber, in denen erstmals wieder bei Ruthenbeck der Farbe Platz eingeräumt ist. Indes, selbst minimalste Kenntnisse von den Gesetzmäßigkeiten der Farbe reichen aus, um nachzuvollziehen, daß Rot und Blau - um diese beiden Farben handelt es sich - jene Mischung ergeben, die in Ruthenbecks Werk schon immer eine zentrale Rolle spielten, die Farbe Violett, erhaben, distanziert, mediativ . Aus den vier Raumecken sind kurz unterhalb der Decke zwei Metallschnüre verspannt. An ihrem Schnittpunkt ist jede Schnüre umwickelt, die eine mit einem roten, die andere mit einem blauen Faden. Die darüber befindliche Neonröhre läßt die mögliche Vereinigung im Ansatz bewußt werden, ohne sie real zu vollziehen. Die Spannung zwischen realem Sein und Möglichkeit werden im zweiten Werk erweitert durch die einzig vom Bewußtsein zu vollziehende Ganzheit der auf zwei nebeneinanderliegende Räume verteilten Diagonalen . Ausgehend vom kleineren Raum, dessen Wand das Ausmaß und die Lage des einen Elementes (bemalte Holzlatte) bedingt, folgt ihr komplementärer Teil auf der rückWärtigen Wand des benachbarten Raumes mit Zwangsläufigkeit. Die Spannung greift ins Bewußtsein. Als Totale ist das Werk nicht wahrzunehmen. Doch die Elemente strahlen auch als einzelne - trotz der leuchtenden Farbe eher unterkühlt - Energien in den Raum aus, von wo aus sich die Spannung fortsetzt in einem erregenden mentalen Erleben der Totale. In diesem Werk, welches in enger Nachbarschaft zur schwarz-weißen Stabkreuzung angesiedelt ist, sind die spirituellen Spannungsverhältnisse zwischen Materie und Idee, Balance und Schwerkraft, Raum und Form, Zeichen und Energie, Form und Irritation, Teil und Einheit in der materiellen Erscheinung aufs äußerste reduziert - trotz der Farbe - und im spirituellen Bereich in demselben Maße intensiviert. (27.3.27.4.82) Annelie Pohlen

Gaston Chaissac Galerie Heike Curtze/Düsseldorf, Wien Dubuffet war dem Werk des gelernten Schuhmachers Gaston Chaissac seit ihrer ersten Begegnung auf dem Salon des Independants zugetan . Gaston Chaissacs manisches Herumexperimentieren mit den Exkursionen der ungehemmten Fantasie, das Aufsaugen von Graffiti, Bildnereien der Primitiven, seine Neigung, alles an Fundstücken und Resten in seine Arbeit zu integrieren, traf in den Nerv intellektueller und künstlerischer Erneuerung seiner Zeit. Die Verwandtschaft ist den Arbeiten, die von der Galerie Curtze vorgestellt werden, leichtens abzulesen. Doch, was namentlich Dubuffet zu einem gezielten Akt künstlerischen Aufbruchs in die Zonen des ursprünglichen Bewußtseins diente, strömte bei Chaissac aus der weniger reflektierten, denn allenfalls ironisch kommentierten Phantasie eines Kindes, das sein Erwachsen sein schon ob der vielen schmerzlichen Erfahrungen nicht leugnen konnte. Malend, zeichnend, montierend, schreibend hat

sich der 1910 geborene Handwerkersohn gegen seine Umwelt zur Wehr gesetzt; so nur hat er existiert, wiewohl er im materiellen Sinne von seiner Kunst nie leben konnte. Die Fantasien strömten exzessiv und wuchsen sich aus zu menschlichen Figuren und Gesichtern. Ihre Existenz verzeichnet ihre Herkunft aus abenteuerlichen Reisen in den Urzustand von Bildern als rituelle Masken wie ihre Begegnung mit den grinsenden Fratzen der Gegenwart. Sie setzen sich zusammen wie zu Gebirgen geschichtete Flächen, die durch die Kontur ebenso wie durch die Farbe klar voneinander abgesetzt sind oder zerstreuen sich in graffitiähnlichen Zeichen. Die Farben sind intensiv, ohne zu explodieren. In den Collagen sind es hier und da vorgefundene Tapetenmuster , die das Bemalen mit dem Pinsel ersetzen. Vagabundierende Fantasien mittels wacher Ironie vor dem Absturz ins Urselige bewahrt. Zeitgenössische Freiheit von Normen und Absichten, es sei denn jenen, sich in der Kunst einen eigenen Kosmos zu schaffen. (25.3.-16.5 .82 in Düsseldorf) Annelie Pohlen 159


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Bauhaus-Archiv/ Museum

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F.E. WAL THER

F.E. Walther: Werkzeichnungen Museum Haus Lange/Krefeld; Galerie Klein/ Bonn Da das sinnliche Erleben des Kunstwerkes Vorrang vor der Herausforderung intellektueller Fähigkeiten gewinnt, erzielt die Betrachtung von F .E. Walthers Werkzeichnungen, die zwischen 1968 und der Mitte der 70er Jahre den 1. Werksatz gewissermaßen als Tagebuchnotizen begleiteten, erhöhte Aufmerksamkeit. Im Museum Haus Lange sind sie in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler um Fotos von Handlungen mit den Objekten gruppiert. In der Galerie Klein findet sich eine kleinere, hier und da auch nur einzelne Blätter vorstellende Auswahl ohne den optischen 160

den intellektuelle Impulse einfließen wie intuitive und nicht zuletzt anarchisch verströmende. Die Werkzeichnungen sind Niederschriften eines fortschreitenden künstlerischen Klärungsprozesses. Es bleibt zu hoffen, daß sie auch zur Klärung der gegenwärtig in Regalen ruhenden Objekte im Bewußtsein des Publikums dienen und nicht einzig zur Ersatzbefriedigung eines nurmehr über die Sinne erreichbaren Bewußtseins. (Krefeld 14.2.-18.4.; Bonn 15.3.-30.4.; 1981 Werkzeichnungen in der Produzentengalerie, Hamburg) Annelie Pohlen

Bezug zum Objekt. Die Werkzeichnungen, Vor-, Auf- und Fortnotierung physicher, psychischer und spiritueller Erfahrungen im Umgang mit den Objekten, können indes auch als Beleg dafür gelten, daß Walthers Angebot zum Erleben der umfassenden Energien des menschlichen Individuums als Alleinseiendes im Raum wie auch in der Kommunikation mit anderen beileibe nicht auf der intellektuellen Ebene alleine stattfand und -findet. In der Zartheit dieser im Eriebnisprozeß entstehenden Zeichnungen, im Miteinander und Gegeneinander von Linien und Flächen als Zeichen gezielter und ausschweifender Energieströme klärt sich die Bedeutung der Objekte des 1. Werksatzes als Werkzeuge eines zwar disziplinierten, aber umfassenden humanen Energiestromes, eines Stromes, in

Wissenschaftszentrum, Bonn-Bad Godesberg, Oktober-November 1981 " Von der Malerei zum Design" hätte auch der Untertitel der Ausstellung lauten können, mit der das Berliner Bauhaus-Archiv/ Museum für Gestaltung im Herbst 1981 im Wissenschaftszentrum in Bonn-Bad Godesberg zu Gast war. Denn mit diesem Motto ist durchaus treffend der historische Entwicklungsprozeß von der freien Kunst hin zur angewandten Gestaltung umschrieben, der für das Bauhaus summa summarum ebenso typisch war wie für die russische Kunst nach der Oktoberrevolution. Andererseits - und die Ausstellung, über die hier zu berichten ist, machte dies exemplarisch deutlich - ist nicht zu übersehen, daß die am Bauhaus lehrenden Meister wie Itten, Klee, Kandinsky, Schlemmer, Moholy-Nagy u.a. keineswegs Rodschenkos radikale Überzeugung teilten, daß die Malerei zu Ende und das Heil nur auf dem Gebiet des Design zu suchen sei. Es ist immer gemalt worden am Bauhaus, in den ersten Jahren "inoffiziell", ab 1928 mit der Einrichtung "freier Malklassen" durch Kandinsky und Klee sogar "offizielI" . Institutionell abgekoppelt von der unter der Direktion von Hannes Meyer energisch forcierten Produktivarbeit in den Bauhauswerkstätten frönten sie allerdings nur ein abgeschiedenes Elfenbeinturmdasein, und es ist evident, daß Bauhausihre Existenz der Gründungsutopie von Gropius (Integration aller Kunstgattungen und


