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Schluss mit Papierkram

Papier und Faxgerät sind im Gesundheitswesen oftmals Mittel der Wahl. Nun will Minister Lauterbach die elektronische Patientenakte und das E-Rezept vorantreiben. Das bietet Vorteile, birgt aber auch Risiken und benötigt zunächst eine sicher Basis.

Die Telematikinfrastruktur (TI) soll die Plattform für Gesundheitsanwendungen in Deutschland werden – wären da nicht ihre lästigen Nebenwirkungen: Vor allem die Fehleranfälligkeit der TI macht den Praxen zu schaffen. Mittlerweile tritt im Schnitt bei 29 Prozent täglich ein Fehler auf, in den hausärztlichen Praxen sogar bei 45 Prozent. Weitere 40 Prozent haben wöchentlich mit Problemen zu kämpfen. Die Folgen sind vielseitig: So müssen sie etwa die Konnektoren beziehungsweise Kartenlesegeräte neu starten, die Praxisorganisation wird negativ beeinflusst (79,4 %), Patientendaten können nicht eingelesen werden (75,5 %) oder das PVS ist vorübergehend nicht nutzbar (57,1 %).

Besonders bedenklich daran ist, dass künftig noch mehr Anwender an die TI angeschlossen werden sollen. Allein in Bayern verweigern dies aktuell rund 1.600 der rund 17.600 Praxen – oftmals aus Datenschutzgründen. Hinzu kommen Rehabilitationszentren – bis dato sind 72 Einrichtungen mit einer Institutionskarte für den TI­Zugang ausgestattet – und Pflegeeinrichtun­ gen, für die laut dem Pflegeunterstützungs ­ und -entlastungsgesetz (PUEG) die Anbindung ab 1. Juli 2025 verpflichtend ist. „Die Finanzierung entstehender Kosten ist nach § 106b SGB XI bereits geregelt: Die Pflegeeinrichtungen erhalten von der Pflegeversicherung eine Erstattung der erforderlichen erstmaligen Ausstattungskosten und der laufenden Betriebskosten“, wie das BMG mitteilt.

Immerhin herrscht hier Einigkeit. Die Apotheken haben noch das Nachsehen. Über die Höhe ihrer Pauschale konnten sich der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht einigen. Ebenfalls nicht einigen konnte sich der GKV mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über die Ausgestaltung der im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) festgelegten monatlichen TI­Pauschale, mit der auch der notwendige Konnektorentausch finanziert werden soll. Nutzer der Secunet­Konnektoren können ihre Sicherheitszertifikate ab August immerhin per Software ­Update verlängern und den

Konnektortausch so zwei Jahre nach hinten verschieben. Das Update ermöglicht eine Weiterverwendung bis zum 31. Dezember 2025.

Gerade Basics wie die Finanzierung zu klären, drängt jedoch. Bei ihrer Gesellschafterversammlung am 22. Juni hat die Gematik immerhin den sofortigen Start des bundesweiten E-Rezept-Rollouts beschlossen. Dafür wurde in den vergangenen Monaten unter anderem ein neues, papierloses Einlöseverfahren mittels elektonischer Gesundheitskarte (eGK) auf den Weg gebracht: „Mit der E-Rezept-Einlösung mittels eGK wird eine wesentliche Forderung der Ärzte umgesetzt – neben den bereits bestehenden Einlösemöglichkeiten App und Papierausdruck, einen digitalen Weg zu schaffen, der für alle Patientinnen und Patienten in Deutschland einfach und barrierefrei ist“, so die nationale Agentur für digitale Medizin. Bis Ende des Jahres soll der Rollout dann abgeschlossen und somit die Voraussetzung für eine verpflichtende Nutzung des E-Rezepts ab 1. Januar 2024 gegeben sein.

Wie aus einem Referentenentwurf des Digitalisierungsgesetzes hervorgeht, sollen gesetzlich Krankenversicherte zudem ab 15. Januar 2025 automatisch eine elektronische Patientenakte (ePA) erhalten – solange sie nicht aktiv widersprechen (Opt-out-Modell). Als erste Anwendung auf der ePA ist geplant, den digitalen Medikationsprozess abzubilden; gefolgt von Laborbefunden, die in die ePA eingefügt werden sollen. Zum 1. Januar 2025 sollen schließlich auch die elektronischen Notfalldaten auf der ePA gespeichert wer- den.Welche weiteren Anwendungen kommen sollen, will das BMG per Rechtsverordnung festlegen, heißt es in dem Gesetzentwurf. Die Gesundheitsdaten der Patienten können dann auch ohne weitere Einwilligung für verschiedene Forschungszwecke und von den Krankenkassen zur Früherkennung zum Beispiel von Krebserkrankungen genutzt werden. So sollen laut Entwurf bürokratische und organisatorische Hürden bei der Datennutzung abgebaut werden. In der Diskussion um die Hoheit über die Patientendaten wird in dem Gesetz explizit das „Verschatten“ einzelner Inhalte thematisiert. Die Beschränkungen der Leserechte können Patientinnen und Patienten entsprechend aufheben oder zulassen.

Damit die ePA bei der Ärzteschaft sowie den Patienten Akzeptanz findet, müsse sie jedoch überarbeitet werden. „Die ePA muss sich schnell und – wie vom Bundesgesundheitsminister angekündigt – automatisch befüllen lassen. Außerdem sind die Anbieter von Praxisverwaltungssystemen gefordert, ihre Systeme anzupassen“, fordern die Vorstände der Kassenärztliche Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner in einer gemeinsamen Erklärung.

ÜBER 100 MILLIONEN KIM-NACHRICHTEN VERSCHICKT

Der Messenger KIM, kurz für „Kommunikation im Medizinwesen“, ist laut Gematik mittlerweile in der Praxis angekommen: Zum 22. Februar 2023 wurden in Deutschland insgesamt 100 Millionen Nachrichten über die Anwendung verschickt – Ende Juni sind es bereits 156.051.676. Darunter etwa 119.089.347 elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU), 8.651.742 elektronische Arztbriefe und 4.874.834 „Elektronische Beantragungsund Genehmigungsverfahren Zahnärzte“ (EBZ).

Die Anzahl der gesendeten DALE-UV-Nachrichten an die DGUV bildet das TI-Dashboard seit Jahresbeginn auch mit ab: Mit 1.716.291 entsprechenden

Nachrichten hat sich deren Aufkommen via KIM bereits im Februar verdreifacht. Mittlerweile wur den 4.412.119 entsprechende Nachrichten ver schickt.

„Das Erreichen der ‚100 Millionen‘-Marke ist ein großartiger Erfolg für die Telematikinfrastruktur. Es gilt nun aber auch, über den Versand der eAU hinaus die Schlagzahl weiter zu erhöhen: In den kommenden Monaten muss daher speziell der Versand von eArztbriefen mit KIM kontinuierlich steigen“, betont Sebastian Zilch, Unterabteilungsleiter für Gematik, E-Health und Telematikinfrastruktur im Bundesministerium für Gesundheit.

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