ARTMAPP #26, Frühjahr 2021

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170 C l a i r e M or g a n i m S a a rl a nd mu s e u m , M o de r ne G a le r ie , i n S a a r br üc ke n

Eingefrorene Momente Claire Morgans skulpturale Installationen sind ein Phänomen. Mit wenigen Materialien schafft es die Nordirin, Räume zu verwandeln und die Betrachtenden zu fesseln. Ihr Werk ist ungeheuer vielschichtig und ambivalent zugleich. Die Arbeiten hinterfragen Dynamik und Stillstand sowie Raum und Objekt als formale Prinzipien, handeln aber ebenso von Leben und Tod, Natur und Konstruktion, Chaos und Ordnung. Morgan lässt die Natur in den Kunstkontext einbrechen, indem sie organisches Material und die massenhafte Ansammlung tierischer und pf lanzlicher Elemente in eine strenge Ordnung bringt, die als raumfüllende Kugeln, Würfel oder Prismen aufgehen: „In den Hängeskulpturen gibt es sehr präzise Dinge, feste Körper, unveränderliche geometrische Formen, die in der Natur nirgends wirklich existieren. Sie sind aus riesigen Mengen von kleinen vergänglichen Dingen zusammengesetzt, etwa Pflanzensamen oder Fliegen, um die Illusion von etwas Festem oder Konkretem zu liefern. Doch letzten Endes sind sie weder fest noch konkret“, so Morgan. Diese vermeintliche geometrische Klarheit bricht die Künstlerin durch organische Elemente, die das Künstliche mit Leben und Tod durchsetzen. Den präzise an feinen Schnüren aufgereihten Insekten, Samen und Polyethylenschnipseln ordnet sie oft präparierte Tiere zu, zum Beispiel Füchse, Vögel, Hasen, Kaninchen oder Hirsche. Tiere also, die als Kulturfolger an der Grenze zur Zivilisation leben. So erschafft Morgan mit ihren lyrischen Skulpturen buchstäblich „Stillleben“. Eingefrorene Momente, in denen die Zeit stillzustehen scheint und sich so unserem Blick öffnet. Da durchfliegt eine Möwe einen sorgsam gehängten Kubus aus Distelsamen und bringt die strenge Rasterung durcheinander, in einer anderen Arbeit durchf liegt eine Schleiereule zwei Kuben und bremst im dritten ab. Dabei stoben die an kaum sichtbaren Nylonschnüren aufgehängten Samen wild durcheinander. Ein anderes Mal kriecht ein Eichhörnchen über einen Samenwürfel, ohne auch nur ein Detail zu verrücken, und macht den Kubus damit zu einem scheinbar starren Gebilde, welches das Eichhörnchen trägt. Es ist sichtbar gemachte Bewegung als Symbol für das Leben, die uns Morgan da vorführt in diesen kurzen Augenblicken, deren Fragilität schon durch die Diestelsamen mit ihren zarten Pusteblumen-Flugschirmen gegenwärtig wird. Morgan hinterfragt mit diesen Memento-mori-Verweisen immer wieder unseren Umgang mit Leben und Tod. Dabei schwankt ihr Werk zwischen Hoffnung und Verzweiflung über die Tatsache, dass die natürliche Welt an der künstlichen zugrunde geht.


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