Handwerkssparten unter dem Anspruch des Primates der Architektur) eindeutig zuwiderlief. Hier ist nicht der Ort, derartigen Fragen ausführlich nachzugehen, auch nicht, die wechselvolle und l.T. widersprüchliche Geschichte des Bauhauses aufzurollen - von der expressionistisch-sozialromantisch geprägten Gründungsphase bis hin zur Entstehung dessen, was zuweilen mit kritischem Unterton als "Funktionalismus-Schmiede" bezeichnet worden ist. Zu sprechen ist von einer Ausstellung, die nicht nur hervorragend inszeniert war (wie mir scheint besser noch als die Eröffnungsausstellung im neuen Gebäude des Berliner BauhausArchivs am Landwehrkanal Ende 1979), sondern die durch ihre Auswahl z.T. nur selten oder überhaupt noch nicht gezeigter Exponate aus den Beständen des BauhausArchivs neue interessante Einblicke in die ästhetische und pädagogische Praxis des Bauhauses erbrachte. Zwanzig Jahre nach seiner Gründung durch Hans Maria Wingler ist das Bauhaus-Archiv heute imstande, alle Phasen des Bauhauses von 1919 bis 1933 nahezu lückenlos und mit repräsentativen Beispielen zu belegen. Das Bauhaus war eine Schule (in Dessau führte es den Namen "Hochschule für Gestaltung"), und so ist die Dokumentation und Erforschung seiner wegweisenden und weltweit wirkenden pädagogischen Konzepte seit Jahren ein zentrales Anliegen des BauhausArchivs. I) Dem entsprechend lag ein erster Schwerpunkt der BonnBad Godesberger Ausstellung auf der eindringlichen und eindrucksvollen Veranschaulichung der Vorkursaktivitäten unter Itten, Moholy-Nagy und Albers sowie der pädagogischen Arbeit von Klee, Kandinsky und Schlemmer (obligatorischer Unterricht im Rahmen des Vorkurses und darüber hinaus). Dieser Ausstellungsteil machte einmal mehr deutlich, daß es die Bauhaus-Pädagogik nie gab, daß die alles andere als ein block haft monolithisches Gebilde, ein hermetisch geschlossenes und kohärentäres System darstellt, sondern daß sie ebenso vielfältig und facettiert war, wie die am Bauhaus Lehrenden verschieden waren. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, in welch fundamentaler Weise im Unterricht am Bauhaus das betrieben wurde, was in der neueren bil-

denden Kunst gerne mit dem Schlagwort von der "Befragung der Mittel" belegt wird; und ebenso faszinierend ist es, mehr als ein halbes Jahrhundert danach den unterschiedlichen Wegen zu folgen, die damals eingeschlagen wurden, um so etwas wie eine Elementarsprache des Bildnerischen zu erarbeiten. Zugleich trug dieser Teil der Ausstellung entscheidend dazu bei, eingeschliffenen Klischeevorstellungen über einzelne Bauhaus-Meister entgegenzuwirken: so wurden z.B. all jene, die in Itten bislang ausschließlich einen irrationalen Schwärmer sahen, durch die streng konstruktiven Grundlagenstudien aus seinem Unterricht eines besseren belehrt; und wer bisher annahm, daß Albers in seinem Vorkurs exklusiv Materialübungen aus Papier, Blech und Glas durchführen ließ, konnte sich anhand der gezeigten, sog. Materials tu dien, die der optischen und haptischen Erfahrung bestimmter Materialien und ihrer z. T. imitativen zeichnerischen Darstellung dienten, vom Gegenteil überzeugen. Als ein gewisses Manko der Ausstellung ist lediglich zu vermerken, daß der herausragende Beitrag des "vergessenen Bauhäuslers" Joost Schmidt zur BauhausPädagogik auch in der Bonn-Bad Godesberger Auswahl nicht den ihm angemessenen Platz fand. Ebensowenig wie es die BauhausPädagogik je gab , hat es am Bauhaus je eine Stileinheit, eben einen "Bauhaus-Stil" gegeben. Walter Dexel schrieb zu dieser Frage 1964: "Nach dem Jahre 1945 hat ein allzu bequemer Journalismus sich nicht die Mühe gegeben, die Geschichte der zwanziger Jahre wirklich zu erforschen... Es wäre hoch an der Zeit, daß Gegner wie Freunde damit aufhörten, das bequeme Klischee 'Bauhausstil' zu verwenden, das nur die Unkenntnis elementarster Tatbestände der 20er Jahre überhaupt entstehen lassen konnte. Sehr viel wichtiger als die endlose Wiederholung dieser Phrase wäre es, endlich die aus fast ganz Europa zusammengewachsenen Gedanken historisch zu sondern und zu spezifizieren. Man kann nicht mit dem Schlagwort 'Bauhausstil' ein weit gespanntes, aus vielen Wurzeln gewachsenes Geschehen einfach zudecken. Das Wort 'Bauhausstil' ist ein Mythos, eine unerlaubte Simplifizierung ... " 2) Daß dem tatsächlich so ist, belegte der zweite Hauptteil der Bonn-Bad Godesberger Aus-

stellung, der eine _-\uswa hl von typischen Arbeiten au s de n Bauhauswerkstätte n, \-on " Designobjekten" nach heutigem Sprachgebrauch, umfaßte. Den ausgestellten Entwürfen , Modellen, P rototypen, handwerklichen Einzelstücken und industriellen Serien erzeugnissen wird man in stilistischer Hinsicht wohl kaum Uniformität nachsagen können, zum al dann nicht, wenn man sie im historischen Längsschnitt, d.h. in ihrem entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, betrachtet. Bei aller Selbstverpflichtung der meisten Bauhäusler auf das Ideal "funktionaler" Gestaltung ist doch ersichtlich, daß der Zusammenhang zwischen Funktion (wie auch immer diese definiert sein mag) und Form keineswegs so zwingend ist, wie Sullivans markiger Satz "form follows function" dies lange suggeriert hat, sondern daß der Individualität des schöpferischen Gestalters im Designprozeß ein beträchtlicher Spielraum offenstand. Abgerundet wurde die BauhausAusstellung durch einige Schlaglichter der Architektur, die ja am Bauhaus zunächst programmatisch, später dann auch faktisch eine herausragende Rolle spielte: "Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!" - dies der erste Satz des von Gropius abgefaßten Bauhaus-Gründungsmanifestes von 1919. Bekanntlich hat es aber noch bis 1927 gedauert, bis die Baulehre im Bauha,us-Curriculum durch die Einrichtung einer Architekturabteilung (Leitung Hannes Meyer) fest etabliert werden konnte. Exemplarisch für das Architekturschaffen der drei BauhausDirektoren Gropius, Hannes Meyer und Mies von der Rohe standen in der Bad Godesberger Ausstellung einige Entwurfszeichnungen und Architekturmodelle, so z.B. Gropius' Faguswerk (1911) und das Dessauer Bauhausgebäude (1926), Meyers Bundesgewerkschaftsschule in Bernau (1928) und van der Rohes Barcelona-Pavillon (1929). Wer angesichts der hohen form alen und sozialen Qualitäten dieser Architektur immer noch glaubt , das Bauhaus pauschal für die Misere unserer heutigen Städte, für die \\-ucherungen eines inhumanen \\-ohnungsbaus in den Randzone n der Ballungszentren, für die Ein fö rmigkeit unserer Hochhauslan dschaften, verantwortlich machen zu __ ön161


nen, dem sei dringend empfohlen, sich einmal möglichst vorurteilsfrei auf das Bauhaus als einem geistes-, sozial- und kulturgeschichtlichen Phänomen ersten Ranges einzulassen. Zur vertieften Einsicht in dieses Phänomen mag vielleicht auch der an läßlich der Ausstellung im Wissensehaftszentrum erschienene Sammlungskatalog des BauhausArchivs Berlin beitragen, dessen Wichtigkeit als unentbehrliches Nachschlagewerk für jeden am Bauhaus seriös Interessierten schon jetzt feststeht. (308 S.; alle 490 katalogisierten Objekte abgebildet; mit einführenden Texten von Hans M. Wingler sowie abschließenden

Beiträgen von Ekkehard Mai, Stephan von Wiese, Larissa Shadowa, Leo Kohut, Hans M. Wingler und Peter Hahn; 39,--DM, zu beziehen durch: Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Klingelhöferstr. 1314, 1000 Berlin 30.) Anmerkungen:

1) Die erste zusammenfassende Buchpublikation zum Thema ist soeben im DuMont Buchverlag erschienen: Rainer Wiek, Bauhaus-Pädagogik, 330 S., 215 Abbildungen. 2) Walter Dexel, Der Bauhausstil - ein Mythos, hrsg. v. Walter Vitt, Starnberg 1976, S. 19

Rainer Wick

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WALTER GROPIUS, Bauhaus-Archiv-Museum, Berlin, entw. 1964, erb. 1976-78

Roy Lichtenstein interviewt von Armine Haase

A. H.: Herr Lichtenstein, hat sich der intellektuelle Ausgangspunkt bei Ihren Arbeiten der letzten zehn Jahre geändert, verglichen mit der geistigen Basis der Kunst, die Sie in den sechziger Jahren berühmt machte, die Pop-Art? R. L.: Ich glaube , daß auch meine neuen Arbeiten ihre Wurzeln in der Kunst der frühen sechziger Jahre haben. Vielleicht machen sie einen ernsthafteren Eindruck, weil ihr Ausgangspunkt nicht mehr Comics sind. Ich arbeite eigentlich genauso wie früher, nur die Thematik hat sich geändert; darum sehen die ~ilder dann auch anders aus. 162

