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Bildsinfonien

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Immersive Sound

Oceania: Der Sound der Unterwasserwelt Live Performance

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Ausstellung Hockneys großes Schaufenster: Der Lightroom in London

Dark Matter: Berlin in Licht und Sound Ausstellung

Interview Bildsinfonien: Die Panoramamusiken des belgischen Komponisten Eric Babak

Kitsch oder Kunst? Darüber streiten sie, die Experten. Immersive Kunst wird jedenfalls von der Kunstkritik gern mal mit dieser Frage bedacht. Denn die ist in den vergangenen Jahren weitab vom eigentlichen Kunstmarkt ein Megatrend geworden. Dazu gehören auch die Großausstellungen mit Werken von Superstars der Kunstgeschichte wie Vincent van Gogh, Gustav Klimt oder Frida Kahlo – in vielen Städten als digitale Projektionsschauen zu sehen.

Das gefällt nicht allen. Die Edelfedern großer Feuilletons schreiben von niederschwelliger Unterhaltung, Effekthascherei, von Überwältigung als Stilmittel usw., müssen aber trotzdem zugeben, dass es sich um eine neue Kunstform handelt. Nicht für die Kunstgeschichte. Aber für die Menschen. Also mit demokratischer Breitenwirkung. Die digitalen Kunstschauen haben sich fast aus dem Nichts zu den erfolgreichsten monothematischen Museen entwickelt. Für Menschen, die sonst gar nicht ins Museum gehen würden. Vielen ist es nicht wichtig, sich in Amsterdam zum Beispiel die Originale von Vincent van Gogh anzusehen. Oder erst dann, wenn sie die Bilder als Show erlebt haben.

Und das ist noch nicht alles: In Las Vegas wird im September The Sphere eröffnet, eine Unterhaltungskugel für zwanzigtausend Zuschauer, das weltgrößte kugelförmige Gebäude, mit dem weltgrößten LED-Netz, innen und außen. Die Riesenkugel verspricht ein immersives Kunsterlebnis der absoluten Superlative. Schon jetzt werden für The Sphere ganze Welten gefilmt oder animiert. Der kleine Mensch sitzt dann da in seinem Sessel inmitten des weiten Universums, in den Tiefen der Meere, in der unendlichen Schönheit der Natur.

Auch Panoramen sind immersive Kunst. Der Betrachter findet sich inmitten einer anderen Welt. In einem Rundbild, in dem sich, anders als in den digitalen Shows, gar nichts bewegt. Es ist ein Augenblick eingefrorene Zeit. Panoramen waren im 19. Jahrhundert durchaus Entertainment. Aber auch künstlerisches Ausdrucksmittel. Man kann einigen von ihnen sogar vorwerfen, dass sie als ideologisches Massenmedium fungierten, vor allem die großen Schlachtenpanoramen. Der Berliner Panoramakünstler Yadegar Asisi aber hat mit seinen Panoramen des 21. Jahrhunderts eine einzigartige Kunstform geschaffen. Nicht weil seine Panoramen die weltgrößten Rundbilder sind. Es geht, anders als in den überbordenden digitalen Immersions-Shows, nicht um die Sensation. Vielmehr nutzt der Künstler die Panoramen, um sein Verständnis unserer Welt und der Natur und der Gesellschaft, in der wir leben ganz faktisch aber vor allem auch emotional zu vermitteln. Je größer die Rotunden sind, umso größer ist die illusionistische Wirkung. Viele Besucher und Besucherinnen berichten von überraschenden, offenbarenden Eindrücken. Die Asisi-Panoramen sind Orte der Ruhe, des In-sichGehens, der Erhellung. Also: Kunst muss nicht immer kompliziert sein und erklärungsbedürftig. Sie kann auch einfach zu verstehen sein und zutiefst berühren. Was auch immer die Kunstkritik davon hält.

Umso mehr erfreut es, dass ein Star der modernen Kunst, David Hockney, seine Malerei jetzt als immersives Gesamt-Kunstwerk konzipiert hat. „Bigger & Closer – not smaller and further away“, („Größer & Näher – nicht kleiner und weiter weg“) ist in London zu besichtigen. Es ist Hockneys großes Schaufenster mit seinem Blick auf die Welt seiner Bilder. In einem Zyklus von sechs thematischen Kapiteln, mit einer eigens komponierten Musik von Nico Muhly und einem Kommentar des Künstlers selbst, offenbart uns Hockney seinen Prozess. Wir hören seine Stimme, wenn er mit der Perspektive experimentiert, die Fotografie als eine Art „Zeichnen mit der Kamera“ einsetzt, das Vergehen der Zeit in seinen Polaroid-Collagen und die Freude des Frühlings auf seinem iPad festhält. Damit ist er der erste lebende Künstler, der sich zu dieser Form der Kunstpräsentation bekennt. Einer, der sich den modernen Medien nie verschlossen hat und schon in den 90er Jahren auch die digitale Zeichnung in sein Werk aufgenommen hat. Jetzt ist sein Gesamtwerk als digital-immersives Kunstwerk erlebbar, wahrscheinlich aus dem einfachen Grunde, weil es jetzt erst die technischen Voraussetzungen dafür gibt.

In dieser Ausgabe der ThreeSixO stellen wir die Installationen des Lichtkünstlers Christopher Bauder vor. Das Dark Matter in Berlin ist sein Experimentierort, eine abgedunkelte ehemalige Fabrik, in der nur das Kunstlicht, im Wortsinn, die Besucher und Besucherinnen durch die sieben Rauminstallationen leitet. Da lässt es sich gemütlich an einem digitalen Lagerfeuer herumlungern, durch verspiegelte Räume irren, in denen 800 bewegliche Lichtpunkte den Himmel darüber in wabernde Bewegungen setzen oder dynamische Lichttexturen sowie Tonleitern erklimmen. Kunstkritiker nennen es Lichtdesgin. Christopher Bauder nennt es Kunst. Und das Dark Matter ist in einem Randbezirk Berlins eine neue Adresse, an dem die Menschen gern Schlange stehen, um sich erleuchten zu lassen.

Anders als in den meisten immersiven Ausstellungen, bewegen sich in den Panoramen von Yadegar Asisi die Zuschauer – nicht das Bild. Die Musik für diese Kunstwerke, komponiert seit 20 Jahren der in London lebende Komponist Eric Babak. Yadegar Asisi und er haben damit ein eigenes Musik-Genres erfunden, denn die Musik und die Soundinstallationen dafür sind Bild-Musiken, die ähnlich wie Film-Musiken entstehen. Eigens komponierte Musik und Sounds heben einzelne Szenen hervor und führen damit die Besucher durch das Panorama. Darüber, wie diese Bild-Musik-Collagen genau entstehen und wie das zwischen Regisseur und Komponist abläuft, haben wir mit Eric Babak gesprochen.

Und dass die Asisi-Panoramen manchmal auch andere Musiker und Musikerinnen zu neuer Musik inspirieren, darum geht es in unserem Beitrag über die Stuttgarter Künstler „Boum-Percussion“ und ihrer Live-Percussion zum „Great Barrier Reef“ im Pforzheimer Panorama im vergangenen Jahr.

Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung! Beim Lesen ebenso wie mittendrin in der immersiven Kunst.

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