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Peter Putz, Woher kommen Bilder, was tun sie hier, wohin gehen sie? Peter Putz, Where do pictures come from, what are they doing here,

August Sander, 1942

Die Welt hat sich verändert. Information wird auf neuartige Weise übermittelt, auch die Fehlinformation entwickelt eigene Methoden.

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John Berger

Woher kommen Bilder, was tun sie hier, wohin gehen sie?

Peter Putz

Ein Mann mit Arbeitsschürze sitzt an einem schmalen Tisch und schaut auf ein aufgeschlagenes Buch. Das Zimmer karg. Die Bildunterschrift: Politischer Häftling, 1942.

Der abgebildete Mann ist Erich Sander, der 1935 von den Nationalsozialisten wegen seiner Mitgliedschaft bei der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, fotografiert hat ihn sein Vater August Sander. Erich Sander starb kurz vor Ende der Haftzeit am 24. März 1944, weil ihm ärztliche Hilfe verweigert worden war. Das Foto – in der Mappe Politische Gefangene – ist Teil des umfangreichen Gesamtprojektes Menschen des 20. Jahrhunderts von August Sander und wurde erst lange nach dem Tode des Fotografen veröffentlicht. Die Vorstellung, als Vater den eigenen Sohn im Gefängnis zu fotografieren, fotografieren zu müssen, treibt mir Tränen in die Augen.

1983, im Jahr, in dem mein Bruder Rupert in Japan unterwegs war, starb völlig überraschend unser Vater. In der Zeit vor Internet und Mobiltelefon war die einzige Möglichkeit, zu versuchen, mit ihm in Kontakt zu kommen, Briefe poste restante (postlagernd) an verschiedene Postämter der Städte zu senden, in denen er sein hätte können. Ich habe den toten Vater fotografiert, auch um meinem Bruder die Möglichkeit zu geben, sich nach seiner Rückkehr ein Bild zu machen vom Vater bzw. ein letztes Bild zu haben. Das Bild eines Toten als Erinnerung an den Lebenden?

Mein Großvater Johann Promberger hat in den 1920er Jahren Verstorbene fotografiert. Einige Glasnegative sind erhalten geblieben aus einer Zeit, als es am Land üblich war, verstorbene Familienmitglieder einige Tage im Haus aufzubahren. Ein Fotograf wurde gebeten, ein letztes Bild zu machen. Auf einem Dachboden Jahrzehnte lang gelagerte Glasnegative lassen das Bild von Toten wieder entstehen.

Warum Fotos sammeln? Warum Bilder machen, aufheben, ordnen, anschauen, diese neu und anders ordnen? Warum versuchen, Zusammenhänge herzustellen? Ist es ein Aufbäumen gegen das Vergessen, den drohenden, den bereits eingetretenen Tod? Wieder aufgefundene Fotos: vom Vater aus seiner Zeit in Mosul/Irak 1958, vom Großvater Glasnegative aus der Zeit 1905 bis 1925.

Fotografien werden immer wieder an mich herangetragen, werden mir geschenkt oder ich finde sie. Wie gehe ich mit Fotos um, deren Autorin, deren Autor nicht mehr befragt werden kann? Wie stelle ich Bilder zusammen, welche Geschichten erzähle ich, wie kann ich vorgehen, um den Bildern und deren Urhebern zu einem einigermaßen authentischen Nachleben zu verhelfen?

Bilder rotieren ohne Unterlass: In „sozialen Netzwerken“ werden Texte, Fotos und Videos automatisiert herangespült, gesteuert von Algorithmen. Was wird aufgezeichnet, was neu – von mir/von anderen – eingespeist in die Bildermaschine? Wo stehen die Datenfarmen und Datenminen? Wieviel kosten Bilder? Wer verkauft sie, wer verdient daran, wer bezahlt dafür?

Ich „überwache“ in gewisser Weise mein Leben und das Leben einiger anderer, ich fotografiere Freunde und Bekannte oft über lange Zeit immer wieder und stelle die Fotos zu Zeitraffer-Porträts zusammen, auch, um Veränderungen sichtbar zu machen.

Das Ewige Archiv ist ein Versuch der Bestandsaufnahme des entschwindenden Lebens, ist ein Aufsammeln von Bildsplittern einer in weiten Teilen sich auflösenden, fragmentierten Welt.

Während diese Zeilen geschrieben werden, wird Gaza bombardiert, sehe ich Bilder von verletzten Frauen, Männern und Kindern, zusammengekauert in den Trümmern der zerstörten Straßen und Städte. Ich schaue aus dem Fenster meines zeitweiligen Arbeitszimmers in ein bewaldetes Tal, auf Wolken, in den Himmel – eine rauhe Idylle im Salzkammergut, in dem ich aufgewachsen bin. Vor rund 70 Jahren kamen im Konzentrationslager Ebensee (ca. 5 km entfernt) mehr als 8.000 Menschen ums Leben. Am Nachbargrundstück wird der neue Swimmingpool einbetoniert.

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