A . H.:War Pop-Art für Sie eine Möglichkeit, einfach zu zeigen, wie die (Konsum-) Welt aussieht, also nur festzustellen: Das ist unser Alltag? Oder hatte sie einen ironischen Akzent? R. L.: Wir haben damals immer behauptet, die Bilder seien völlig neutral. Aber das glaube ich eigentlich nicht. Es war komplizierter: Einerseits zeigen die Bilder, wie die Umgebung eben aussieht. Andererseits wollten sie aber sehr wohl auch eine Kritik an ihr sein. Ich persönlich glaube nicht, daß Pop-Art eine Feier des Alltags war, eine "hommage" an den Konsum. Es gibt da so eine Ambivalenz - die Bilder zeigen die Wirklichkeit, so wie sie ist; aber das kann durchaus auch

als Kritik gewertet werden. A. H .: Wenn Sie mit Ihren neueren Bildern nicht mehr Themen des Alltags aufgreifen, sondern Motive der Kunst, bedeutet das: Sie entfernen sich von der äußeren Wirklichkeit und ziehen sich auf innere Reflexionen zurück? A. L.: Die Arbeiten der siebziger Jahre sind ja keine von mir gemalte Reproduktionen von Picassos oder de Koonings. Sie meinen vielmehr die Vorstellung von Picasso oder de Kooning, so wie die Öffentlichkeit sie von Picasso oder Kooning hat. Sie meinen das Bild, das die Medien - das Fernsehen, Kunstbücher oder Postkarten - uns von Kunst geben. Auch diese Arbeiten gehen auf Reproduktionen zurück: So wie meine Pop-Bilder Comics zum Thema hatten, so haben die neueren Bilder Kunst-Abbildungen zum Thema. A. H.: Aber sie reflektieren nicht mehr Alltags-Umwelt, sondern Kunst. R. L.: Ja, aber diese KunstReproduktionen, Postkarten usw., sind auch Alltag: Kunst gesehen durch Abbildungen. So sieht der Expressionismus aus, so der Futurismus, so der Kubismus - da hat die öffentliche Meinung doch ganz feste Vorstellungen. Meine Bilder sehen dann ja auch wie ein falscher Marck, ein falscher Carre oder ein falscher Juan Gris aus. Ich habe ja nie irgendein Bild kopiert, sondern Vorlagen in meine Sprache umgesetzt - auch schon bei den Comics; die kann man auch nicht mit den Originalen verwechseln. Schon die Vergrößerung ist Teil meines "Kommentars". Die Kunst-Bilder jetzt sind eine Art von Vulgarisation. Mit den Originalen haben sie wenig zu tun - mit dem Geist des Expressionismus, des Futurismus oder Kubismus.

A . H.: Das würde wohl heißen, daß Sie diese 'KunstPopularisierung durch Reproduktionen aller Art mit Ihren Bildern kritisieren? R. L.: Ja, das kann man sagen. A . H.: Und, daß Ihre Malerei immer Kunst über Kunst ist. R. L. : Über reproduzierte Kunst. A . H.: Es geht also


Lisa" zu weit von mir entfernt kunsthistorisch. Meine Auswahl ist eher intuitiv.

A. H .: Und wie kamen Sie darauf, einen Spiegel zu malen?

ROY LICHTENSTEIN, Tasse und Untertasse II, 1977, bemalte Bronze, 111,1 x 65,4 x 25,4 cm

um den "Kommentar" eines Künstlers? R. L.: Es ist wohl beides. Und ich glaube, daß die meiste Kunst sich mit Kunst auseinandersetzt. Man kann immer einen "Vorläufer" finden - sogar für meine " Pinselstrich-Malerei", die ja auch nachgemachte, "gefälschte" Pinselstriche sind. Die ersten kamen von einem Comic, auf dem jemand mit einem dicken Pinsel einen Zaun strich. Ich sah, daß der Pinsel strich ohne Pinsel viel interessanter war als mit ihm. Das hatte nichts mit dem Versuch zu tun, jetzt zu Abstraktem Expressionismus oder so etwas zurückzukehren. Es gab eine Quelle, eine Vorlage. Natürlich habe ich dann festgestellt, daß dieses "Pinselstrich-Malerei" ein Symbol für Abstrakten Expressionismus oder einfach Malerei sein konnte. Aber meine Malerei ist nicht in dem Sinne intellektuell, daß ich so etwas vorher ausdenke.

A. H.: Wie suchen Sie die Bilder aus, die Sie kommentieren wollen? Warum malen Sie z. B. "kubistisch ", aber nicht "wie Rembrandt". R. L.: Ich greife etwas heraus, was in mein Vokabular paßt. Und ich mache jeweils aus den Vorlagen meine eigenen Bilder. Das wäre mit Rembrandt vielleicht etwas lächerlich. Das heißt, ich respektiere die Kunst, die ich benutze. Aber z. B. das kunsthistorische Gepäck der "Nachtwache" wäre einfach zu groß, um sie als Thema zu verwenden. Zur Zeit wäre auch die "Mona

R. L.: Auch dabei geht es um Reproduktion. Ich sah ein Bild von einem Spiegel in einer Broschüre, die für Spiegel warb. Also schließen die Spiegel-Bilder eigentlich direkt an die Comics an. Sie sehen nur ganz anders aus, aber mein Vorgehen ist dasselbe. Sie sehen abstrakt aus, aber ich habe ganz konkret die Spiegelungen gemalt. Jeder Künstler, der heute malt, schaut dabeidoch fast zwangsläufig - auf etwas, was Kunstgeschichte ist. Wenn ein Bild heute Sie als Betrachter an etwas erinnert, dann doch wegen der Kunstgeschichte. Ich weise mit meinen Bildern (aus den siebziger Jahren) ganz deutlich auf diesen Umstand hin: Jeder Künstler hängt von der Kunstgeschichte ab, da er ja nicht von ganz vorn wieder anfängt. Ich mache das aber auch nicht systematisch, auch wenn es so aussehen mag, als hätte ich ein Programm - Kubismus, Futurismus, Expressionismus als unser kunsthistorisches Gepäck vorzuführen. Am besten zeigt vielleicht die Skulptur von einem Pinselstrieh, daß Kunst auch immer etwas Widersprüchliches ist. Ich wollte einfach ausprobieren, ob man auch abstrakt expressionistische Skulpturen machen kann. Es gibt immer so einen Punkt, der dann auch Nonsens nachweist. A . H.: Warum wollten Sie über-

haupt Skulpturen machen? R. L.: Ich wollte das, was ich malte, in ein festeres Material wie z. B. Bronze umsetzen: Die "Explosion", die ich sonst in den Comics malte, sollte in Metall konkreter werden. Dann wollte ich die Lichtstreifen, die eine Lampe wirft, ganz konkret machen, oder Spiegelungen greifbar. Meine Skulpturen sind ja ausgeschnittene Malerei. Und dazu kommen dann jeweils noch andere Elemente - bis hin zum Nonsens des Pinselstrichs als Skulptur. Anläßlich der Ausstellung ,R. L.' in der Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln 6.3.82

aus: FRIED ROSENSTOCK, Milchfüsse, 1982

Fried Rosenstock: Milchfüße Installation und Performance MoltkereilKöln, 12.3.; Schönstraße/ Hamburg, 14.3. Collagierte Klaviermusik (von Brahms bis Keith Jarret) ertönt vom Band, ein aufgeklappter Flügel steht im Raum, auf den Tasten ein Stock in Form eines Krummstabs, senkrecht dazu in einiger Entfernung eine weißliche Lache, in der alte orthopädische Fußformen und Prothesen stehen. Das Licht geht aus, im Dunkeln glimmern nur der Krummstab Getzt in halber Körperhöhe schwebend) und die Lache, in die die Fußumrisse als dunkle Löcher eingestanzt sind. Der Künstler schwebt als phosphorisierende Hülle in den Raum; er wird von zwei Helfern getragen und liegt auf einer spiegelnden Metallplatte. Füße und Gesicht sind nicht sichtbar, aber Körper, Hut und Hände (Handschuhe) verdoppeln sich in der spiegelnden 'Auflage'. Schwebezustand, Körperlosigkeit und Schweigen verweisen auf 'Isolation' und 'Hilflosigkeit' des Künstlers. Die Performance wird zum symbolisierenden 'lebenden Bild', des Künstlers Auftreten zu einer - fast imaginären - Episode in der Installation. Anschließend kann das Publikum auf einem hektographierten Zettel drei mögliche, ironisierend kunstkritische, I nlerpretationen nachlesen. 163


Seit zwei Jahren arbeitet der nahe Florenz lebende Fried Rosenstock mit dem durch phosphorisierende Kleid ung en tmaterialisierten Künstler-Körper, mit literarischen Texten, mit Tonbändern und symbolistisch aufgeladenen Gegenständen. In 'Milchfüße' entsteht eine Aura aus bürgerlichem Repräsentationsgebaren «Flügel/Klaviermusik), abgehobenem Religions-Ritual Krummstab als Hirten-Werkzeug und kirchlicher Zeremonien stab ). erotischem Fetischcharakter und körperlicher Gebrechlichkei t (Füße/ Prothesen). Heinz Thiel

aber aus dessen Tiefen herauslugend, immer flüchtig. Eindruck einer vorläufigen Existenz oder einer Existenz des Vorläufigen? Jürgen Morschel definierte Kriegs Malerei im Biennale-Buch als die "Möglichkeit der Selbstbehauptung" . Ja! Malerei aber auch als offen ausgetragener Konflikt zwischen einer die Fläche erobern-

den explodierenden Geste und deren Macht verletzender Konzentration auf bruchstückhafte Zeichen in der Schwebe. Von diesem Konflikt zeugen Schichten um Schichten sich überlagernder Farbspuren, die die Anstrengung und die Spannung einer Konfliktlösung nicht verhehlen. Annelie Pohlen

