Der deutsche Konservatismus | Grundlagen
Von Ludwig Elm
Der deutsche Konservatismus Herkunft, Dilemma und neue Ambitionen In der Präambel zum Entwurf eines neuen Parteiprogramms der CDU wird neben der christlich-sozialen und liberalen auch die wertkonservative Strömung unter den Herkünften der Partei genannt. Das ist eine Charakteristik, die Erhard Eppler Mitte der siebziger Jahre in die Konservatismus-Debatten einbrachte und die rasch Verbreitung fand. Demzufolge sei zwischen Struktur- und Wertkonservatismus zu unterscheiden. Strukturkonservatismus stehe für Bestrebungen und Institutionen, die Besitzstände und Machtverhältnisse, überkommene soziale Schichtungen und Hierarchien sowie Privilegien rechtfertigen und verteidigen. Wertkonservatismus sei das Eintreten für gesellschaftliche und
ethische Werte, beispielsweise der Ehe und Familie, der Nation und des Staates, der Solidarität und Subsidiarität sowie des Christentums. Es war nicht zufällig, dass „wertkonservativ” im rechten Lager dankbar aufgenommen wurde. Rechtsintellektuelle erkannten den Nutzen, damit einen vor allem in Deutschland diskreditierten Begriff und seine umstrittenen Traditionen zu rehabilitieren. Außerdem eröffnet die Trennung der ethischen Verheißungen vom politischen und wirtschaftlichen Interesse Möglichkeiten für die apologetische Selbstdarstellung. In mehr als dreißig Jahren hat sich niemand als Strukturkonservativer bekannt. Symptomatisch für die negative Instrumentalisierung
Zum Autor Ludwig Elm, *1934. Prof. Dr. phil., lehrte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena bis 1991. Zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen sowie Beiträge in Sammelbänden zur Geschichte der Parteien und der politischen Ideen in Deutschland.
des Begriffs ist, dass der Historiker Heinrich August Winkler jüngst die Linkspartei als „strukturkonservativ” bezeichnete. Dagegen drängeln sich Politiker, Publizisten und Wissenschaftler in einer als wertkonservativ umschriebenen imaginären Mitte. Bundesministerin Ursula von der Leyen fand kürzlich, dass „konservativer Feminismus” ein spannender Begriff sei, denn „konservativ steht dafür, Werte zu erhalten in einer modernen Welt: die Werte der Verantwortungsübernahme für andere, der Verlässlichkeit untereinander”. Wenig später wurde der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Volker Kauder, im Porträt einer Sonntagszeitung als „Prototyp des südwestdeutschen, männlichen, wertkonservativen CDU-Politikers” charakterisiert. Der Generalsekretär der CSU, Markus Söder, meinte, dass seine Partei „vielleicht der wertkonservativere Teil der Union” sei. Selbst im
Lotta #28 | Herbst 2007 | Seite 51