achts waren sie unterwegs, angezogen von den weißen Wänden in den Hamburger S-Bahnhöfen und dem aufregenden nlichtlichen Herumturnen in Waggons und Schächten. Graffiti zu sprühen gilt als eines der letzten Abenteuer der Großstadt. Von den Behörden als Straftäter eingestuft, ist man ihnen ständig auf den Fersen. Ihre Kunst gilt als Schmiererei und wird immer wieder mit weißer Farbe übertüncht. Einige wollen anerkannt werden und herauskommen aus der Grauzone der illegalität. In Hamburg schlossen sich zehn junge Sprüh er zur Euro-Graffiti-Union zusammen.
N
"Cisco" ist schon mal erwischt worden und mußte 500,- DM für die Reinigung der Waggons zahlen . Dabei ist er noch mit einem blauen Auge davongekommen. Schwierig war auch die Beschaffung der Dosen, die die "writer" bisher immer geklaut haben. Damit soll nun Schluß sein. "Zum Klauen hab' ich echt keinen Bock mehr", meint "Jerk". Ihre Minimalforderung, wenn sie einen Auftrag annehmen, ist daher, daß sie die Dosen gestellt bekom-
12t:II::m
men. Später wollen sie mal richtig Geld verdienen mit ihrer Arbeit. "On line", nachts in der S-Bahn, kann man kein Geld verdienen. "On line" geht es um das Abenteuer, um das Aufregende, nachts heimlich unterwegs zu sein, um das Kribbeln im Bauch, wenn man sich während der Fahrt aussen an den Waggons lang hangelt. Und um Wettbewerbe, die die zahlreichen "writer" untereinander ausführen. Man
schmückt sich mit schillernden Begriffen, wie "king of line", "king of inside", "king of tags" und hat entweder die meisten Graffiti in einer S-Bahn-Linie oder im Inneren der Wagen angebracht oder hat seinen Codenamen so oft wie kein anderer gesprüht. Man sieht: In der Graffitiszene wimmelt es von englischen Ausdrücken. Schließlich ist die Sprühkunst auch eine jener Mot;!en, die irgendwann aus den USA zu uns rÜberschwappten. Und New York steht auf der Hitliste der Sprüher immer noch ganz obenan. "Aber Europa" , meinen sie, " ist erst im Kommen." Langsam aber sicher legt sich auch hier der bunte Lack aus der Dose über die Städte. Paris, Hamburg, Amsterdam und München sprühen ganz obenan mit. Und zwar in dieser Reihenfolge. Was sie von Altmeistern der Graffiti, wie Keith Haring und Harald Naegeli halten, frage ich. "Keith Haring macht doch keine Graffiti", empört sich "Jerk", "der läuft immer nur unter diesem Label mit. Aber er sprüht gar nicht, sondern sitzt mit Pinsel und Acryl farbe in seinem Atelier". Harald Naegeli, der nachts in Zürich mi.t der Sprühdose rumzieht, gilt auch nichts. "Schmiererei", meint"Chuck" grinsend. Echte Graffiti müssen laut sein, echte Graffiti sind die knallbunten "tags" und "characters", die aus der Dose kommen. Rüberbringen müssen die nichts. "Wir haben keine message" Wir wollen künstlerisch arbeiten, mit Buchstaben und Formen spielen, mit Farbe rumexperimentieren" , erklärt mir "Crome Jase" und alle nicken zustimmend. Und kein Graffiti ohne Entwurf. Was ein echter "writer" ist, der hat ein "blackbook", in dem er alle seine Skizzen, Entwürfe und Ideen sammelt. Der Auftrag in einem Fotostudio hat schon richtig ein bißchen Geld gebracht. Langsam kleckern immer mehr Aufträge ein, so daß die Jungs hoffen, bald richtig im Geschäft zu sein . Der Nachwuchs meldet sich auch schon; "Jerk" arbeitet daran, in die EGU aufgenommen zu werden. Dazu muß er vor allem gut sein und Probestücke in S- und U-Bahn vorweisen. "In der EGU sind nur die besten hamburger Sprüher", meint "Cisco" selbstbewußt. Und dabei soll es auch bleiben. An einem Sonntag Anfang Dezember ist die Discothek schon mittags geöffnet und ein kleines Grüppchen Jugendlicher steht vor dem Eingang. Ein Teil von ihnen, Sprühdose in der Hand, begutachtet mit zusammengekniffenen Augen die Wand neben der Tür. Die anderen stehen ein Stück abseits, stecken die Köpfe zusammen und meinen anerkennend: "Echt geilt" Am Steindamm wird gesprüht. An der Außen-
wand der Disco sind die ersten Schichten fertig. "Disco fortynine" wird dort stehen, wenn's fertig ist. Drinnen, im Dunkeln der Discothek, sieht es noch mehr nach Arbeit aus. Tresen und Bänke sind sorgfältig mit Plastikfolien abgedeckt. An den Wänden ringsum erkennt man die Anfänge mehrerer Graffiti. Hier werden "caracters" gesprüht, comicähnliche Figuren in grellen Farben. Das Aussprühen dieser Discothek ist einer der ersten Aufträge der hamburger EGU, die im Oktober '87 gegründet wurde. Zur Zeit besteht sie aus zehn "writern", wie sich die Sprüher im Graffitijargon nennen. Federführend ist "Cisco" , mit bürgerlichem Namen Bernhard. Er koordiniert die Aufträge und erledigt den anfallenden Papierkram. In München, Mainz und Dortmund gibt es eine EGU schon länger. Sie haben, wie die hamburger Graffiti-Union, alle das eine Ziel: herauszukommen aus der Illegalität der nächtlichen Streifzüge in der S-Bahn. Ab jetzt soll das Sprühen legal weitergehen und vielleicht auch Geld in die Kasse bringen. "Wir wollen endlich wegkommen vom "Schmiererimage", erklärt "Crome Jase", der eigentlich Sunni heißt. Nicht nur in der Disco und in einem Fotoatelier haben sie gesprüht, sondern haben auch ihre "tags", ihre Namenszüge, im Großformat auf Bussen alternativer Reisegesellschaften hinterlassen und sogar die Stadt scheint interessiert. Sie hat eingewilligt, daß die jungen Sprühe~ Vorschläge für die Verschönerung einiger öffentlicher Mauern einreichen, von denen dann einer genehmigt und offiziell in Auftrag gegeben werden soll. Hier ist natürlich auch Imagepflege im Spiel. Doch gleichzeitig schwärmen immer noch regelmäßig Männer mit weißer Farbe aus, um die Ordnung an Hamburgs Mauern wiederherzustellen.
~13