Dieter Krieg Ha.Jo. Müller/Köln Früh sein, ist gut. Zu früh sein, ist schlecht. Als Dieter Krieg 1978 mit seinen exzessiv über mehrere Papier bahnen greifenden und zugleich 'verletzten' Bildern auftrat, da fühlte sich die Kritik brüskiert. Noch Baselitz hatte dann auf der nächsten Biennale mit dem Erschrecken zu kämpfen. Nun haben die jungen Maler die älteren längst überrollt - und an manchen Rand des Interesses gedrängt. Krieg, nicht eben der beste Werber für sich selbst, hat weiter gemalt - und das konsequent. Beileibe keine anarchische Malerei des" wenn nichts mehr geht", dann malen wir trotzdem weiter. Kriegs Malerei hat manchen Wandel im äußeren Anschein durchgemacht, nicht in der Frage nach der 'Überführung' eines kaum abzusichernden Befundes der Außenwelt in eine diesem entronnene Malerei. Die aber ist am Ende nicht möglich, weil die Verletzungen des Alltags in die Bilder eingehen müssen. Kriegs neue Arbeiten (Acryl auf Leinwand oder Nessel, Gouachen auf Papier) bei Ha.Jo. Müller legen den Zwiespalt offen. Das macht sie in den besten Beispielen überzeugend. Die exzessive Geste des Malers wird eingeholt durch die Entscheidung zur Konzentration, zur Verdichtung purer Malerei auf die Erschaffung des Gegenstandes. Dieser - rätselhafte Anspielung auf den verletzten menschlichen Körper (geheimnisvolles Gesicht) aber auch ein monumentaler perspektivisch zur Ellipse verzogener Ring in der Art eines Fahrradschlauches oder ein frühlingshaft blühender Ast - greift nie Wurzeln, bleibt in der Schwebe dem exzessiven Untergrund entrückt oder 164

DIETER

KRIEG,

Horst Mönch, Prangenberg

a.T.,

1978, Acr.lNes., 155 x 330

Norbert

Bonner Kunstverein, Galerie Ricke Köln Zwei Künstler, der eine 1949, der andere 1951 geboren, setzen sich ab .vom modisch grassierenden Trend ·wilder Gestik . Annelie Pohlen wählte Arbeiten von Norbert Prangenberg und von Horst Münch für eine Ausstellung im Bonner Kunstverein aus. Die knappe Werkübersicht gibt Anlaß zum Nachdenken und zu Hoffnung. Nachdenken über die Bedingungen unabhängiger Kreativität junger Künstler heute. Hoffnung auf einen Sieg künstlerischer Freiheit über marktorientierte Auflagen. Die Spannung, die sich aus der Gegenüberstellung der Arbeiten von Münch und Prangenberg ergibt, macht einen weiteren Reiz dieser Ausstellung in Bonn aus. Prangen berg setzt sich intensiv mit den Möglichkeiten des Materials Papier auseinander. Er verdichtet formale Bedingungen, bis die Oberflächen poetische Zeichen seines Abstraktionswillens werden. Am klarsten formuliert sind die Arbeiten Prangenbergs, bei denen er die Zerbrechlichkeit des Materials akzentuiert, die Fläche in Vorder- und Hintergrund gliedert, indem er bemaltes Papier durchlöchert und durch diese ausgesparten Kreise

Pergament, weiß oder bemalt, scheinen läßt. Münch gibt sich seinen Bildeinfällen offensichtlich spontaner hin. Dabei kommt es ihm weniger auf das konsequente Ausarbeiten eines (unverwechselbaren) "Stils" an, als auf Ausdruck und Vermittlung von Gefühlen, Gedanken, Stimmungen. Aber mit jener weit verbreiteten "neuen Expressivität" hat seine Arbeit kaum etwas zu tun. Seine rostrote "Knochenkunst" (1981), die im Bonner Kunstverein als En-

HORST MÜNCH, InstalI. Bann 1982


\-ironment installiert ist, beweist es: Formale Disziplin kontrolliert auch die aggressivste Explosion . Die Kölner Galerie Ricke zeigt Werke von Münch, die seine Offenheit gegenüber anderen Kunstformen - Literatur und Musik - belegen. Vor allem jenes mit Kupferlack bemalte Holzrelief "Mahood" (1 981), mit dem Münch sich auf Samuel Beckett bezieht und dessen Kunst des Schweigens. "Mahood" ist ein aufgerissener Mund, ein tonoser Schrei. Amine Haase

N ORBERT PRANGENBERG, InstalI. Bann 1982

Kare) Appel Arbeiten auf Papier und neue Malerei

Gerhard Mantz Staatliche Kunshalle Karlsruhe Ungewöhnlich für Karlsruhe: Die Staatliche Kunsthalle zeigt aktuelle, zeitgenössische Kunst. Gerhard Mantz hat dort seine kühlen Installationen eingerichtet, die er nach dem Baukastenprinzip aus einem Minimum an Elementen aufbaut. Ring, Oval, Feder; die Linie als F~­ den oder Graphismus sind dIe Grund-Bestandteile dieses Sets, die Mantz so in Spannung zueinander setzt daß sie auf eine - meist monochrome - Fläche zentriert werden: Vor einer großen rosa Fläche etwa liegt ein schmales weißes Holz. Es ist leicht gewölbt wie ein Bauch oder der Horizont und steigert die Assoziation d~s Weic?e?; denn Farbe bei Mantz Ist - wIe m der romantischen Malerei - Bedeutungs träger. Rosa steht f~r Sich-Verlieren in GeborgenheIt, hellblau - eine andere ElementarFarbe von Mantz - für das Aufgehen in der fernen Weite. Mythisches das da anklingt, wird durch Natu;-Reste (ein roher Stein, eine Feder) unterstützt. Das gren~t Mantz ab zum Minimal, dem er m seiner Formstrenge und in der Sparsamkeit der Mittel nur äußerlich und insoweit nahe kommt, wie er in seinem deutlichen Subjektivismu~ mit der neuen deutschen MalereI Gemeinsames hat, die er überwindet weil er ohne den Nimbus der spdntanen Geste auskommt. (bis Ende April) Michael Hübl

GERHAR~ ·MANTZ,

InstalI.

K~rlsruhe 1982

Kunsthalle Baden-Baden Um Karel Appel wa r es in den - Ger Jahren ruhig geworden. In eine: Epoche, in der die Kunst ~ i e Idee proklamierte, in der h onz_ept Kunst, Minimal Art un d Per l ormance den Trend best im mten. schien er, durch "Cobra" lä ngst etikettiert, nur noch ein Relik t de r Vergangenheit zu sein. Und dazu malte er noch in grellbunten Farben Tiere oder grimassenschneidende Kobolde. Er war einfach nicht mehr gefragt, kein Fall mehr fü r die Avantgarde, bestenfalls noch fü r den Kunstmarkt. Auch seine eigene Biographie weist traumatische Erfahrungen auf, und so führte er m dieser Zeit künstlerisch wie auch privat, eine recht aufreibende Existenz. 1977 gibt er sein Haus in Paris auf und lebt nun abwechselnd in Monaco und New York . Eine stärkere Polarität konnte er kaum wählen vom betulichen Steuer- und Re~tnerparadies in das pulsierende , hektische, nicht selten bedrohliche New York. Appel selbst ist es, d.er. diese ~e­ gensätzlichkeit sucht, dIe Ihren ~I e ­ derschlag auch in seinen ArbeIten findet. Zur Faszination beider Orte sagt er: "In Frankreich male ich das Licht, es interessiert micht dar.!. Fast unfreiwillig werde ich dort m die Situation der Französischen Schule gebracht. Ich male Fenster und Licht wie Matisse und Bonnard. Aber nach einer Woche in New York packt mich wieder das Leben der Stadt, ich habe kein Interesse mehr am Licht und male Verbrechen, die zur Agressivität dieser Stadt gehören." Das Ergebnis sind meist großformatige Bilder voller Dramatik und Expressivität, die häufig Mord und Totschlag zum Thema haben. Ein Hackbeil schwingt durch die Luft, ein Messer ist auf die Gurgel angesetzt eine Frau wird erstochen . Ist aus der scheinbar so heiteren, sorglosen Kinderwelt des Karel Appel eine brutalisierte Welt des Verbrechens geworden? Nicht ganz, denn diese Szenen sind nicht naturalistisch detailverliebt , sie wirken eher wie ein Comic Strip und fesseln den Betrachter mehr durch die Dramatik des Pinselstrichs als des Suj ets. J.J . Sweeny hat sie deshalb auch treffend als "happy crimes" bezeichnet. Daneben gibt es aber auch 165


KARELAPPEL

von zeugen die innere Ausgewogenheit und das Gleichgewicht der "Fensterbilder". Der Bildaufbau besteht aus fast gleichförmigen Elementen, regelmäßige balkenartige Pinselstriehe, die diagonal oder in Fischgratmuster geschichtet sind. Die Dynamik wird durch eine gewisse Monotonie der Pinselstriehe gefiltert. Auf jeden Fall geht von ihnen nicht die Dramatik der New Yorker "Kopfjäger" aus, vielmehr strahlen sie Harmonie aus. Ein Zitat aus dem Mani fest der 1948 gegründeten und trotz ihrer Kurzlebigkeit legendären Künstlergruppe "Cobra", die letztendlich auch Appels Ruhm begründet hat, scheint symptomatisch für die bipolare Situation zu sein: "Ein Gemälde ist nicht ein Bauwerk aus Farben und Linien, sondern ein Tier, eine Nacht, ein Schrei, ein Mensch oder dies alles zusammen." Dorothee Müller

laß McKeever Kunsthalle Nürnberg

KAREL APPEL, Cri de Liberte, 1953 (K.A. Gal. Jöllenbeck/Köln, März/ April)

kontemplative S/ l' II-: 11 voller Resignation wie das Bild "Am Grab" von 1981. Ein alter Mann mit erdig braunen Farben mit einem Kind, nur der Blumenstrauß daneben suggeriert noch das Prinzip Hoffnung. Im Vergleich zu früheren Arbeiten sind seine Kompositionen nun geschlossener, monumentaler. Die Szenen wirken trotz der dramatischen Technik eher statuar, ohne augenfällige Bewegung. Sie leben weniger von vordergründigen Emotionen als von einer hintergründig psychologisierenden Spannung. Der Pinselstrich ist mächtig, die Komposition großfigurig. Es ist also nicht nur das neuerwachte Interesse an gestisch figurativer Malerei, die Appel wieder in den Brennpunkt gerückt hat, es ist in erster Linie sein neuer Expressionismus. New York ist aber nur die eine, die radikale Seite der Medaille, die andere heißt Südfrankreich und hier166

Großer Gestus und ein Wirbel heftig blühender Farbigkeit in flirrenden Licht- und Schattenspielen: lan McKeever scheint den klassischen Fauves verwandter als den Neuen Wilden, deren Altersgenosse und sehr selbständiger Kollege der Brite vom Jahrgang 1946 ist. Der zweite Stadtzeichner von Nürnberg ist ein Landschafter. Der erste in dieser

[AN MCKEEVER, " Deutscher Zyklus -

dem Stadtschreiber von BergenEnkheim nachempfundene Funktion, der Pole Mariusz Lukasik, hatte seine Nürnberger Erfahrungen in eine Spielart von visionärphantastischem Realismus übersetzt. Am Ende seines Halbjahresstipendiums, getragen von der Stadt und dem hier ansässigen Zeichengeräteunternehmen FaberCasteIl, hat lan McKeever seine jüngsten Arbeiten in der Nürnberger Kunsthalle vorgestellt. Das sind Diptychen mit dem Serien-Titel "Deutscher Zyklus", jedes 265 mal 360 Zentimeter groß, Acryl oder Öl auf Fototapete und Acryl oder Kreide auf Papier, je zur Hälfte Bild und Zeichnung in materieller, formaler und inhaltlicher Entsprechung. So übermalt lan McKeever, die wesentlichen Struk'turen herausstreichend, temperamentvoll abstrahierend ein Großfoto und zeichnet gleichberechtigt daneben,' als sei es der Mikrokosmos dieser pastos verdichteten Welt, gleich groß und aus der gleichen Bewegung heraus, ein mögliches Detail - wie in einem bildnerischen Blow-up gewonnen. Ein fließendes Gewässer zum Beispiel, in vielfach irisierenden Spiegelungen gebrochen, nicht Abbild, eher Vorstellung, Empfindung von gluckernd strudelnder, glitzernd reflektierender Wasserkühle, und daneben in schattenhafter Silhouette und elegant flüssigem Schwung spielende Forellen gezeichnet. Oder das geradezu schmissig aufs Blatt geworfene, wie elektrisiert vorm Losstürmen verharrende Wildschwein ne-

Wildschwein ", 1982


ben der gleichfalls sperrigen Unterholzgegend, gemalt mit kräftigen Pinselhieben. Das unmittelbare dialektische Miteinander, auf das eS lan McKeever ankommt in der Konfrontation von direktem malerischen Zugriff und Distanz nehmender Objektivierung in der Zeichnung, ist bei aller Anschaulichkeit nicht ohne Risiko. Denn die enge Koppelung der Tafeln hat etwas von einer Mitteilung in zwei Sätzen, die ohne Punkt und Komma aneinander geschrieben wären. Da kann dem Betrachter, wenn ihm die psychologische Pause fehlt, ein biß ehen die Luft wegbleiben zum Wahrnehmung filtrierenden Atemholen. lan McKeever arbeitet immer in Serien, läßt sich jeweils intensiv auf eineinmal gestelltes Thema ein, bei den Diptychen wie bei den früheren Kombinationen aus Fotografie und Zeichnung, gezeichneter Fotografie und fotografierter Zeichnung, und auch bei seinen neuen, großformatigen Zeichnungen, den Nachstücken und den von Landschaftsformationen inspirierten Strukturkürzeln, die zeichenhaft eine gewisse übertragbare Allgemeingültigkeit beanspruchen. Das Ordnungsprinzip, die solid gefügte Basis, von der aus lan McKeever seinen Licht- und Farbenzauber entfesselt, sind Tektonik und Struktur. Nichts von Happy Chaos. Das erlaubt ihm die spannungsvolle und animierende Balance von Vehemenz und Kontrolle, spontaner Empfindung und ordnender Intellektualität, ma lerisch-zeichnerischer Verve und formaler Disziplin. (6.3.-25.4.82) Irma Schlagheck

ATTERSEE, so lieb ich dich, wasser und sand, 1981, 105 x 80 cm

Österreichische Kunst in München Neben den jungen Malern aus Österreich wie Anzinger oder Klinkan, die in München von der Galerie Friedrich betreut werden, schenkt man in der letzten Zeit auch deren Vorgängergeneration wieder mehr Aufmerksamkeit. Da ist der Beitrag des Günter Brus in der 'Gott oder GeijJel'-Ausstellung im Kunstverein, der schon in Bonn die heftigsten Gefühle und Proteste provoziert hat. Dann liest man mit Staunen von dem neu erwachten Interesse der Tate Gallery an Herrmann Nitsch;

ARNULF RAINER, Heckenschützen, 1968/69 167


sie '>ha!?en ' ,alS. :erstes Werk ein 'Schüttbild' erworben. Auch die Staatliche Graphische Sammlung München hat in den vergangenen Jahren drei Zeichnungen von Nitsch als Dauerleihgabe des Galerie-Vereins erhalten und zeigt zwei davon in der Ausstellung "Neuerwerbungen" (AnkäufeGeschenke-Dauerleihgaben, Neue Pinakothek). Es handelt sich dabei um sog. 'Architekturzeichnungen' , die im Zusammenhang mit den Aktionspartituren zum 'orgien mysterien theater' entstanden sind, sich dann aber graphisch verselbständigt haben. Der unbefangene Betrachter gewinnt den Eindruck einer phantastischen, labyrinthähnlichen Gartenbauarchitektur, deren verschlungenen Wegen zu folgen er bald aufgibt, um sich ganz dem wuchernden Ornament vegetabiler Formen zu überlassen. Nitsch sieht darin eine 'tatsächliche Entsprechung' seiner Aktionen durch 'räumliche und architektonische Gegebenheiten'. In gewissem Sinne sind diese Zeichnungen programmatisch für die gesamte Ausstellung, in der eine optische wie logische Orientierung schwer fällt, was allerdings bei einer Zusammenstellung von knapp 200 Arbeiten aus 5 Jahrhunderten nicht verwundert. Da ist die räumliche Abtrennung des 20. Jhs als Sammlungsschwerpunkt nur eine kleine Hilfe. Der Besucher muß große Sprünge verkraften . Er schwankt ständig zwischen dem Eindruck des zielbewußten Sammelns, wie es sich in einigen Blättern des Informel andeutet, die allerdings als geschlossener Besitz geschenkt wurden, oder sich auch in den drei sehr unterschiedlichen Arbeiten von Penck zeigt, die einmal den Kreis des hinlänglich Bekannten und oft Abgebildeten durchbrechen und dem der bloßen Zufälligkeit des Erwerbs, der oft zuviel Rücksicht auf lokale Größen nimmt. Die alphabetische Reihenfolge stellt da einen Erwin Pfrang vor Picasso und gerät so schnell in die Beliebigkeit einer LexikonauswahL Trotz der Gesamtproblematik spürt man das Bemühen, optisch Schwerpunkte zu setzen, wie es in der 'schwarzen Ecke' mit Dagmar Rhodius und Hetum Gruber gut gelungen ist. Auch wenn man zugestehen muß, daß solch ein Rechenschaftsbericht gerade für eine graphische Sammlung, deren Werke sonst im 168

Tresor aufbewahrt werden, sehr wichtig ist, so wüschte man dieser doch einen eigenen Raum, in dem sie schwerpunktmäßig ihre Erwerbungen vorstellen könnte und damit Gelegenheit hätte, ihre Sammlungsziele klar zu definieren und gleichzeitig kritisch zu überprüfen. In der Galerie van de Loo wird wieder einmal Arnuif Rainer gezeigt: Arbeiten aus den Jahren 1966-69, 'Profile' genannt. In ihrer gewollten Zufälligkeit stellt diese Schau einen interessanten Rückblick in die persönliche Geschichte des Malers Rainer dar, bei dem die Komplexität von Entäußerung und Analyse das Arbeiten bestimmt. Auch die vermeintliche Leichtigkeit dieser meist blinden Zeichnungen wird durch das verbissene Vorstoßen an die Grenzen des Wahns in eine existenzielle Sphäre gehoben. Im Haus nebenan bei Klewan gibt es "Treibholzphantasie" (traumzweit und weiter) von Attersee. Dieser Sänger, Erfinder, Zeichner und Maler gehört generationsmäßig zum Wiener Aktionismus, dem er auch zeitweilig verbunden war. Vieles, was dort in Aktionen umgesetzt wurde, hat er in den grotesken Erzählungen seiner Bilder auch formuliert. In seinen ästhetis'chen Grenzüberschreitungen ist er der Pop Art verwandt. Aber seine Fabulierkunst ging stets darüber hinaus und deckte im Alltäglichen und Klischeehaften durch immer neue und unerwartete Verbindungen verborgene Bedeutungen und Mechanismen auf. Seine schön-grausigen Bildmärchen waren in ihrer oft kalten und plakativen Farbigkeit an der Grenze des ästhetische Abstoßenden. Um dies zu erreichen, hat er viel mit der Spritzpistole gearbeitet. Dann , als der Pinsel wieder die Hauptarbeit leistete, verloren die Bilder die perfekte und unpersönliche Glätte der Oberfläche. Wie im Traum sprühte die Phantasie eine nur scheinbar heile Märchenwelt aufs Papier oder die Leinwand . Das hat in der nächsten Malergeneration seine Spuren hinterlassen. Ihre Fabulierkunst allerdings wurde in die Sphäre der Zitate abgedrängt und verlor damit das Tiefgründige der Atterseeschen Groteske. In seinen neuesten Arbeiten strebt er eine Vereinfachung und Komprimierung an, wie wir in "Zierspeck" sehen können. In der Verdoppelung ist das Zwei-Sein, das männliche und weibliche Ich wie auch im alten Titel 'Traum-

zweit' ausgedrückt; im Speck zeigt sich das Kulinarische und in den glitzernden Edelsteinen das Ungenießbare Atterseescher Gabelbissen ebenso wie in der Verbindung beider die enge Verknüpfung von Essen und Erotik. Der heftige Pinselstrich, der auf den Rahmen übergreift, läßt durch seinen Diagonalzug die Gegenstände wie im Traum vorübergleiten in einem durch Farbe definierten Raum. Im anderen Bild "so lieb ich dich Wasser und Sand" ruht der Körper dagegen vollplastisch am Boden. Assoziativ sind ihm Gegenstände wie das Segel beigegeben, die die Phantasie beflügeln. Peter Gorsen möchte in der Grundstimmung dieser und kommender Arbeiten schon einen Altersstil sehen. (Katalogvorwort). Dies halte ich bei einem gerade erst 41-jährigen Künstler für etwas vermessen, aber es scheint, daß der Jüngling, der sich einst Flügel angeklebt hat, als Mann die Anziehungskraft der Erde, bleischwer und unausweichlich, spürt. (diese Ausstellung war in leicht abgeänderter Form unter dem Titel 'Traumzweit' bereits bei Ursula Krinzinger, Innsbruck, und in den Wiener Galerien Heike Curtze und Nächst St. Stephan zu sehen. Im Herbst zeigt das Museum des 20. Jahrhunderts in Wien eine große Retrospektive, die vom Frankfurter Kunstverein und der White Chappel Gallery in London übernommen werden wird. Zu allen oben erwähnten Ausstellungen sind Kataloge erschienen.) Hanne Weskott

Bemerkenswerte Ausstellungen (Auswahl)

HORST LINN in: Relief Konkret, K V Heidelberg


VACLAV· POZAREK in Kohnen / Düsseldorj

Gal.

A.

aus: Wohnsitz Nirgendwo, KH Bethanien/Berlin; Würt. KV /Stullgart D. HECHT (Detail) in: "Künsrler arbeiten mit Fotos" KH Kiel

Install. ,,0211" (Treibhaus IJ) KM Dilsseldorj BERND MINNICH in KH Baden-Baden

RAINER PFNÜR in Galerie Tanit und Kunstjorum München

MICHAEL BUTHE in: Villa Romana/Florenz 169


Internationales Foto-Symposium Trotz Ebbe in der Stadtkasse fand 1982 bereits zum 3. Mal im klassizistischen Schloß Mickeln in Düsseldorf-Benrath das ,Internationale Foto-Symposium' statt. Dieses internationale Diskussionsund Ausstellungsforum geht auf eine Idee von Erika Kiff! zurück. Vor drei Jahren hatte die Fotografin und Publizistin es der Stadt vorgeschlagen - und seitdem zieht es alljährlich internationale Besucher an. Das Symposium wurde eingerichtet, um den nicht-dokumentarischen Gebrauch der Fotografie zu ergründen. So teilt es sich auch in Vorträge theoretischer Art und jeweils in Ausstellungen. Als Vortragende kommen Experten in Frage (dieses Mal waren es Evelyn Weiss vom Ludwig-Museum, die Fototheoretikerin Carolee Naggar aus Paris und der neue Direktor des Frankfurter Kunstvereins Peter Weiermair) - und jeweils die ausstellenden Künstler selbst, die zu ihrer Arbeit vor dem Publikum Stellung beziehen. Dieses Mal zeigte das Kunstmuseum parallel dazu Foto-Reihen des Kölners Bernhard Johannes Blume, von Jochen Gerz, von den in Raeren (Belgien) lebenden Barbara und Michael Leisgen und des Genfer Sofort-BildExperten Gerald Minkoff. Künstler als Fotografen haben meist, bevor sie zur Kamera greifen, professionelle Erfahrungen als Maler, Bildhauer oder Zeichner. Daraus, wie überhaupt aus ihrem Mangel-Bewußtsein gegenüber den dokumentarischen Seiten des realistischen Mediums Fotografie, ergibt sich ihr anderer Umgang mit der Kamera. Bernhard J ohannes Blume benutzt die Kamera zum Arrangieren und Erfinden. Er läßt uns 170

banalste Dinge aus der Froschperspektive erleben. Eine Porzellankanne verläßt den Tisch und kreist in wirbelnden Bewegungen durch den Raum. Weihnachtsschmuck hängt am Kopf des Künstlers. Es sind unbeachtete Dinge, die Blume Dynamik und Eigenleben entfalten läßt: Kannen, Töpfe, Teller, Haushaltsgeräte. Es ist, als nähme eine Frankenstein'sche Horrorwelt Rache an der alltäglichen Langeweile. Der Raum und die Dinge werden dabei grotesk verformt. Es wirkt paradox, daß Blume quasi ein Medium benutzt, das im Ruf steht, "nie zu lügen", um seine phantasievollen "Lügengeschichten" zu erfinden. Fotografie wird von ihm eingesetzt als Indiz und Beweismittel für die Imagination des Künstlers. B.J. Blume versteht sich dabei direkt in der Tradition von Joseph Beuys, der auch davon ausgeht, daß Objekte kein Massendasein haben, sondern auch ihnen von Außen eine individuelle Sicht gebührt. Aus Mangel am Foto-Realismus und Sehnsucht nach Assimilation mit der Natur entstehen seit Jahren die Fotoarbeiten von Barbara und Michael Leisgen. "Sentimentale Gesten" nennen sie eine solche Reihe, in der der Himmel, die Luft und das Licht quasi "zum Menschen heruntergeholt" werden. Seit Jahren - nach vielen anfangs vergeblichen technischen Versuchen - fotografieren Barbara und Michael Leisgen das fotografie-feindlichste aller Sujets: das grelle Licht der Sonne. Die Künstler zeichnen dabei die Buchstaben des Alphabetes mit der Kamera nach. Wie in der Meditation - mit geschlossenen Augen - bewegen sie die Kamera in Form von Buchstaben. In den Himmeln ihrer Fotos prangt dann die Sonne als Licht-Zeichen. Auch die Meditationsspuren der Leisgens wirken

im Vergleich zu den realistischen Möglichkeiten, mit denen die Fotografie seit ihrer Erfindung um 1830 besetzt ist, paradox und phantastisch. Eine Weiterentwicklung solcher fotografischer Lichtspuren ist ihre 1981 entstandene Arbeit "Apocalypse" (300 cm x 200 cm). Vor der glühenden Sonne zeigt jedes Foto einen Buchstaben des UntergangsWortes bis hin zu dessen Auflösung. In diesen tödlichen Kreislauf hinein bewegt sich mit offenen Schwingen eine Krähe - der als Saat- und Todesvogel bekannte Träger des Unheils. Es ist ein vieldeutiges Trauer-Foto über den Untergang der Natur, der hier symbolisch im denkbaren Untergang der Sonne gezeigt wird: "Sie wird sich in 5 Millionen Jahren zu ungeheurer Größe ausdehnen und tiefrot erstrahlen. Die Hitze an ihrer Oberfläche wird gewaltig zunehmen und alles Leben auf der Erde töten. Die Sonne wird dabei allmählich ausglühen, in sich zusammenfallen und nach weiteren 50 Milliarden Jahren kalt und schwarz sein. Endgültig". Jochen Gerz' Fotokunst besteht aus einer Kombination von Bildern und Texten. Sie kann je nach Ansicht als "erweiterte Fotografie" oder "erweiterte Literatur" verstanden werden. In Düsseldorf zeigte er seine alte Geschichte von "Paul M.". Paul, der eine Nordund Mittelamerikareise hinter sich hat, entdeckt nach seiner Rückkehr, als der Film aus der Entwicklung kommt, Bilder, die je fotografiert zu haben, er sich nicht erinnern kann. Er setzt eine akribische Suche nach dem Urheber der Fotos in Gang, die erfolglos bleibt. Diese Suche nach dem Gedächtnis für selbst-gesehene Bilder in der Welt der totalen Medien bringt unser aller Konsumräusche und mangeln-


des Erinnerungsvermögen an den Tag. Jochen Gerz' FotoGeschichten über Gesellschaftszwänge sind schön, hintergründiglehrreich und skeptisch-witzig. Weniger witzig, zwar hintergründig, aber sonst außer literarisch zu genießen war sein öffentlicher Vortrag über "Emphase und Fotografie". Dieses Plädoyer für die "Ergriffenheit", mit der Künstler arbeiten, endete in einem wahren Verteidigungsrausch für die totale Sprachlosigkeit zwischen Künstler und Rezipienten. Es wirkte ein wenig überzogen und arrogant, daß Gerz am Ende seiner im LangsamTempo abgelesenen Rede nicht mit den Leuten diskutieren wollte. Er verdrückte sich stattdessen für die nächsten 1 und 1/2 Tage. Viele sprachen da verärgert von "Künster-Allüren". Wieder andere verglichen Gerz, der immer mit der Strickmütze erscheint, die er auf dem Kopf in Pose bringt, wie er

sich den Filzhut von Beuys vorstellt, mit dem Meister vom Niederrhein, wobei das Gerz'sche zwanghafte Verhalten wenig einnehmend für ihn erscheinen konnte. Da setzte einer auf Habituelles und fiel kräftig beim Publikum durch. Unterhaltsam und geistreich zugleich der Vortrag des Genfer Video- und Sofortbild-Experten Gerald Minkoff. Er erzählt mit Polaroid, Video und Sofortsprache Geschichten in Form von Parabeln und hat dabei die Welt "märchenhaft" im Kasten. Er stellt Stück für Stück Polaroids vor die Wand und filmt sie dann mit der VideoKamera ab. Gezeigt wurde dem Publikum die Abschiedsszene, bevor Minkoff zum Foto-Szenarium fuhr, zwischen Muriel OIeson (der Künstlerin, mit der er in Genf lebt) und Minkoff selbst. Solche Stücke haben Titel von Palindromen, wie etwa "L'ame ce mal" (1978) und

können von hinten nach vorne und umgekehrt gelesen werden. In diese Bildgeschichten blendet Gerald Minkoff meist zuvor die Yin und Yang-Zeichen aus dem Taoismus oder andere geheimnisvolle Lichtzeichen (wie Kreise, magische Dreiecke, Quadrate usw.) ein. Man -hat dann vor sich auf wenigen Zentimetern Fotopapiers oder dem Bildschirm eine · Art westlichtechnologischer oder fernöstlicher Mini-Show, eine spritzige und skurrile Synthese aus beiden . Die theoretischen Positionen, die von den geladenen Diskutanden bezogen wurden, teilten sich im Prinzip in zwei Lager: Evelyn Weiss und Carolee Naggar vertraten die Thesen, daß Fotografie und Kunst zwei unterschiedliche Medien seien mit jeweils verschiedenen Ausgangspositionen und herzuleitenden Zeichen-Theorien. Mehr von der Praxis kam die Haltung Peter Weiermairs am letzten Sonntag der 171


Veranstaltung. Er plädierte dafür, daß sich gegenwärtig - etwa seitdem Arnulf Rainers "Übermalungen von Fotografien" bekannt seien - eine offensichtliche Annäherung der ehemals fotografischen und der klassischen malerischen Positionen deutlich abzeichne. Die zweite These würde besagen, daß Fotografie in ihrem gegenwärtigen späten Entwicklungsstadium und Reifeprozess aus anderen Genren lernt und aufgreift, um die eigenen 172

Bildmöglichkeiten zu überschreiten, zu erweitern und zu sprengen. Selbst wenn die These 1 zu klareren theoretischen und auch systematischen Standpunkten führt, nimmt doch die 2. mehr durch ihre unakadem ische und realitätsbezogene Sicht ein. Wichtig ist nach dem Foto-Symposium die Einsicht, daß zwei auf den ersten Blick so weit voneinander entfernte Bereiche wie "Meditation und Fotografie" seit einigen Jahren von Künstlern zur

Deckung gebracht werden. Fotografie ist da, wo sie realistisch oder zur Dokumentation angewandt wird, ein krasses Mittel zur Konfrontation mit Tatsachen. In allen hier genannten Fällen wird mit Meditation, Phantasie, Traumwelten und irritierenden unrealistischen Bildern konfrontiert. Hierin liegt der Reiz, mit der Kamera und ihren unerforschten Möglichkeiten zu spielen. Gislind Nabakowski


dimension IV Neue BilderNachkonzeptionelle Malerei in Deutschland Zum vierten Mal lädt die Philip Morris GmbH zur Teilnahme an einem Kunstwettbewerb ein, diesmal unter dem Titel "Dimension IV" auf dem Gebiet der Malerei. Aktuelle Aussagen und Formen sollten dabei sichtbar werden. Folgende Preise werden vergeben:

DM 15.000.-, DM 10.000.-, DM 5.000.-. Die prämierten Arbeiten bleiben Eigentum der Künstler. Künstler, die in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) arbeiten, können sich mit höchstens drei Werken an diesem Wettbewerb beteiligen. Eine von Philip Morris unabhängige Jury Professor Dr. Dieter Honisch Nationalgalerie, Berlin Dr. Hermann Kern, Haus der Kunst München Jürgen Harten Städtische Kunsthalle, Düsseldorf Ursula Bode, Kunstkritikerin, Hannover Dr. Evelyn Weiss, Museum Ludwig, Köln Dr. Michael Schwarz Badischer Kunstverein, Karlsruhe Dr. Monika Steinhauser Kunstkritikerin, München

wird die eingereichten Arbeiten zum Zweck der Preisvergabe prüfen und Werke für die Ausstellung "Dimension IV" auswählen. Die prämierten und die ausgewählten Werke werden in der Ausstellung "Dimension IV" vom 10. September bis 30. Oktober 1983 in der Nationalgalerie, Berlin vom 14. Januar bis 26. Februar 1984 im Haus der Kunst München von Mitte März bis Ende April 1984 in der Städtischen Kunsthalle, Düsseldorf gezeigt. Zur "Dimension IV" erscheint ein Katalog. Die Preise werden bei der Ausstellungseröffnung in Berlin überreicht. Die Ausschreibungsunterlagen mit näheren Einzelheiten zur Teilnahme können bei der Philip Morris GmbH, Abt. Corporate Affairs, angefordert werden.

"Dimension IV", Philip Morris GmbH Postfach 701429,8000 München 70 Telefon (089) 7671524 (ab Ende Juni 72491524) Telex 523957 173


Minus delta t ist Anfang Mai mit dem Tieflader in England gestartet nebst einem 7 Tonnen schweren Stein, der einst für die Verwendung in Stonehenge vorgesehen war und nun von der Gruppe auf dem Landwege nach Indien transportiert wird, wo er im Himalaya abgeladen werden soll. Am 21. Juni wird minus delta t ihr Performance/ Konzert/ Video und Installationsprogramm in der Kölner Kunstakademie (16 Uhr), am 22 . Juni in der Moltkerei vorstellen, ihre Reise, während der sie ähnliche Vorführungen auch veranstalten werden, führt dann über Jugoslawien und Athen nach Istanbul. Als Radierung ist mittlerweile eine Aktie erschienen (Bild oben), die für jeden der 19 967 Kilometer der Reise ausgegeben wird . Sie kostet 20 DM und kann über Das Büro, Fürstenwall 64 in Düsseldorf (0211/306855) oder über minus delta t, Trajanstr. 27,5 Köln I (0221 / 329287) bezogen werden. Sobald die Gruppe Europa verlassen hat, kosten die Aktien 50 DM, 100 DM sollen sie kosten, wenn der Stein im Himalaya abgeladen worden ist. "Der Besitzer einer oder mehrerer Aktien hat nach Abladung des Steines im Himalaya ein Mitbestimmungsrecht über das weitere Schicksal des Denkmals. Der Stein gehört dem europäischen Kunstmarkt an und die Aktien können so ihre Versteigerung erfahren. Nach Abschluß des "Projekt Bangkok" soll im ARCHIV EUROPA (zum Beispiel in einem Stadion) eine Aktionärsvollversammlung stattfinden: Dabei kann zum Beispiel 174

beschlossen werden, daß der Stein bleibt wie und wo er ist, oder daß er als Ganzes zurücktransportiert wird, oder daß sich jeder Aktienbesitzer seinen Gewichtsanteil vom Stein selber in Asien herunterschlägt usw . Der Transport war ursprünglich ein technisches Problem. Heute ist der Transport ein bürokratisches Problem. Die kulturellen Zusammenhänge des Steins verlieren ihre Bedeutung am Bosporus, das heißt, daß der kulturelle Inhalt der Stein-Form ständig verschoben wird wie der Stein selbst."

Preise und Stipendien Der Kunstjonds hat im Februar von 416 Anträgen 56 Anträge angenommen und mit insgesamt 911.000 DM unterstützt. Arbeitsstipendien in Höhe von je 20.000 DM gingen an Jaroslav Adler, Charly Banana, Dorit Edler, Michael Enneper, Eun-Nim-Ro Girtisch, Leo Hüskes, Astrid Klein, Inge Mahn, Bernd Minnich, Mechthild Nemczek, Ansgar Nierhoff, Frederike Pezold, H .G. Prager, Gernd Rohling, Brigitta Rohrbach, Stephan Runge, H. Schweizer, Fr. von Stock hausen, Klaus Vogelgesang; Werkstipendien zur Realisierung eines bestimmten Projektes an Gruppe Zebra (Asmus, Nagel, Biederbick), Lothar Baumgarten, Claus Böhmler, Jürgen Bordanowicz, Edgar Gutbub, B. u . M. Leisgen, Willhelm Loth, Klaus Mettig, Gruppe Purr Purr, Bernhard Sandfort, Malte Sartorius, Claus Scheele, Timm

Ulrichs, Ben Willikens, D. von Windheim . Ein gemeinsames Ausstellungsprojekt deutscher und indischer Künstler unter Leitung von Prof. Gorella wurde mit 25 .000 DM unterstützt, sowie zahlreiche andere Ausstellungspläne und Sonderprogramme in der Bundesrepublik. Für die Publikation der kunsttheoretischen Schriften von Winfried Gaul, eine Dokumentation unveröffentlichter Projekte der Gruppe Haus-Rucker Co. und eine über die Arbeit der Künstlergalerie Rolf Glasmeier wurden 45 .000 DM bewilligt. Die Bewerbungsfrist für Förderungen im Jahr 1983 ist am 30. September 1982 (Bennauerstraße 31, 5300 Bonn I,

02281213233) Für die Stipendien des DeutschFranzösischen Jugendwerks sind aus 74 Bewerbern 9 für ein sechsmonatiges Arbeitsstipendium in der Bundesrepublik bzw. Frankreich ausgewählt worden, und zwar Hermann Pitz (Berlin), Raimund Kummer (Berlin), Peter J. Mönnig (Köln) und Ellen EI Malki (Köln) aus der Bundesrepublik; Jean-Paul Thaeron (Brest), Marie Bourget (Lyon), Jacqueline Gozland (Paris), Thierry Michelet (Bordeaux) und Pierre Desnoes (Angers) aus Frankreich. Drei Stipendien wurden aufgeteilt auf Roland Geiger (Hamburg), Angelika Janz (Essen), Heinrich Sickenberger (Köln), Patrick Beurard (Lyon) und Catherine Loth (Lyon). Erika Kiff! hat von der Barkenhoff Stiftung Worpswede ein Halbjahresstipen-


dium erhalten, Wolfgang Nestler wurde der Kritiker-Preis "Bildende Kunst" des Verbandes der Deutschen Kritiker zugesprochen, der Bargheer-Preis für 1982 ging an Hinrich Gauerke, Uta Molline erhielt den Förderpreis des Künstlerbundes Rhein-Neckar, Prof. Hubert Berchtold den Konstanzer Kunstpreis.

Fotoforum Kassel Die Hochschulgalerie der Universität Kassel besteht seit nunmehr zehn J ahren. In dieser Zeit haben zahlreiche Ausstellungen zur Fotografie stattgefunden, als letzte dieser Reihe ist die Ausstellung Photo Recycling Photo oder die Fotografie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit geplant, die paralk,l zur documenta 7 stattfinden wird, wie einst die erste Ausstellung des Fotoforums parallel zur documenta 5 stattfand. Vom 22. Juni bis zum 27. August ist die Ausstellung in der Ausstellungshalle Menzelstraße 15 (an der Karlsaue) zu sehen .

Ausschreibungen Speziell für Künstler aus der Frankfurter Region schreibt die Stadtsparkasse Frankjurt / Main für 1982 den Wettbewerb "Malerei 1982 - eine Arbeit aus einem Jahr" aus, der mit insgesamt 10.000 DM dotiert ist. Bewerbungsschluß ist im Oktober, Unterlagen können angefordert werden bei Stadtsparkasse Frankfurt am Main, Hasengasse 4,6000 Frankfurt I, 061112170269. Einen Wettbewerb zum Thema "Die Arbeitswelt in der bildenden Kunst" veranstaltet der BBK Karlsruhe zusammen mit dem Institut jür Arbeits- und Sozialhygiene. Eine Ausstellung in der Künstlerhaus-Galerie ist für November 1982 geplant, ein Preis von 10.000 DM gestiftet worden. Voranmeldung (Postkarte genügt) ist im Juni erbeten (Brunnenstraße 47), 7500 Karlsruhe 1). Zum 5. Mal wird das Märkische Stipendium für bildende Kunst ausgeschrieben, ab sofort wird es jedes Jahr

einem ande:-ei'. =: : ~=:': .-. ':.::" ~ uns [ gelten, im ge~ ace ,, ·.:.> , e:;.:'::' ==-=~.en Fall der Ma lerei. \k"o; ~'= ':'::;;·':"-.:erlagen können ange fo ~ d~ ... ~:~. :.e' der G eschäft sst elle de~ ~ I~ ' -::. e= io.:::> [k o nferen z L üde nsc::e: ==~ 3:: . ::=. ~ 990 AItena . Bewer u g.;;..:~.:::3:; : :=~ : 0 . Ju ni 1982 . o '

Krupp-Stiftung Die Alfri ed f..: ru . 1' .. .::~. 3.' :": 0:: un d ;:,,:.:: :·:.:r ein neues Förd e r u ngsp~ c' ~~c.::: :::: .. : ' 2: oge für junge Kü ns ter" D ~ I : :0: . :0:0: .- bereit. Über di e Ant rage "~.:;~ :. =: :o : eine unabhängige J ury. ( H ~ ~e : : : . :> . :::-ach 230 245, 4300 Esse n ::-..:;:~ .: : ~ dieses Program m is e: C,,: S:::':ung Dr. Dominik "o n f..: 0 ~.: ~ . Td .: 0201 / 188-4857.) Halbach-S ti f[Un~. E ;;.t~..

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Im nächsten Band Von wegen, Ihr Banausen, die Richtung hat sich geändert, es geht rein in den Elfenbeinturm, die Teilnahme an der Besichtigung ist allerdings frei· willig. Wetten, daß Ihr nicht 'mal wißt, wie es in ei· nem Elfenbeinturm aussieht? Wir wußten es auch nicht und haben daher Experten um Auskunft ge· beten. Brigitte Caster und Barbara Westermann haben im letzten Jahr in der Kasseler Orangerie das siebte Stockwerk des Elfenbeinturms aufgebaut

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(laut art die Ausstellungsidee des Jahres), in Band 51 werden sie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in Wort und Bild wiedergeben. Für ihr Kasseler Projekt hatten sie sich bereits der Bau·Ansichten verschiedenster Kenner mit Methoden versichert, die sich nicht ganz mit den aus Allensbach gewohn· ten deckten, für Band 51 haben sie weitere Künstler und Autoren eingeladen, ihre Version des Elfen· beinturms zu liefern. Band 51 hat den Titel Elfen· beinturm und 'erscheint im Juli.


Objekt Skulptur Installation in der Kampnagel-Fabrik, Hamburg Mai/Juni '82

Carl Andre Giovanni Anselmo Michael Buthe Pier Paolo Calzolari Sol LeWitt Richard Long Mario Merz Bruce Nauman Ulrich Rückriem Reiner Ruthenbeck Franz Erhard Walther Gilberto Zorio

Michael Bauch Detlef Birgfeld Felix Droese Bogomir Ecker Hubert Kiecol Astrid Klein Michael Kramer Jochen Krüger Klaus Kumrow Wolfgang Luy Mimmo Paladino Barbara Schmidt-Heins Gabriele Schmidt-Heins Thomas Schütte Elisabeth Wagner earl Emanuel Wolft

Organisationsbüro "Halle 6" Barmbeker Str. 3 a 2 Hamburg 60 Tel.: 040/2798663 Öffnungszeiten : Mo - Fr 15 bis 19 Uhr oder: Galerie Hauptmann Tel.: 040/346086, Galerie Munro Tel. : 474746 · Produzentengalerie (Vorrath) Tel.: 4604943


Galerie Holtmann

Helmut Middendorf, Linolschnitt 1982

Mappe mit 4 Linolschnitten von: Peter Adamski Peter Bömmels Gerhard Naschberger Helmut Middendorf Dieses erste Mappenwerk junger deutscher Künstler erscheint in der Edition Galerie Holtmann zur Art '82 in Basel , Farblinoldrucke 70 x 100 cm, Auflage 60 Exemplare.

Art 'Basel 16 - 21. Juni 1982, Stand 15.157 Wir zeigen Arbeiten von: Adamski, Banana, Beuys, Buthe, Christo, Fink Klauke, Naschberger, Rainer, Roth, Salome, Tinguely, Warhol

Galerie Heinz Holtmann . Galerie und Verlag . Köln-Hannover Köln , Richartzstr. 10, am Museum Ludwig . Telefon 0221/215150


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